Strategischer Wettbewerb und Systemrivalität: Die US-Chinapolitik unter Präsident Joe Biden im ersten Amtsjahr
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SIRIUS 2022; 6(2): 218–226 Kurzanalysen und Berichte Gerlinde Groitl* Strategischer Wettbewerb und Systemrivalität: Die US-Chinapolitik unter Präsident Joe Biden im ersten Amtsjahr https://doi.org/10.1515/sirius-2022-2008 2 K ontinuität und Wandel in der US-Chinapolitik 1 E inleitung Möchte man das Maß an Kontinuität und Wandel in der US-Chinapolitik bestimmen, ist zunächst festzuhalten, Der Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden im Januar dass es bei Regierungswechseln immer eine gewisse Paral- 2021 ging international mit großen Erwartungen einher. lelität von Beständigkeit und Anpassung gibt. Beim Über- Nach der turbulenten vierjährigen Amtszeit von Donald gang von der Trump- zur Biden-Regierung bestand die J. Trump waren nicht nur die europäischen Partner ge- Schwierigkeit darin, angesichts der Vielstimmigkeit und spannt, wie die neue Administration in Washington die Widersprüchlichkeit vieler Politiken der Trump-Ära den Weichen stellen würde. Von Anfang an war klar, dass Ausgangsbefund klar zu benennen. Und obwohl Biden in auch unter Biden der Aufstieg der Volksrepublik China vielen Bereichen einen radikalen Kurswechsel in Aussicht Dreh- und Angelpunkt in der Außen- und Sicherheits- gestellt hatte, traf das auf die Chinapolitik nicht zu. Hier politik bleiben würde. Ebenso klar war, dass dies nicht ist eine relative Kontinuität festzustellen. Die Ursachen nur Washington und Peking betreffen würde. Die weitere liegen im internationalen System, der amerikanischen Entwicklung der chinesisch-amerikanischen Beziehungen Innenpolitik und den Erfahrungswerten früherer Jahre. besitzt weltpolitische Relevanz. Chinas relativer Machtzuwachs der letzten Jahrzehnte Die vorliegende Analyse beleuchtet den Kurs der Bi- ist ein Megatrend, der im internationalen System struktur- den-Administration gegenüber der Volksrepublik China prägend wirkt. Zwar ist noch längst keine Parität zwischen im ersten Amtsjahr. Zunächst werden Kontinuität und den USA und China in Sicht. Doch es braucht keinen voll- Wandel in der US-Chinapolitik des letzten Jahrzehnts ver- ständigen Machtausgleich, um die von den USA geprägte messen. Im Anschluss rücken Bidens Weichenstellungen Ordnung zu unterminieren. Und genau das macht China. und Kurskorrekturen ins Blickfeld, zuletzt die Themen- Seit Xi Jinpings Amtsantritt 2012/2013 bewegt sich das felder Sicherheit, Wirtschaft und Werte. Insgesamt sticht Land im Inneren zum Totalitarismus, während es nach ins Auge, welch hohes Maß an Beständigkeit vorherrscht. außen seine frühere Zurückhaltung aufgegeben hat. Die Beziehungen zwischen Washington und Peking haben Bis 2049 soll das Ziel einer nationalen Wiedergeburt als sich in den vergangenen Jahren deutlich verhärtet. Eine Weltmacht erreicht sein. Die Volksrepublik ist heute die Deeskalation ist angesichts der Streitpunkte nicht in Sicht, zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und zu einem In- zumal weder Chinas starker Mann Xi Jinping noch die USA novations- und Technologietreiber avanciert. Interna- gewillt sind, eigene vitale Interessen aufzugeben. Und tional bieten ihre Wirtschaftskraft und Kreditversprechen doch setzt die Biden-Regierung neue Akzente, indem sie operationalisierbare Abhängigkeiten und politische Be- die Parallelität von Wettbewerb, Kooperation und Konflikt strafungsoptionen, die Peking offensiv nutzt. Militärisch anerkennt, die Systemrivalität zwischen Demokratie und rüstet das Land massiv auf, unterhält mittlerweile die Autokratie betont und insgesamt kohärenter handelt als größte Marine der Welt, verschiebt maritime Grenzen und die Trump-Administration. Eine Entspannung ist dennoch bedroht Taiwan und andere US-Partner. Internationale nicht in Sicht. Institutionen gestaltet Peking von innen her um (z. B. UN- Menschenrechtsregime), höhlt die internationale Ordnung durch Regelbrüche aus (z. B. WTO; territoriale Expansion *Kontakt: PD Dr. Gerlinde Groitl, Universität Regensburg; im Südchinesischen Meer) bzw. schafft mit eigenen Al- E-Mail: Gerlinde.Groitl@politik.uni-regensburg.de Open Access. © 2022 Groitl, publiziert von De Gruyter. Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.
Strategischer Wettbewerb und Systemrivalität 219 ternativinstitutionen Fakten, um die Welt nach seinen In- länger zum eigenen Vorteil ausnutzen und sie zugleich teressen zu gestalten. Mit ihrer „Wolfskrieger“-Diplomatie verletzen und umgestalten würde. zerschlägt die Volksrepublik bereitwillig Porzellan und Die Trump-Administration trieb diese Neuausrichtung führt mit aggressiver Auslandspropaganda einen Kampf voran, jedoch in höchst widersprüchlicher Form. Einer- der Narrative. Daraus ergibt sich für die USA ein Hand- seits bemühte sich Washington um Einhegung und Bestra- lungsdruck, der Regierungswechsel überdauert.1 fung der Volksrepublik. Die Nationale Sicherheitsstrategie Dieser außenpolitische Reaktionszwang wird in der von 2017 benannte China als revisionistische Macht, die amerikanischen Innenpolitik nicht abgemildert. Dass es US-Interessen und Werte verletze, und stellte Gegenmaß- eine harte Linie gegenüber China braucht, hat sich in den nahmen zusammen mit Partnern in Aussicht.4 Die USA vergangenen Jahren trotz der tiefen Spaltung in anderen begegneten Chinas Einflusssphärenpolitik mit dem Ziel Bereichen zu einem parteiübergreifenden Konsens ver- eines „freien und offenen Indo-Pazifik“, weiteten ihre festigt. Kritik an der Parteidiktatur und ihren Menschen- militärische Präsenz in der Region aus und belebten das rechtsverletzungen sind keineswegs neu. Mittlerweile wird Format der quadrilateralen Sicherheitskooperation mit aber auch Chinas Integration in die Weltwirtschaft mit Australien, Japan und Indien („Quad“). Das chinesische Ernüchterung gesehen. Statt durch die Wirtschaftsbezie- Wirtschaftsmodell wurde nunmehr als Gefahr für die hungen zur Liberalisierung der Volksrepublik beizutragen amerikanische Wettbewerbsfähigkeit und Prosperität ein- oder zumindest den USA massive relative Gewinne zu be- gestuft. Strafzölle, Handelsschranken und Entkopplungs- scheren, stehen Arbeitsplatzverluste, Technologieklau Initiativen folgten. Die Menschenrechtsverletzungen in und chinesische Profite im Fokus. Außerdem provoziert Xinjiang und die Unterwerfung Hongkongs quittierten Pekings Verhalten negative Aufmerksamkeit. Meinungs- die USA mit lauter Kritik und Sanktionen. Außenminister umfragen zeigen eine deutliche Verdüsterung des China- Mike Pompeo erklärte 2020 die von US-Präsident Richard Bildes, und zwar nicht nur in den USA.2 Für Washington Nixon eingeleitete Öffnungs- und Engagement-Politik mit ist es unter diesen Umständen kostspielig geworden, als der Volksrepublik China für gescheitert und schwor die nachgiebig gegenüber China zu gelten.3 Öffentlichkeit auf einen manichäischen Konflikt zwischen Der chinakritische Konsens der Gegenwart hat auch der freien Welt und der kommunistischen Diktatur ein. Mit mit den Erfahrungen der Vorjahre zu tun. Schon Präsident US-Spionagevorwürfen, der Schließung des chinesischen Barack Obama wollte ab 2011 den Fokus auf Asien richten, Konsulats in Houston und dem Schlagabtausch um den um Chinas Machtzuwachs und destabilisierendes Ver- Ausbruch der Corona-Pandemie befanden sich die Be- halten zu balancieren. Dabei setzte er auf eine möglichst ziehungen im letzten Amtsjahr Trumps diplomatisch im wenig antagonistische multilaterale Partnerschaftspolitik, freien Fall. die Stärkung des militärischen Fußabdrucks im asiatisch- Die Chinapolitik der Ära von Donald Trump hatte zu- pazifischen Raum und die Verbesserung der ökonomi- gleich aber noch ein völlig anderes Gesicht. Die populisti- schen Teilhabe der USA in der Region. Neue Handels- schen, protektionistischen, autoritären und allianzfeind- abkommen mit Pazifikanrainern (TPP) und der EU (TTIP) lichen Instinkte des Präsidenten sowie die Bereitschaft sollten zudem Wachstumsimpulse generieren, Standards seiner Administration, den Status quo internationaler setzen und das staatskapitalistische China zu Reformen Institutionen brachial in Frage zu stellen, konterkarierten bewegen. Gegenüber Peking hoffte Obama auf Dialog und die Einhegungsinitiativen und ließen die USA als Be- Verständigung, was die chinesische Seite als Schwäche drohung für die internationale Ordnung erscheinen. Der interpretierte. Das Scheitern dieses Ansatzes präjudizierte amerikanische Rückzug aus der TPP, die Lähmung der schon am Ende der Obama-Präsidentschaft einen schär- Welthandelsorganisation (WTO), die Ausstiege aus dem feren Kurs, damit China die internationale Ordnung nicht Pariser Klimaabkommen, dem UN-Menschenrechtsrat und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) boten aus- gerechnet China Profilierungschancen. Zudem attackierte 1 Mit unterschiedlichen Schwerpunkten zu Chinas Politik vgl. Gold- Trump selbst die engsten Partner, untergrub Allianzen, stein 2020, Godehardt 2020, Rudolf 2019, Dieter 2021a, Strittmatter hofierte Autokraten, befürwortete transaktionale „Deals“ 2020. mit Russland oder China und beschädigte die amerika- 2 Vgl. Silver/Devlin/Huang 2021. 3 Vgl. Overhaus/Rudolf/von Daniels 2020 sowie Yasmeen Ser- han: Consensus Isn’t Always a Good Thing. Dissent is prevalent in Washington. When it comes to China policy, disagreement might 4 Vgl. Donald J. Trump: National Security Strategy of the United States help, The Atlantic, 5.10.2021; www.theatlantic.com/international/ of America, December 2017; https://trumpwhitehouse.archives.gov/ archive/2021/10/perils-washingtons-china-consensus/620294/. wp-content/uploads/2017/12/NSS-Final-12-18-2017-0905.pdf.
220 Gerlinde Groitl nische Demokratie. Die Außen- mit der Handels- und der Genau das zeigt sich nach Bidens erstem Amtsjahr. Sicherheitspolitik abzustimmen gelang nicht. Insgesamt Man kann zwar eine relative Kontinuität feststellen, jedoch oszillierte die Chinapolitik unter Trump zwischen nötigen weder einen Abklatsch des Trump-Kurses noch eine Rück- Schutzmaßnahmen und Einhegungsversuchen, per- kehr zum überholten Status quo ante der Obama-Ära. Viel- spektivloser Konfrontation und kontraproduktiver Selbst- mehr ist von einer modifizierten Kontinuität zu sprechen. demontage der USA.5 Eine Nationale Sicherheitsstrategie liegt bislang nicht vor. Aber die vorläufige Weisung zur Nationalen Sicherheit (Interim National Security Strategic Guidance) vom März 3 W eichenstellungen der Biden- 2021 vereint das Versprechen, dass Amerika zurück sei als Führungsmacht, mit dem Anspruch, die erodierende Administration: Strategischer internationale Ordnung den veränderten Rahmenbedin- Wettbewerb und Systemrivalität gungen anzupassen. Zugleich verknüpft sie Innen- und Außenpolitik: Die USA müssten sich im Inneren erneuern, um nach außen stark sein zu können; umgekehrt hänge Angesichts der skizzierten Ausgangslage war zu hoffen, das Wohlergehen daheim vom internationalen Umfeld ab, dass der Amtsantritt von Joe Biden Kontinuität und Wandel das der Demokratie, dem amerikanischen Wohlstand und zugleich bringen würde: Beständigkeit im Bemühen, Chinas der freien Gesellschaft zuträglich sein sollte. Mit Blick auf Revisionismus Grenzen zu setzen, aber mit mehr Systema- China heißt es unmissverständlich: „It is the only com- tik und Klugheit, um dies auf erfolgversprechende Art und petitor potentially capable of combining its economic, Weise zu tun und die Eskalationsgefahren zu dämpfen. diplomatic, military, and technological power to mount Dass die Chinapolitik der Biden-Administration nicht völlig a sustained challenge to a stable and open international anders aussehen würde als die der Vorgängerregierung, system.“6 Ebenso deutlich formuliert sie die Handlungs- war zu erwarten. Selbst die wachsende Bereitschaft zum bereitschaft der USA: „When the Chinese government’s unilateralen Vorgehen und zum Bruch mit bestehenden In- behavior directly threatens our interests and values, we stitutionen war nicht allein Trumps Instinkten geschuldet. will answer Beijing’s challenge.”7 Schließlich krankten multilaterale Instrumente, institutio- Während Obama auf die Vermeidbarkeit von Konflikt nelle Reformbemühungen und der Status quo der interna- gehofft und die Trump-Administration China holzschnitt- tionalen Ordnung tatsächlich. Die Bereitschaft zum disrup- artig als Antagonisten gezeichnet hatte, definierte die tiven Verhalten würde unter einem neuen Präsidenten nicht Biden-Regierung die chinesisch-amerikanischen Bezie- notwendigerweise verschwinden. hungen als komplexen Dreiklang von Wettbewerb, Koope- ration und Konflikt. An Bord des aktuellen Teams sind China-Kenner und Veteranen der Obama-Biden-Jahre wie Jake Sullivan als Nationaler Sicherheitsberater und Kurt M. Campbell als Beauftragter für den Indo-Pazifik. Campbell und Sullivan hatten in einem gemeinsamen Essay 2019 davor gewarnt, China zum Feind zu stilisieren und ein Katastrophenszenario zu riskieren.8 Heute erkennen die USA an, dass frühere Hoffnungen auf eine Interessenan- gleichung falsch waren, das Verhältnis zwischen Peking und Washington aber auch nicht als eine Einbahnstraße von Konflikt und Eskalation verstanden werden dürfe. In den Worten von US-Außenminister Antony Blinken sei es „competitive where it should be, collaborative where it can Präsident Biden spricht im Juni 2021 zu den Teilnehmern des virtuellen APEC Gipfels. 6 Biden, Joseph R.: Interim National Security Strategic Guidance, März 2021; www.whitehouse.gov/wp-content/uploads/2021/03/ 5 Zum historischen Überblick sowie zur Chinapolitik von Obama und NSC-1v2.pdf, 8. Trump vgl. Groitl 2021. Zur Widersprüchlichkeit und Kontraprodukti- 7 Ibid, 20. vität von Trumps Chinapolitik vgl. Groitl 2019. 8 Vgl. Campbell/Sullivan 2019.
Strategischer Wettbewerb und Systemrivalität 221 be, and adversarial where it must be.”9 Eben diesen Drei- values.“10 Insofern besitzen die USA klare Erwartungen klang gilt es zu managen und mit Einzelmaßnahmen ge- an andere, insbesondere an ihre demokratischen Partner, schickt auszutarieren. sich anzuschließen. Bündnisse und Institutionen werden Zugleich folgt die Biden-Administration einer weit ge- auch unter Biden an ihrer Funktionalität gemessen. „Our fassten Definition dessen, was international auf dem Spiel democratic alliances enable us to present a common front, steht. Sie identifiziert einen globalen Systemwettstreit produce a unified vision, and pool our strength to promote zwischen Demokratie und Autokratie. Die innere Krise der high standards, establish effective international rules, and Demokratie angesichts von Populismus und Illiberalis- hold countries like China to account.“11 Es ist ein fordern- mus, der Rückgang von Demokratie und Freiheit weltweit der Multilateralismus, mit dem Deutschland und Europa in den letzten 15 Jahren und die wachsende Stärke von konfrontiert werden. Diktaturen wie China verdichteten sich demnach zu einer Das bilaterale Verhältnis zu China blieb unter diesen besorgniserregenden Gesamtlage. China nehme dabei Bedingungen frostig. Chinesische Offizielle nutzten das eine zentrale Rolle ein mit seinem konkurrierenden poli- erste Zusammentreffen mit US-Außenminister Antony tischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Ordnungs- Blinken und Sicherheitsberater Jake Sullivan in Alaska modell und seinen Bestrebungen, das internationale im März 2021 für eine Tirade öffentlicher Vorwürfe.12 Die System umzugestalten. Diese Lesart ist nicht neu. Doch von den USA erhofften Kooperationschancen trotz strate- mit ihrer starken Betonung des Gegensatzes von Demokra- gischen Wettbewerbs erwiesen sich als bescheiden. China tie und Autokratie unterscheidet sich die Biden-Adminis- verbat sich stattdessen kompromisslos US-Kritik, wies die tration von ihren Vorgängern. Obama hatte es vermieden, Verantwortung für alle Spannungen den USA zu und über- unauflösbare Antagonismen zu beschwören. Er rückte die mittelte der stellvertretenden US-Außenministerin Wendy Sorge um die regelbasierte Weltordnung in den Mittel- Sherman im Sommer 2021 seinerseits Forderungen für punkt. In Trumps Amtszeit verfestigte sich zwar das Bild weitreichende Verhaltensänderungen Washingtons. Unter eines umfassenden Konflikts. Praktisch reduzierte aber anderem sollten die USA ihre Strafzölle aufgeben und sich vor allem der Präsident die Beziehungskrise auf einzelne, nicht mehr in Vorgänge in Xinjiang, Tibet und Hongkong primär ökonomische Interessengegensätze, die sich durch „einmischen.“ Dass sich im November 2021 Joe Biden und transaktionale Übereinkünfte ausräumen ließen (z. B. Be- Xi Jinping zumindest bei einem virtuellen Gipfel zum Ge- arbeitung des Handelsstreits durch Zusicherungen der spräch trafen, galt als Erfolg. Doch die Beziehungen zu chinesischen Seite, ihre Importe aus den USA zu erhöhen). stabilisieren und auf einen konstruktiven Pfad zu bringen, Die Biden-Administration bettet die Spannungen dagegen das ist angesichts der verhärteten Fronten bislang nicht ein in eine größere System- und damit verbundene Ord- gelungen.13 Im Gegenteil: Der russische Angriffskrieg nungsrivalität. gegen die Ukraine vom Februar 2022 konturiert auch den Dabei setzen die USA auf ein breites Partnerschafts- chinesisch-amerikanischen Weltordnungskonflikt weiter. netz und präsentieren sich (wieder) als Führungsmacht und Stütze des Multilateralismus. Die Rückkehr zum Pariser Klimaabkommen, zu Verhandlungen mit dem Iran, zur WHO und anderen Institutionen unterstrichen 4 P olitikfelder im Fokus: den Kurswechsel. Die US-Administration verbindet diesen Sicherheit, Wirtschaft, Werte Führungsanspruch mit der Herausforderung der Weltord- nung durch China: „By restoring U.S. credibility and reas- Sicherheitspolitisch haben die USA im vergangenen Jahr serting forward-looking global leadership, we will ensure Kurs gehalten und ihre Balancing-Bemühungen im Indo- that America, not China, sets the international agenda, Pazifik weiter verstärkt. Der jüngste Bericht des Pentagon working alongside others to shape new global norms and agreements that advance our interests and reflect our 10 Biden, Interim National Security Strategic Guidance, op. cit., 20. 11 Biden, Interim National Security Strategic Guidance, op. cit., 10. 12 Vgl. Hubert Wetzel: USA und China: Sechs Grad unter null, Süd- 9 Antony Blinken, zitiert nach US Department of State: Secretary deutsche Zeitung, 19.3.2021; sowie US and China trade angry words Antony J. Blinken, National Security Advisor Jake Sullivan, Director at high-level Alaska talks, BBC News, 19.3.2021; www.bbc.com/news/ Yang and State Councilor Wang At the Top of Their Meeting. Remarks, world-us-canada-56452471. Anchorage, Alaska. 18.3.2021; www.state.gov/secretary-antony-j- 13 Vgl. Patricia M. Kim: Working toward responsible competition blinken-national-security-advisor-jake-sullivan-chinese-director-of- with China, Brookings Institution, Order from Chaos Blog, 8.10.2021; the-office-of-the-central-commission-for-foreign-affairs-yang-jiechi- www.brookings.edu/blog/order-from-chaos/2021/10/08/working- and-chinese-state-councilor-wang-yi-at-th/. toward-responsible-competition-with-china/.
222 Gerlinde Groitl zur militärischen Aufrüstung Chinas unterstrich die Dring- land ein Ende der Osterweiterung der NATO, die sie als lichkeit. Er verwies insbesondere auf den rapiden Zuwachs Konflikttreiber diffamieren – ebenso wie die US-Präsenz an nuklearen Sprengköpfen, den Bau von Raketensilos in Asien.19 Den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die und ballistischen Raketen sowie das grundsätzliche Ziel, Ukraine verurteilte China nicht, sondern verbreitete russi- den militärischen Vorsprung der USA bis 2049 wettzuma- sche Propagandaerzählungen, laut denen legitime Sicher- chen.14 Chinas militärische Drohungen gegen Taiwan heitsinteressen im Spiel und die USA verantwortlich seien haben noch einmal an Intensität gewonnen, während für die Eskalation. Die westlichen Sanktionen lehnt es als die schleichende Annexion des Südchinesischen Meeres „illegal“ ab. Trotz eines diplomatischen Spagats und der voranschreitet und Grauzonenkonflikte fester Bestandteil Sorge vor Kosten verfolgt China opportun seine Interessen: des chinesischen Handlungsrepertoires geworden sind.15 Alles, was amerikanische Stärke in Europa bindet, Zweifel Die USA bekräftigten ihre Unterstützung für Alliierte an der US-Verlässlichkeit nährt und Washingtons Rolle zur erweiterten Abschreckung und setzten ihre in den als Sicherheitsexporteur zu verunglimpfen hilft, nutzt Vorjahren ausgeweiteten Freedom-of-Navigation-Ope- China.20 Die USA versuchten auf höchster Regierungs- rationen fort.16 Im Umgang mit Taiwan rücken die USA ebene und unter Androhung ernster Konsequenzen, China sukzessive von ihrer bisherigen Politik der Ambiguität ab. zu zwingen, Farbe zu bekennen und Russland keinesfalls Biden stellte gar Taiwans militärische Verteidigung im Fall materiell zu unterstützen.21 Endgültige Schlüsse lassen eines chinesischen Angriffs in Aussicht, wenngleich dies sich für das chinesisch-amerikanische Verhältnis bislang relativiert wurde.17 Die Begründung der AUKUS-Allianz nicht ziehen. Doch Pekings Weigerung, den russischen zwischen Australien, dem Vereinigten Königreich und den Angriffskrieg als solchen zu benennen und zu verurteilen, USA im September 2021 war ein Überraschungscoup, der verheißt nichts Gutes für die Sicherheit in Asien und der für Frankreich mit dem Verlust eines U-Boot-Geschäfts mit Welt. Australien einherging. Was diesseits des Atlantiks zu hefti- Anders als die Nationale Sicherheitsstrategie der USA ger Kritik an den USA führte, untermauerte lediglich, dass liegt das Strategiepapier der Biden-Administration für die drei Partner und andere mit Blick auf China Fakten den Indo-Pazifik seit Mitte Februar 2022 vor. Es bekräf- schaffen wollen und werden. Zugleich bekräftigte die tigt, dass die USA sich noch stärker im indo-pazifischen Global Posture Review des amerikanischen Verteidigungs- Raum verankern wollen, um diese für sie vitale Region ministeriums vom November 2021 die bestehende Politik „frei und offen“ zu halten. Pekings Einflusssphärenpoli- des Deep Engagement und die weitere Konzentration auf tik gelte es nicht nur militärisch, sondern insbesondere den Indo-Pazifik, ohne Europa zu vernachlässigen.18 mit politischen Angeboten, ökonomischen Gewinnen Russlands Invasion der Ukraine im Februar 2022 führt und Entwicklungsperspektiven zu kontern. Bidens Indo- vor Augen, dass Asien und Europa zusammen gedacht Pazifik-Strategie trägt den Bedenken vieler Staaten der werden müssen. Schließlich versuchen sowohl Russland Region Rechnung, die amerikanisches Engagement zwar als auch China die westlich geprägte Weltordnung zu re- begrüßen, aber keine militärische Frontstellung oder vidieren. Moskau setzt dabei mittlerweile auf rohe Gewalt. „Anti-China-Allianz“ wollen. Obwohl China eingangs als Das macht Peking (bislang) nicht. Doch Anfang Februar Grund für den regionalen Handlungsbedarf benannt wird, forderte China in einer gemeinsamen Erklärung mit Russ- rückt die Strategie gezielt die gemeinsamen Interessen und Kooperationschancen zwischen den USA und ihren vielen alten, neuen und potenziellen Partnern in den 14 Vgl. US Department of Defense: Military and Security Develop- Mittelpunkt. Dazu gehören die Wahrung der souveränen ments Involving the People’s Republic of China 2021. Annual Re- Entscheidungsfreiheit aller Staaten, die Offenheit von port to Congress, November 2021; https://media.defense.gov/2021/ Luftraum und Seewegen sowie die Herrschaft des Rechts. Nov/03/2002885874/-1/-1/0/2021-CMPR-FINAL.PDF. 15 Vgl. Lara Seligman/Paul Mcleary: Mounting tensions between U.S., China raise new fears of threat to Taiwan, Politico 5.10.2021; www. 19 Vgl. Joint Statement of the Russian Federation and the People’s politico.com/news/2021/10/05/tensions-us-china-taiwan-515142; Republic of China on the International Relations Entering a New siehe auch O’Rourke 2021, sowie Morris/Mazarr/Hornung/Pezard/ Era and the Global Sustainable Development, 4.2.2022; https:// Binnendijk/Kepe 2019. en.kremlin.ru/supplement/5770. 16 Vgl. O’Rourke 34–42. 20 Vgl. China and Russia: Testing the “limitless”, The Economist, 17 Vgl. Derek Grossman: Biden Administration Shows Unwavering 19.3.2022, 49–51. Support for Taiwan. Commentary, The RAND Blog, 20.10.2021; www. 21 Vgl. Myah Ward: ‘We hope that he chooses the right side of history rand.org/blog/2021/10/biden-administration-shows-unwavering- here’: Biden administration pressures Xi, Politico, 18.2.2022; www. support-for-taiwan.html. politico.com/news/2022/03/18/biden-administration-presssures-xi- 18 Vgl. Overhaus 2021a. jinping-00018478.
Strategischer Wettbewerb und Systemrivalität 223 Die Strategie bekennt sich zu einer multidimensionalen dings die Essenz des chinesischen Wirtschaftsmodells Partnerschaftspolitik innerhalb der Region und regt eine berühren würde, sind die Perspektiven für Fortschritte stärkere Vernetzung an zwischen dem Indo-Pazifik und hier düster.27 dem euro-atlantischen Raum für mehr Wohlstand, Sicher- Potenzial für internationale Kooperationen, um den heit und Resilienz gegenüber Herausforderungen wie dem problematischen Merkmalen des chinesischen Wirt- Klimawandel oder Gesundheitskrisen.22 Die Vertiefung schaftsmodells und den Sorgen im Technologiesektor zu der Zusammenarbeit im Quad mit Australien, Indien und begegnen, gibt es. Chinas Staatskapitalismus ist allen Japan fügt sich ins Bild. Neben weiteren Erklärungen legte marktwirtschaftlichen Wettbewerbern ein Dorn im Auge. diese Gruppe 2021 eine Kooperationsagenda auf, die von Auch seine ökonomische Bestrafungspraxis schafft der Pandemiebekämpfung bis zu Klima-, Infrastruktur- Unmut. Die Liste der Staaten, die Pekings Zorn wegen und Technologiefragen reicht.23 Der nächste Schritt muss unterschiedlicher politischer Äußerungen oder Hand- eine handelspolitische Offensive sein, die die Indo-Pazi- lungen schon zu spüren bekamen, ist mittlerweile lang. fik-Strategie erneut in Aussicht stellt, aber nicht ausbuch- Zuletzt erregte die völlige Blockade des EU-Mitgliedstaats stabiert.24 Litauen Aufsehen. Die Diskrepanz zwischen Schein und In der Wirtschaft gab es in vielen Bereichen Kontinui- Sein der chinesischen Auslandsinvestitionspolitik bleibt tät. Gegenüber China behielt die Biden-Administration die ebenfalls nicht unbemerkt. Zuletzt ist festzuhalten, dass unter Trump eingeführten Zölle und das 2020 verabschie- China einen systematischen Kurs der Entkopplung ver- dete Phase 1-Handelsabkommen bei, in dem sich China zur folgt, um sich durch Eigenproduktion und getrennte Wirt- höheren Abnahme von US-Waren verpflichtet hatte und schaftskreisläufe unabhängig vom Ausland zu machen. auf dessen Erfüllung die Biden-Regierung (vergeblich) Die Geschäftsperspektiven westlicher Unternehmen in dringt.25 Exportkontrollen, Geschäftsblockaden, Sank- China verdüstern sich dadurch merklich.28 tionen und Bemühungen, im Technologiesektor Chinas All das betrifft nicht nur die USA. Zur Verteidigung Zugriff auf relevante Komponenten einzuschränken, be- einer liberalen Weltwirtschaftsordnung ist internationale stehen fort und wurden ausgeweitet. Darüber hinaus wäre Kooperation dringend nötig. Washington müsste anderen es nötig, die lückenhafte bilaterale Handelsübereinkunft Ländern attraktive Angebote machen, um die Lage im aus der Trump-Zeit zu erweitern, die versteckte Subven- eigenen Sinne zu gestalten. In dieser Frage gibt es aber tionen und andere unfaire Handelspraktiken Chinas über- noch erhebliche Ambivalenzen in der amerikanischen haupt nicht thematisiert.26 Da ein derartiger Schritt aller- Politik. Die Biden-Administration betont einerseits die Bedeutung von Partnerschaften. In diesem Zusammen- hang ist der neu eingerichtete Trade and Technology 22 Vgl. The White House: Indo-Pacific Strategy of the United States, Council (TTC) zwischen den USA und der EU zu nennen, February 2022; www.whitehouse.gov/wp-content/uploads/2022/02/ der im September 2021 erstmals zusammentrat und die U.S.-Indo-Pacific-Strategy.pdf; The White House: FACT SHEET: Indo- Pacific Strategy of the United States, 11.2.2022; www.whitehouse.gov/ Koordination in globalen Technologie-, Wirtschafts- und briefing-room/speeches-remarks/2022/02/11/fact-sheet-indo-pacific- Handelsfragen verbessern soll. Außerdem soll er das Band strategy-of-the-united-states/ der transatlantischen Wirtschaft stärken und einen Schul- 23 Vgl. The White House: Quad Leaders’ Joint Statement “The terschluss der Demokratien sicherstellen.29 Andererseits Spirit of the Quad”, 12.3.2021; www.whitehouse.gov/briefing-room/ herrscht in den USA eine protektionistische Stimmungs- statements-releases/2021/03/12/quad-leaders-joint-statement-the- spirit-of-the-quad/ sowie The White House: Fact Sheet Quad Leaders’ lage vor. Dass die Administration um die altbekannten Summit, 24.9.2021; www.whitehouse.gov/briefing-room/statements- Kritikpunkte des chinesischen Wirtschaftsmodells kreise, releases/2021/09/24/fact-sheet-quad-leaders-summit. statt eine ambitionierte Handelsagenda mit gleichge- 24 Vgl. dazu Congressional Research Service: Biden Administration sinnten Partnern voranzutreiben, kritisiert Edward Alden Plans for an Indo-Pacific Economic Framework, CRS Insight, Updated 25.2.2022; https://crsreports.congress.gov/product/pdf/IN/IN11814. 25 Vgl. Ana Swanson: Biden’s China Dilemma: How to Enforce International Economics Blog, 22.10.2019; www.piie.com/blogs/trade- Trump’s Trade Deal, New York Times, 15.12.2021, siehe auch Bown and-investment-policy-watch/october-truce-us-china-trade-failed- 2021. address-subsidies. 26 Vgl. Office of the US Trade Representative: Fact Sheet The Bi- 27 Vgl. Keith Bradsher: A Temporary U.S.-China Trade Truce Starts den-Harris Administration’s New Approach to the U.S.-China Trade to Look Durable, New York Times online, 27.5.2021, update 4.10.2021. Relationship, 4.10.2021; https://ustr.gov/about-us/policy-offices/ 28 Vgl. Dieter 2021a sowie Dieter 2021b. press-office/press-releases/2021/october/fact-sheet-biden-harris- 29 Vgl. The White House: U.S.-E.U. Trade and Technology Council administrations-new-approach-us-china-trade-relationship. Siehe Inaugural Joint Statement, 29.9.2021; www.whitehouse.gov/briefing- auch Chad P. Bown/Jennifer A. Hillman: The October Truce on room/statements-releases/2021/09/29/u-s-eu-trade-and-technology- US-China Trade Failed to Address Subsidies, Peterson Institute for council-inaugural-joint-statement/.
224 Gerlinde Groitl als „Biden’s vague muddle of a trade policy for China.“30 ideologische Dimension, ob sich westliche Demokratien Dem von den anderen Verhandlungsparteien als Compre- darauf einlassen wollen oder nicht.33 hensive and Progressive Agreement on Trans-Pacific Part- Die Initiativen der Biden-Administration im ersten nership fortgeführten pazifischen Handelspakt haben sich Amtsjahr zielten auf die öffentliche Anprangerung und Be- die USA auch unter Biden bislang nicht angeschlossen. strafung von chinesischem Fehlverhalten einerseits und Stattdessen erklärte ausgerechnet China im September die Mobilisierung eines exklusiven Multilateralismus der 2021 seinen Willen zum Beitritt.31 Eine Wiederbelebung Demokratien andererseits. Außenminister Mike Pompeo der WTO ist bislang ausgeblieben.32 hatte noch am letzten Amtstag der Trump-Administration Was die Politik der Werte betrifft, so lautet eine der Chinas Politik gegenüber den Uiguren in Xinjiang als Kernbotschaften der Biden-Administration, dass die chi- Genozid eingestuft.34 Die Biden-Regierung hat diese Ein- nesisch-amerikanischen Spannungen in einen überge- schätzung übernommen, weitere Sanktionen auf den Weg ordneten Konflikt zwischen Demokratie und Autokratie gebracht und das Thema Zwangsarbeit fokussiert.35 Auch eingebettet sind. Dabei ist China stets der Elefant im wegen des Umgangs mit Hongkong erfolgten zusätzliche Raum, auch wenn es nicht beim Namen genannt wird. Die Strafmaßnahmen; das chinesische Außenministerium Betonung der politischen Systemdifferenzen hat mehrere antwortete im September 2021 mit einer als criminal record Dimensionen. Sie ist erstens sachlich begründet. China bezeichneten und über 100 Punkte fassenden Liste der versucht die Spielregeln der internationalen Politik um- Vorwürfe, denen zufolge die USA seit 2019 für Aufruhr zuschreiben und die Welt, um Woodrow Wilsons Bild zu in Hongkong verantwortlich seien.36 Die Ankündigung bemühen, sicher zu machen für die Diktatur. Es ist ein des diplomatischen Boykotts der Olympischen Spiele in Angriff auf die vom Westen geschaffene liberale, regel- Peking 2022 war ein weiterer Schritt, der zugleich andere basierte Ordnung, die Demokratie, Marktwirtschaft und ermutigte bzw. drängte, sich zu positionieren.37 Im Dezem- Freiheit fördert. Zweite Botschaft ist eine Mobilisierungs- ber 2021 lud die US-Regierung zudem über 100 Staaten zu strategie, um amerikanische Interessen als deckungs- einem Summit for Democracy.38 Dass damit ein Nerv ge- gleich mit den Interessen anderer Demokratien zu zeich- troffen wird, zeigen die gereizten Reaktionen aus Peking. nen. Das bietet Anknüpfungspunkte zur Zusammenarbeit Eine wahre Propagandaoffensive setzte ein mit einem und setzt andere zugleich unter Zugzwang, klar Position Gegengipfel, einem Weißpapier über Chinas „funktionie- zu beziehen. Drittens werden China und andere Autokra- rende Demokratie“ und einem Papier zur vermeintlichen tien gebrandmarkt, die ihrerseits mit Chuzpe versuchen, Dysfunktionalität des politischen Systems der USA.39 sich selbst als (die besseren) Demokratien zu inszenieren. Obwohl es richtig ist, den Gegensatz zwischen De- Viertens sprechen die USA aus, was für China schon lange mokratie und Autokratie und die damit einhergehende handlungsleitend ist. In den 1990er-Jahren versuchte das Regime, das als Abweichler in einer sich demokratisie- 33 Vgl. Hamilton/Ohlberg 2020 sowie Brands 2018. renden Welt unter Druck stand, mit der Forderung nach 34 Vgl. Meret Baumann/Andreas Rüesch: Die USA werfen China einer „Demokratisierung des internationalen Systems“ einen Genozid an den Uiguren vor – zu Recht?, Neue Zürcher Zeitung, die Autokratie als normativ gleichwertiges System auf- 12.3.2021. zuwerten. Heute geht es gar um den Ausweis bzw. die 35 Vgl. Nahal Toosi: U.S., allies announce sanctions on China over Uyghur ‘genocide,’ Politico, 22.3.2021; www.politico.com/ externe Anerkennung der vermeintlichen Überlegenheit news/2021/03/22/us-allies-sanctions-china-uighers-genocide-477434. Chinas, auch zur Legitimierung der Herrschaft der Kom- Siehe auch Aamer Madhani: U.S. imposes sanctions on China over munistischen Partei daheim. Damit hat der Konflikt eine human rights abuses of Uighurs, The Associated Press, 16.12.2021; www.pbs.org/newshour/world/u-s-imposes-sanctions-on-china- over-human-rights-abuses-of-uighurs. 36 Vgl. Kari Soo Lindberg: China Lists 102 Examples of U.S. ‘Inter- 30 Vgl. Edward Alden: Biden’s Vague Muddle of a Trade Policy for ference’ in Hong Kong, Bloomberg News, 24.9.2021; www.bloomberg. China: The administration should stop agonizing over Beijing and com/news/articles/2021-09-24/china-lists-102-examples-of-u-s- focus on trade with everyone else instead, Foreign Policy, 7.10.2021; interference-in-hong-kong. https://foreignpolicy.com/2021/10/07/biden-trade-china-asia-indo- 37 Vgl. Victor Mather: The Diplomatic Boycott of the Beijing Winter pacific-policy/. Olympics, Explained, New York Times, 5.1.2022. 31 Vgl. McBride/Chatzky/Siripurapu 2021. 38 Vgl. Michael Crowley/Zolan Kanno-Youngs: Biden Rallies Global 32 Vgl. Sarah Anne Aarup: ‘All talk and no walk.’ America ain’t back Democracies as U.S. Hits a ‘Rough Patch,’ New York Times, 9.12.2021. at the WTO. Biden is in no rush to revive the World Trade Organization 39 Vgl. Mareike Ohlberg/Bonnie S. Glaser: Why China is Freaking Out from the deep freeze that Trump pushed it into, Politico, 23.11.2021; Over Biden’s Democracy Summit. Beijing’s overreaction to the virtual www.politico.eu/article/united-states-world-trade-organization-joe- summit is telling, Foreign Policy, 10.12.2021; https://foreignpolicy. biden/. com/2021/12/10/china-response-biden-democracy-summit.
Strategischer Wettbewerb und Systemrivalität 225 System- und Ordnungskonkurrenz offen auszusprechen, bewährt. Im vergangenen Jahr konnten weder Streit- gehen damit auch Risiken einher. Die chinesische Führung punkte ausgeräumt noch die Beziehungen stabilisiert leidet trotz der nach außen demonstrierten Stärke unter werden. Russlands Krieg gegen die Ukraine und die chi- einer tiefsitzenden Regimeunsicherheit und fürchtet nesische Reaktion darauf verdeutlichten nur einmal mehr, nichts mehr als eine Infragestellung des absoluten Macht- dass die geopolitische Gesamtlage derzeit keinen Grund anspruchs der Kommunistischen Partei. Zum friedlichen für Optimismus bietet. Management der chinesisch-amerikanischen Großmacht- Da es keine getrennten Einflusssphären, sondern rivalität braucht es ein Maß an Kooperation und Kom- ein hohes Maß an Interdependenz gibt, bleibt das Kon- promiss. Die Bereitschaft dafür dürfte von chinesischer flikt- und Eskalationspotenzial unter den Bedingungen Seite nicht steigen, wenn die Kritik an seinem politischen von Macht-, System- und Ordnungskonkurrenz hoch. Wie System offensiv in den Mittelpunkt rückt. Dass die USA die Perspektiven aussehen, liegt mitnichten an den USA China nicht im Inneren, sondern seinen Handlungsspiel- allein. China präsentierte sich auch im vergangenen Jahr raum im Äußeren verändern wollen, wie es die neue Indo- betont selbstbewusst auf der internationalen Bühne und Pazifik-Strategie beinahe beiläufig bemerkt, ist daher war nicht willens, sein Verhalten zu ändern. Selbstkritik ist nicht unwichtig.40 Gleichzeitig ist angesichts der partei- dem chinesischen Regime ohnehin fremd. Eben diese Un- politischen Polarisierung die Sorge berechtigt, wie es um fähigkeit ist eine große Schwäche Chinas und eine Gefahr die Gesundheit der amerikanischen Demokratie bestellt für das Management des chinesisch-amerikanischen stra- ist. Insofern bleibt die innenpolitische Lage ein außen- tegischen Wettbewerbs. Eine sukzessive Deglobalisierung politischer Unsicherheitsfaktor für die USA.41 und Entflechtung mit der Herausbildung konkurrierender Ordnungen und einem Machtgleichgewicht zwischen diesen mag heute abwegig erscheinen. Eine globale, von 5 F azit liberalen Prinzipien durchzogene internationale Ordnung (friedlich) gegen einen Revisionisten vom Gewicht und dem Wesen Chinas zu verteidigen, das braucht indes noch Auch unter Präsident Biden ist das Verhältnis zwischen mehr Vorstellungskraft. Der Biden-Administration und Washington und Peking angespannt. Der Umgang mit der ihren Partnern stehen schwierige Zeiten bevor. Volksrepublik, die den internationalen Status quo ändern möchte und dafür substanzielle politische, ökonomische und militärische Möglichkeiten besitzt, ist die Top-Prio- rität der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik. Literatur Die neue Administration fasste im ersten Amtsjahr die chinesisch-amerikanischen Beziehung als Trias von Wett- Bown, Chad P. (2021): Why Biden will try to enforce Trump’s phase one trade deal with China. Washington, DC: Peterson Institute bewerb, Kooperation und Konflikt sowie als System- und for International Economics Ordnungsrivalität auf, für die man gleichgesinnte Mitstrei- Brands, Hal (2018): Democracy vs Authoritarianism: How Ideology ter braucht. Wie erfolgreich das Vorgehen sein wird, bleibt Shapes Great-Power Conflict, Survival, 60 (5), 61–114 abzuwarten. Faktisch gab es in den vergangenen Monaten Campbell, Kurt M./Sullivan, Jake (2019): Competition Without für bilaterale Zusammenarbeit wenig Potenzial, auch weil Catastrophe: How America Can Both Challenge and Coexist der Widerspruch zwischen Demokratie und Autokratie in With China, Foreign Affairs, 98 (5), 96–110 Dieter, Heribert (2021a): Chinas neuer Langer Marsch: Zwischen den Mittelpunkt gerückt ist. Gleichzeitig stehen Amerikas Selbstisolation und offensiver Außenpolitik. Bonn: Bundes- Partner unter Druck, sich zu positionieren, selbst wenn sie zentrale für Politische Bildung das gern vermeiden würden. Umgekehrt stellen wiederum Dieter, Heribert (2021b): Die ungewisse Zukunft der deutsch- die gegenwärtige US-Freihandelsskepsis und die Bruch- chinesischen Beziehungen: Pekings Autarkiestreben und linien der amerikanischen Demokratie Hürden dar bei seine aggressive Außenpolitik machen eine Kurskorrektur in Berlin erforderlich. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik dem Versuch, der amerikanischen Weltordnungspolitik (SWP-Studie 23) neuen Schwung zu verleihen. Entscheidend wird letztlich Godehardt, Nadine (2020): Wie China Weltpolitik formt. Die Logik sein, ob sich die US-Einhegungspolitik gegenüber China von Pekings Außenpolitik unter Xi Jinping. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP-Studie 19) Goldstein, Avery (2020): China’s Grand Strategy under Xi Jinping: 40 Vgl. The White House: Indo-Pacific Strategy of the United States, Reassurance, Reform, and Resistance, International Security, op. cit., 5. 45 (1), 164–201 41 Zur politischen Polarisierung und den Implikationen vgl. Lütjen Groitl, Gerlinde (2019): Selbstschwächung versus Konfrontation: 2020 und Overhaus 2021b. Die Außenpolitik der USA gegenüber der Volksrepublik
226 Gerlinde Groitl China in der Ära Trump, in: Herr, Lukas D./Müller, Marcus/ Overhaus, Marco (2021a): Die Global Posture Review der Biden- Opitz, Anja/Wilzewski, Jürgen (Hrsg.): Weltmacht im Abseits: Administration. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik Amerikanische Außenpolitik in der Ära Donald Trump. (SWP-Aktuell 79) Baden-Baden: Nomos, 125–152 Overhaus, Marco, Hrsg. (2021b): State of the Union: Langfristige Groitl, Gerlinde (2021): Die Beziehungen zu China: zwischen Trends in der US-amerikanischen Innen- und Außenpolitik und Interdependenz und Konflikt. In: Denison, Andrew/Schild, ihre Konsequenzen für Europa. Berlin: Stiftung Wissenschaft Georg/Shabafrouz, Miriam (Hrsg.): Länderbericht USA. Bonn: und Politik (SWP-Studie 6) Bundeszentrale für politische Bildung, 528–545 Overhaus, Marco/Rudolf, Peter/von Daniels, Laura (2020): Die Hamilton, Clive/Ohlberg, Mareike (2020): Die Lautlose Eroberung: Wahrnehmung Chinas in den USA, in: Barbara Lippert/Volker Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt Perthes (Hrsg.): Strategische Rivalität zwischen USA und China: neu ordnet. München: DVA Worum es geht, was es für Europa (und andere) bedeutet. Lütjen, Torben (2020): Amerika im Kalten Bürgerkrieg: Wie ein Land Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP-Studie 1), 17–21 seine Mitte verliert. Darmstadt: wgb Rudolf, Peter (2019): Der amerikanisch-chinesische Weltkonflikt. McBride, James/Chatzky, Andrew/Siripurapu, Anshu (2021): What’s Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP-Studie 23) Next for the Trans-Pacific Partnership (TPP)? Washington, D.C.: Silver, Laura/Devlin, Kat/Huang, Christine (2021): Large Majorities Council on Foreign Relations (Backgrounder); www.cfr.org/ Say China Does Not Respect the Personal Freedoms of Its backgrounder/what-trans-pacific-partnership-tpp People. Washington, D.C.: Pew Research Center Morris, Lyle J./Mazarr, Michael J./Hornung, Jeffrey W./Pezard, Strittmatter, Kai (2020): Die Neuerfindung der Diktatur: Wie China Stephanie/Binnendijk, Anika/Kepe, Marta (2019): Gaining den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit Competitive Advantage in the Gray Zone: Response Options for herausfordert. München: Piper (aktualisierte Taschenbuch- Coercive Aggression Below the Threshold of Major War. Santa ausgabe) Monica, CA: RAND Corporation Weiss, Jessica Chen (2019): A World Safe for Autocracy: China’s O’Rourke, Ronald (2021): U.S.-China Strategic Competition in South Rise and the Future of Global Politics, Foreign Affairs, 98 (4), and East China Seas: Background and Issues for Congress. 92–108 Washington, D.C.: Congressional Research Service (CRS Report R42784, Updated December 21, 2021)
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