Sprachidentität im Kontext von Mehrsprachigkeit - unipub

Die Seite wird erstellt Niclas Beckmann
 
WEITER LESEN
Sprachidentität im Kontext von Mehrsprachigkeit - unipub
Karl-Franzens-Universität Graz
Institut für Romanistik
Sommersemester 2021

                               DIPLOMARBEIT

  Sprachidentität im Kontext
    von Mehrsprachigkeit
        anhand des Beispiels der Gemeinde von Tarvisio (UD)

Betreuerin: Univ.-Prof. Dr. Sabine Heinemann

Verfasser: Alexander Sternad
Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung .............................................................................................................................. 1
2. Identität und Mehrsprachigkeit .......................................................................................... 3
3. Die Geschichte und demographische Entwicklung des Kanaltals mit besonderem
Hinblick auf Tarvis ................................................................................................................ 10
        3.1 Die frühe Geschichte ................................................................................................ 10
        3.2 Die Herrschaftszeit der Bamberger........................................................................... 11
        3.3 Die Herrschaft der Habsburger ................................................................................. 16
        3.4 Das Kanaltal wird Teil des Italienischen Königreichs.............................................. 21
                 3.4.1 Der Zweite Weltkrieg und das Hitler-Mussolini-Abkommen ...................... 25
        3.5 Die Republik Italien .................................................................................................. 28
                 3.5.1 Die derzeitige Situation der Minderheitensprachen ..................................... 31
4. Die Auswertung der erhobenen Daten ............................................................................. 35
        4.1 Das Prestige und die gesellschaftliche Stellung der Idiome ..................................... 36
        4.2 Die Kenntnisse der Minderheitensprachen ............................................................... 37
        4.3 Die Wahrnehmung der Minderheitensprachen ......................................................... 42
        4.4 Sprachgebrauch im familiären Kontext .................................................................... 58
        4.5 Sprachgebrauch am Arbeitsplatz .............................................................................. 65
        4.6 Sprache und Medien ................................................................................................. 67
5. Zusammenfassung .............................................................................................................. 73
Bibliographie........................................................................................................................... 77
1. Einleitung

Das Kanaltal hat eine besondere Stellung innerhalb von Europa. Es ist nicht nur ein Gebiet
von Mehrsprachigkeit, sondern es treffen die drei großen Sprachfamilien aufeinander: die
Romania, die Slavia und die Germania (FRAU 2013: 123).

Diese einzigartige Situation ist tief in der Geschichte des Kanaltales verankert. Es war vielen
verschiedenen kulturellen, sprachlichen, wirtschaftlichen und politischen Umschwüngen
ausgesetzt, die dem Gebiet seine besondere Prägung verliehen haben. Diese reichen von
Einflüssen der Römer, slawischen Siedlern über die Herrschaft der Bamberger und
Habsburger bis hin zur Integration in den italienischen Staat.

Diese Arbeit wird der Frage der sprachlichen Identität der Bewohner der Gemeinde von
Tarvis nachgehen, inwiefern sich die geschichtlichen Ereignisse auf die Identität der
Bevölkerung und die sprachliche Landschaft ausgewirkt haben und wie sich die derzeitige
Situation der Sprachen gestaltet. Wenn mehrere Idiome nebeneinander existieren, kommt es
in den allermeisten Fällen zu Spannungen sowie zur Unterdrückung von gering
wertgeschätzten Idiomen, was wiederum zu existenziellen Problemen für eine Sprachgruppe
führen kann.

Zur Analyse der sprachlichen Identität und der Stellung der Minderheitensprachen wird zuerst
der Begriff der Identität bzw. der Sprachidentität behandelt, um diese einzugrenzen und ihre
Bedeutung für die Analyse von Minderheitengruppen aufzuzeigen. Zudem werden Faktoren
aufgezeigt, welche zur Bildung oder zur Veränderung von Identität führen, um diese in
späterer Folge in der Untersuchung der Tarviser Minderheiten aufzuzeigen.

Um die Identität der Bevölkerung zu verstehen, ist es von großer Wichtigkeit, die
geschichtlichen Hintergründe und die damit einhergehenden sprachlichen, kulturellen und
politischen Einflüsse zu beleuchten. Aus diesem Grund wird im darauffolgenden Kapitel die
geschichtliche und demographische Entwicklung des Gebietes abgebildet, wobei besonders
auf sprachliche Entwicklungen, demographische Verschiebungen und andere Faktoren
eingegangen wird, die zur Bildung der derzeitigen Situation, der Identität der Bevölkerung
und der Stellung der einzelnen Idiome beigetragen haben.

Außerdem wird auf die gegenwärtige Stellung der Sprachen im öffentlichen Leben, in der
Schule und andere Kontexte eingegangen, um ein besseres Verständnis für das Bewusstsein,

                                                                                             1
die Wertungen und die Einstellungen der Bevölkerung gegenüber der einzelnen
Sprachgruppen zu erlangen.

Ein wesentlicher Teil dieser Arbeit wird überdies die Aufzeichnung und Analyse des
sprachlichen Alltags der Bevölkerung sein, ihre sprachlichen Kenntnisse sowie ihre
Einstellungen zu den verschiedenen Idiomen. Zu diesem Zweck wird eine Umfrage in
schriftlicher Form durchgeführt, die es erlaubt objektiv die Situation und die
Zukunftsaussichten der Minderheitengruppen zu analysieren.

Hierbei werden zuerst Fragen zum Prestige der einzelnen im Kanaltal präsenten Sprachen
gestellt, um dann auf jedes einzelne Idiom genauer einzugehen. Die Teilnehmer werden mit
verschiedenen Aussagen über diese konfrontiert und müssen ihrer persönlichen Einschätzung
Ausdruck verleihen. Da es nur wenige Informationen über die Größe der Minderheiten-
gruppen gibt und ebenso kaum Daten zu Sprecherzahlen vorliegen, werden die sprachlichen
Kompetenzen der Befragten berücksichtigt und dokumentiert.

Ein weiterer Teil der Umfrage beschäftigt sich mit dem Sprachgebrauch in verschiedenen
Kontexten mit einem besonderen Augenmerk auf die sprachliche Entwicklung seit der
Kindheit, um mögliche Rückschlüsse auf sprachliche Tendenzen innerhalb der Bevölkerung
zu führen und Zukunftsaussichten einzuschätzen.

                                                                                       2
2. Identität und Mehrsprachigkeit

Der Begriff Identität ist komplex und vielseitig interpretierbar. Er kann im heutigen
Sprachgebrauch unterschiedliche Bedeutungen annehmen. Zu den wesentlichen zählen laut
LoZingarelli (2013: Lemma "identità") unter anderem "uguaglianza" oder "corrispondenza
assoluta". Identität bezogen auf ein menschliches Individuum wird als "insieme di
caratteristiche che rendono qlcu. quello che è, distinguendolo da tutti gli altri" definiert. Des
Weiteren kann der Terminus ebenso das "insieme delle caratteristiche fondamentali di una
collettività" ausdrücken, wie in dem Beispiel "identità storica e culturale di una nazione". Die
Psychologie deutet den Begriff als "consapevolezza di sé in quanto individuo stabile nel
tempo e differenziato dagli altri". Das Wörterbuch bildet trotz zahlreicher Definitionen nur
einen groben Bruchteil der Komplexität des Begriffs ab. Nicht zu vergessen seien natürlich
auch die einzelnen Komponenten, die eine Identität ausmachen, bilden oder beeinflussen.

Die Begriffe Identität und Identifikation sind eng miteinander verbunden. Die Identität beruht
auf einer Vielzahl von Identifikationen und bezieht sich sowohl auf ein einzelnes Individuum
sowie auf größere Gruppen. Die Identitätsbildung ist eng mit den gesellschaftlichen
Gegebenheiten und dem Umfeld verbunden. Der Begriff der Identität kann nicht als
unveränderliches Merkmal verstanden werden, sondern unterliegt einem lebenslangen
Veränderungsprozess. Die Identität wird wesentlich von der persönlichen Geschichte aber
auch von einem Bündel aus kulturellen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Mustern
geprägt (cf. Vavti 2009: 19s.).

Neben der Sprache als offensichtlichstes Merkmal zur Identifikation mit einer bestimmten
gesellschaftlichen Gruppe wird ebenso Traditionen, Gebräuchen und anderen Merkmalen
einer ethnischen Gruppe eine gewisse Rolle zuteil (cf. Vavti 2009: 22).

Es sei auch darauf hinzuweisen, dass Personen oder Bevölkerungsgruppen sich keiner festen
Identität zuschreiben lassen wollen, da man von einer stetigen Entwicklung und einer
Vielseitigkeit der Identität oder Identitäten ausgehen kann. Grundsätzlich besteht
nichtsdestotrotz das menschliche Bedürfnis von Anerkennung durch andere, was für das
Identitätsgefühl von fundamentaler Wichtigkeit ist (cf. Vavti 2009: 23).

In Bezug auf das Kanaltal geht Vavti (2009:27s.) von Mischidentitäten insbesondere bei der
jungen Bevölkerung aus, wobei sich die Bevölkerung und die Sprachminderheiten
weitgehend dem italienischen Umfeld angepasst haben und die sprachlich ethnische Herkunft
oftmals nur symbolischen Charakter besitzt. Aus dieser Situation resultiert, dass sich viele

                                                                                               3
Bewohner des Gebietes in gewisser Weise zu mehreren Gruppen zugehörig fühlen, aber dies
nur mit Vorbehalten. Zudem führt sie diese Mischidentität auf die geringe Präsenz der
autochthonen Sprachen im öffentlichen Leben wieder.

Für die Linguistik selbst ist in erster Linie der Begriff Sprachidentität relevant, welcher in
zweierlei Hinsicht Verwendung findet. Einerseits bezeichnet er die Identität einer einzelnen
Sprache, die sich von anderen abgrenzt, wie beispielsweise das Italienische vom Deutschen
oder Französischen. Andererseits kann sich der Terminus ebenso auf die sprachliche Identität
einer Person oder Gruppe beziehen, was wiederum die Frage aufwirft, inwiefern Sprache die
Identität eines Individuum oder einer Gruppe bzw. deren Bildung beeinflusst. In der
Außenperspektive auf einzelne Personen, Minderheiten etc. dient die Sprache nämlich oftmals
als grundlegendes Merkmal für die Gruppenzugehörigkeit oder stereotype Kategorisierungen,
bei denen Sprechern eines Idioms typische Charaktereigenschaften zugesprochen werden (cf.
Thim-Mabrey 2003: 1s.).

Sprache stellt ein fundamentales Merkmal für das eigene Verständnis dar. Dies bezieht sich
sowohl auf das Individuum selbst wie auch auf eine ethnische, regionale oder soziale Gruppe.
Für die Sprecher ist es wesentlich, auf sprachlicher Ebene repräsentiert zu sein, um ihrer
Identität und Existenz Anerkennung zu verleihen (cf. Thim-Mabrey 2003: 5).

In Hinsicht auf eine ethnische Gruppe verbindet die Sprache und bildet einen Grundstein für
die Identifizierung der Mitglieder mit dieser. Sie grenzt die Sprachgruppe zu anderen ab und
stabilisiert sie auf diese Weise (cf. Thim-Mabrey 2003: 8).

Die Sprache ist ein fundamentales Symbol für die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, wobei sie
nicht notwendigerweise das einzige oder wichtigste Merkmal zur Identifikation sein muss. In
mehrsprachigen Gebieten dient sie häufig als augenscheinlichster Ausdruck für die
Selbstpräsentation. Hierbei ist auch relevant, wie die Sprachen zueinander stehen, d.h. ob sie
miteinander in Konkurrenz treten und ob die Mehrsprachigkeit für die Sprachgruppe oder das
Individuum freiwillig ist oder unfreiwillig herbeigeführt wird, um das Überleben in der
Gesellschaft zu sichern Die Mehrsprachigkeit kann nämlich als identitätsstiftend oder aber
auch als identitätsbedrohend wahrgenommen werden (cf. Oppenrieder, Thurmair 2003: 42-
49).

Von den meisten mehrsprachigen Personen wird ihre Situation im Wechsel zwischen den
Sprachen eher als negativ eingestuft. Als positiv wird die Mehrsprachigkeit eingestuft, wenn
die anderen Sprache und Kultur nicht als Bedrohung für die erste wahrgenommen wird. In

                                                                                            4
diesem Fall wirkt die Mehrsprachigkeit nicht als Gefahr für die eigene Identität sondern wirkt
identitätsstiftend.   Dies   geschieht   beispielsweise   beim   freiwilligen   Erlernen   einer
Fremdsprache. Sie hat eine positive Wirkung auf die Identität des Individuums (cf.
Oppenrieder, Thurmair 2003: 50-53).

Alle Menschen sind sich grundsätzlich bewusst eine Sprache zu sprechen und Teil einer
gewissen Sprachgemeinschaft zu sein. Die Identifikation mit einer oder mehreren Sprachen
oder Dialekten ist eng mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verbunden. Das
Bewusstsein einer Sprachgruppe anzugehören, erfolgt oftmals in Abgrenzung zu Sprechern
anderer Idiome, wobei sogar minimale dialektale Unterschiede identitätsbildend sein können
(cf. Ineichen 1981:155)

Mehrsprachigkeit kann sich auf zwei verschiedene Szenarien beziehen. Einerseits beschreibt
der Begriff die individuelle Fähigkeit, mehrere Sprachen zu beherrschen und diese in
Kontexten zu verwenden, in dem die Muttersprache nicht verstanden wird. Es kann sich
jedoch auch auf den Gebrauch mehr als eines Idioms innerhalb einer Gemeinschaft beziehen.
In diesem Falle werden mehrere Sprachen regelmäßig nebeneinander verwendet (cf. Gumperz
1989: 33)

In Gebieten, in denen unterschiedliche ethnische Gruppen aufeinandertreffen, ist das
Zusammenleben meist durch Spannungen, Misstrauen oder auch Abgrenzungen geprägt. Ein
harmonisches Miteinander, in denen jede Gruppe denselben Status genießt, ist eher eine
Ausnahme. Da in den meisten Fällen eine Gruppe die dominantere ist und ein höheres
Prestige besitzt, besteht ein erhöhtes Konfliktpotenzial. Die unterdrückte Gruppe möchte
natürlich ihre Interessen, ihr Erbe und Werte beschützen oder gar erkämpfen. Der Ausgang
solcher Konflikte kann verschiedenste Formen annehmen, in einem friedlicheren
Zusammenleben oder einer kompletten Assimilation aufgehen (cf. Nelde 1989: 51s.).

Ein Beispiel für eine Situation, in der zwei ethnische Gruppen aufeinandertreffen, ihre
Sprachen allerdings nicht denselben Status besitzen, ist das Englische bzw. Französische in
Kanada. Die dominante Sprache, in diesem Falle das Englische, stellt die grundlegende
Sprache für die entscheidenden Strukturen dar, wie die Politik, die Verwaltung sowie die
Wirtschaft. So müssen sich Angehörige der französischen Sprachgruppe beispielweise
anpassen, um gewisse Stellungen erreichen zu können. Für die ethnische Gruppe bedeutet
dies, einen niederen Rang akzeptieren zu müssen, sich zu assimilieren oder Widerstand zu
leisten. Im Falle des Quebecs war Englisch die unumstrittene Sprache des Handels und der

                                                                                              5
Geschäftswelt, wodurch ein sozialer Aufstieg für die hauptsächlich einsprachige französische
Sprachgruppe kaum möglich war. Aus dieser Situation entstanden politische Kräfte, die gegen
eine solche Benachteiligung antraten (cf. Nelde 1989: 53s.).

Das Prestige einer Sprache ist grundlegend an die von ihr ermöglichten Zukunftsaussichten
gebunden, d.h. der Wert einer Sprache wird an ihrer Bedeutung für das soziale Fortkommen
und den sozialen Aufstieg gemessen (cf. Dressler 1989: 74).

Um die Situation einer sprachlichen Minderheit zu verstehen sind mehrere Faktoren von
entscheidender Bedeutung, und zwar die Länge des Kontakts mit einer anderen Sprachgruppe,
die Größe der involvierten Sprachgruppen sowie das Prestige, welches den einzelnen Idiomen
zugewiesen wird. Eng mit der Sprache sind ebenso die kulturellen Aspekte wie auch die
Werte verbunden, die gemeinsam letzten Endes identitätsstiftend sind. Der Sprache kommt
hierbei eine grundlegende Bedeutung zu, da sie nicht als neutrales Mittel zur Kommunikation
angesehen werden kann, sondern als wesentliches Merkmal der Identität einer Gruppe.
Großen Einfluss auf die Identität besitzt die Haltung der Gesellschaft gegenüber einem Idiom
und seinen Sprechern (cf. Giacalone Ramat 1989: 79s.)

In Gebieten von Minderheitensprachen ist das Verhältnis zwischen den Sprachgruppen meist
asymmetrisch, d.h. eine Sprachgruppe nimmt eine dominante Position ein. Die
Minderheitensprachen bieten in diesen Fällen nur zu einem geringen Teil den sozialen
Aufstieg, wodurch die der Minderheitengruppe angehörigen Familien ihr eigenes Idiom
wiederum entwerten, indem sie oftmals der prestigeträchtigeren Sprache größere Bedeutung
für ihre Nachkommen zuweisen und dadurch das eigene Idiom vernachlässigen, um den
sozialen Aufstieg zu erleichtern (cf. Giacalone Ramat 1989: 80).

Eine solche Haltung ist jedoch nicht gleichzustellen mit der totalen Entwertung des Idioms
der Minderheitengruppe. Innerhalb der Familie oder für das Individuum selbst ist das Idiom
Ausdruck der Identität, des kulturellen und sozialen Erbes. Abhängig von äußeren Faktoren
kann die Angehörigkeit zu einer Minderheitengruppe das Selbstbewusstsein der Sprecher
stärken oder schwächen. In besonderer Hinsicht in Grenzgebieten, wie beispielsweise jenem
zu Österreich, kann die Aufrechterhaltung und Förderung der deutschen Minderheitensprache
viele Vorteile mit sich bringen (cf. Giacalone Ramat 1989: 81s.).

Nichtsdestotrotz sind die Entwicklungen in den meisten Fällen eher negativ für die
Minderheitensprache, da eine langsame Entwicklung der völligen Übernahme der dominanten
Sprache stattfinden kann. Diese geschieht, wenn die Sprecher der Minderheitensprache in

                                                                                          6
immer    mehr   Kontexten    die   Sprache   der   Mehrheit    verwenden    und   somit    die
Anwendungsgebiete der Minderheitensprache immer mehr eingeschränkt werden. Ein solcher
Prozess des Sprachwechsels ereignet sich meist über Generationen (cf. Giacalone Ramat
1989: 82).

In jedem Falle ist das Bewusstsein für die eigene Sprache und die mit ihr einhergehende
Wirkung auf die Identität und Selbstwahrnehmung immer auf äußere Einflüsse gestützt, die
sowohl auf das Individuum als auch auf eine Sprechergruppe einwirken können und
Spannungen erzeugen. Das Bewusstsein der Sprecher ist in diesem Zusammenhang jedoch
nicht notwendigerweise an die sprachliche Praxis gebunden. Auf längere Sicht beeinflussen
diese äußeren Faktoren aber das Sprachverhalten und können in der Aufgabe beispielsweise
einer Minderheitensprache enden (cf. Kremnitz 2001: 162s.).

Eines der wenigen Beispiele, in denen die Staatssprache scheinbar keinen negativen Einfluss
auf die Weitergabe der Minderheitensprache hat, ist Südtirol. Das Deutsche ist in diesem
Gebiet nicht bedroht, koexistiert mit dem Italienischen oder bildet sogar die dominante
Sprache. Es sei allerdings zu beachten, dass man für Südtirol kaum von Deutsch als
Minderheitensprache sprechen kann, da es in der Region selbst die Sprache der Mehrheit ist
(cf. Giacalone Ramat 1989: 83).

Es gibt viele Faktoren, die das Prestige einer Sprache oder eines Idioms bestimmen und
gegenüber eines anderen mehr oder weniger prestigeträchtigen Idioms abgrenzen. Die
Dominanz oder niedere Stellung eines Idioms kann auf verschiedene Gründe zurückgeführt
werden. Einerseits natürlich sein unmittelbarer Nutzen für den sozialen Aufstieg, andererseits
ist der literarische und kulturelle Wert in der Umgebung wesentlich für die Bewertung des
Idioms. Dazu zählen auch seine Rolle in der geschriebenen Sprache, wie ausführlich und wie
früh eine Sprache formal in Form beispielsweise des Schulunterrichts erlernt werden kann (cf.
Weinreich 1974: 121).

Die Erkenntnis, das eigene Idiom ist nicht standardisiert und kann daher nicht in formalen
Kontexten wie Literatur, Schule, bestimmten Arbeitsplätzen wiedergefunden werden, führt
oftmals zur Entwertung des Idioms innerhalb einer Sprechergruppe bis hin zur absoluten
Gleichgültigkeit (cf. Weinreich 1974: 128-129).

Die Fähigkeit in einer Sprache lesen und schreiben zu können, spielt in diesem Kontext eine
wichtige Rolle, da ein Idiom, das ausschließlich zur oralen Kommunikation verwendet wird,
dem anderen Idiom automatisch unterstellt ist. So kann es beispielsweise sein, dass Sprecher

                                                                                            7
zwar in frühester Kindheit wesentlich bessere Kenntnisse ihres nativen Idioms besitzen, sich
dieses Ungleichgewicht im späteren Verlauf durch die Schule und außerfamiliäre Umgebung
zugunsten der sekundären Sprache verschiebt und die Kenntnisse der Muttersprache in
verschiedenen Kontexten gar nicht erst gebildet werden (cf. Weinreich 1974: 110s.).

So können Sprecher beispielsweise in familiären Umgebungen auf beide Idiome
uneingeschränkt zurückgreifen, werden allerdings Bereiche in der Schule nur in der
dominanten Sprache bearbeitet, so muss dieser zwangsläufig auf jene Sprache zurückgreifen.
In einzelnen Fällen kann es hierbei auch zu Sprachmischungen kommen, um dieses
Ungleichgewicht auszugleichen (cf. Weinreich 1974: 119).

So wird im Kanaltal der Eintritt in den Kindergarten oder in die Schule als Schlüsselmoment
für den Bruch mit den Minderheitensprachen angesehen, da das Italienische im Vordergrund
steht. Die Entwicklung zur Verlust der Sprache ist tief in der Geschichte der Region
verwurzelt, da die Minderheitensprachen für lange Zeit kaum Anerkennung im Schulsystem
gefunden haben. Durch die Verkümmerung der Sprachkenntnisse der Angehörigen der
Minderheitengruppen erfolgt zumeist eine geringere Identifizierung mit dem jeweiligen Idiom
und der ethnischen Gruppe selbst (cf. Vavti 2009: 93-95).

Nicht zu unterschätzen sind ebenso staatliche oder regionale Autonomieregelungen, die eine
Sprachgruppe in ihrer Identität stärken oder schwächen können und inwiefern die
Bevölkerungsschichten davon profitieren. Ein sehr gutes Beispiel ist in diesem
Zusammenhang Südtirol, das sowohl über weitgehende Autonomie verfügt und zusätzlich
eine sprachliche Anbindung an das deutschsprachige Österreich wie auch die Förderung der
deutschsprachigen Gruppe durch den Nachbarstaat. Die Bevölkerung besitzt durch diese
äußeren Rahmenbedingungen ein hohes Bewusstsein für ihre Ethnizität, fühlen sich in ihrem
Alltagsleben durch den sprachlichen Unterschied zur italienischen Bevölkerung kaum
eingeschränkt, wodurch auch die sprachliche und kulturelle Identität der Südtiroler sich frei
entwickeln kann und nicht äußeren Spannungen ausgesetzt ist (cf. Czernilofsky 2001: 176s.).

Im Gegensatz dazu ist beispielsweise die Situation der Okzitanen in Frankreich weitgehend
negativ. Nach Jahren der sprachlichen Unterdrückung und der Dominanz des übermächtigen
Französisch hat die Bevölkerung beinahe jegliche Identifizierung mit dem Idiom verloren.
Durch das fehlende sprachliche und kulturelle Bewusstsein des Kollektivs sind die
Einführung von förderlichen Maßnahmen kaum erfolgsversprechend (cf. ibid.).

                                                                                              8
In der Region Friaul-Julisch Venetien lässt sich kaum eine einheitliche Aussage treffen, da
mehrere Minderheitensprachen nebeneinander bestehen und sich die politischen Regelungen
nach Provinz teilweise sehr unterscheiden. Außerdem besitzen die nativen Idiome der Region
eine unterschiedlich positive bzw. negative Konnotation innerhalb der Bevölkerung, was
natürlich mit geschichtlichen wie auch wirtschaftlichen Faktoren in Zusammenhang gebracht
werden kann. Bedenken wir zum Beispiel den wirtschaftlichen Nutzen des italienischen und
deutschen Idioms gegenüber dem friaulischen und slowenischen wird die Zustimmung oder
Ablehnung der Bevölkerung weitaus klarer. Grundsätzlich sollte trotzdem davon ausgegangen
werden, dass das Erlernen oder der Erhalt von vorhandenen Sprachkenntnissen zu einer
Bereicherung führt und letztendlich die Bevölkerung dazu ermächtigt, eine größere Zahl von
Situationen zu meistern, kreativere Lösungsansätze für Herausforderungen zu liefern und
somit einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeiführen kann (cf. Czernilofsky 2001: 177s.).

Einen entscheidenden Beitrag zur Sozialisation und daher zur Bildung einer sprachlich
kulturellen Identität leisten neben den Familien die Bildungseinrichtungen. Aus diesem Grund
ist die Integration von Minderheitensprachen in mehrsprachigen Gebieten von ungemeiner
Wichtigkeit. Sie tragen zur Stärkung und zum Erhalt der Minderheitensprachen bei. Eine
Repräsentation auf einer schulisch formalen Ebene stärkt die Integration und Akzeptanz der
Minderheitengruppe in die sprachliche und kulturelle lokale Gemeinschaft. Um dieses Ziel zu
erreichen bestehen mehrere Möglichkeiten. Einerseits kann eine Förderung durch freiwilligen
Sprachunterricht erfolgen, was die minimalste Form der schulischen Repräsentation darstellt.
Anderseits können Minderheitensprachen in den Pflichtunterricht aufgenommen werden, um
generell ein größeres Verständnis und eine bessere Einbindung der Minderheitengruppe zu
erreichen (cf. Hönigsperger 2001: 131).

                                                                                            9
3. Die Geschichte und demographische Entwicklung des Kanaltals mit
besonderem Hinblick auf Tarvis

Die Geschichte des Kanaltals somit auch der Gemeinde von Tarvis zeichnet sich durch einen
großen Reichtum an verschiedenen kulturellen, sprachlichen, wirtschaftlichen und politischen
Umschwüngen aus, die dem Gebiet eine besondere Prägung verliehen haben. Im Folgenden
werden die wesentlichen geschichtlichen Ereignisse im Kanaltal von der Frühzeit über die
Bamberger und die Habsburger Herrschaft bis zur jüngsten Geschichte innerhalb Italiens
skizziert.

3.1 Die frühe Geschichte
Das Kanaltal hatte bereits seit der frühen Geschichte eine gewisse Bedeutung inne, da es seit
jeher ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt zwischen dem Adriaraum und Mitteleuropa war. (cf.
VENOSI/GARIUP 1978: 380) Dies erklärt seine Rolle als Durchgangstal für viele Völker. Über
die frühe Besiedlung des Kanaltals gibt es jedoch kaum Informationen. Es wird allerdings
vermutet, dass die Kelten um das 4. Jahrhundert v.Chr. im Tal anzufinden waren (cf.
KANALTALER KULTURVEREIN 1978: 463).

Bis zum 3. Jahrhundert gehörte das Tal zum Municipium Virunum, welches in etwa in dem
Gebiet des heutigen Zollfelds nahe Klagenfurt gelegen war. Mit Ausnahme des Gebiets um
Camporosso war es höchstwahrscheinlich kaum besiedelt. Es ist nämlich davon auszugehen,
dass in der Nähe von Camporosso eine römische Siedlung vorhanden war, da dort Überreste
von römischen Grabstellen aus dem 3. oder 4. Jahrhundert zum Vorschein gekommen sind
(cf. FRANCESCUTTI 1990: 32).

Nach den Kelten und Römern kamen aller Wahrscheinlichkeit nach im frühen Mittelalter
Slawen vom Volk der Vendi im Kanaltal an. Diese wanderten nach dem Eindringen der
Awaren in Karantanien in das Gebiet. Sie haben sich hier vermutlich in erster Linie aufgrund
der Weiden für die Viehhaltung niedergelassen. Es wird ebenfalls angenommen, dass
Camporosso hierbei einen der ersten besiedelten Orte der slawischen Stämme darstellte (cf.
DOMENIG 1991c: 357).

Obwohl sich die ersten Slawen allem Anschein nach zwischen dem 6. und 7. Jahrhundert im
Tal ansiedelten, gibt es bis dato keine Funde bezüglich Überresten von Behausungen oder
Dokumente, welche Siedlungsnamen belegen oder Aufschluss über die Größe der Siedlungen
geben könnten (cf. FRANCESCUTTI 1990: 32s.).

                                                                                          10
Belege, die Informationen über die Größe, Gründung oder den Namen einer Siedlung auf dem
heutigen Gebiet der Stadt Tarvis liefern, bestehen nicht. Die erste dokumentarische
Erwähnung von Tarvis selbst erfolgte erst relativ spät im Jahre 1319 im Zusammenhang mit
dem heutigen Rio Bartolo, welche als "Wasser Tarvis" bezeichnet wurde. Es ist allerdings
davon auszugehen, dass der Ort bereits lange Zeit zuvor existierte (cf. BIANCHETTI 1991:
139).

3.2 Die Herrschaftszeit der Bamberger
Das Bistum Bamberg wurde von Heinrich II. gegründet. Das genaue Gründungsjahr ist nicht
bekannt, die meisten Historiker nehmen es jedoch für 1006, 1007 oder 1014 an. Ursprünglich
hatte Heinrich II. die Grafschaften von Villach und Wolfsberg zusammen mit dem Kanaltal
seiner Ehefrau Kunigunde von Luxemburg geschenkt, doch diese ist bereits kurze Zeit danach
verstorben. Daher entschied er, das Lehngut dem Bistum Bamberg zu übertragen. Dieser
Entschluss wurde von einigen Bischöfen des Heiligen Römischen Reiches heftig kritisiert.
Doch Heinrich II. konnte sich die Unterstützung des Papstes Benedikt VIII. sichern, wodurch
die Entscheidung akzeptiert werden musste. Hinsichtlich der Machtverteilung im Kanaltal
war der Bischof von Bamberg jedoch nur für das Zivilrecht zuständig. Die geistliche
Gerichtsbarkeit blieb hingegen in den Händen des angrenzenden Patriarchats von Aquileia
(cf. FRANCESCUTTI 1990: 14ss.).

Die genaue Grenze zwischen den Territorien der Bamberger und jenen des Patriarchats von
Aquileia waren über einen längeren Zeitraum nicht genau definiert. Erst im Jahre 1279 wurde
diese schließlich festgelegt. Die westliche Grenze wurde hierbei quer durch Pontebba entlang
des Wildflusses Rio Pontebbana gezogen. Die östliche Grenze des Bistums von Bamberg zur
Markgrafschaft Krain verlief hingegen entlang des Rio Bianco im Tal Valromana (cf.
FRANCESCUTTI 1990: 44).

Es ist anzunehmen, dass das Kanaltal zu dieser Zeit noch relativ dünn besiedelt war, da laut
eines Dokuments des Kanonikers Vole der Bischof von Bamberg plante, Arbeiter und Bauern
in der Gegend anzusiedeln, da die ansässige Bevölkerung in zu geringer Zahl für die Nutzung
der Wälder wie auch für die Metall- und Bergbauindustrie vorhanden war. Es existieren
allerdings keine Aufzeichnungen über das genaue Ausmaß oder die Herkunft der Zuwanderer
(cf. FRANCESCUTTI 1990: 34).

Das Vorhaben des Bischofs von Bamberg, neue Siedler in das Gebiet zu locken und seine
regionalen Einnahmen zu erhöhen, war alles andere als problemlos. Das Kanaltal verfügte

                                                                                         11
zwar über viele Wälder, Eisen- und Bleivorkommen, die Arbeit versprachen, doch die
dortigen Lebensbedingungen waren zu jener Zeit miserabel, da die langen Winter sehr kalt
waren und sich das Reisen von einem Dorf zum nächstgelegenen sehr schwierig gestaltete.
Aus diesem Grund sah sich der Bischof gezwungen, der Bevölkerung Zugeständnisse zu
machen, um Anreize für Zuwanderer zu schaffen. Den Kanaltalern wurde beispielsweise von
nun an Holz für die Heizung, für Zäune wie auch andere Zwecke zugestanden. Darüber
hinaus erhielten die Einwohner Weideboden für die Viehhaltung oder auch Gemüsegärten
sowie andere Gebrauchsrechte (FRANCESCUTTI 1990: 57s.).

Ein wichtiges Indiz für größere Siedlungen oder Gemeinschaften im Mittelalter war die
Präsenz von Kirchen. Die erste unter ihnen war die Kirche von S. Egidio in Camporosso,
welche bereits im Jahre 1106 konstruiert wurde. Diese blieb für einige Jahre die einzige
Pfarrkirche des Kanaltals (cf. FRANCESCUTTI 1990: 35).

Das erste Gotteshaus in Tarvis wurde hingegen erst 1399 errichtet. Der Bau der Kapelle
diente vor allem der Abgrenzung gegenüber der Pfarrkirche der slowenischsprachigen
Gemeinschaft in Camporosso. Dies ist besonders interessant, da Tarvis des Weiteren ein
eigener Priester zugesprochen wurde, der die örtliche Sprache beherrschte, und zwar das
Gallicum. Folglich war im 14. Jahrhundert ein friaulisches Idiom höchstwahrscheinlich das
vorherrschende Kommunikationsmittel der Tarviser Bevölkerung (cf. BIANCHETTI 1991:
139s.)

Es gibt keine Informationen über die genaue Einordnung des Idioms, da die Sprachgruppe
unter der Herrschaft der Bamberger und Habsburger durch deutsche Zuwanderer verdrängt
wurde. Nichtsdestotrotz gehörte 1595 etwa noch ein Drittel der Bewohner von Tarvis der
ethnischen Gruppe der Friauler an, wodurch es naheliegend wäre, von einer friaulischen
Varietät auszugehen (cf. FRANCESCUTTI 1990: 36).

Der Niedergang der friaulischen Ethnie in dem Gebiet von Tarvis war eng verbunden mit den
Initiativen der Bamberger, Bewohner germanischer Herkunft in dem Gebiet anzusiedeln. Dies
geschah insbesondere durch den Druck seitens der Habsburger, welche 1420 nach der
Eroberung des Patriarchats von Aquileia durch die Republik Venedig ihre Einflussbereiche
kulturell und ethnisch abgrenzen wollten (cf. FRANCESCUTTI 1990: 36).

Tarvis war in den ersten Jahrhunderten unter der Herrschaft der Bamberger ein kleiner Ort mit
nur wenigen Einwohnern. Wegen seiner geographischen Lage am Schnittpunkt dreier Täler,
die als wichtige Verkehrsrouten Richtung Villach, Pontebba und Krain galten, gewann das

                                                                                          12
Gebiet des heutigen Tarvis zunehmend an Bedeutung. So wurde beispielsweise bereits 1219
ein Markt gegründet, wobei dessen genaue Lage nicht überliefert ist. Es ist zudem davon
auszugehen, dass die Gründung des Marktes mit einem wirtschaftlichen Aufschwung und
verbesserten Lebensbedingungen für die Einwohner einhergegangen ist (cf. FRANCESCUTTI
1990: 37).

Zusätzlich zum Markt erhält Tarvis 1456 die Bewilligung, eine jährliche Messe zu
veranstalten. Demnach wurde die Stadt als wirtschaftliches Zentrum der Region zunehmend
wichtiger. Nach und nach erhielt Tarvis noch andere Funktionen. Es wird unter anderem zu
einem administrativen Zentrum für die Region und Sitz der Waldmeister (cf. BIANCHETTI
1991: 139).

Die Waldmeister waren die stellvertretenden Herrscher der Bamberger in großen Teilen des
Kanaltals und lösten das Bezirksgericht von Villach als zuständige Justizbehörde ab. Die
Macht der Waldmeister als Richter war nichtsdestotrotz eher eingeschränkt. Sie dienten vor
allem als lokale erste Instanz, um die überaus lange Fahrt bei geringfügigen Sachverhalten
zum Bischof von Bamberg zu vermeiden (cf. FRANCESCUTTI 1990: 46).

Ein weiterer Faktor für die positive ökonomische Entwicklung von Tarvis war der Bergbau in
den nahegelegenen Minen von Raibl, heute Cave del Predil. Über die Entstehung der
Minenanlage ist wenig bekannt. Es wird jedoch angenommen, dass der Abbau von Blei und
Zink zumindest im 14. Jahrhundert begann, da 1315 der damalige deutsch-römische König
Friedrich der Schöne von Habsburg einer Bergwerksgenossenschaft erlaubte, Mineralien
südlich von Tarvis abzubauen. Außerdem liegt die Vermutung nahe, dass die Minen bereits
im 14. Jahrhundert eine gewisse Wichtigkeit innehatten, da die Einwohner von Sibidad bzw.
Cividale dem Bischof von Bamberg angeboten hatten, eine Straße über Cave del Predil bis
nach Tarvis zu bauen. Die gewonnen Metalle der Minen von Raibl wurden vor allem in
Kanaltaler Betrieben weiter verarbeitet. Als die Metallindustrie zur Mitte des 15. Jahrhunderts
eine schwere Krise erleiden musste, verlieh der Bischof von Bamberg die Nutzungsrechte der
Minen an die Tarviser Bevölkerung (cf. FRANCESCUTTI 1990: 74s.).

Die Herrschaftszeit der Bamberger war folglich maßgeblich mit einem wirtschaftlichen und
sozialen Wachstum der Region verbunden, mit denen allerdings bedeutende demographische
Veränderungen einhergingen, vor allem durch die Förderung der Immigration von Arbeitern
aus dem deutschsprachigen Raum. Infolge der Zuwanderung sowie der Politik der Bamberger
wurde im 15. Jahrhundert die deutschsprachige Bevölkerung schließlich zwar nicht

                                                                                            13
numerisch, doch wirtschaftlich zur vorherrschenden Schicht im Tarvisiano (cf. BIANCHETTI
1991: 140).

In Hinsicht auf die Lebensbedingungen sei noch zu erwähnen, dass das Kanaltal im
Mittelalter nie Opfer nennenswerter Epidemien, wie der Pest oder Cholera, wurde. Dieser
glückliche Umstand war vermutlich der geographischen Umgebung und der Siedlungsstruktur
zu verdanken. Es bestanden nämlich keine richtigen urbanen Städte, sondern vielmehr
kleinere Siedlungen, die relativ weit voneinander entfernt waren und sich auch durch Wälder
abgrenzten, was eine Art natürliche Isolation von den umliegenden Gebieten darstellte.
Darüber hinaus gab es unter anderem in Tarvis eine Einrichtung für Kranke (cf.
FRANCESCUTTI 1990: 40).

Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Region frei von Konflikten oder Miseren war. 1251
wurde es beispielsweise Opfer einer Auseinandersetzung zwischen dem damaligen Papst
Innozenz IV. und Konrad IV., dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Der Kaiser
wollte nämlich die Macht über die italienische Halbinsel erzwingen. Bei der Durchquerung
des Kanaltals in Richtung des Kirchenstaates hinterließ die Reichsarmee eine Spur der
Verwüstung. Die Soldaten plünderten und töteten unzählige Kanaltaler, die auf der Seite des
Papstes standen. Da Konrad IV. während seines Feldzuges an Malaria starb, blieb der
Bevölkerung zumindest der Heimweg der Truppen erspart (FRANCESCUTTI 1990: 67).

Eine andere schwerwiegende Notlage im Tal ereignete sich im späten 15. Jahrhundert. Der
letzte byzantinische Kaiser war bei der Verteidigung von Konstantinopel gestorben und das
Byzantinische Reich fiel den Expansionsbestrebungen der Osmanen zum Opfer. Die
Osmanen gründeten infolge ihr eigenes Reich und versuchten stetig, den Einflussbereich, vor
allem in nördlicher Richtung, zu vergrößern. Der erste Vorstoß ins Kanaltal erfolgte im Jahre
1478, als ein Heer von dreißigtausend osmanischen Männern das Tal auf dem Weg nach
Villach durchquerte. Bis 1499 drangen die Osmanen noch mehrere Male bis in die Region
vor. Die Grausamkeit und Gnadenlosigkeit der Armee gipfelte 1492, als die Osmanen das
Kanaltal im Blut versinken ließen. Angeblich wurden hierbei die Frauen vergewaltigt und
dann getötet, die Mädchen in Stücke gerissen, die Häuser geplündert und in Flammen gesetzt.
Nach den 20 Jahren der wiederkehrenden Angriffe der Osmanen waren von Tarvis und
anderen Siedlungen nur noch Ruinen übrig (FRANCESCUTTI 1990: 68).

Neben den Osmanen drangen ebenso die Venezianer mehrmals in das Kanaltal ein. Bei ihrem
ersten Angriff 1354 drangen sie bis Bomborghetto bzw. ins heutige Malborghetto vor,

                                                                                          14
welches sie zerstörten und in Brand setzten. Es wird angenommen, dass die Attacke auf
Handelsstreitigkeiten zurückzuführen war. Nachdem das Friaul und andere Teile Norditaliens
in die Republik Venedig eingegliedert wurden, erfolgte im Kanaltal ein zweiter Überfall
seitens der Venezianer im Jahre 1455. Die Kärntner Truppen schafften es in diesem Fall, die
Eindringlinge zu unterwerfen und in Gefangenschaft zu nehmen. Die Häftlinge konnten
hierbei allerdings für ein hohes Lösegeld freigekauft werden. 1616, also über 150 Jahre nach
dem letzten Feldzug, wurden die Kanaltaler erneut Opfer der Venezianer. Diese Invasion
geschah aufgrund eines Konflikts zwischen der Löwenrepublik und den Habsburgern. Den
venezianischen Truppen gelang der Vormarsch bis nach Tarvis. Für die Bewohner war dieser
Angriff der verheerendste wegen des Ausmaßes der angerichteten Schäden und der
Plünderungen. Es wurden nämlich große Mengen an Holz, Metallen und Waren wie auch
zahlreiche Nutztiere gestohlen (FRANCESCUTTI 1990: 69s.).

Über die Bedrohungen oder Angriffe fremder Eroberer hinaus kam es ebenso zu inneren
Konflikten. Eine wesentliche Auseinandersetzung zwischen der ansässigen Bevölkerung und
dem Bistum von Bamberg stellte die Ausbreitung der protestantischen Lehre im Kanaltal des
späten 16. Jahrhunderts dar. Die Lehre war scheinbar über einen protestantischen Prediger
nach Tarvis gekommen und breitete sich von dort langsam im restlichen Kanaltal aus. Als
Reaktion auf die steigende Anzahl von Protestanten stellte der Bischof von Bamberg 1598
den Kanaltalern ein Ultimatum, und zwar sollten sie innerhalb eines Monats der Häresie
absagen und zum wahren katholischen Glauben zurückkehren. Bei Nichterfüllung würde eine
militärische Intervention mit Unterstützung der Reichsarmee erfolgen. Am Ende des Monats
bekannte sich die Bevölkerung wieder zum katholischen Glauben und erfüllten somit die
Forderung des Bischofs (cf. FRANCESCUTTI 1990: 53).

Weißenfels bzw. Fusine in Valromana, welches gegenwärtig eine Fraktion der Gemeinde
Tarvis ist, war während der Herrschaftszeit der Bischöfe von Bamberg nicht im Besitz des
Bistums. Es gehörte nämlich bis zum Ende des 12. Jahrhunderts zur slawischen
Markgrafschaft Krain. In weiter Folge kam Fusine in den Einflussbereich des Herzogs Lepold
VI. von Österreich. Der Ort ist heute vor allem für seine Stahlwerke bekannt, welche im
Mittelalter neben den vielen anderen metallverarbeitenden Betrieben im Kanaltal das Licht
der Welt erblickten. Allem Anschein nach wurden die Schmiedearbeiten erstmals im Jahre
1404 aufgenommen. Doch im Unterschied zu den anderen Schmieden oder Fabriken, welche
verschiedenen politischen und ökonomischen Krisen zum Opfer fielen, zeichneten sich die
Weißenfelser Werke durch ein beständiges Wachstum aus. In den Jahrzehnten nach der

                                                                                         15
Gründung des Schmiedebetriebes wurden in Fusine in Valromana auch eine Kapelle und ein
eigenes Bezirksgericht geschaffen (cf. FRANCESCUTTI 1990: 79ss.).

3.3 Die Herrschaft der Habsburger
Im ausgehenden Mittelalter versuchten die Habsburger hartnäckig, ihre Besitze und ihren
Einflussbereich zu vergrößern. Das Bistum Bamberg blieb hierbei lange Zeit verschont,
wurde aber 1538 erstmals Opfer der Expansionspolitik des Hauses Österreich. Genauer
gesagt, trat der Bamberger Bischof in einer Übereinkunft einige Ländereien in Kärnten an die
Adelsfamilie ab (cf. FRANCESCUTTI 1990: 85).

Im darauffolgenden Jahrhundert begann die graduelle Übernahme des Kanaltals. 1675 wurde
der amtierende Bischof Peter Philipp von Dernbach von Leopold I. aus dem Hause Habsburg
davon überzeugt, im Tausch gegen eine entgeltliche Entschädigung auf die weltliche Macht
im Kanaltal zu verzichten (cf. ibid.).

Leopold I. wurde kurze Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg zum Kaiser des Heiligen
Römischen Reiches, welches durch die vielen Kriege zwischen den verschiednen Staaten des
Reiches immer wieder infrage gestellt wurde. Daher konzentrierte er sich in erster Linie um
die Absicherung und Ausweitung seiner Macht und Besitztümer. Das Bistum Bamberg war
wiederum nach den jahrelangen Konflikten sehr geschwächt und die tatsächliche Macht des
Bischofs war angesichts der mächtigen Habsburger relativ begrenzt, wodurch mögliche
Widerstände keinen Erfolg versprochen hätten (cf. FRANCESCUTTI 1990: 85s.).

Die endgültige Übernahme des Tals durch das Haus Österreich wurde erst etwa 100 Jahre
später vollzogen. Das Kanaltal und andere Ländereien in Kärnten waren seit jeher Gebiete,
die für die Bamberger nur sehr umständlich zu verwalten waren, insbesondere durch die
geographische Entfernung zum Bistum und natürlich später auch durch die Einflussnahme der
Habsburger, welche die Administration zunehmend erschwerte. Aus diesen Gründen
entschied der damalige Bischof Adam Friedrich von Seinsheim 1759 die Besitztümer des
Bistums von Bamberg in der Region für eine Million Gulden an Maria Theresia von
Österreich zu verkaufen. Durch den Verkauf konnte der Bischof zumindest noch eine
Vergütung für die entlegenen Ländereien erreichen. Da die Habsburger danach strebten, ihr
Geschlecht zu stärken, um sich den Kaisertitel im Heiligen Römischen Reich weiterhin zu
sichern, kam ihnen der Handel sehr entgegen (cf. FRANCESCUTTI 1990: 86s.).

Aufgrund der hohen Kosten der von den Habsburgern geführten Kriege, wurde der Lastbetrag
nicht sofort beglichen, wodurch natürlich alljährliche Zinsen entstanden. Durch die vielen

                                                                                         16
kriegerischen Auseinandersetzungen wurden die vereinbarten Geldraten seitens der
Adelsfamilie nicht eingehalten. Die fehlenden finanziellen Mittel hatten ebenfalls für die
Bewohner des Kanaltals äußerst negative Auswirkungen, so wurden beispielsweise neue
Steuern und Zölle eingeführt wie auch Beschlagnahmungen und die Verstaatlichung der
Minen von Raibl durchgeführt. All diese Faktoren verursachten im Kanaltal eine
schwerwiegende wirtschaftliche Krise, welche zur Verarmung des Gebiets und einer
schrecklichen Hungersnot führte (cf. FRANCESCUTTI 1990: 89).

Über die bereits bestehende Notlage hinaus wurde das Kanaltal durch seine Position als
Brücke zwischen Nord- und Südeuropa ebenfalls Ziel politischer Konflikte. So marschierten
im März 1797 Truppen der jungen Französischen Republik ein und besetzten das Gebiet,
doch wenige Monate später wird das Tal durch den Frieden von Campoformio wieder an die
Habsburger restituiert (cf. CORGIAT-BONDON 1991: 190).

Bereits im Oktober 1809 starteten die französischen Soldaten unter der Führung Napoleons I.
einen erneuten und erfolgreichen Angriff auf das Gebiet. Infolge wurde das Kanaltal an die
Illyrischen Provinzen annektiert und später in das Königreich Italien eingegliedert (cf.
CORGIAT-BONDON 1991: 190). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache,
dass während der napoleonischen Herrschaft das Italienische die offiziell anerkannte Sprache
der Öffentlichkeit darstellte (cf. DOMENIG 1991c: 358).

Die Herrschaftszeit der Franzosen war ein relativ dunkles Kapitel in der Geschichte des
Kanaltals. Durch die zahlreichen Kämpfe gab es viele Verwundete und Hungerende, die
Dörfer wurden zerstört und die noch vorhandene Wirtschaft erlebte einen gänzlichen
Einbruch. Die französische Dominanz dauerte allerdings nur wenige Jahre an, denn bereits
1813 schafften es die österreichischen Soldaten, in das Lager der napoleonischen Truppen in
Tarvis einzudringen, die Feinde bis nach Pontebba zurückzudrängen und das Kanaltal zu
befreien. Im Zuge des Wiener Kongresses wurde das Gebiet 1815 offiziell wieder Teil des
Österreichischen   Kaiserreichs   und   in   das   Herzogtum   Kärnten    eingegliedert   (cf.
FRANCESCUTTI 1990: 95s.)

Die kurzweilige französische Okkupation des Kanaltals hatte kaum Einfluss auf die kulturelle
Landschaft des Gebietes. Als das Tal schließlich wieder in den Besitz des Hauses Habsburg
zurückkehrte, wurde auch die Staatsgrenze entlang des Flusses Rio Pontebbana
wiederhergestellt. In kurzer Zeit wurde jegliche Spur der französischen Besetzung ausgelöscht

                                                                                           17
und es wurden verschiedene Maßnahmen beschlossen, um die germanische Prägung des
Gebiets zu verstärken (cf. BARBINA 1991: 125s.).

Nichtsdestotrotz hinterließ die Vorherrschaft Frankreichs zur Jahrhundertwende ihre Spuren
in den Staaten Europas. Da das Heilige Römische Reich unter Einflussnahme Napoleons die
Unterstützung einer zunehmenden Zahl an Reichsstaaten verlor, entschied Franz II. von
Habsburg-Lothringen 1806, die Kaiserkrone abzulegen, womit das Sacrum Imperium
Romanum praktisch aufgelöst wurde. Um dennoch die Macht seines Hauses in Europa zu
sichern, begründete er in demselben Zeitraum das Kaiserreich Österreich und bestieg als
Franz I. den Thron. In den darauffolgenden Jahrzehnten reformierte der neue Kaiser sein
Reich grundlegend. Es erfolgten eine Reihe von wirtschaftlichen, militärischen und
juristischen Reformen sowie die Abschaffung des Feudalismus zugunsten des Privatbesitzes
und die Einführung der Pressefreiheit (cf. FRANCESCUTTI 1990: 96s).

Da der Kauf des Kanaltals nur politische Gründe hatte, jedoch wirtschaftlich ein überaus
schlechter Handel war, entschieden die Habsburger das Gebiet für einen Bruchteil des
ursprünglichen Kaufpreises an Privatpersonen zu verkaufen. In den darauffolgenden
Jahrzehnten gelangte der Besitz von einer Person zur nächsten: 1778 wurde es den
Habsburgern von Graf Orsini von Rosenberg für weniger als 60.000 Gulden abgekauft. 1807
verkaufte dieser das Kanaltal an Antonio Carlo Stoll von Stahlberg, der es seinen vier
Kindern vererbte, die ihre Besitze innerhalb der Familie weitervererbten und einander
verkauften, bis schließlich der Sohn Anton Karl das gesamte Gebiet besaß. Dieser wiederum
verkaufte das Kanaltal an dem schlesischen Grafen von Renard durch eine List für über
300.000 Gulden. Der schlesische Graf, der letzten Endes die Täuschung aufdecken konnte,
schaffte es durch einen Betrug, das Tal für 1,3 Millionen Gulden an den Grafen von Esterházy
de Galántha zu verkaufen. Als dieser seinen finanziellen Pflichten nicht mehr nachkommen
konnte, wurde der Besitz 1858 durch eine Auktion am Gericht von Klagenfurt versteigert und
vom bayrischen Grafen Arco von Zinneberg erstanden. Die Besitztümer des Grafen wurden
allerdings bereits 1886 an den Kärntner Religionsfonds abgetreten (cf. FRANCESCUTTI 1990:
98-101).

In Hinsicht auf die Servitutsrechte, die im Kanaltal bereits Jahrhunderte zuvor von den
Bamberger Herrschern eingeführt wurden, kam es erst 1843 zu deren ersten offiziellen
Anerkennung seitens des österreichischen Kaiserreiches durch eine provisorische Verfügung
durch das Bezirksamt in Villach. Dieses sicherte den Bewohnern Weideflächen für das Vieh

                                                                                         18
und Holz für verschiedenste Verwendungszwecke zu sowie Kalk, Sand und andere Gesteine
etc. (cf. FRANCESCUTTI 1990: 102).

Eine endgültige Definition der einzelnen Punkte der Nutzungsrechte und eine Lösung aller in
deren Zusammenhang stehenden Probleme erfolgten erst unter der Herrschaft Franz Josephs I.
im Jahre 1853. Nach dem Tod Franz I. wurde sein Sohn Ferdinand als sein Nachfolger
gekrönt. Nach dem Tod des Vaters kam es in mehreren Teilen des Kaiserreiches zu
revolutionären Bewegungen, die sich auf ganz Europa ausbreiteten. Das österreichische
Kaiserreich umfasste eine Vielzahl von ethnisch unterschiedlichen Völkern, die immer mehr
nach Autonomie strebten. Als Reaktion auf diese Problematiken machte Ferdinand I. der
Bevölkerung mehrere Zugeständnisse und bereinigte die letzten Überreste aus der Zeit des
Feudalismus. Da Ferdinand I. sein Amt eher als Last betrachtete und er die vorhandenen
Probleme im Kaiserreich nicht zu lösen vermochte, überreichte er 1848 die Kaiserkrone an
seinen Neffen Franz Joseph. Mit dessen Thronbesteigung erlebte das Kanaltal nach fast
hundert Jahren der Armut, der Hungersnot und des wirtschaftlichen Ruins die ersten Impulse
aus Wien für einen wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung (cf. FRANCESCUTTI 1990:
104ss.)

Am 5. Juli 1853 wurde ein Patent, d.h. ein kaiserliches Gesetz erlassen, welches dem Zweck
diente, das Gewirr an unzähligen Regelungen und Gesetze bezüglich der Servitutsrechte im
Staat zu lösen. Das neue Gesetz zeichnete sich durch eine präzise Beschreibung der einzelnen
Nutzungsrechte aus, der zuständigen Kommissionen zur Durchführung des Gesetzes wie auch
die Vorgehensweise in allen möglichen Sachlagen. Die Verwirklichung des Patents erfolgte
hierbei mit allerhöchster bürokratischer Präzision. Zu diesem Zweck wurden spezielle
Kommissionen eingerichtet und für jedes einzelne Nutzungsrecht eine außerordentlich genaue
jährliche Menge berechnet. Für die Festlegung der Menge an Holz wurde die Lebensdauer
von Zäunen, Dächern, Hütten, Dachrinnen usw. bestimmt sowie das notwendige Holz zum
Kochen errechnet. Außerdem wurden die Häuser der Rechteinhaber vermessen und die
Räume gezählt, um die Menge an Brennholz für die Wintermonate zu determinieren. In
Hinsicht auf die Weiderechte der Bedarf an Gras für Rinder, Schafe und Ziegen wie auch die
jährliche Zahl an Weidetagen ermittelt. Die Kommissionen führten genaue Aufzeichnungen
über die verfügbaren Parzellen für Nutzung in jeder Gemeinde, über die jeweilige Anzahl an
Häusern mit Vermerk des Vulgonamens wie auch die zustehenden Mengen an Holz, Kalk,
Sand, Streu u.v.m. Alleine für das Kanaltal wurden von den Behörden in den Aufzeichnungen
über 40.000 Nutzungsrechtsvermerke auf diese Art und Weise gesammelt. Darüber hinaus

                                                                                         19
wurden im Zuge der Grundstücksfestlegungen Grenzstreitigkeiten zwischen Bewohnern und
der jeweiligen Region beseitigt (cf. FRANCESCUTTI 1990: 107-111).

Mit den Resolutionen des 27. Februars und 2. März 1872 wurden die kirchlichen Besitztümer
im Reich abgeschafft und Religionsfonds zu deren Verwaltung eingerichtet. In Bezug auf das
Kanaltal wurden dabei viele Waldgrundstücke auf den Religionsfonds übertragen. Neben der
bereits beschriebenen Servitutsrechte der Bevölkerung musste auch Holz für die
Instandhaltung der Kirchen, Klöstern und anderen kirchlichen Gebäuden bereitgestellt
werden. Während der restlichen Zeit, in der das Kanaltal teil des Hauses Österreich war,
wurden keine Änderungen hinsichtlich der Nutzungsrechtslage oder der Verwaltung
durchgeführt (cf. FRANCESCUTTI 1990: 15s.).

Von fundamentaler Bedeutung für die wirtschaftliche Zukunft der Gemeinde Tarvis war das
Aufkommen der Eisenbahn, welche die Zone zu einem Drehkreuz im österreichischen
Herrschaftsgebiet machen sollte. Die Planungen einer Eisenbahn durch Tarvis begannen zur
Mitte des 19. Jahrhunderts seitens der Habsburger. Das Unternehmen, welches mit den
Planungen und dem Bau der Eisenbahn in Kärnten, Tirol und Krain beauftragt wurde, war
hierbei die Kronprinz Rudolf-Bahn. Die Errichtung der ersten Eisenbahnlinie in Tarvis war
im Herbst 1870 vollbracht. Sie erstreckte sich von Tarvis über Fusine in Valromana und
Jesenice bis nach Ljubljana. Die Linie Villach-Arnoldstein-Tarvis wurde bereits wenige Jahre
später im Dezember 1873 eingeweiht. Diese stellte eine Verlängerung der beiden
Eisenbahnlinien Leoben-Villach und Friesach-Villach dar. (cf. BORTOTTO 1991: 157-161).

Die Bahnstrecke von Tarvis nach Pontebba, die an die italienische Linie nach Udine
anschließen sollte, verzögerte sich im Bau, da sie wirtschaftlich für die österreichisch-
ungarische Monarchie eher sekundär war. Da das Projekt allerdings in Zusammenarbeit mit
dem Königreich Italien erfolgte und der Bau auf der italienischen Seite schnell voranschritt,
übte die Kronprinz Rudolf-Bahn Druck auf die Regierung aus, welche daraufhin den
Startschuss für die Konstruktion im Kanaltal erteilte. Nach nur drei Jahren Bauzeit wurde
1879 die neue Linie fertiggestellt. Der Vorschlag, noch eine weitere Linie von Tarvis aus über
den Passo del Predil nach Gorizia und weiter nach Triest zu errichten, wurde wegen der
immensen Kosten bedingt durch das Gelände auf Eis gelegt. Gleichwohl wurde Tarvis durch
die betriebenen Linien zu einem bedeutenden Verkehrsknotenpunkt und Drehkreuz zwischen
Italien, Ljubljana und dem restlichen Habsburger Kaiserreich. Ab 1906 verlor die Linie
Tarvis-Jesenice an Stellenwert, da eine neue Verbindung zwischen Villach und Jesenice, die

                                                                                           20
Sie können auch lesen