Stroh als Quelle erneuerbarer Energie Willem B. Stern1
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Swiss Bull. angew. Geol. Vol. 15/1, 2010 S. 95-103 Stroh als Quelle erneuerbarer Energie Willem B. Stern1 Stichwörter: erneuerbare Energie, Getreide, Getreidestroh, Strohasche, Strohkraftwerke. Zusammenfassung Summary In der Nutzungs- und Wertschöpfungsreihe In the value added chain «cereals/food − cereal «Getreide/Nahrung − Getreidestroh/Energie − straw/energy − straw ash/fertilisers» only cereals Strohasche/Dünger» spielten bisher Stroh und play an important role at present. The entire chain Asche eine untergeordnete Rolle, obwohl sie ein has, however, a high potential which is so far large- beträchtliches wirtschaftliches und ökologisches ly neglected. An estimated mass of 2.5 to 3 Gt of Potenzial aufweisen. Jährlich werden weltweit straw are produced each year worldwide, of which geschätzte 2.5 bis 3 Gt Stroh produziert, von denen only a fraction is used for agricultural purposes. nur ein Teil für landwirtschaftliche Zwecke genutzt Straw has a slightly higher energy capacity (17 GJ/t, wird. or 4.8 MWh/t) than wood, but in contrast to wood is Stroh weist mit 17 GJ/t bzw. 4.8 MWh/t einen etwas «excess straw» in practice rather burnt on the open höheren Energieinhalt auf als Holz. Aber im Gegen- field than used for energy production. Until 2010 a satz zu Holz wird Stroh gegenwärtig noch auf offe- total of 4 TWh pa (4 × 1012 Wh) were produced in nem Feld abgefackelt, eine Ursache vermeidbarer straw firing power stations in Scandinavia, United Umweltverschmutzung. Bisher wurde Stroh nur Kingdom, Spain and PR of China. Production fig- vereinzelt in Skandinavien, England, Spanien und ures on cereals, straw and its availability for energy der VR China in eigentlichen Strohkraftwerken ver- generation exist as estimates only, the potential of wertet, was 2010 rund 4 TWh (4 × 1012 Wh) elektri- straw as a source of electrical and thermal energy schen Strom generiert. Das Potenzial von Stroh als is, however, important: the globally produced straw CO2-neutraler, nachwachsender non-food Rohstoff could generate 3.3 PWh (3.3 × 1015 Wh) electricity ist beträchtlich: das insgesamt weltweit anfallende plus 10 PWh thermal energy per year with renew- Stroh würde rund 3.3 PWh (3.3 × 1015 Wh) elektri- able, CO2-neutral non-food fuel. The annual elec- schen Strom und gegen 10 PWh an thermischer tricity output of all 440 nuclear non-military power Energie pro Jahr generieren. Der Stromausstoss stations was 2007 with 2.7 PWh in a similar order of aller 440 zivilen stationären Kernkraftwerke welt- magnitude. weit lag 2007 mit 2.7 PWh in einer ähnlichen Grös- The availability of «excess»-straw for energy gen- senordnung. eration depends on the ratio of regional cereal pro- Die Verfügbarkeit von Stroh für Energiegewinnung duction and cattle breeding, and hence varies hängt vom regionalen Verhältnis von Getreidean- regionally from 0 to 50%. The objections against bau zu Viehwirtschaft ab und variiert regional von 0 straw as an energy source might have been argu- bis 50%. Die Argumente gegen die Nutzung des ments in the past, but cannot be maintained longer. Energieträgers Stroh hatten in der Vergangenheit eine gewisse Berechtigung, lassen sich heute aber nicht mehr aufrecht erhalten. 1 Prof. em. Universität Basel, Departement Umweltwis- senschaften, Institut für Mineralogie und Petrographie, Geochemisches Labor, Eulerstrasse 24, 4003 Basel Spa- len [willem-b.stern@unibas.ch] 95
1. Einleitung Fossile Biomasse – Erdgas, Erdöl, Kohle – brennung, Vergasung) zu biotechnischen spielt als Energieträger und Lieferant wirt- Prozessen (Fermentation, anärobe und alko- schaftlich lebenswichtiger Primärstoffe eine holische Gärung) und mechanischen Prozes- herausragende Rolle und ist entsprechend sen (Verpressung in Ölmühlen). Der Nut- Gegenstand geowissenschaftlicher For- zungswirkungsgrad variiert von 20 bis 30% schung. Rezente, nachwachsende Biomasse bei einfachen Prozessen zu 60 bis 90% bei in Form von Holz und Stroh und ihr Umwand- gekoppelten Nutzungsarten wie Kraft-Wär- lungsprodukt – Asche – war im 19. Jahrhun- mekopplung (Fig. 1). dert Gegenstand analytisch-geochemischer Einzelne Nutzungsarten wie die grosstechni- Forschung und gewinnt heute beim Studium sche Herstellung von Biosprit und Biodiesel von Kreislaufprozessen (Elementangebot in aus Pflanzenölen und Getreide treten in Kon- Böden und selektive Elementaufnahme kurrenz zur Nahrungsbereitstellung für durch Pflanzen) wieder an Bedeutung. Mensch und Tier und sind entsprechend in Biomasse war 2006 mit 4% der Weltproduk- Kritik geraten (Fischer Weltalmanach 2009). tion die bedeutendste Energiequelle nach Es stellt sich somit die Frage, ob einzelne den fossilen Energieträgern Öl, Gas und Koh- Biomassen als sekundäre Abfallprodukte le (88%) sowie Kernenergie (6%), und der nicht vermehrte Bedeutung erlangen kön- wichtigste Träger erneuerbarer Energie vor nen, weil sie die primäre Nahrungsmittelket- Wasserkraft (3%), Solarenergie (0.5%) und te nicht konkurrenzieren, sondern einen wei- Windenergie (0.3%, vgl. Wikipedia «World teren Schritt in einer bereits bestehenden energy resources and consumption»). Nutzungssequenz darstellen. Für Holzabfälle Biomasse wird definiert als erneuerbares (Pellets, Altholz) ist dies bereits zunehmend biologisches Material, das sich herleitet von Realität, für Getreideabfälle wie Stroh bisher lebenden oder kürzlich lebenden Organis- jedoch kaum. men. Biomasse umfasst pflanzliches und tie- risches festes und flüssiges Material wie Stroh weist bei einem Wassergehalt von 15 Holz, halm- und strauchartige Pflanzen, Gew. % einen mittleren Energieinhalt von organische Abfälle und Erntereste, Gülle und rund 17 GJ/t oder 4.8 MWh/t auf und liegt Klärschlamm, öl-, fett-, stärke-, zellulose- damit etwas höher als trockenes Holz mit 4.0 und zuckerhaltige Stoffe pflanzlicher Her- bis 4.4 MWh/t, aber tiefer als Ethanol oder kunft. So komplex sich Biomasse präsen- Dieseltreibstoff mit rund 7.4 bzw. 11.8 tiert, so vielfältig sind die einzelnen Nut- MWh/t. zungsoptionen zur Energiegewinnung. Sie Zuverlässige globale Produktionszahlen zu reichen von thermischen Prozessen (Ver- Stroh und seiner Verfügbarkeit existieren Fig. 1: Nutzungsoptionen von Biomasse (UVEK-BFE 2008). 96
nicht, aber sie lassen sich herleiten. Die Pro- 2. Die bisherige Nutzung von Stroh duktionszahlen von Getreide (Mais, Reis, als Quelle elektrischer und Weizen etc) werden jährlich in den WASDE thermischer Energie reports veröffentlicht. Für 2007 wird die Weltproduktion von Getreide auf 2.4 Gt bezif- Seit über 20 Jahren wird Stroh in skandinavi- fert. Dies bedeutet, dass rechnerisch pro schen Ländern in dezentralen, kleinen Kraft- Kopf der Weltbevölkerung und pro Tag mehr werken verbrannt und damit entweder elek- als 1 kg Getreide erzeugt wird. Ein Teil (36%, trische oder/und thermische Energie NZZ 2008) wird aber für Futterzwecke (Geflü- erzeugt. Seit über zehn Jahren wird Stroh gel-, Rinderzucht) eingesetzt, ein weiterer auch in mittleren und grossen Kraftwerken Teil (17%, NZZ 2008) für industrielle Ziele, zusammen mit Holzabfällen, Gas und wie u. a. die Erzeugung von Biosprit und Bio- Öl/Kohle verfeuert («co-firing»; Schultz 2008, diesel verwendet, so dass diese der Weltbe- Van Loo & Koppejan 2009). völkerung als primäres Nahrungsmittel ent- Das noch immer weltweit grösste Stroh ver- zogen werden. brennende Elektrizitätskraftwerk ist seit dem Spärliche Literaturhinweise und eigene Jahr 2000 in Grossbritannien (Ely, Midlands, Erhebungen an Weizen und Dinkel zeigen, www.epri.co.uk) in Betrieb, wo eine Anlage dass das Gewichtsverhältnis zwischen mit 38 MW Nennleistung pro Jahr 0.2 Mt Ein- Getreidekorn zu Halmgut zu Spreu (Kaff, aus- streu aus der Geflügelzucht verbrennt und gedroschene Ähre) rund ½ zu ¼ zu ¼ 0.27 TWh Strom erzeugt. Wärmekopplung ist beträgt, das Verhältnis von Korn zu Stroh in Ely bisher nicht realisiert, hingegen wird insgesamt somit rund 1 zu 1. Auf dieser die Asche des Verbrennungsprozesses als Basis berechnet resultieren jährlich >2.5 bis Düngemittel vermarktet. Das Abfallstroh 3 Gt Stroh, wenn weitere landwirtschaftliche stammt aus einem Umkreis von bis zu 50 km; Trockenabfälle wie z. B. der Baumwoll- oder die mit der Zulieferung verbundenen Trans- Erdnussproduktion hinzugerechnet werden. portkosten werden mit 5% des Betriebsauf- Ein statistisch nicht dokumentierter Teil des wandes angegeben. Weitere Strohkraftwerke Strohs wird landwirtschaftlich durch Unter- nahmen 2000 bis 2003 in Dänemark (Avedoe- pflügen oder für Einstreu in der Gross- und re, Studstrup, Amager-2), 2003 in Spanien Kleintierzucht genutzt. Ein Teil hingegen (Navarra Sangüesa, www.ehm.es), und ab wird auf offenem Feld abgefackelt und die 2007 in der VR China (Shanxian) den Betrieb Asche vom Wind verweht. Dieser unkontrol- auf (Kopetz 2009). In Deutschland wird 2010 lierte Abbrand führt nicht nur zu Luftver- das erste Strohkraftwerk mit Kraft-Wärme- schmutzung, sondern kann auch eine Ursa- Kopplung ans Netz gehen. Insgesamt werden che von Behinderungen im Luft- und Stras- 2010 4 TWh Elektrizität aus Strohkraftwerken senverkehr darstellen (Kopetz 2009). stammen (Tab. 1). Der Anteil des für Energieerzeugung verfüg- baren und bisher nicht genutzten Strohs hängt weitgehend vom regionalen Flächen- 3. Das Potenzial von Strohkraftwerken verhältnis von Getreideanbau zu Vieh- und Milchwirtschaft ab und variiert entspre- Während sich viele Studien mit der Fermen- chend lokal von regional 0 bis 50% (Piorr tierung und Vergärung von Biomasse 2007). beschäftigen (Kaltschmitt et al. 2009), exi- stieren nur wenige Recherchen zum Potenzi- al von Stroh zur Stromerzeugung. Edwards et al. (2005, 2007) schätzen, dass im Europa der 27 EU-Mitgliedstaaten gesamthaft 67 Kraftwerke (mit je 38 MW Nennleistung) mit 97
Tab. 1: Operationelle Strohkraftwerke. Fig. 2: Das Potenzial von Stroh zur Stromerzeugung. 98
bisher ungenutztem Stroh betrieben werden schaften wie Indien, die USA und China wäre können, wobei als limitierendes Kriterium mit wesentlich höheren Erträgen zu rechnen der maximale Transportweg von 50 km vom (Quellen: Fischer Weltalmanach 2009, Wiki- Getreidefeld zum Kraftwerk genannt wird. pedia «List of countries by electricity con- Die Kapazität dieser 67 Kraftwerke ist auf 18 sumption»). Diese Zahlen sind im Verhältnis TWh pro Jahr zu veranschlagen. Da diese zu alternativen und konventionellen Strom- mittelgrossen Kraftwerke nur einen geringen quellen bescheiden, aber nicht unerheblich Teil (28%) des gesamten verfügbaren Strohs (Tab. 2). aufnehmen, könnten weitere kleinere, dezen- trale Strohkraftwerke in Europa zusätzlich zwischen 30 und 40 TWh Strom pro Jahr generieren. Die thermische Nutzung (Kraft- Wärme-Kopplung) ist dabei sowenig berück- sichtigt wie die Nutzung der anfallenden Strohasche. Die VR China unternimmt seit 2007 (Tab. 1) grosse Anstrengungen auf dem Gebiet der Energieproduktion aus Biomasse im Allge- meinen, und aus pflanzlichen Abfällen wie Tab. 2: Vergleichende Zusammenstellung der Energieproduktion ausgewählter alternativer und Stroh im Besonderen. Neben den gegenwär- konventioneller Stromquellen. tig schon bestehenden sollen bis 2020 30 weitere Strohkraftwerke ans Netz gehen und 7.5 TWh Strom liefern (Kopetz 2009). Würde das gesamte weltweit anfallende Eine Abschätzung des weltweiten Potenzials Stroh energetisch genutzt, so liessen sich 3.3 kann nur auf Näherungen beruhen, weil zwar PWh an elektrischem Strom und 10 PWh an der Strohanfall über die recht zuverlässigen thermischer Energie generieren. Die welt- Getreideproduktionsdaten beziffert werden weit 440 operationellen zivilen, stationären kann, der Anteil des verfügbaren «excess»- Kernkraftwerke erzeugten 2007 mit 2.7 PWh Strohs aber nur für einzelne Volkswirtschaf- eine vergleichbare Menge elektrischer Ener- ten einigermassen bekannt ist. So ist für gie, aber keine genutzte thermische (Fischer Deutschland von einem verfügbaren Anteil Weltalmanach 2009). Die tatsächlich gene- von rund 20 bis 50% des jährlichen Stroh- rierbare Energieausbeute beim Verbrennen gesamtanfalls zu rechnen (nach Piorr 2007, von Stroh richtet sich nach der Masse ver- Rexing 2008). fügbaren Strohs nach Abzug des landwirt- Ausgehend von einem Anteil von 20% an ver- schaftlich direkt genutzten (Edwards et al. fügbarem Stroh (konservative Annahme: 2005, 2007). Dies führt für einzelne Länder 80% werden in der Landwirtschaft direkt wie die Schweiz zu einem Import von Stroh, verwendet und stehen für eine weitere Nut- der über grössere Strecken zum Ort des Ein- zung nicht mehr zu Verfügung), lässt sich die satzes im Pferdesport und in landwirtschaft- Stromproduktion bzw. der Deckungsgrad lichen Betrieben verfrachtet wird. durch Stroh verbrennende Kraftwerke ab- schätzen (Fig. 2). Der Deckungsgrad variiert gemäss dieser 4. Nachteile von Stroh als Abschätzung zwischen 2 und 20%. Für zahl- Energielieferant reiche Volkswirtschaften resultiert ein jähr- licher Stromertrag von 10 bis 20 TWh Zwei Hauptargumente gegen die Verwen- (Australien, Deutschland, Kanada, Brasilien, dung von Stroh als Kraftstoff in Strom erzeu- Frankreich, Russland), für grosse Volkswirt- genden Kraftwerken werden genannt: ein 99
logistisches und ein betriebstechnisches. + 565 MWtherm, Schultz 2008). Wie stichhaltig Obwohl fossile Energieträger (Öl, Gas) über das Grössenargument bei fortschreitender grosse Distanzen vom Erzeuger zum Nutzer technologischer Entwicklung kleiner und transportiert werden, soll Stroh über höch- mittlerer Strohkraftwerke in Zukunft sein stens 50 km vom Getreidefeld zum Kraftwerk wird, bleibt abzuwarten. verfrachtet werden. Als Begründung wird Stroh enthält rund zehn Mal mehr Asche als die geringe Dichte der Strohballen und Holz, d. h. 5 bis 10 Gew. % gegenüber 0.5 bis damit verbunden das grosse Transportvolu- 1% bei Holz. Die grossen Massen an Asche, men genannt, welches die Strassennutzung die bei der Verbrennung von Stroh anfallen, logistisch überfordern könnte. Dies mag für bedingen ein entsprechendes Nutzungskon- das ländliche Europa zutreffen, aber eher zept. Dies besteht einerseits in der Rückfüh- weniger für die USA oder Kanada. In China rung der Asche als Düngung in den Boden. ist ein fein verästeltes Transportnetz mit Andererseits könnte die sehr spezielle, aber jeweils kleinen Massen und Maximaldistan- wenig untersuchte stoffliche Zusammenset- zen um 25 km realisiert. zung von Strohasche zu innovativen neuen Kleine transportierte Massen bedingen klein technischen Anwendungen (Glas, Baumate- dimensionierte und damit weniger effiziente rialien) führen (Fig. 3). Kraftwerke. Ausgehend von Holz verfeuern- Das ternäre Diagramm mit SiO2, CaO und den Kraftwerken schätzen Edwards et al. K2O betrifft rund 88% bis 95 Gew. % der fri- (2005) die optimale Leistung eines Stroh- schen Gesamtasche (weitere Oxide der Ele- kraftwerkes auf 900 MW. Mit aus diesem mente P, Mg, Fe, Mn, S sowie Cl machen den Grund wird in Skandinavien auch «co-firing» Rest aus). Eingeblendet ist das Schmelzver- betrieben, d. h. das Verbrennen von Stroh halten dieses ternären Systems nach Morey zusammen mit Holzabfällen, Gas, Öl um eine et al. (1930). Es zeigt sich, dass die Asche effizientere Grösse des Kraftwerkes zu errei- von Holz (B) wesentlich höhere Ca/K-Quo- chen (Dänemark: Avedoere Unit-2: 510 MWel tienten aufweist als z. B. Farnkraut (F) oder Halmgut (S). Die einzelnen Teile von Stroh (S) – Ähre, Spreu, Spelzen, Halmgut, Körner – sind sehr verschieden zusammengesetzt und weisen ein entsprechend unterschiedli- ches Schmelzverhalten auf. Einzelne Strohkombinationen liegen in der Nähe eutektischer Minimaltemperaturen unter 900°C, was bei Einsatz von entspre- chendem Stroh in Holz verbrennenden Kraft- werken mit 1000−1300°C Betriebstempera- tur zu Sinterbildungen in der Brennkammer und damit zur Schädigung des Systems füh- ren kann. Insgesamt ist festzustellen, dass insbesondere Weizenkörner eine Schmelz- punkterniedrigung herbeiführen können. Allerdings sollte Weizen ohnehin der menschlichen Nahrungskette vorbehalten Tab. 3: Berichtete Gestehungskosten von Strom aus Stroh (ohne Berücksichtigung allfälliger Erträ- sein und nicht der Energiegewinnung die- ge aus Kraft-Wärmekopplung und ohne Vertrieb nen. In das Dreieck eingeblendet sind ferner von Abfallasche als Dünger, Edwards et al. 2005) Analysen von historischem, sog. Waldglas im Vergleich mit jenen anderer Energiequellen (Deutschland 2007, Wikipedia «Kraftwerk», Seite (+) und Pottaschenglas (o), das aus einer der Kernkraftwerkbetreiber). Mischung von Holzasche bzw. Aschenex- 100
trakt als Netzwerkwandler/Stabilisator Sinterbildungen wird seit den Anfängen der sowie Quarzsand als Netzwerkbildner herge- Strohkraftwerke berichtet (Van Loo & Kop- stellt wurde und noch wird. Die besondere pejan 2009). Als Gegenmassnahmen wurden Zusammensetzung von Strohasche macht und werden schmelzpunkterhöhende Additi- eine direkte Herstellung von Glas ohne Ver- ve (Dolomit, Kaolin: EUR 22461, 2006) einge- wendung von Quarzsand bei tiefen Schmelz- setzt. Eine weitere Massnahme ist die Reduk- temperaturen möglich, wie eigene Experi- tion der Brennertemperatur auf 850°C wie mente gezeigt haben (unpubliziert, sowie sie in Ely realisiert ist (Newman 2003). Der Stern & Gerber 2009). dritte Weg bestünde in der Verwendung von Die potenziell tiefen Schmelzpunkte von Spreu (ausgedroschene Ähre) zusammen Asche aus Getreidehalm und Getreidekorn mit Halmgut, wie Experimente gezeigt haben können technologisch von Bedeutung sein, (unpubliziert). Der hohe SiO2- und tiefe K2O- sind aber bei den hohen Brenntemperaturen Gehalt von Spreu verursacht einen sehr eines Holz-/Gaskraftwerks wegen Sinterbil- stark erhöhten Schmelzpunkt von z. T. über dung in hohem Masse unerwünscht. Über 1400°C. Damit kann durch eine geeignete Fig. 3: SiO2-CaO-K2O-Diagramm für Asche aus der Verbrennung pflanzlicher Rohstoffe. 101
Mischung von Halmgut und Spreu theore- tisch jede Schmelztemperatur zwischen 1300°C angesteuert werden, d. h. einerseits eine genügend hohe Temperatur in der Brennkammer und anschliessend bei der Verwendung der Asche durch weitere Zumischung wiederum eine tief schmelzen- de Asche für die Erzeugung von Glas und glasartigen Werkstoffen. Ein bisheriges Strohkraftwerk mit 25 MW Nennleistung erzeugt durch Verbrennung von 0.2 Mt Stroh rund 10'000 bis 20'000 t Asche, von denen ein Teil – womöglich unter Nutzung der Prozesswärme aus der Strom- produktion – zu innovativen Werkstoffen verwendet werden könnte. Aber hierzu wäre einige Entwicklungsarbeit zu leisten. Insgesamt ist festzustellen, dass die vorge- brachten Schwächen von Stroh als Brenn- stoff zwar vorhanden gewesen sind, aber heute keinen hohen Stellenwert in der Beur- teilung insgesamt mehr haben dürften. Im Gegensatz zur Nutzung von Getreide oder von eigentlichen Energiepflanzen zur bio- technischen Herstellung von z. B. Ethanol werden beim Verbrennen von Getreidestroh weder Nahrungsmittel dem Verzehr entzo- gen noch landwirtschaftliche Böden umge- nutzt. Strom aus Stroh erweitert die Wert- schöpfungs-Nutzungskette «Getreide − Stroh/Energie − Asche/Dünger» und ist somit per se von Interesse. Strohstrom sollte vor- zugsweise in Kraft-Wärme-Kopplung er- zeugt, und die anfallende Asche gesondert genutzt werden. Aus Stroh werden Strom und Wärme CO2-neutral mit einem nach- wachsenden und bisher (zu) wenig genutz- ten Abfallprodukt generiert. Das Potenzial von Stroh ist in zahlreichen Ländern (Frank- reich, Deutschland, Nord- und Südamerika) vorhanden, wird in der Öffentlichkeit aber noch nicht wahrgenommen. 102
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