SONGLINES: SIEBEN SCHWESTERN ERSCHAFFEN AUSTRALIEN - AUSSTELLUNG VERANSTALTUNGS- UND VERMITTLUNGSPROGRAMM 17.06.-30.10.2022 - Humboldt Forum

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SONGLINES: SIEBEN SCHWESTERN ERSCHAFFEN AUSTRALIEN - AUSSTELLUNG VERANSTALTUNGS- UND VERMITTLUNGSPROGRAMM 17.06.-30.10.2022 - Humboldt Forum
SONGLINES:
SIEBEN SCHWESTERN
ERSCHAFFEN AUSTRALIEN

                        AUSSTELLUNG
                        VERANSTALTUNGS- UND
                        VERMITTLUNGSPROGRAMM
                        17.06.–30.10.2022
SONGLINES: SIEBEN SCHWESTERN ERSCHAFFEN AUSTRALIEN - AUSSTELLUNG VERANSTALTUNGS- UND VERMITTLUNGSPROGRAMM 17.06.-30.10.2022 - Humboldt Forum
INHALT

 5       Die Ausstellung

 7       Das Film-, Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm

 9       Publikation und Medienguide

10	
   Hartmut Dorgerloh und Laura Goldenbaum: „The Land Is My
   Backbone“: Zur Ausstellung Songlines: Sieben Schwestern
   erschaffen Australien

13	Interview
    „Wir interessieren uns mehr für die Zukunft als für die Ver-
    gangenheit“ Ein Gespräch mit Margo Neale (Senior Indi-
    genous Curator, National Museum of Australia) und Andy
    Greenslade (Kuratorin, National Museum of Australia)

17        Biografien

18        Glossar

20        Informationen

Songlines
Image: montage photographs by Sarah Kenderdine, Peter Morse and Paul Bourke. Seven Sisters rock art reproduced
with the permission of Anangu Pitjantjatjara Yankunytjatjara and the Walinynga (Cave Hill) traditional owners

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SONGLINES: SIEBEN SCHWESTERN ERSCHAFFEN AUSTRALIEN - AUSSTELLUNG VERANSTALTUNGS- UND VERMITTLUNGSPROGRAMM 17.06.-30.10.2022 - Humboldt Forum
„In diesem großen Drama voller Intrigen, Geheimnisse und Schönheit geht es um
Leidenschaft und Gefahren der Schöpfung, Begehren, Liebe, Flucht und Überleben.
Wie alle universellen Erzählungen dieser Art hat sie im Laufe der Zeit nichts von
ihrer Relevanz eingebüßt. Ihre Lehren sind auch heute noch von entscheidender
Bedeutung für Bewegungen wie Black Lives Matter, Me-Too und andere Umwelt- und
Klimabewegungen. Indigene Australier*innen haben diesen Kontinent seit mehr als
60 000 Jahren nachhaltig bewirtschaftet. Doch nur 250 Jahre nach der britischen
Ankunft befindet er sich in einem kritischen Zustand. Wie kommt das? Die Antwort
liegt in den Songlines.“

Margo Neale, Senior Indigenous Curator, National Museum of Australia

„Dies ist ein bedeutsames Ereignis für das National Museum of Australia und
unsere preisgekrönte Ausstellung Songlines: Tracking the Seven Sisters – eine
der ersten großen internationalen Ausstellungen, die im Humboldt Forum Berlin
gezeigt wird. Wir sind sehr stolz darauf, die Schöpfungsgeschichten Australiens mit
dem deutschen Publikum teilen zu dürfen, von dem ich weiß, dass es von dieser
mehrfach prämierten Ausstellung genauso fasziniert sein wird wie das australische
Publikum es war, als die Ausstellung in Canberra gezeigt wurde.

Mathew Trinca, Direktor des National Museum of Australia

„Songlines wird im Humboldt Forum eine außergewöhnliche Begegnung mit
Kunst und Kulturen Indigener Gesellschaften ermöglichen. Das Programm ist ein
wichtiger Beitrag, um diesen neuen Ort der internationalen Vielstimmigkeit, der
Transdisziplinarität und des Erfahrungswissens einem breiten Publikum zu öffnen.
Und es eröffnet weitere Perspektiven, wie das Humboldt Forum zu einem wichtigen
Ort für Selbstbestimmung, Teilhabe, Weitergabe und Vermittlung werden kann.“

Hartmut Dorgerloh, Generalintendant des Humboldt Forums

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SONGLINES
SIEBEN SCHWESTERN ERSCHAFFEN AUSTRALIEN

Seven Sisters und Wati Nyiru, 2018, Detail, Skulpturen der Tjanpi Desert Weavers
© the artists / Tjanpi Desert Weavers / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Image: Nathan Mewett

Entstanden aus einer einzigartigen Kooperation                          Kuppelraum, der Besucher*innen auf eine            Ein in Kooperation mit Vertreter*innen des
zur Bewahrung Indigenen Wissens lässt                                   filmisch-immersive Reise zu zentralen Schau-       National Museum of Australia in Canberra
die Ausstellung Songlines: Sieben Schwestern                            plätzen der Sieben-Schwestern-Geschichte           entwickeltes Veranstaltungs- und Vermittlungs-
erschaffen Australien eine der zentralen                                einlädt: Bis zu 30 Personen können hier im         programm mit Filmen, Diskussionen, Füh-
Schöpfungsgeschichten des australischen                                 Sitzen oder Liegen virtuell nach Walinynga         rungen und Workshops erweitert und ver-
Kontinents lebendig werden. Songlines sind                              (Cave Hill) reisen und diese seltene Felskunst-    tieft die Themen der Ausstellung. In einer
kulturelle Routen, die ganz Australien durch-                           stätte der Sieben Schwestern in einer 360-Grad-    dialogbasierten Audiotour wenden sich die
ziehen. In Geschichten, Gesang und visueller                            Ansicht erleben. Unter der Kuppel begegnen die     Sieben Schwestern gleichsam direkt an die
Kultur machen sie die Taten und Erlebnisse                              Besucher*innen den Sieben Schwestern zudem         Besucher*innen und nehmen sie mit auf ihre
der Schöpfungswesen erfahrbar, die auf ihren                            in Form digitaler Animationen der ausdrucks-       Reise entlang der Songlines. Zudem sind im
Reisen das Land erschufen. So auch die Sage                             starken Tjanpi (Gras)-Figuren, die von Künst-      Juni Indigene Vertreter*innen und Künstler*in-
der Sieben Schwestern, die auf der Flucht vor                           lerinnen der Tjanpi Desert Weavers eigens für      nen der Ausstellung im Humboldt Forum zu
einem Verfolger mit magischen Fähigkeiten                               die Ausstellung geschaffen wurden.                 Gast und kommen mit den Besucher*innen ins
drei Wüsten durchqueren.                                                Die Ausstellung basiert auf einer einzig-          Gespräch. Begleitend zur Ausstellung erscheint
Die Ausstellung lädt zu einer Reise quer durch                          artigen Forschungskooperation zur Bewahrung        im Hirmer-Verlag ein umfangreicher Katalog.
den australischen Kontinent ein. Sie ver-                               Indigenen Wissens, die von Vertreter*innen
knüpft eine innovative, multimediale Aus-                               Indigener Communitys in den Central und            Eine internationale Wanderausstellung, konzipiert
stellungsgestaltung mit Indigener Kunst und                             Western Deserts initiiert und in zehnjähriger      vom National Museum of Australia mit der
Performance. Begrüßt von den Community-                                 Zusammenarbeit mit dem National Museum of          ständigen Unterstützung der traditionellen
Ältesten in Form von lebensgroßen Videos                                Australia und der Australian University geleitet   Indigenen Custodians und Wissensträger*innen
können Besucher*innen anhand von über 300                               wurde. Kuratiert wurde Songlines von Margo         dieser Geschichte. Präsentiert von der Stiftung
Gemälden, Keramiken, Skulpturen, Installatio-                           Neale, Senior Indigenous Curator des National      Humboldt Forum im Berliner Schloss (SHF) in
nen, Fotografien und Multimediastationen in                             Museums, gemeinsam mit einem Indigenen             Kooperation mit dem Ethnologischen Museum
die Geschichte der Sieben Schwestern ein-                               Kuratorium, dessen Mitglieder von ihren Com-       (EM) der Staatlichen Museen zu Berlin.
tauchen. Ein Highlight ist ein multimedialer                            munitys ernannt wurden.

                                                                                                                                                                      4
SONGLINES: SIEBEN SCHWESTERN ERSCHAFFEN AUSTRALIEN - AUSSTELLUNG VERANSTALTUNGS- UND VERMITTLUNGSPROGRAMM 17.06.-30.10.2022 - Humboldt Forum
DIE AUSSTELLUNG

Besucher vor dem Gemälde Minyipuru, 2015, der Martumili Künstlerin Mulyatingki Marney
© the artist / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Image: Nathan Mewett

Songlines - Sieben Schwestern erschaffen Australien                     abgebildet. Die Gemälde fungieren als Portale       die Songline eines ganzen Tjukurpa (Jukurrpa),
(Tracking the Seven Sisters) ist eine Reise entlang                     zu diesen Orten. Die Video- und Audiostücke         eines Schöpfungsgesetzes. Jede Songline besteht
der Wege von sieben Ahninnen, den Sieben                                geben die inma, die Gesangs- und Tanz-              aus vielen Wissensschichten und hat viele
Schwestern. Unermüdlich verfolgt von einem                              zeremonien, wieder, in denen die Geschichte         Zugangsstufen – von ihrer öffentlichen Version
Mann mit magischen Fähigkeiten, einem                                   zum Ausdruck kommt.                                 bis hin zu den geheimen heiligen Ebenen, die
Formwandler, durchqueren sie auf ihrer Flucht                                                                               nur den angesehensten, den Senior Custodians,
mehrere Wüsten. Es ist eine epische Geschichte                          ÜBER SONGLINES                                      zugänglich sind.
voller Tragik und Komik, Besessenheit und                               Das National Museum of Australia und das
Betrug, Sehnsucht und Verlust, Solidarität und                          Humboldt Forum erkennen die Songlines               Wie bei den epischen Gedichten der großen
Trauer – ein universelles Drama am Nacht-                               als vorrangige Entstehungsgeschichten des           mündlichen Traditionen wird durch Songlines
himmel, aufgeführt von Orion und den Pleja-                             australischen Kontinents an. Songlines, oder        Wissen bewahrt und weitergegeben. Songlines
den; eine irdische Schöpfungsgeschichte, in der                         Dreaming-Wege, kartieren die Pfade und Taten        enthalten Verhaltensvorschriften und Informa-
das Land selbst die Hauptrolle spielt.                                  der Ahn*innenwesen auf ihren Schöpfungs-            tionen für das Überleben in einer unberechen-
                                                                        reisen durch Australien. Es gibt große Songlines,   baren und unbeständigen Umgebung – wo
Die Sieben-Schwestern-Geschichte ist eine                               die den ganzen Kontinent durchziehen, und           Wasser und Nahrung zu finden sind, wo es
Sage mit mythologischen Dimensionen und                                 lokale Wege, die nur wenige Orte miteinander        potenzielle Risiken gibt und wie man diese
Bedeutungen. Sie ist vergleichbar mit den                               verbinden.                                          Risiken einschätzt und beherrscht. Solche
griechischen Mythen, in denen sich Gottheiten                                                                               Informationen werden in eine Geschichte
in Schwäne, Stiere und goldenen Regen ver-                              Einzelne Personen, die Custodians, schützen         eingebettet und diese Geschichte wiederum
wandeln, um die von ihnen begehrten Frauen                              und bewahren Teile einer Songline. Sie haben        in Tanz und Gesang umgesetzt. So wurde ein
zu verführen.                                                           Rechte an den Abschnitten der Songlines inne,       ganzer Kontinent von seinen Bewohner*innen
                                                                        die ihr Country (Land) durchqueren. Rechte          und für sie kartografiert.
Bei der Nacherzählung der Geschichte der                                und Autorität Indigener Custodians sind
Sieben Schwestern werden die drei Wüsten                                abhängig von Geschlecht, Verwandtschafts-
der Martu, der Ngaanyatjarra und der Anangu                             status und Beziehung zum jeweiligen Country.
Pitjantjatjara Yankunytjatjara in der Ausstellung                       Viele Custodians teilen die Verantwortung für

                                                                                                                                                                      5
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DIE AUSSTELLUNG

Künstlerinnen der Tjanpi Desert Weavers lassen ihre tjanpi Schwestern fliegen, Papulankutja, West-Australien, 2015
Image: Annieka Skinner, Tjanpi Desert Weavers

DAS SONGLINES-KURATORIUM                                                 DIE SIEBEN SCHWESTERN
Ursprünglich wurden die Geschichten von                                  Auf den ersten Blick ist die Songline der Sieben   Schwestern hinters Licht zu führen. Die Begierde
Custodians vorgetragen, die die Handlungen der                           Schwestern die Geschichte eines Ahnen, der sich    des Verfolgers, auch Formwandler genannt,
Ahn*innen an den dazugehörigen Schauplätzen                              in seiner Form stets wandelt, und der Frauen,      übermannt seine Vernunft und ein Teil von ihm
darstellten. Da der Zugang zu vielen dieser                              die er verfolgt. Aus diesem zeitlosen Drama von    löst sich als kuniya, Rautenpython. Aber die
Orte schwierig geworden ist und vor allem                                Flucht und Verfolgung entsteht eine Geschichte     Schwestern fangen die Python ein, schleudern
ältere – und immer weniger jüngere Menschen                              von Überleben, Widerstandsfähigkeit und            sie aus ihrem Country hinaus und sehen zu, wie
das Wissen bewahren, sind neue Wege des                                  Ausdauer sowie von der Fähigkeit der Frauen,       sie in allen Farben des Regenbogens schillert
Wissenstransfers notwendig. Diese Ausstellung                            die Bedrohungen und Gefahren zu überwinden,        und schimmert, während der Formwandler ihr
ist eine direkte Antwort auf die Bitte von Anangu,                       denen sie ausgesetzt sind.                         über den westlichen Horizont nachjagt. Die
ihnen beim Bewahren und Weitergeben dieses                                                                                  Geschichte der Sieben Schwestern ist mehr als
Wissens behilflich zu sein. Das hier gezeigte und                        Im Westen heißt die Gemeinschaft der               eine moralische Erzählung über Handlungen
weiteres Material wird in Ara Irititja, einem Indigen                    Schwestern Minyipuru und ihr männlicher            und ihre Folgen. Sie spiegelt eine Welt wider,
verwalteten Archiv, aufbewahrt.                                          Verfolger Yurla. Auf ihrer Reise nach Osten, von   in der Notwendigkeiten das Verhalten leiten, in
                                                                         Martu Country in die Länder der Ngaanyatjarra      der Macht verhandelbar und flexibel und in der
Das Kuratorium besteht aus angesehenen                                   und der Pitjantjatjara und Yankunytjatjara,        Widerstandsfähigkeit eine für das Überleben
Vertreter*innen aus Martu Country, den Anangu                            heißen die Schwestern Kungkarrangkalpa bzw.        entscheidende Eigenschaft ist.
Pitjantjatjara Yankunytjatjara (APY) Lands und                           Kungkarangkalpa und der sich vor Begierde
den Ngaanyatjarra Lands. Die Mitglieder des                              verzehrende Mann Wati Nyiru.
Kuratoriums wurden von ihren Communities
ernannt. Es handelt sich hierbei nicht um eine                           Die Sieben Schwestern sind in ihrer Geschichte
Bezugsgruppe oder einen Beirat, sondern um                               nicht einfach Opfer. Bisweilen unbeständig
die Wissensträger*innen der materiellen Kultur                           und schwer berechenbar, erweisen sie sich als
in dieser Ausstellung, die diese Darstellung in                          ebenso schlau und gerissen wie ihr Verfolger. Er
Zusammenarbeit mit dem National Museum of                                will von ihnen Besitz ergreifen und verwandelt
Australia erarbeitet haben.                                              sich in verschiedene Gestalten, um die

                                                                                                                                                                       6
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DAS FILM-, VERANSTALTUNGS-
UND VERMITTLUNGSPROGRAMM

VERANSTALTUNGEN                                                       FILME
                                                                      Fünf Filme beleuchten die Themen und
                                                                      das Schaffen Indigener Australier*innen aus
                                                                      ganz unterschiedlichen Perspektiven. Mit
                                                                      Grußworten der Filmemacher*innen und
                                                                      anschließenden Publikumsgesprächen, unter                         w
                                                                      anderen mit Maryanne Redpath, (Berlinale),
                                                                      Curtis Taylor (Film (Berlinale), Curtis Taylor
                                                                      (Filemmacher), Duane Fraser (Australian Insti-
                                                                      tute Aboriginal and Torres Strait Islander Stu-
                                                                      dies) und Margo Neale. macher), Duane Fraser
                                                                      (Australian Institute Aboriginal and Torres Strait
Margo Neale im Wati Nyiru Raum der „Songlines“ Ausstellung im         Islander Studies) und Margo Neale.                                Filmstill aus dem Dokumentarfilm „We Don‘t Need a Map“ von Warwick
National Museum of Australia                                                                                                            Thornton © Barefoot Communications 2017
© the artists/Copyright Agency 2020, Image: National Museum
of Australia                                                                                                                            We don´t need a map
Songlines. Gespräch mit Margo Neale                                   Bran Nue Dae                                                      22.06.2022, 19 Uhr
17.06.2022, 19 Uhr                                                    18.06.2022, 19 Uhr                                                Warwick Thornton
Margo Neale, Senior Indigenous Curator des                            Rachel Perkins                                                    Australien 2017, 85 Min.
National Museum of Australia, berichtet über                          Australien 2008, 83 Min.                                          Englisch
die Entstehung und Bedeutung der Ausstellung.                         Englisch                                                          FSK 6, Dokumentarfilm
Englisch mit deutscher Übersetzung                                    FSK 6, Musical,                                                   Das Kreuz des Südens ist das berühmteste
                                                                      Die Verfilmung des Bühnenmusicals Bran Nue                        Sternbild der südlichen Hemisphäre. Seit der
                                                                      Dae von Jimmy Chi aus dem Jahr 1990 erzählt                       Kolonialisierung wurde es von verschiedenen
                                                                      die Geschichte des Erwachsenwerdens eines                         australischen Gruppen beansprucht, angeeignet
                                                                      australischen Indigenen Teenagers auf einem                       und heftig umkämpft. Doch für die Indigenen
                                                                      Road Trip in den späten 1960er Jahren.                            Australier*innen ist die Bedeutung dieses
                                                                                                                                        Himmelskörpers zutiefst spirituell. Einer der
                                                                                                                                        führenden australischen Filmemacher, Warwick
                                                                                                                                        Thornton, nimmt sich dieses brisanten Themas
                                                                                                                                        in einem kühnen und poetischen Essayfilm an.

Martumili Künstlerinnen Ngamaru Bidu, Kumpaya Girgirba und
Ngalangka Nola Taylor vor ihrem Gemälde „Yarrkalpa“ (Jagdgründe) in
der Nähe des Martumili Art Shed, Parnngurr, 2013
Gabrielle Sullivan, Martumili Artists / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Ein Objekt, viele Fragen: Yarrkalpa.
Gemälde als Portale des Wissens
29.06.2022, 18 Uhr                                                    Filmstill aus dem Spielfilm „10 Kanus, 150 Speere und 3 Frauen“
                                                                      (Originaltitel: Ten Canoes) von Rolf de Heer © Alamode Film
Margo Neale spricht mit dem Kurator Marc
Wrasse über eines der wichtigsten Exponate                            10 Kanus, 150 Speere und 3 Frauen
in dieser Ausstellung und über zeitgenössische                        19.06.2022, 19 Uhr
Gemälde Indigener Künstler*innen als Portale                          Rolf De Heer                                                      Filmstill aus dem Spielfilm „Charlie‘s Country“ von Rolf de Heer
                                                                                                                                        (Australien 2014), John Brumpton (l.), David Gulpilil (m.) und Luke Ford (r.)
des Wissens.                                                          Australien 2006, 90 Min.,                                         © 2014 Vertigo Productions, Screen Australia, South Australian Film
Englisch                                                              Englisch / Ganalbingu                                             Corporation and Adelaide Film Festival

                                                                      FSK 12,                                                           Charlie´s Country
                                                                      Australien zur Zeit vor der ersten Besiedlung                     23.06.2022, 19 Uhr
17.-20.06.2022, 16 Uhr                                                durch die Europäer*innen: Der junge Dayindi                       Rolf De Heer
20.06.2022, 11 Uhr                                                    fühlt sich zur Frau seines älteren Bruders Miny-                  Australien 2013, 108 Min.
Indigene Künstler*innen und Kurator*innen                             gululu hingezogen. Der Bruder bleibt gelassen.                    Englisch und Yolngu
der Ausstellung geben einen persönlichen                              Während der Rahmenhandlung, einer Gänse-                          FSK 12, Spielfilm
Einblick in ihr Werk und verschiedene Aspekte                         jagd, erzählt er ihm eine Geschichte aus alter                    Charlie lebt in einer abgelegenen Indigenen
der Ausstellung.                                                      Zeit, die ebenfalls von einem Mann handelt, der                   Community im Norden Australiens und ist ein
                                                                      die Frau seines Bruders begehrte.                                 Krieger, der seine besten Jahre hinter sich hat. Als
                                                                                                                                        die Regierung die traditionelle Lebensweise der
                                                                                                                                        Gemeinschaft immer stärker in den Würgegriff
                                                                                                                                        nimmt, gerät Charlie zwischen zwei Kulturen.

                                                                                                                                                                                                             7
SONGLINES: SIEBEN SCHWESTERN ERSCHAFFEN AUSTRALIEN - AUSSTELLUNG VERANSTALTUNGS- UND VERMITTLUNGSPROGRAMM 17.06.-30.10.2022 - Humboldt Forum
DAS FILM-, VERANSTALTUNGS-
UND VERMITTLUNGSPROGRAMM

Filmstills aus dem Doku-Drama „In My Blood it Runs“ von Maya Newell
© Closer Productions 2019

In my blood it runs
24.06.2022, 19 Uhr
Maya Newell                                                           FÜHRUNGEN
Australien 2019, 84 min.                                              Führungen durch die vom National Museum          Angebote für Schulklassen
Englisch, Aboriginal                                                  of Australia konzipierte Ausstellung laden       Workshops und Führungen
Englisch, Arrernte                                                    Besucher*innen ein, dem Weg der Sieben           für Schüler*innen der Mittel- und Oberstufe
FSK 12, Doku-Drama                                                    Schwestern zu folgen. In Auseinandersetzung      regen zur Auseinandersetzung mit der Kunst
Der zehnjährige Dujuan ist ein Kinderheiler,                          mit den Medien Malerei, Performance, Film        und den Landschaften Zentralaustraliens an.
ein guter Jäger, der drei Sprachen spricht.                           und in Multimedia-Installationen werden          Alle Angebote für Schulen und Pädagog*in-
Doch Dujuan “versagt” in der Schule und wird                          Indigenes Wissen und grundlegende soziale        nen sind buchbar unter humboldtforum.org/
zunehmend von der Polizei kontrolliert. Die                           Erfahrungen für ein internationales Publikum     gruppenbesuch.
Dokumentarfilmerin Maya Newell begleitet                              sichtbar und geteilt. Für das Vermittlungs-
ihn in dem Spannungsfeld zwischen den                                 programm stellt das National Museum of           Fortbildung
Erwartungen seiner Community und der west-                            Australia zudem Objekte bereit, die auf die      08.09.2022, 15–18 Uhr
lichen Kultur.                                                        Indigene Lebenswelt der vertretenen Commu-       Die Fortbildung für Pädagog*innen Songlines
                                                                      nities und ihre Geschichten verweisen.           – Wege durch Australien stellt Methoden des
                                                                                                                       außerschulischen Lernens vor.
                                                                      Songlines – ein Überblick
                                                                      SA + SO, 11 Uhr, DE                              Ferienprogramm
                                                                      MO, SA + SO, 15 Uhr, EN                          21.07.2022, 14 Uhr, DE
                                                                      Fünfmal pro Woche stellt der öffentliche Rund-   04.08.2022, 14 Uhr, D
                                                                      gang die Themen der Ausstellung vor.             Songlines – Wege durch Berlin
                                                                                                                       Öffentlicher Workshop für Jugendliche
                                                                      Songlines – im Tandem                            ab 12 Jahren.
                                                                      25.06. + 23.07.2022, 16 Uhr, EN
                                                                      20.08.2022, 16 Uhr, DE
                                                                      Zwei Expert*innen kommentieren die Aus-
                                                                      stellung und beleuchten im Gespräch unter-
                                                                      schiedliche Perspektiven.

                                                                                                                                                                8
SONGLINES: SIEBEN SCHWESTERN ERSCHAFFEN AUSTRALIEN - AUSSTELLUNG VERANSTALTUNGS- UND VERMITTLUNGSPROGRAMM 17.06.-30.10.2022 - Humboldt Forum
PUBLIKATION / MEDIENGUIDE

                                                          E R S C H A F F E N AU ST R A L I E N

Fotomontagen von Sarah Kenderdine, Peter Morse und Paul Bourke; Sieben-Schwestern-                Image: montage photographs by Sarah Kenderdine, Peter Morse and Paul Bourke. Seven Sisters
Felskunst abgebildet mit freundlicher                                                             rock art reproduced with the permission of Anangu Pitjantjatjara Yankunytjatjara and the
Genehmigung der Walinynga (Cave Hill) Traditional Owners.                                         Walinynga (Cave Hill) traditional owners / Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, Foto:
                                                                                                  Andreas König / Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, Foto: Andreas König

PUBLIKATION                                                                                       MEDIENGUIDE
Das Buch zur Ausstellung ist eine profunde                                                        Der kostenlose Medienguide zur Ausstellung
Quelle des weitverzweigten spirituellen, öko-                                                     lädt zu einer Hörreise mit den Sieben Schwes-
nomischen, ökologischen und kulturellen                                                           tern. Soundeffekte und gesprochene Rollen
Indigenen Wissens, das sich durch die                                                             sorgen für ein immersives Audioerlebnis auf
Wege der Sieben Schwestern dem australischen                                                      Deutsch, Englisch und mit deutschen Audio-
Kontinent eingeschrieben hat. Dazu                                                                deskriptionen. Geschichtenerzählen ist ein
tragen die reiche Bebilderung und die wissen-                                                     zentrales Thema der Ausstellung. Der Medien-
schaftlichen Beiträge bei, vor allem aber                                                         guide nimmt diese Erzählform auf und ermög-
die authentischen Erzählungen der Indigenen                                                       licht den Besucher*innen, sich die Ausstellung
Künstler*innen.                                                                                   selbstständig zu erschließen.
                                                                                                  Der Medienguide kann auch über das eigene
Songlines: Sieben Schwestern                                                                      Smartphone genutzt werden. Die Humboldt
erschaffen Australien,                                                                            Forum App ist eine Web-Anwendung, ein
Hirmer Verlag, 272 Seiten                                                                         Download ist nicht nötig:
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SONGLINES: SIEBEN SCHWESTERN ERSCHAFFEN AUSTRALIEN - AUSSTELLUNG VERANSTALTUNGS- UND VERMITTLUNGSPROGRAMM 17.06.-30.10.2022 - Humboldt Forum
EINLEITUNG

„THE LAND IS MY BACKBONE“
 ZUR AUSSTELLUNG SONGLINES: SIEBEN SCHWESTERN
 ERSCHAFFEN AUSTRALIEN
 Hartmut Dorgerloh und Laura Goldenbaum

Seven Sisters Traumpfad (Songline), 1994, Gemälde von Josephine Mick, Ninuku Arts
© the artist / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Image: National Museum of Australia

„Für die First Peoples of Australia ist Land nicht einfach nur Grund und            bereits seit rund 60 000 Jahren lebenden ersten Indigen-australischen
Boden, ländlicher Raum oder Landschaft. Es ist eine Weltanschauung                  Gesellschaften mit etwa 250 verschiedenen Sprachen. Diese Gesell-
und nicht gleichzusetzen mit einer Darstellung der reinen Ober-                     schaften hatten unterschiedliche Lebensweisen, Historien und Tradi-
fläche, an der sich aus westlicher Sicht geografische und kartografische            tionen und verfügten über klar abgegrenzte Gebiete, die sie seit Jahr-
Ansichten versuchen. Das Land ist lebendig durch die Geschichten                    tausenden nachhaltig bewirtschafteten und verteidigten. Entgegen der
der schöpferischen Wesen, die es in uralten Zeiten geformt haben. Es                verbreiteten Meinung waren sie keine Nomaden. Von außen betrachtet,
ist ein mehrdimensionales Konzept, das alle Dinge einschließt. Es gibt              sieht es in Europa bis heute ähnlich aus: Auch hier gibt es eine Vielzahl
keine Unterscheidung zwischen belebt und unbelebt. Alles ist leben-                 unterschiedlicher Kultur- und Sprachzugehörigkeiten, die sich vermeint-
dig. Alles hat seinen Platz: Pflanzen, Erde, Luft und Felsen. Die Sieben            lich stark ähneln, aber doch klar unterscheiden, und die sich auf Grenzen
Schwestern und ihr Verfolger verkörpern sich in den Formen des Lan-                 berufen, die sie vehement verteidigen.
des. Es ist unser Archiv, es ist unsere Bibliothek. Unsere Geschichte ist
in das Land eingeschrieben.“                                                        Die Auswirkungen der britischen Kolonialisierung waren für die
                                                                                    Indigenen Gesellschaften verheerend. Eingeschleppte Krankheiten, Mas-
Dieses Grundverständnis prägt auch den eindringlichen Appell des Field              saker und Zwangsumsiedlungen forderten allein im Zeitraum zwischen
Officer of Northern Land Councils, James Galarrwuy Yunupingu, wenn er               1788 und 1930 Zehntausende Tote. Dennoch widersetzten sich die First
in einem seiner „Letter from Black to White“ im Zeichen der Indigenen               Peoples of Australia jedem Eingriff der Kolonisatoren, der sie von ihrem
Landrechtsbewegung der 1970er Jahre postuliert: „Das Land bist DU“3:                Land zu trennen und zu entfremden suchte – einem Land, das sie als
„Mein Land gehört mir, weil ich im Geiste aus diesem Land kam, und                  Quelle allen Lebens und als Grund für ihr Dasein verstehen. Die Kolo-
meine Vorfahren aus demselben …. Mein Land ist mein Fundament. Ich                  nisatoren hatten keine Vorstellung davon, wie grundlegend die Indigene
stehe, lebe und handle, solange ich etwas Festes und Hartes habe, auf               Bindung zum Land, zu Country, ist: Der Mensch gehört dem Land und
dem ich stehen kann.“                                                               nicht umgekehrt. Die territoriale Integrität der First Peoples of Australia,
                                                                                    ihre kulturelle Identität und ihre Verbundenheit mit dem Land existiert
Nach der sogenannten „Entdeckung“ durch James Cook im April 1770                    bis heute, trotz der Vertreibung, des Rassismus und des Landraubes, vor
wurde der Kontinent, der seit Beginn des 19. Jahrhunderts „Australien“              allem im Südosten des Kontinents, dessen Indigene Bevölkerung die
heißt, zur Terra Nullius erklärt – unter völliger Missachtung der dort              Hauptlast der Kolonialisierung trug.

                                                                                                                                                          10
EINLEITUNG

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                                                                                mit westlichen Wissenssystemen und Denkweisen vergleichen, dass
                                                                                es an umfassend beschreibendem Vokabular mangelt. Der britische
                                                                                Journalist Bruce Chatwin prägte den Begriff „Songlines“ in seinem 1987
                                                                                erschienenen gleichnamigen Roman (dt. Traumpfade) und machte ihn
                                                                                im globalen Norden bekannt. Chatwin versuchte im Ansatz nachzuvoll-
                                                                                ziehen, wie Gesänge und Darstellungen das Wissen Indigener Commu-
                                                                                nities durch die Songlines des Landes übermitteln und verbreiten und
                                                                                welche Bedeutung diese Dreamings haben. Diese epischen Erzählungen
                                                                                umfassen alle spirituellen, ethischen, philosophischen und physischen
                                                                                Aspekte des Lebens. Sie bilden die Grundlage des Seins, aus der alle
                                                                                Vielfalt hervorgeht. Die Songlines haben eine immerwährende Reali-
                                                                                tät. Sie sind ein unveränderliches Kontinuum: Jedes Leben ist vor und
                                                                                nach seiner Materialisierung vorhanden. Die Zeit ist zyklisch und nicht
                                                                                linear wie in der westlichen Zeitvorstellung. Sie ist nicht in Vergangen-
                                                                                heit, Gegenwart und Zukunft unterteilt; die Gegenwart ist Vergangenheit
                                                                                und Zukunft in einem. Dreamings bestimmen, was geschehen wird, sie
                                                                                definieren Raum und Zeit und versprechen eine dauerhafte, verbindliche
                                                                                Ordnung im Verhältnis der Menschen zueinander und zur Natur.

                                                                                Im Mittelpunkt dieser umfassenden Indigenen Gründungsgeschichten,
                                                                                die gesungen, getanzt, erzählt und bildlich dargestellt werden können,
                                                                                steht die Entstehung der Erde als Erhalterin und Verbinderin allen Lebens.
                                                                                Ahn*innen wie die Sieben Schwestern besaßen schöpferische Kräfte und
                                                                                Fähigkeiten. In einer epischen Verfolgungsjagd flohen die sieben Frauen
                                                                                quer über den gesamten australischen Kontinent vor ihrem Verfolger Wati
                                                                                Nyiru, der ihnen nachstellte. Er missachtete die Gesetze der Geschlechter-
                                                                                beziehungen, der Verwandtschaft und der Ehe. An den Stellen, wo er
                                                                                sie auf ihrer Flucht einholte und sie aufeinanderstießen, formten sie die
Kungkarangkalpa (Seven Sisters) Keramiken, 2016                                 landschaftlichen Gebilde als Merkmale. Eine dieser zahlreichen Songlines
© the artists / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Image: National Museum of Australia
                                                                                beschreibt die Verwandlung der Sieben Schwestern in große Felsen, als sie
                                                                                alt und des Umherschweifens müde wurden. Die endlose Verfolgungsjagd
„Das Land ist Kunst“ – auch diese Parität erfasst den Kern dieser               setzt sich jedoch am nächtlichen Himmel fort, wenn sich ihr Verfolger
Beziehung zwischen den Menschen, ihrer Kunst und ihrem Land. Selbst             im Sternbild des Orion zu erkennen gibt und die Sieben Schwestern
wenn das Land von anderen besiedelt wurde, ist es kulturell gesehen             den Sternhaufen der Plejaden bilden. In jeder wolkenlosen Nacht findet
immer noch das Land der Indigenen Gesell-schaften und von ungeheurer            die Geschichte ihre Fortsetzung. Die Geschehnisse dieser grenzenlosen,
schöpferischer Kraft für das Kunstschaffen in einer der ältesten fort-          ewigwährenden und allumfassenden Dreaming-Sage verifizieren sich in
bestehenden Kulturen der Welt. Vergleichbar mit der uralten Zeichen-            und durch die dauerhaften symbolischen Formen der Umgegend – Fel-
sprache einer oralen Kultur, sind Felszeichnungen, Höhlenmalereien,             sen, Bäume, Pflanzen, und sogar der Sterne. Margo Neale, Senior Indi-
in Baumrinden geschnitzte Bilder, Steinkreise oder Skulpturen von ihr           genous Curator am National Museum of Australia, verweist darauf, dass
durchdrungen. Zur eher ephemeren Kunst gehören Körperschmuck,                   es diese Dreamings sind, „die auch das Handeln der heutigen Menschen
Arbeiten auf Papier, Zeichnungen im Sand und Körpermalerei. Für                 leiten, wenn sie in den Spuren der Sieben Schwestern reisen, aus ihren
Indigene Gesellschaften ist Country heilig, eine spirituelle Quelle, für        Erfahrungen lernen und ihren Lehren über Geschlechterbeziehungen
deren Erhalt und Schutz sie Verantwortung tragen. Ihre einzigartige spiri-      und den Regeln des Miteinanders folgen. Es sind auch ebendiese Drea-
tuelle Zugehörigkeit und Nähe zum Land, ihre besondere Vertrautheit und         mings, durch die sie die präzisen Standorte von Wasser- und Nahrungs-
ihr Wissen sowie ihre rituellen Pflichten zur Pflege bestimmter Stätten         quellen oder andere lebenswichtige Informationen über Wege und Stätten
und Orte bedeuten jedoch nicht, dass Indigene Communities den alleini-          erfahren. Die Songlines der Sieben Schwestern sind archetypische Erzäh-
gen Zugang zu diesen Orten beanspruchen und andere ausschließen. Es             lungen, die das Land bereichern und beleben und ihm die Kraft und Ener-
ist diese spirituelle Dimension der Verbundenheit mit Country, in der sie       gie verleihen, damit es als dauerhaftes Wissensarchiv fortbestehen kann.“
sich eher als Custodians denn als Eigentümer verstehen.
                                                                                Andere Songlines oder Dreamings stehen in Verbindung mit Stätten
Die spirituelle und kreative Verankerung im Land wird sichtbar in den           von großer nationaler Bedeutung wie Uluru (Ayers Rock) im Zentrum
jahrtausendealten epischen Sagen, die als „Dreamings“ oder „Songlines“          Australiens oder den Three Sisters (Meehni, Wimlah und Gunnedoo)
bezeichnet werden. Man kann sie sich als Pfade des Wissens vorstellen,          in den Blue Mountains bei Sydney. Als gereimte Liedstrophen passen
die den Kontinent durchkreuzen. Die Songlines sind ein komplexes,               sich die Songlines wie sehr alte Gesänge dem Rhythmus der Schritte an
fluides Gebilde, ein Speicher der Kenntnisse, der Glaubensvorstellungen,        und dringen über die Stimme in den Körper ein. Sie beschreiben den

                                                                                                                                                    11
EINLEITUNG

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                                                                                einem signalgebenden Möglichkeitsort für Selbstbestimmung, Teilhabe,
                                                                                Weitergabe und Vermittlung werden kann, der die museale Praxis ent-
                                                                                scheidend verändert.“

                                                                                Die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss ist besonders dank-
                                                                                bar, dieser außergewöhnlichen Ausstellung über die Sieben Schwestern
                                                                                und ihre Erschaffung Australiens ein Forum bieten zu können. Wir
                                                                                danken allen an diesem beispielgebenden Projekt Beteiligten, stellver-
                                                                                tretend Margo Neale und dem Team des National Museum of Australia
                                                                                unter der Leitung von Mathew Trinca, für die in jeder Hinsicht erfreu-
                                                                                liche, fruchtbare Zusammenarbeit und die Chance, diese Ausstellung
                                                                                im Humboldt Forum zu zeigen. Sie ist ein wichtiger Beitrag, um diesen
                                                                                neuen Ort der internationalen Vielstimmigkeit, der Transdisziplinarität
                                                                                und des Erfahrungswissens einem breiten Publikum zu öffnen. Die Aus-
                                                                                stellungsumsetzung in Berlin sowie das begleitende Veranstaltungs- und
                                                                                Bildungsprogramm wurden in Zusammenarbeit mit dem Ethnologischen
                                                                                Museum der Staatlichen Museen zu Berlin und der Stiftung Humboldt
                                                                                Forum im Berliner Schloss entwickelt.

                                                                                Diese Ausstellung eröffnet Perspektiven darauf, wie das Museum zu einem
                                                                                signalgebenden Möglichkeitsort für Selbstbestimmung, Teilhabe, Weiter-
                                                                                gabe und Vermittlung werden kann, der die museale Praxis entscheidend
                                                                                verändert. Grundlegend für dieses Projekt war das Bestreben, heraus-
                                                                                fordernde und langwierige Diskussionen und Aushandlungsprozesse nicht
Kungkarangkalpa (Seven Sisters) Keramiken, 2016
© the artists / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Image: National Museum of Australia   zu scheuen und etwas Eigenes wie auch Gemeinsames und Verbindendes
                                                                                zu schaffen, das eine andere Zukunft verspricht. Dies ist auch das Credo
Weg und die natürlichen Eigenheiten der Landschaft so präzise, dass sie         der Akteursgemeinschaft im Humboldt Forum, wo Kulturen aus Asien,
den Kundigen auch heute noch eine verlässliche Orientierung bieten.             Afrika, Australien, Ozeanien, Amerika und Europa sowie unterschiedliche
Keine Person oder Familiengruppe „besitzt“ eine vollständige Songline.          Wissensformen und die Geschichte des Ortes selbst zusammentreffen.
Verschiedene Verwandtschafts- oder Sprachgruppen verfügen je nach kul-          Dass das Knüpfen nachhaltiger internationaler Beziehungen nicht nur eine
turellem Erbe über unterschiedliche Teile einer oder mehrerer Sequenzen         Verpflichtung ist, sondern vielmehr eine unschätzbare Bereicherung für
eines Dreaming. Songlines sind Kommunikationsnetze und Handels-                 alle, die davon berührt werden, wird hier erfahrbar. Insofern bietet sich
routen über große Entfernungen hinweg und vermitteln gleichzeitig ein           jetzt die Gelegenheit, dieses Spektrum der Kunst und Kultur Indigener
Gefühl der Zugehörigkeit. Angesichts der zunehmenden industriellen              Gesellschaften in Berlin zu erleben, verbunden mit der Hoffnung, die
„Überzeichnung“ der Landschaft und der Auslöschung ihrer natürlichen            Zusammenarbeit fortzusetzen und den Austausch zu intensivieren.
Merkmale durch den Ausbau des Verkehrsnetzes, den Bergbau und
andere westliche Entwicklungen sind diese Songlines jedoch anfällig für         Schon ein kurzes Eintauchen in diese komplexen, reichen Vorstel-
Fragmentierungen und Verlust.                                                   lungs-, Wissens- und Glaubenswelten, die in den Songlines gespeichert
                                                                                sind, macht sichtbar, wie viele gravierende Lücken, Engführungen und
Ebendiese Angst vor dem Vergessen, vor dem Verlieren der Zusammen-              Begrenzungen das westliche Denken mit seinen vermeintlich „universellen“
hänge der Songlines, war die Initialzündung für das Ausstellungsprojekt:        Konstruktionen aufweist. Zugleich wird klar, wie bereichernd, wie blick-
„… diese Songlines, sie sind inzwischen alle zerbrochen“, klagte einer          weitend, wie lehrreich, wie inspirierend, wie vielschichtig, wie verbindend,
der Anangu-Ältesten, David Miller, anlässlich eines Treffens 2010 mit           wie aufrüttelnd und alarmierend, wie hochaktuell und universell, aber auch
dem National Museum of Australia in Canberra, „ihr könnt uns helfen,            wie fragil die Begegnungen auf diesen Songlines sind, und wie dankbar wir
sie alle wieder zusammenzufügen“. Dieser Aufruf war der Anlass, ein             sein können, einige Wegabschnitte mitzugehen! Es offenbaren sich dadurch
zehn-jähriges Forschungsprojekt zur Bewahrung des kulturellen Erbes             vielfältige Möglichkeiten, diese Geschichten lebendig zu halten und erleb-
zu initiieren, das in diese Ausstellung mündete, konzipiert in enger            bar zu machen, wie auch den Blick auf die Problemkreise der Gegenwart zu
Zusammenarbeit mit Indigenen Communities der Central and Western                lenken. Die Ausstellung Songlines: Sieben Schwestern erschaffen Australien
Desert, mit der Australian National University und ko-kuratiert vom             zeigt, wie lebendig die Dreamings im Leben der Custodians sind, wenn sie
National Museum of Australia. Auf der über 7000 Kilometer langen                sich in den farbenreichen Bildern, Tänzen und Liedern zu erkennen geben.
Reise durch drei Wüsten wurde umfangreiches Forschungsmaterial                  Einige dieser Menschen lernen wir in der Ausstellung kennen. Sie nehmen
zusammengetragen, das für künftige Generationen in einem Indigen                uns mit auf ihre Songlines, die uralten Netze des weiten Landes, die in alle
verwalteten Archiv aufbewahrt wird. Heute werden die Geschichten in             Richtungen führen, den gesamten australischen Kontinent überziehen. Es
Film und Fotografie, in Büchern oder auch in experimentellen Aus-               sind sich überschneidende Kreise, die sich ewig fortsetzen lassen, bis sie
stellungen wie dieser hier in Berlin erzählt.                                   sich wieder schließen – einmal den Erdball umrundend.

                                                                                                                                                     12
INTERVIEW

„WIR INTERESSIEREN UNS MEHR FÜR DIE ZUKUNFT ALS
 FÜR DIE VERGANGENHEIT“
 Ein Gespräch mit Margo Neale (Senior Indigenous
 Curator, National Museum of Australia) und Andy
 Greenslade (Kurator, National Museum of Australia)

Songlines — Sieben Schwestern erschaffen Austra-   Die Gemälde in der Ausstellung werden als        Communities in der Wüste. Community-
lien zeigt die Reise von sieben Ahn*innen-         „Portale“ zu bestimmten Orten                    Älteste sind hoch angesehene Personen,
wesen auf der Flucht vor einem Form-               beschrieben. Was bedeutet das?                   die als Sprecher*innen für ihre Community
wandler namens Yurla oder Wati Nyiru. In                                                            fungieren können. Dieser Status ist in der
dieser Indigenen Schöpfungsgeschichte                 MN: Eine Songline wie die Sieben-Schwes-      Regel an das Alter gebunden, aber Alter ist
spielt das Land eine Hauptrolle. Inwiefern?           tern-Songline (es gibt noch viele andere)     nicht das Wichtigste. Community-Älteste
                                                      markiert den Weg, den die jeweiligen          werden deshalb respektiert, weil sie die
   MARGO NEALE: Land ist in der Weltan-               Ahn*innenwesen genommen haben.                kenntnisreichsten Mitglieder ihrer Gemein-
   schauung Indigener Australier*innen nicht          Sie verbindet bestimmte Punkte oder           schaft sind, weil sie über großes kulturelles
   das Gleiche wie das westliche Konzept von          landschaftliche Merkmale miteinander.         Wissen verfügen.
   Land als Geografie oder als physische Ober-        Gemälde sind visuelle Darstellungen
   fläche. Es ist mehr. In der Weltanschauung         dieser Schöpfungsgeschichten. Auf ihrem       Die Idee für die virtuellen Community-
   Indigener Australier*innen ist Land ein            Weg durch die Ausstellung folgen die          Ältesten ist mit der Zeit entstanden: Beim
   mehrdimensionales Konzept, das alle                Besucher*innen der Reise der Sieben           Nachdenken über die Ausstellung hatte
   Dinge miteinschließt. Es gibt keine Unter-         Schwestern. Die Gemälde stehen für die        ich die Idee, die Traditional Owners und
   scheidung zwischen belebt und unbelebt.            durch die Songlines verbundenen Stätten       Custodians, die sich um die Stätten und
   Alles ist lebendig, alles hat seinen Platz:        und werden so für die Besucher*innen zu       Geschichten kümmern, ins Kuratorium zu
   Menschen, Tiere, Pflanzen, Erde, Wasser            diesen Orten. Sie werden oft als „storypla-   holen. Die Community-Ältesten ernannten
   und Luft. Das Land wurde von Ahn*innen-            ces“, also Orte mit Geschichten, bezeichnet   Sprecher*innen für jede der in der Aus-
   wesen erschaffen und diese sind in den             und sie vermitteln etwas von dem Wissen,      stellung dargestellten Wüsten und dann
   landschaftlichen Merkmalen verkörpert.             das jeder Ort in sich trägt.                  kam ich auf den Begriff „Community-
                                                                                                    Kurator*innen“. Sie sind mit ihrem Wissen
   Durch Geschichten wie die Sieben-Schwes-        An verschiedenen Stellen in der Ausstellung,     für den inhaltlichen Teil der Ausstellung
   tern-Songlines werden die Entstehung der        werden die Besucher*innen von lebens-            verantwortlich, während wir vom Natio-
   Erde erklärt und kulturelle Werte ver-          großen digitalen Videos der Mitglieder des       nal Museum unser Wissen beisteuerten,
   mittelt. Die Songlines sagen uns auch, wie      Songlines-Kuratoriums begrüßt — den vir-         wie man diese Geschichten aufzeichnet,
   wir füreinander und für Country, das Land,      tuellen Community-Ältesten. Welche Rolle         bewahrt und präsentiert. Sie waren auf uns
   sorgen sollten. Jede*r Indigene Australier*in   und Funktion haben Älteste in Indigenen          angewiesen und wir auf sie, also war ein
   ist von Geburt an mit einem bestimmten          Communities und warum stellt das Kurato-         Community-Kuratorium nur logisch.
   Stück Land verbunden, ihre oder seine           rium sie in dieser einzigartigen, visuellen
   Identität gehören zu diesem Ort und dessen      Form dar?                                        Im Gegensatz zu mir konnte das Kurato-
   Geschichte. Aber wir besitzen dieses Land                                                        rium während der Laufzeit der Ausstellung
   nicht im westlichen Sinne. Wir kümmern             MN: Traditionell kann man Commu-              jedoch nicht sechs Monate lang persön-
   uns um das Land als Custodians und tragen          nity-Älteste vielleicht als zeremonielle      lich in Canberra sein. Also war der nächste
   Verantwortung dafür, es lebendig und               Führungspersonen bezeichnen, aber             Schritt ebenfalls eine logische Folgerung:
   gesund zu erhalten – physisch und spiri-           ihre Rolle unterscheidet sich je nach der     Digital dabei sein konnten sie nämlich.
   tuell. Wir sorgen uns um Country, singen           Community, in der sie leben. Es gibt viele    Genauso, wie die Community-Ältesten das
   für Country, sprechen mit Country und ver-         verschiedene Indigene Communities in          Gefühl hatten, dass es wichtig ist, sich auf
   missen Country, wenn wir nicht dort sind.          Australien, vom städtischen Raum, wo          den digitalen Raum einzulassen, um der
                                                      ich lebe, bis hin zu kleinen, abgelegenen     jungen Generation zu begegnen, nutzte ich
                                                                                                    diesen digitalen Raum, damit das Indigene

                                                                                                                                           13
Kuratorium das Publikum treffen konnte            die nach wie vor ihre eigenen Sprachen             tralien, sondern sie steht auch mit anderen
   und in die ganze Ausstellung einbezogen ist.      sprechen und in ihrem Country leben.               Geschichten über die Plejaden und das
                                                     Ihre Erfahrungen sind anders als die von           Sternbild Orion in Verbindung. Die Com-
   In Australien ist es gängige Praxis, dass zu      Indigenen Menschen wie mir, die in der             munity-Ältesten weisen bei der Begrüßung
   Beginn einer Veranstaltung entweder ein           Stadt leben und Englisch sprechen.                 am Anfang der Ausstellung selbst darauf hin
   Mitglied der Community, in deren Land                                                                und sagen: Diese Geschichte geht um die
   man sich befindet, das Publikum in diesem         ANDY GREENSLADE: Einen Aspekt haben alle           ganze Welt.
   Country willkommen heißt, oder die Orga-          Indigenen Communities gemeinsam, und
   nisator*innen der Veranstaltung dieses Land       zwar ihre Beziehung zu Country.                 Die Schöpfungsgeschichten Indigener
   würdigen. Die virtuellen Community-Ältes-                                                         Australier*innen wurden ursprünglich von
   ten am Eingang der Ausstellung heißen die         MN: Ja, Country ist von entscheidender          Custodians vor Ort im jeweiligen Country
   Besucher*innen in ihrem Country willkom-          Bedeutung. Wie Andy schon sagt, bleibt die      aufgeführt. Diese Darbietungen stellten die
   men. Ihr Land ist auf der Ausstellungsfläche      Verbindung bestehen, egal, ob man nun auf       Handlungen und Reisen der Ahn*innen-
   abgebildet, die Besucher*innen gehen durch        seinem Land lebt oder nicht. Selbst wenn        wesen genau dort dar, wo sie ursprünglich
   es hindurch und lernen von ihm.                   man in der Stadt lebt, hat man immer noch       stattgefunden hatten. Im Zuge der Aus-
                                                     diese Bindung. Viele Menschen, die durch        stellung wird deutlich, dass es neue Wege
In ihrem Gemälde „Seven Sisters Songline“            die Kolonialisierung von ihrem traditio-        des Wissenstransfers brauchte, da viele die-
stellt die Künstlerin Josephine Mick die             nellen Land getrennt wurden, stellen diese      ser Orte heute schwer zugänglich sind und
geografische Reichweite der Reisen der               Verbundenheit heute wieder her.                 das Wissen von immer weniger und immer
Sieben Schwestern beim Erschaffen des                                                                älteren Menschen bewahrt wird. Welchen
australischen Kontinents dar. Die Sieben-         Die Songlines-Ausstellung ist das Ergebnis         Schwierigkeiten sehen sich die Indigenen
Schwestern-Songline verläuft quer durch           eines zehnjährigen Forschungsprojekts,             Custodians heute gegenüber?
drei Wüsten und durchzieht die Countries          das von Indigenen Communities initiiert
vieler verschiedener Communities und              und gemeinsam mit Wissenschaftler*innen               MN: Anders als früher leben die Menschen
Sprachgruppen. Über die Ausstellung hinaus        der Australian National University und                heute in westlich geprägten Communities
würdigt Micks Arbeit mit großen schwarzen         des National Museum of Australia (NMA)                mit Häusern, Autos, Supermärkten und
Kreisen, die von kleinen weißen Punkten           geleitet wurde. Die Ausstellung entstand in           Zugang zu moderner Technologie. Der
umgeben sind, die Präsenz und Bedeutung           Reaktion auf die Bitte von Vertreter*innen            westliche Lebensstil hat ihrem Leben etwas
der Sieben Schwestern in den Countries            der Anangu-Community, ihr Wissen zu                   Neues hinzugefügt und verschafft ihnen
anderer Communities. Warum ist es wichtig,        bewahren und zu vermitteln. Warum haben               in der Tat mehr Zeit und andere Vorteile,
diese kulturelle und sprachliche Vielfalt         Sie für die Ausstellung gerade die Sieben-            wie die Möglichkeit zu reisen. Indigene
anzuerkennen?                                     Schwestern-Songline ausgewählt?                       Wüsten-Communities oder Townships
                                                                                                        befinden sich auf Country, das den meisten
   MN: Wie Europa ist der australische Kon-          MN: Wir haben diese Songline gar nicht             der dort lebenden Menschen gehört. Diese
   tinent in viele verschiedene Countries            ausgewählt. Die traditionellen Anangu-Cus-         Siedlungen sind jedoch an nur einem
   unterteilt, von denen jedes seine eigene          todians haben uns gefragt, ob wir ihnen            Ort und umfassen nicht die vielen ver-
   Sprache, Geschichte, seine eigenen Gesetze        helfen, die Sieben-Schwestern-Songline             schiedenen Orte, für die die Menschen
   und kulturellen Praktiken hat. Zur Zeit           zu bewahren. Bei einem unserer ersten              verantwortlich sind. Die Menschen sind
   der britischen Kolonialisierung wurden            Treffen mit den Custodians beugte sich der         mit ihrem Country nicht mehr auf dieselbe
   in Australien etwa 250 unterschiedliche           angesehene Anangu-Älteste David Miller             Weise verbunden wie früher, als sie darin
   Sprachen und Hunderte von Dialekten               über den Tisch und sagte leise, aber ein-          umherzogen und täglich mit ihm in engem
   gesprochen. Die verschiedenen Sprach-             dringlich: „Unsere Songlines sind alle kaputt      Kontakt waren, dort jagten und Nahrung
   gruppen bewohnten jeweils ihr eigenes             ... bitte helft uns, sie wieder zusammenzu-        sammelten. Aber sie sprechen auch heute
   Country. Dieses Land ist jedem einzelnen          setzen“.                                           noch Indigene Sprachen, führen Zere-
   Mitglied der jeweiligen Gruppe eng vertraut.                                                         monien durch und besuchen ihr Country
   Die Menschen gehören zu bestimmten                Offensichtlich war ihre Entscheidung das           entweder physisch oder in ihren Köpfen. Sie
   Countries und würden niemals auf die              Ergebnis langer Diskussionen, die wir              praktizieren ihre Kultur heute anders.
   Idee kommen, sich das Land einer anderen          nicht vollständig kennen. Aber die Sieben-
   Community anzueignen. Es gibt strenge             Schwestern-Songline ist eine der fünf              Die jungen Leute waren zu sehr von den
   Verhaltensprotokolle für das Betreten eines       großen Routen oder epischen Songlines, die         vielen technologischen Wundern des west-
   Country, das anderen gehört. Alle Indigenen       den gesamten Kontinent durchziehen. Die            lichen Lebensstils in Beschlag genommen.
   Australier*innen lassen sich heute mehr           meisten anderen Songlines beziehen sich            Sie hatten kein Interesse, mit den Commu-
   oder weniger stark auf westliche Institu-         eher auf eine bestimmte Region und bieten          nity-Ältesten ihr Country zu besuchen und
   tionen und Lebensweisen ein, aber was             eine Art örtliches „Guidebook“ für spezielle       dort die Geschichten der Sieben Schwestern
   ihre historischen Erfahrungen betrifft, gibt      Gebiete. Die Sieben-Schwestern-Songline            zu lernen. Sie lebten in der digitalen Welt.
   es große Unterschiede. Es gibt Menschen,          ist universell – nicht nur in Bezug auf Aus-       Die Reaktion der Community-Ältesten war

                                                                                                                                              14
sowohl strategisch als auch proaktiv: Sie           ihre Erlaubnis einzuholen. Ihr Interesse am        Respekt zu empfangen. Ich habe gesehen,
gelangten zu der Einsicht, dass auch sie ihr        Filmemachen hat sie also auf das Thema             dass einige Institutionen in Europa oder
Wissen digitalisieren müssten, wenn sie             angesetzt und motiviert sie.                       im Vereinigten Königreich Websites haben,
die nächste Generation erreichen wollten.                                                              die der „Dekolonialisierung des Museums“
Im Rahmen unseres Forschungsprojekts             Ein einzigartiger Aspekt des Songlines-               gewidmet sind. Ich denke, dass die Situation
zogen wir unter Leitung der Custodians           Projekts ist, dass Forschung und Aus-                 in Australien eine andere ist, weil die Men-
der Songlines quer durch die Wüste. An ver-      stellung nicht vom Museum initiiert                   schen, von denen die Sammlungsobjekte
schiedenen Orten ließen sie die Geschich-        wurden, sondern von Vertreter*innen der               stammen, ja hier vor Ort sind.
ten und kulturellen Praktiken aufleben, die      Anangu-Community. Die Beziehungen
das jeweilige Wissen in sich tragen und          zwischen Indigenen Communities und                    MN: Aber wie sieht die „Dekolonialisierung“
kommunizieren. Und zwar durch Gesang,            Museen sind durch die koloniale Ver-                  tatsächlich aus und wie nachhaltig ist sie?
Tanz, Kunst und Film.                            gangenheit stark belastet. Mindestens bis             Es ist unmöglich, in die Zeit vor der Kolo-
                                                 in die späten 1970er-Jahre sammelten und              nialisierung zurückzukehren. Der Begriff
Zu den Auswirkungen der Kolonialisierung         zeigten Museen Objekte und die Human                  selbst ist nicht sehr präzise und macht sel-
gehören die Viehwirtschaft und der Bergbau       Remains (sterblichen Überreste) der Vor-              ten klar, wie er konkret in die Tat umgesetzt
auf Indigenem Land, nicht nur das man-           fahr*innen Indigener Australier*innen und             werden soll. Ich denke, dass die Begriffe
gelnde Interesse der nächsten Generation.        Bewohner*innen der Torres-Strait-Inseln               „Aboriginal agency“, Indigene Handlungs-
Aber es waren die jungen Leute, die den          auf eine Art und Weise, die die Rechte,               macht, „voice“, Stimme, und „co-authors-
Custodians am meisten Sorge bereiteten.          Werte und Perspektiven der Indigenen                  hip“, Koautor*innenschaft, da vielleicht
Sie glaubten, dass die jungen Leute erst         Bevölkerung grundlegend missachtete.                  nützlicher sind. Meine eigene Arbeit seit
reif und für ihre Geschichten bereit sein        Wie definieren Projekte wie die Songlines-            den 1990er-Jahren haben sie jedenfalls stark
würden, wenn sie und ihr Wissen nicht            Ausstellung die Zusammenarbeit zwischen               beeinflusst und erhellt. Und es gab einige
mehr da sind. Deshalb zeichneten sie die         Indigenen Communities und Museen neu?                 bei uns im NMA gezeigte oder von uns ent-
Sieben-Schwestern-Songlines auf, um das                                                                wickelte Ausstellungen, die in Kooperation
Wissen digital zugänglich zu machen und             MN: In australischen Museen werden                 oder aus einer gemeinsamen Initiative mit
zu bewahren. Das Wissen über die Songli-            Indigene Australier*innen in jedes For-            Communities heraus entstanden sind. Aber
nes wird nun in einem Indigen verwalteten           schungs-oder Ausstellungsprojekt über das          ich würde behaupten, dass die Songlines-
Archiv namens Ana Irititja aufbewahrt, und          Indigene Australien einbezogen. „Nothing           Ausstellung da ganz neue Wege beschreitet.
das Songlines-Projekt hat bereits großes Inte-      about Us without Us“, nichts über uns ohne         Ich halte sie für das derzeit innovativste
resse bei der jüngeren Generation geweckt.          uns, lautet seit Langem die Forderung vieler       Modell der Ausstellungspraxis, weil hier
                                                    Indigener Aktivist*innen. Auch wenn die            definiert wird, wie Communities mit
Einer der jüngeren Teilnehmer*innen des             Beteiligung Indigener Australier*innen             Museen arbeiten und sie für sich nutzen
Forschungsprojekts arbeitet als Kultur-             in Form und Ausmaß variiert, ist sie in            können, nicht umgekehrt.
pädagoge. Er begann, die Sieben-Schwes-             australischen Museen Realität geworden.
tern-Geschichten in der Schule zu unter-            Seit 30 Jahren gibt es Richtlinien für die      In Europa wird von ethnologischen Museen
richten und hat es inzwischen zu einiger            Restitution von Human Remains und die           zunehmend erwartet, dass sie sich mit dem
Berühmtheit gebracht. Außerdem arbeiteten           Rückgabe von geheimen/heiligen Gegen-           kolonialen Erbe ihrer Sammlungen aus-
einige Frauen, die zur Eröffnung nach Can-          ständen an ihre Indigenen Communities.          einandersetzen. Sie befassen sich verstärkt
berra kamen, mit Mädchen an einer High              Diese beinhalten auch Maßnahmen zur             damit, wie sie durch ihre Präsentation,
School in ihrer Community. Wir luden                Einstellung Indigener Australier*innen und      Interpretation und Bewahrung kultureller
die Mädchen nach Canberra ein, damit sie            Beteiligung von Indigenen Communities.          Objekte koloniale Vorstellungen und Welt-
ebenfalls bei der Eröffnung auftreten konn-         Die Richtlinien setzen für alle australischen   bilder gestützt haben. Alle Indigenen Aust-
ten. So wurden die Sieben Schwestern Teil           Museen wichtige Standards und werden            ralier*innen mussten sich mit Erfahrungen
des Lehrplans.                                      ständig aktualisiert. Das NMA ist diesen        wie der gewaltsamer Enteignung ihres
                                                    Richtlinien jedoch bereits weit voraus.         Landes und der Missachtung ihres Glaubens,
Ein weiterer jüngerer Teilnehmer ist der                                                            ihrer Sprache und ihren kulturellen Prakti-
Filmemacher Curtis Taylor, dessen Film              AG: Die Einbindung der Communities ist          ken durch die Kolonialmacht auseinander-
in der Ausstellung gezeigt wird. Auf diese          in Australien ein kontinuierlicher Prozess,     setzen. Songlines spricht die Kolonialisie-
Weise erreichte das Projekt auch andere             die Verbundenheit wird gelebt. Wenn             rung nicht direkt an. Was sind die Gründe
junge Menschen: Filmstudierende und                 Indigene Communities die NMA-Samm-              dafür?
-liebhaber*innen oder Menschen, die in              lung besuchen, können diese Besuche
der Medienbranche arbeiten. Sie erfuhren,           manchmal eine unglaublich emotionale               MN: Da es sich bei Songlines um eine von
dass sie, wenn sie in ihren Arbeiten Song-          Erfahrung sein. Oft sind die Objekte nicht         Indigenen Australier*innen initiierte und
lines-Geschichten verwenden wollen, in              mehr einfach nur Objekte, sondern werden           geleitete Ausstellung handelt, kann sie gar
das jeweilige Country gehen und mit den             Verwandte. Deshalb achten wir darauf,              nicht Teil des kolonialen Projekts sein.
richtigen Leuten sprechen müssen, um                die Besucher*innen mit angemessenem                Vielmehr handelt es sich um ein dekolo-

                                                                                                                                              15
niales Projekt. Es reagiert auf die Bitte der       Ich sehe für uns da keine gesellschafts-
Indigenen Custodians um gezielte Hilfe              politischen Probleme, wie sie vielleicht Ein-
bei der Erhaltung und Wiederherstellung             richtungen wie das Humboldt Forum mit
der Sieben-Schwestern-Songlines. Bevor              seinem kritischen Interessent*innenkreis
ihr diese Frage gestellt habt, war niemand          haben, der sich mit der Kolonialgeschichte
bei uns auch nur auf die Idee gekommen,             und früheren Sammlungs- und Aus-
dass die australische Kolonialgeschichte            stellungspraktiken auseinandersetzt. Diese
für unser Projekt relevant ist. Das Indigene        Ausstellung sollte diese Probleme zu einem
Kuratorium der Songlines-Ausstellung und            gewissen Grad überwinden. Es handelt sich
wir vom NMA interessieren uns mehr                  um eine Indigen geleitete Ausstellung. Sie
für die Zukunft als für die Vergangenheit.          gehört uns, den Indigenen Australier*innen,
Songlines ist ein Projekt zum Bewahren              und wir haben euch gebeten, diese Werke
des kulturellen Erbes und eine Möglich-             für uns auszustellen. Songlines spricht
keit, Kultur zu teilen. Wir wollen integrativ,      mit Indigener Stimme und demonstriert
transformativ und positiv sein.                     Indigene Handlungsmacht.

Wie in vielen Ausstellungen und anderen          Das Gespräch führten Anna Weinreich und
Bereichen des kulturellen Lebens in Aus-         Dorothea Deterts
tralien werden auch in dieser Ausstellung
die Weltbilder, Sprachen und kulturellen
Praktiken Indigener Australier*innen
gewürdigt und gefeiert. In anderen Aus-
stellungen des NMA war es hingegen
wichtig, die Geschichte der Kolonialisie-
rung einzubeziehen. Als wir zum Beispiel
die Indigen-australische Sammlung des
British Museums gezeigt haben, die noch
nie zuvor in Australien zu sehen war, war
das koloniale Projekt durchaus relevant.
Auch in unserer letzten großen Sonderaus-
stellung über die Reisen von Kapitän James
Cook, der Australien für die britische Krone
beanspruchte, war es von Bedeutung. Diese
Ausstellung befasste sich hauptsächlich mit
der Sicht Indigener Australier*innen auf
diese Reise und die Kolonialisierung, und
wir bezeichneten diese Perspektive als „view
from the shore“, als Blick vom Ufer, um
der Mainstream-Erzählung des „Blicks vom
Schiff“ etwas entgegenzusetzen.

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