So You Want To Write A Song? - Eine Bastelanleitung von Ulrich Kaiser

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So You Want To Write A Song?

       Eine Bastelanleitung
        von Ulrich Kaiser
Bastelrezept
Die folgende Bastelanleitung ist eine Einstiegshilfe zum Basteln eines Popsongs
oder Schlagers. Sie besteht aus den folgenden Schritten:

     1. Schritt: Harmoniefolge bestimmen

     2. Schritt: Drums und E-Bass ausarbeiten

     3. Schritt: Melodiewendungen aus der Klassik ›borgen‹

     4. Schritt: Taktverbindungen mit Melodiewendungen gestalten

     5. Schritt: Hintergründe gestalten (›Gitarrenwand‹ und ›Streichersoße‹)

     6. Schritt: Call & Response der Lead-Gitarre einfügen

     7. Schritt: Text wählen, rhythmisieren und der Vorlage anpassen.

1. Schritt: Auswahl einer Harmoniefolge

Am besten beginnt man mit einer gebräuchlichen Harmoniefolge bzw. der Kom-
bination von zwei bekannten Pattern.

Verse von ›Hey Jude‹ (Lennon/McCartney)

   T         D         D          T             S           T          D    T

Chorus von ›Die Sonne kann warten‹ (Erich Ließmann alias Jean Frankfurter)

    T        D         D         T            SD TS               ii   D    T
                                                                Kadenz-Harmonik

Bringt man die Harmoniefolgen beider Songs auf einen gemeinsamen Nenner,
ergibt sich das folgende, wirklich häufig anzutreffende Taktschema:

    T        D         D         T              S           T          D    T

                              CC BY – Ulrich Kaiser, 2021
Schritt 2: Drums und E-Bass ausarbeiten:

Im zweiten Schritt können wir nun für das 16-taktige Schema ein Standard-
Drumpattern sowie die Stimme des E-Basses notieren. Für das folgende Beispiel
wurde die (wenig gitarrenfreundliche) Tonart C-Dur gewählt. Der Bass spielt da-
bei die Grundtöne der Harmonien, leicht verziert durch einige harmonieeigene
Sprünge sowie Durchgänge. Das folgende Beispiel zeigt die ersten vier Takte
des Patterns (T-D-D-T) in der Ausarbeitung für Drums und Bass:

Zu beachten sind Korrespondenzen bzw. die gemeinsamen Akzente zwischen
Bassdrum, Snare und dem E-Bass. Eine solche Abstimmung zwischen diesen In-
strumenten ist für viele Pop-Stilistiken charakteristisch.

Typisch für Pop- und Schlagermusik sind auch rhythmische Überleitungen zwi-
schen den Ahcttaktgruppen in Form von Fills. Die folgenden Beispiele zeigen ein
kleineres Fill für den achten Takt (beginnend nach der dritten Zählzeit des Tak-
tes) und ein größeres für den sechzehnten Takt (beginnend auf der zweiten
Zählzeit des Taktes):

Drum-Fill in T. 8 (kleiner):

Drum-Fill in T. 16 (größer):

                               CC BY – Ulrich Kaiser, 2021
3. Schritt: Melodiewendungen aus der Klassik ›borgen‹

In diesem Schritt geht es darum, passende Melodiewendungen zu finden (die
an dieser Stelle noch keiner übergreifenden dramaturgischen Idee folgen müs-
sen). Hierzu suchen wir z.B. in einem Lied von Franz Schubert nach den Harmo-
nien unseres Patterns und schauen uns an diesen Stellen die Melodie etwas
genauer an:

                      = Melodie in den Tonika-Takten 1, 4, 6 und 8.

                      = Melodie in den Dominant-Takten 2, 3 und 7.

                      = Melodie im Subdominant-Takt 5.

                             CC BY – Ulrich Kaiser, 2021
Gleich zu Beginn des Liedes ›Lied eines Schiffers an die Dioskuren‹ finden wir
eine T-D-D-T-Harmoniefolge und können uns gleich von dieser Stelle einen Ton-
höhenverlauf borgen. Vom achten zum neunten Takt erklingen dann die Folge T-
S und im Anschluss daran die Harmonien T, D und T. Die Melodiewendungen
der drei zuletzt genannten Harmonien sind zwar bei Schubert im Original durch
jeweils einen weiteren Takt getrennt, was jedoch in diesem Fall nicht weiter
stört, weil sich durch die Anschlüsse (von den Taktenden zu den Taktanfängen)
ein Weglassen dieser Takte geradezu anbietet.

4. Schritt: Taktverbindungen mit Melodiewendungen gestalten

Die Hauptarbeit in diesem Schritt besteht darin, die Melodiestruktur der Vorga-
be (Drums und Bass) tonartlich und rhythmisch anzupassen:

Dazu wird die bei Schubert zusammenhängende Melodie des Dreiviertel-Taktes
anfangs auseinandergezogen und dem Viervierteltakt angepasst. Wichtig ist,
dass die originalen Taktübergänge zu den Harmoniewechseln erhalten bleiben,
die zwischen den Phrasen entstehenden Pausen können später durch ein
Call&Response mit der Leadgitarre gefüllt werden. Modifiziert wurden im Fol-
genden der Abschluss des ersten Achttakters: Durch die höhere Oktavlage öff-
net diese Phrase nun im achten Takt, während die Schlusswendung von
Schubert für die Schlusswirkung am Ende des zweiten Achttakters aufgespart
werden kann (periodisch):

                              CC BY – Ulrich Kaiser, 2021
5. Schritt: Hintergründe gestalten (›Gitarrenwand‹ und ›Streichersoße‹)

     Bisher wurden der Groove, der Bass und die Melodie ausgearbeitet. Als nächs-
     tes folgen Stimmen, die den Klangraum füllen und damit dem zweistimmige
     Gerüst aus Melodie und Bass einen Hintergrund geben. Die folgenden Beispiele
     zeigen Füllungen des Klangraums durch

     a) ein Pattern für die Rhythmusgitarre mit Powerchords,
     b) ein Schlagpattern für eine im Klangraum höher liegende akustische Gitarre
     c) und eine Streicherwand aus Pad-Klängen (ausgehaltene Akkorde).

a)

b)

c)

                                   CC BY – Ulrich Kaiser, 2021
6. Schritt: Call & Response der Lead-Gitarre einfügen

In vorletzten Schritt geht es darum, in der Lead-Gitarre kleine Überleitung
zwischen den Pausen in der Melodie zu schaffen. Diese Call&Response-Technik
zwischen Lead-Gesang und Lead-Gitarre ist sehr charakteristisch. Die Vorhalts-
bildungen sollen nur das Prinzip verdeutlichen (und sind eigentlich für Menuette
charakteristischer als für Popsongs).

7. Schritt: Text wählen, rhythmisieren und der Vorlage anpassen

Der originale Text mit den Dioskuren (das sind in der griechischen Mythologie
Söhne des Zeus) und dem Nachen (ein kleines Boot) ist natürlich ungeeignet.
Der Text ist mit einer englischen Internet-Übersetzung unten links zu sehen.
Rechts wurde der Text so modifiziert, dass die zeittypischen Wörter (Dioskuren,
Nachen) des alten Gedichts verschwunden sind. Ersetzt man Dioskuren durch
                               Sonnen, lässt sich diese Zei-
1. Dioskuren, Zwillingssterne, le als bildliche Umschreibung 1. Meine Sonnen, Zwillingssterne,
die ihr leuchtet meinem Nachen der Augen der Geliebten in- Ihr srahlt mich an,
mich beruhigt auf dem Meere    terpretieren. Und schon liegt Ihr erfreut mich jeden Tag
eure Milde, euer Wachen.       es in der Luft, das Master- Mit eurer zarten Liebe.
                               Thema aller Popsongs und
1. Dioscurs, twin stars,
                               Schlager: die Liebe. Rechts 1. My suns, my twin stars,
you shine on my sail
                               ist der in Richtung Liebe ge- you shine on me,
calm me on the sea
                               stylte Text sowie seine engli- You gladden me every day
your gentleness, your watch.
                               sche      Internet-Übersetzung With your tender love.
                               zu sehen.

                                    CC BY – Ulrich Kaiser, 2021
Die erste Hälfte des Schubert-Popsongs als Partitur (Chorus):

                               CC BY – Ulrich Kaiser, 2021
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