Sexualdimorphismen adulter Stammzellen - Stammzellbiologie - BIOspektrum
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50 W I S S EN S CH AFT · S PECIA L : STAMMZE LLFORSCH UNG Stammzellbiologie Sexualdimorphismen adulter Stammzellen MADLEN MERTEN, JOHANNES F. W. GREINER, CHRISTIAN KALTSCHMIDT, Das zur Isolation der Stammzellen verwen- B ARBARA KALTSCHMIDT dete Gewebe wird in einer routinemäßigen LEHRSTUHL FÜR ZELLBIOLOGIE, UNIVERSITÄT BIELEFELD Operation bei obstruktivem Schnarchen ent- nommen [1]. NCSCs verdanken ihren Namen Neurodegenerative diseases like Parkinson’s disease differ between dem entwicklungsbiologischen Ursprung the sexes in severity and occurrence. Next to hormons, increasing dieser Stammzellen aus der Neuralleiste. Die- evidence suggests stem cell-intrinsic mechanisms to account for se entsteht während der Embryonalentwick- lung zwischen dem Ektoderm und dem Neu- pathologic sex-specific differences. Here, we discuss such sex-related ralrohr, aus welchem sich das Zentralnerven- intrinsic mechanisms and sex-specific differences in adult stem cells, system entwickelt. Von der Neuralleiste aus neuronal development and neuroprotection. The reviewed observa- migrieren die Stammzellen in den sich ent- tions emphazise the importance of considering sexual dimorphisms for wickelnden Embryo und tragen nach erfolg- medical treatment strategies. ter Migration wesentlich zur weiteren embryonalen Entwicklung bei, indem sie in DOI: 10.1007/s12268-020-1333-2 verschiedenste Zelltypen des Ekto- und © Die Autoren 2020 Mesoderms differenzieren (Abb. 1). Mithilfe von bestimmten Supplementen, wie Nähr- ó Für unsere Forschung verwenden wir len (neural crest-derived stem cells, NCSCs) und Signalstoffen, können Stammzellen zur ITSCs (inferior turbinate stem cells), welche gehören und aus der unteren Nasenmuschel Differenzierung angeregt werden. Hierbei zu den Neuralleisten-abgeleiteten Stammzel- (inferior turbinate) isoliert werden (Abb. 1). wurde festgestellt, dass ITSCs bereits in die- sem frühen Stadium geschlechtsspezifische Unterschiede auf zellulärer Ebene zeigen. Aus männlichen Patienten isolierte ITSCs differenzieren im Vergleich zu weiblichen ITSCs besser in Knochenvorläuferzellen (osteogene Differenzierung). Im Gegensatz hierzu differenzieren die ITSCs aus weibli- chen Patienten schneller in Nervenzellen (neuronale Differenzierung) als männliche Zellen. Die Rolle des Geschlechts bei der Differenzierung von Stammzellen zu Nervenzellen Im Zuge der neuronalen Differenzierung kön- nen ITSCs erfolgreich in glutamaterge Neu- rone differenziert werden (Abb. 1). Werden die Zellen zusätzlich mit dem Hormon Ery thropoetin kultiviert, sind bei den weiblichen Zellen nach zehn Wochen deutlich verlänger- te Axone sowie stärkere Verzweigungen zu beobachten, was auf eine schnellere Reifung der Zellen hindeutet. Männliche Nervenzel- len hingegen zeigen diese Veränderungen ˚ Abb. 1: ITSCs (inferior turbinate stem cells) werden aus dem Gewebe der unteren Nasen nicht (Abb. 2). Neben der Funktion als muschel isoliert und sind in der Lage, sich in ektodermale Zelltypen, wie glutamaterge und Wachstumsfaktor bei der Bildung von Ery dopaminerge Neuronen, und mesodermale Zelltypen, wie Osteo- und Adipocyten, zu differenzie- ren (teilweise modifiziert nach [9]). throcyten werden dem Hormon auch neuro- protektive Eigenschaften zugesprochen. BIOspektrum | 01.20 | 26. Jahrgang
Während der Differenzierung von aufweisen. Weiterhin sind Frauen anfälli- ITSCs zu dopaminergen Neuronen zeigt ger für alkoholinduzierte Schädigungen sich ebenfalls, dass weibliche ITSCs wie Zirrhosen oder Kardiomyopathien schneller reifen. Sie weisen im Vergleich und zeigen einen erschwerten Alkohol- zu den männlichen Neuronen neben entzug im Gegensatz zu Männern [3]. einem stärkeren Neuritenwachstum auch Auch in einem Mausmodell wurde eine höhere Verzweigung und eine höhere gezeigt, dass weibliche Mäuse sensitiver Expression der Thyrosinhydroxylase auf, auf Ethanol reagieren (Abb. 3). Nach einem Marker für reife dopaminerge Neu- Alkoholexposition und Alkoholentzug rone. Behandelt man dopaminerge Neuro- werden jeweils bestimmte Gene in weib- ne mit dem Neurotoxin 6-OH-Dopamin, lichen Mäusen höher exprimiert als bei zeigen männliche Neurone im Vergleich männlichen Mäusen. NF-κB spielt hierbei zu weiblichen eine höhere Sterblichkeit in beiden Geschlechtern eine essenzielle (Abb. 3, [2, 3]). Die dopaminergen Neuro- Rolle, jedoch wurden zwischen den ne spielen eine essenzielle Rolle bei Par- Geschlechtern keine der NF-κB- kinson, da der Verlust dieser Neuronen abhängigen Gene gemeinsam reguliert. die Ursache der Erkrankung darstellt. In Weibliche Mäuse zeigen unter anderem Übereinstimmung mit unseren Daten eine Hochregulation der Cyto- und Che- lässt sich beobachten, dass Männer häu- mokine TNF-α, Interleukin-6 (IL-6), Eota- figer an Parkinson erkranken als Frauen xin und CC-Chemokin-Ligand 5 (CCL5), [3]. Neben dem Neurotoxin wurde auch die proinflammatorische Reaktionen regu- der Einfluss von oxidativem Stress in Neu- lieren [5]. Diese Erkenntnisse bestätigen ronen untersucht. Dieser wird durch die bereits beobachtete proinflammatori- Zugabe von Wasserstoffperoxid induziert. sche Toxizität und Degeneration in weib- Im Gegensatz zur Applikation des Neuro- lichen Zellen. Im Gegensatz dazu zeigen toxins führt der oxidative Stress zu einer männliche Mäuse eine Herunterregulie- höheren Sterblichkeit von weiblichen rung der Chemokine CCL28, CCL5 und Neuronen im Vergleich zu ihren männli- des Rezeptors CXCR5, was zu Immunsup- chen Gegenstücken (Abb. 3, [4]). Die pression und einer relativen Neuroprotek- Ursache dieses starken sexuellen Dimor- tion führt [3, 5]. Bezüglich NF-κB wurden phismus sind Gegenstand aktueller Studi- bei Mäusen zudem geschlechtsspezifische en und zum Teil auf den Transkriptions- Unterschiede im Transkriptom von Mik- faktor NF-κB zurückzuführen. NF-κB roglia entdeckt. 79 Prozent von 95 (nuclear factor ‚kappa-light-chain-enhan- inflammatorischen NF-κB-Zielgenen zei- cer‘ of activated B-cells) spielt eine zentra- gen eine erhöhte Expression in männli- le Rolle in einer Vielzahl zellulärer Pro- chen Mikroglia, was männliche Mäuse zesse, wie Zellwachstum, Apopt ose, anfälliger für entzündliche Reaktionen Inflammation, Lernen und Gedächtnis macht (Abb. 3). Im Vergleich hierzu zeig- oder Immunität. Die Aktivierung von ten weibliche Mikroglia neuroprotektive NF-κB mithilfe des proinflammatorischen Eigenschaften, die auch in männlichen Cytokins Tumornekrosefaktor-α (TNF-α) Mäusen beobachtet werden, nachdem resultiert in einer signifikanten Neuropro- man ihnen weibliche Mikroglia injiziert tektion gegen oxidativen Stress in beiden hat [6]. Geschlechtern. In weiblichen Neuronen, Sexualdimorphismen lassen sich eben- die sensitiver gegen oxidativen Stress falls im Rahmen der Neurogenese beob- sind (Abb. 3), werden nach Aktivierung achten. Bei diesem Prozess werden aus von NF-κB die Zielgene SOD2 und IGF2 Stammzellen neue Nervenzellen gebildet. zur Neuroprotektion hochreguliert, woge- Neurogenese findet nicht nur während gen die Neuroprotektion in männlichen der Embryonalentwicklung, sondern auch Neuronen durch Hochregulation des Gens im adulten Organismus statt. Die Stamm- PKA cat alpha gefördert wird [4]. Neben zellnischen der adulten Neurogenese sind oxidativem Stress wurden auch die subventrikuläre Zone und der Gyrus geschlechtsspezifische Unterschiede bei dentatus, welcher einen Teil des Hippo- Alkoholmissbrauch festgestellt. Hierbei campus darstellt. Die geschlechtsabhän- können Hirnschäden im Zusammenhang gige Regulation der Neurogenese im Hip- mit Alkoholmissbrauch bei Frauen ver- pocampus wird durch zirkulierende Sexu- stärkt und schneller auftreten, wobei alhormone vermittelt [7]. Dabei zeigen Männer eine relative Neuroprotektion Frauen eine erhöhte Neurogenese im BIOspektrum | 01.20 | 26. Jahrgang
52 W I S S EN S CH AFT · S PECIA L : STAMMZE LLFORSCH UNG ¯ Abb. 2: Huma- ne glutamaterge Neurone, diffe- renziert aus adul- ten nasalen Stammzellen (ITSCs) für eine Dauer von zehn Wochen. Nach Zugabe des Hor- mons Erythropoe- tin zeigen weibli- che ITSCs im Gegensatz zu den männlichen ITSCs stark verlängerte Axone und erhöh- te Verzweigungen im Vergleich zur Kontrolle. ¯ Abb. 3: Sche- matische Darstel- lung der geschlechtsspezi- fischen Unter- schiede in der neuronalen Ent- wicklung und stammzellvermit- telten Neuropro- tektion sowie bei Neurokristopathi- en. Hippocampus, nämlich eine höhere Anzahl Geschlechtsspezifische Unterschiede der Neuralleiste. Durch die fehlenden Gang- Moosfaser-Synapsen in der CA3-Region und bei Entwicklungsstörungen der lienzellen im Darm ist die Darmperistaltik mehr Körnerzellen, wohingegen jedoch die Neuralleiste gestört, was zur Obstruktion (Verengung) Degenerationsrate höher ist (Abb. 3, [8]). Bei der humanen Entwicklung der Neural- führt. Viele der Neuropathien, wie das Waar- Neben dem Zentralnervensystem zeigen leiste kann es zu Störungen kommen, den denburg-Syndrom, sind mit dem Morbus Untersuchungen auch geschlechtsspezifi- Neurokristopathien. Zu den geschlechtsspe- Hirschsprung assoziiert. Auch das Waarden- sche Unterschiede bei der Entwicklung des zifischen Neurokristopathien zählen der burg-Syndrom weist eine geschlechtsspezi- peripheren Nervensystems, das größtenteils Morbus Hirschsprung, das Waardenburg- fische Prävalenz bei Männern auf. Neural- aus migrierenden Neuralleistenzellen ent- Syndrom, Meningiome und Melanome, das leisten-abgeleitete Tumoren, wie das Menin- steht. Bei der embryonalen Entwicklung von Tietz-Albinismus-Taubheits-Syndrom und giom, treten häufiger bei Frauen auf, wäh- Mäusen besiedeln Neuralleistenzellen das das Kabuki-Syndrom (Abb. 3). Der Morbus rend Melanome häufiger bei Männern zu Innere des Eierstocks und differenzieren dort Hirschsprung, welcher häufiger bei Män- finden sind. Neben diesen Tumoren zeigen in Neurone und Gliazellen. Diese bilden das nern auftritt, ist durch einen fehlerhaften sich geschlechtsspezifische Unterschiede in ganze neurale Netzwerk der Eierstöcke. Im Aufbau des Nervensystems im Darm charak- der Prävalenz des Kabuki-Syndroms, das Vergleich dazu wird das Hodengewebe nicht terisiert. Ursache hierfür ist die fehlende häufiger bei Frauen auftritt und sich durch durch Neuralleistenzellen besiedelt [3]. Migration von Ganglienvorläuferzellen aus kraniofaziale Defekte, Herzfehler und post- BIOspektrum | 01.20 | 26. Jahrgang
natale Wachstumsverzögerungen aus- [6] Villa A, Gelosa P, Castiglioni L et al. (2018) Sex- specific features of microglia from adult mice. Cell Rep zeichnen [3]. 23:3501–3511 Die geschlechtsspezifischen Unter- [7] Hillerer KM, Neumann ID, Couillard-Despres S et al. (2013) Sex-dependent regulation of hippocampal neuro- schiede in Neurokristopathien und neuro- genesis under basal and chronic stress conditions in rats. degenerativen Erkrankungen wie Parkin- Hippocampus 23:476–487 [8] Madeira MD, Paula-Barbosa MM (1993) son sollten vor allem im therapeutischen Reorganization of mossy fiber synapses in male and Kontext stärker berücksichtigt und female hypothyroid rats: a stereological study. J Comp Neurol 337:334–352 genauer untersucht werden. Vor allem die [9] Greiner JF, Gottschalk M, Fokin M et al. (2019) Unterschiede auf Stammzellebene kön- Natural and synthetic nanopores directing osteogenic dif- ferentiation of human stem cells. Nanomedicine 17:319– nen sich als entscheidender Faktor für 328 zukünftige Behandlungsstrategien her- ausstellen. ó Funding: Open Access funding provided by Projekt DEAL. Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Literatur Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen [1] Hauser S, Widera D, Qunneis F et al. (2012) Isolation wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons of novel multipotent neural crest-derived stem cells from Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. adult human inferior turbinate. Stem Cells Dev 21:742– Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative 756 Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten [2] Lieb K, Andrae J, Reisert I et al. (1995) Neurotoxicity Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen of dopamine and protective effects of the NMDA receptor Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte antagonist AP-5 differ between male and female dopa- der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ deed.de. minergic neurons. Exp Neurol 134:222–229 [3] Greiner JFW, Merten M, Kaltschmidt C et al. (2019) Sexual dimorphisms in adult human neural, meso- Korrespondenzadresse: derm-derived, and neural crest-derived stem cells. FEBS Prof. Dr. Barbara Kaltschmidt Lett 593:3338–3352 [4] Ruiz-Perera LM, Schneider L, Windmoller BA et al. Universität Bielefeld (2018) NF-kappaB p65 directs sex-specific neuroprotec- Fakultät für Biologie tion in human neurons. Sci Rep 8:16012 Zellbiologie der Tiere [5] Wilhelm CJ, Hashimoto JG, Roberts ML et al. (2014) Universitätsstraße 25 Understanding the addiction cycle: a complex biology with distinct contributions of genotype vs. sex at each D-33615 Bielefeld stage. Neuroscience 279:168–186 barbara.kaltschmidt@uni-bielefeld.de AUTOREN Unsere Arbeitsgruppe un- tersucht die Funktion von NF-κB in verschiedenen zel- lulären Systemen, wie Neu- rone, Stammzellen und Tu- morstammzellen. Dabei wird besonders die Rolle von NF-κB im Kontext der Neuroprotektion und Neurogenese sowie bei der Proliferation und Differenzierung untersucht. Neuerdings erweitern wir dieses Forschungsspektrum auf geschlechtsspezifische Unterschiede. Madlen Merten, Johannes F. W. Greiner, Christian altschmidt und Barbara Kaltschmidt (v. l. n. r.) K BIOspektrum | 01.20 | 26. Jahrgang
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