Sprachidentität im Kontext von Mehrsprachigkeit - unipub
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Karl-Franzens-Universität Graz Institut für Romanistik Sommersemester 2021 DIPLOMARBEIT Sprachidentität im Kontext von Mehrsprachigkeit anhand des Beispiels der Gemeinde von Tarvisio (UD) Betreuerin: Univ.-Prof. Dr. Sabine Heinemann Verfasser: Alexander Sternad
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung .............................................................................................................................. 1 2. Identität und Mehrsprachigkeit .......................................................................................... 3 3. Die Geschichte und demographische Entwicklung des Kanaltals mit besonderem Hinblick auf Tarvis ................................................................................................................ 10 3.1 Die frühe Geschichte ................................................................................................ 10 3.2 Die Herrschaftszeit der Bamberger........................................................................... 11 3.3 Die Herrschaft der Habsburger ................................................................................. 16 3.4 Das Kanaltal wird Teil des Italienischen Königreichs.............................................. 21 3.4.1 Der Zweite Weltkrieg und das Hitler-Mussolini-Abkommen ...................... 25 3.5 Die Republik Italien .................................................................................................. 28 3.5.1 Die derzeitige Situation der Minderheitensprachen ..................................... 31 4. Die Auswertung der erhobenen Daten ............................................................................. 35 4.1 Das Prestige und die gesellschaftliche Stellung der Idiome ..................................... 36 4.2 Die Kenntnisse der Minderheitensprachen ............................................................... 37 4.3 Die Wahrnehmung der Minderheitensprachen ......................................................... 42 4.4 Sprachgebrauch im familiären Kontext .................................................................... 58 4.5 Sprachgebrauch am Arbeitsplatz .............................................................................. 65 4.6 Sprache und Medien ................................................................................................. 67 5. Zusammenfassung .............................................................................................................. 73 Bibliographie........................................................................................................................... 77
1. Einleitung Das Kanaltal hat eine besondere Stellung innerhalb von Europa. Es ist nicht nur ein Gebiet von Mehrsprachigkeit, sondern es treffen die drei großen Sprachfamilien aufeinander: die Romania, die Slavia und die Germania (FRAU 2013: 123). Diese einzigartige Situation ist tief in der Geschichte des Kanaltales verankert. Es war vielen verschiedenen kulturellen, sprachlichen, wirtschaftlichen und politischen Umschwüngen ausgesetzt, die dem Gebiet seine besondere Prägung verliehen haben. Diese reichen von Einflüssen der Römer, slawischen Siedlern über die Herrschaft der Bamberger und Habsburger bis hin zur Integration in den italienischen Staat. Diese Arbeit wird der Frage der sprachlichen Identität der Bewohner der Gemeinde von Tarvis nachgehen, inwiefern sich die geschichtlichen Ereignisse auf die Identität der Bevölkerung und die sprachliche Landschaft ausgewirkt haben und wie sich die derzeitige Situation der Sprachen gestaltet. Wenn mehrere Idiome nebeneinander existieren, kommt es in den allermeisten Fällen zu Spannungen sowie zur Unterdrückung von gering wertgeschätzten Idiomen, was wiederum zu existenziellen Problemen für eine Sprachgruppe führen kann. Zur Analyse der sprachlichen Identität und der Stellung der Minderheitensprachen wird zuerst der Begriff der Identität bzw. der Sprachidentität behandelt, um diese einzugrenzen und ihre Bedeutung für die Analyse von Minderheitengruppen aufzuzeigen. Zudem werden Faktoren aufgezeigt, welche zur Bildung oder zur Veränderung von Identität führen, um diese in späterer Folge in der Untersuchung der Tarviser Minderheiten aufzuzeigen. Um die Identität der Bevölkerung zu verstehen, ist es von großer Wichtigkeit, die geschichtlichen Hintergründe und die damit einhergehenden sprachlichen, kulturellen und politischen Einflüsse zu beleuchten. Aus diesem Grund wird im darauffolgenden Kapitel die geschichtliche und demographische Entwicklung des Gebietes abgebildet, wobei besonders auf sprachliche Entwicklungen, demographische Verschiebungen und andere Faktoren eingegangen wird, die zur Bildung der derzeitigen Situation, der Identität der Bevölkerung und der Stellung der einzelnen Idiome beigetragen haben. Außerdem wird auf die gegenwärtige Stellung der Sprachen im öffentlichen Leben, in der Schule und andere Kontexte eingegangen, um ein besseres Verständnis für das Bewusstsein, 1
die Wertungen und die Einstellungen der Bevölkerung gegenüber der einzelnen Sprachgruppen zu erlangen. Ein wesentlicher Teil dieser Arbeit wird überdies die Aufzeichnung und Analyse des sprachlichen Alltags der Bevölkerung sein, ihre sprachlichen Kenntnisse sowie ihre Einstellungen zu den verschiedenen Idiomen. Zu diesem Zweck wird eine Umfrage in schriftlicher Form durchgeführt, die es erlaubt objektiv die Situation und die Zukunftsaussichten der Minderheitengruppen zu analysieren. Hierbei werden zuerst Fragen zum Prestige der einzelnen im Kanaltal präsenten Sprachen gestellt, um dann auf jedes einzelne Idiom genauer einzugehen. Die Teilnehmer werden mit verschiedenen Aussagen über diese konfrontiert und müssen ihrer persönlichen Einschätzung Ausdruck verleihen. Da es nur wenige Informationen über die Größe der Minderheiten- gruppen gibt und ebenso kaum Daten zu Sprecherzahlen vorliegen, werden die sprachlichen Kompetenzen der Befragten berücksichtigt und dokumentiert. Ein weiterer Teil der Umfrage beschäftigt sich mit dem Sprachgebrauch in verschiedenen Kontexten mit einem besonderen Augenmerk auf die sprachliche Entwicklung seit der Kindheit, um mögliche Rückschlüsse auf sprachliche Tendenzen innerhalb der Bevölkerung zu führen und Zukunftsaussichten einzuschätzen. 2
2. Identität und Mehrsprachigkeit Der Begriff Identität ist komplex und vielseitig interpretierbar. Er kann im heutigen Sprachgebrauch unterschiedliche Bedeutungen annehmen. Zu den wesentlichen zählen laut LoZingarelli (2013: Lemma "identità") unter anderem "uguaglianza" oder "corrispondenza assoluta". Identität bezogen auf ein menschliches Individuum wird als "insieme di caratteristiche che rendono qlcu. quello che è, distinguendolo da tutti gli altri" definiert. Des Weiteren kann der Terminus ebenso das "insieme delle caratteristiche fondamentali di una collettività" ausdrücken, wie in dem Beispiel "identità storica e culturale di una nazione". Die Psychologie deutet den Begriff als "consapevolezza di sé in quanto individuo stabile nel tempo e differenziato dagli altri". Das Wörterbuch bildet trotz zahlreicher Definitionen nur einen groben Bruchteil der Komplexität des Begriffs ab. Nicht zu vergessen seien natürlich auch die einzelnen Komponenten, die eine Identität ausmachen, bilden oder beeinflussen. Die Begriffe Identität und Identifikation sind eng miteinander verbunden. Die Identität beruht auf einer Vielzahl von Identifikationen und bezieht sich sowohl auf ein einzelnes Individuum sowie auf größere Gruppen. Die Identitätsbildung ist eng mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten und dem Umfeld verbunden. Der Begriff der Identität kann nicht als unveränderliches Merkmal verstanden werden, sondern unterliegt einem lebenslangen Veränderungsprozess. Die Identität wird wesentlich von der persönlichen Geschichte aber auch von einem Bündel aus kulturellen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Mustern geprägt (cf. Vavti 2009: 19s.). Neben der Sprache als offensichtlichstes Merkmal zur Identifikation mit einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe wird ebenso Traditionen, Gebräuchen und anderen Merkmalen einer ethnischen Gruppe eine gewisse Rolle zuteil (cf. Vavti 2009: 22). Es sei auch darauf hinzuweisen, dass Personen oder Bevölkerungsgruppen sich keiner festen Identität zuschreiben lassen wollen, da man von einer stetigen Entwicklung und einer Vielseitigkeit der Identität oder Identitäten ausgehen kann. Grundsätzlich besteht nichtsdestotrotz das menschliche Bedürfnis von Anerkennung durch andere, was für das Identitätsgefühl von fundamentaler Wichtigkeit ist (cf. Vavti 2009: 23). In Bezug auf das Kanaltal geht Vavti (2009:27s.) von Mischidentitäten insbesondere bei der jungen Bevölkerung aus, wobei sich die Bevölkerung und die Sprachminderheiten weitgehend dem italienischen Umfeld angepasst haben und die sprachlich ethnische Herkunft oftmals nur symbolischen Charakter besitzt. Aus dieser Situation resultiert, dass sich viele 3
Bewohner des Gebietes in gewisser Weise zu mehreren Gruppen zugehörig fühlen, aber dies nur mit Vorbehalten. Zudem führt sie diese Mischidentität auf die geringe Präsenz der autochthonen Sprachen im öffentlichen Leben wieder. Für die Linguistik selbst ist in erster Linie der Begriff Sprachidentität relevant, welcher in zweierlei Hinsicht Verwendung findet. Einerseits bezeichnet er die Identität einer einzelnen Sprache, die sich von anderen abgrenzt, wie beispielsweise das Italienische vom Deutschen oder Französischen. Andererseits kann sich der Terminus ebenso auf die sprachliche Identität einer Person oder Gruppe beziehen, was wiederum die Frage aufwirft, inwiefern Sprache die Identität eines Individuum oder einer Gruppe bzw. deren Bildung beeinflusst. In der Außenperspektive auf einzelne Personen, Minderheiten etc. dient die Sprache nämlich oftmals als grundlegendes Merkmal für die Gruppenzugehörigkeit oder stereotype Kategorisierungen, bei denen Sprechern eines Idioms typische Charaktereigenschaften zugesprochen werden (cf. Thim-Mabrey 2003: 1s.). Sprache stellt ein fundamentales Merkmal für das eigene Verständnis dar. Dies bezieht sich sowohl auf das Individuum selbst wie auch auf eine ethnische, regionale oder soziale Gruppe. Für die Sprecher ist es wesentlich, auf sprachlicher Ebene repräsentiert zu sein, um ihrer Identität und Existenz Anerkennung zu verleihen (cf. Thim-Mabrey 2003: 5). In Hinsicht auf eine ethnische Gruppe verbindet die Sprache und bildet einen Grundstein für die Identifizierung der Mitglieder mit dieser. Sie grenzt die Sprachgruppe zu anderen ab und stabilisiert sie auf diese Weise (cf. Thim-Mabrey 2003: 8). Die Sprache ist ein fundamentales Symbol für die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, wobei sie nicht notwendigerweise das einzige oder wichtigste Merkmal zur Identifikation sein muss. In mehrsprachigen Gebieten dient sie häufig als augenscheinlichster Ausdruck für die Selbstpräsentation. Hierbei ist auch relevant, wie die Sprachen zueinander stehen, d.h. ob sie miteinander in Konkurrenz treten und ob die Mehrsprachigkeit für die Sprachgruppe oder das Individuum freiwillig ist oder unfreiwillig herbeigeführt wird, um das Überleben in der Gesellschaft zu sichern Die Mehrsprachigkeit kann nämlich als identitätsstiftend oder aber auch als identitätsbedrohend wahrgenommen werden (cf. Oppenrieder, Thurmair 2003: 42- 49). Von den meisten mehrsprachigen Personen wird ihre Situation im Wechsel zwischen den Sprachen eher als negativ eingestuft. Als positiv wird die Mehrsprachigkeit eingestuft, wenn die anderen Sprache und Kultur nicht als Bedrohung für die erste wahrgenommen wird. In 4
diesem Fall wirkt die Mehrsprachigkeit nicht als Gefahr für die eigene Identität sondern wirkt identitätsstiftend. Dies geschieht beispielsweise beim freiwilligen Erlernen einer Fremdsprache. Sie hat eine positive Wirkung auf die Identität des Individuums (cf. Oppenrieder, Thurmair 2003: 50-53). Alle Menschen sind sich grundsätzlich bewusst eine Sprache zu sprechen und Teil einer gewissen Sprachgemeinschaft zu sein. Die Identifikation mit einer oder mehreren Sprachen oder Dialekten ist eng mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verbunden. Das Bewusstsein einer Sprachgruppe anzugehören, erfolgt oftmals in Abgrenzung zu Sprechern anderer Idiome, wobei sogar minimale dialektale Unterschiede identitätsbildend sein können (cf. Ineichen 1981:155) Mehrsprachigkeit kann sich auf zwei verschiedene Szenarien beziehen. Einerseits beschreibt der Begriff die individuelle Fähigkeit, mehrere Sprachen zu beherrschen und diese in Kontexten zu verwenden, in dem die Muttersprache nicht verstanden wird. Es kann sich jedoch auch auf den Gebrauch mehr als eines Idioms innerhalb einer Gemeinschaft beziehen. In diesem Falle werden mehrere Sprachen regelmäßig nebeneinander verwendet (cf. Gumperz 1989: 33) In Gebieten, in denen unterschiedliche ethnische Gruppen aufeinandertreffen, ist das Zusammenleben meist durch Spannungen, Misstrauen oder auch Abgrenzungen geprägt. Ein harmonisches Miteinander, in denen jede Gruppe denselben Status genießt, ist eher eine Ausnahme. Da in den meisten Fällen eine Gruppe die dominantere ist und ein höheres Prestige besitzt, besteht ein erhöhtes Konfliktpotenzial. Die unterdrückte Gruppe möchte natürlich ihre Interessen, ihr Erbe und Werte beschützen oder gar erkämpfen. Der Ausgang solcher Konflikte kann verschiedenste Formen annehmen, in einem friedlicheren Zusammenleben oder einer kompletten Assimilation aufgehen (cf. Nelde 1989: 51s.). Ein Beispiel für eine Situation, in der zwei ethnische Gruppen aufeinandertreffen, ihre Sprachen allerdings nicht denselben Status besitzen, ist das Englische bzw. Französische in Kanada. Die dominante Sprache, in diesem Falle das Englische, stellt die grundlegende Sprache für die entscheidenden Strukturen dar, wie die Politik, die Verwaltung sowie die Wirtschaft. So müssen sich Angehörige der französischen Sprachgruppe beispielweise anpassen, um gewisse Stellungen erreichen zu können. Für die ethnische Gruppe bedeutet dies, einen niederen Rang akzeptieren zu müssen, sich zu assimilieren oder Widerstand zu leisten. Im Falle des Quebecs war Englisch die unumstrittene Sprache des Handels und der 5
Geschäftswelt, wodurch ein sozialer Aufstieg für die hauptsächlich einsprachige französische Sprachgruppe kaum möglich war. Aus dieser Situation entstanden politische Kräfte, die gegen eine solche Benachteiligung antraten (cf. Nelde 1989: 53s.). Das Prestige einer Sprache ist grundlegend an die von ihr ermöglichten Zukunftsaussichten gebunden, d.h. der Wert einer Sprache wird an ihrer Bedeutung für das soziale Fortkommen und den sozialen Aufstieg gemessen (cf. Dressler 1989: 74). Um die Situation einer sprachlichen Minderheit zu verstehen sind mehrere Faktoren von entscheidender Bedeutung, und zwar die Länge des Kontakts mit einer anderen Sprachgruppe, die Größe der involvierten Sprachgruppen sowie das Prestige, welches den einzelnen Idiomen zugewiesen wird. Eng mit der Sprache sind ebenso die kulturellen Aspekte wie auch die Werte verbunden, die gemeinsam letzten Endes identitätsstiftend sind. Der Sprache kommt hierbei eine grundlegende Bedeutung zu, da sie nicht als neutrales Mittel zur Kommunikation angesehen werden kann, sondern als wesentliches Merkmal der Identität einer Gruppe. Großen Einfluss auf die Identität besitzt die Haltung der Gesellschaft gegenüber einem Idiom und seinen Sprechern (cf. Giacalone Ramat 1989: 79s.) In Gebieten von Minderheitensprachen ist das Verhältnis zwischen den Sprachgruppen meist asymmetrisch, d.h. eine Sprachgruppe nimmt eine dominante Position ein. Die Minderheitensprachen bieten in diesen Fällen nur zu einem geringen Teil den sozialen Aufstieg, wodurch die der Minderheitengruppe angehörigen Familien ihr eigenes Idiom wiederum entwerten, indem sie oftmals der prestigeträchtigeren Sprache größere Bedeutung für ihre Nachkommen zuweisen und dadurch das eigene Idiom vernachlässigen, um den sozialen Aufstieg zu erleichtern (cf. Giacalone Ramat 1989: 80). Eine solche Haltung ist jedoch nicht gleichzustellen mit der totalen Entwertung des Idioms der Minderheitengruppe. Innerhalb der Familie oder für das Individuum selbst ist das Idiom Ausdruck der Identität, des kulturellen und sozialen Erbes. Abhängig von äußeren Faktoren kann die Angehörigkeit zu einer Minderheitengruppe das Selbstbewusstsein der Sprecher stärken oder schwächen. In besonderer Hinsicht in Grenzgebieten, wie beispielsweise jenem zu Österreich, kann die Aufrechterhaltung und Förderung der deutschen Minderheitensprache viele Vorteile mit sich bringen (cf. Giacalone Ramat 1989: 81s.). Nichtsdestotrotz sind die Entwicklungen in den meisten Fällen eher negativ für die Minderheitensprache, da eine langsame Entwicklung der völligen Übernahme der dominanten Sprache stattfinden kann. Diese geschieht, wenn die Sprecher der Minderheitensprache in 6
immer mehr Kontexten die Sprache der Mehrheit verwenden und somit die Anwendungsgebiete der Minderheitensprache immer mehr eingeschränkt werden. Ein solcher Prozess des Sprachwechsels ereignet sich meist über Generationen (cf. Giacalone Ramat 1989: 82). In jedem Falle ist das Bewusstsein für die eigene Sprache und die mit ihr einhergehende Wirkung auf die Identität und Selbstwahrnehmung immer auf äußere Einflüsse gestützt, die sowohl auf das Individuum als auch auf eine Sprechergruppe einwirken können und Spannungen erzeugen. Das Bewusstsein der Sprecher ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht notwendigerweise an die sprachliche Praxis gebunden. Auf längere Sicht beeinflussen diese äußeren Faktoren aber das Sprachverhalten und können in der Aufgabe beispielsweise einer Minderheitensprache enden (cf. Kremnitz 2001: 162s.). Eines der wenigen Beispiele, in denen die Staatssprache scheinbar keinen negativen Einfluss auf die Weitergabe der Minderheitensprache hat, ist Südtirol. Das Deutsche ist in diesem Gebiet nicht bedroht, koexistiert mit dem Italienischen oder bildet sogar die dominante Sprache. Es sei allerdings zu beachten, dass man für Südtirol kaum von Deutsch als Minderheitensprache sprechen kann, da es in der Region selbst die Sprache der Mehrheit ist (cf. Giacalone Ramat 1989: 83). Es gibt viele Faktoren, die das Prestige einer Sprache oder eines Idioms bestimmen und gegenüber eines anderen mehr oder weniger prestigeträchtigen Idioms abgrenzen. Die Dominanz oder niedere Stellung eines Idioms kann auf verschiedene Gründe zurückgeführt werden. Einerseits natürlich sein unmittelbarer Nutzen für den sozialen Aufstieg, andererseits ist der literarische und kulturelle Wert in der Umgebung wesentlich für die Bewertung des Idioms. Dazu zählen auch seine Rolle in der geschriebenen Sprache, wie ausführlich und wie früh eine Sprache formal in Form beispielsweise des Schulunterrichts erlernt werden kann (cf. Weinreich 1974: 121). Die Erkenntnis, das eigene Idiom ist nicht standardisiert und kann daher nicht in formalen Kontexten wie Literatur, Schule, bestimmten Arbeitsplätzen wiedergefunden werden, führt oftmals zur Entwertung des Idioms innerhalb einer Sprechergruppe bis hin zur absoluten Gleichgültigkeit (cf. Weinreich 1974: 128-129). Die Fähigkeit in einer Sprache lesen und schreiben zu können, spielt in diesem Kontext eine wichtige Rolle, da ein Idiom, das ausschließlich zur oralen Kommunikation verwendet wird, dem anderen Idiom automatisch unterstellt ist. So kann es beispielsweise sein, dass Sprecher 7
zwar in frühester Kindheit wesentlich bessere Kenntnisse ihres nativen Idioms besitzen, sich dieses Ungleichgewicht im späteren Verlauf durch die Schule und außerfamiliäre Umgebung zugunsten der sekundären Sprache verschiebt und die Kenntnisse der Muttersprache in verschiedenen Kontexten gar nicht erst gebildet werden (cf. Weinreich 1974: 110s.). So können Sprecher beispielsweise in familiären Umgebungen auf beide Idiome uneingeschränkt zurückgreifen, werden allerdings Bereiche in der Schule nur in der dominanten Sprache bearbeitet, so muss dieser zwangsläufig auf jene Sprache zurückgreifen. In einzelnen Fällen kann es hierbei auch zu Sprachmischungen kommen, um dieses Ungleichgewicht auszugleichen (cf. Weinreich 1974: 119). So wird im Kanaltal der Eintritt in den Kindergarten oder in die Schule als Schlüsselmoment für den Bruch mit den Minderheitensprachen angesehen, da das Italienische im Vordergrund steht. Die Entwicklung zur Verlust der Sprache ist tief in der Geschichte der Region verwurzelt, da die Minderheitensprachen für lange Zeit kaum Anerkennung im Schulsystem gefunden haben. Durch die Verkümmerung der Sprachkenntnisse der Angehörigen der Minderheitengruppen erfolgt zumeist eine geringere Identifizierung mit dem jeweiligen Idiom und der ethnischen Gruppe selbst (cf. Vavti 2009: 93-95). Nicht zu unterschätzen sind ebenso staatliche oder regionale Autonomieregelungen, die eine Sprachgruppe in ihrer Identität stärken oder schwächen können und inwiefern die Bevölkerungsschichten davon profitieren. Ein sehr gutes Beispiel ist in diesem Zusammenhang Südtirol, das sowohl über weitgehende Autonomie verfügt und zusätzlich eine sprachliche Anbindung an das deutschsprachige Österreich wie auch die Förderung der deutschsprachigen Gruppe durch den Nachbarstaat. Die Bevölkerung besitzt durch diese äußeren Rahmenbedingungen ein hohes Bewusstsein für ihre Ethnizität, fühlen sich in ihrem Alltagsleben durch den sprachlichen Unterschied zur italienischen Bevölkerung kaum eingeschränkt, wodurch auch die sprachliche und kulturelle Identität der Südtiroler sich frei entwickeln kann und nicht äußeren Spannungen ausgesetzt ist (cf. Czernilofsky 2001: 176s.). Im Gegensatz dazu ist beispielsweise die Situation der Okzitanen in Frankreich weitgehend negativ. Nach Jahren der sprachlichen Unterdrückung und der Dominanz des übermächtigen Französisch hat die Bevölkerung beinahe jegliche Identifizierung mit dem Idiom verloren. Durch das fehlende sprachliche und kulturelle Bewusstsein des Kollektivs sind die Einführung von förderlichen Maßnahmen kaum erfolgsversprechend (cf. ibid.). 8
In der Region Friaul-Julisch Venetien lässt sich kaum eine einheitliche Aussage treffen, da mehrere Minderheitensprachen nebeneinander bestehen und sich die politischen Regelungen nach Provinz teilweise sehr unterscheiden. Außerdem besitzen die nativen Idiome der Region eine unterschiedlich positive bzw. negative Konnotation innerhalb der Bevölkerung, was natürlich mit geschichtlichen wie auch wirtschaftlichen Faktoren in Zusammenhang gebracht werden kann. Bedenken wir zum Beispiel den wirtschaftlichen Nutzen des italienischen und deutschen Idioms gegenüber dem friaulischen und slowenischen wird die Zustimmung oder Ablehnung der Bevölkerung weitaus klarer. Grundsätzlich sollte trotzdem davon ausgegangen werden, dass das Erlernen oder der Erhalt von vorhandenen Sprachkenntnissen zu einer Bereicherung führt und letztendlich die Bevölkerung dazu ermächtigt, eine größere Zahl von Situationen zu meistern, kreativere Lösungsansätze für Herausforderungen zu liefern und somit einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeiführen kann (cf. Czernilofsky 2001: 177s.). Einen entscheidenden Beitrag zur Sozialisation und daher zur Bildung einer sprachlich kulturellen Identität leisten neben den Familien die Bildungseinrichtungen. Aus diesem Grund ist die Integration von Minderheitensprachen in mehrsprachigen Gebieten von ungemeiner Wichtigkeit. Sie tragen zur Stärkung und zum Erhalt der Minderheitensprachen bei. Eine Repräsentation auf einer schulisch formalen Ebene stärkt die Integration und Akzeptanz der Minderheitengruppe in die sprachliche und kulturelle lokale Gemeinschaft. Um dieses Ziel zu erreichen bestehen mehrere Möglichkeiten. Einerseits kann eine Förderung durch freiwilligen Sprachunterricht erfolgen, was die minimalste Form der schulischen Repräsentation darstellt. Anderseits können Minderheitensprachen in den Pflichtunterricht aufgenommen werden, um generell ein größeres Verständnis und eine bessere Einbindung der Minderheitengruppe zu erreichen (cf. Hönigsperger 2001: 131). 9
3. Die Geschichte und demographische Entwicklung des Kanaltals mit besonderem Hinblick auf Tarvis Die Geschichte des Kanaltals somit auch der Gemeinde von Tarvis zeichnet sich durch einen großen Reichtum an verschiedenen kulturellen, sprachlichen, wirtschaftlichen und politischen Umschwüngen aus, die dem Gebiet eine besondere Prägung verliehen haben. Im Folgenden werden die wesentlichen geschichtlichen Ereignisse im Kanaltal von der Frühzeit über die Bamberger und die Habsburger Herrschaft bis zur jüngsten Geschichte innerhalb Italiens skizziert. 3.1 Die frühe Geschichte Das Kanaltal hatte bereits seit der frühen Geschichte eine gewisse Bedeutung inne, da es seit jeher ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt zwischen dem Adriaraum und Mitteleuropa war. (cf. VENOSI/GARIUP 1978: 380) Dies erklärt seine Rolle als Durchgangstal für viele Völker. Über die frühe Besiedlung des Kanaltals gibt es jedoch kaum Informationen. Es wird allerdings vermutet, dass die Kelten um das 4. Jahrhundert v.Chr. im Tal anzufinden waren (cf. KANALTALER KULTURVEREIN 1978: 463). Bis zum 3. Jahrhundert gehörte das Tal zum Municipium Virunum, welches in etwa in dem Gebiet des heutigen Zollfelds nahe Klagenfurt gelegen war. Mit Ausnahme des Gebiets um Camporosso war es höchstwahrscheinlich kaum besiedelt. Es ist nämlich davon auszugehen, dass in der Nähe von Camporosso eine römische Siedlung vorhanden war, da dort Überreste von römischen Grabstellen aus dem 3. oder 4. Jahrhundert zum Vorschein gekommen sind (cf. FRANCESCUTTI 1990: 32). Nach den Kelten und Römern kamen aller Wahrscheinlichkeit nach im frühen Mittelalter Slawen vom Volk der Vendi im Kanaltal an. Diese wanderten nach dem Eindringen der Awaren in Karantanien in das Gebiet. Sie haben sich hier vermutlich in erster Linie aufgrund der Weiden für die Viehhaltung niedergelassen. Es wird ebenfalls angenommen, dass Camporosso hierbei einen der ersten besiedelten Orte der slawischen Stämme darstellte (cf. DOMENIG 1991c: 357). Obwohl sich die ersten Slawen allem Anschein nach zwischen dem 6. und 7. Jahrhundert im Tal ansiedelten, gibt es bis dato keine Funde bezüglich Überresten von Behausungen oder Dokumente, welche Siedlungsnamen belegen oder Aufschluss über die Größe der Siedlungen geben könnten (cf. FRANCESCUTTI 1990: 32s.). 10
Belege, die Informationen über die Größe, Gründung oder den Namen einer Siedlung auf dem heutigen Gebiet der Stadt Tarvis liefern, bestehen nicht. Die erste dokumentarische Erwähnung von Tarvis selbst erfolgte erst relativ spät im Jahre 1319 im Zusammenhang mit dem heutigen Rio Bartolo, welche als "Wasser Tarvis" bezeichnet wurde. Es ist allerdings davon auszugehen, dass der Ort bereits lange Zeit zuvor existierte (cf. BIANCHETTI 1991: 139). 3.2 Die Herrschaftszeit der Bamberger Das Bistum Bamberg wurde von Heinrich II. gegründet. Das genaue Gründungsjahr ist nicht bekannt, die meisten Historiker nehmen es jedoch für 1006, 1007 oder 1014 an. Ursprünglich hatte Heinrich II. die Grafschaften von Villach und Wolfsberg zusammen mit dem Kanaltal seiner Ehefrau Kunigunde von Luxemburg geschenkt, doch diese ist bereits kurze Zeit danach verstorben. Daher entschied er, das Lehngut dem Bistum Bamberg zu übertragen. Dieser Entschluss wurde von einigen Bischöfen des Heiligen Römischen Reiches heftig kritisiert. Doch Heinrich II. konnte sich die Unterstützung des Papstes Benedikt VIII. sichern, wodurch die Entscheidung akzeptiert werden musste. Hinsichtlich der Machtverteilung im Kanaltal war der Bischof von Bamberg jedoch nur für das Zivilrecht zuständig. Die geistliche Gerichtsbarkeit blieb hingegen in den Händen des angrenzenden Patriarchats von Aquileia (cf. FRANCESCUTTI 1990: 14ss.). Die genaue Grenze zwischen den Territorien der Bamberger und jenen des Patriarchats von Aquileia waren über einen längeren Zeitraum nicht genau definiert. Erst im Jahre 1279 wurde diese schließlich festgelegt. Die westliche Grenze wurde hierbei quer durch Pontebba entlang des Wildflusses Rio Pontebbana gezogen. Die östliche Grenze des Bistums von Bamberg zur Markgrafschaft Krain verlief hingegen entlang des Rio Bianco im Tal Valromana (cf. FRANCESCUTTI 1990: 44). Es ist anzunehmen, dass das Kanaltal zu dieser Zeit noch relativ dünn besiedelt war, da laut eines Dokuments des Kanonikers Vole der Bischof von Bamberg plante, Arbeiter und Bauern in der Gegend anzusiedeln, da die ansässige Bevölkerung in zu geringer Zahl für die Nutzung der Wälder wie auch für die Metall- und Bergbauindustrie vorhanden war. Es existieren allerdings keine Aufzeichnungen über das genaue Ausmaß oder die Herkunft der Zuwanderer (cf. FRANCESCUTTI 1990: 34). Das Vorhaben des Bischofs von Bamberg, neue Siedler in das Gebiet zu locken und seine regionalen Einnahmen zu erhöhen, war alles andere als problemlos. Das Kanaltal verfügte 11
zwar über viele Wälder, Eisen- und Bleivorkommen, die Arbeit versprachen, doch die dortigen Lebensbedingungen waren zu jener Zeit miserabel, da die langen Winter sehr kalt waren und sich das Reisen von einem Dorf zum nächstgelegenen sehr schwierig gestaltete. Aus diesem Grund sah sich der Bischof gezwungen, der Bevölkerung Zugeständnisse zu machen, um Anreize für Zuwanderer zu schaffen. Den Kanaltalern wurde beispielsweise von nun an Holz für die Heizung, für Zäune wie auch andere Zwecke zugestanden. Darüber hinaus erhielten die Einwohner Weideboden für die Viehhaltung oder auch Gemüsegärten sowie andere Gebrauchsrechte (FRANCESCUTTI 1990: 57s.). Ein wichtiges Indiz für größere Siedlungen oder Gemeinschaften im Mittelalter war die Präsenz von Kirchen. Die erste unter ihnen war die Kirche von S. Egidio in Camporosso, welche bereits im Jahre 1106 konstruiert wurde. Diese blieb für einige Jahre die einzige Pfarrkirche des Kanaltals (cf. FRANCESCUTTI 1990: 35). Das erste Gotteshaus in Tarvis wurde hingegen erst 1399 errichtet. Der Bau der Kapelle diente vor allem der Abgrenzung gegenüber der Pfarrkirche der slowenischsprachigen Gemeinschaft in Camporosso. Dies ist besonders interessant, da Tarvis des Weiteren ein eigener Priester zugesprochen wurde, der die örtliche Sprache beherrschte, und zwar das Gallicum. Folglich war im 14. Jahrhundert ein friaulisches Idiom höchstwahrscheinlich das vorherrschende Kommunikationsmittel der Tarviser Bevölkerung (cf. BIANCHETTI 1991: 139s.) Es gibt keine Informationen über die genaue Einordnung des Idioms, da die Sprachgruppe unter der Herrschaft der Bamberger und Habsburger durch deutsche Zuwanderer verdrängt wurde. Nichtsdestotrotz gehörte 1595 etwa noch ein Drittel der Bewohner von Tarvis der ethnischen Gruppe der Friauler an, wodurch es naheliegend wäre, von einer friaulischen Varietät auszugehen (cf. FRANCESCUTTI 1990: 36). Der Niedergang der friaulischen Ethnie in dem Gebiet von Tarvis war eng verbunden mit den Initiativen der Bamberger, Bewohner germanischer Herkunft in dem Gebiet anzusiedeln. Dies geschah insbesondere durch den Druck seitens der Habsburger, welche 1420 nach der Eroberung des Patriarchats von Aquileia durch die Republik Venedig ihre Einflussbereiche kulturell und ethnisch abgrenzen wollten (cf. FRANCESCUTTI 1990: 36). Tarvis war in den ersten Jahrhunderten unter der Herrschaft der Bamberger ein kleiner Ort mit nur wenigen Einwohnern. Wegen seiner geographischen Lage am Schnittpunkt dreier Täler, die als wichtige Verkehrsrouten Richtung Villach, Pontebba und Krain galten, gewann das 12
Gebiet des heutigen Tarvis zunehmend an Bedeutung. So wurde beispielsweise bereits 1219 ein Markt gegründet, wobei dessen genaue Lage nicht überliefert ist. Es ist zudem davon auszugehen, dass die Gründung des Marktes mit einem wirtschaftlichen Aufschwung und verbesserten Lebensbedingungen für die Einwohner einhergegangen ist (cf. FRANCESCUTTI 1990: 37). Zusätzlich zum Markt erhält Tarvis 1456 die Bewilligung, eine jährliche Messe zu veranstalten. Demnach wurde die Stadt als wirtschaftliches Zentrum der Region zunehmend wichtiger. Nach und nach erhielt Tarvis noch andere Funktionen. Es wird unter anderem zu einem administrativen Zentrum für die Region und Sitz der Waldmeister (cf. BIANCHETTI 1991: 139). Die Waldmeister waren die stellvertretenden Herrscher der Bamberger in großen Teilen des Kanaltals und lösten das Bezirksgericht von Villach als zuständige Justizbehörde ab. Die Macht der Waldmeister als Richter war nichtsdestotrotz eher eingeschränkt. Sie dienten vor allem als lokale erste Instanz, um die überaus lange Fahrt bei geringfügigen Sachverhalten zum Bischof von Bamberg zu vermeiden (cf. FRANCESCUTTI 1990: 46). Ein weiterer Faktor für die positive ökonomische Entwicklung von Tarvis war der Bergbau in den nahegelegenen Minen von Raibl, heute Cave del Predil. Über die Entstehung der Minenanlage ist wenig bekannt. Es wird jedoch angenommen, dass der Abbau von Blei und Zink zumindest im 14. Jahrhundert begann, da 1315 der damalige deutsch-römische König Friedrich der Schöne von Habsburg einer Bergwerksgenossenschaft erlaubte, Mineralien südlich von Tarvis abzubauen. Außerdem liegt die Vermutung nahe, dass die Minen bereits im 14. Jahrhundert eine gewisse Wichtigkeit innehatten, da die Einwohner von Sibidad bzw. Cividale dem Bischof von Bamberg angeboten hatten, eine Straße über Cave del Predil bis nach Tarvis zu bauen. Die gewonnen Metalle der Minen von Raibl wurden vor allem in Kanaltaler Betrieben weiter verarbeitet. Als die Metallindustrie zur Mitte des 15. Jahrhunderts eine schwere Krise erleiden musste, verlieh der Bischof von Bamberg die Nutzungsrechte der Minen an die Tarviser Bevölkerung (cf. FRANCESCUTTI 1990: 74s.). Die Herrschaftszeit der Bamberger war folglich maßgeblich mit einem wirtschaftlichen und sozialen Wachstum der Region verbunden, mit denen allerdings bedeutende demographische Veränderungen einhergingen, vor allem durch die Förderung der Immigration von Arbeitern aus dem deutschsprachigen Raum. Infolge der Zuwanderung sowie der Politik der Bamberger wurde im 15. Jahrhundert die deutschsprachige Bevölkerung schließlich zwar nicht 13
numerisch, doch wirtschaftlich zur vorherrschenden Schicht im Tarvisiano (cf. BIANCHETTI 1991: 140). In Hinsicht auf die Lebensbedingungen sei noch zu erwähnen, dass das Kanaltal im Mittelalter nie Opfer nennenswerter Epidemien, wie der Pest oder Cholera, wurde. Dieser glückliche Umstand war vermutlich der geographischen Umgebung und der Siedlungsstruktur zu verdanken. Es bestanden nämlich keine richtigen urbanen Städte, sondern vielmehr kleinere Siedlungen, die relativ weit voneinander entfernt waren und sich auch durch Wälder abgrenzten, was eine Art natürliche Isolation von den umliegenden Gebieten darstellte. Darüber hinaus gab es unter anderem in Tarvis eine Einrichtung für Kranke (cf. FRANCESCUTTI 1990: 40). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Region frei von Konflikten oder Miseren war. 1251 wurde es beispielsweise Opfer einer Auseinandersetzung zwischen dem damaligen Papst Innozenz IV. und Konrad IV., dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Der Kaiser wollte nämlich die Macht über die italienische Halbinsel erzwingen. Bei der Durchquerung des Kanaltals in Richtung des Kirchenstaates hinterließ die Reichsarmee eine Spur der Verwüstung. Die Soldaten plünderten und töteten unzählige Kanaltaler, die auf der Seite des Papstes standen. Da Konrad IV. während seines Feldzuges an Malaria starb, blieb der Bevölkerung zumindest der Heimweg der Truppen erspart (FRANCESCUTTI 1990: 67). Eine andere schwerwiegende Notlage im Tal ereignete sich im späten 15. Jahrhundert. Der letzte byzantinische Kaiser war bei der Verteidigung von Konstantinopel gestorben und das Byzantinische Reich fiel den Expansionsbestrebungen der Osmanen zum Opfer. Die Osmanen gründeten infolge ihr eigenes Reich und versuchten stetig, den Einflussbereich, vor allem in nördlicher Richtung, zu vergrößern. Der erste Vorstoß ins Kanaltal erfolgte im Jahre 1478, als ein Heer von dreißigtausend osmanischen Männern das Tal auf dem Weg nach Villach durchquerte. Bis 1499 drangen die Osmanen noch mehrere Male bis in die Region vor. Die Grausamkeit und Gnadenlosigkeit der Armee gipfelte 1492, als die Osmanen das Kanaltal im Blut versinken ließen. Angeblich wurden hierbei die Frauen vergewaltigt und dann getötet, die Mädchen in Stücke gerissen, die Häuser geplündert und in Flammen gesetzt. Nach den 20 Jahren der wiederkehrenden Angriffe der Osmanen waren von Tarvis und anderen Siedlungen nur noch Ruinen übrig (FRANCESCUTTI 1990: 68). Neben den Osmanen drangen ebenso die Venezianer mehrmals in das Kanaltal ein. Bei ihrem ersten Angriff 1354 drangen sie bis Bomborghetto bzw. ins heutige Malborghetto vor, 14
welches sie zerstörten und in Brand setzten. Es wird angenommen, dass die Attacke auf Handelsstreitigkeiten zurückzuführen war. Nachdem das Friaul und andere Teile Norditaliens in die Republik Venedig eingegliedert wurden, erfolgte im Kanaltal ein zweiter Überfall seitens der Venezianer im Jahre 1455. Die Kärntner Truppen schafften es in diesem Fall, die Eindringlinge zu unterwerfen und in Gefangenschaft zu nehmen. Die Häftlinge konnten hierbei allerdings für ein hohes Lösegeld freigekauft werden. 1616, also über 150 Jahre nach dem letzten Feldzug, wurden die Kanaltaler erneut Opfer der Venezianer. Diese Invasion geschah aufgrund eines Konflikts zwischen der Löwenrepublik und den Habsburgern. Den venezianischen Truppen gelang der Vormarsch bis nach Tarvis. Für die Bewohner war dieser Angriff der verheerendste wegen des Ausmaßes der angerichteten Schäden und der Plünderungen. Es wurden nämlich große Mengen an Holz, Metallen und Waren wie auch zahlreiche Nutztiere gestohlen (FRANCESCUTTI 1990: 69s.). Über die Bedrohungen oder Angriffe fremder Eroberer hinaus kam es ebenso zu inneren Konflikten. Eine wesentliche Auseinandersetzung zwischen der ansässigen Bevölkerung und dem Bistum von Bamberg stellte die Ausbreitung der protestantischen Lehre im Kanaltal des späten 16. Jahrhunderts dar. Die Lehre war scheinbar über einen protestantischen Prediger nach Tarvis gekommen und breitete sich von dort langsam im restlichen Kanaltal aus. Als Reaktion auf die steigende Anzahl von Protestanten stellte der Bischof von Bamberg 1598 den Kanaltalern ein Ultimatum, und zwar sollten sie innerhalb eines Monats der Häresie absagen und zum wahren katholischen Glauben zurückkehren. Bei Nichterfüllung würde eine militärische Intervention mit Unterstützung der Reichsarmee erfolgen. Am Ende des Monats bekannte sich die Bevölkerung wieder zum katholischen Glauben und erfüllten somit die Forderung des Bischofs (cf. FRANCESCUTTI 1990: 53). Weißenfels bzw. Fusine in Valromana, welches gegenwärtig eine Fraktion der Gemeinde Tarvis ist, war während der Herrschaftszeit der Bischöfe von Bamberg nicht im Besitz des Bistums. Es gehörte nämlich bis zum Ende des 12. Jahrhunderts zur slawischen Markgrafschaft Krain. In weiter Folge kam Fusine in den Einflussbereich des Herzogs Lepold VI. von Österreich. Der Ort ist heute vor allem für seine Stahlwerke bekannt, welche im Mittelalter neben den vielen anderen metallverarbeitenden Betrieben im Kanaltal das Licht der Welt erblickten. Allem Anschein nach wurden die Schmiedearbeiten erstmals im Jahre 1404 aufgenommen. Doch im Unterschied zu den anderen Schmieden oder Fabriken, welche verschiedenen politischen und ökonomischen Krisen zum Opfer fielen, zeichneten sich die Weißenfelser Werke durch ein beständiges Wachstum aus. In den Jahrzehnten nach der 15
Gründung des Schmiedebetriebes wurden in Fusine in Valromana auch eine Kapelle und ein eigenes Bezirksgericht geschaffen (cf. FRANCESCUTTI 1990: 79ss.). 3.3 Die Herrschaft der Habsburger Im ausgehenden Mittelalter versuchten die Habsburger hartnäckig, ihre Besitze und ihren Einflussbereich zu vergrößern. Das Bistum Bamberg blieb hierbei lange Zeit verschont, wurde aber 1538 erstmals Opfer der Expansionspolitik des Hauses Österreich. Genauer gesagt, trat der Bamberger Bischof in einer Übereinkunft einige Ländereien in Kärnten an die Adelsfamilie ab (cf. FRANCESCUTTI 1990: 85). Im darauffolgenden Jahrhundert begann die graduelle Übernahme des Kanaltals. 1675 wurde der amtierende Bischof Peter Philipp von Dernbach von Leopold I. aus dem Hause Habsburg davon überzeugt, im Tausch gegen eine entgeltliche Entschädigung auf die weltliche Macht im Kanaltal zu verzichten (cf. ibid.). Leopold I. wurde kurze Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, welches durch die vielen Kriege zwischen den verschiednen Staaten des Reiches immer wieder infrage gestellt wurde. Daher konzentrierte er sich in erster Linie um die Absicherung und Ausweitung seiner Macht und Besitztümer. Das Bistum Bamberg war wiederum nach den jahrelangen Konflikten sehr geschwächt und die tatsächliche Macht des Bischofs war angesichts der mächtigen Habsburger relativ begrenzt, wodurch mögliche Widerstände keinen Erfolg versprochen hätten (cf. FRANCESCUTTI 1990: 85s.). Die endgültige Übernahme des Tals durch das Haus Österreich wurde erst etwa 100 Jahre später vollzogen. Das Kanaltal und andere Ländereien in Kärnten waren seit jeher Gebiete, die für die Bamberger nur sehr umständlich zu verwalten waren, insbesondere durch die geographische Entfernung zum Bistum und natürlich später auch durch die Einflussnahme der Habsburger, welche die Administration zunehmend erschwerte. Aus diesen Gründen entschied der damalige Bischof Adam Friedrich von Seinsheim 1759 die Besitztümer des Bistums von Bamberg in der Region für eine Million Gulden an Maria Theresia von Österreich zu verkaufen. Durch den Verkauf konnte der Bischof zumindest noch eine Vergütung für die entlegenen Ländereien erreichen. Da die Habsburger danach strebten, ihr Geschlecht zu stärken, um sich den Kaisertitel im Heiligen Römischen Reich weiterhin zu sichern, kam ihnen der Handel sehr entgegen (cf. FRANCESCUTTI 1990: 86s.). Aufgrund der hohen Kosten der von den Habsburgern geführten Kriege, wurde der Lastbetrag nicht sofort beglichen, wodurch natürlich alljährliche Zinsen entstanden. Durch die vielen 16
kriegerischen Auseinandersetzungen wurden die vereinbarten Geldraten seitens der Adelsfamilie nicht eingehalten. Die fehlenden finanziellen Mittel hatten ebenfalls für die Bewohner des Kanaltals äußerst negative Auswirkungen, so wurden beispielsweise neue Steuern und Zölle eingeführt wie auch Beschlagnahmungen und die Verstaatlichung der Minen von Raibl durchgeführt. All diese Faktoren verursachten im Kanaltal eine schwerwiegende wirtschaftliche Krise, welche zur Verarmung des Gebiets und einer schrecklichen Hungersnot führte (cf. FRANCESCUTTI 1990: 89). Über die bereits bestehende Notlage hinaus wurde das Kanaltal durch seine Position als Brücke zwischen Nord- und Südeuropa ebenfalls Ziel politischer Konflikte. So marschierten im März 1797 Truppen der jungen Französischen Republik ein und besetzten das Gebiet, doch wenige Monate später wird das Tal durch den Frieden von Campoformio wieder an die Habsburger restituiert (cf. CORGIAT-BONDON 1991: 190). Bereits im Oktober 1809 starteten die französischen Soldaten unter der Führung Napoleons I. einen erneuten und erfolgreichen Angriff auf das Gebiet. Infolge wurde das Kanaltal an die Illyrischen Provinzen annektiert und später in das Königreich Italien eingegliedert (cf. CORGIAT-BONDON 1991: 190). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass während der napoleonischen Herrschaft das Italienische die offiziell anerkannte Sprache der Öffentlichkeit darstellte (cf. DOMENIG 1991c: 358). Die Herrschaftszeit der Franzosen war ein relativ dunkles Kapitel in der Geschichte des Kanaltals. Durch die zahlreichen Kämpfe gab es viele Verwundete und Hungerende, die Dörfer wurden zerstört und die noch vorhandene Wirtschaft erlebte einen gänzlichen Einbruch. Die französische Dominanz dauerte allerdings nur wenige Jahre an, denn bereits 1813 schafften es die österreichischen Soldaten, in das Lager der napoleonischen Truppen in Tarvis einzudringen, die Feinde bis nach Pontebba zurückzudrängen und das Kanaltal zu befreien. Im Zuge des Wiener Kongresses wurde das Gebiet 1815 offiziell wieder Teil des Österreichischen Kaiserreichs und in das Herzogtum Kärnten eingegliedert (cf. FRANCESCUTTI 1990: 95s.) Die kurzweilige französische Okkupation des Kanaltals hatte kaum Einfluss auf die kulturelle Landschaft des Gebietes. Als das Tal schließlich wieder in den Besitz des Hauses Habsburg zurückkehrte, wurde auch die Staatsgrenze entlang des Flusses Rio Pontebbana wiederhergestellt. In kurzer Zeit wurde jegliche Spur der französischen Besetzung ausgelöscht 17
und es wurden verschiedene Maßnahmen beschlossen, um die germanische Prägung des Gebiets zu verstärken (cf. BARBINA 1991: 125s.). Nichtsdestotrotz hinterließ die Vorherrschaft Frankreichs zur Jahrhundertwende ihre Spuren in den Staaten Europas. Da das Heilige Römische Reich unter Einflussnahme Napoleons die Unterstützung einer zunehmenden Zahl an Reichsstaaten verlor, entschied Franz II. von Habsburg-Lothringen 1806, die Kaiserkrone abzulegen, womit das Sacrum Imperium Romanum praktisch aufgelöst wurde. Um dennoch die Macht seines Hauses in Europa zu sichern, begründete er in demselben Zeitraum das Kaiserreich Österreich und bestieg als Franz I. den Thron. In den darauffolgenden Jahrzehnten reformierte der neue Kaiser sein Reich grundlegend. Es erfolgten eine Reihe von wirtschaftlichen, militärischen und juristischen Reformen sowie die Abschaffung des Feudalismus zugunsten des Privatbesitzes und die Einführung der Pressefreiheit (cf. FRANCESCUTTI 1990: 96s). Da der Kauf des Kanaltals nur politische Gründe hatte, jedoch wirtschaftlich ein überaus schlechter Handel war, entschieden die Habsburger das Gebiet für einen Bruchteil des ursprünglichen Kaufpreises an Privatpersonen zu verkaufen. In den darauffolgenden Jahrzehnten gelangte der Besitz von einer Person zur nächsten: 1778 wurde es den Habsburgern von Graf Orsini von Rosenberg für weniger als 60.000 Gulden abgekauft. 1807 verkaufte dieser das Kanaltal an Antonio Carlo Stoll von Stahlberg, der es seinen vier Kindern vererbte, die ihre Besitze innerhalb der Familie weitervererbten und einander verkauften, bis schließlich der Sohn Anton Karl das gesamte Gebiet besaß. Dieser wiederum verkaufte das Kanaltal an dem schlesischen Grafen von Renard durch eine List für über 300.000 Gulden. Der schlesische Graf, der letzten Endes die Täuschung aufdecken konnte, schaffte es durch einen Betrug, das Tal für 1,3 Millionen Gulden an den Grafen von Esterházy de Galántha zu verkaufen. Als dieser seinen finanziellen Pflichten nicht mehr nachkommen konnte, wurde der Besitz 1858 durch eine Auktion am Gericht von Klagenfurt versteigert und vom bayrischen Grafen Arco von Zinneberg erstanden. Die Besitztümer des Grafen wurden allerdings bereits 1886 an den Kärntner Religionsfonds abgetreten (cf. FRANCESCUTTI 1990: 98-101). In Hinsicht auf die Servitutsrechte, die im Kanaltal bereits Jahrhunderte zuvor von den Bamberger Herrschern eingeführt wurden, kam es erst 1843 zu deren ersten offiziellen Anerkennung seitens des österreichischen Kaiserreiches durch eine provisorische Verfügung durch das Bezirksamt in Villach. Dieses sicherte den Bewohnern Weideflächen für das Vieh 18
und Holz für verschiedenste Verwendungszwecke zu sowie Kalk, Sand und andere Gesteine etc. (cf. FRANCESCUTTI 1990: 102). Eine endgültige Definition der einzelnen Punkte der Nutzungsrechte und eine Lösung aller in deren Zusammenhang stehenden Probleme erfolgten erst unter der Herrschaft Franz Josephs I. im Jahre 1853. Nach dem Tod Franz I. wurde sein Sohn Ferdinand als sein Nachfolger gekrönt. Nach dem Tod des Vaters kam es in mehreren Teilen des Kaiserreiches zu revolutionären Bewegungen, die sich auf ganz Europa ausbreiteten. Das österreichische Kaiserreich umfasste eine Vielzahl von ethnisch unterschiedlichen Völkern, die immer mehr nach Autonomie strebten. Als Reaktion auf diese Problematiken machte Ferdinand I. der Bevölkerung mehrere Zugeständnisse und bereinigte die letzten Überreste aus der Zeit des Feudalismus. Da Ferdinand I. sein Amt eher als Last betrachtete und er die vorhandenen Probleme im Kaiserreich nicht zu lösen vermochte, überreichte er 1848 die Kaiserkrone an seinen Neffen Franz Joseph. Mit dessen Thronbesteigung erlebte das Kanaltal nach fast hundert Jahren der Armut, der Hungersnot und des wirtschaftlichen Ruins die ersten Impulse aus Wien für einen wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung (cf. FRANCESCUTTI 1990: 104ss.) Am 5. Juli 1853 wurde ein Patent, d.h. ein kaiserliches Gesetz erlassen, welches dem Zweck diente, das Gewirr an unzähligen Regelungen und Gesetze bezüglich der Servitutsrechte im Staat zu lösen. Das neue Gesetz zeichnete sich durch eine präzise Beschreibung der einzelnen Nutzungsrechte aus, der zuständigen Kommissionen zur Durchführung des Gesetzes wie auch die Vorgehensweise in allen möglichen Sachlagen. Die Verwirklichung des Patents erfolgte hierbei mit allerhöchster bürokratischer Präzision. Zu diesem Zweck wurden spezielle Kommissionen eingerichtet und für jedes einzelne Nutzungsrecht eine außerordentlich genaue jährliche Menge berechnet. Für die Festlegung der Menge an Holz wurde die Lebensdauer von Zäunen, Dächern, Hütten, Dachrinnen usw. bestimmt sowie das notwendige Holz zum Kochen errechnet. Außerdem wurden die Häuser der Rechteinhaber vermessen und die Räume gezählt, um die Menge an Brennholz für die Wintermonate zu determinieren. In Hinsicht auf die Weiderechte der Bedarf an Gras für Rinder, Schafe und Ziegen wie auch die jährliche Zahl an Weidetagen ermittelt. Die Kommissionen führten genaue Aufzeichnungen über die verfügbaren Parzellen für Nutzung in jeder Gemeinde, über die jeweilige Anzahl an Häusern mit Vermerk des Vulgonamens wie auch die zustehenden Mengen an Holz, Kalk, Sand, Streu u.v.m. Alleine für das Kanaltal wurden von den Behörden in den Aufzeichnungen über 40.000 Nutzungsrechtsvermerke auf diese Art und Weise gesammelt. Darüber hinaus 19
wurden im Zuge der Grundstücksfestlegungen Grenzstreitigkeiten zwischen Bewohnern und der jeweiligen Region beseitigt (cf. FRANCESCUTTI 1990: 107-111). Mit den Resolutionen des 27. Februars und 2. März 1872 wurden die kirchlichen Besitztümer im Reich abgeschafft und Religionsfonds zu deren Verwaltung eingerichtet. In Bezug auf das Kanaltal wurden dabei viele Waldgrundstücke auf den Religionsfonds übertragen. Neben der bereits beschriebenen Servitutsrechte der Bevölkerung musste auch Holz für die Instandhaltung der Kirchen, Klöstern und anderen kirchlichen Gebäuden bereitgestellt werden. Während der restlichen Zeit, in der das Kanaltal teil des Hauses Österreich war, wurden keine Änderungen hinsichtlich der Nutzungsrechtslage oder der Verwaltung durchgeführt (cf. FRANCESCUTTI 1990: 15s.). Von fundamentaler Bedeutung für die wirtschaftliche Zukunft der Gemeinde Tarvis war das Aufkommen der Eisenbahn, welche die Zone zu einem Drehkreuz im österreichischen Herrschaftsgebiet machen sollte. Die Planungen einer Eisenbahn durch Tarvis begannen zur Mitte des 19. Jahrhunderts seitens der Habsburger. Das Unternehmen, welches mit den Planungen und dem Bau der Eisenbahn in Kärnten, Tirol und Krain beauftragt wurde, war hierbei die Kronprinz Rudolf-Bahn. Die Errichtung der ersten Eisenbahnlinie in Tarvis war im Herbst 1870 vollbracht. Sie erstreckte sich von Tarvis über Fusine in Valromana und Jesenice bis nach Ljubljana. Die Linie Villach-Arnoldstein-Tarvis wurde bereits wenige Jahre später im Dezember 1873 eingeweiht. Diese stellte eine Verlängerung der beiden Eisenbahnlinien Leoben-Villach und Friesach-Villach dar. (cf. BORTOTTO 1991: 157-161). Die Bahnstrecke von Tarvis nach Pontebba, die an die italienische Linie nach Udine anschließen sollte, verzögerte sich im Bau, da sie wirtschaftlich für die österreichisch- ungarische Monarchie eher sekundär war. Da das Projekt allerdings in Zusammenarbeit mit dem Königreich Italien erfolgte und der Bau auf der italienischen Seite schnell voranschritt, übte die Kronprinz Rudolf-Bahn Druck auf die Regierung aus, welche daraufhin den Startschuss für die Konstruktion im Kanaltal erteilte. Nach nur drei Jahren Bauzeit wurde 1879 die neue Linie fertiggestellt. Der Vorschlag, noch eine weitere Linie von Tarvis aus über den Passo del Predil nach Gorizia und weiter nach Triest zu errichten, wurde wegen der immensen Kosten bedingt durch das Gelände auf Eis gelegt. Gleichwohl wurde Tarvis durch die betriebenen Linien zu einem bedeutenden Verkehrsknotenpunkt und Drehkreuz zwischen Italien, Ljubljana und dem restlichen Habsburger Kaiserreich. Ab 1906 verlor die Linie Tarvis-Jesenice an Stellenwert, da eine neue Verbindung zwischen Villach und Jesenice, die 20
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