SONGLINES: SIEBEN SCHWESTERN ERSCHAFFEN AUSTRALIEN - AUSSTELLUNG VERANSTALTUNGS- UND VERMITTLUNGSPROGRAMM 17.06.-30.10.2022 - Humboldt Forum
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SONGLINES: SIEBEN SCHWESTERN ERSCHAFFEN AUSTRALIEN AUSSTELLUNG VERANSTALTUNGS- UND VERMITTLUNGSPROGRAMM 17.06.–30.10.2022
INHALT 5 Die Ausstellung 7 Das Film-, Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm 9 Publikation und Medienguide 10 Hartmut Dorgerloh und Laura Goldenbaum: „The Land Is My Backbone“: Zur Ausstellung Songlines: Sieben Schwestern erschaffen Australien 13 Interview „Wir interessieren uns mehr für die Zukunft als für die Ver- gangenheit“ Ein Gespräch mit Margo Neale (Senior Indi- genous Curator, National Museum of Australia) und Andy Greenslade (Kuratorin, National Museum of Australia) 17 Biografien 18 Glossar 20 Informationen Songlines Image: montage photographs by Sarah Kenderdine, Peter Morse and Paul Bourke. Seven Sisters rock art reproduced with the permission of Anangu Pitjantjatjara Yankunytjatjara and the Walinynga (Cave Hill) traditional owners 2
„In diesem großen Drama voller Intrigen, Geheimnisse und Schönheit geht es um Leidenschaft und Gefahren der Schöpfung, Begehren, Liebe, Flucht und Überleben. Wie alle universellen Erzählungen dieser Art hat sie im Laufe der Zeit nichts von ihrer Relevanz eingebüßt. Ihre Lehren sind auch heute noch von entscheidender Bedeutung für Bewegungen wie Black Lives Matter, Me-Too und andere Umwelt- und Klimabewegungen. Indigene Australier*innen haben diesen Kontinent seit mehr als 60 000 Jahren nachhaltig bewirtschaftet. Doch nur 250 Jahre nach der britischen Ankunft befindet er sich in einem kritischen Zustand. Wie kommt das? Die Antwort liegt in den Songlines.“ Margo Neale, Senior Indigenous Curator, National Museum of Australia „Dies ist ein bedeutsames Ereignis für das National Museum of Australia und unsere preisgekrönte Ausstellung Songlines: Tracking the Seven Sisters – eine der ersten großen internationalen Ausstellungen, die im Humboldt Forum Berlin gezeigt wird. Wir sind sehr stolz darauf, die Schöpfungsgeschichten Australiens mit dem deutschen Publikum teilen zu dürfen, von dem ich weiß, dass es von dieser mehrfach prämierten Ausstellung genauso fasziniert sein wird wie das australische Publikum es war, als die Ausstellung in Canberra gezeigt wurde. Mathew Trinca, Direktor des National Museum of Australia „Songlines wird im Humboldt Forum eine außergewöhnliche Begegnung mit Kunst und Kulturen Indigener Gesellschaften ermöglichen. Das Programm ist ein wichtiger Beitrag, um diesen neuen Ort der internationalen Vielstimmigkeit, der Transdisziplinarität und des Erfahrungswissens einem breiten Publikum zu öffnen. Und es eröffnet weitere Perspektiven, wie das Humboldt Forum zu einem wichtigen Ort für Selbstbestimmung, Teilhabe, Weitergabe und Vermittlung werden kann.“ Hartmut Dorgerloh, Generalintendant des Humboldt Forums 3
SONGLINES SIEBEN SCHWESTERN ERSCHAFFEN AUSTRALIEN Seven Sisters und Wati Nyiru, 2018, Detail, Skulpturen der Tjanpi Desert Weavers © the artists / Tjanpi Desert Weavers / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Image: Nathan Mewett Entstanden aus einer einzigartigen Kooperation Kuppelraum, der Besucher*innen auf eine Ein in Kooperation mit Vertreter*innen des zur Bewahrung Indigenen Wissens lässt filmisch-immersive Reise zu zentralen Schau- National Museum of Australia in Canberra die Ausstellung Songlines: Sieben Schwestern plätzen der Sieben-Schwestern-Geschichte entwickeltes Veranstaltungs- und Vermittlungs- erschaffen Australien eine der zentralen einlädt: Bis zu 30 Personen können hier im programm mit Filmen, Diskussionen, Füh- Schöpfungsgeschichten des australischen Sitzen oder Liegen virtuell nach Walinynga rungen und Workshops erweitert und ver- Kontinents lebendig werden. Songlines sind (Cave Hill) reisen und diese seltene Felskunst- tieft die Themen der Ausstellung. In einer kulturelle Routen, die ganz Australien durch- stätte der Sieben Schwestern in einer 360-Grad- dialogbasierten Audiotour wenden sich die ziehen. In Geschichten, Gesang und visueller Ansicht erleben. Unter der Kuppel begegnen die Sieben Schwestern gleichsam direkt an die Kultur machen sie die Taten und Erlebnisse Besucher*innen den Sieben Schwestern zudem Besucher*innen und nehmen sie mit auf ihre der Schöpfungswesen erfahrbar, die auf ihren in Form digitaler Animationen der ausdrucks- Reise entlang der Songlines. Zudem sind im Reisen das Land erschufen. So auch die Sage starken Tjanpi (Gras)-Figuren, die von Künst- Juni Indigene Vertreter*innen und Künstler*in- der Sieben Schwestern, die auf der Flucht vor lerinnen der Tjanpi Desert Weavers eigens für nen der Ausstellung im Humboldt Forum zu einem Verfolger mit magischen Fähigkeiten die Ausstellung geschaffen wurden. Gast und kommen mit den Besucher*innen ins drei Wüsten durchqueren. Die Ausstellung basiert auf einer einzig- Gespräch. Begleitend zur Ausstellung erscheint Die Ausstellung lädt zu einer Reise quer durch artigen Forschungskooperation zur Bewahrung im Hirmer-Verlag ein umfangreicher Katalog. den australischen Kontinent ein. Sie ver- Indigenen Wissens, die von Vertreter*innen knüpft eine innovative, multimediale Aus- Indigener Communitys in den Central und Eine internationale Wanderausstellung, konzipiert stellungsgestaltung mit Indigener Kunst und Western Deserts initiiert und in zehnjähriger vom National Museum of Australia mit der Performance. Begrüßt von den Community- Zusammenarbeit mit dem National Museum of ständigen Unterstützung der traditionellen Ältesten in Form von lebensgroßen Videos Australia und der Australian University geleitet Indigenen Custodians und Wissensträger*innen können Besucher*innen anhand von über 300 wurde. Kuratiert wurde Songlines von Margo dieser Geschichte. Präsentiert von der Stiftung Gemälden, Keramiken, Skulpturen, Installatio- Neale, Senior Indigenous Curator des National Humboldt Forum im Berliner Schloss (SHF) in nen, Fotografien und Multimediastationen in Museums, gemeinsam mit einem Indigenen Kooperation mit dem Ethnologischen Museum die Geschichte der Sieben Schwestern ein- Kuratorium, dessen Mitglieder von ihren Com- (EM) der Staatlichen Museen zu Berlin. tauchen. Ein Highlight ist ein multimedialer munitys ernannt wurden. 4
DIE AUSSTELLUNG Besucher vor dem Gemälde Minyipuru, 2015, der Martumili Künstlerin Mulyatingki Marney © the artist / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Image: Nathan Mewett Songlines - Sieben Schwestern erschaffen Australien abgebildet. Die Gemälde fungieren als Portale die Songline eines ganzen Tjukurpa (Jukurrpa), (Tracking the Seven Sisters) ist eine Reise entlang zu diesen Orten. Die Video- und Audiostücke eines Schöpfungsgesetzes. Jede Songline besteht der Wege von sieben Ahninnen, den Sieben geben die inma, die Gesangs- und Tanz- aus vielen Wissensschichten und hat viele Schwestern. Unermüdlich verfolgt von einem zeremonien, wieder, in denen die Geschichte Zugangsstufen – von ihrer öffentlichen Version Mann mit magischen Fähigkeiten, einem zum Ausdruck kommt. bis hin zu den geheimen heiligen Ebenen, die Formwandler, durchqueren sie auf ihrer Flucht nur den angesehensten, den Senior Custodians, mehrere Wüsten. Es ist eine epische Geschichte ÜBER SONGLINES zugänglich sind. voller Tragik und Komik, Besessenheit und Das National Museum of Australia und das Betrug, Sehnsucht und Verlust, Solidarität und Humboldt Forum erkennen die Songlines Wie bei den epischen Gedichten der großen Trauer – ein universelles Drama am Nacht- als vorrangige Entstehungsgeschichten des mündlichen Traditionen wird durch Songlines himmel, aufgeführt von Orion und den Pleja- australischen Kontinents an. Songlines, oder Wissen bewahrt und weitergegeben. Songlines den; eine irdische Schöpfungsgeschichte, in der Dreaming-Wege, kartieren die Pfade und Taten enthalten Verhaltensvorschriften und Informa- das Land selbst die Hauptrolle spielt. der Ahn*innenwesen auf ihren Schöpfungs- tionen für das Überleben in einer unberechen- reisen durch Australien. Es gibt große Songlines, baren und unbeständigen Umgebung – wo Die Sieben-Schwestern-Geschichte ist eine die den ganzen Kontinent durchziehen, und Wasser und Nahrung zu finden sind, wo es Sage mit mythologischen Dimensionen und lokale Wege, die nur wenige Orte miteinander potenzielle Risiken gibt und wie man diese Bedeutungen. Sie ist vergleichbar mit den verbinden. Risiken einschätzt und beherrscht. Solche griechischen Mythen, in denen sich Gottheiten Informationen werden in eine Geschichte in Schwäne, Stiere und goldenen Regen ver- Einzelne Personen, die Custodians, schützen eingebettet und diese Geschichte wiederum wandeln, um die von ihnen begehrten Frauen und bewahren Teile einer Songline. Sie haben in Tanz und Gesang umgesetzt. So wurde ein zu verführen. Rechte an den Abschnitten der Songlines inne, ganzer Kontinent von seinen Bewohner*innen die ihr Country (Land) durchqueren. Rechte und für sie kartografiert. Bei der Nacherzählung der Geschichte der und Autorität Indigener Custodians sind Sieben Schwestern werden die drei Wüsten abhängig von Geschlecht, Verwandtschafts- der Martu, der Ngaanyatjarra und der Anangu status und Beziehung zum jeweiligen Country. Pitjantjatjara Yankunytjatjara in der Ausstellung Viele Custodians teilen die Verantwortung für 5
DIE AUSSTELLUNG Künstlerinnen der Tjanpi Desert Weavers lassen ihre tjanpi Schwestern fliegen, Papulankutja, West-Australien, 2015 Image: Annieka Skinner, Tjanpi Desert Weavers DAS SONGLINES-KURATORIUM DIE SIEBEN SCHWESTERN Ursprünglich wurden die Geschichten von Auf den ersten Blick ist die Songline der Sieben Schwestern hinters Licht zu führen. Die Begierde Custodians vorgetragen, die die Handlungen der Schwestern die Geschichte eines Ahnen, der sich des Verfolgers, auch Formwandler genannt, Ahn*innen an den dazugehörigen Schauplätzen in seiner Form stets wandelt, und der Frauen, übermannt seine Vernunft und ein Teil von ihm darstellten. Da der Zugang zu vielen dieser die er verfolgt. Aus diesem zeitlosen Drama von löst sich als kuniya, Rautenpython. Aber die Orte schwierig geworden ist und vor allem Flucht und Verfolgung entsteht eine Geschichte Schwestern fangen die Python ein, schleudern ältere – und immer weniger jüngere Menschen von Überleben, Widerstandsfähigkeit und sie aus ihrem Country hinaus und sehen zu, wie das Wissen bewahren, sind neue Wege des Ausdauer sowie von der Fähigkeit der Frauen, sie in allen Farben des Regenbogens schillert Wissenstransfers notwendig. Diese Ausstellung die Bedrohungen und Gefahren zu überwinden, und schimmert, während der Formwandler ihr ist eine direkte Antwort auf die Bitte von Anangu, denen sie ausgesetzt sind. über den westlichen Horizont nachjagt. Die ihnen beim Bewahren und Weitergeben dieses Geschichte der Sieben Schwestern ist mehr als Wissens behilflich zu sein. Das hier gezeigte und Im Westen heißt die Gemeinschaft der eine moralische Erzählung über Handlungen weiteres Material wird in Ara Irititja, einem Indigen Schwestern Minyipuru und ihr männlicher und ihre Folgen. Sie spiegelt eine Welt wider, verwalteten Archiv, aufbewahrt. Verfolger Yurla. Auf ihrer Reise nach Osten, von in der Notwendigkeiten das Verhalten leiten, in Martu Country in die Länder der Ngaanyatjarra der Macht verhandelbar und flexibel und in der Das Kuratorium besteht aus angesehenen und der Pitjantjatjara und Yankunytjatjara, Widerstandsfähigkeit eine für das Überleben Vertreter*innen aus Martu Country, den Anangu heißen die Schwestern Kungkarrangkalpa bzw. entscheidende Eigenschaft ist. Pitjantjatjara Yankunytjatjara (APY) Lands und Kungkarangkalpa und der sich vor Begierde den Ngaanyatjarra Lands. Die Mitglieder des verzehrende Mann Wati Nyiru. Kuratoriums wurden von ihren Communities ernannt. Es handelt sich hierbei nicht um eine Die Sieben Schwestern sind in ihrer Geschichte Bezugsgruppe oder einen Beirat, sondern um nicht einfach Opfer. Bisweilen unbeständig die Wissensträger*innen der materiellen Kultur und schwer berechenbar, erweisen sie sich als in dieser Ausstellung, die diese Darstellung in ebenso schlau und gerissen wie ihr Verfolger. Er Zusammenarbeit mit dem National Museum of will von ihnen Besitz ergreifen und verwandelt Australia erarbeitet haben. sich in verschiedene Gestalten, um die 6
DAS FILM-, VERANSTALTUNGS- UND VERMITTLUNGSPROGRAMM VERANSTALTUNGEN FILME Fünf Filme beleuchten die Themen und das Schaffen Indigener Australier*innen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Mit Grußworten der Filmemacher*innen und anschließenden Publikumsgesprächen, unter w anderen mit Maryanne Redpath, (Berlinale), Curtis Taylor (Film (Berlinale), Curtis Taylor (Filemmacher), Duane Fraser (Australian Insti- tute Aboriginal and Torres Strait Islander Stu- dies) und Margo Neale. macher), Duane Fraser (Australian Institute Aboriginal and Torres Strait Margo Neale im Wati Nyiru Raum der „Songlines“ Ausstellung im Islander Studies) und Margo Neale. Filmstill aus dem Dokumentarfilm „We Don‘t Need a Map“ von Warwick National Museum of Australia Thornton © Barefoot Communications 2017 © the artists/Copyright Agency 2020, Image: National Museum of Australia We don´t need a map Songlines. Gespräch mit Margo Neale Bran Nue Dae 22.06.2022, 19 Uhr 17.06.2022, 19 Uhr 18.06.2022, 19 Uhr Warwick Thornton Margo Neale, Senior Indigenous Curator des Rachel Perkins Australien 2017, 85 Min. National Museum of Australia, berichtet über Australien 2008, 83 Min. Englisch die Entstehung und Bedeutung der Ausstellung. Englisch FSK 6, Dokumentarfilm Englisch mit deutscher Übersetzung FSK 6, Musical, Das Kreuz des Südens ist das berühmteste Die Verfilmung des Bühnenmusicals Bran Nue Sternbild der südlichen Hemisphäre. Seit der Dae von Jimmy Chi aus dem Jahr 1990 erzählt Kolonialisierung wurde es von verschiedenen die Geschichte des Erwachsenwerdens eines australischen Gruppen beansprucht, angeeignet australischen Indigenen Teenagers auf einem und heftig umkämpft. Doch für die Indigenen Road Trip in den späten 1960er Jahren. Australier*innen ist die Bedeutung dieses Himmelskörpers zutiefst spirituell. Einer der führenden australischen Filmemacher, Warwick Thornton, nimmt sich dieses brisanten Themas in einem kühnen und poetischen Essayfilm an. Martumili Künstlerinnen Ngamaru Bidu, Kumpaya Girgirba und Ngalangka Nola Taylor vor ihrem Gemälde „Yarrkalpa“ (Jagdgründe) in der Nähe des Martumili Art Shed, Parnngurr, 2013 Gabrielle Sullivan, Martumili Artists / VG Bild-Kunst, Bonn 2022 Ein Objekt, viele Fragen: Yarrkalpa. Gemälde als Portale des Wissens 29.06.2022, 18 Uhr Filmstill aus dem Spielfilm „10 Kanus, 150 Speere und 3 Frauen“ (Originaltitel: Ten Canoes) von Rolf de Heer © Alamode Film Margo Neale spricht mit dem Kurator Marc Wrasse über eines der wichtigsten Exponate 10 Kanus, 150 Speere und 3 Frauen in dieser Ausstellung und über zeitgenössische 19.06.2022, 19 Uhr Gemälde Indigener Künstler*innen als Portale Rolf De Heer Filmstill aus dem Spielfilm „Charlie‘s Country“ von Rolf de Heer (Australien 2014), John Brumpton (l.), David Gulpilil (m.) und Luke Ford (r.) des Wissens. Australien 2006, 90 Min., © 2014 Vertigo Productions, Screen Australia, South Australian Film Englisch Englisch / Ganalbingu Corporation and Adelaide Film Festival FSK 12, Charlie´s Country Australien zur Zeit vor der ersten Besiedlung 23.06.2022, 19 Uhr 17.-20.06.2022, 16 Uhr durch die Europäer*innen: Der junge Dayindi Rolf De Heer 20.06.2022, 11 Uhr fühlt sich zur Frau seines älteren Bruders Miny- Australien 2013, 108 Min. Indigene Künstler*innen und Kurator*innen gululu hingezogen. Der Bruder bleibt gelassen. Englisch und Yolngu der Ausstellung geben einen persönlichen Während der Rahmenhandlung, einer Gänse- FSK 12, Spielfilm Einblick in ihr Werk und verschiedene Aspekte jagd, erzählt er ihm eine Geschichte aus alter Charlie lebt in einer abgelegenen Indigenen der Ausstellung. Zeit, die ebenfalls von einem Mann handelt, der Community im Norden Australiens und ist ein die Frau seines Bruders begehrte. Krieger, der seine besten Jahre hinter sich hat. Als die Regierung die traditionelle Lebensweise der Gemeinschaft immer stärker in den Würgegriff nimmt, gerät Charlie zwischen zwei Kulturen. 7
DAS FILM-, VERANSTALTUNGS- UND VERMITTLUNGSPROGRAMM Filmstills aus dem Doku-Drama „In My Blood it Runs“ von Maya Newell © Closer Productions 2019 In my blood it runs 24.06.2022, 19 Uhr Maya Newell FÜHRUNGEN Australien 2019, 84 min. Führungen durch die vom National Museum Angebote für Schulklassen Englisch, Aboriginal of Australia konzipierte Ausstellung laden Workshops und Führungen Englisch, Arrernte Besucher*innen ein, dem Weg der Sieben für Schüler*innen der Mittel- und Oberstufe FSK 12, Doku-Drama Schwestern zu folgen. In Auseinandersetzung regen zur Auseinandersetzung mit der Kunst Der zehnjährige Dujuan ist ein Kinderheiler, mit den Medien Malerei, Performance, Film und den Landschaften Zentralaustraliens an. ein guter Jäger, der drei Sprachen spricht. und in Multimedia-Installationen werden Alle Angebote für Schulen und Pädagog*in- Doch Dujuan “versagt” in der Schule und wird Indigenes Wissen und grundlegende soziale nen sind buchbar unter humboldtforum.org/ zunehmend von der Polizei kontrolliert. Die Erfahrungen für ein internationales Publikum gruppenbesuch. Dokumentarfilmerin Maya Newell begleitet sichtbar und geteilt. Für das Vermittlungs- ihn in dem Spannungsfeld zwischen den programm stellt das National Museum of Fortbildung Erwartungen seiner Community und der west- Australia zudem Objekte bereit, die auf die 08.09.2022, 15–18 Uhr lichen Kultur. Indigene Lebenswelt der vertretenen Commu- Die Fortbildung für Pädagog*innen Songlines nities und ihre Geschichten verweisen. – Wege durch Australien stellt Methoden des außerschulischen Lernens vor. Songlines – ein Überblick SA + SO, 11 Uhr, DE Ferienprogramm MO, SA + SO, 15 Uhr, EN 21.07.2022, 14 Uhr, DE Fünfmal pro Woche stellt der öffentliche Rund- 04.08.2022, 14 Uhr, D gang die Themen der Ausstellung vor. Songlines – Wege durch Berlin Öffentlicher Workshop für Jugendliche Songlines – im Tandem ab 12 Jahren. 25.06. + 23.07.2022, 16 Uhr, EN 20.08.2022, 16 Uhr, DE Zwei Expert*innen kommentieren die Aus- stellung und beleuchten im Gespräch unter- schiedliche Perspektiven. 8
PUBLIKATION / MEDIENGUIDE E R S C H A F F E N AU ST R A L I E N Fotomontagen von Sarah Kenderdine, Peter Morse und Paul Bourke; Sieben-Schwestern- Image: montage photographs by Sarah Kenderdine, Peter Morse and Paul Bourke. Seven Sisters Felskunst abgebildet mit freundlicher rock art reproduced with the permission of Anangu Pitjantjatjara Yankunytjatjara and the Genehmigung der Walinynga (Cave Hill) Traditional Owners. Walinynga (Cave Hill) traditional owners / Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, Foto: Andreas König / Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, Foto: Andreas König PUBLIKATION MEDIENGUIDE Das Buch zur Ausstellung ist eine profunde Der kostenlose Medienguide zur Ausstellung Quelle des weitverzweigten spirituellen, öko- lädt zu einer Hörreise mit den Sieben Schwes- nomischen, ökologischen und kulturellen tern. Soundeffekte und gesprochene Rollen Indigenen Wissens, das sich durch die sorgen für ein immersives Audioerlebnis auf Wege der Sieben Schwestern dem australischen Deutsch, Englisch und mit deutschen Audio- Kontinent eingeschrieben hat. Dazu deskriptionen. Geschichtenerzählen ist ein tragen die reiche Bebilderung und die wissen- zentrales Thema der Ausstellung. Der Medien- schaftlichen Beiträge bei, vor allem aber guide nimmt diese Erzählform auf und ermög- die authentischen Erzählungen der Indigenen licht den Besucher*innen, sich die Ausstellung Künstler*innen. selbstständig zu erschließen. Der Medienguide kann auch über das eigene Songlines: Sieben Schwestern Smartphone genutzt werden. Die Humboldt erschaffen Australien, Forum App ist eine Web-Anwendung, ein Hirmer Verlag, 272 Seiten Download ist nicht nötig: Ca. 300 Abb., 34,90 €. www.guide.humboldtforum.org. 9
EINLEITUNG „THE LAND IS MY BACKBONE“ ZUR AUSSTELLUNG SONGLINES: SIEBEN SCHWESTERN ERSCHAFFEN AUSTRALIEN Hartmut Dorgerloh und Laura Goldenbaum Seven Sisters Traumpfad (Songline), 1994, Gemälde von Josephine Mick, Ninuku Arts © the artist / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Image: National Museum of Australia „Für die First Peoples of Australia ist Land nicht einfach nur Grund und bereits seit rund 60 000 Jahren lebenden ersten Indigen-australischen Boden, ländlicher Raum oder Landschaft. Es ist eine Weltanschauung Gesellschaften mit etwa 250 verschiedenen Sprachen. Diese Gesell- und nicht gleichzusetzen mit einer Darstellung der reinen Ober- schaften hatten unterschiedliche Lebensweisen, Historien und Tradi- fläche, an der sich aus westlicher Sicht geografische und kartografische tionen und verfügten über klar abgegrenzte Gebiete, die sie seit Jahr- Ansichten versuchen. Das Land ist lebendig durch die Geschichten tausenden nachhaltig bewirtschafteten und verteidigten. Entgegen der der schöpferischen Wesen, die es in uralten Zeiten geformt haben. Es verbreiteten Meinung waren sie keine Nomaden. Von außen betrachtet, ist ein mehrdimensionales Konzept, das alle Dinge einschließt. Es gibt sieht es in Europa bis heute ähnlich aus: Auch hier gibt es eine Vielzahl keine Unterscheidung zwischen belebt und unbelebt. Alles ist leben- unterschiedlicher Kultur- und Sprachzugehörigkeiten, die sich vermeint- dig. Alles hat seinen Platz: Pflanzen, Erde, Luft und Felsen. Die Sieben lich stark ähneln, aber doch klar unterscheiden, und die sich auf Grenzen Schwestern und ihr Verfolger verkörpern sich in den Formen des Lan- berufen, die sie vehement verteidigen. des. Es ist unser Archiv, es ist unsere Bibliothek. Unsere Geschichte ist in das Land eingeschrieben.“ Die Auswirkungen der britischen Kolonialisierung waren für die Indigenen Gesellschaften verheerend. Eingeschleppte Krankheiten, Mas- Dieses Grundverständnis prägt auch den eindringlichen Appell des Field saker und Zwangsumsiedlungen forderten allein im Zeitraum zwischen Officer of Northern Land Councils, James Galarrwuy Yunupingu, wenn er 1788 und 1930 Zehntausende Tote. Dennoch widersetzten sich die First in einem seiner „Letter from Black to White“ im Zeichen der Indigenen Peoples of Australia jedem Eingriff der Kolonisatoren, der sie von ihrem Landrechtsbewegung der 1970er Jahre postuliert: „Das Land bist DU“3: Land zu trennen und zu entfremden suchte – einem Land, das sie als „Mein Land gehört mir, weil ich im Geiste aus diesem Land kam, und Quelle allen Lebens und als Grund für ihr Dasein verstehen. Die Kolo- meine Vorfahren aus demselben …. Mein Land ist mein Fundament. Ich nisatoren hatten keine Vorstellung davon, wie grundlegend die Indigene stehe, lebe und handle, solange ich etwas Festes und Hartes habe, auf Bindung zum Land, zu Country, ist: Der Mensch gehört dem Land und dem ich stehen kann.“ nicht umgekehrt. Die territoriale Integrität der First Peoples of Australia, ihre kulturelle Identität und ihre Verbundenheit mit dem Land existiert Nach der sogenannten „Entdeckung“ durch James Cook im April 1770 bis heute, trotz der Vertreibung, des Rassismus und des Landraubes, vor wurde der Kontinent, der seit Beginn des 19. Jahrhunderts „Australien“ allem im Südosten des Kontinents, dessen Indigene Bevölkerung die heißt, zur Terra Nullius erklärt – unter völliger Missachtung der dort Hauptlast der Kolonialisierung trug. 10
EINLEITUNG Riten und Regeln des Miteinanders. Songlines lassen sich so schwer mit westlichen Wissenssystemen und Denkweisen vergleichen, dass es an umfassend beschreibendem Vokabular mangelt. Der britische Journalist Bruce Chatwin prägte den Begriff „Songlines“ in seinem 1987 erschienenen gleichnamigen Roman (dt. Traumpfade) und machte ihn im globalen Norden bekannt. Chatwin versuchte im Ansatz nachzuvoll- ziehen, wie Gesänge und Darstellungen das Wissen Indigener Commu- nities durch die Songlines des Landes übermitteln und verbreiten und welche Bedeutung diese Dreamings haben. Diese epischen Erzählungen umfassen alle spirituellen, ethischen, philosophischen und physischen Aspekte des Lebens. Sie bilden die Grundlage des Seins, aus der alle Vielfalt hervorgeht. Die Songlines haben eine immerwährende Reali- tät. Sie sind ein unveränderliches Kontinuum: Jedes Leben ist vor und nach seiner Materialisierung vorhanden. Die Zeit ist zyklisch und nicht linear wie in der westlichen Zeitvorstellung. Sie ist nicht in Vergangen- heit, Gegenwart und Zukunft unterteilt; die Gegenwart ist Vergangenheit und Zukunft in einem. Dreamings bestimmen, was geschehen wird, sie definieren Raum und Zeit und versprechen eine dauerhafte, verbindliche Ordnung im Verhältnis der Menschen zueinander und zur Natur. Im Mittelpunkt dieser umfassenden Indigenen Gründungsgeschichten, die gesungen, getanzt, erzählt und bildlich dargestellt werden können, steht die Entstehung der Erde als Erhalterin und Verbinderin allen Lebens. Ahn*innen wie die Sieben Schwestern besaßen schöpferische Kräfte und Fähigkeiten. In einer epischen Verfolgungsjagd flohen die sieben Frauen quer über den gesamten australischen Kontinent vor ihrem Verfolger Wati Nyiru, der ihnen nachstellte. Er missachtete die Gesetze der Geschlechter- beziehungen, der Verwandtschaft und der Ehe. An den Stellen, wo er sie auf ihrer Flucht einholte und sie aufeinanderstießen, formten sie die Kungkarangkalpa (Seven Sisters) Keramiken, 2016 landschaftlichen Gebilde als Merkmale. Eine dieser zahlreichen Songlines © the artists / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Image: National Museum of Australia beschreibt die Verwandlung der Sieben Schwestern in große Felsen, als sie alt und des Umherschweifens müde wurden. Die endlose Verfolgungsjagd „Das Land ist Kunst“ – auch diese Parität erfasst den Kern dieser setzt sich jedoch am nächtlichen Himmel fort, wenn sich ihr Verfolger Beziehung zwischen den Menschen, ihrer Kunst und ihrem Land. Selbst im Sternbild des Orion zu erkennen gibt und die Sieben Schwestern wenn das Land von anderen besiedelt wurde, ist es kulturell gesehen den Sternhaufen der Plejaden bilden. In jeder wolkenlosen Nacht findet immer noch das Land der Indigenen Gesell-schaften und von ungeheurer die Geschichte ihre Fortsetzung. Die Geschehnisse dieser grenzenlosen, schöpferischer Kraft für das Kunstschaffen in einer der ältesten fort- ewigwährenden und allumfassenden Dreaming-Sage verifizieren sich in bestehenden Kulturen der Welt. Vergleichbar mit der uralten Zeichen- und durch die dauerhaften symbolischen Formen der Umgegend – Fel- sprache einer oralen Kultur, sind Felszeichnungen, Höhlenmalereien, sen, Bäume, Pflanzen, und sogar der Sterne. Margo Neale, Senior Indi- in Baumrinden geschnitzte Bilder, Steinkreise oder Skulpturen von ihr genous Curator am National Museum of Australia, verweist darauf, dass durchdrungen. Zur eher ephemeren Kunst gehören Körperschmuck, es diese Dreamings sind, „die auch das Handeln der heutigen Menschen Arbeiten auf Papier, Zeichnungen im Sand und Körpermalerei. Für leiten, wenn sie in den Spuren der Sieben Schwestern reisen, aus ihren Indigene Gesellschaften ist Country heilig, eine spirituelle Quelle, für Erfahrungen lernen und ihren Lehren über Geschlechterbeziehungen deren Erhalt und Schutz sie Verantwortung tragen. Ihre einzigartige spiri- und den Regeln des Miteinanders folgen. Es sind auch ebendiese Drea- tuelle Zugehörigkeit und Nähe zum Land, ihre besondere Vertrautheit und mings, durch die sie die präzisen Standorte von Wasser- und Nahrungs- ihr Wissen sowie ihre rituellen Pflichten zur Pflege bestimmter Stätten quellen oder andere lebenswichtige Informationen über Wege und Stätten und Orte bedeuten jedoch nicht, dass Indigene Communities den alleini- erfahren. Die Songlines der Sieben Schwestern sind archetypische Erzäh- gen Zugang zu diesen Orten beanspruchen und andere ausschließen. Es lungen, die das Land bereichern und beleben und ihm die Kraft und Ener- ist diese spirituelle Dimension der Verbundenheit mit Country, in der sie gie verleihen, damit es als dauerhaftes Wissensarchiv fortbestehen kann.“ sich eher als Custodians denn als Eigentümer verstehen. Andere Songlines oder Dreamings stehen in Verbindung mit Stätten Die spirituelle und kreative Verankerung im Land wird sichtbar in den von großer nationaler Bedeutung wie Uluru (Ayers Rock) im Zentrum jahrtausendealten epischen Sagen, die als „Dreamings“ oder „Songlines“ Australiens oder den Three Sisters (Meehni, Wimlah und Gunnedoo) bezeichnet werden. Man kann sie sich als Pfade des Wissens vorstellen, in den Blue Mountains bei Sydney. Als gereimte Liedstrophen passen die den Kontinent durchkreuzen. Die Songlines sind ein komplexes, sich die Songlines wie sehr alte Gesänge dem Rhythmus der Schritte an fluides Gebilde, ein Speicher der Kenntnisse, der Glaubensvorstellungen, und dringen über die Stimme in den Körper ein. Sie beschreiben den 11
EINLEITUNG „Diese Ausstellung eröffnet Perspektiven darauf, wie das Museum zu einem signalgebenden Möglichkeitsort für Selbstbestimmung, Teilhabe, Weitergabe und Vermittlung werden kann, der die museale Praxis ent- scheidend verändert.“ Die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss ist besonders dank- bar, dieser außergewöhnlichen Ausstellung über die Sieben Schwestern und ihre Erschaffung Australiens ein Forum bieten zu können. Wir danken allen an diesem beispielgebenden Projekt Beteiligten, stellver- tretend Margo Neale und dem Team des National Museum of Australia unter der Leitung von Mathew Trinca, für die in jeder Hinsicht erfreu- liche, fruchtbare Zusammenarbeit und die Chance, diese Ausstellung im Humboldt Forum zu zeigen. Sie ist ein wichtiger Beitrag, um diesen neuen Ort der internationalen Vielstimmigkeit, der Transdisziplinarität und des Erfahrungswissens einem breiten Publikum zu öffnen. Die Aus- stellungsumsetzung in Berlin sowie das begleitende Veranstaltungs- und Bildungsprogramm wurden in Zusammenarbeit mit dem Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin und der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss entwickelt. Diese Ausstellung eröffnet Perspektiven darauf, wie das Museum zu einem signalgebenden Möglichkeitsort für Selbstbestimmung, Teilhabe, Weiter- gabe und Vermittlung werden kann, der die museale Praxis entscheidend verändert. Grundlegend für dieses Projekt war das Bestreben, heraus- fordernde und langwierige Diskussionen und Aushandlungsprozesse nicht Kungkarangkalpa (Seven Sisters) Keramiken, 2016 © the artists / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Image: National Museum of Australia zu scheuen und etwas Eigenes wie auch Gemeinsames und Verbindendes zu schaffen, das eine andere Zukunft verspricht. Dies ist auch das Credo Weg und die natürlichen Eigenheiten der Landschaft so präzise, dass sie der Akteursgemeinschaft im Humboldt Forum, wo Kulturen aus Asien, den Kundigen auch heute noch eine verlässliche Orientierung bieten. Afrika, Australien, Ozeanien, Amerika und Europa sowie unterschiedliche Keine Person oder Familiengruppe „besitzt“ eine vollständige Songline. Wissensformen und die Geschichte des Ortes selbst zusammentreffen. Verschiedene Verwandtschafts- oder Sprachgruppen verfügen je nach kul- Dass das Knüpfen nachhaltiger internationaler Beziehungen nicht nur eine turellem Erbe über unterschiedliche Teile einer oder mehrerer Sequenzen Verpflichtung ist, sondern vielmehr eine unschätzbare Bereicherung für eines Dreaming. Songlines sind Kommunikationsnetze und Handels- alle, die davon berührt werden, wird hier erfahrbar. Insofern bietet sich routen über große Entfernungen hinweg und vermitteln gleichzeitig ein jetzt die Gelegenheit, dieses Spektrum der Kunst und Kultur Indigener Gefühl der Zugehörigkeit. Angesichts der zunehmenden industriellen Gesellschaften in Berlin zu erleben, verbunden mit der Hoffnung, die „Überzeichnung“ der Landschaft und der Auslöschung ihrer natürlichen Zusammenarbeit fortzusetzen und den Austausch zu intensivieren. Merkmale durch den Ausbau des Verkehrsnetzes, den Bergbau und andere westliche Entwicklungen sind diese Songlines jedoch anfällig für Schon ein kurzes Eintauchen in diese komplexen, reichen Vorstel- Fragmentierungen und Verlust. lungs-, Wissens- und Glaubenswelten, die in den Songlines gespeichert sind, macht sichtbar, wie viele gravierende Lücken, Engführungen und Ebendiese Angst vor dem Vergessen, vor dem Verlieren der Zusammen- Begrenzungen das westliche Denken mit seinen vermeintlich „universellen“ hänge der Songlines, war die Initialzündung für das Ausstellungsprojekt: Konstruktionen aufweist. Zugleich wird klar, wie bereichernd, wie blick- „… diese Songlines, sie sind inzwischen alle zerbrochen“, klagte einer weitend, wie lehrreich, wie inspirierend, wie vielschichtig, wie verbindend, der Anangu-Ältesten, David Miller, anlässlich eines Treffens 2010 mit wie aufrüttelnd und alarmierend, wie hochaktuell und universell, aber auch dem National Museum of Australia in Canberra, „ihr könnt uns helfen, wie fragil die Begegnungen auf diesen Songlines sind, und wie dankbar wir sie alle wieder zusammenzufügen“. Dieser Aufruf war der Anlass, ein sein können, einige Wegabschnitte mitzugehen! Es offenbaren sich dadurch zehn-jähriges Forschungsprojekt zur Bewahrung des kulturellen Erbes vielfältige Möglichkeiten, diese Geschichten lebendig zu halten und erleb- zu initiieren, das in diese Ausstellung mündete, konzipiert in enger bar zu machen, wie auch den Blick auf die Problemkreise der Gegenwart zu Zusammenarbeit mit Indigenen Communities der Central and Western lenken. Die Ausstellung Songlines: Sieben Schwestern erschaffen Australien Desert, mit der Australian National University und ko-kuratiert vom zeigt, wie lebendig die Dreamings im Leben der Custodians sind, wenn sie National Museum of Australia. Auf der über 7000 Kilometer langen sich in den farbenreichen Bildern, Tänzen und Liedern zu erkennen geben. Reise durch drei Wüsten wurde umfangreiches Forschungsmaterial Einige dieser Menschen lernen wir in der Ausstellung kennen. Sie nehmen zusammengetragen, das für künftige Generationen in einem Indigen uns mit auf ihre Songlines, die uralten Netze des weiten Landes, die in alle verwalteten Archiv aufbewahrt wird. Heute werden die Geschichten in Richtungen führen, den gesamten australischen Kontinent überziehen. Es Film und Fotografie, in Büchern oder auch in experimentellen Aus- sind sich überschneidende Kreise, die sich ewig fortsetzen lassen, bis sie stellungen wie dieser hier in Berlin erzählt. sich wieder schließen – einmal den Erdball umrundend. 12
INTERVIEW „WIR INTERESSIEREN UNS MEHR FÜR DIE ZUKUNFT ALS FÜR DIE VERGANGENHEIT“ Ein Gespräch mit Margo Neale (Senior Indigenous Curator, National Museum of Australia) und Andy Greenslade (Kurator, National Museum of Australia) Songlines — Sieben Schwestern erschaffen Austra- Die Gemälde in der Ausstellung werden als Communities in der Wüste. Community- lien zeigt die Reise von sieben Ahn*innen- „Portale“ zu bestimmten Orten Älteste sind hoch angesehene Personen, wesen auf der Flucht vor einem Form- beschrieben. Was bedeutet das? die als Sprecher*innen für ihre Community wandler namens Yurla oder Wati Nyiru. In fungieren können. Dieser Status ist in der dieser Indigenen Schöpfungsgeschichte MN: Eine Songline wie die Sieben-Schwes- Regel an das Alter gebunden, aber Alter ist spielt das Land eine Hauptrolle. Inwiefern? tern-Songline (es gibt noch viele andere) nicht das Wichtigste. Community-Älteste markiert den Weg, den die jeweiligen werden deshalb respektiert, weil sie die MARGO NEALE: Land ist in der Weltan- Ahn*innenwesen genommen haben. kenntnisreichsten Mitglieder ihrer Gemein- schauung Indigener Australier*innen nicht Sie verbindet bestimmte Punkte oder schaft sind, weil sie über großes kulturelles das Gleiche wie das westliche Konzept von landschaftliche Merkmale miteinander. Wissen verfügen. Land als Geografie oder als physische Ober- Gemälde sind visuelle Darstellungen fläche. Es ist mehr. In der Weltanschauung dieser Schöpfungsgeschichten. Auf ihrem Die Idee für die virtuellen Community- Indigener Australier*innen ist Land ein Weg durch die Ausstellung folgen die Ältesten ist mit der Zeit entstanden: Beim mehrdimensionales Konzept, das alle Besucher*innen der Reise der Sieben Nachdenken über die Ausstellung hatte Dinge miteinschließt. Es gibt keine Unter- Schwestern. Die Gemälde stehen für die ich die Idee, die Traditional Owners und scheidung zwischen belebt und unbelebt. durch die Songlines verbundenen Stätten Custodians, die sich um die Stätten und Alles ist lebendig, alles hat seinen Platz: und werden so für die Besucher*innen zu Geschichten kümmern, ins Kuratorium zu Menschen, Tiere, Pflanzen, Erde, Wasser diesen Orten. Sie werden oft als „storypla- holen. Die Community-Ältesten ernannten und Luft. Das Land wurde von Ahn*innen- ces“, also Orte mit Geschichten, bezeichnet Sprecher*innen für jede der in der Aus- wesen erschaffen und diese sind in den und sie vermitteln etwas von dem Wissen, stellung dargestellten Wüsten und dann landschaftlichen Merkmalen verkörpert. das jeder Ort in sich trägt. kam ich auf den Begriff „Community- Kurator*innen“. Sie sind mit ihrem Wissen Durch Geschichten wie die Sieben-Schwes- An verschiedenen Stellen in der Ausstellung, für den inhaltlichen Teil der Ausstellung tern-Songlines werden die Entstehung der werden die Besucher*innen von lebens- verantwortlich, während wir vom Natio- Erde erklärt und kulturelle Werte ver- großen digitalen Videos der Mitglieder des nal Museum unser Wissen beisteuerten, mittelt. Die Songlines sagen uns auch, wie Songlines-Kuratoriums begrüßt — den vir- wie man diese Geschichten aufzeichnet, wir füreinander und für Country, das Land, tuellen Community-Ältesten. Welche Rolle bewahrt und präsentiert. Sie waren auf uns sorgen sollten. Jede*r Indigene Australier*in und Funktion haben Älteste in Indigenen angewiesen und wir auf sie, also war ein ist von Geburt an mit einem bestimmten Communities und warum stellt das Kurato- Community-Kuratorium nur logisch. Stück Land verbunden, ihre oder seine rium sie in dieser einzigartigen, visuellen Identität gehören zu diesem Ort und dessen Form dar? Im Gegensatz zu mir konnte das Kurato- Geschichte. Aber wir besitzen dieses Land rium während der Laufzeit der Ausstellung nicht im westlichen Sinne. Wir kümmern MN: Traditionell kann man Commu- jedoch nicht sechs Monate lang persön- uns um das Land als Custodians und tragen nity-Älteste vielleicht als zeremonielle lich in Canberra sein. Also war der nächste Verantwortung dafür, es lebendig und Führungspersonen bezeichnen, aber Schritt ebenfalls eine logische Folgerung: gesund zu erhalten – physisch und spiri- ihre Rolle unterscheidet sich je nach der Digital dabei sein konnten sie nämlich. tuell. Wir sorgen uns um Country, singen Community, in der sie leben. Es gibt viele Genauso, wie die Community-Ältesten das für Country, sprechen mit Country und ver- verschiedene Indigene Communities in Gefühl hatten, dass es wichtig ist, sich auf missen Country, wenn wir nicht dort sind. Australien, vom städtischen Raum, wo den digitalen Raum einzulassen, um der ich lebe, bis hin zu kleinen, abgelegenen jungen Generation zu begegnen, nutzte ich diesen digitalen Raum, damit das Indigene 13
Kuratorium das Publikum treffen konnte die nach wie vor ihre eigenen Sprachen tralien, sondern sie steht auch mit anderen und in die ganze Ausstellung einbezogen ist. sprechen und in ihrem Country leben. Geschichten über die Plejaden und das Ihre Erfahrungen sind anders als die von Sternbild Orion in Verbindung. Die Com- In Australien ist es gängige Praxis, dass zu Indigenen Menschen wie mir, die in der munity-Ältesten weisen bei der Begrüßung Beginn einer Veranstaltung entweder ein Stadt leben und Englisch sprechen. am Anfang der Ausstellung selbst darauf hin Mitglied der Community, in deren Land und sagen: Diese Geschichte geht um die man sich befindet, das Publikum in diesem ANDY GREENSLADE: Einen Aspekt haben alle ganze Welt. Country willkommen heißt, oder die Orga- Indigenen Communities gemeinsam, und nisator*innen der Veranstaltung dieses Land zwar ihre Beziehung zu Country. Die Schöpfungsgeschichten Indigener würdigen. Die virtuellen Community-Ältes- Australier*innen wurden ursprünglich von ten am Eingang der Ausstellung heißen die MN: Ja, Country ist von entscheidender Custodians vor Ort im jeweiligen Country Besucher*innen in ihrem Country willkom- Bedeutung. Wie Andy schon sagt, bleibt die aufgeführt. Diese Darbietungen stellten die men. Ihr Land ist auf der Ausstellungsfläche Verbindung bestehen, egal, ob man nun auf Handlungen und Reisen der Ahn*innen- abgebildet, die Besucher*innen gehen durch seinem Land lebt oder nicht. Selbst wenn wesen genau dort dar, wo sie ursprünglich es hindurch und lernen von ihm. man in der Stadt lebt, hat man immer noch stattgefunden hatten. Im Zuge der Aus- diese Bindung. Viele Menschen, die durch stellung wird deutlich, dass es neue Wege In ihrem Gemälde „Seven Sisters Songline“ die Kolonialisierung von ihrem traditio- des Wissenstransfers brauchte, da viele die- stellt die Künstlerin Josephine Mick die nellen Land getrennt wurden, stellen diese ser Orte heute schwer zugänglich sind und geografische Reichweite der Reisen der Verbundenheit heute wieder her. das Wissen von immer weniger und immer Sieben Schwestern beim Erschaffen des älteren Menschen bewahrt wird. Welchen australischen Kontinents dar. Die Sieben- Die Songlines-Ausstellung ist das Ergebnis Schwierigkeiten sehen sich die Indigenen Schwestern-Songline verläuft quer durch eines zehnjährigen Forschungsprojekts, Custodians heute gegenüber? drei Wüsten und durchzieht die Countries das von Indigenen Communities initiiert vieler verschiedener Communities und und gemeinsam mit Wissenschaftler*innen MN: Anders als früher leben die Menschen Sprachgruppen. Über die Ausstellung hinaus der Australian National University und heute in westlich geprägten Communities würdigt Micks Arbeit mit großen schwarzen des National Museum of Australia (NMA) mit Häusern, Autos, Supermärkten und Kreisen, die von kleinen weißen Punkten geleitet wurde. Die Ausstellung entstand in Zugang zu moderner Technologie. Der umgeben sind, die Präsenz und Bedeutung Reaktion auf die Bitte von Vertreter*innen westliche Lebensstil hat ihrem Leben etwas der Sieben Schwestern in den Countries der Anangu-Community, ihr Wissen zu Neues hinzugefügt und verschafft ihnen anderer Communities. Warum ist es wichtig, bewahren und zu vermitteln. Warum haben in der Tat mehr Zeit und andere Vorteile, diese kulturelle und sprachliche Vielfalt Sie für die Ausstellung gerade die Sieben- wie die Möglichkeit zu reisen. Indigene anzuerkennen? Schwestern-Songline ausgewählt? Wüsten-Communities oder Townships befinden sich auf Country, das den meisten MN: Wie Europa ist der australische Kon- MN: Wir haben diese Songline gar nicht der dort lebenden Menschen gehört. Diese tinent in viele verschiedene Countries ausgewählt. Die traditionellen Anangu-Cus- Siedlungen sind jedoch an nur einem unterteilt, von denen jedes seine eigene todians haben uns gefragt, ob wir ihnen Ort und umfassen nicht die vielen ver- Sprache, Geschichte, seine eigenen Gesetze helfen, die Sieben-Schwestern-Songline schiedenen Orte, für die die Menschen und kulturellen Praktiken hat. Zur Zeit zu bewahren. Bei einem unserer ersten verantwortlich sind. Die Menschen sind der britischen Kolonialisierung wurden Treffen mit den Custodians beugte sich der mit ihrem Country nicht mehr auf dieselbe in Australien etwa 250 unterschiedliche angesehene Anangu-Älteste David Miller Weise verbunden wie früher, als sie darin Sprachen und Hunderte von Dialekten über den Tisch und sagte leise, aber ein- umherzogen und täglich mit ihm in engem gesprochen. Die verschiedenen Sprach- dringlich: „Unsere Songlines sind alle kaputt Kontakt waren, dort jagten und Nahrung gruppen bewohnten jeweils ihr eigenes ... bitte helft uns, sie wieder zusammenzu- sammelten. Aber sie sprechen auch heute Country. Dieses Land ist jedem einzelnen setzen“. noch Indigene Sprachen, führen Zere- Mitglied der jeweiligen Gruppe eng vertraut. monien durch und besuchen ihr Country Die Menschen gehören zu bestimmten Offensichtlich war ihre Entscheidung das entweder physisch oder in ihren Köpfen. Sie Countries und würden niemals auf die Ergebnis langer Diskussionen, die wir praktizieren ihre Kultur heute anders. Idee kommen, sich das Land einer anderen nicht vollständig kennen. Aber die Sieben- Community anzueignen. Es gibt strenge Schwestern-Songline ist eine der fünf Die jungen Leute waren zu sehr von den Verhaltensprotokolle für das Betreten eines großen Routen oder epischen Songlines, die vielen technologischen Wundern des west- Country, das anderen gehört. Alle Indigenen den gesamten Kontinent durchziehen. Die lichen Lebensstils in Beschlag genommen. Australier*innen lassen sich heute mehr meisten anderen Songlines beziehen sich Sie hatten kein Interesse, mit den Commu- oder weniger stark auf westliche Institu- eher auf eine bestimmte Region und bieten nity-Ältesten ihr Country zu besuchen und tionen und Lebensweisen ein, aber was eine Art örtliches „Guidebook“ für spezielle dort die Geschichten der Sieben Schwestern ihre historischen Erfahrungen betrifft, gibt Gebiete. Die Sieben-Schwestern-Songline zu lernen. Sie lebten in der digitalen Welt. es große Unterschiede. Es gibt Menschen, ist universell – nicht nur in Bezug auf Aus- Die Reaktion der Community-Ältesten war 14
sowohl strategisch als auch proaktiv: Sie ihre Erlaubnis einzuholen. Ihr Interesse am Respekt zu empfangen. Ich habe gesehen, gelangten zu der Einsicht, dass auch sie ihr Filmemachen hat sie also auf das Thema dass einige Institutionen in Europa oder Wissen digitalisieren müssten, wenn sie angesetzt und motiviert sie. im Vereinigten Königreich Websites haben, die nächste Generation erreichen wollten. die der „Dekolonialisierung des Museums“ Im Rahmen unseres Forschungsprojekts Ein einzigartiger Aspekt des Songlines- gewidmet sind. Ich denke, dass die Situation zogen wir unter Leitung der Custodians Projekts ist, dass Forschung und Aus- in Australien eine andere ist, weil die Men- der Songlines quer durch die Wüste. An ver- stellung nicht vom Museum initiiert schen, von denen die Sammlungsobjekte schiedenen Orten ließen sie die Geschich- wurden, sondern von Vertreter*innen der stammen, ja hier vor Ort sind. ten und kulturellen Praktiken aufleben, die Anangu-Community. Die Beziehungen das jeweilige Wissen in sich tragen und zwischen Indigenen Communities und MN: Aber wie sieht die „Dekolonialisierung“ kommunizieren. Und zwar durch Gesang, Museen sind durch die koloniale Ver- tatsächlich aus und wie nachhaltig ist sie? Tanz, Kunst und Film. gangenheit stark belastet. Mindestens bis Es ist unmöglich, in die Zeit vor der Kolo- in die späten 1970er-Jahre sammelten und nialisierung zurückzukehren. Der Begriff Zu den Auswirkungen der Kolonialisierung zeigten Museen Objekte und die Human selbst ist nicht sehr präzise und macht sel- gehören die Viehwirtschaft und der Bergbau Remains (sterblichen Überreste) der Vor- ten klar, wie er konkret in die Tat umgesetzt auf Indigenem Land, nicht nur das man- fahr*innen Indigener Australier*innen und werden soll. Ich denke, dass die Begriffe gelnde Interesse der nächsten Generation. Bewohner*innen der Torres-Strait-Inseln „Aboriginal agency“, Indigene Handlungs- Aber es waren die jungen Leute, die den auf eine Art und Weise, die die Rechte, macht, „voice“, Stimme, und „co-authors- Custodians am meisten Sorge bereiteten. Werte und Perspektiven der Indigenen hip“, Koautor*innenschaft, da vielleicht Sie glaubten, dass die jungen Leute erst Bevölkerung grundlegend missachtete. nützlicher sind. Meine eigene Arbeit seit reif und für ihre Geschichten bereit sein Wie definieren Projekte wie die Songlines- den 1990er-Jahren haben sie jedenfalls stark würden, wenn sie und ihr Wissen nicht Ausstellung die Zusammenarbeit zwischen beeinflusst und erhellt. Und es gab einige mehr da sind. Deshalb zeichneten sie die Indigenen Communities und Museen neu? bei uns im NMA gezeigte oder von uns ent- Sieben-Schwestern-Songlines auf, um das wickelte Ausstellungen, die in Kooperation Wissen digital zugänglich zu machen und MN: In australischen Museen werden oder aus einer gemeinsamen Initiative mit zu bewahren. Das Wissen über die Songli- Indigene Australier*innen in jedes For- Communities heraus entstanden sind. Aber nes wird nun in einem Indigen verwalteten schungs-oder Ausstellungsprojekt über das ich würde behaupten, dass die Songlines- Archiv namens Ana Irititja aufbewahrt, und Indigene Australien einbezogen. „Nothing Ausstellung da ganz neue Wege beschreitet. das Songlines-Projekt hat bereits großes Inte- about Us without Us“, nichts über uns ohne Ich halte sie für das derzeit innovativste resse bei der jüngeren Generation geweckt. uns, lautet seit Langem die Forderung vieler Modell der Ausstellungspraxis, weil hier Indigener Aktivist*innen. Auch wenn die definiert wird, wie Communities mit Einer der jüngeren Teilnehmer*innen des Beteiligung Indigener Australier*innen Museen arbeiten und sie für sich nutzen Forschungsprojekts arbeitet als Kultur- in Form und Ausmaß variiert, ist sie in können, nicht umgekehrt. pädagoge. Er begann, die Sieben-Schwes- australischen Museen Realität geworden. tern-Geschichten in der Schule zu unter- Seit 30 Jahren gibt es Richtlinien für die In Europa wird von ethnologischen Museen richten und hat es inzwischen zu einiger Restitution von Human Remains und die zunehmend erwartet, dass sie sich mit dem Berühmtheit gebracht. Außerdem arbeiteten Rückgabe von geheimen/heiligen Gegen- kolonialen Erbe ihrer Sammlungen aus- einige Frauen, die zur Eröffnung nach Can- ständen an ihre Indigenen Communities. einandersetzen. Sie befassen sich verstärkt berra kamen, mit Mädchen an einer High Diese beinhalten auch Maßnahmen zur damit, wie sie durch ihre Präsentation, School in ihrer Community. Wir luden Einstellung Indigener Australier*innen und Interpretation und Bewahrung kultureller die Mädchen nach Canberra ein, damit sie Beteiligung von Indigenen Communities. Objekte koloniale Vorstellungen und Welt- ebenfalls bei der Eröffnung auftreten konn- Die Richtlinien setzen für alle australischen bilder gestützt haben. Alle Indigenen Aust- ten. So wurden die Sieben Schwestern Teil Museen wichtige Standards und werden ralier*innen mussten sich mit Erfahrungen des Lehrplans. ständig aktualisiert. Das NMA ist diesen wie der gewaltsamer Enteignung ihres Richtlinien jedoch bereits weit voraus. Landes und der Missachtung ihres Glaubens, Ein weiterer jüngerer Teilnehmer ist der ihrer Sprache und ihren kulturellen Prakti- Filmemacher Curtis Taylor, dessen Film AG: Die Einbindung der Communities ist ken durch die Kolonialmacht auseinander- in der Ausstellung gezeigt wird. Auf diese in Australien ein kontinuierlicher Prozess, setzen. Songlines spricht die Kolonialisie- Weise erreichte das Projekt auch andere die Verbundenheit wird gelebt. Wenn rung nicht direkt an. Was sind die Gründe junge Menschen: Filmstudierende und Indigene Communities die NMA-Samm- dafür? -liebhaber*innen oder Menschen, die in lung besuchen, können diese Besuche der Medienbranche arbeiten. Sie erfuhren, manchmal eine unglaublich emotionale MN: Da es sich bei Songlines um eine von dass sie, wenn sie in ihren Arbeiten Song- Erfahrung sein. Oft sind die Objekte nicht Indigenen Australier*innen initiierte und lines-Geschichten verwenden wollen, in mehr einfach nur Objekte, sondern werden geleitete Ausstellung handelt, kann sie gar das jeweilige Country gehen und mit den Verwandte. Deshalb achten wir darauf, nicht Teil des kolonialen Projekts sein. richtigen Leuten sprechen müssen, um die Besucher*innen mit angemessenem Vielmehr handelt es sich um ein dekolo- 15
niales Projekt. Es reagiert auf die Bitte der Ich sehe für uns da keine gesellschafts- Indigenen Custodians um gezielte Hilfe politischen Probleme, wie sie vielleicht Ein- bei der Erhaltung und Wiederherstellung richtungen wie das Humboldt Forum mit der Sieben-Schwestern-Songlines. Bevor seinem kritischen Interessent*innenkreis ihr diese Frage gestellt habt, war niemand haben, der sich mit der Kolonialgeschichte bei uns auch nur auf die Idee gekommen, und früheren Sammlungs- und Aus- dass die australische Kolonialgeschichte stellungspraktiken auseinandersetzt. Diese für unser Projekt relevant ist. Das Indigene Ausstellung sollte diese Probleme zu einem Kuratorium der Songlines-Ausstellung und gewissen Grad überwinden. Es handelt sich wir vom NMA interessieren uns mehr um eine Indigen geleitete Ausstellung. Sie für die Zukunft als für die Vergangenheit. gehört uns, den Indigenen Australier*innen, Songlines ist ein Projekt zum Bewahren und wir haben euch gebeten, diese Werke des kulturellen Erbes und eine Möglich- für uns auszustellen. Songlines spricht keit, Kultur zu teilen. Wir wollen integrativ, mit Indigener Stimme und demonstriert transformativ und positiv sein. Indigene Handlungsmacht. Wie in vielen Ausstellungen und anderen Das Gespräch führten Anna Weinreich und Bereichen des kulturellen Lebens in Aus- Dorothea Deterts tralien werden auch in dieser Ausstellung die Weltbilder, Sprachen und kulturellen Praktiken Indigener Australier*innen gewürdigt und gefeiert. In anderen Aus- stellungen des NMA war es hingegen wichtig, die Geschichte der Kolonialisie- rung einzubeziehen. Als wir zum Beispiel die Indigen-australische Sammlung des British Museums gezeigt haben, die noch nie zuvor in Australien zu sehen war, war das koloniale Projekt durchaus relevant. Auch in unserer letzten großen Sonderaus- stellung über die Reisen von Kapitän James Cook, der Australien für die britische Krone beanspruchte, war es von Bedeutung. Diese Ausstellung befasste sich hauptsächlich mit der Sicht Indigener Australier*innen auf diese Reise und die Kolonialisierung, und wir bezeichneten diese Perspektive als „view from the shore“, als Blick vom Ufer, um der Mainstream-Erzählung des „Blicks vom Schiff“ etwas entgegenzusetzen. 16
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