STRATEGIEN ZUR BEKÄMPFUNG VON POPULISMUS
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IM FOKUS /// Klare Kante zeigen STRATEGIEN ZUR BEKÄMPFUNG VON POPULISMUS FLORIAN HARTLEB /// Politische Strategie erfordert politische wetterfeste Führung und Geschlossenheit – zumal in unruhigen Zeiten und in einem sich abzeichnenden Krisenmodus. Populisten gelten oft als Krisengewinnler. Die Ereignisse in Thüringen verdeutlichen die Notwendigkeit eines Kompasses. Gerade deshalb ist es wichtig, Distanz zu den Rändern von rechts wie links zu wahren. Was ist Strategie? mungsverhältnisse, die während der ge- „Wer nicht weiß, nach welchem Hafen samten Regatta herrschen, antizipieren. er steuern will, kennt keinen günstigen Es geht aber auch darum, die Anzahl Wind.“ Nach diesem klugen Ausspruch und Stärke der Gegner im Feld zu be- des römischen Dichters und Philoso- rücksichtigen, und in Bezug zur eigenen phen Seneca (ca. 1-65 n. Chr.) ist das Zielsetzung für alle Wettfahrten zu set- Ziel der Ausgangspunkt für erfolgreiche zen. Im Rahmen des Regattasports ist Steuerung, ob in der Wirtschaft, im also ziemlich klar, was eine Strategie Sport oder in der Politik. Strategie wird und was eine Taktik ist. als Begriff in all diesen Bereichen mehr Gerade in der Politik findet eine Ab- oder weniger elaboriert verwendet. In grenzung des Strategiebegriffs vielfach der Wirtschaft findet man den Begriff als Modeerscheinung in der so genann- ten Unternehmens- und Strategiebera- tung. Im Segelsport wird neben einer Wettfahrt-Taktik, die sich während den Der Strategiebegriff wird UNTER- Wettfahrten etwa durch Windrich- SCHIEDLICH definiert. tungswechsel ständig ändert, vor einer Regatta eine Strategie entwickelt. Diese soll dabei Wind-, Wellen- und Strö- 36 POLITISCHE STUDIEN // 491/2020
Quelle: iStock.com / Mattis Kaminer Die Populisten beherrschen das Spiel mit der Angst und zücken bewusst diese Karte. nicht statt. Er stammt eher aus der poli- mulierungen mit der Aura des überleg- tischen Praxis, getreu dem Motto „Wer ten Handelns oder der langfristigen Pla- gewählt werden will, muss klar vermit- nung auszustatten. Für Demokraten teln, wie er sein Ziel erreichen will“ und bedeutet das in erster Linie, die Mitte hat wenig theoretische Reflektion erfah- zu stärken und vor Radikalisierungs- ren.1 Die Notwendigkeit steigt aber, da tendenzen von rechts wie von links zu Populismus offenbar weniger eine Ideo- warnen. Konkret: Klare Kante ist hier logie, sondern eine chamäleonhafte po- ebenso gefragt wie politische Führung, litische Strategie ist, die sich gegen „Die- zumal in stürmischen Zeiten. Dazu da-oben“ und „Die-da-draußen“ wen- zählt Geschlossenheit, eine unbedingte det und politisches Kapital aus der Voraussetzung für Strategiefähigkeit. Schaffung von Feindbildern und Vorur- Populismus ist dabei die zentrale He teilen schlägt, also auf Exklusion statt rausforderung, der als „Wolf im Schafs- Inklusion setzt.2 pelz“ oftmals auch Radikalismus be- Es besteht Konsens, dass Mittel- deutet. Wahlerfolge in den meisten Umwelt-Kalkulationen ebenfalls ein- europäischen Ländern machen das fließen sollen sowie eine Ausrichtung Thema besonders relevant. In Deutsch- jenseits von situativen Handlungen. So land gab es zunächst nur kurzeitig und mündet die Verwendung des Begriffs begrenzt erfolgreiche Phänomene wie häufig in den Versuch, einfache Zielfor- etwa ab Ende der 1980er-Jahre die 491/2020 // POLITISCHE STUDIEN 37
IM FOKUS „Republikaner“ um den bayerischen Euro – dürften aber dafür sorgen, dass Fernsehjournalisten Franz Schönhuber die Erfolgswelle angesichts der perma- oder 2001 die Schill-Partei. Mittlerweile nenten Stresstests nicht abreißen wird, trat das ein, was kein Experte ange- da Populisten Angstverstärkung zum sichts der deutschen Geschichte vermu- Geschäftsmodell erkoren haben. tet hatte. Eine Partei, die Alternative für Deutschland (AfD), sitzt im Bundestag Strategien gegen Populismus und in allen Landesparlamenten. Sie ist Wie sieht aber eine erfolgreiche Strate- damit kein Strohfeuer, sondern ein ge- gie aus? Sollte man sich alleine dem me- samtdeutsches Phänomen, auch wenn dial goutierten „Kampf gegen rechts“ sie in Ostdeutschland fast den Status verschreiben, oder auch die Herausfor- einer Volkspartei hat. derungen auf der linken Seite im Auge 2016 schlug angesichts der Wahl von behalten? Man denke etwa an die Aus- Donald Trump, der immensen Flücht- schreitungen von Linksextremen beim lingsherausforderung (mit der Folge, G-20-Gipfel in Hamburg oder jüngst in dass rechtspopulistische Parteien reüs- Hamburg oder Berlin, aber auch an den sierten) und des Brexit-Referendums die Radikalismus innerhalb von „Fridays „Stunde der Populisten“.3 Mittlerweile for Future“. wird diskutiert, ob damit der Zenit er- reicht ist. Immerhin haben sich manche Präzedenzfall „Thüringen“ und die Parteien wie die Freiheitliche Partei Ös- Frage der Hufeisentheorie terreichs (FPÖ) entzaubert, was auch an Als besonders prägnantes Lehrstück klugen Innovations- und Modernisie- kann hier die Landtagswahl von Thü- rungsstrategien der Volksparteien, hier ringen dienen. Nach der Wahl im Okto- seitens der Österreichischen Volkspartei ber 2019 entstand ein Machtvakuum, so (ÖVP) in Person von Sebastian Kurz, dass es zu einem historischen „Sünden- lag. Bei der jüngsten Europawahl von fall“ kam. Der amtierende Ministerprä- 2019 schnitten die Populisten schlechter sident der Linken, Bodo Ramelow, ab, als sie vollmundig ankündigten und stand mit keiner Mehrheit zur Wahl. viele Medienbeiträge voraussagten. Die AfD überrumpelte die anderen Par- Die besonderen neuen Konstellatio- teien und unterstützte gemeinsam mit nen in einer globalisierten Welt – erneu- der CDU den FDP-Abgeordneten Tho- ter Migrationsdruck, die Corona-Krise mas Kemmerich. Nach einem öffentli- und die sich abzeichnende Rezession, chem Aufschrei musste dieser binnen 48 ein erneuter Stabilitätsdruck für den Stunden zurücktreten. In der CDU brach ein offener Konflikt zwischen Landes- und Bundespartei aus, mit der Folge, dass die Bundesvorsitzende An- negret Kramp-Karrenbauer ebenso ih- Die derzeitigen Krisen spielen ren Rücktritt erklärte wie der Protago- der ANGSTSTRATEGIE der Populisten nist im Land, Mike Mohring. Die CDU in die Hände. selbst hatte, nach einem Wahlergebnis, das die CDU mit 21,8 % sogar hinter der AfD zurückfallen ließ (23,4 %), wenig Handlungsoptionen. 38 POLITISCHE STUDIEN // 491/2020
Dass die Distanz zur AfD eingehal- „Wir erschießen sie nicht, wir setzen sie ten werden muss, steht außer Frage. Zu für nützliche Arbeit ein.“ Nicht nur das. radikal ist die Partei geworden, zumal Im Rahmen der Konferenz wurde auch in Thüringen Björn Höcke verantwort- ein Strategiepapier veröffentlicht. Einige lich zeichnet. Dieser völkisch-nationale Formulierungen, die über antikapitalis- Flügel um ihn wird nach einem umfas- tische Kampfrhetorik hinausgehen, ma- senden Bericht nun auch vom Verfas- chen selbst den „Spiegel“ stutzig. So sungsschutz, also mit nachrichten- heißt es etwa beim Thema Mauertote, dienstlichen Mitteln, beobachtet. Diese hier trage in Wahrheit der Westen die wichtige Distanz zum Radikalismus Verantwortung. Auf Seite 556 steht: von rechts sollte aber nicht dazu füh- „Die DDR war ein Kind des Kalten Krie- ren, das von den Politikwissenschaft- ges. Sie kämpfte in ihm, und sie war sein lern Uwe Backes und Eckhard Jesse Opfer. Er formte das Antlitz der DDR, maßgeblich geprägte Hufeisenmodell, schuf die ‚Mauer’. Die Schüsse an der also die prinzipielle Gleichbehandlung Grenze waren die Antwort auf die Poli- jeder Form des Extremismus im Sinne tik der BRD und ihrer Verbündeten, die eines gleichen Abstandes, aufzugeben DDR durch die Abwanderung vieler ih- und sich damit allein auf den „Kampf rer Bürger auf die Knie zu zwingen. Alle gegen rechts“ zu fokussieren. Das for- zusammen haben wir schließlich unter dern nun die Linke ebenso wie Teile der den Untaten Stalins gelitten. Sie haben Öffentlichkeit. So twitterte Katja Kip- uns die moralische Glaubwürdigkeit ge- ping, Co-Vorsitzende der Linken: „Die nommen.“4 Verständigung in Thüringen hat histo- rische Dimension: Damit ist die von CDU praktizierte Äquidistanz faktisch erledigt. Goodbye Hufeisentheorie. Dass CDU endlich die Ausgrenzung Links- wie Rechtsextremismus müssen linker Ideen korrigiert, ist eine gute GLEICHERMAßEN bekämpft werden. Nachricht für den antifaschistischen Konsens des Grundgesetzes.“ Das ist aber falsch und ein Beipflich- ten wäre für Bürgerliche fatal. Das Grundgesetz beruht auf einem antiex tremistischen Konsens, der eben auch Das Thema wird uns weiter beschäf- eine Distanz zum Linksextremismus tigen, da die Meinungsfreiheit in einer fordert. Kippings Vorstandskollege hysterischen Republik ernsthaft zur Bernd Riexinger verdeutlichte fast zeit- Disposition steht: „Offenbar hat der gleich die Relevanz der Theorie. Er sah Aufstieg der AfD dem Diskursklima in tatenlos vom Podium aus zu, als eine Deutschland geschadet: sowohl durch Teilnehmerin auf einer Parteikonferenz Meinungsäußerungen von AfDlern, als in Kassel sagte, dass man die Energie- auch durch die Mittel, mit denen insbe- wende auch „nach einer Revolution, sondere Identitätslinke den Kampf ge- wenn wir ein Prozent der Reichen er- gen rechts führen.“5 Schon allein aus schossen haben“, gestalten müsse. Ab- Ansehensgründen kann sich Deutsch- schließend äußerte er lediglich den Satz: land auf Bundesebene nicht leisten, dass 491/2020 // POLITISCHE STUDIEN 39
IM FOKUS Linke wie AfD in irgendeiner Regie- Die etablierten Parteien können ver- rungskonstellation eingebunden wer- suchen, die Parteienkonkurrenz schlicht- den. Das gilt auch für ein theoretisch weg zu ignorieren und damit das Prob- mögliches Tolerierungsmodell einer lem einfach „auszusitzen”. In der Tat Minderheitsregierung. Diese Variante gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass ist gleichwohl ob des deutschen Stabili- sich die populistischen Kräfte selbst ent- tätstraumas wenig wahrscheinlich. Bür- zaubert haben. Oftmals wollen rechtspo- gerliche Kräfte sollten einen faustischen pulistische Parteien gar nicht regieren. Pakt mit der Linken scheuen. Das Programm der AfD etwa ist nicht koalitionsfähig und auch nicht darauf Machtstrategische Optionen angelegt. Das gilt auch für die Linke, Viele Menschen wählen populistische Parteien aus Protest, weniger aus Über- zeugung. Sie wollen einen Denkzettel verpassen und glauben nicht daran, dass sich die Forderungen eins zu eins Die PARTEIEN verfolgen mehr oder umsetzen lassen oder dass das Füh- weniger erfolgreiche Bekämpfungs- rungspersonal besonders verantwor- strategien. tungsvoll mit dem Wählervotum um- geht. Von der Politik haben sie ein schlechtes Bild: abgehobenes Elitenkar- tell, Besitzstandswahrer, weit entfernt von den Bedürfnissen des „kleinen Mannes” oder schlicht des Normalbür- wenn man etwa ihre sicherheitspoliti- gers. Das zeigt sich etwa bei der AfD: schen Positionen und ihre Nähe zu sozi- Die Mehrheit ihrer Wähler ist allgemein alistischen Diktatoren berücksichtigt. unzufrieden mit dem Funktionieren der Mitunter entpuppen sich populistische Demokratie. Diese Befunde sind be- Kräfte als unbedarfte Politikamateure, kannt und belegt, aber was folgt daraus die an Querelen und Richtungsstreitig- für die Parteien der Mitte? keiten zugrunde gehen. Besonders ein- drucksvoll zeigte das der österreichische Für den Umgang mit Populisten bie- Vizekanzler und Vorsitzende der FPÖ, ten sich fünf verschiedene strategische der in das „Ibiza-Gate“ verwickelt war Optionen an. Den Stein des Weisen gibt und durch offenkundig gewordene Kor- es aber nicht. Hier ist auch der Zeit- rumpierbarkeit eine Staatsaffäre verur- punkt wichtig, wann welche Karte ge- sachte. Hier war die Strategie also rich- zückt werden soll:6 tig, die FPÖ als Juniorpartner einzubin- den („Drachentötereffekt“). • Ignorieren („Aussitzen“), Eine auf dem ersten Blick erfolgs- • strikte Ausgrenzung („Verteufelung“), versprechende Strategie ist es, themati- • thematische Annäherung, sche Forderungen der rechtspopulisti- • Tolerierung durch populistische Par- schen Formationen zu übernehmen. teien oder Dieser Punkt ist besonders heikel. Da- • Koalition („mit der Hoffnung auf vid Cameron scheiterte auf ganzer Li- Entzauberungseffekte“). nie mit seiner Strategie, durch ein Refe- 40 POLITISCHE STUDIEN // 491/2020
rendum die Euroskeptiker in seinen Hier gibt es einen merkwürdigen Wi- Reihen zu befrieden sowie die Konkur- derspruch: Obwohl es ihnen mitunter renz der UK Independence Party gut geht, herrscht unter den Wählern (UKIP) in den Griff zu bekommen. Die populistischer Parteien die Meinung Büchse der Pandora war geöffnet. Er vor, mit dem eigenen Land und der Ge- wirkte zudem durch seine eigene Euro- sellschaft gehe es bergab. Nach dem papolitik wenig glaubwürdig, kurz vor Motto: In der Vergangenheit lief vieles der Abstimmung gegen einen Brexit zu besser, in der Zukunft schwane hinge- wettern. Auch die Flüchtlingsheraus- gen Böses: Europäisierung und Globali- forderung hat gezeigt, dass es kein Pa- sierung hätten fast nur negative Seiten. tentrezept ist, die AfD in ihren Forde- Vielleicht liegt der Erfolg der rungen nachzuahmen. Schwarzmaler im Zeitgeist: Ist „Rechts“ das neue „Grün“? Zumindest in West- Strategische Überlegungen europa gibt es die Interpretation, den der Wähleransprache Aufstieg der Rechtspopulisten als Ge- Seit dem Untergang der Weimarer Re- genbewegung zur 1968er-Bewegung publik und dem Aufstieg von Adolf Hit- und zu den „Grünen” zu interpretieren. ler herrscht das Bild vor, autoritäre oder Immerhin haben soziale Bewegungen totalitäre Bewegungen entstünden auf progressive Politik wie Umwelt, Frie- Grund von wirtschaftlicher Depression, den, Emanzipation und Feminismus so- die sich in hoher Arbeitslosigkeit und wie Toleranz für gleichgeschlechtliche anderen Erscheinungen wie Inflation Lebensformen auf die gesellschaftliche spiegle. Diesem Befund widerspricht wie politische Agenda gebracht – Errun- aber, dass Rechtspopulisten auch dort genschaften, die Rechtspopulisten oft- Erfolg haben, wo die wirtschaftliche mals in ihrer Programmatik bekämpfen. Lage gut ist, etwa in Skandinavien, Ös- Gerade das grassierende „Gender-Main- terreich, der Schweiz und nun auch in streaming” ist ihnen ein Feindbild. Für Deutschland. Hier haben besonders die USA und Europa sehen vergleichen- Mittelschichten Angst vor dem sozialen de Studien die kulturelle Frage als Abstieg. Die AfD kann Wähler aus allen Zündstoff, die längst wichtiger als das Parteien für sich gewinnen und vor al- wachsende sozio-ökonomische Gefälle lem Nichtwähler mobilisieren. Ein euro- geworden ist.7 Hinzu kommt ein nostal- päischer Trend: Es ist den Rechtspopu- gischer Moment, eine Sehnsucht nach listen schlichtweg gelungen, Wähler aus den guten, alten Zeiten, als die Welt allen sozialen Schichten zu rekrutieren. noch überschaubar war. Sie sind inzwischen dort verankert, wo sich Wähler entweder durch weitere Einwanderung bedroht fühlen oder sie dem Handeln des politischen Establish- ments zu Hause und auf europäischer „SCHWARZMALEREI“ könnte den Ebene überdrüssig sind. Der Erfolg von derzeitigen Aufstieg des Rechts- Europas Rechtspopulisten gründet sich populismus befördert haben. aber vor allem auf einer negativen Sicht der gegenwärtigen und zukünftigen po- litischen wie wirtschaftlichen Lage. 491/2020 // POLITISCHE STUDIEN 41
IM FOKUS Aus den europäischen Erfahrungen er- durch den Verfassungsschutz deut- weisen sich folgende populäre Gegen- lich hinzuweisen. strategien im Umgang mit Populisten • Komplexitätsfalle: „Die politischen oftmals als falsch, wirken also kontra- Probleme oder Herausforderungen produktiv: sind so komplex geworden, dass sie der Normalbürger nicht mehr verste- • Therapeutischer Ansatz: „Wir müs- hen kann“. sen die Sorgen, Ängste und Nöte der Bewertung: Das schürt die Sehn- Menschen ernst nehmen“. sucht nach Vereinfachung, für die Po- Bewertung: Hier wird ein bemut- pulisten stehen. terndes Überlegenheitsgefühl kons truiert, welches das Urteil bestärkt, Freilich währt in einer hektischen, vir- die Elite sei arrogant. tuell beschleunigten Welt die Aufmerk- • Schlichtes Lamentieren: „Ob Trump, samkeitsspanne für Ereignisse oder He- Russlands Propaganda, etc. – Fakten rausforderungen nur kurz. Allgemein zählen nichts mehr, deshalb sind wir lässt sich durch ein Denken in Ein- und hilflos den Populisten ausgeliefert“. Zweijahresprojekten ein Nachhaltig- Bewertung: Damit gibt man das Feld keitsverlust in allen Bereichen der Ge- der politischen Auseinandersetzung sellschaft feststellen. Der Vorwurf an auf, resigniert im Grunde. die Politik, lediglich bis zur nächsten • Beschwichtigungsrhetorik: „Die Po- Wahl zu denken, ist hier nicht neu und pulisten entzaubern sich durch Politik hat mitunter populistische Züge. Den- unfähigkeit von selbst, sind ohnehin Eintagsfliegen“ Bewertung: Die empirischen Beispie- le in Europa und Deutschland bewei- sen das Gegenteil. In Politik und Gesellschaft macht • „Dummheitsvorwurf“: „Die Wähler sich ein NACHHALTIGKEITSVERLUST der Populisten seien einfach schlicht, bemerkbar. gar dumm“. Bewertung: Das beleidigt eine situativ unzufriedene Bevölkerungsgruppe, mit der Gefahr, sie dauerhaft zu „ent- fremden“; • „Extremismusvorwurf“: „Die Rechts- noch lässt sich ein eklatanter Mangel populisten sind Faschisten oder Ex der Politik darin festzustellen, Eventua- tremisten, gar ‚neue Nazis‘, eine litäten einzukalkulieren. Um Szenarien Schande“. besser vorhersehen zu können, gilt es, Bewertung: Das treibt den Kräften kreativ und offen für Alternativen zu noch mehr Wähler zu. Freilich ist auf sein. Vor kurzem äußerten viele Politi- die Radikalisierung der AfD, einzel- ker aus den Reihen der Großen Koaliti- ne Formulierungen („NS-Zeit als ‚Vo- on, die Flüchtlingsherausforderung sei gelschiss der Geschichte‘“, Alexander bewältigt – ein fataler Trugschluss, der Gauland) und die nun einsetzende jetzt in einem Bumerang-Effekt zurück- Beobachtung des völkischen Flügels kommt. 42 POLITISCHE STUDIEN // 491/2020
Als zielführend erweist sich folgender 2016 sollten nicht Trump, Orbán, Le Leitfaden: Pen & Co. in einen Topf geworfen werden. Gerade ein Viktor Orbán ist • S elbstbewusstsein: Demokraten müs- Teil der europäischen Wertegemein- sen von ihren Ideen überzeugt sein, schaft, hat eine enge Beziehung zu um überzeugen zu können. Nur mit Deutschland und Bayern. Die popu- dem Glauben an die eigene Stärke listischen Kräfte sind immer noch kann den Populisten Einhalt geboten tendenziell heterogen und wider- werden. Hier zählen Traditionslinien, sprüchlich, es gibt eben keine Popu- Leistungsbilanzen und Werte – aller- listische Internationale. Mit einer zu- dings nur, wenn sie weniger techno- nehmenden Vernetzung untereinan- kratisch und mehr emotional vorge- der holen sie nur eine Entwicklung tragen werden. nach, welche die anderen Parteien • Agenda-Setting: Wer Chancenthe- längst eingeleitet haben. Vor allem men wie Klima (jenseits von Greta unterscheiden sich die Anti-Estab- Thunberg) und Digitalisierung ent- lishment-Formationen nicht nur in deckt, hat einen klaren Wettbewerbs- ihren Forderungen, sondern auch in vorteil. Hier sollte durchaus betont ihrer Radikalität. Keineswegs alle Po- werden, dass der Freistaat Bayern vo- pulisten sind Extremisten und eine rausschauend das erste Umweltmi- Gefahr für die Demokratie an sich. nisterium in Deutschland einrichtete, • Entlarvung: Auch wenn es in der Öf- ebenso nun das erste fachübergrei- fentlichkeit wenig beachtet wird, soll- fende Digitalisierungsministerium. te die Parlamentsarbeit der Populisten Der politische Diskurs verengt sich genauer unter die Lupe genommen dann nicht auf EU, Finanzmärkte, werden. Setzen diese ihre Vorgaben Migration, Flüchtlinge, Terrorismus um, nehmen sie in Ausschüssen und und die schwierige weltpolitische Ge- Arbeitskreisen aktiv am parlamentari- mengelage. schen Leben teil? Immer wieder macht • Unterscheidbarkeit: Momentan ver- das Personal auf den Listen und in den läuft die politische Auseinanderset- Parlamenten durch Unerfahrenheit zung zwischen den „guten Demokra- und Unprofessionalität von sich re- ten“ (in Deutschland zählt nun im öf- den. Mittlerweile gibt es eine ganze fentlichen Diskurs oft auch die Linke Reihe an „Aussteigern“ in den AfD- dazu) und den „bösen Populisten“. Fraktionen. Oftmals glänzen sie auch Wichtiger wäre, den Markenkern stär- durch Abwesenheit und bringen ihre ker herauszustreichen, etwa christ- Kernthemen gar nicht ein. und sozialdemokratische Politikan- sätze stärker voneinander abzugren- Demokratische Parteien in politischer zen. Wichtig ist es auch, neue Koaliti- Verantwortung müssen soziale Exklusi- onsmodelle zu entwickeln, da die on durch Arbeits- und Perspektivlosig- Bundesrepublik wohl dauerhaft zum keit, lebenslange Abhängigkeit von Sozi- Sechsparteiensystem geworden ist. alleistungen, geringe oder gar keine Bil- • Differenzierung: Es gibt nicht „den“ dung oder die Verelendung ganzer Land- (Rechts-)Populismus, ebenso wenig striche oder Stadtteile verhindern. Men- „den“ Wutbürger. Anders als im Jahr schen, die sich abgehängt fühlen, zeigen 491/2020 // POLITISCHE STUDIEN 43
IM FOKUS eine besondere Anfälligkeit für die einfa- chen „Antworten” der Populisten. Feh- lende Infrastruktur – Internetverbindung Die INHALTSLEERE Propaganda wie Busanbindungen – sorgten etwa da- der Populisten muss klar aufgezeigt für, dass die AfD im Bayerischen Wald werden. überproportional viele Stimmen bekam. Die etablierten Parteien müssen nicht nur die Sorgen und Nöte der gesamten Bevöl- kerung ernst nehmen, sie müssen auch dafür Sorge tragen, dass Menschen Pers- pektiven, sinnvolle Arbeits-, Weiterbil- wie sich die konservative Philosophie dungs- und Freizeitangebote vorfinden, von Lord Salisbury (1830-1903), lang- d. h. dass sie Zugang zum sozialen Leben jähriger Premierminister von Großbri- haben und daran teilnehmen können. tannien, zusammenfassen lässt. Die Kraft der Vereine, von der Feuerwehr Gerade in einer Krise zeigt sich, dass bis zum Schützenverein, muss weiterhin populistische Parteien wenig oder ledig- wirken. Dort sind Vertreter der AfD lich absurdes anzubieten haben. Mart kaum zu finden. Helme, Innenminister Estlands und Vor- Ein anderer Weg im Umgang mit Po- sitzender der radikal-rechtspopulisti- pulisten besteht darin, ihre Propaganda schen Partei, riet etwa nach Ausbruch von direkt anzugreifen. Es ist daher umso Corona seiner Bevölkerung allen Ernstes mehr Aufgabe besonders der christde- dazu, wieder die alten Hausmittel zu ver- mokratischen Parteien, der Öffentlich- wenden. Wickel und warme Socken hät- keit zu zeigen, worin das Programm der ten schließlich in seiner Jugend auch ge- Populisten wirklich besteht, nämlich in wirkt.10 Fest steht: Auch in einer globali- meist inhaltsleerer Propaganda ohne sierten Welt verlangt nicht jedes Problem den geringsten Ansatz eines Lösungs- eine globale Lösung. Das ist eine Chance, vorschlags. Wenn es um Gegenwarts- denn Populisten tragen nichts zur Lösung themen wie die digitale Transformation der globalen, aber auch der nationalen von Staat und Gesellschaft (gerade, und regionalen Probleme bei. /// nachdem soziale Kontakte zum Risiko- faktor geworden sind) geht, haben Po- pulisten wenig anzubieten. Die alten Rezepte der Volksparteien greifen auch im Zeitalter der Sozialen Medien: Füh- rung statt basisdemokratischer Träume- reien, Geschlossenheit, Identifikation und eine klare Strategie. Dann lassen sich auch die Wind-, Wellen- und Strö- mungsverhältnisse navigieren – auch in /// DR. FLORIAN HARTLEB Zeiten des Coronavirus, dessen Verbrei- ist Politikwissenschaftler und -berater, tung sich nur durch eine „splendid isola- Managing Director Hanse Advice, Tallinn/ tion“ eindämmen lässt. Hier kommt die Estland, derzeit Lehrbeauftragter an der Identität8 ins Spiel. Zu „Hause ist aller Katholischen Universität Eichstätt sowie an Anfang“9 und „Verzögerung ist Leben“, der Hochschule der Polizei Sachsen-Anhalt. 44 POLITISCHE STUDIEN // 491/2020
Anmerkungen 1 A ls erstes Standardwerk zum Thema Raschke, Joachim / Tils, Ralf: Politische Strategie. Eine Grundlegung, Wiesbaden 2007. Der Begriff wird nicht einmal in einschlägigen Lexika der Politik- wissenschaft erwähnt. 2 Vgl. Weyland, Kurt: Populism. A Political-Strate- gic Approach, in: The Oxford Handbook of Popu- lism, hrsg. von Kaltwasser, Cristóbal Rovira u. a., Oxford 2017, S. 48-71. 3 H artleb, Florian: Die Stunde der Populisten. Wie sich unsere Politik trumpetisiert und was wir da- gegen tun können, Schwalbach am Taunus 2017. 4 Siehe dazu Hartleb, Florian: Goodbye Hufeisen, in: Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Po- litik, Gesellschaft und Kultur vom 12.3.2020, S. 4.; vgl. zum Dokument im Original auf den offi- ziellen Seite der Partei, Die Linke: Strategiedebatte, Kassel 2020, https://strategiedebatte.die-linke.de/ fileadmin/download/strategiedebatte2020/Reader/ Reader_Strategiedebatte.pdf, Stand: 16.3.2020. 5 Kostner, Sandra: Keine Meinungsfreiheit ohne ein Klima der Freiheit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 70/2020, S. 8-11, hier S. 9 f. 6 Vgl. Grabow, Karsten / Hartleb, Florian: Europa – Nein Danke? Studie zum Aufstieg nationalpopu- listischer Parteien in Europa, Sankt-Augustin / Berlin 2013, S. 34-42. 7 Vgl. Inglehart, Ronald / Norris, Pippa: Trump, Brexit and the Rise of Populism. Economic Have- Nots and Cultural Backlash, Harvard Kennedy School, Working Paper, Cambridge / Massachu- setts, August 2016, https://papers.ssrn.com/sol3/ papers.cfm?abstract_id=2818659, Stand: 1.3.2020. 8 Siehe hier das grundlegende Buch von Fukuyama, Francis: Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Identität gefährdet, dt. Übersetzung, Hamburg 2019. 9 So das Kapitel bei Scruton, Roger: Von der Idee, konservativ zu sein, dt. Übersetzung, München 2019, S. 45-61. 10 Auf einer Pressekonferenz am 27.2.2020, Delfi.ee, „Eine Erkältung wird nun Coronavirus genannt“ (auf estnisch), https://www.delfi.ee/archive/print. php?id=89066557, Stand: 16.3.2020. 491/2020 // POLITISCHE STUDIEN 45
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