Soziale Exklusion und Gesundheit von MigrantInnen in Österreich
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IOM International Organization for Migration IOM Internationale Organisation für Migration European network for co-operation and exchanges on social exclusion and health issues for migrants - Austria, France, Greece, Portugal, Spain National Report Austria Soziale Exklusion und Gesundheit von MigrantInnen in Österreich für Frauengesundheitsforschung Wien, Mai 2003 1
TeilnehmerInnen des Netzwerkes in Österreich IOM Vienna / International Organization for Migration Dr. Erika Laubacher-Kubat, Projektkoordination Österreich Martin Kunze, Projektassistenz Aids Hilfe Wien Mag. Frank Amort Amt der Oberösterreichischen Landesregierung Mag. Josefine Straubinger Amt der Steiermärkischen Landesregierung Günther Bauer Amt der Vorarlberger Landesregierung Monika Lindermayer Bundesministerium für Gesundheit und Frauen Mag. Herta Rack Büro der Wiener Frauengesundheitsbeauftragten / Fonds Soziales Wien tit.a.o. Univ.-Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger Frauengesundheitszentrum F.E.M. Süd Mag. Hilde Wolf Mag. Serpil Özsoy Kaiser-Franz-Josef Spital Dir. Dr. Margit Endler Ludwig Boltzmann Institut für Frauengesundheitsforschung Dr. Erika Baldaszti, Verfasserin des National Report Ludwig Boltzmann Institut für kardiologische Geschlechterforschung Univ.-Prof. Dr. Margarethe Hochleitner, Verfasserin Kapitel 3.2.3 Frauengesundheitsbüro des Landes Tirol Dr. Angelika Bader, Verfasserin Kapitel 3.2.3 Magistrat der Stadt Wien (Beobachterin) Dr. Elisabeth Mezulianik Verein "Miteinander Lernen" - Birlikte Ögrenelim Judith Hanser Aslihan Karabiber-Ertugrul 2
Diese Publikation wurde ermöglicht durch die finanziellen Mittel der Europäischen Kommission, insbesondere durch das Programm des transnationalen Austausches Phase I der Europäischen Kommission (DG Employment and Social Affairs). Ferner wurde das Projekt durch die finanzielle Unterstützung des französischen Sozial – , Arbeits- und Solidaritätsministeriums und des französischen Ministeriums für Gesundheit, Familie und Behinderte Menschen ermöglicht. Die in dieser Publikation ausgesprochenen Meinungen reflektieren die Meinung der AutorInnen. Die Europäische Kommission ist nicht verantwortlich für die hiermit gemachten Aussagen und deren weitere Verwendungen. 3
INHALTVERSZEICHNIS 1 AUSGANGSLAGE .......................................................................................................................................... 5 1.1 PRÄAMBEL: AKTIVITÄTEN DES EUROPARATES ZUR BEKÄMPFUNG VON ARMUT UND SOZIALER EXKLUSION ............ 5 1.1.1 Erarbeitung nationaler Aktionspläne – der Österreichische Bericht (Mai 2001)............................... 5 1.1.2 Gemeinsamer Bericht der Europäischen Kommission zur sozialen Eingliederung (Oktober 2001). 6 1.1.3 Erarbeitung gemeinsamer Indikatoren für Armut und soziale Ausgrenzung .................................... 8 1.2 METHODIK ............................................................................................................................................... 10 1.3 GESUNDHEIT - SOZIALE EXKLUSION - ARMUT: DEFINITIONEN, KONZEPTE, KATEGORIEN .................................. 10 1.3.1 WHO Definitionen: Gesundheit - Gesundheitsförderung ............................................................... 10 1.3.2 Gesundheitsförderung im 21. Jahrhundert: Gesundheit für alle .................................................... 11 1.3.3 Soziale Exklusion - soziale Eingliederung ..................................................................................... 13 1.3.4 Armutsgefährdung und akute Armut .............................................................................................. 14 1.4 MIGRATION: AUSGANGSLAGE UND DEFINITIONEN ......................................................................................... 16 1.4.1 Internationale Perspektive ............................................................................................................. 16 1.4.2 Definitionen.................................................................................................................................... 17 1.5 HERKUNFT, AUSMAß UND POLITISCHE RAHMENBEDINGUNGEN DER MIGRATION IN ÖSTERREICH ........................ 18 1.5.1 Historischer Exkurs: Zuwanderung nach Österreich...................................................................... 18 1.5.2 Zahlen und Fakten: Migration in Österreich................................................................................... 19 1.5.3 Asyl- und Fremdenstatistik des BMI .............................................................................................. 21 1.5.4 "Illegale" Migration = Anhaltungen an der Grenze, Schlepper ....................................................... 23 1.6 RECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN VON MIGRANTINNEN UND FLÜCHTLINGEN IN ÖSTERREICH ........................ 23 1.6.1 Allgemeines Aufenthaltsrecht ab 1997 .......................................................................................... 25 1.6.2 Asylgesetz 1997 ............................................................................................................................ 26 2 SOZIALE LAGE VON MIGRANTINNEN IN ÖSTERREICH.......................................................................... 27 2.1.1 Der Zusammenhang von Armut und Gesundheit .......................................................................... 27 2.1.2 Soziodemographische Merkmale von MigrantInnen in Österreich................................................. 28 3 ZUGANG VON MIGRANTINNEN ZUM GESUNDHEITSSYSTEM ............................................................... 30 3.1 GRUNDSÄTZLICHES ZUR GESUNDHEITSVERSORGUNG VON MIGRANTINNEN ..................................................... 30 3.1.1 In Österreich relevante Subgruppen von MigrantInnen ................................................................. 30 3.1.2 Regelungen zum Zugang von MigrantInnen zur Gesundheitsversorgung ..................................... 30 3.2 STAND DER FORSCHUNG ZUR GESUNDHEITLICHEN SITUATION VON MIGRANTINNEN IN ÖSTERREICH .................. 32 3.2.1 Gesundheitszustand, Gesundheitsverhalten, Vorsorge und Migration: Mikrozensus 1999/3 ........ 32 3.2.2 Gesundheitszustand und Migration in Wien: Mikrozensus 1991 ................................................... 33 3.2.3 Herz-Kreislauferkrankungen .......................................................................................................... 34 3.2.4 Säuglingssterblichkeit .................................................................................................................... 36 3.2.5 HIV/AIDS und Migration................................................................................................................. 37 3.2.6 Tuberkulose bei MigrantInnen in Wien .......................................................................................... 39 3.2.7 Frauengesundheit und Migration ................................................................................................... 39 3.2.8 Altern und Migration....................................................................................................................... 39 3.2.9 Weitere sensible Gesundheitsthemen im Zusammenhang mit Migration ...................................... 40 3.3 GESUNDHEITSVERSORGUNG IN ÖSTERREICH: ZUGANG UND EXKLUSION BESTIMMTER SOZIALER GRUPPEN ........ 41 3.3.1 Soziale Schicht und Inanspruchnahme von Gesundheitseinrichtungen ........................................ 41 3.3.2 Gesundheitsversorgung von MigrantInnen: Mikrozensuserhebung 1999/3 ................................... 41 3.3.3 Mangelndes Angebot an "Community Interpretern" in Gesundheit- und Sozialeinrichtungen ....... 42 3.3.4 Fehlende flächendeckende psychosoziale Versorgung von MigratnInnen .................................... 42 3.3.5 Unzufriedenheit von Migrantinnen mit der gynäkologischen Versorgung ...................................... 43 3.3.6 Barrieren für MigrantInnen im Zugang zu sozialen Diensten und Altersversorgung ...................... 44 4 EMPFEHLUNGEN ........................................................................................................................................ 44 4.1 BEST PRACTICE MODELLE ......................................................................................................................... 44 4.1.1 Interkulturelle Öffnung und Diversity Management im Gesundheitssystem................................... 44 4.1.2 Geschlechtersensible Betrachtungsweise der gesundheitlichen Lage von MigrantInnen.............. 45 4.1.3 Bedeutung der psychosozialen Versorgung von MigrantInnen...................................................... 46 4.2 ERGEBNIS DER DISKUSSION DER TEILNEHMERINNEN DES NETZWERKS........................................................... 46 5 AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE ZUM THEMA MIGRATION UND GESUNDHEIT........................................... 48 6 ABBILDUNGSVERZEICHNIS....................................................................................................................... 52 7 LINKS (AUSWAHL) ...................................................................................................................................... 53 4
1 Ausgangslage 1.1 Präambel: Aktivitäten des Europarates zur Bekämpfung von Armut und sozialer Exklusion1 Das im Jahr 2000 gestartete aktuelle Aktionsprogramm der Europäischen Kommission, Abteilung für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, zur Bekämpfung von Armut und sozialer Exklusion ist bereits das vierte "Armutsprogramm" der EU seit Mitte der siebziger Jahre (ISG 2003): • Im 1. Armutsprogramm (1975 - 1980) wurde eine Arbeitsdefinition von "Armut" zum Zweck transnationaler Vergleiche erarbeitet. In einzelnen nationalen Berichten wurde anhand dessen eine Bestandsaufnahme von Armutsquoten und Strategien zur Armutsbekämpfung vorgenommen. • Das 2. Armutsprogramm (1984 - 1988) konzentrierte sich auf die Analyse von Maßnahmen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten auf lokaler Ebene für bestimmte Zielgruppen implementiert wurden. • Das 3. Armutsprogramm (1989 - 1994) führte einerseits diese Arbeit auf lokaler Ebene in Form von 44 Einzelprojekten weiter, trug andererseits aber auch zur Bündelung von Strategien von Armut und Armutsbekämpfung auf europäischer Ebene bei. In diesem Zusammenhang trat der mehrdimensionale Charakter von Armut in den Vordergrund, was in einer Erweiterung des Armutsbegriffs in Richtung auf "soziale Exklusion" zum Ausdruck kam. 1.1.1 Erarbeitung nationaler Aktionspläne – der Österreichische Bericht (Mai 2001) Der Europäische Rat in Nizza hat im Dezember 2000 die Erarbeitung von nationalen Aktionsplänen (NAP) gegen Armut und soziale Ausgrenzung beschlossen. Der Aktionsplan ist unter der Federführung des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen unter Einbeziehung der Bundesministerien, Bundesländer, Sozialpartner, des Städte- und Gemeindebund, von NGOs und WissenschafterInnen erarbeitet worden und wurde im Mai 2001 vom Ministerrat verabschiedet (BMSG 2001). In der einleitenden Bestandsaufnahme des NAP Österreich wird darauf hingewiesen, dass die Armutsgefährdungs-Quote in Österreich um ein Viertel unter jener des EU- Durchschnitts liegt (BMSG 2001: 2 ff.). Armutsgefährdung wird nach EUROSTAT-Kriterien auf der Einkommensebene gemessen und liegt dann vor, wenn Personen ein (gewichtetes) Pro-Kopf-Haushaltseinkommen unter dem Schwellenwert von 60 Prozent des Medians des nationalen Pro-Kopf-Einkommens haben (= 8.721 Euro Jahreseinkommen). Demnach waren in Österreich im Jahr 1997 900.000 Personen armutsgefährdet, das sind 11 Prozent der österreichischen Bevölkerung. Davon sind 340.000 Personen neben knapper finanzieller Ressourcen von weiteren Einschränkungen grundlegender Lebensbedürfnisse betroffen. Im NAP werden für Österreich 12 Ziele bei der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung festgeschrieben (BMSG 2001: 4 ff.): 1. Reduktion der Anzahl der Personen ohne bzw. mit nur einem Pflichtschulabschluss 2. Anhebung der Mindestlöhne, -gehälter 1 http://europa.eu.int/comm/employment_social/soc-prot/soc-incl/ 5
3. Schaffung von Arbeitsplätzen, Abbau von Arbeitslosigkeit, v.a. Langzeitarbeitslosigkeit (NAP für Beschäftigung) 4. Kinderbetreuungsgeld und bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf 5. Stärkung des Aktivierungscharakters der Sozialleistungen und deren Verknüpfung mit Maßnahmen zur Verbesserung der Erwerbsfähigkeit 6. Zusätzliche Mittel für beschäftigungspolitische und begleitende Maßnahmen für Behinderte 7. Ermöglichung des Zugangs zum Arbeitsmarkt für alle arbeitswilligen AusländerInnen, die sich legal und langjährig in Österreich aufhalten und Erleichterung des Zugangs zu Sozialwohnungen 8. Entwicklung eines Konzepts für die eigenständige Alterssicherung von Frauen 9. Programme für Personen mit einem kumulierten Armutsrisiko 10. Verbesserung des Zugangs zu Gesundheitseinrichtungen, leistbaren Wohnungen, Kommunikationsdiensten und Justiz als wesentliche Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe 11. Erleichterung des Zugangs zu Leistungsangeboten durch höhere Transparenz, bessere Vernetzung, stärke Ausrichtung der Sozialsysteme auf ein ganzheitliches, bürgerfreundliches Service und der forcierte Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologien 12. Eine Optimierung der Leistungsangebote setzt eine Mitwirkung aller Leistungsanbieter, gesellschaftlicher Interessensgruppen und der Kunden bei der Programmerstellung, Durchführung und Evaluation voraus. Bisherige Partizipationsansätze, u.a. im Bereich der gesamtstaatlichen Politik, der Sozialversicherung, des Arbeitsmarktservice, der Länder und Gemeinden werden weiter ausgebaut. Für die Umsetzung, Evaluierung und Vorbereitung des nächsten NAP wird ein Beirat unter Vorsitz des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen eingerichtet, in dem alle relevanten Akteure vertreten sein werden (VertreterInnen von Ministerien, Ländern, Gemeinden, Städten, Arbeitsmarktservice, Sozialversicherungsträgern, Statistik Österreich, Sozialpartnerorganisationen, anderen Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaft). Als Akteure im Österreichischen NAP-Beirat werden konkret genannt (BMSG 2001: 34): • Sozialpartner (Interessensvertretungen der ArbeitnehmerInnen, ArbeitgeberInnen, Landwirtschaft) • Seniorenrat (wichtigste Seniorenverbände - seit 2000 gesetzlich zur Vertretung, Förderung und Wahrung der Interessen der österreichischen SeniorInnen berufen) • Dachverband der Behindertenorganisationen • Bundesjugendvertretung (bestehend aus den größten Jugendorganisationen; agiert laut Bundes-Jugendvertretungsgesetz 2001) • Sozialversicherung: Vertreter der Versicherten, die in direkten Wahlen im Rahmen der Kammerwahlen ermittelt werden sollen 1.1.2 Gemeinsamer Bericht der Europäischen Kommission zur sozialen Eingliederung (Oktober 2001) Bereits im Vertrag von Amsterdam, der 1999 in Kraft trat, wurde die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung als eines der Ziele der EU-Sozialpolitik deklariert (Artikel 136 und 137). 6
Auf dem Lissabonner Gipfel im Jahr 2000 wurde vereinbart, die Beseitigung der Armut bis 2010 entscheidend voranzubringen. Auch wurde vereinbart, dass die Zusammenarbeit in diesem Bereich auf dem "offenen Koordinierungsverfahren" (gemeinsame Ziele, nationale Aktionspläne, gemeinsamer Bericht von Kommission/Rat) basieren sollte. Auf dem Gipfel in Göteborg 2001 wurden die Beitrittsländer ermutigt, die Erfahrungen der Mitgliedstaaten, die im gemeinsamen Bericht dargelegt sind, zu nutzen. Mit dem „Gemeinsamen Bericht über die soziale Eingliederung“ vom Oktober 2001 unternahm die Europäische Kommission für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten einen ersten Schritt zu einer Europäischen Armutsstrategie. Die Zusammenarbeit wird durch das neue, mit einem Haushalt von 75 Millionen Euro ausgestattete Fünfjahresprogramm zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung gefördert, das am 18. September 2001 zwischen Europäischem Rat, Parlament und Kommission vereinbart wurde. Der Bericht basiert auf den von den 15 Mitgliedsstaaten erstellten "nationalen Aktionsplänen" zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, die 2001 erstmals erstellt wurden und alle zwei Jahre aktualisiert werden sollen. Alle Mitgliedstaaten haben in ihren Strategien die vier gemeinsamen Ziele berücksichtigen, die vom Europäischen Rat in Nizza im Dezember 2000 vereinbart wurden: 1. Erleichterung des Zugangs aller zu Ressourcen, Rechten, Gütern und Dienstleistungen (Förderung der Teilnahme aller am Erwerbsleben, Zugang zu langfristiger und sicherer Beschäftigung, Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit, Lebensbegleitendes Lernen, Zugang zu angemessenem Wohnraum, medizinischen Versorgungseinrichtungen sowie Leistungen und Maßnahmen in den Bereichen Kultur, Sport, Freizeit und andere öffentliche und private Dienste 2. Vermeidung der Risiken der Ausgrenzung (Zugang zu neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, im speziellen für behinderte Menschen, Maßnahmen zum Erhalt des Familienzusammenhalts) 3. Maßnahmen zugunsten der sozial am stärksten gefährdeten Personen (Förderung der Integration von Frauen und Männern mit besonderen Schwierigkeiten, Vermeidung von sozialer Ausgrenzung von Kindern) 4. Mobilisierung aller Akteure (Mitsprache der sozial ausgegrenzten Menschen und Einbeziehung bei allen Maßnahmen, Förderung des sozialen Dialogs und der Partnerschaft zwischen allen beteiligten öffentlichen und privaten Stellen) Der Bericht geht davon aus, dass mehr als 60 Millionen Menschen, das sind 18 Prozent der EU-Bevölkerung von Armut bedroht sind, etwa die Hälfte davon ist von anhaltender Armut betroffen. Bei Kindern und Jugendlichen, älteren Menschen, Arbeitslosen und Einelternfamilien ist das Armutsrisiko besonders hoch. Hinsichtlich der relativen Armutsquote - der Menschen mit einem Einkommen von weniger als 60 Prozent des mittleren nationalen Einkommens - bestehen zwischen den Mitgliedstaaten beträchtliche Unterschiede, die Werte reichen von 8 Prozent in Dänemark bis hin zu 23 Prozent in Portugal. Der Bericht bestimmt eine Reihe von Risikofaktoren, die das Armutsrisiko erhöhen: • Langzeitarbeitslosigkeit • langfristige Abhängigkeit von niedrigen Einkünften, von unqualifizierter Beschäftigung • geringe Qualifikation und Schulabbruch • Aufwachsen von Kindern in sozial schwachen Familien • Behinderung • schlechter Gesundheitszustand • Drogenmissbrauch und Alkoholismus 7
• Leben in mehrfach benachteiligten Gebieten • Wohnungslosigkeit und unzureichende Wohnverhältnisse • Einwanderung • ethnischer Hintergrund • Gefahr von Rassismus und Diskriminierung. Der Bericht warnt vor „neuen Risiken“: einige der umfassenden strukturellen Veränderungen, die sich in der Gesellschaft vollziehen und die zwar für die meisten Menschen positiv sind, zu neuen Risiken von Armut und sozialer Ausgrenzung für besonders gefährdete Gruppen führen könnten, wenn nicht geeignete politische Antworten gefunden werden: • Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt infolge der Globalisierung und des sehr raschen Wachstums der wissensbasierten Gesellschaft und der Informations- und Kommunikationstechnologien • demographische Veränderungen, da die Lebenserwartung der Bevölkerung steigt und die Geburten zurückgehen • eine Tendenz zu wachsender ethnischer, kultureller und religiöser Vielfalt infolge einer stärkeren internationalen Migration und Mobilität innerhalb der Union • Veränderungen bei den Haushaltsstrukturen mit zunehmenden Familientrennungen und der Tendenz zu einer Deinstitutionalisierung der Familie • die neue Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen. Die acht größten Herausforderungen Der Bericht bestimmt acht große Herausforderungen, die von den meisten Mitgliedstaaten in größerem oder geringerem Umfang angenommen werden. Dies sind: 1. Schaffung eines integrativen Arbeitsmarkts und Förderung der Beschäftigung als Recht und Möglichkeit für alle Bürger 2. ausreichendes Einkommen und ausreichende Ressourcen für einen angemessenen Lebensstandard 3. Beseitigung von Benachteiligungen auf der Ebene der Bildung 4. Erhalt der Solidarität innerhalb der Familien und Schutz der Rechte von Kindern 5. gute Wohnmöglichkeiten für alle 6. gleicher Zugang zu und Investition in hochwertige öffentliche Dienste (Gesundheit, Verkehr, Sozialwesen, Pflege, Kultur, Freizeiteinrichtungen, Rechtsdienste) 7. Verbesserung von Dienstleistungen 8. Sanierung von mehrfach benachteiligten Gebieten 1.1.3 Erarbeitung gemeinsamer Indikatoren für Armut und soziale Ausgrenzung Der Europäische Rat von Nizza legte angemessene Ziele für die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung fest und forderte die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, sich um die Entwicklung einiger gemeinsamer Indikatoren zu bemühen. Eine gemeinsame Basis von Sozialindikatoren ist wesentlich, damit in diesem komplexen Bereich Fortschritte gemessen werden können. Die Arbeit, die von der Untergruppe "Indikatoren" des Ausschusses für Sozialschutz durchgeführt wird, baut auf dem Satz von Sozialindikatoren auf, die in dem Bericht der Kommission an den Europäischen Rat von Stockholm verwendet wurden, und konzentriert sich besonders auf: 8
• die Festlegung des Begriffs der relativen Einkommensarmut, um einen Satz gemeinsamer Indikatoren zu erstellen, der die zentralen Aspekte der monetären Armut, beispielsweise Stand, Fortdauer, Intensität und Veränderungen im Zeitverlauf, sowie die wichtigsten Untergliederungen nach Geschlecht, Alter, Haushaltsart und Beruf abdeckt; • den mehrdimensionalen Aspekt der Armut, um die einkommensbasierte Messung durch Schlüsselindikatoren in den Bereichen Beschäftigung, Wohnungswesen, Gesundheit und Bildung zu vervollständigen - Bereichen, denen die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Aktionsplänen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung besondere Aufmerksamkeit gewidmet haben. Es wurde bereits Einigung über 10 Primärindikatoren - die durch 8 Sekundärindikatoren spezifiziert werden – erzielt: • Fünf Indikatoren detaillieren Aspekte des Niedrigeinkommens (Quote, Verteilung, Dauer, Median, regionale Unterschiede) • Zwei Indikatoren betreffen die Arbeitslosigkeit (Langzeitarbeitslosenquote, Arbeitslosenhaushalte) • Zwei Indikatoren betreffen die Gesundheit (Lebenserwartung bei der Geburt, eigene Gesundheitswahrnehmung) Die Kommission hat die Arbeit der Untergruppe "Indikatoren" aktiv unterstützt und in ihrem Entwurf des Berichts über die soziale Eingliederung die Indikatoren genutzt. Es ist vorgesehen, weitere wichtige Interessengruppen im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung (Sozialpartner, Vertreter der Bürgergesellschaft) in die Debatte über Indikatoren der sozialen Eingliederung einzubeziehen. Der Ausschuss für Sozialschutz regte in seinem Bericht von Oktober 2001 folgende weitere Arbeiten zu den Indikatoren für Armut und soziale Ausgrenzung an: • Erarbeitung zusätzlicher gemeinsamer Indikatoren für soziale Ausgrenzung (Lebensbedingungen, soziale Beteiligung, wiederkehrende und gelegentliche Armut, Zugang zu wesentlichen öffentlichen und privaten Dienstleistungen, gebietsbezogene Fragen und Indikatoren auf lokaler Ebene, Armut am Arbeitsplatz, Verschuldung, Abhängigkeit von Sozialleistungen, Familienbeihilfen) • Prüfung der Frage, wie weit die Geschlechterdimension von Armut und sozialer Ausgrenzung besser erfasst und gemessen werden kann • Verbesserung der Vergleichbarkeit von Informationen über angemessene Wohnung, Wohnkosten und Obdachlosigkeit • Erarbeitung von Indikatoren über Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeit und den Zugang zur Bildung • Im Bereich der Gesundheit Prüfung von Möglichkeiten zur Messung der Lebenserwartung, der vorzeitigen Mortalität nach sozioökonomischem Status (wie die Taskforce „Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen“ – EU-SILC vorschlägt), des Zugangs zur Gesundheitsfürsorge 9
1.2 Methodik Eine breite Palette von Informationsquellen kam für den vorliegenden Bericht zum Einsatz: • Informationen der TeilnehmerInnen des Netzwerkes zu Institutionen, Projekten, ..., die in mehreren Netzwerktreffen und im schriftlichen Austausch gesammelt wurden • Unterschiedliche schriftliche Datenquellen (offizielle Statistiken, sozialwissenschaftliche Studien, epidemiologische Studien, ...) • bereits bestehende Berichte zur sozialen Exklusion (Materialien der Europäischen Kommission, des Österreichischen Bundesministeriums für Gesundheit) • bereits bestehende Berichte zur gesundheitlichen Situation von Migrantinnen (Kapitel 8 "Gesundheit und medizinische Versorgung" des Österreichischer Migrations- und Integrationsbericht - erscheint im Sommer 2003, 5. Deutscher MigrantInnenbericht der Bundesbeauftragten für Ausländerangelegenheit, Bericht des Wiener Integrationsfonds, ...) • Internet-Recherchen 1.3 Gesundheit - soziale Exklusion - Armut: Definitionen, Konzepte, Kategorien 1.3.1 WHO Definitionen: Gesundheit - Gesundheitsförderung In der Präambel der Konstitution der Weltgesundheitsorganisation (1948) wurde eine Definition von Gesundheit festgelegt, welche die internationale Gesundheitspolitik der darauf folgenden Jahrzehnte maßgeblich geprägt hat und wohl zu einer der meistzitierten Aussagen der WHO zählt: “Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity.”2 Diese Definition wurde seit 1948 nicht verändert. Aber in den letzten Jahrzehnten hat das Konzept der Gesundheitsförderung (Health Promotion) immer mehr an Bedeutung für die öffentliche Gesundheit und die Gesundheitspolitik gewonnen. Das erste internationale Übereinkommen zur Gesundheitsförderung erfolgte auf der "First International Conference on Health Promotion"3 in Ottawa, Canada 1986. Diese Konferenz resultierte in der Ottawa Charter (WHO, 1988), einem Dokument, das einen Meilenstein in der Entwicklung der Gesundheitsförderung darstellt und den Gedanken der "health creation" ins Leben ruft: "Health is created where people live, love, work and play". In der Ottawa Charter ist Gesundheitsförderung wie folgt definiert: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl der Einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. verändern können. 2 “Preamble to the Constitution of the World Health Organization” as adopted by the International Health Conference, New York, 19-22 June, 1946; signed on 22 July 1946 by the representatives of 61 States (Official Records of the World Health Organization, no. 2, p. 100) and entered into force on 7 April 1948. 3 Weitere internationale Gesundheitsförderungskonferenzen haben 1998 in Adelaide, 1991 in Sundsvall, 1997 in Jakarta und 2000 in Mexiko City statt gefunden 10
Die Verantwortung für die Gesundheitsförderung wird in den Gesundheitsdiensten von Einzelpersonen, Gruppen, den ÄrztInnen und anderen MitarbeiterInnen des Gesundheitswesens, den Gesundheitseinrichtungen und dem Staat getragen. Sie müssen darauf hinarbeiten, ein Versorgungssystem zu entwickeln, das auf die stärkere Förderung von Gesundheit ausgerichtet ist und über die medizinisch-kurativen Betreuungsleistungen hinausgeht. Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die all ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen.“ Füreinander Sorge zu tragen, Ganzheitlichkeit und ökologisches Denken sind Kernelemente bei der Entwicklung von Strategien zur Gesundheitsförderung. Alle Beteiligten sollten als Leitprinzip anerkennen, dass in jeder Phase der Planung, Umsetzung und Auswertung von gesundheitsfördernden Handlungen Frauen und Männer gleichberechtigte Partner sind (Ottawa-Charta 1988: 117 ff.) Diese ganzheitliche Definition von Gesundheitsförderung durch die WHO hebt also sowohl das körperliche, als auch das psychische und soziale persönliche Wohlbefinden des Menschen hervor und unterstreicht weiter die Bedeutung von Selbstbestimmung und Eigenverantwortung für die Gesundheit. Die Ottawa Charta legt fünf prioritäre Handlungsfelder der Gesundheitsförderung fest: • build healthy public policy • create supportive environments • strengthen community action • develop personal skills • reorient health services Die WHO-Definition von Gesundheit im Kontext der Gesundheitsförderung bezieht sich auf die Fähigkeit des Individuums, seine Möglichkeiten auszuschöpfen und auf die Herausforderung der Umgebung positiv zu reagieren. Damit weicht diese Definition von jener der WHO Constitution 1948 ab, die eine all-umfassende und idealistische Beschreibung von etwas ist, das oft als unerreichbar und irrelevant für das Leben der meisten Menschen gesehen wurde. In seiner gegenwärtigen Definition wird Gesundheit als eine Ressource des alltäglichen Lebens gesehen, nicht als ein Lebensziel, sondern als positives Konzept, das soziale und persönliche Ressourcen genauso betont wie die physischen Kapazitäten. Die fundamentalen Ressourcen für die Gesundheit sind das Einkommen, Unterkunft und Essen. Eine Verbesserung der gesundheitlichen Situation erfordert eine Sicherung dieser fundamentalen Ressourcen, aber auch Information und "life skills", eine unterstützende Umwelt, die Wahlmöglichkeiten hinsichtlich gesundheitlicher Versorgung und Angebote offen lässt und die Gesundheit verbessert. Die enge Verbindung zwischen Menschen und ihrer Umwelt ist die Basis für das sozio- ökologische Konzept der Gesundheit, das in der Gesundheitsförderung zentral ist. Diese Sichtweise stellt die Interaktion von Individuen mit ihrer unmittelbaren Umwelt und die Notwendigkeit einer dynamischen Balance dieser Interaktion in den Mittelpunkt. 1.3.2 Gesundheitsförderung im 21. Jahrhundert: Gesundheit für alle Nach Ottawa 1986, Adelaide 1988, Sundsvall 1991 und Jakarta 1997 fand die 5. Internationale Gesundheitsförderungskonferenz im Juni 2000 in Mexico City statt. Diese Konferenz hat sich als Leitlinie die Prioritäten der Gesundheitsförderung des 21. 11
Jahrhunderts gesetzt, wie sie in der "Health Promotion Resolution" der WHO im Mai 1998 definiert wurden: • promoting social responsibility for health • increasing community capacity and empowering the individual • Increasing investments for health development • securing an infrastructure for health promotion • strengthening the evidence base for health promotion • reorienting health systems and health services Grundlegende Gesundheitsförderungs-Programme in Europa wurden vom WHO- Regionalbüro in Kopenhagen unter dem Titel "Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000" zu Beginn der 80er Jahre - und differenzierter - 1998 im Konzept "Gesundheit21" lanciert. In diesen Konzepten wird die Leitlinie einer ganzheitlichen, interdisziplinären Medizin propagiert, diese hat zwar schon viel Anerkennung gefunden, ist aber noch lange nicht etabliert und muss in den meisten Gesundheitssystemen noch immer hinter der kurativen Medizin zurückstehen. Dieses Rahmenkonzept „Gesundheit für alle - Gesundheit21“ wurde Im Jahr 2001 durch Empfehlungen zur Operationalisierung für die Gesundheit von Frauen ergänzt und bildet einen Teil des „Strategic Action Plan for the Health of Women in Europe“ der WHO. 21 Ziele zur „Gesundheit für alle“ wurden von der WHO vorgegeben, die den Rahmen für die Gestaltung der Gesundheitspolitik in den Ländern der Europäischen Region bilden sollen: 1. Solidarität für die Gesundheit in der Europäischen Region 2. gesundheitliche Chancengleichheit 3. ein gesunder Lebensanfang 4. Gesundheit junger Menschen 5. Altern in Gesundheit 6. Verbesserung der psychischen Gesundheit 7. Verringerung übertragbarer Krankheiten 8. Verringerung nicht übertragbarer Krankheiten (z.B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes, Asthma) 9. Verringerung von auf Gewalteinwirkung und Unfälle zurückzuführende Verletzungen 10. eine gesunde und sichere natürliche Umwelt 11. gesünder Leben 12. Verringerung der durch Alkohol, Drogen und Tabak verursachten Schäden 13. Settings zur Förderung der Gesundheit (zu Hause, Schule, Arbeitsplatz, Gemeinde, Stadt) 14. multisektorale Verantwortung für die Gesundheit 15. ein integrierter Gesundheitssektor 16. qualitätsbewusstes Management der Versorgung 17. Finanzierung des Gesundheitswesens und Ressourcenzuweisung 18. Qualifizierung von Fachkräften für gesundheitliche Aufgaben 19. Forschung und Wissen zur Förderung der Gesundheit 20. Mobilisierung von Partnern für gesundheitliche Belange 21. Planung nationaler Konzepte und Strategien zur „Gesundheit für alle“ 12
1.3.3 Soziale Exklusion - soziale Eingliederung Der konzeptionelle Rahmen der EU hat sich seit Ende der neunziger Jahre von "Armut" auf soziale "Exklusion" verlagert (ISG 2003). Exklusion wurde zunächst als ein Sammelbegriff eingeführt, um die Mehrdimensionalität gegenüber monetär verstandener Armut zum Ausdruck zu bringen. Zur begrifflichen Klärung wird daher vorgeschlagen, dass "soziale Exklusion" sowohl eine hierarchische Relation als auch eine klar identifizierbare Grenzlinie impliziert. - Im folgenden die konzeptionelle Typologie im Überblick: nicht hierarchisch hierarchisch ohne Deprivationslinie Kohäsion / soziale Differenzierung soziale Ungleichheit mit Deprivationslinie Soziale Fragmentierung Exklusion / soziale Ausgrenzung Eine Definition des Begriffes soziale Exklusion (Kronauer 2002: 43): „Auf der einen Seite manifestiert sich soziale Exklusion als zunehmende Prekarität in der Erwerbsarbeit, die für wachsende Gruppen der Bevölkerung bis hin zum völligen Ausschluss von regulärer Erwerbsarbeit führt. Auf der anderen Seite schlägt sie sich als Schwächung der sozialen Einbindung nieder, bis hin zur sozialen Ausschließung. Soziale Exklusion ist der Ausschluss von Lebenschancen und mit der Erfahrung verbunden, an gesellschaftlichen Erwartungen und Anforderungen zu scheitern.“ Laut Kronauer (2002, S. 45) manifestiert sich soziale Exklusion in der mangelnden Teilhabe an unterschiedlichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens: 1. Mangel an Geld, um den Konsumstil der Mittelschicht praktizieren zu können 2. Zwang, in verrufenen Wohnvierteln leben zu müssen 3. Machtlosigkeit, die eigenen Interessen zur Geltung bringen zu können 4. Chancenlosigkeit in der Schule 5. Gefühl, als Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden Kronauer unterscheidet zwei primäre Modi der gesellschaftlichen Zugehörigkeit: die Interdependenz und die Partizipation, deren Determinanten im Falle von Inklusion oder Exklusion in folgendem Schema spezifizierte werden. Modus der gesellschaftlichen Zugehörigkeit Interdependenz Partizipation Inklusion Exklusion Inklusion Exklusion Einbindung in die Ausgrenzung bedeutet, materielle Teilhabe Ausgrenzung bedeutet, gesellschaftliche in der Gesellschaft nicht mithalten zu Arbeitsteilung keinen anerkannten Ort können zu haben Einbindung in soziale Ausgrenzung bedeutet politisch-institutionelle Ausgrenzung bedeutet Netze soziale Isolation Teilhabe Macht- und Chancenlosigkeit kulturelle Teilhabe Ausgrenzung bedeutet, von gesellschaftlich geteilten Lebenszielen abgeschnitten zu sein Quelle: Kronauer, 2002, S. 153 13
Die Europäische Kommission beschreibt die Suche nach Indikatoren für soziale Exklusion wie folgt (European Commission 1995). "Unserer Ansicht nach soll die Reflektion über soziale Exklusion und soziale Integration kein vereinheitlichendes Schema hervorbringen, sonder so multipel und dialektisch wie möglich sein. Die Reflexion soll auf über Multidisziplinarität erfolgen. ... Es besteht ein konkreter Bedarf, soziale Exklusion und soziale Integration eher aus einer dynamischen Perspektive als aus einer statischen zu betrachten. Die sogenannte "ausgeschlossene Population" stellt keine homogene und stabile Gruppe dar, die charakterisiert werden könnte, sondern besteht aus Individuen, die einen Prozess der Desintegration durchleben, der von seinem Wesen her dynamischer Natur ist. ... Schließlich ist es für die Auseinandersetzung mit sozialer Exklusion und sozialer Integration unbedingt erforderlich, Längsschnittdaten zu haben: alle ExpertInnen weisen auf das Generationsphänomen der sozialen Mobilität und auf die "Reproduktion der Armut" hin. Soziale Exklusion ist ein komplexes Phänomen mit vielen Facetten. Eine Systematik (Konzepte und Daten) der Annäherung müssen noch weiter entwickelt werden. Diese Entwicklung setzt die Klärung der Zusammenhanges von sozialer Exklusion und anderer sozialer Bereiche voraus: Arbeit und Arbeitslosigkeit, Einkommensverteilung, Rassismus und Fremdenangst, räumliche Dimension und städtische Verwaltung, Identität und politische Systeme. Da das Modell der "sozialen Exklusion" parallel zu "Inklusionsmodellen" existiert, kann Forschung zur sozialen Exklusion nicht von der Analyse von Veränderungsprozessen in der "inkludierten" Seite der Gesellschaft abgekoppelt werden. Wenn die Forschung Themen der sozialen Exklusion mit jenen Prozessen, die das Zentrum der Gesellschaft betreffen, verbinden kann, öffnet sie nicht nur politische Optionen zur Bekämpfung der sozialen Exklusion, sondern trägt auch zur Entwicklung neuer Modelle der sozialen Inklusion und damit von neuen sozialen Modellen bei." 1.3.4 Armutsgefährdung und akute Armut In Österreich werden im Rahmen des „Berichtes über die soziale Lage“ seit 1996 regelmäßig Befunde zur Armutsgefährdung und akuten Armut auf Basis einer Analyse des Europäischen Haushaltspanels (ECHP; EUROSTAT4, 2001) vorgelegt (BMSG, 2002). Im „Bericht über die soziale Lage 2001-2002“ wird folgende Unterscheidung zwischen Armutsgefährdung, die 1999 in Österreich 880.000 Personen (11 Prozent der Gesamtbevölkerung) betroffen hat und akuter Armut (310.000 bzw. 4 Prozent aller ÖsterreicherInnen). Armutsgefährdung wird gemäß der EUROSTAT-Definition ausschließlich über das Einkommen definiert: Personen, deren gewichtetes Pro-Kopf-Haushaltseinkommen unter dem Schwellenwert von 60 Prozent des Medianwertes des Österreichischen Pro-Kopf- Einkommens liegt, gelten als armutsgefährdet. Dieser Schwellenwert betrug 1999 ca. 9.000 Euro jährlich für einen Einpersonenhaushalt. Von akuter Armut spricht man, wenn zu den schlechten finanziellen Verhältnissen auch Einschränkungen zur Abdeckung grundlegender Lebensbedürfnisse kommen, wie z.B.: • Substandardwohnung • Rückstände bei der Bezahlung von Mieten und Krediten • Probleme beim Beheizen der Wohnung 4 EUROSTAT = Europäisches Statistisches Zentralamt 14
• Unmöglichkeit, abgenutzte Kleidung durch neue Kleider zu ersetzen • Unmöglichkeit, zumindest einmal im Monat nach Hause zum Essen einzuladen Es lassen sich auf Basis des Europäischen Haushaltspanels (ECHP) demographische Merkmale bestimmen, die das Armutsrisiko beeinflussen (BMSG 2002: 189): Bei einer durchschnittlichen Armutsrate von 11 Prozent der Österreichischen Gesamtbevölkerung ist der Anteil der armutsgefährdeten Frauen mit 13 Prozent größer als die der Männer (9 Prozent); die Armutsrate von Personen über 60 Jahre liegt bei 17 Prozent, bei Einpersonenhaushalten mit Pension bei 28 Prozent und bei Alleinerzieherinnen ohne Erwerbseinkommen bei 50 Prozent. Tabelle 1. Armutsraten für unterschiedliche soziale Gruppen Soziale Gruppe Armutsrate in Prozent Männer 9 Frauen 13 PflichtschulabsolventInnen 16 Personen über 60 Jahre 17 Arbeitslose gesamt 17 Behinderte 22 MigrantInnen / Nicht EU-BürgerInnen 22 Einpersonenhaushalte mit Pension 28 Langzeitarbeitslose 31 AlleinerzieherInnen ohne Erwerbseinkommen 50 Quelle: BMSG 2002: 191-192 Ebenso sind sozioökonomische und arbeitsmarktspezifische Merkmale bestimmend für das Armutsrisiko: Für PflichtschulabsolventInnen liegt die Armutsrate bei 16 Prozent (vs. 6 Prozent bei HochschulabsolventInnen). Bei Arbeitslosen beträgt das Armutsrisiko 17 Prozent, bei Langzeitarbeitslosen gar 31 Prozent. Personen mit eingeschränkter Erwerbsbeteiligung durch Behinderung haben ein Armutsrisiko von 22 Prozent, ebenso wie MigrantInnen (Nicht-EU-BürgerInnen). Tabelle 2. Vergleich von objektiver und subjektiver Armut in den 15 EU Staaten (Eurobarometer 56.1) Armutsrisiko Subjektive Armut % von Personen, die in Haushalten mit % von Personen, die sich (1) (2) Armutsrisiko leben selber als arm bezeichnen 1995 1996 1997 1998 2001 Belgien 17 16 15 16 32 Dänemark 12 10 8 9 9 (3) Deutschland 17 15 15 16 14 Griechenland 22 21 23 22 54 Spanien 20 19 20 19 34 Frankreich 16 17 16 18 30 Irland 19 20 20 17 24 Italien 20 19 19 20 41 Luxemburg 12 12 - - 8 Niederlande 11 12 11 12 18 Österreich 13 14 13 13 16 Portugal 23 22 24 20 66 Finnland - 8 8 - 30 Schweden - - 9 10 20 UK 21 17 22 21 27 (1) Quelle: European Community Household Panel; Schwelle für Armutsrisiko: 60% des nationalen Einkommens-Median, "modifiizierte" OECD-Skala, wo der Haushaltsvorstand 1 zählt, ander Personen über 14 Jahre zählen 0.5 und Kinder unter 14 zählen 0.3. (2) Eurobarometer 56.1, Poverty and social devaluation, 2001. Prozent von Personen, deren Einkommen unter dem liegt, was sie selber als absolut notwendig für einen angemessenen Lebensstandard betrachten. (3) Westliche Länder Deutschlands: 11%, Östliche Länder: 24%. 15
1.4 Migration: Ausgangslage und Definitionen 1.4.1 Internationale Perspektive Migration ist eines der zentralen Phänomene einer zunehmenden Globalisierung: wirtschaftliche und politische Veränderung in einem Land können durch Migration andere, entfernte Gesellschaften beeinflussen. Migration ist kein homogener Prozess, er wird von unterschiedlichsten Gruppen von Menschen getragen wie z.B. AsylantInnen, Flüchtlinge, qualifizierte ArbeiterInnen und Wirtschafts-MigrantInnen. Die Europäische Union ist am 1. Mai 1999 in Kraft getreten und bestimmt seither die Asylpolitik in der Europäischen Gemeinschaft. Ein Europäischer Flüchtlingsfonds (European Refugee Funds) wurde eingerichtet, um die Aktivitäten der Mitgliederstaaten zu unterstützen. Das Thema Migration hat in vielen Ländern hohe Priorität; viele Länder revidieren ihre Strategien bezüglich ImmigrantInnen. Es ist von allgemeinem Interesse, den Bedürfnissen von MigrantInnen mit oftmals schlechterem Gesundheitszustand und mehr sozialen und gesundheitsbezogenen Risiken gerecht zu werden. Entsprechend dem Internationalen Migrationsbericht (UN Population Division 2002) und der UNHCR leben 175 Millionen Ende 2000 nicht in ihrem Mutterland – das sind 3 Prozent der Weltbevölkerung. Die Anzahl an MigrantInnen hat sich seit 1975 verdoppelt. 60 Prozent der MigrantInnen weltweit leben in den höher entwickelten Ländern, 40 Prozent in den weniger entwickelten. Die meisten MigrantInnen leben in Europa (56 Millionen), in Asien (50 Millionen) und Nordamerika (41 Millionen). Eine von 10 Personen in den höher entwickelten Regionen und eine von 70 Personen in den weniger entwickelten Ländern ist ein/e MigrantIn. In den Jahren 1995 bis 2000 empfingen die höher entwickelten Regionen 2,3 Millionen MigrantInnen aus den weniger entwickelten Weltregionen. Etwa 9 Prozent der MigrantInnen sind Flüchtlinge. Die UNHCR gibt für 2001 an, dass international beinahe 20 Millionen Menschen auf der Flucht sind, davon ca. 4,9 Millionen in Europa (Tabelle 3). Im Jahr 2001 galten international folgende 10 Länder als die top ten Herkunftsländer von Asylsuchenden: 1. Irak, 2. Afghanistan, 3. Türkei, 4. Jugoslawien, 5. Iran, 6. Sri Lanka, 7. Somalia, 8. Kongo, 9. Bosien-Herzegowina, 10. Rumänien Tabelle 3. UNHCR Statistik zur internationalen Migration Region Flüchtlinge Asylwerber Zurück- IDP / Internally Summe gekehrte displaced 5 Flüchtlinge persons Afrika 3.304.526 107.322 266.791 494.494 4.173.133 Asien 5.770.338 33.021 49.246 2.967.964 8.820.569 Europa 2.244.116 320.188 146.377 2.145.645 4.856.326 Latenamerika & Karibik 37.377 7.878 194 720.000 765.449 Nordamerika 643.706 441.681 - - 1.085.387 Ozeanien 65.351 15.587 - 313 81.251 Summe 12.065.414 925.677 462.608 6.328.416 19.782.115 Quelle: Asylum seekers, refugees and others of concern to UNHCR by UN major area, end 2001. UNHCR / Governments. Compiles by UNHCR 2001, Population Statistics. 5 IDP = Personen, die zur Flucht gezwungen waren, aber kein Nachbarland erreichen konnten und daher nicht unter das internationale Recht fallen oder Unterstützungsangebote erhalten können (UNHCR) 16
1.4.2 Definitionen Migration Wanderungsbewegungen von (Gruppen von) Personen von einem Land in ein anderes, mit längerfristiger oder dauerhafter Verlagerung des Lebensmittelpunktes bzw. Wohnsitzes Arbeitsmigration Gastarbeiter, Familiennachzug, Saisonarbeiter, - Pendlerwanderungen Flüchtlinge nach "Jede Person, die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Genfer Konvention Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des UN Geneva Convention Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt und den Schutz (1951) dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will." Asyl Aufenthaltsgenehmigung für Ausländer, weil er ein Flüchtling ist. AsylwerberInnen Personen, die (noch) nicht über einen Flüchtlingsstatus verfügen, aber einen schriftlichen oder mündlichen Antrag auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach dem Asylgesetz beim Bundesasylamt eingebracht haben, was ihnen vorläufigen Abschiebungsschutz gewährt. "Illegale" Der Begriff "Illegale" wird in der österreichischen politischen Diskussion eher in einem diskriminierenden Sinn verwendet. Über die tatsächliche Zahl von illegal sich in Österreich befindlichen Personen gibt es keine sicheren Informationen. Üblicherweise werden Flüchtlinge, die über die grüne Grenze einreisen, sich nicht der Grenzkontrolle stellen und keinen Reisepass mit Visum besitzen als "Illegale" bezeichnet. Politische Verfolgte besitzen häufig keine Dokumente und sind nach ihrer Anerkennung als Flüchtlinge "legal", obwohl sie zunächst in die Kategorie der "Illegalen" fallen. AsylwerberInnen, die auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten, dürfen trotz ihrer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nicht arbeiten. Sie leben zwar legal in Österreich, für ihren Unterhalt können jene, die keine staatliche oder private Unterstützung erhalten, aber nur durch "illegale" Arbeitsverhältnisse, d.h. durch Schwarzarbeit, sorgen. Quellen: Mégapoles Project Report 2003, Glossar der Asylkoordination Österreich (http://www.asyl.at) 17
1.5 Herkunft, Ausmaß und politische Rahmenbedingungen der Migration in Österreich 1.5.1 Historischer Exkurs: Zuwanderung nach Österreich Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Österreich ein Auswanderungsland: Vor dem ersten Weltkrieg war die Österreichisch-Ungarische Monarchie das stärkste Herkunftsland für die Auswanderung nach den USA. Ein dunkles Kapitel der Geschichte der Migration in Österreich ist die politisch motivierte bzw. erzwungene Migration ab 1930, die nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland in Vertreibung, Deportation und Ermordung der jüdischen Einwohner des Landes sowie der Roma führte (Fassmann und Münz 1995). Die größte Einwanderungswelle des 20. Jahrhunderts erfolge in Österreich am Ende des Zweiten Weltkriegs: Österreich nahm damals ca. 520.000 aus Osteuropa Vertriebene auf, die aber nicht sofort eingebürgert wurden. Zu Beginn der fünfziger Jahre befanden sich in Österreich 320.000 ausländische Einwohner, der AusländerInnenanteil von 4,6 Prozent war einer der höchsten Europas. Weitere Einwanderungswellen: 1956 Als Folge der Ereignisse vom 4. November 1956 in Budapest flüchteten 219.000 ungarische StaatsbürgerInnen nach Österreich; 80.000 UngarInnen wanderten noch im November in die USA und Kanada weiter. Rund 18.000 ungarische Flüchtlinge blieben in Österreich – zumeist unbegleitete Jugendliche, StudentInnen, ältere und nicht mehr erwerbsfähige und kranke Menschen. 1945-1958 Seit 1945 kamen Flüchtlinge aus Jugoslawien nach Österreich, 1948 befanden sich ca. 32.000 jugoslawische Flüchtlinge in Österreich, von denen die meisten nach Übersee weiter wanderten. 1968-1969 Die Ereignisse des Prager Frühlings bewirkten 1968, dass innerhalb eines Jahres 162.000 TschechoslowakInnen nach Österreicheinreisten, 129.000 reisten wieder zurück; der Großteil der anderen Flüchtlinge reiste in aufnahmewillig Länder weiter (v.a. Deutschland, Schweiz, Übersee). 1972 Als Folge der Ausweisung aller AsiatInnen aus Uganda erklärte sich Österreich bereit, 1.500 ugandische Flüchtlinge temporär aufzunehmen, die zumeist nach England, Niederlande, Schweden und Kanada weiter reisten. Das Angebot zur Integration in Österreich nahmen 114 Flüchtlinge aus Uganda wahr. 1973 Politscher Machtwechsel in Chile und Argentinien bewirkten, dass zwischen November 1973 und Juli 1974 160 ChilenInnen nach Österreich kamen. 1974 Nach Anwerbung von ArbeitsmigrantInnen befinden sich 308.000 AusländerInnen in Österreich (4,1 Prozent). Rekrutierungsstopp und Familiennachzug hielten den AusländerInnenananteil bis 1988 konstant. 1975 Nach Kriegsende in Indochina gab es im Juni 1975 140.000 Flüchtlinge aus Indochina ("Boat People"), 130.000 fanden sofortige Aufnahme in den USA. In Österreich fanden bis September 1976 195 Flüchtlinge aus Indochina Aufnahme. Aufgrund der Verschlechterung der Situation nahm Österreich bis Juni 1983 insgesamt 1.943 indochinesische Flüchtlinge auf. 1981-1982 Ab August 1980 setzte in Polen aufgrund der politischen Ereignisse eine Auswanderungsbewegung ein. Im Dezember 1981 wurde das Kriegsrecht in Polen verkündet, Österreich nahm ca. 50.000 Flüchtlinge auf, viele von ihnen sind mit Hilfe vo IOM ausgewandert. 1983 befanden sich noch 4.000 PolInnen in Österreich. 1992 Im April 1992 ist im Bosnien-Herzegowina Krieg ausgebrochen. Bis Juli 1992 fanden 700.000 Menschen v.a. in Europa Zuflucht. Nach Österreich sind rund 90.000 18
BosnierInnen geflüchtet, 1998 waren noch ca. 4.600 in Bundesbetreuung. 1998 Im März 1998 brechen in der südlichen Provinz von Serbien, dem Kosovo, Kämpfe zwischen der albanischen Mehrheitsbevölkerung und den Serben aus. 350.000 Menschen sind auf der Flucht. 1999 Nach dem Scheitern der Friedensverhandlungen von Rambouillet und dem 78-tägigen Luftkrieg der NATO flüchteten im März 1999 innerhalb von drei Tagen 444.600 Kosovo- AlbanerInnen nach Albanien, 244.500 nach Mazedonien und 69.000 nach Montenegro. 90.000 AlbanerInnen wurden per Airlift in 29 Aufnahmeländer geflogen, wo sie zumeist "temporary protection" fanden. IOM organisierte für Österreich die Evakuation von 5.000 Kosovoflüchtlingen; die erste Rückführung fand bereits im Juli 1999 statt und bis Ende Juli 1999 wurden 4.500 Kosovaren wieder nach Kososvo zurück gebracht. 1.5.2 Zahlen und Fakten: Migration in Österreich An amtlichen Statistiken zur Migration in Österreich gibt es zum einen die Wanderungsstatistik von Statistik Austria, zum anderen die Asyl- und Fremdenstatistik des BMI - Bundesministeriums für Inneres. Ein detaillierter Überblick über Migrations-Statistiken sind über das Internet z.B. auf dem Portal des Österreichischen Forums für Migrationsstudien (http://www.oefm.org) oder auf dem Integrationsportal (http://www.integrationsportal.at) zugänglich. 1.5.2.1 Erfassung der Wanderungsstatistik durch Statistik Austria Auf der Grundlage des Meldegesetzes6 erstellt Statistik Austria seit dem Berichtsjahr 1996 eine umfassende und kontinuierliche Wanderungsstatistik. Eine notwendige Voraussetzung dafür bildete die Neuordnung des Wohnsitzbegriffes mit der 1995 erfolgten Verankerung des Hauptwohnsitzes im Hauptwohnsitzgesetz. Die Wanderungsstatistik beruht auf den von den Meldebehörden übermittelten An- und Abmeldungen von Hauptwohnsitzen über Gemeindegrenzen hinweg. Die Wanderungsstatistik umfasst sowohl die Hauptwohnsitzverlegungen zwischen den Gemeinden innerhalb Österreichs (Binnenwanderungen) als auch jene über die Staatsgrenze (Außenwanderungen). Die Wanderungsstatistik - oder Statistik der räumlichen Bevölkerungsbewegung - ist umfassend in dem Sinne, dass sie alle mit Änderungen des Hauptwohnsitzes und der Wohngemeinde verbundenen Ortswechsel erfasst - zum Unterschied von anderen Statistiken, die auf Anträgen oder Bewilligungen beruhen und sich nur auf Staatsfremde und die Immigration beziehen. Sie erfasst die definierten Wanderungsvorgänge direkt und kontinuierlich, d. h. jeweils im Anlassfall einer An- oder Abmeldung am Ort des Zu- oder Wegzugs, wenn auch gesammelt für eine Berichtsperiode - zum Unterschied etwa von der retrospektiven Erhebung bei einer Volkszählung, mit der bei weitem nicht alle Ortswechsel, aber mehr Merkmale der gewanderten Personen beschrieben werden können. Der AusländerInnenanteil in Österreich betrug im Jahr 2000 9,3 Prozent (Tabelle 4). Höchsten AusländerInnenanteil hat mit 18 Prozent Wien, gefolgt von Vorarlberg (14 Prozent) und Salzburg (12,1 Prozent). Den geringsten AusländerInnenanteil im Vergleich der Bundesländer weist mit 5 Prozent das Burgenland auf. Mit Ausnahme von Vorarlberg sind in allen Bundesländern MigrantInnen aus Ex-Jugoslawien die größte Gruppe, in Vorarlberg hingegen stammen 41 Prozent der MigrantInnen aus der Türkei. 6 Rechtsgrundlage für die Wanderungsstatistik: Meldegesetz 1991, BGBl.Nr. 9/1992 idgF. 19
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