TANNACKER-ZEITUNG 2021 - STIFTUNG TANNACKER TEILHABE VON MENSCHEN MIT BEEINTRÄCHTIGUNG

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TANNACKER-ZEITUNG 2021 - STIFTUNG TANNACKER TEILHABE VON MENSCHEN MIT BEEINTRÄCHTIGUNG
STIFTUNG TANNACKER
                     Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigung

Ta n n a c k e r - Z e i t u n g 2 0 2 1

    n n w e n i g e r m e h r i s
W e                               t ...
TANNACKER-ZEITUNG 2021 - STIFTUNG TANNACKER TEILHABE VON MENSCHEN MIT BEEINTRÄCHTIGUNG
Wenn weniger mehr ist ...

Amanda                           Francesca Manzone und
                           Samuel Gerber, Begleitpersonen

   Seit einigen Jahren lebe ich in der Pension Alpen-
blick in Rothenburg. Immer mit dabei sind meine Art-
genossen, zwei euphorische Ziegen und eine Katze,
welche aber lieber im Haus bei den Gästen lebt.
  An einem sonnigen Tag im September kamen zwei
Busse mit neuen Gästen an.
   Dass war eine laute und lustige Gruppe, das sag
ich Ihnen.
   Sie meinten, dass sie eigentlich ans Meer hätten
fahren wollen, dies aber wegen einem Virus nicht
möglich gewesen sei.
   Ihr Motto schien «eifach ä chli si» zu sein, sie
machten nämlich nicht viel mehr als spazieren gehen,
im Garten liegen, singen, Musik hören und essen.
Lustig war es, als sie Tischfussball spielten, sie können
froh sein habe ich nicht mitgespielt. Wenn das Haus
leer ist, übe ich nämlich immer heimlich.
   Diese Menschen mit Begleitung, welche da waren,
waren wirklich sehr lieb. Freundlich lächelten sie
mich an, sangen sehr schön und hatten es sich nicht
zum Ziel gesetzt, mich zu streicheln, das mag ich
nämlich nicht. Im Gegensatz zu den Begleitpersonen,
die wollten mich immer streicheln und rannten dann
trotzdem kreischend davon. Wenigstens fand das der
Rest der Gruppe lustig.
   Jeden Abend sassen die Begleitpersonen im Sprudel-
bad unter dem Sternenhimmel und meinten, wie schön
diese Ferien seien, aber dass ich mein abendliches Bad
nicht nehmen konnte, daran haben sie nie gedacht.
   Amanda, das Lama

                In leichter Sprache:   Das Geschenk
                 Corona
                 Corona hat uns manches weggenommen.
                 • Wir dürfen vieles nicht mehr tun.
                 • Wir dürfen nicht mehr überall hingehen.

                 Hat Corona uns auch etwas geschenkt?
                 • Etwas Wichtiges für die Zukunft?
                                                             Das Geschenk                                                     Leitartikel von
                                                                                                                    Claus Detreköy, Direktor

                 • Etwas Wertvolles für unser Leben?             Die Corona-Pandemie hat uns          anderen Menschen zu helfen, etwas
                                                             allen zweifellos manches genom-          selbst zu tun, sich Zeit zu nehmen.
                 Corona hat uns Zeit geschenkt.              men. Hat sie uns dabei aber auch         Der eigenen Persönlichkeit, der In-
                 • Wir dürfen langsam sein.                  etwas geschenkt? Etwas, das für die      tuition, den eigenen Ideen Raum zu
                                                             Zukunft wichtig und wertvoll bleibt?     geben. Ja, einfach sich selbst zu sein.
                 • Wir müssen weniger Aufgaben erledigen.                                                Gelang es uns, dieses «Weniger»
                                                                Vielleicht wurde unser Hamster-
                                                             rad zwischenzeitlich etwas gebremst.     des vergangenen Jahres zu erleben,
                 Viele von uns denken jetzt nach.                                                     so wurde uns damit gleichzeitig ein
                                                                Das Immer-Mehr, das Immer-
                 • Was ist sinnvoll?                                                                  «Mehr» geschenkt.
                                                             Schneller, das Immer-Weiter, der
                                                             äusserliche Glanz waren auf einmal          Immer wieder durften wir dies in
                 • Warum tun wir etwas?
                                                             nicht mehr das Mass aller Dinge.         der Stiftung Tannacker erleben. Wun-
                                                                                                      derbare Momente. Oft gemeinsam.
                 Viele von uns haben Zeit für neue Sachen.      Vielleicht aber rasten wir wei-
                                                             ter im Hamsterrad. Denn es musste           Weniger ist gewiss nicht immer
                 • Es gibt gute Gespräche                    sein. Oder wir dachten, es müsse sein.   mehr. Dieses Weniger schon. Hof-
                 • Es gibt schöne Begegnungen.                                                        fentlich kein flüchtiges Geschenk!
                                                                 Doch wir spürten immer deut-
                 • Es gibt neue Ideen.                       licher, dass etwas fehlt. Sinnfragen
                                                             gewannen an Bedeutung wie schon
                 • Wir helfen einander.                      lange nicht mehr.
                                                                Vielleicht wuchs der Wunsch nach
                 Wir können uns selber kennenlernen.
                                                             weniger oder etwas anderem. Nach
                 • Wer bin ich?                              einem tiefgründigen Gespräch, nach
                                                             einer schönen Begegnung oder einer
                 • Was tut mir gut?                          Umarmung. Sich auf etwas oder je-
                                                             manden wirklich einzulassen, einem
                 Das alles können wir nun tun.
                 Das ist das Geschenk.
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TANNACKER-ZEITUNG 2021 - STIFTUNG TANNACKER TEILHABE VON MENSCHEN MIT BEEINTRÄCHTIGUNG
Oase
               Michaela Bajraktar
               Begleitperson

                 Kennst du den kleinen Rasen zwischen dem         Ausflug nach dem anderen machen, doch wir       Bald gesellten sich weitere Leute, von ande-
               Wohnheimgebäude und der WG Villa?                  konnten viel Zeit auf dem Areal der Stiftung    ren Wohngruppen zu uns, um gemeinsam die
                                                                  Tannacker verbringen.                           Oase auf dem Rasen zwischen den Wohn-
                   Für mich ist das ein Ort der Begegnung. Ein
                                                                                                                  gruppen zu geniessen.
               Ort, wo im Herbst die bunten Blätter liegen,          Wenn ich an den letzten Sommer zurück-
               wo im Winter Schneeballschlachten veranstal-       denke, sehe ich eine bestimmte wunderbare          Es wurden Geschichten vorgelesen, Anek-
               tet werden könnten, wo im Frühling die ersten      Situation vor mir: Es war ein besonders heis-   doten erzählt, Musik gehört und als Krönung
               Sonnenstrahlen hin scheinen und (liebe Men-        ser Tag und eine Person schlug vor, dass wir    gab es selbstgemachte Eiskaffees und Glacen
               schen vom technischen Dienst, bitte haltet         die Füsse im Planschbecken baden könnten.       aus der Cafeteria für alle, die wollten.
               euch doch kurz die Ohren bzw. die Augen zu)
                                                                      Gesagt, getan. Wir stellten unser Becken       Vermutlich ist überall auf der Welt mo-
               wo im Sommer Sonnenschirme über Picknick-
                                                                  auf den Rasen vor der Villa. Sofort zogen       mentan eine ähnliche Stimmung. Alle hoffen,
               decken und Planschbecken gespannt werden.
                                                                  die Villaner*innen mit. Wir stellten mehr       dass bald wieder Normalität einkehrt. Und
                  Nein, wir konnten mit den begleiteten           Sonnenschirme auf, und holten mehr Stüh-        doch bewies uns der Lockdown, dass weniger
               Personen nicht wie in den Jahren zuvor einen       le, denn bald wurde es eng ums kühle Nass.      eben wirklich mehr sein kann.

                                                                                                   In leichter Sprache:   Mehr oder weniger
                                                                                                    Weniger
                                                                                                    Wegen Corona können wir weniger tun.
                                                                                                    • Viele Orte sind geschlossen.
                                                                                                    • Wir können weniger Leute treffen.
                                                                                                    • Wir erhalten weniger Besuche.
Mehr oder weniger                                       Elisabeth Schenk Jenzer
                                                        Präsidentin Stiftungsrat                    • Unser Tag ist nicht mehr gleich wie vorher.
                                                                                                    • Vieles ist nicht mehr möglich.
   Weniger ist weniger. Das haben        Der Tagesablauf muss anders geplant
wir alle im letzten Frühling gemerkt,    werden. Die Freizeit muss anders
                                                                                                    Das ist schwierig für uns.
als wegen Corona plötzlich alles ge-     gestaltet werden. Freundschaften
schlossen war. Das merken wir alle       müssen anders gepflegt werden.                             Mehr
in diesem Winter, wo vieles wieder
                                            Der Wegfall des Gewohnten                               Dafür können wir jetzt anderes tun.
geschlossen ist. Weniger Treffen mit
                                         macht uns den Blick frei auf andere
anderen sind weniger Treffen. Weni-
                                         Möglichkeiten. Wir haben mehr Zeit
                                                                                                    Wir können Neues erfinden.
ger Besuche sind weniger Besuche.
                                         und merken, was man mit ihr auch                           • Wir backen ein Brot.
   Wie vielen Menschen ist es mir        noch machen könnte: Brot backen,
schwergefallen, auf Familie und          eine Hose nähen, das Zimmer blau                           • Wir streichen das Zimmer blau.
Freunde, Restaurants und Reisen,         streichen, Radieschen anpflanzen,                          • Wir pflanzen Radieschen.
Ausflüge und Ausgang zu verzichten.      eine Sonnenblume malen, trommeln.
Wie soll dann weniger mehr sein?                                                                    • Wir malen eine Sonnenblume.
                                            Weniger Möglichkeiten zu haben,
    Wenn vieles nicht mehr möglich       gibt mehr Zeit, neue Möglichkeiten                         • Wir trommeln.
ist, muss vieles neu gedacht werden.     zu entdecken. Wir entrümpeln den                           Das gibt uns ein gutes Gefühl.
                                         Alltag und merken: Das ist ein gutes
                                         Gefühl!
                                                                                                    Ohne Corona
                                            Trotzdem: Ich freue mich auf eine
                                         Zeit, wenn weniger Corona uns wie-                         Wir freuen uns, wenn Corona vorbei ist.
                                         der mehr Bewegung erlaubt. Wenn                            • Wir können uns wieder frei bewegen.
                                         wir wieder Kurse besuchen, einen
                                         YB-Match schauen und aus vollem                            • Wir können einen Kurs besuchen.
                                         Hals ein Lied singen dürfen. Wenn
                                                                                                    • Oder einen YB-Match.
                                         wir wieder andere umarmen dürfen.
                                         Fest und lange und ohne Angst.                             • Wir können uns wieder umarmen.
                                                                                                    Ohne Angst.
                                                                              3
TANNACKER-ZEITUNG 2021 - STIFTUNG TANNACKER TEILHABE VON MENSCHEN MIT BEEINTRÄCHTIGUNG
Wenn weniger mehr ist ...
                                        Auch der Schriftsteller Sunil Mann weiss, dass manchmal weniger
                                        mehr ist. Er kennt sich auch sonst aus mit Widersprüchlichkeiten und
                                        Gegensätzen. Für die Tannacker-Zeitung 2021 hat er eine berndeutsche
                                        Geschichte geschrieben. Die Sonnen und Sterne hat Selma Bengü, be-
                                        gleitete Person, gezeichnet.

                                        Martha
                                           Im erschte Momänt meint d Martha, sie heig             wär worde, us ihre und em Geri. Wenn sie denn
                                        sech girrt.                                               hätt ja gseit u mit ihm wär mitgange. Einfach
                                           «Das cha doch unmöglech si», seit sie zue sech         ame Morge los, ufe Bahnhof u de use i d Wält.
                                        sälber, aber o wo sie zum zwöite Mal – und itz viel       Sie wär e anderi worde als sie itz isch, ganz sicher,
                                        gnauer – luegt, isch sie sech nid ganz sicher.            das ischere bewusst. Sie wär ds Australie gsi und
                                                                                                  ufem Kilimandscharo obe, hätt d Rocky Moun-
                                            Dr glich Körperbou, klar, e chli schlaksiger itz,
                                                                                                  tains gseh u wär im Rote Meer ga touche. Är hett
                                        d Grössi schtimmt aber ungefähr. Är isch natür-
                                                                                                  ihre immer wieder Charte gschribe, dr Geri, emel
                                        lech o elter worde, äs chliises Buggeli hett er, graui,
                                                                                                  e Zitlang.
                                        fasch wiissi Haar. Aber so gseh sie vo hinde öppe
                                        alli us, die alte Manne im Dorf. Nume – so wie               Aber wär sie ächt o glücklech worde? Ds Läbe
                                        dä Kärli louft, so isch dr Geri geng gloffe. Scho         mit em Kari isch nid sones ufregends, nie gsi,
                                        denn und immer no, dä Schritt wird d Martha nie           aber sie hei drü Chind übercho, jetzt si scho vier
                                        vergässe.                                                 Grosschind da, sie hei dr Hof, immer no, und am
                                                                                                  Morge, we sie ufschteit, dänkt sie fasch immer, wie
                                            Einzig sis Gsicht hett sie nid gseh, är isch
                                                                                                  guet s ihne doch gieng.
                                        grad vor Bushaltestell abboge, wo sie uf ihn isch
                                        ufmerksam worde. Isch denn es Stück d Dorf-                  Aber mängisch, i dene dunklere Momänt, wo
                                        schtrass z derab Richtig Migros. Langsam u doch           d Martha chli gnue hett vo däre ganze Harmo-
                                        ziilgrichtet, so wie früecher, wie wenn är überzügt       nie u däm duurende Zfridesi, wünschti sie sech,
                                        wär, dass die ganzi Wält uf ihn wartet u sech ersch       me chönnt i Spiegel luege u gsähch dert, wie ds
                                        witerdräiht, wenn är de o aacho isch. Das hett ihre       Läbe wär usecho, weme ds einte oder andere Mal
                                        rächt Iidruck gmacht, denn.                               andersch hätti entschide. Weme eis früecher wär
                                                                                                  abboge oder dr Blinker hätt gsetzt u de trotzdäm
                                            Fasch wär si ufgschprunge u wieder usgschti-
                                                                                                  eifach graduus wär gfahre.
                                        ge, doch irgendöppis hett se im letschte Momänt
                                        zrügghalte. U so luegt d Martha däm Maa hin-                 Aber vilech wird eim ds Glück nume so richtig
                                        derhär, bis der Bus abfahrt u plötzlech gschpürt si       bewusst. We me weiss, dass irgendwo tief i eim
                                        es ganz fiins Zieh ir Härzgägend. Sehnsucht oder          drin äs Chörnli Zwiifel ligt, wo jederzit chönnt
                                        es liisligs Beduure vilech. Was hätt chönne si, was       afaa usschlah.

Wenn weniger Lärche ...                                                                           . . . m e h r L i n d e i s t.

Im September 2020 wird eine alte
Lärche gefällt, nach allen Regeln der
Holzfällerkunst.
Einen Monat später, im Oktober
2020, wird dafür im Innenhof des
Tannackers eine Linde gesetzt. Schon
bald wird sie Schatten und Ruhe
spenden.

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TANNACKER-ZEITUNG 2021 - STIFTUNG TANNACKER TEILHABE VON MENSCHEN MIT BEEINTRÄCHTIGUNG
Stefanie Glauser
                                                       Fachverantwortliche Teilhabe-Konzept

                       Wenn weniger mehr ist
                       Im Speziellen: Wenn weniger besondere Unternehmungen zu mehr
                       alltäglichen Tätigkeiten und gemeinschaftlichen Erlebnissen führen.
                       Welche Bedeutung misst das Teilhabe-Konzept der Qualität
                       von Aktivitäten zu?
                                         Einschränkungen im Privaten, aber vor allem Ein-
                  Unten                  schränkungen an der Teilhabe am öffentlichen Le-
                  findest du             ben veränderten unser Leben in Corona-Zeiten. Das
                  diesen Text            war und ist auch in der Stiftung Tannacker nicht
                  in leichter            anders. Weniger Ausflüge, weniger Besuche externer

                  Sprache.
                                         Angebote, weniger direkte Kontakte. Diese werden
                                          ersetzt durch andere Aktivitäten wie mehr Spazier-      T e i l h a b e - Ko n z e p t
                                          gänge, mehr Telefonieren oder anderen Personen          Ein Handbuch für den Alltag
                                          schreiben, mehr Backen, mehr Fotos ansehen, mehr
                                          Zeichnen, mehr Gesellschaftsspiele spielen.                «Wenn du zu uns kommst, schauen wir, dass
                                                                                                  du möglichst kompetent mit einem möglichst ge-
                          Den Blick wieder vermehrt auf die Mitwirkung, die Mitbestimmung         sunden Körper an möglichst alltäglich normalen
                       und Mitverantwortung in Alltags-Situationen zu konzentrieren, birgt        Lebens-Situationen teilhaben kannst.» So lautet
                       grosse Chancen für die alltägliche Teilhabe. Denn bei einer Aktivität      das Teilhabe-Versprechen an alle Personen mit Be-
                       einfach mit dabei zu sein, bedeutet nicht automatisch, dass die Person     einträchtigung, welche in der Stiftung Tannacker
                       mit Begleitung an dieser Lebenssituation auch wirklich kompetent teil      wohnen und arbeiten.
                       hat. Dies hängt erheblich von der Art des Einbezogenseins sowie der
                       Qualität der Lebens-Situation ab. Erleben ist stets subjektiv. Wie Teil-       Dieses Versprechen ist das Herz-Stück unseres
                       habe erlebt wird, ist individuell.                                         agogischen Konzeptes, politisch eingebettet in der
                                                                                                  UNO-Behindertenrechts-Konvention und dem
                          In der Stiftung Tannacker versuchen wir Aktivitäten deshalb so zu       Behindertenkonzept des Kantons Bern. Seit meh-
                       gestalten, dass die Personen mit Begleitung diese gut erleben, darin       reren Jahren orientiert sich die professionelle
                       ihre Fertigkeiten anwenden, ihre Stärken und Talente einbringen und        Arbeit der Stiftung Tannacker an der grösstmög-
                       Mitverantwortung übernehmen können.                                        lichen Selbst-Bestimmung, Eigen-Verantwortung
                         Wir hoffen, dass wir durch ein Mehr an Qualität das Weniger an           und sozialen Teilhabe.
                       Quantität ein wenig kompensieren konnte.                                       Es geht uns hierbei insbesondere um die Hal-
                                                                                                  tung. Ein Einstehen für persönliche Eigenart und
                                                                                                  menschliche Vielfalt, für Entwicklung und Entfal-
                                                                                                  tung, für gemeinschaftliche Erlebnisse, für Lebens-
In leichter Sprache:                                                                              Qualität, für Selbst-Bestimmung und Mitwirkung,
                                                                                                  für Rechte, Pflichten und Verantwortung, für
Was wir jeden Tag tun, ist wichtig.                                                               teilhabe-orientierte Zugänge bei der Arbeit, beim
                                                                                                  Wohnen und in der Freizeit, für den Alltag als
                                                                                                  Lernfeld und dafür, dass nicht immer alles perfekt
  Weniger                                                  Falsche Teilhabe                       sein soll und kann.
  Wegen Corona gibt es                                     Es gibt auch Teilhabe, die gar            Im vergangenen Jahr haben wir unser Handbuch
  • weniger Ausflüge                                       keine ist:                             zum Teilhabe-Konzept grundlegend überarbeitet
                                                                                                  und erneuert. Besonderen Wert legten wir dabei, in
  • weniger Besuche                                        • Ich bin dabei.
                                                                                                  Zusammenarbeit mit Res Brandenberger, auf eine
  • weniger Angebote                                       Das genügt nicht.                      möglichst verständliche Sprache. Das Handbuch
                                                                                                  enthält nebst den agogischen und konzeptionel-
    ausserhalb des Tannackers
                                                           Es kommt auf mehr an:                  len Grundlagen eine Beschreibung aller fachlichen
                                                                                                  Werkzeuge sowie zahlreiche Praxis-Beispiele. Es ist
  Mehr                                                     • Wie bin ich dabei?                   in erster Linie ein internes Arbeits-Instrument, soll
                                                           • Bei was bin ich dabei?               aber gleichzeitig auch einen Beitrag leisten zur Zu-
  Wegen Corona gibt es                                                                            sammenarbeit mit Angehörigen und interessierten
  • mehr Spaziergänge                                                                             Kreisen.
                                                           Kompetente Teilhabe
  • mehr Telefonieren
                                                           Jede Person erlebt
  • mehr Briefe-Schreiben                                  eine Handlung anders.
  • mehr Backen                                            Wichtig ist die Frage:
  • mehr Zeichnen                                          • Wie erlebe ICH die Handlung?
  • mehr Gesellschafts-Spiele
                                                           Kompetent teilhaben heisst:
  Das ist gut.
                                                           • Ich erlebe die Handlung gut.
  Denn das gibt mehr Teilhabe.
                                                           • Es braucht
                                                             meine Fertigkeiten.
  Teilhabe
                                                           • Es braucht meine Stärken
  Teilhaben heisst:                                          und Talente.
  • Ich kann mitmachen.
                                                           • Ich trage Verantwortung.
  • Ich kann mitbestimmen.
  • Ich kann Verantwortung                                 So haben wir mehr.                     Das 245-seitige Handbuch kann für CHF 35
     tragen.                                               Und nicht weniger.
                                                                                                  (exkl. Versandkosten) in der Stiftung Tannacker
                                                                                                  bezogen werden.

                                                                                                                                                     5
TANNACKER-ZEITUNG 2021 - STIFTUNG TANNACKER TEILHABE VON MENSCHEN MIT BEEINTRÄCHTIGUNG
Co r o n a - Allta g

Uf und drvo                                                    Annelise Widmer
                                               Begleitperson und Gruppenleiterin

   Uf und drvo ... ist leichter gesagt    Riggisberg waren schön, könnte ich
als getan, vor allem in der Corona-       wieder gehen? Und ... Und ...
Zeit. Und dennoch gilt es während                                                  Nils Brunner, begleitete Person, lebt auf der Wohngruppe Grün und arbeitet
                                             Alle wollen auf einmal etwas er-
dem Alltag auf der WG, eine posi-                                                  im Atelier Lebensmittel in Moosseedorf. Während des Lockdowns von Mit-
                                          zählen, es ist wie ein Virus, der sich
tive Stimmung zu schaffen und für                                                  te März bis Mitte Mai 2020 konnte er seine Eltern nicht besuchen. Seine
                                          durch den Raum schlängelt und
eine gute Atmosphäre zu sorgen.                                                    Mutter, Regine Brand Brunner, erzählt, wie sie diese Zeit erlebt haben.
                                          sehr ansteckend wirkt. Nur gott-
    Wie soll dies gelingen!? Ein Blitz-
gedanke durchquert meinen Kopf.
                                          lob ist dies nicht der Corona-Virus,
                                          sondern der «Weisch-no-Virus» und        1 2 W o c h e n i m Ta n n a c k e r
Wie ist es, sich etwas Gutes zu tun       dieser ist tausendmal schöner.              Wie jeden Montagmorgen nach         geforderten Verhaltensweisen an-
und etwas Schönes vorzunehmen?                                                     einem gemeinsamen Wochenen-            passen und auf manches verzich-
                                             Leuchtende Augen und lachen-
Ja, das ist genau das Richtige, was                                                de ist Nils auch an jenem 2. März      ten konnte, was ihm so viel Freude
                                          de Gesichter sind zu sehen, es wird
es in diesem Moment braucht!                                                       freudig angespannt in den chicen       macht. Dass er dabei gesund und
                                          noch und noch von vergangenen
   Daher gibt es an diesem Tag ein        Zeiten geschwärmt. Bei den Einen         Tesla des Taxiunternehmens gestie-     zufrieden geblieben und eigenstän-
feines Vermicelle-Dessert, was wie-       und Anderen sind gar Freudenträ-         gen. Trotz zunehmend beunruhi-         diger geworden ist, erfüllt uns mit
derum für grosse Freude sorgt, da         nen zu sehen und die Bauchmuskeln        gender Informationen zu Corona         Zuversicht und Stolz. Nils hat ge-
dies alle lieben. Bei dieser Gelegen-     werden dabei arg in Anspruch ge-         hätten wir uns zu dem Zeitpunkt        lernt zu facetimen, was auch heute
heit wird rege aus der Vergangen-         nommen.                                  nicht vorstellen können, erst am 6.    unsere Kontakte zwischen den Wo-
heit erzählt. Weisch no ... als die                                                Juni wieder ein paar Tage mit Nils     chenenden belebt.
                                              Was für eine lockere Stimmung        daheim verbringen zu dürfen.
Frau mein Vermicelle stibitzte; am                                                                                           Natürlich gab es schwierige
                                          herrscht in diesem Augenblick, ver-
Fasnachtsumzug; wo hast du dich                                                        Dazwischen liegen Monate der       Momente, wo Zweifel aufkamen,
                                          gessen ist all der Verzicht auf die
damals versteckt? Ich war Lotto-                                                   Verunsicherung, der Sorge, der         wie lange er das noch mitmachen
                                          etlichen Vorhaben. Im Moment
königin; bei dieser Wette habe ich                                                 Einschränkung und vor allem der        würde. So meinte Nils bei einem
                                          zählen nur die erlebten Geschich-
gewonnen; damals habe ich un-                                                      Längizytti. Wegen unserer Arbeits-     Gespräch: «Hesch du e Schlüssu,
                                          ten, es kommt mir vor wie einzel-
zählige Tore geschossen, ich war                                                   situation mit auswärtigen Ver-         dass i hie use cha, i ha mini Täsche
                                          ne geheimnisvolle Diamanten, die
Torschützenkönig. Weisst du noch,                                                  pflichtungen und Homeoffice ab         packt».
                                          aufblitzen; und vergessen ist der
als ich dich in die Putzkammer ein-                                                Mitte März konnten wir uns trotz
                                          Corona-Virus.                                                                       Zu wissen, dass Nils in guten
geschlossen habe? Weisst du noch,                                                  aller Bedenken, wie Nils als Fami-
was ich dir damals ins Ohr ge-              Kann uf und drvo also auch ein                                                Händen ist, Gespräche mit den
                                                                                   lienmensch die lange Trennung von
flüstert habe? Die Ferientage in          Abstecher in die Vergangenheit sein!?                                           Betreuenden und anderen Eltern
                                                                                   uns bewältigen würde, nicht vor-
                                                                                                                          sowie der Austausch mit der Heim-
                                                                                   stellen, ihn für unbestimmte Zeit
                                                                                                                          leitung haben geholfen, zuversicht-
                                                                                   daheim zu begleiten.
                                                                                                                          lich und vertrauensvoll zu bleiben.
                                                                                      So wurden diese Monate für uns
                                                                                                                             Gewöhnlich hat man als Eltern
                                                                                   auch zu einer Zeit des Loslassens
                                                                                                                          eines Kindes mit einer Beeinträchti-
                                                                                   und Vertrauens in die Begleitung im
                                                                                                                          gung selten Anlass, im herkömmli-
                                                                                   Tannacker und in die Fähigkeit von
                                                                                                                          chen Sinn Stolz zu empfinden.
                                                                                   Nils, Herausforderungen zu meis-
                                                                                   tern und daran zu reifen. Sein Be-        Dass Nils mit viel Zuwendung
                                                                                   finden konnten wir ausschliesslich     und Unterstützung diese Zeit so
                                                                                   aus Distanz oder vermittelt durch      gut gemeistert hat, erfüllt uns
                                                                                   die Begleitpersonen der Gruppe         Eltern durchaus mit Stolz und gibt
                                                                                   einschätzen.                           Gewissheit, dass sein Wohlergehen
                                                                                                                          nicht ausschliesslich von uns ab-
                                                                                      Es beruhigte uns sehr zu mer-
                                                                                                                          hängt.
                                                                                   ken, dass Nils die Situation auf
                                                                                   seine Weise verstehen, sich an die

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TANNACKER-ZEITUNG 2021 - STIFTUNG TANNACKER TEILHABE VON MENSCHEN MIT BEEINTRÄCHTIGUNG
Andreas Stegers üblicher Alltag als begleitete Person ist das Atelier Papier   Eigentlich lebt Guy Moser als begleitete Person auf der Wohngruppe Chalet
Malen in Bäriswil. Während des Lockdowns von Mitte März bis Juni 2020          und arbeitet im Atelier Holz Metall und in der Küche in Moosseedorf.
konnte er seiner Arbeit im Tannacker nicht nachgehen. Seine Angehörigen        Während des Lockdowns von Mitte März bis Mitte Mai 2020 lebte er
erzählen, wie sie diese Zeit erlebt haben.                                     zuhause bei seinen Eltern. Sie berichten über diese Zeit.

9 W o c h e n Zu h a u s e                                                     1 2 W o c h e n Zu h a u s e
   Der erste Gedanke – Dauer der        gängern, die ebenfalls Frischluft         Während dieser Zeit hat Guy          konnte er erkennen und sie richtig
Einschränkung höchstens zwei Wo-        tanken wollten. Zu ihnen konnten       gerne nach dem Frühstück, nach          benennen. Auch sein örtliches Ge-
chen, fast wie Ferien. Wir halten       wir gut Abstand halten.                dem Abendessen in der Küche beim        dächtnis ist gut. Er findet stets un-
uns an die gegebenen Regeln und                                                Abtrocknen und beim Wegräumen           sere Wohnung.
                                           Später wechselten wir für unse-
passen uns an: etwas länger schla-                                             von bestimmten Gegenständen ge-
                                        re Spaziergänge ins Areal der UPD                                              Abends nach dem Abendessen hat
fen, an der frischen Luft spazieren,                                           holfen.
                                        Waldau, in die wunderschöne An-                                                Jürgen mit Guy Leseübungen ge-
den Abend geniessen und dazwi-
                                        lage mit grossen, schattenspenden-        Bei gutem Wetter hat er gemein-      macht. Guy hat sich im Lesen bei
schen essen.
                                        den Bäumen und einem Teich mit         sam mit uns an grösseren Spa-           verlängerter Lesedauer verbessert.
   Für eine Stunde an der frischen      vielen kleinen Kaulquappen. Bei        ziergängen teilgenommen, die in         Die ausgewählten Texte waren Ge-
Luft fuhren wir mit Andreas im          schönem Wetter picknickten wir an      Richtung Thun oder in Richtung          schichten aus dem Alltag und aus
Rollstuhl fast täglich zum Flugplatz    einem grossen Steintisch mit Bank,     Interlaken verliefen.                   dem Sport. Bei jeder Leseübung hat
Belp, wo wir einen sauberen, ebe-       «fasch wie im Tessin».                                                         Jürgen Guy Fragen gestellt, zum
                                                                                   Danach haben wir es uns auf
nen Feldweg zwischen Kohl- und                                                                                         Beispiel: Wo ist dieser Ort? Wer
                                           Bald vermisste Andreas seine        der Terrasse gemütlich gemacht
Rapsfeld vorfanden. Wir staunten                                                                                       hat das gesagt? Guy konnte mehr-
                                        Kolleg*innen vom Tannhölzli. Er        mit einem Würfelspiel, das Guy
immer wieder, wie schnell die kleine                                                                                   mals gute Antworten geben. Die
                                        sehnte sich nach anderer Gesell-       mit Zahlen beschäftigt hat. Bei
Rapspflänzchen in die Höhe wuch-                                                                                       von uns ausgewählten Geschichten
                                        schaft als der unseren und ver-        kleineren Würfelzahlen sollte Guy
sen und in kurzer Zeit das ganze                                                                                       waren solche, die als leicht lesbar
                                        misste den gewohnten Alltag mit        die Summe erklären, was ihm nicht
Feld gelb zu blühen begann. Bis auf                                                                                    für Erwachsenen eingestuft sind.
                                        der Fahrt im roten Auto. Auch wir      gut gelungen ist. Wenn er gefragt
eine ehemalige Praktikantin mit ih-
                                        Eltern sehnten den Tagesentlas-        wurde, welche Zahl auf dem Wür-         Trotz Pandemie war es eine gute
rer Familie, die Andreas vor Jahren
                                        tungsplatz herbei, um für einige       fel zu sehen sei, hat er in der Regel   gemeinsame Zeit mit sehr schönem
im Burehus Bäriswil begleitet hat-
                                        Stunden frei zu sein von der «Pflege   richtig geantwortet. Auch grössere      Wetter!
te, begegneten wir nur schnellen
                                        und Betreuung rund um die Uhr».        Zahlen, zum Beispiel 25 oder 32
Velofahrern und anderen Spazier-

Larissa Schlatter
Begleitperson

D e r m a s k i e r t e Ta n n a c k e r
  Die Fasnacht fand gerade mal so          Auch bei den Begegnungen, im
knapp einen Platz in der Tannacker -    Tannacker oder ausserhalb, lächel-
Geschichte.                             ten wir unsere Mitmenschen an
                                        und staunten ab und zu, dass da
   Es wurden tatsächlich die Mas-
                                        keine Reaktion zu sehen war. Wie
ken wieder aus den Schachteln ge-
                                        auch, wenn der blaue Schleier un-
zaubert. Dabei ging es nicht um den
                                        ser Zahnpasta-Lächeln verhüllt.
Clown, die Hexe oder den Hund.
Die blauen Mundschürzen dienen             Ein Teil von uns liegt also im
ganz alleine der Gesundheit.            Verborgenen und die Distanz muss
                                        zwingend eingehalten werden.
   Ja, und da zeigte sich, dass der
Mensch ein Gewohnheitstier ist. So         Trotzdem möchten wir offen-
haben wir in kurzer Zeit das neue       bleiben und nehmen unser Gegen-
Accessoire angenommen und auch          über aus einem neuen Blickwinkel
ausserhalb des Tannackers, ohne uns     wahr.
dessen bewusst zu sein, getragen.
Doch spätestens am Abend bei der
Zahnpflege war da was im Wege.

                                                                         7
TANNACKER-ZEITUNG 2021 - STIFTUNG TANNACKER TEILHABE VON MENSCHEN MIT BEEINTRÄCHTIGUNG
Begrüssungen
Emanuel Borter                               Nick Ehrenzeller                            Jonas Suter                                   René Koller
Wohngruppe Baumhus Bäriswil                  Wohngruppe Baumhus Bäriswil                 Externat                                      Externat
   Emanuel ist ein gestandener,                  Nick ist direkt nach der HPS-               Jonas Suter arbeitet seit Anfang             «Salü ! Ig bi der René! Ig ha Ang-
35-jähriger Mann und war, bevor              Schule in Bern, mit 18 Jahren, zu uns       Oktober neu bei uns im Atelier Aus            schd vor dir !»
er zu uns ins Baumhus schnuppern             ins Baumhus gekommen. Da es durch           Alt mach Neu und im Atelier Textil/
                                                                                                                                          Da ist er nun, der René. Gross
kam, in zwei anderen Institutionen.          Corona zu Verzögerungen beim Ein-           Papier. Jonas bereichert unsere Ate-
                                                                                                                                       steht er vor mir mit seinem tiefen
                                             tritt kam, ist er, ohne zu schnuppern,      lierteams mit seiner offenen, fröh-
   Nach drei Wochen Schnupperzeit                                                                                                      Bass und seinem breiten Bärndütsch,
                                             am 5.7.2020 bei uns eingetreten.            lichen Art ungemein und hat sich
war für ihn, seine Eltern und unsere                                                                                                   bei unserer Erstbegegnung im Juli 20.
                                                Er hat sich sofort selbständig um        sehr schnell im Tannacker eingelebt.
Wohngruppe klar, dass er ab August
                                                                                         Dank der Unterstützung von Pia                    Ist das nicht von grundauf ehr-
2020 dauerhaft auf der Wohngruppe            seine neue Zimmereinrichtung ge-
                                                                                         Weber (Training für Orientierung              lich, wenn man jemanden kennen
bleiben wird.                                kümmert und sich dabei von allen
                                                                                         und Mobilität) fand sich Jonas trotz          lernt und grad erfährt, dass er etwas
                                             Seiten Hilfe geholt.
   Er arbeitet sehr gerne im Atelier.                                                    seiner Sehbehinderung schon innert            unsicher ist, nicht so recht weiss was
Er konnte sich nach und nach immer               Nick ist ein durchweg dynami-           kürzester Zeit alleine im Tannacker           ihn erwartet und deshalb halt auch
mehr einbringen.                             scher und energiegeladener junger           zurecht.                                      sagt : «Ig ha Angschd vor dir.»
                                             Mann. Er hat sich sehr schnell einge-
   In seiner Freizeit liebt er es, ge-       lebt und ist durch seine Hilfsbereit-           Jonas stellt sich kurz vor.                  Hab ich das denn nicht auch ein
mütlich Kaffee zu trinken und wann           schaft und Empathie sehr gut von                                                          wenig, diese Unsicherheit vor ihm?
                                                                                            Hallo ich heisse Jonas gehe gerne
immer es geht, ein kleines Schoggi-          den anderen Mitbewohnern aufge-                                                           Haben wir das nicht alle vor einem
                                                                                         an YB-Matchs, fahre in meiner Frei-
reiheli dazu zu geniessen.                   nommen worden. Gerne beteiligt er                                                         Neubeginn? Wer erinnert sich nicht
                                                                                         zeit Bus, Tram, und andere öffentli-
                                             sich bei allerhand Arbeiten und in                                                        daran, wie schwierig es ist, an einem
    Er ist sehr gerne mit seinen Mit-                                                    che Verkehrsmittel und treffe mich
                                             der Freizeit an vielen unterschiedli-                                                     unbekannten Ort zu beginnen, vor
bewohnern zusammen, achtet aber                                                          gerne mit Menschen, die ich kenne.
                                             chen Angeboten. Seine Leidenschaft                                                        fremden Menschen?
auf etwas Distanz und ist eher ein
                                             gilt dem SCB, und er findet alles              In den Tannacker kam ich, weil es
stiller Beobachter. Dies scheint er                                                                                                       Wir arbeiten zusammen im Le-
                                             technische, wie Lastwagen, Bagger           mir im Blindenheim zu eintönig und
aber zu geniessen, und er wirkt dabei                                                                                                  bensmittel-Atelier in Bäriswil. Aus
                                             usw. hochinteressant.                       langweilig wurde. Ich schnupperte
sehr ruhig und entspannt. Es huscht                                                                                                    dem anfänglichen «Chef, chasch du
                                                                                         im Tannacker, und es gefiel mir so-
ihm dabei öfters ein Lächeln über               Seine Freizeit verbringt er sehr                                                       mir hälfe?» ist ein «Ralf, ig bruche
                                                                                         fort sehr gut. Nach dem Schnuppen
das Gesicht.                                 gerne mit Fahrradfahren, und er                                                           Hilf» geworden und wir zwei haben
                                                                                         durfte ich zum Glück auch gleich
                                             ist begeisterter Trottinett-Fahrer.                                                       gelernt, dass aus einer Angst ganz
   Mit Begeisterung fährt er auf sei-                                                    bleiben, darüber habe ich mich sehr
                                             Nick wünscht sich von Herzen eine                                                         langsam Vertrautheit werden kann.
nem eigenen Tandem und er liebt es,                                                      gefreut.
mit dem grossen Bus unterwegs sein           Freundin und kann sich durchaus                                                              Du bist ein fleissiger Mitarbeiter
                                             eine Heirat und ein Zusammenleben               Zu meinen Lieblingsarbeiten ge-
zu dürfen. Gerne ist Emanuel dabei,                                                                                                    und ich glaub, dass du deine Unsi-
                                             vorstellen.                                 hören mit dem Accucut Formen aus-
wenn es darum geht, einen Ausflug                                                                                                      cherheiten, die wohl ein Stück weit
                                                                                         stanzen, Seiten für die «Notizblöckli»
zu machen.                                      Nach verschiedenen Ateliereinsät-                                                      zu dir gehören, je länger je mehr et-
                                                                                         in eine Form füllen und « Chräueli»
                                             zen hat sich Nick dazu entschlossen,                                                      was hinter dir lassen kannst. Ich hel-
   Emanuel bereichert unsere Wohn-                                                       auf einen Draht aufziehen. Mir ge-
                                             beim technischen Dienst zu arbeiten.                                                      fe dir gerne dabei.
gruppe mit seiner besonnenen Art,                                                        fällt im Tannacker die Abwechslung
und wir freuen uns auf viele gemein-         Er liebt es mit Maschinen zu hantie-                                                         Deine originelle Art viele Fra-
                                                                                         der Arbeiten besonders gut.
same Jahre.                                  ren und im Freien zu sein, dies gefällt                                                   gen zu stellen, überrascht mich stets
                                             ihm sehr gut. Dabei kann er sich kör-          Nun warte ich gespannt auf
                                                                                                                                       aufs neue, denn wer fragt mich denn
    Schön, dass du da bist.                  perlich gut einbringen.                     einen freien Wohnplatz auf einer der
                                                                                                                                       sonst schon immer wieder mal: «Du
                                                                                         Wohngruppen des Tannackers.
                                                Nick bringt viel Power und Leben                                                       Ralf, wie heissisch du?»
                        Gabriela Josi
                                             auf die Wohngruppe. Wir freuen uns                                                          Wer weiss, vielleicht sollte ich
                   Begleitperson und                                                                                Jonas Suter,
                                             den weiteren Lebensweg mit dir ge-                                                        mir das tatsächlich mal genauer
                     Gruppenleiterin                                                                          begleitete Person,
                                             hen zu dürfen.                                                                            überlegen.
                                                                                                           in Zusammenarbeit
                                                                      Gabriela Josi                   mit Melinda Lambrigger,             Ich freu mich, dass du bei uns
                                                                 Begleitperson und                                Begleitperson        bist, René.
                                                                   Gruppenleiterin
                                                                                                                                                                Ralf Menzel
                                                                                                                                                               Begleitperson
                                     Jennifer Schaller
                                                                          ruppe Chalet
                                         Willkommen zurück! Auf der Wohng
                                                                                                                           Com-
                                                                                   r    Auskunft geben über verschiedene
                                            Im April 2019 war Jennifer Schalle                                                uns
                                                                              men,      puterspiele, Filme und Bücher, die
                                         auf die Wohngruppe Grün gekom                                                 und Ma   n-
                                                                              2019      jeweils in die Welt der Animes
                                         hatte sich dann Ende November                                                    ist das
                                                                          zu lebe n.    gas eintauchen liessen. Jennifer
                                         entschieden, wieder zu Hause                                                       innen
                                                                                zu-     Wohlergehen ihrer Mitbewohner*
                                         Nun ist sie wieder in den Tannacker                                      und  so  unt  er-
                                                                                ppe     immer sehr wichtig,
                                         rückgekehrt und wohnt auf der Gru                                                   beim
                                                                                         stützt sie uns beispielsweise
                                         Chalet.                                                                                 n,
                                                                                         Essen servieren und Kaffee verteile
                                             Jennifer Schaller ist 24 Jahre alt und      wenn ihre Mitbewohner*innen es
                                                                                                                               sel-
                                                                                dig.                                            die
                                          meistert ihren Alltag sehr selbstän            ber nicht können. Auch fehlt  bei ihr
                                                                             Zei ch-                                          ach  t
                                          Sie hat eine grosse Begabung fürs              Frage: «Wie geits dir, was hesch gm
                                                                                 eils
                                          nen und Schreiben. So erstellt sie jew          am Wuchenänd?» nur selten.
                                                                    Begleitperso nen
                                          bei neu eintretenden                                                 Michaela Bajraktar
                                                                                  m-
                                          oder begleiteten Personen die Willko                                      Begleitperson
                                                                                  ent
                                          mensplakate. Jennifer kann kompet

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TANNACKER-ZEITUNG 2021 - STIFTUNG TANNACKER TEILHABE VON MENSCHEN MIT BEEINTRÄCHTIGUNG
N a c h r uf e
Dominic Binggeli                          Antoinette Piller                        Henry Pavkovic                             Livio Mettler
7. August 1981 – 24. Februar 2020         30. Mai 1971 – 22. März 2020             9. September 1968 – 2. April 2020          14. Oktober 1987 – 13. Dezember 2020
  Du wurdest unerwartet aus dem              Antoinette kam im Oktober 1994           Es ist schon einige Zeit vergangen,         Als dein Herz nicht mehr woll-
Leben gerissen und hast eine grosse       in den Tannacker, auf die Gruppe         trotzdem vermissen wir dich immer          te oder konnte, da hast du dich an
Lücke hinterlassen.                       Lila in Moosseedorf, bevor sie im        noch sehr. Du warst ein alt eingeses-      deinem Luft-Ballon festgehalten und
                                          Februar 2012 zu uns in die WG            sener «Chaletaner». Du kommst uns          bist ganz leicht davon, sanft mit ei-
   Du hast im Tannacker nicht oder
                                          Baumhus nach Bäriswil wechselte.         nach wie vor im Alltag viel in den         nem Lächeln und freundlich wie du
nur selten geredet, aber deine Mimik
                                                                                   Sinn.                                      immer warst, hast du uns bestimmt
und dein Lachen hast du gekonnt               Sie bemühte sich immer mit aller
                                                                                                                              noch gewunken, uns einen Kuss-
eingesetzt. Wir wussten immer, ob         Kraft, so gut und so viel wie mög-          Im Wohnzimmersessel hast du
                                                                                                                              mund geschenkt, fröhlich, ohne
es dir gut geht, oder ob dich etwas       lich zu helfen, egal was und wo. Sie     immer alles beobachtet und dich ab
                                                                                                                              Trauer, einfach weiter, oder mit dei-
stört. Im Tannacker warst du gut          war immer zur Stelle, wenn etwas         Allen köstlich amüsiert, vor allem
                                                                                                                              nen Worten: «Verbii». Weil das halt
vernetzt und freutest dich über viele     zu erledigen war und genoss dann         wenn jemandem etwas herunter-
                                                                                                                              so ist und weil das ja für dich immer
Freundschaften. Da haben dir dein         die gemeinsame Zeit und die Ge-          gefallen ist.
                                                                                                                              so war, wenn etwas schön war, dann
Charme und Schalk und die Teilnah-        spräche, die währenddessen statt-
                                                                                      Eines deiner Leidenschaften war         war das halt danach auch verbii. Für
me an den vielen gruppenübergrei-         fanden sehr. Die dadurch erfahrene
                                                                                   jedoch «Furt go», am liebsten in ein       dich war das ja ganz einfach, du leb-
fenden Winterlagern geholfen.             Wertschätzung der Wohngruppe und
                                                                                   Restaurant und dort ein Stück Torte        test mir das vor. Man freut sich auf
                                          der Begleitpersonen war für sie
    Du warst ein guter Läufer und                                                  oder im Sommer einen Glace-Cup             etwas. Und dieses Freuen fing für
                                          sehr wichtig und bescherte ihr viele
gerne in Bewegung. Deshalb über-                                                   essen gehen, welchen du genüsslich         dich immer ganz früh an. Wochen-
                                          Glücksmomente.
nahmst du viele Botengänge und                                                     und in aller Ruhe verspeisen konn-         lang konntest du dich auf die Ostern,
Ämtli, welche dich kreuz und quer            Musik und Singen waren ihre           test. Natürlich schön geordnet von         die Bea-Messe, die Ferien, deinen
durch den Tannacker führten.              grösste Leidenschaft, sie konnte eine    oben nach unten. Dein Schmunzeln,          Geburtstag, Weihnachten freuen.
Wenn dann noch das Wäschewägeli           Unmenge Lieder komplett auswen-          wenn dir das Dessert serviert wur-         Dein Freuen war für uns, die wir dir
quietschte und ratterte, war die Freude   dig vortragen und ist dadurch richtig    de, werden wir immer in Erinnerung         nahe waren, nicht ganz so einfach,
riesig.                                   aufgeblüht.                              behalten. Du warst ein Geniesser in        da es in deinem Denken soviel Raum
                                                                                   vielen Belangen.                           einnahm und du dasselbe von uns
   Deine Lieblingsarbeit war das              Ihr absolutes Lieblingsatelier war
Kontrollieren der K-Lumethölzli.          hier in Bäriswil, das Lebensmittel-         Deine wohl erzogene Art und             verlangtest. Dann spürten wir deine
Nach den Ferien ranntest du oft zur       atelier, wo sie eine besondere Freund-   deine Gründlichkeit in deinen Taten        Ungeduld stark. Wir konnten dich
Kiste und hast bereits im Stehen an-      schaft mit Ralf Menzel verbunden         waren ganz besonders.                      aber auch verstehen, weil wir deine
gefangen Hölzli «abezlah». Gerne          hat. Gelegentliche Wechsel schätzte                                                 Leidenschaften mochten. Ich jeden-
                                                                                      Jetzt siehst du vom Himmel hin-         falls mochte sie.
hast du zum Arbeiten Musik gehört         sie nicht besonders.
                                                                                   unter und amüsierst dich sicherlich
und mit Gegenständen den Takt ge-                                                                                                Wie einsam sich nun wohl die
                                             Besonders wichtig war für             weiter ab uns, dies machst du be-
klopft. Hattest du nichts zur Hand,                                                                                           Waschmaschinen in der Lingerie in
                                          Antoinette die intensive Beziehung       stimmt ohne die körperlichen Ein-
zogst du kurzerhand deine Schuhe                                                                                              Bäriswil fühlen mögen, nun da du
                                          zu ihren Eltern und ihrem Bruder         schränkungen, welche dir hier zu
aus und benutztest sie als Schlag-                                                                                            nicht mehr bei uns bist? Vor den blin-
                                          und dessen Familie. Sie hat sich sehr    schaffen machten.
instrumente. Einige wenige Male                                                                                               kenden Lichtern, den Geräuschen,
                                          über die regelmässigen Besuche und
habe ich dich laut singen gehört und                                                 Henry du wirst immer in unseren          der drehenden Trommeln konntest
                                          Treffen mit ihrer Familie gefreut.
war beeindruckt, wie genau du die                                                  Herzen bleiben.                            du gebannt sitzen. Ein wenig erin-
Töne getroffen hast.                         Liebe Antoinette, wir hoffen fest,                                               nerte mich das manchmal an meine
                                          dass du nach deiner langen und                            Michaela Poschung         Jugend, als wir die Lichter und Ge-
   An deinen Geburtstagen hast du
                                          schweren Krankheit sanft und ge-                           Begleitperson und        räusche der Flipperkästen liebten.
uns jeweils alle ins Restaurant zu
                                          borgen deinen himmlischen Frieden                            Gruppenleiterin
einem feinen Mittagessen eingela-                                                                                                Deine unendlich grosse Liebe
                                          finden durftest.
den und strahltest auf deinem Platz.                                                                                          zu Drehorgeln durftest du bei mir
Wenn es ans Geschenke auspacken              Wir denken an dich ...                                                           im Atelier immer wieder ausleben,
ging, konnten wenige mit dir mithal-                                                                                          wenn du nachmittags vor Arbeits-
ten. Das Papier flog nur so davon,                                Gabriela Josi                                               schluss die auf youtube verewigten
und wenn deine heissgeliebten Bret-                          Begleitperson und                                                Videos zu Drehorgeltreffen schau-
zeli darin auftauchten, war auch die-                          Gruppenleiterin                                                test. So glücklich und ganz vertieft
se Hürde schnell überwunden und                                                                                               dabei sehe ich dich jetzt gerade.
die Schachtel geöffnet. Es gibt wun-
                                                                                                 Wir hören unten dein               Musik hat uns verbunden.
derschöne Bilder von dir, strahlend,                                                                                   Klingeln
                                                                                             an der Haustüre. Du ko
in Mitte von einem Fötzelimeer am                                                                                    mmst mit          Waren wir nicht eine tolle
                                                                                             dem Lift herauf, schlei
Boden.                                                                                                               chst dich      Band? Du mit der Rassel,
                                                                                             heimlich zu unserem At
                                                                                                                    elier ...       Andreas als Dirigent, Edi mit
   Im Tannacker erkannte man dich
                                                                                                Ich: «Wer kommt denn                dem Tambourine und ich mit
schon von weitem an deinen schönen                                                                                     da?»
                                                                                                                                    dem Akkordeon?
leuchtenden Kleidern und an deinem                                                             Du: «Guggus ...!»
dynamischen Schritt.                                                                                                                  Heute war ich an deiner
                                                                                                Alle: «Eh, de Livio isch
                                                                                                                           da!»    Beerdigung, morgen ist Heilig-
   Dominic, du hast unser Leben be-
                                                                                               Soviele Jahre haben                 abend. Du liebtest Weihnach-
reichert mit deinen Farben, deinem                                                                                      wir zu-
                                                                                            sammen gearbeitet. Al                  ten so sehr. Grad vorhin war
Lachen und deinem Wesen. Wir ver-                                                                                  le mochten
                                                                                           dich. Deine «Zwischen                  ich nochmal schnell draussen
missen dich sehr!                                                                                                   durchmas-
                                                                                           sagen», deine Müntschis                in der Winternacht und mir
                                                                                                                     , dein La-
                                                                                           chen, deine Hilfsbereitsc              schien, als wenn ich leise von
                  Barbara Neukomm                                                                                    haft, dein
                                                                                           geschicktes Können.                    Weitem den Klang einer Dreh-
                       Begleitperson                                                                                Und nun
                                                                                           ohne dich ...?                         orgel hörte ...
                                                                                                                                                    Ralf Menzel
                                                                                                                                                  Begleitperspon

                                                                                                                                                                  9
TANNACKER-ZEITUNG 2021 - STIFTUNG TANNACKER TEILHABE VON MENSCHEN MIT BEEINTRÄCHTIGUNG
Au s bl i c k 2 0 2 1
                                                                                    Frühling
                                                                                      Mit einer ersten externen Wohnung in Moossee-
                                                                                      dorf erweitert die Stiftung Tannacker ihr Ange-
                                                                                      bot für Menschen, die eigenverantwortlicher
                                                                                      wohnen möchten.

                                                                                    Spätsommer
                                                                                      Aufgrund der Coronapandemie werden die
                                                                                      geplanten Italien-Ferien der Bewohnerinnen und
                                                                                      Bewohner durch vielfältige Ferienprojekte in der
                                                                                      Schweiz ersetzt.

                                                                                    Herbst
                                                                                      Der Wohn- und Essbereich der Gruppe Villa
                                                                                      wird mit einer baulichen Erweiterung grosszü-
                                                                                      giger und gemütlicher.

                                                                                    27. November 2021
                                                                                      Tannacker-Märit der Stiftung Tannacker in
                                                                                      Moosseedorf

Gisela Arpagaus ist Begleitperson und Gruppenleiterin im Tannacker. Sie macht
sich ein paar bunte Gedanken.

Die andere Freiheit                                                                 S t i fu n g s r at
   Was wäre, wenn wir unser Leben als Bild anschauen würden? Wir würden             Elisabeth Schenk Jenzer
erkennen, dass wir die Künstler*innen sind und die Farbpalette in unseren Hän-            Präsidentin
den halten. Unser Leben lang entscheiden wir auf unserem Gemälde, welche                     Kirchdorf
Farben darauf zu sehen sein sollen. Wir haben somit eine grosse gestalterische               im Stiftungsrat seit 2006
Möglichkeit, auch wenn unser Lebensbild sich in einem beweglichen Rahmen
befindet. Dieser wird vom Staat, der Kultur, der Religion mit all seinen Normen,
                                                                                    Marianne Rohr Staub
                                                                                          Vizepräsidentin
Werten vorgegeben. Sobald sich der Umriss verändert, schauen wir wehmütig
                                                                                             Ostermundigen
auf die Dinge, welche sich nun ausserhalb befinden. Es erscheint uns, als ob wir
                                                                                             im Stiftungsrat seit 2006
die Freiheit verloren hätten. All jene, die in der Veränderung eine Chance sehen,
werden einen Schritt zurückgehen. Sie werden ihr Kunstwerk aus einer neuen          Sydney Peter Allanson
Perspektive betrachten und die andere Freiheit entdecken. All jene Farben, wel-              Ipsach
che schon beinahe verblasst waren.                                                           im Stiftungsrat seit 2014
   Aus diesem Grund fühle ich mich nicht eingeengt, sondern habe nun das            Hannelore Hogartz
grosse Glück, längst vergessene Leidenschaften aufleben zu lassen, neue Wege
                                                                                             Bern
zu gehen.
                                                                                             im Stiftungsrat seit 2009
   Seien Sie also mutig. Sie müssen Ihr Lebensbild nicht vollenden, sondern mit
den unzähligen Farben, Schattierungen und Nuancen lebendig erhalten.                Erich A. Kalbermatter
                                                                                             Gümmenen
                                                                                             im Stiftungsrat seit 2009

 Tannacker-märit 2021                                                               Sabine Lustenberger
                                                                                             Biel
                                         Unser traditionsreicher                             im Stiftungsrat von 2000 bis 2020
                                         Tannacker-Märit findet am
                                                                                    Käthi Rubin-Walthert
                                         Samstag                                             Heimberg
                                         27. November 2021                                   im Stiftungsrat seit 2020
                                         in Moosseedorf statt.                      Adrian Wiesmann
                                                                                             Bern
                                         Es erwartet Sie ein vielfältiges Angebot            im Stiftungsrat seit 2018
                                         an künstlerischer Unterhaltung, selbst-
                                         gefertigten Produkten und kulinari-
                                         schem Genuss.
                                         Lassen Sie sich von dem neu gestalteten
                                                                                    Impressum
                                         vorweihnachtlichen Anlass verzaubern!
                                                                                    Redaktion          Stiftung Tannacker,
                                                                                                       Res Brandenberger
                                                                                    PC-Konto           30-11420-8
                                                                                    Web                stiftung-tannacker.ch
                                                                                    Auflage            5700 Expl.
                                                                                    Gestaltung/Satz    Res Brandenberger
                                                                                                       allenfalls gmbh
                                                                                    Druck              Prolith AG, Schönbühl
                                                                                    Fotos              Erika Marong und zVg
                                                                                    Titelseite         Zeichnung Beatrice Kocher,
                                                                                                       begleitete Person
                                                                                    Illustrationen
                                                                                    Leichte Sprache © Reinhild Kassing

10
Chronik 2020                                            Z a h l e n u n d Fa k t e n z u m J a h r 2 0 2 0
24. Februar 2020
  Dominic Binggeli, begleitete Person in der                  Kantonsbeiträge 67 %                                               • 2 Standorte: Moosseedorf und Bäriswil
  Tagesstätte, verstirbt.                                     Pensionsbeiträge 32 %                                              • 10 Wohngruppen
9. März 2020                                                  diverse Erträge               1%                                   • Arbeitsplätze in 11 Ateliers und der Ökonomie
  Wegen COVID-19 wird die Tagesstätte geschlossen.                                                                               • 81 Plätze für Menschen mit Beeinträchtigung
                                                                                                                                   im Bereich Wohnen, 10 Plätze in der Tages-
16. März 2020                                                                                                                      struktur sowie 2 geschützte Arbeitsplätze
  Der Kanton Bern verhängt ein Besuchsverbot in
  Wohnheimen.                                                                                                                    • Geleistet wurden Total 27'863 Aufenthalts-
                                                                                                                                   tage, verteilt auf 25‘785 Wohnen und Arbeiten
22. März 2020                                                                                                                      sowie 2'078 Tagesstruktur und 3‘901 geschützte
  Antoinette Piller, begleitete Person WG Baum-                                                                                    Arbeitsstunden.
  hus, verstirbt.
                                                                                                                                 • 177 Mitarbeitende teilen sich 112 Vollzeitstellen.
23. März 2020                                                                                                                    • Gesamtaufwand 12 Mio Fr.
  «Bi de schrege Vögu» wird bis auf weiteres
  abgesagt.
                                                        Jahresrechnung
2. April 2020
                                                        Bilanz per 31. Dezember 2020                                             Erfolgsrechnung per 31. Dezember 2020           2020          2019
  Henry Pavkovic, begleitete Person WG Chalet,
  verstirbt                                             Aktiven                                      31.12.2020    31.12.2019    Besoldungen                                 8'401'025    8'408'765
                                                        Kasse, Postcheck                                 212'448        72'440   Sozialleistungen                            1'349'017    1'344'978
11. Mai 2020                                            Bank                                           3'686'976     1'970'576   Personalnebenaufwand                          134'997      112'701
                                                        Wertschriften                                      1'000         1'000   Honorare für Dienstleistungen Dritter         101'131       78'350
  Das Besuchsverbot wird gelockert. Die Besu-                                                                                    Total Personalaufwand                       9'986'169    9'944'795
                                                        Forderungen Lieferungen & Leistungen           2'209'305     2'403'378
  cherkabine und der Besuchertisch in der Turn-         übrige kurzfristige Forderungen                    1'940         7'903
  halle werden eingeweiht.                                                                                                       Medizinischer Bedarf                           70'334       39'864
                                                        aktive Rechnungsabgrenzung                        33'142        44'323   Lebensmittel und Getränke                     337'505      357'558
                                                        Total Umlaufvermögen                          6'144'810     4'499'619    Haushalt                                       70'335       65'543
12. Mai 2020
                                                        Mobile Sachanlagen                              158'599       286'875    Unterhalt und Reparaturen                     467'613      372'631
  Die Ferienreise nach Follonica (Italien) wird         Immobile Sachanlagen                          4'640'238     4'927'686    Aufwand für Anlagennutzung                    545'383      545'283
  abgesagt.                                             Total Anlagevermögen                          4'798'837     5'214'561    Energie und Wasser                            116'292      111'902
                                                                                                                                 Ausbildung & Freizeit                          16'847       14'446
2. Juni 2020                                            Total Aktiven                                10'943'647      9'714'180   Büro und Verwaltung                           236'789      222'413
  Die Tagesstätte nimmt den Betrieb wieder auf.                                                                                  Werkzeug- & Materialaufwand                    41'463       32'150
                                                        Passiven                                     31.12.2020    31.12.2019    übriger Sachaufwand                            91'452       84'042
                                                                                                                                 Total Sachaufwand                           1'994'012    1'845'831
29. Juni 2020                                           Verbindlichkeiten Lieferungen & Leistungen      245’463       208'820
                                                        übrige kurzfristige Verbindlichkeiten           294'125       304'807    Total Betriebsaufwand                      11'980'182    11'790'625
  Rückkehr zum regulären Betrieb in den Ateliers        passive Rechnungsabgrenzung                     363'996       170'706
  sowie den internen Arbeitsplätzen und generelle       Total kurzfristiges Fremdkapital                903’584       684'334
  Besuchsmöglichkeit für Angehörige, Freunde u.ä.                                                                                Erträge aus Leistungsabgeltung innerkantonal 3'944'397    3'898'714
                                                        lanfgrisige verzinsliche Verbindlichkeiten    7'983'000     7'383'000    Ertäge Dienstleistung, Handel & Produktion      51'033       49'234
                                                        Zweckgebundene Fonds                          1'637'480     1'245'371    Erträge Nebenbetriebe                           22'548       24'697
  Jennifer Schaller, begleitete Person, zieht in der                                                                             Erträge aus Leistungen Personal & Dritte        10'607       10'479
  WG Chalet in Moosseedorf ein.                         Rückstellungen Bauprojekte                            0             0
                                                        Total langfristiges Fremdkapital              9'620'480     8'628'371    Betriebsbeiträge Trägerkanton                8'305'292    8'129'403
                                                                                                                                 Total Betriebsertrag                        12'333'877   12'112'527
1. Juli 2020                                            Stiftungskapital                                 72'574        72'574
  Erster Arbeitstag von René Koller als begleitete      Jahresgewinn                                    347'009       328'901    Ausserordentlicher Aufwand                          0            0
  Person, in der Tagesstätte in Moosseedorf             Total Eigenkapital                              419'583       401'476    Ausserordentlicher Ertrag                           0        7'000
                                                        Total Passiven                               10'943’647      9'714'180   Jahresgewinn                                  347'009      328'901
5. Juli 2020
  In der WG Baumhus in Bäriswil zieht Nick
  Ehrenzeller als begleitete Person ein.

2. August 2020
  Emanuel Borter, begleitete Person, bezieht sein
  Zimmer in der WG Baumhus in Bäriswil.

4. August 2020
  Der Tannhölzli-Märit, das Personalfest und das ver-
  schobene Sommerfest werden definitiv abgesagt.

12. August 2020
  Openair Kino in Bäriswil

1. Oktober 2020
  Jonas Suter, begleitete Person, tritt in der Tages-
  stätte in Moosseedorf seine Arbeit an.

22. Oktober 2020
  Die Durchmischung der Personen mit Beglei-
  tung in den Ateliers wird aufgehoben. Ab sofort
  gilt eine allgemeine Maskenpflicht.

Ab 20. November 2020
  Im Tannacker wird gewichtelt.

3. und 6. Dezember 2020                                 Die Jahresrechnung 2020 wur-
  Dr Samichlous besucht die Wohngruppen in              de von der Burkhard & Part-
  Moosseedorf und in Bäriswil.                          ner Treuhand GmbH in Bern
                                                        entsprechend den gesetzlichen
13. Dezember 2020                                       Vorschriften geprüft.
  Livio Mettler, begleitete Person in der Tages-
  stätte, verstirbt.                                    Mit der Gesundheits-, Sozial-
                                                        und Integrationsdirektion des
15./16./17. Dezember 2020                               Kantons Bern besteht ein Leis-
  Gruppenweise Weihnachtsfeiern in Moossee-             tungsvertrag mit jährlich neu
  dorf und in Bäriswil                                  festgelegter Leistungsabgeltung.

                                                                                                                                                                                                11
D i e goldwa a g e                                                                                                     Ein Märchen von Res Brandenberger
                                                                                                                mit einer Zeichnung von Demetrio di Renzo

    In einem kleinen Land regierte König Rhem. Er    war er. Kreuz und quer kutschierte er durch sein      spürte aber, wie sein Herz im Bauch aufgeregt
wohnte in einem Schloss. Dort sass er auf seinem     Königreich, aber es nützte nichts, der Bauch tat      hüpfte.
Thron und regierte. Er befahl dies, und er verbot    ihm immer noch weh, als er zurückkam.                     «Oder ihr esst weniger, Majestät», sagte
das. Vom Morgen bis am Abend. Dazwischen aber,          «Man lasse den Hofarzt in den Kerker werfen»,      Regine W. «Dann seht ihr bald so aus wie ich.»
am Morgen, am Mittag und am Abend, setzte er         befahl er, als er mit Ach und Weh wieder auf dem      Und auch ihr Herz hüpfte, wenn auch in der Brust,
sich an die königliche Hoftafel und liess sich das   Thron sass. Aber auch davon wurde sein Bauch-         einen Bauch hatte sie nicht.
Beste auftischen, was sein Hofkoch zu kochen         weh nicht besser.
wusste.                                                                                                        Und so ass Regine W. mehr. Und König Rhem
                                                        Der König befahl den Hofrat. Das tat er immer,     ass weniger. Und jeden Tag setzten sie sich auf die
    Es schmeckte ihm stets ausgezeichnet und vor     wenn er nicht mehr ein und aus wusste.                goldene Wippe, die der König im Schlosshof aufge-
lauter Zufriedenheit wurde er runder und runder.                                                           stellt hatte. Aber immer war die Seite, auf der König
                                                         «Ihre Majestät sollten sich vermählen», sagte
   Eines Tages aber, als er sich nach dem Mor-                                                             Rhem sass unten, und die Seite, auf der Regine W.
                                                     der Hofrat in seinem schönsten Hofdeutsch, denn
genessen auf den Thron setzte und er mit Regieren                                                          sass, oben. Auch wenn sie Platz tauschten.
                                                     er sprach gerne gewählt. «Der König schaute ihn
beginnen wollte, tat ihm sein Bauch weh. Dieser      fragend an. «Heiraten, Majestät», erklärte der            Weil der König aber die schöne Regine W. so
drückte nach vorne gegen seinen Königsrock, er       Hofrat.                                               gerne geheiratet hätte, wurde er traurig und hatte
drückte auf der Seite gegen den Thron und er                                                               gar keinen Appetit mehr. Kaum rührte er die Spei-
drückte hinten gegen den Rücken, dass auch der           «Kluger Rat», jauchzte der König, denn er war
                                                                                                           sen des Hofkochs noch an. Und wurde leichter
noch zu schmerzen begann.                            begeistert von der Idee. Und liess den Hofrat mit
                                                                                                           und leichter. Und tatsächlich. Eines Tags senkte
                                                     Gold überschütten. Dann liess er wieder anspannen
   Der König befahl den Hofarzt. Dieser eilte                                                              sich die Wippe nur noch ein bisschen, und eine
                                                     und fuhr mit der königlichen Kutsche durch sein
herbei. Er setzte das Hörrohr auf den Bauch                                                                Woche später geschah es, die Wippe schwebte im
                                                     Land, aber diesmal hatte er nur für eines Augen,
des Königs und hörte den Bauch ab. Vorne, auf                                                              Gleichgewicht.
                                                     für seine zukünftige Gattin. Fast war er schon in
der linken Seite, auf der rechten Seite. Und auch    jedem Winkel gewesen, da sah er sie plötzlich: sie        Und nun gab es eine grosse Hochzeit. Drei
hinten, wo eigentlich der Rücken war.                sass da, an einem Dorfbrunnen, erdenschön und         Tage und drei Nächte dauerte das Hochzeitsfest.
   «Hm, hm», murmelte er und wackelte besorgt        gertenschlank, und ass einen Apfel.                   Von überall kamen Gäste. Und alle freuten sich an
mit dem Kopf.                                                                                              dem schönen Paar. «Sie passen so gut zusammen»,
                                                        Der König liess halten und beugte sich zum
                                                                                                           sagten alle. Und immer, wenn der König etwas ass,
   «Sprecht», sprach der König. «Was fehlt mir       Fenster seiner Kutsche hinaus, so gut es eben ging:
                                                                                                           ass auch die Königin etwas. Und immer, wenn die
denn?»                                                  «Wie heisst ihr?», fragte er. «Wollt ihr meine     Königin nichts ass, ass auch der König nichts.
   «Ihre Majestät, etwas Bewegung täte Ihnen         Frau werden. Und Königin?», fragte er weiter.
                                                                                                               Die goldene Wippe aber liessen sie im Schloss-
gut», sagte der Hofarzt.                                 «Mein Name ist Regine W.», sagte die junge        hof stehen. Goldwaage nannten sie diese liebe-
    Sofort befahl der König, die königliche Kut-     Frau. «Ich kann euch nur heiraten, wenn wir beide     voll. Und wann immer sie sich daraufsetzten, so
sche anzuspannen. Er liebte es, in seinem König-     gleich schwer sind, Majestät. Nur so können wir       schwebte sie nicht mehr oder weniger, sondern
reich spazieren zu fahren und seinen Untertanen      glücklich werden.»                                    genau im Gleichgewicht. Und so lebten sie glück-
zuzuwinken. Er liess sich zur Kutsche tragen, vier      «Da müsst ihr aber noch viel essen; am besten      lich und zufrieden. Und wenn sie nicht gestorben
Diener brauchte es dazu, so rund und schwer          fangt ihr gleich damit an», sprach der König,         sind, leben sie noch heute.
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