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TITELTHEMA: WASSER- UND KANALMANAGEMENT

                                                                        Quelle: © Gina Sanders – Fotolia.com.

Starkregen – wenn der
Himmel sich öffnet
Wer an die Gewalt des Wassers denkt, hat, wie zuletzt im Sommer 2013, meist die
bedrohlichen Naturgewalten an der Elbe und ihrer Zuflüsse vor Augen. Nicht minder
dramatisch sind die Auswirkungen von Starkregen, die immer mehr zunehmen.

Text: Gregor Antoine

�������    gis.Business 2/2014
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H
         ochwasser ist nicht gleich Hoch-
         wasser. So unterscheidet das Bun-
         desministerium für Verkehr, Bau                Starkregen
und Stadtentwicklung in seiner aktuellen
„Hochwasserfibel“ fünf Entstehungskom-                   „Bei einem Starkregen fällt mitunter innerhalb von Minuten oder wenigen
plexe: Zusätzlich zum Hochwasser aus                     Stunden die Niederschlagsmenge eines ganzen durchschnittlichen Monats.
Flüssen zählen neben Kanalrückstau,                      Der Boden hat dann nicht genug Zeit, das zusätzliche Wasser aufzunehmen.
Grundwasseranstieg, Eisgang und Sturm-                   Noch schlimmer ist die Situation, wenn es vorher eine Zeit lang überhaupt
flut das Phänomen der Starkniederschläge.                nicht geregnet hat: Statt zu versickern, fließt das Wasser dann großflächig
Vereinzelt auftretend oder in Kombination                über den harten Boden. Auch die trockenen Grünflächen können es dann
mit Flusshochwasser können diese zu teils                nicht aufnehmen. In diesem Fall nimmt das Wasser den Weg des geringsten
dramatischen Gefahrensituationen führen.                 Widerstands und überflutet tiefer liegende Bereiche.“ (Quelle: Stadtentwäs-
Dies stellt eine extreme Herausforderung                 serungsbetriebe Köln)
für die Aufnahmekapazität der Abwasser-
infrastrukturen in Städten und ländlichen
Gebieten dar. Dabei ist das eingeschränkte
Fassungsvermögen von Rohrleitungen
nicht die entscheidende Ursache für akute      Reaktionszeit bei Starkregen extrem mini-          geschränkter oberirdischer Abflussmöglich-
Problemlagen. Einen besonderen Einfluss        miert. Daher ist es besonders wichtig, auch        keiten den Niederschlagsmengen extrem
hat das von Dächern abfließende Regen-         die Zuläufe der größeren Flüsse bei Hoch-          ausgesetzt sind.
wasser, das von Rinnen und Rohren nicht        wassersimulationen zu berücksichtigen.
mehr aufgenommen werden kann und sich             Für Mitteleuropa wird vor dem Hinter-           Überschwemmungsschutz als euro-
somit unkontrolliert in den meist versiegel-   grund der erwarteten klimatischen Verän-           päische Gemeinschaftsaufgabe
ten Siedlungsflächen verteilt. Die Ka-         derungen eine Zunahme von Nieder-                  Seit März 2010 sind die Regelungen der
nalöffnungen vor Ort erreichen diese Was-      schlagsereignissen prognostiziert. Initiativen     neuen EG-Hochwasserrisiko-Manage-
sermassen meist nicht. Starkregen führt zu     zur ökologischen Energiewende können es            ment-Richtlinie im deutschen Wasser-
einem Anstieg des Grundwasserspiegels          ermöglichen, diese Umwälzungen in ihren            haushaltsgesetz verbindlich verankert. Da-
mit weitreichenden Gefahren für private        Auswirkungen zu limitieren, die konkreten          bei liegt es in der Verantwortung der ein-
und öffentliche Bauten. Auch Gebiete mit       Gefahren durch Starkregen bleiben jedoch           zelnen Bundesländer, Hochwasserrisiken
Bächen und Flüsse mit kleinen Einzugsge-       existent. Um daher im Ernstfall schnell            zu erkennen und nachhaltig zu verringern.
bieten können von extremen Nieder-             reagieren zu können, müssen Kommunen               In Ergänzung zum rein technischen Hoch-
schlagsereignissen betroffen sein. Während     die „Schwachstellen“ ihrer Siedlungsstruk-         wasserschutz wird in der europäischen
Vorhersagen über das Eintreffen der Flut-      turen kennen. Dies sind Bereiche, die auf-         Richtlinie die vorrangige Bedeutung vor
welle bei großen Flüssen über einen Tag im     grund fehlenden Versickerungspotenzials,           allem von ökologischen und vorsorgenden
Voraus getroffen werden können, ist die        unzureichender Kanalkapazitäten und ein-           Maßnahmen betont.

Starkregen: Versiegelte Flächen erhöhen das    Kein Halten mehr: Dachrinnen und Fallrohre können langanhaltende und intensive Starkregen
Überschwemmungsrisiko. Quelle: © Hessbeck –    nicht abführen. Quelle: © Michel Fritzen – Fotolia.com.
Fotolia.com.

                                                                                                                       gis.Business 2/2014   9
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Im einwohnerstärksten Bundesland, in
Nordrhein-Westfalen, wurde im Rahmen
der Hochwasserrisikokartierung, die von
den jeweiligen Bezirksregierungen für die
in ihrem Gebiet liegenden Kommunen er-
stellt wurde, an rund 450 Flüssen ein ent-
sprechendes Gefahrenpotenzial diagnosti-
ziert. Das Ziel, die weitere Einengung von
Fließgewässern, die aufgrund fehlender
Ausweichfläche erheblich zu Hochwasser-
situationen beitragen, zu verhindern, wird
politisch vehement diskutiert. So hat der
zuständige Minister für Klimaschutz, Um-
welt, Landwirtschaft, Klima- und Verbrau-
cherschutz, Johannes Remmel, auf der
Sonderkonferenz der Umweltminister im              Nur teilweise geschützt: Trotz einer Flutmauer sind dahinterliegende Wohngebiete wie im
September 2013 zum Thema „Hochwas-                 Kölner Stadtteil Rodenkirchen bei extremen Pegelständen von aufsteigendem Grundwasser
ser“ in einem Antrag gefordert, die Aus-           gefährdet. Quelle: www.steb-koeln.de.
weisung von Baugebieten in Überschwem-
mungsgebieten ausnahmslos zu verbieten.
Um den nachhaltigen Hochwasserschutz
voranzutreiben, engagiert sich das Land       Bürgerinformation im Rahmen eines               leistet, dass jederzeit aktualisierte Karten
NRW neben der Finanzierung technischer        komfortablen Auskunftssystems eine be-          zur Verfügung gestellt werden können.
Baumaßnahmen mit jährlich 80 Millio-          sondere Bedeutung zu. Auf diese Weise           Vorberechnete Karten-Caches ermögli-
nen Euro im Rahmen der ökologischen           lassen sich die prognostizierten Über-          chen eine schnelle Visualisierung der Ba-
Entwicklung von Flüssen und Gewässern.        schwemmungsareale für unterschiedliche          sisinformationen.
    Seit Oktober 2013 ist der aktuelle        Pegelstände bis auf Hausebene einsehen.
Stand der Risikoverteilung auf detaillier-    Gleichzeitig wird die Öffentlichkeit für die    Starkregengefahrenkarten als
ten Hochwasser-Risikokarten erstmals für      nachhaltig wirksamen Gemeinschaftsauf-          erweiterte Überflutungsszenarien
alle relevanten Flussabschnitte und Kom-      gaben sensibilisiert.                           Im Unterschied zu Hochwassergefahren-
munen flächendeckend einsehbar. Auf              In den Bundesländern Baden-Würt-             karten stellen Starkregengefahrenkarten,
Basis dieser Gefahrenkartierung sollen bis    temberg, Schleswig-Holstein und Thü-            wie sie z. B. von dem Heidelberger Unter-
zum Jahr 2015 entsprechende Hochwas-          ringen bereiten die zuständigen Wasser-         nehmen geomer GmbH erstellt werden,
ser-Risikomanagementpläne erstellt wer-       behörden ihre Hochwasserrisikokarten            den Oberflächenabfluss im Niederschlags-
den, um im Anschluss in Abstimmung            mit der Softwarelösung Cadenza Professi-        gebiet bis zum Gerinne selbst dar. Simu-
mit den zuständigen Behörden konkrete         onal der Karlsruher Disy Informations-          liert werden Niederschlagsereignisse mit
Maßnahmen für den Zeitraum bis 2021           systeme GmbH auf. Veröffentlicht wer-           unterschiedlichem Schweregrad. In einem
umzusetzen.                                   den die Daten mit dem WebGIS Cadenza            Projekt an der Glems wurde bei mittleren
                                              Web. Durch die Übernahme der Daten              Ereignissen eine Niederschlagsmenge von
Risikomanagement und                          aus der gleichen Systemlösung ist gewähr-       60 mm in einer Stunde angenommen, sel-
Bürgerinformation vor Ort
Immer mehr Kommunen veröffentlichen
inzwischen detailliertes Datenmaterial, um
eine schnelle und effektive Information
ihrer Bürger zu gewährleisten. Dies ist be-
sonders im Vorfeld, mehr noch in akuten                   Hochwasserinformationssystem Köln
Gefahrensituationen wie Starkgewittern
und Hochwasserlagen von Bedeutung.                         Nach der Statistik entspricht ein Wasserstand von 9,50 m KP einem
   Als Reaktion auf das Hochwasserereig-                   Hochwasser mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit, 11,30 m und 11,90 m
nis von 1995, bei dem rund 200.000 Ein-                    KP einem Hochwasser mit mittlerer Eintrittswahrscheinlichkeit und
wohner Kölns knapp einer Überschwem-                       12,50 m KP einem Hochwasser mit niedriger Eintrittswahrscheinlichkeit.
mungskatastrophe entgangen sind, be-                       Der höchste Wasserstand im letzten Jahrhundert wurde in den Jahren
schloss die Stadt zu Beginn des darauf                     1926 und 1995 mit jeweils 10,69 m KP gemessen. Neben der Ausweisung
folgenden Jahres die Entwicklung und                       von Wasserständen können Restrisikoflächen ohne eine direkte Anbin-
Umsetzung eines Hochwasserschutzkon-                       dung zum Rhein eingeblendet werden, so z. B. Geländesenken und Alt-
zeptes. Neben der Erhebung und kontinu-                    rheinarme (Quelle: Stadtentwässerungsbetriebe Köln).
ierlichen Pflege von Daten kommt der

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Tönning, Schleswig-Holstein                                            Gera, Thüringen

Warnhinweise für den Ernstfall: Von Hochwasserereignissen können neben Wohnbereichen auch Industriegebiete, Verkehrsflächen, landwirtschaftli-
che Betriebe sowie Kulturdenkmäler betroffen sein. Quelle: Ausschnitt aus dem öffentlichen Internetangebot des MELUR und des TLUG zur Umset-
zung der Hochwasserrisikomanagementrichtlinie in Schleswig-Holstein und Thüringen. Entwickelt mit Cadenza Web von Disy.

tene Ereignisse wurden mit 120 mm Nie-          derschläge in den Jahren 2009 und 2010           das Eliminieren von „digitalen Hindernis-
derschlag in der Stunde gerechnet und für       (bis zu 180 mm in etwas mehr als einer           sen“ wie Brücken und Unterführungen,
extreme Ereignisse 240 mm Niederschlag          Stunde) führte die geomer GmbH eine              die in der realen Situation für Wasserströ-
angenommen.                                     Hochrechnung zur Lokalisierung von Ri-           me durchlässig sind. Relevante Fließhin-
   Zur Anwendung kam in dem Gemein-             sikogebieten durch. Dazu wurden Boden-           dernisse (Mauern) sowie die Erfassung von
schaftsprojekt von acht Gemeinden im            daten (BÜK50), Landnutzungsdaten                 Rohrdurchläufen und Kanaleinläufen
Einzugsgebiet der Glems nord-westlich           (ALK/ATKIS) und das 1-m-Laserscan-               wurden ebenso in die Analyse integriert.
von Stuttgart ein gekoppeltes hydrolo-          Höhenmodell sowie Niederschlagsdaten             Um die sehr hohe Datenmenge zu verar-
gisch-hydraulisches Modellierungsverfah-        verwendet. Das Geländemodell wurde im            beiten, wurde die Berechnung unter Ver-
ren, das mit der Modellierungssoftware          Anschluss weiter modifiziert, um Fließwe-        wendung von Computer-Clustern und
FloodArea und verschiedenen ArcGIS-             ge, Leitstrukturen und Fließhindernisse          Parallelprozessierung mit der Modellie-
Scripten arbeitet. Nach zum Teil verhee-        bei der hohen Reliefauflösung genau be-          rungssoftware „FloodArea HPC“ durchge-
renden Flutfolgen durch flächenhafte Nie-       rücksichtigen zu können. Dies bedeutete          führt, die von der geomer GmbH in Ko-
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                                                                                                  analysieren lassen können. Mit wenigen
                                                                                                  Einstellungen werden Risikozonen im Fal-
                                                                                                  le eines Starkregens sichtbar. Die Ausdeh-
                                                                                                  nung der die Niederschläge verursachen-
                                                                                                  den, virtuellen Gewitterzelle kann eben-
                                                                                                  falls konfiguriert werden. Angemeldete
                                                                                                  Besucher können Starkregenvorfälle und
                                                                                                  -folgen melden sowie eigene Fotodoku-
                                                                                                  mente auf der Internetseite hinterlegen.
                                                                                                      Alleine aufgrund der durchgeführten
                                                                                                  Simulation lassen sich reale Starkregener-
                                                                                                  eignisse auf kleinste Raumeinheiten nicht
                                                                                                  exakt prognostizieren. Niederschlagsmen-
                                                                                                  gen, Vegetation und Barrieren, die akut
                                                                                                  die Fließgeschwindigkeit beeinträchtigen
                                                                                                  können, sind stark variabel. Daher bilden
                                                                                                  die Analyseergebnisse eine bestmögliche
Aus heiterem Himmel: Gewitterzellen mit Starkregenpotenzial können jede Regi-                     Annäherung an reale Gefahrensituatio-
on treffen. Quelle: © swa182 – Fotolia.com.                                                       nen, indem sie drei Hauptrisikoareale de-
                                                                                                  finieren: Bereiche mit breitflächigem
                                                                                                  Oberflächenabfluss, Bereiche mit linea-
                                                                                                  rem Oberflächenabfluss in unterschiedli-
                                                                                                  chen Tiefenklassen und für das Extremer-
                                                                                                  eignis auch Bereiche mit hohen Fließge-
                                                                                                  schwindigkeiten.
                                                                                                      Gefahrenkarten mit ausgewiesenen Ri-
                                                                                                  sikogebieten bei potenziellen Starkregener-
                                                                                                  eignissen, wie sie u.a. für die Gemeinden
                                                                                                  im Glems-Gebiet erstellt wurden, sind vor
                                                                                                  allem als Planungs- und Entscheidungsin-
                                                                                                  strumente zu verstehen. Sie bilden die
                                                                                                  Grundlage, kommunal-politische Frage-
                                                                                                  stellungen wie Bauanträge und Eingriffe in
                                                                                                  Flussverläufe auf der Basis vorliegender
                                                                                                  Risikoinformationen zu diskutieren.

                                                                                                  Literatur und Internet:
                                                                                                  Assmann, A., Fritsch, K., Jäger, S. (2012):
                                                                                                  Starkregengefahrenkarten und Risikoma-
Realistische Planspiele: Das Portal „Starkregengefahr.de“ simuliert die Effekte hoher Nie-        nagement im Glems-Einzugsgebiet: In:
derschlagsmengen im Gebiet der Glems. Quelle: geomer GmbH.                                        Strobl, J. u. a. (Hrsg.): Angewandte Geoinfor-
                                                                                                  matik 2012. Wichmann Verlag, Berlin/Offen-
                                                                                                  bach, S. 576-585.
                                                                                                  http://www.steb-koeln.de/hochwasser-und-
operation mit der Firma Rodriguez, Zeis-           insbesondere die Frage nach Konzentrati-       ueberflutungsschutz/starkregen
ler & Blank GbR entwickelt wurde.                  on und Rückstau, wurde über die Infor-
    Die Berechnung der Starkregengefah-            mationen zu Relief und Kleinstrukturen
renkarten wurde nach einem dreistufigen            berücksichtigt.
Analysemodell umgesetzt. Als klimatische
Komponenten flossen die zugeführte Was-            Starkes Kommunikationsinstru-
sermenge, differenziert nach der Nieder-           ment für lokale Szenarien
schlagsmenge, und deren zeitlicher Vertei-         Ein gutes Beispiel dafür, wie Geoinforma-
lung, in das Modell ein. Mit Blick auf die         tion zu effektiver Geokommunikation
hydrologische Situation wurde die Infiltra-        wird, ist die Internetpräsenz „Starkregen-
tion der Oberfläche anhand der Bodenver-           gefahr“, auf der sich die acht an der Studie
hältnisse, der Landnutzung und des Reliefs         beteiligten Gemeinden interaktiv auf ihr
einbezogen. Die Determinante Hydraulik,            prognostiziertes Gefahrenpotenzial hin

12   gis.Business 2/2014
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