Lost in Transition Eine psychoanalytische Untersuchung zur Objektbindung in heutigen post
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Lost in Transition Eine psychoanalytische Untersuchung zur Objektbindung in heutigen post- modernen Organisationen Rose Mersky Der Verlust von Objekten ist immer auch ein Verlust von Teilen des eigenen Selbst. León & Rebeca Grinberg (1989, S. 161) Während die Gegenwart durch nichts gebunden ist, was gewesen ist, kann sie die Zukunft nur unzureichend beherrschen. Bauman (1996, S. 51) Einleitung Vom 18. bis ins 20. Jahrhundert emigrierten Menschen aus aller Welt in die USA. Sie brachten kostbare Dinge mit, von denen einige auf Ellis Island ausgestellt sind. Diese Objekte – ausgefallene Kleidungsstücke, Bibeln, Kochutensilien, Kämme, Spiele, Fotos usw. – verkörperten für Millionen von Menschen auf der Suche nach einem neuen Leben Trost und Kontinuität. Manche der Immigranten blieben auch über lange Zeit hinweg noch eng mit ihrer alten Welt verhaftet, sie lernten niemals Englisch und hielten an ihren alten Traditionen fest. Für andere waren diese Objekte auf dem Weg in die neue Welt jedoch eher hinderlich; sie verloren an Wert und Bedeutung und standen für eine Sicherheit, die vergangen war. In gewisser Weise gewährten die Sicherheit und Tradition der Alten Welt ein ausreichendes Containment, so dass diese wertvollen Objekte als emotionale Quelle bei der Anpassung an die ‚Wirklichkeit’ der neuen Welt dienten. Wie die Psychoanalytiker Leon und Rebecca Grinberg (1999) aus ihrer Arbeit mit Immigranten zeigen, gibt es dafür auch heute noch Beispiele. Eine ihrer Patientinnen, deren Möbel endlich von zuhause angekommen waren, brachte das so zum Ausdruck: Seit ich hier angekommen bin, habe ich ziemlich verrückte Träume gehabt; es war, als würden meine Träume nicht zu mir gehören, ich erkannte sie nicht wieder. Nie zuvor 1
hatte ich derartige Träume gehabt. Ich war nicht mehr ich selbst. … Aber vor einigen Tagen wurden meine Träume wieder so, wie sie vorher immer waren. Ich glaube, das passierte an dem Tag, als meine Möbel ankamen: Ich hatte das Gefühl, von „meinen“ Sachen umgeben zu sein; ich war begeistert, sie wieder hier zu haben. Jedes Objekt brachte Erinnerungen an eine bestimmte Situation, an einen Moment, an die Vergangenheit. Ich habe wieder das Gefühl, ich selbst zu sein (ebd., S. 160). Vamik Volkan, die Grindbergs und Salmon Akhtar – ein Psychoanalytiker, der selbst Immigrant ist – haben (in Anlehnung an Winnicotts Begriff des Übergangsobjekts) über die Bedeutung von Objekten bei der Erfahrung von Immigranten und Flüchtlingen geschrieben. In diesem Beitrag werde ich Winnicotts grundlegendes Konzept auf die Welt heutiger Rolleninhaber in Organisationen übertragen und die Bedeutung und Funktion von Objekt- Bindungen aufzeigen, die ihnen bei den zahllosen Veränderungen und Herausforderungen der Rolleninhaber zukommt. Als ich diesen Beitrag schrieb, wurde mir deutlich, wie wichtig Objekte manchmal für Rolleninhaber sein können, um mit Veränderungen zu Recht zu kommen. Zum anderen können sie aber auch als Abwehr dienen, um Veränderungen zu vermeiden. Dabei werde ich auch darauf eingehen, wie und in welchem Maße persönliche Objekte ebenso wie Unternehmensobjekte von Organisationen dazu benutzt werden, um ihre Mitarbeiter zu ‚kolonisieren’. Die Erfahrung einer solchen Kolonisierung kann auch dazu führen, dass Mitarbeiter sich als eigenständig genug erleben, um in andere Organisationen zu wechseln. Die materiellen Objekte der heutigen Welt stehen in deutlichem Kontrast zu den Übergangsobjekten aus der Vergangenheit und ihrer Bedeutung, die sie für Entwicklung und Containment haben. Die materiellen Objekte unserer heutigen Zeit erscheinen vergleichsweise eher als erzwungen und überzogen oder werden nur unzureichend genutzt, und wenn sie an Wert verlieren, werden sie ausrangiert. In diesem Beitrag werde ich auch deutlich zu machen versuchen, was es angesichts dieser Wirklichkeit so schwer macht, die Verluste aus der Vergangenheit zu betrauern, die mit jedem Veränderungsprozess einhergehen. Mit dem Titel meines Beitrags beziehe ich mich auf den vor kurzem herausgekommenen Film Lost in Translation, in dem zwei jet-lagged Amerikaner in einem sterilen High-Tech-Hotel in Tokyo stranden. Einander völlig fremd, haben sie kaum eine Verbindung nach hause, zu ihren 2
Rollen, Organisationen und ihren Partnern. Allein und gemeinsam versuchen sie, mit der überwältigenden Fremdheit ihrer neuen Umgebung zurechtzukommen. So kommen sie sich in dieser seltsamen riesengroßen Stadt nicht nur verloren vor, ihre Orientierungslosigkeit wächst um so mehr, als jeder für sich feststellt, dass ihnen wichtige Teile ihres Selbst schon vor der Ankunft abhanden gekommen waren. Besonders auffällig ist dabei, dass keiner von ihnen irgendwelche persönlichen Objekte (Bücher, Zeitschriften, Fotos) mitgebracht zu haben scheint. Ihre persönliche Beziehung zueinander wird zunächst durch ein großes wuscheliges Plüschtier gefestigt, das er für sie kauft. Dabei dient mir die Allgegenwart dieses eher geschmacklosen und gewöhnlichen Objekts – das Plüschtier – und der vorübergehende Trost, den es spendet, als Metapher für meine Arbeitshypothese dieses Beitrags. Sie lautet: in dem Maße, wie Objekte heutzutage weithin zu geklonten und leicht ersetzbaren Wegwerfobjekten geworden sind, werden sie zum unverarbeiteten Projektionsmaterial für Verluste, die nicht durchgearbeitet und betrauert werden können. Indem sie ebenso leicht verloren gehen wie ersetzbar sind, verlieren diese Objekte ihre stützende Funktion für die eigene Identität und Entwicklung über die Zeit hinweg und werden statt dessen zu einer verleugneten Repräsentierung von Schmerz und Bedauern. Im folgenden Teil dieses Beitrags werde ich kurz auf einige psychoanalytische Theorien eingehen, die sich auf Übergangsobjekte beziehen. Danach werde ich fünf verschiedene Möglichkeiten darstellen, wie Objekte im gegenwärtigen Leben von Organisationen genutzt werden und sie aus der Sicht meiner Arbeitshypothese betrachten. Ich werde diesen Beitrag mit einigen weiteren Gedanken und Schlussfolgerungen beenden. Die psychoanalytische Theorie der Objekte und Übergänge Wie Winnicott (1953) deutlich macht, stellt das Übergangsobjekt (aus Stoff und mit autoerotischen Trost) für das Kind sein erstes Nicht-Ich-Objekt dar, das – bei ausreichendem Containment der Mutter – nach und nach in dem Maße an Bedeutung verliert, als das Kind eine Verbindung mit der Realität entwickelt. „Die Brücke, die das Übergangsobjekt darstellt, erlaubt es dem gesunden Kind, sich vom Mutter-Ich zum Nicht-Ich zu bewegen und so mit der Welt der Wirklichkeit vertraut zu werden“ (Volkan 1981, S. 360). Als Verbindung zwischen internen und externen Objekten gewährt das Übergangsobjekt einen tragfähigen 3
Raum der Bindung, in den das Kind seine fragmentierten, unentwickelten und ungelösten inneren Prozesse projiziert, die dort für eine gewisse Zeit gehalten werden können. Dabei ist die Beschaffenheit des Übergangsobjekts wichtig – ein weicher Stoff, sein Geruch und die Eigenschaft, es drücken und knuddeln zu können. Das Kind muss es beherrschen können und so in gewisser Weise seine ursprüngliche Qualität zerstören, um es sich als ein lebendiges Verbindungsobjekt mit der Mutter und der Welt zu Eigen machen zu können. Wie Volkan und andere zeigen, haben Übergangsobjekte für Erwachsene eine ähnliche Funktion in Zeiten von Regression, Angst und großen Veränderungen, wie z.B. Immigration. Ein ‚reaktiviertes Übergangsobjekt’ (Volkan 1981, S. 367) kann so als „ein Puffer zwischen den ausschließlich guten und bösen Selbst- und Objektanteilen [dienen]. Weil das Individuum die totale Kontrolle über sein Übergangsobjekt hat, kann es die Illusion aufrechterhalten, sein Beziehung zu den unvereinbaren repräsentativen Teilen vollkommen beherrschen zu können – die Illusion, diese Teile zusammenführen oder auch getrennt halten zu können“ (ebd., S. 366). Dies erinnert mich an Mark, einen meiner Klienten, der plötzlich und auf ziemlich brutale Weise von seinem Job als Marketingleiter eines Unternehmens gefeuert wurde, das Brillengestelle herstellt. Während einer schwierigen zweijährigen Arbeitssuche legte er hinter seinem Haus einen wunderschönen Garten an, den er mit großer Sorgfalt und viel Mühe pflegte. Dieser Garten wurde für ihn zu einem Ort des Trostes und der Beständigkeit, zu seinem eigenen Reich – zu einem Ort, der sozusagen Halt für ihn und seine chaotischen Gefühle gewährte, die sich sowohl darauf bezogen, dass er gefeuert worden war als auch darauf, ob und wann er wieder eine Anstellung finden würde. So wie er diesen Garten angelegt und was er darin gepflanzt hatte, ähnelte er deutlich dem Garten seiner Mutter, den sie gestaltet und gepflegt hatte, als er noch ein Kind war. Harold Searles (1960, S. 330) geht davon aus, dass es eine wichtige Verbindung zwischen der jeweiligen Beziehung gibt, die ein Patient als Kind zu einem früheren Objekt der nichtmenschlichen Umwelt gehabt hat und dem, was er als sein Problem darstellt. Searles nimmt an, dass „Gefühle, die mit der Beziehung zur nichtmenschlichen Umwelt während früher Lebensphasen einhergehen, auf die nichtmenschliche Umwelt im Leben des Erwachsenen übertragen werden“. 4
Wir haben nicht nur solche unbewussten Erinnerungsspuren frühkindlicher Erfahrungen, bei denen wir von einer chaotischen nicht beherrschbaren, nichtmenschlichen Umwelt umgeben waren, die wir als einen Teil von uns selbst wahrgenommen haben; darüber hinaus haben wir wahrscheinlich auch unbewusste Erinnerungsspuren der Erfahrung, eine nichtmenschliche Umwelt zu verlieren, die wir bislang als eine harmonische Erweiterung unseres weltumfassenden Selbst wahrgenommen hatten (ebd., S. 39). Der Hinweis, dass die nichtmenschliche Umwelt frühere unbewusste Erinnerungsanteile für den Erwachsenen enthalten kann, erscheint mir im Zusammenhang mit dem Thema dieses Beitrags besonders wichtig. Ohne sich dessen bewusst zu sein, kann der Erwachsene sowohl solche Gefühle haben, „die sich auf bestimmte Bereiche seiner nichtmenschlichen Umwelt beziehen und so zu wichtigen Teilen von ihm selbst werden, als auch solche, die mit dem Verlust von Objekten verbunden sind und das Gefühl entstehen lassen, eine Teil von sich selbst verloren zu haben“ (ebd., S. 55). Diese Überlegungen haben mir zu einem besseren Verständnis dafür verholfen, was mein Klient wohl mit seinem Garten beabsichtigte. Während seines Übergangs hatte er solche Blumen gepflanzt, die ihn erst später bewusst werden ließen, wie sehr sie dem Garten seiner Mutter im Mittleren Westen ähnelten – Stockrosen und Hortensien. Er erzählte von seinen Blumen auf sehr lebendige Weise und freute sich, mich an dem Fortschritt Anteil zu haben, mit dem sie wuchsen und zunehmend die Form annahmen, die er so gut aus seiner Kindheit erinnerte. Wenn man die Bedeutung des Objekts und wofür es steht, erkennt, kann dies zu einem Prozess des Durcharbeitens führen und so nicht nur zu einer Überwindung gegenwärtiger Verluste beitragen, sondern auch zu denen aus der Vergangenheit. Manchmal kann ein Verlust jedoch so verheerend sein, dass ein solcher Prozess nicht möglich ist. Volkan (1981, S. 373) spricht in Bezug auf Speisen, Musik usw. aus der Heimat von ‚linking objects – Verbindungsobjekten’ als „Variationen zum Thema Übergangsobjekt“. Dabei weist er zugleich darauf hin, dass „die Reaktivierung des Übergangsobjekts (und -phänomens) beim Erwachsenen mit .. einer Abwehr einhergeht, die fast immer pathologisch ist“ (ebd.). 5
Ein traumatischer Bruch aktiviert die primitive Abwehr des Immigranten und „dient dazu, eine Wiederholung ‚undenkbarer Angst’ oder die akute Konfusion abzuwehren, die Teil der Desintegration der sich entwickelnden Ich-Struktur ist“ (Volkan 1966, S. 369). In dem Maße, wie der Immigrant von dieser Konfusion überwältigt wird, benutzt er seine Objekte dazu, sich dieser schrecklichen Gefühle zu entledigen. Statt dem Erwachsenen bei seiner Entwicklung zu helfen, absorbieren die Verbindungsobjekte sozusagen „einige der Konflikte, die mit der Trauerarbeit verbunden sind. Teile der Trauerarbeit werden sozusagen auf das Verbindungsobjekt externalisiert, und der Schmerz oder andere sinnliche Wahrnehmungen, die mit der gewöhnlichen Trauerarbeit einhergehen, werden nicht wahrgenommen. … Was ursprünglich ein wichtiges Instrument gesunden Wachstums war, wird so zu einer Abwehr von Pathologie“ (ebd., S. 374). Wenn der Immigrant in das, was Volkan (ebd., S. 66) ‚pathologische Trauer’ nennt, verfällt, benutzt er seine Verbindungsobjekte dazu, „seinen Trauerprozess ‚einzufrieren’ – was den Patienten zugleich davor ‚schützt’, in eine tiefe Depression zu verfallen und/oder Selbstmord zu begehen“ (ebd. S. 355). Die Psychologie dessen, der fortwährend trauert, tritt manchmal in der Unfähigkeit des Neuankömmlings zu Tage, in der neuen Umgebung eine Heimat zu finden. Diese Erfahrung habe ich mit Leslie, einer meiner Klientinnen, gemacht, deren Erfolg sie von einer Organisation zur anderen führte (Mersky 2005). Mit Ausnahme ihres ursprünglichen Arbeitgebers (der berühmten Universität, an der sie ihren medizinischen Doktorgrad erworben hatte) – und von dem sie auf brutale und erniedrigende Weise behandelt worden war, erwiesen sich ihr alle folgenden Organisationen als unangemessen. Sie beklagte sich vor allem darüber, dass ihre Verdienste entweder nicht beachtet oder nicht gebührend anerkannt wurden. Ihre Trennung von diesen Organisationen geschah immer ganz plötzlich und überstürzt und war darauf angelegt, die damit verbundene Ambivalenz und Traurigkeit zu verdecken. Man könnte annehmen, dass ihr Doktortitel als ein Verbindungsobjekt diente, das ihr ihre Wechsel erleichterte; andererseits hinderte es sie jedoch daran, eine stärkere und integrierte professionelle Identität zu entwickeln. 6
Eine größere Veränderung vorzunehmen, kann aber auch insofern einen Schritt in Richtung auf die Lösung eines älteren oder tieferen Problems bedeuten, als sich dadurch die Bedeutung des Objekts erschließt. Möglicherweise stellte Marks Garten einen solchen Schritt dar. Wie León und Rebeca Grinberg (1989, S. 154) betonen, kann Trauerarbeit notwendig sein, um „die Ängste und die Gefühle der Entwurzelung sowie des Verlustes durchzuarbeiten“. Sie schreiben: Depressive Ängste entstehen durch eine starke Erfahrung, all das, was man hinter sich gelassen hat, zu verlieren sowie durch die Furcht, es niemals wiederfinden zu können. Dies macht es notwendig, die Trauer durchzuarbeiten – die Trauer um das Objekt und um die verlorenen Teile des Selbst ist immer schwierig und kann leicht pathologische Züge annehmen“ (ebd., 161). Die letzte Phase des Migrationsprozesses beschreiben die Grinbergs (ebd., S. 169) so: Die Freude am Denken, Wünsche und die Fähigkeit, Pläne für die Zukunft zu entwickeln, werden wieder entdeckt. Zu dieser Zeit ist die Trauer um das Herkunftsland soweit wie möglich durchgearbeitet worden, was dazu beigetragen hat, die frühere Kultur mit der neuen zu integrieren, ohne dabei die alte Kultur zu verleugnen. Dies unterstützt eine Bereicherung des Ichs und die Festigung eines deutlicher entwickelten Identitätsgefühls. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wichtige Objekte in Zeiten von Stress und markanten Veränderungen Erwachsenen als Übergangsobjekte dienen können. Dabei werden im Prozess der Durcharbeitung dieser Erfahrung verschiedene innere Teile auf das Objekt projiziert und von ihm contained. Sie ‚halten’ das Chaos und tragen zugleich dazu bei, das Identitätsgefühl der Person und ihre Verbindung zur Vergangenheit aufrechtzuerhalten. Das Objekt dient so als eine Art „greifbarer Rest der vergangenen, gegenwärtigen und wohl auch künftigen Identitätsentwicklung“ (Warren 2004, 22). Wenn die Angst stärker als die Fähigkeit der Verarbeitung ist, können Objekte zu ‚eingefrorenen’ Medien werden, die dazu verleiten, in der Vergangenheit zu verharren und so zu einem Zustand pathologischer Trauer führen können. Wenn die Verluste durchgearbeitet 7
werden können, wird es schließlich auch möglich, die eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander zu integrieren. Objektverwendung und -bindung im Leben post-moderner Organisationen Wenngleich es auch eine Menge darüber zu sagen gäbe, was das Leben in post-modernen Organisationen ausmacht, so möchte ich mich hier doch nur auf einige der Aspekte beschränken, die mir für eine Exploration der Bedeutung von Objektverwendung und - bindung im Kontext der unzähligen Übergänge von Rolleninhabern in heutigen Organisationen besonders wichtig erscheinen. Dabei scheinen vor allem drei Aspekte des Lebens in gegenwärtigen Organisationen von Bedeutung zu sein: der Mangel an Kontinuität, die Notwendigkeit, flexibel zu sein, und ein Zustand der Kontingenz. Diese drei Aspekte sind hängen in gewisser Weise eng mit einander zusammen. Gewöhnlicher Weise gewährt Kontinuität die Zeit und den Raum, um das Vertraute mit dem Nicht-Vertrauten zu integrieren und beides miteinander auf sinnvolle Weise zu verknüpfen. Dies vermittelt gewissermaßen ein Gefühl für die eigene Entwicklung und das Wachstum im Laufe der Zeit und ermöglicht den Bezug zur Zeit in der ‚realen’ Welt. Dies fördert eine fortlaufende Identitätsentwicklung. Eine solche Entwicklung ist bei fehlender Kontinuität nicht möglich. In dem Maße jedoch, wie man dem Zwang vom Neuen zum Allerneuesten unterliegt, durch den Experimente, Fehler, das einmal Gelernte und Verbindungen bedeutungslos werden und keine Möglichkeit mehr besteht, sich selbst in Raum und Zeit zu verorten, geht man, wie Siltala (2003, S. 201) zeigt, „keine Verpflichtungen mehr ein und beschränkt seine Aufmerksamkeit auf das aktuelle, zusammenhangslose Geschehen. Und indem man sich nur noch auf das unmittelbare Geschehen zentriert, verliert man den Blick für ein umfassenderes Selbst-Bild.“ Das heutige post-moderne Ethos geht davon aus, dass man ein Weltbürger ist und sich nicht von der Geschichte und Bindungen abhängig macht. Diese Fähigkeit ist von Vorteil, wenn es darum geht, die nächste ‚Realität’ zu ergreifen. Man muss dazu in der Lage sein, fortwährend im Jetzt zu sein und eine „’flexible’, vollkommen relationale Persönlichkeit“ zu ‚kultivieren’, 8
die fähig ist, „sich von einem Moment auf den anderen umzustellen“ (ebd., S. 199). Wie Bauman (1995, S. 51) sagt, muss man in einem „Zustand immerwährenden Neubeginns und permanenten Anfangs“ sein. Nicht nur gibt es weder Raum noch Zeit, um sich umzustellen, sondern die Umstellung selbst scheint sich geradezu zu erübrigen. Einer meiner Kollegen wies (im privaten Kontext) darauf hin, dass dies seit dem 11. September 2001 in zunehmendem Maße für diejenigen zur Realität geworden ist, die in New York City arbeiten. Das führt letztlich dazu, dass Dissoziierung an die Stelle von Reflektion und Verstehen tritt und damit zugleich die Funktion eines Abwehrmechanismus übernimmt. Siltala (ebd., S. 201) verweist in diesem Zusammenhang auf ein Zitat von Baumeister (1991): Es kommt vor allem darauf an, auf geistige Verknüpfungen aufzugeben; die geistige Fähigkeit, über die Gegenwart hinaus auf andere Zeiten, Orte, Ereignisse und Auffassungen Bezug zu nehmen, wird überflüssig; und das Interesse für größere Zusammenhänge oder Prinzipien schwindet. – Man muss den Versuch aufgeben, zu lernen, Schlussfolgerungen zu treffen, einen Standpunkt zu beziehen. Die Gegenwart muss von anderen Ereignissen und Zeiten entleert werden, und es kommt nicht darauf an, die Erfahrung vom einen Moment zum anderen zu analysieren, zu interpretieren und zu berücksichtigen. Dinge geschehen halt, und es macht keinen Sinn, aus ihnen schlau werden zu wollen. Indem man Erfahrungen ignoriert oder dekonstruiert, kann man ihre bedrohlichen und bestürzenden Aspekte aus der Wahrnehmung ausklammern. Angesichts dieser Situation stellen sich eine Reihe von Fragen: Wie wirkt sich dieser fortlaufende Neubeginn auf die Beziehungen aus, die Rolleninhaber zu ihrer organisatorischen Umwelt haben? Welche Möglichkeiten des Containments, der Reflektion und der Trauer kann diese Umwelt überhaupt noch bieten? Welche Bedeutung haben Objekte überhaupt noch, die unzähligen physischen, psychischen und kulturellen Übergänge zu erleichtern (Winnicott) und/oder sie aufzuhalten (Volkan)? Was wird in diese Objekte projiziert? 9
Diese Fragen haben mir fünf verschiedene Möglichkeiten deutlich werden lassen, wie Objekte gegenwärtig benutzt werden und wie sich auf sie bezogen wird – und sicherlich wird es noch viele andere geben. Im Folgenden werde ich sie im Zusammenhang mit meinem Fallmaterial darstellen. Diese Möglichkeiten sind: 1. Trost durch persönliches Vergnügen (Garten, Jazz) 2. Reduzierung der Rollenobjekte auf ein Minimum (Reisen, hot desking) 3. Defensiver Umgang mit Objekten (Arbeit über das Telefon, E-Mail) 4. Allgegenwart von Unternehmensobjekten (Unternehmenslogos, -geschichten) 5. Schwinden persönlicher und privater Grenzen am Arbeitsplatz (Büro als Wohnzimmer, Verbot persönlicher Objekte) 1. Trost durch persönliches Vergnügen Unsere Bindung an physische Objekte und der Trost, den sie gewähren, sind sicherlich keine neuen Phänomene unserer Zeit. Wie Warren (2004, S. 20) zeigt, vermitteln „uns die Dinge, die wir besitzen, ein Gefühl von Leistung, Zugehörigkeit und Stabilität; sie sind ein Teil von uns selbst“. Wie sehr „bestimmte Aspekte des Übergangsobjekts – die Besänftigung, die es vermittelt – als mentale Strukturen verinnerlicht werden“ (Tolpin 1972, zit. in: Volkan 1981, S. 360), wird auch in der Erinnerung an ihren Pandabär deutlich, von der mir eine Kollegin in einer E-Mail (April 2005) schrieb: … wenn dieses allererste Objekt für die erste Fähigkeit der Selbstbesänftigung in Abwesenheit der Mutter steht, dann frage ich mich, was im späteren Leben wichtiger ist: das Objekt selbst oder die (ritualisierte) Fähigkeit, sich selbst zu besänftigen. Ist das Objekt selbst noch erforderlich, wenn man über die Fähigkeit zur Symbolisierung oder innere Entspannung verfügt? Oder ist es nicht vielmehr die Externalisierung meiner Fähigkeit zur Selbstbesänftigung in diesen heißgeliebten Teddybär, die sicherstellt, dass ich letztlich unzerstörbar bleibe, weil ich dann, wenn ich wirklich verletzt werde, diese von meiner Kraft gefüllte geheime Quelle wieder aufsuchen kann, um für die nächste mögliche Begegnung mit der Welt neue Kraft zu schöpfen? 10
Vielleicht mag auch Marks Garten diese Besänftigung gewähren, indem er ihn in eine Zeit zurückführt, in der seine Identität gefestigter war. So gesehen, wäre Marks Garten mehr als ein bloßer Zeitvertreib. Ein Kollege, der unlängst entlassen worden war und sechs Monate brauchte, bis er eine neue gleichwertige Anstellung fand, erzählte mir in einem Telefongespräch (April 2005), wie wichtig Jazzmusik für ihn während dieser Zeit des Übergangs gewesen ist: Es dauerte ein gutes halbes Jahr, bis ich eine neue Stelle bekam. Was habe ich in dieser Zeit gemacht? Ich ging häufiger als je zuvor zu Konzerten und hörte Musik. Ich bin sicher, dass sich während dieser Zeit meine Vorliebe für Jazzmusik verstärkt hat. Während ich mir früher alle mögliche Musik anhörte, habe ich im vergangenen Jahr fast nur noch Jazz gehört. Vor ein paar Wochen bin ich durch meine CD-Sammlung gegangen. Auf meinem Bücherbord stehen Rock und Pop auf der linken und Jazz und Klassik auf der rechten Seite. Fast achtzig oder neunzig Prozent der CDs waren Jazzmusik, die ich im vergangenen Jahr gehört habe. Was mir hierbei besonders auffällt, ist die Intensität, mit der er sich seiner Musik widmete. Es scheint, als ob etwas Altes, das er immer schon liebte, für ihn eine neue Wichtigkeit und Bedeutung bekommen hatte – und während dieser schwierigen Zeit zu einem Containment wurde. Die Grinbergs und andere, die über die Erfahrung von Immigranten schreiben, machen oft deutlich, dass Musik eine der wichtigsten ‚Erinnerungen’ für Immigranten ist und ihnen ein Gefühl der Heimat vermittelt. Wie Volkan (1993, S. 67f.) sagt, kann ein Lied aus der Heimat als kulturelle Erinnerung „eine ‚magische’ Qualität für das Individuum haben“. Der Immigrant kann so die Repräsentationen dessen spüren und beeinflussen, was durch seinen Gebrauch der Verbindungsobjekte verloren gegangen ist wie auch die entsprechende Repräsentation seines Selbst. Mit anderen Worten, ein physisches Objekt oder ein Lied aus der Heimat kann so das innere Ringen zwischen der Rückkehr in die Vergangenheit und dem Voranschreiten in der Gegenwart repräsentieren (ebd., S. 68). Was meinen Kollegen betrifft, so kann man annehmen, dass der Jazz mehr als nur ein Vergnügen war, das ihm Spaß machte, sondern auch als ein Weg diente, zu sich selbst 11
zurückzukehren – ein Weg, der ihn daran erinnerte, wer er war, um ihn so auf der Suche nach einer neuen Stelle zu stärken. Auch mag der Jazz ihm eine Hilfe gewesen sein, vieles von dem wieder zu entdecken, was in der vorherigen Stelle verkümmert oder verraten worden war. Unlängst war ein Heft der Zeitschrift StadtAnsichten der Autostadt in Wolfsburg dem Thema Heimat gewidmet. Einer der Beiträge in diesem Heft enthält eine Reihe von Aussagen ausländischer Botschafter in Deutschland über ihr Heimatland. So hat der Botschafter von Madagaskar beispielsweise in einer Ecke seiner Bibliothek eine Valiha, eine Harfe aus seinem Heimatland. Er sagt, dass ihr „Klang mich genauso beruhigt wie ein Spaziergang am Strand des Indischen Ozeans“ (Engel 2005, S. 38). 2. Reduzierung der Rollenobjekte auf ein Minimum In dem Beitrag Morality in the Age of Contingency beschreibt Zygmunt Bauman (1996, S. 54) Menschen, die heutzutage “die Räume durchqueren, in denen andere Menschen leben“. Dies scheint mir einen passenden Ton für diesen Teil zu setzen. Für diejenigen, von denen verlangt wird, dass sie sich selbst fortlaufend neu erfinden und die Fähigkeit haben müssen, sich unmittelbar von einer Umwelt (Büro, Land etc.) in die andere zu begeben, hat dies Auswirkungen auf ihre Beziehung zu und ihren Gebrauch von dem, was Ullrich Beumer (2005) ‚Rollenobjekte’ nennt – solche Dinge nämlich wie Möbel, elektronische Kommunikationsmittel oder Schreibutensilien usw., deren sich der Rolleninhaber bei seiner Arbeit bedient. Beumer weist darauf hin, dass alle organisatorischen Artefakte sowohl eine expressive als auch eine instrumentelle Funktion haben. In ihrer faszinierenden Untersuchung einer Webdesignabteilung eines großen englischen IT- Unternehmens bezeichnet Sam Warren (2004, S. 3) ‚Hot Nesting’ „als einen der auffälligendsten Trends gegenwärtigen Arbeitsplatzdesigns“. Dieser Begriff, der aus der Seefahrt stammt, bedeutet, zusammen mit anderen eine Koje zu teilen. Hier bezieht er sich darauf, dass ein Schreibtisch von mehreren Mitgliedern einer Organisation geteilt werden kann. Dies ist deshalb von Vorteil, weil Arbeitnehmer häufig an anderen Orten arbeiten. Auch sind Berater, die kommen und gehen, auf einen Arbeitsplatz angewiesen. (Ich selbst habe oft in einem Büro gearbeitet, das jemandem gehörte, der gerade auf Reisen oder krank war.) Dabei verliert die Tatsache an Bedeutung, dass ein Büro und sein Inventar für den 12
Rolleninhaber auch einen Halt bedeuten und das Gefühl von Kontinuität und Identität vermitteln. Warren beschreibt, was in diesem Büro geschah: „Innerhalb des Büros der Abteilung X mussten die Designer ... ihren ursprünglichen Arbeitsbereich aufgeben und saßen nun direkt neben Teams aus anderen, ebenfalls entwurzelten Mitarbeitern, die alle zur gleichen Zeit an dem selben Projekt arbeiteten. ... Das Management ging davon aus, dass eine ‚‚fließende’ Anordnung der Sitz- und Arbeitsplätze es den Mitarbeitern am ehesten erlauben würde, schnell zwischen den Aufgaben wechseln zu können“ (ebd., S. 2). Und sie fährt fort: „Wenn Mitarbeiter sich dazu entschließen, in ihrem Büro zu arbeiten, holen sie sich ihre persönlichen Unterlagen und Utensilien, die normalerweise in einem fahrbaren ‚Karren’ (ein paar Schubladen auf Rädern) aufbewahrt werden, und setzen sich an den nächsten verfügbaren Schreibtisch“ (ebd., S. 4). Die Abteilungsleiterin sagte, dass sie dieses Hot-desking deshalb bevorzuge, „weil es dazu beitrage, dass ihre Mitarbeiter innovativer seien und so verhindere, dass sie ‚stagnierten’“ (ebd., S. 6). Es ist nicht allzu verwunderlich, dass die von Warren interviewten Mitarbeiter bei diesem Arrangement das „Gefühl von Instabilität und Flüchtigkeit“ hatten. Einer sagte: „dass ich keinen eigenen Bereich mehr habe, in dem ich mich zuhause fühlen kann, ruft in mir ein deutliches Gefühl von Vertreibung hervor“ (ebd., S. 28). Und selbst für jene, die nicht fortlaufend Veränderungen in Kauf nehmen mussten, „hatte die bloße Möglichkeit, irgendwann in Zukunft umziehen zu müssen, einen Einfluss auf ihr Gefühl der Sicherheit“ (ebd.). Eine Mitarbeiterin, die an ihren Arbeitsplatz zurückkehrte, nachdem sie eine zeitlang in den USA gearbeitet hatte, fand ihre ‚Rollenobjekte’ (Beumer 2005) in einem Karton wieder. „Alles, was ich hatte, war in einem Karton. ... Aber ich kann es nicht ausstehen, dies alles wieder aus dem Karton zu holen, … weil ich das alles wieder wegräumen muss, und das ist immer etwas traurig, weil man manchmal für den schönsten Teil des Jahres diesen Platz zugewiesen bekommen hatte und dann alles wieder wegräumen musste (ebd., S. 29). 13
Günter Heismann (2005, S. 47) spricht von ‚Jobnomaden’, um die zu beschreiben, die leicht und häufig von einer Organisation oder einer Stelle zur anderen wechseln. Das führt, wie er betont, dazu, dass man von diesen Rolleninhabern sagen könnte, dass sie „kein ständiges Zuhause mehr haben – und dafür einen hohen persönlichen Preis zahlen“. Wie Rolleninhaber heutzutage reisen und damit zu Recht kommen müssen, in verschiedenen Büros zu arbeiten, kommt in der folgenden E-Mail (2005) zum Ausdruck, die mir ein Kollege schickte: Mein Eindruck ist, dass die zentrale Kompetenz heute in der Fähigkeit besteht, sich von innen her mit minimalen Ressourcen (Objekten), die einen unterstützen und containen, immer wieder neu zu erfinden. Ich habe mich selbst über Jahre hinweg darin geübt, ‚mit weniger zu reisen’ (wobei die Vorgabe ‚nur ein Stück Handgepäck’ lautet). Und sie fährt fort: Wenn ich mit Managern spreche, die ständig unterwegs sind, dann stelle ich ihnen immer die Frage, was das (eine) Ding ist, das konstant bleiben muss, damit sie sich während dieses Übergangs/Wechsels/Umzugs wohl (sicher, contained usw.) fühlen. Die Antworten, die ich dann bekomme, hören sich in der Regel so an: Körperliche Fitness (Laufen, Gymnastik, Yoga usw.) Soziale Kontakte (Handy, E-Mail-Zugang, Bars) Kulturelle Erfahrung (Bücher, Filme, Zeit zum Nachdenken) Interessanterweise kann man heute E-Mails über das Web abrufen, man braucht nicht einmal mehr seinen eigenen Laptop mit sich rumzuschleppen – seine Funktion als ‚Übergangsobjekt’ im Unternehmenskontext wird zunehmend durch Blueberrys (sic) ersetzt oder aufgrund der ausgedehnten Webzugangsmöglichkeiten überflüssig, die einige Provider oder Unternehmen anbieten, und die meisten Fitnessstudios in erstklassigen Healthclubs stellen überall in der Welt die gleichen Maschinen zur Erledigung deiner Arbeit bereit – ebenso wie die Tophotels sich mittlerweile alle gleichen – ganz egal wo in der Welt man gerade ist. Bücher und DVDs – und alle 14
möglichen Objekte dieser Art – können mittlerweile auf jedem internationalen Flughafen erstanden werden (ebd.). Dabei fällt auf, dass all dies deutlich dem widerspricht, was die niederländische Fotografin Jacqueline Hassink in ihrem 2003 erschienenen Buch Mindscapes, Private and Public: Mapping the Boundaries mit ihren Bilder darstellt, die sie in Büros von Topmanagern sehr großer Unternehmen gemacht hat. Ihre Absicht bestand darin, die möglichen Verbindungen aufzuzeigen, die zwischen der Art, wie die Büros organisiert sind und der Art bestehen, wie die Rolleninhaber ihre Rolle im System wahrnehmen. Bei ihrer Kartographierung der verschiedenen öffentlichen und privaten Räume dieser Rolleninhaber versteht sie das Büro eines Topmanagers als Teil eines ‚Macht-Territoriums’, zu dem auch der Dienstwagen, die Lobby und der Konferenzsaal gehören (Hassink 2003, S. 12). Was im Zusammenhang mit unseren Überlegungen m. E. hier wichtig erscheint, ist die Tatsache, dass diese Topmanagementbüros in deutlichem Kontrast zu den unpersönlichen Zellen der Jobmonaden stehen. 3. Defensiver Umgang mit Objekten Die Menge und Allgegenwärtigkeit technischer Objekte, die uns vierundzwanzig Stunden lang tagein, tagaus Kontakt ermöglichen (d.h. Laptop. Blackberry, Handy) erlaubt es uns einerseits, in Verbindung zu bleiben, und andererseits von anderen getrennt zu sein. In diesem Teil werde ich einige Beispiele für den defensiven Umgang mit technischen Objekten aufzeigen. Unlängst habe ich mit einer großen Immobilienfirma einen Workshop in einem Tagungszentrum durchgeführt, bei dem es darum ging, Wege zu finden, wie die Untergruppen enger zusammen arbeiten könnten. Ein Aspekt, der sich bei meiner vorangegangen Diagnose herausstellte, waren starke Gefühle in Bezug auf die Diskrepanz, mit der Dinge angefragt und wie sie erledigt wurden – und wessen Prioritäten dabei den Vorrang zu haben hätten. Während des Workshops forderte ich die Untergruppen auf, ein konkretes Problem bzw. eine Episode zu benennen, die diese Frage verdeutlichen würde, und darüber nachzudenken, wie dies besser hätte erledigt werden können. 15
Eine Gruppe beschäftigte sich dabei mit der eher generelleren Frage, wie im Unternehmen mit E-Mails umgegangen werden sollte. In ihrem Bericht an die gesamte Gruppe wiesen sie auf Folgendes hin: E-Mail: Der Ton, in dem wir sprechen/schreiben. Wollen zu persönlichen Gesprächen zurückkehren. Unterscheiden, was wirklich in einer E-Mail oder im Zweiergespräch diskutiert werden muss. Unterschied zwischen einer Kommunikation im Zweiergespräch und E-Mail. Man kann zur Klärung eine E-Mail hinterherschicken und Details mitteilen. In der E-Mail kann man keine Erregung bzw. Begeisterung mitteilen; im Zweiergespräch ist das möglich. Wie verwendet man E-Mails richtig? Indem ich versuchte, ihren Bericht auf dem Hintergrund des Problems zu verstehen, das sie für diese Beratung benannt hatten (Verschlechterung der Arbeitsbeziehungen angesichts einer schwachen ökonomischen Umwelt), kam ich zu der Hypothese, dass E-Mails vor allem dazu dienten, das Trauma abzuwehren, das mit dem Verlust einer Reihe wichtiger Mieter in der letzten Zeit verbunden war. Rolleninhaber benutzten E-Mails sowohl dazu, um sich an recht spannungsreichen und immer weiter eskalierenden Auseinandersetzungen zu beteiligen als auch dazu, andere Gruppen im System zu verunglimpfen. Da die Leasing-Gruppe keine ausreichend große Zahl an neuen Mietern gewinnen konnte, förderte dieser Prozess ein soziales Abwehrsystem, bei dem diese Gruppe als das eigentliche Übel im System deklariert wurde. Dabei wurde der Leiter der Marketing- und Leasing-Abteilung zum eigentlichen Sündenbock erklärt. So wie sie ihre Ergebnisse darstellten, erweckten sie den Eindruck, als hätten sie gerade etwas ganz Neues und Wichtiges entdeckt – nämlich den direkten menschlichen Kontakt. Bei diesem Workshop genossen es die Teilnehmer geradezu, miteinander ins Gespräch zu kommen. Ohne allzu naiv erscheinen oder meinen Klienten all zu sehr verunglimpfen zu wollen, schien es fast so, als hätten sie sich gerade erst gegenseitig als Menschen ‚entdeckt’. Selbst einer so altmodischen Technologie wie dem Telefon kann offensichtlich eine Funktion der Abwehr zukommen. Viele von uns arbeiten heutzutage mit unseren Klienten über das 16
Telefon, weil für direkte Kontakte keine Zeit bleibt. In dem Beitrag, den ich über meine Klientin Leslie (Mersky 2005), die ich nur einmal getroffen habe und mit der ich vier Jahre lang über das Telefon gearbeitet habe, schrieb ich: Ich glaube, dass die Tatsache, dass die Beratung über das Telefon stattfindet, Leslie ein Gefühl der Sicherheit und der Kontrolle gibt. An aller erster Stelle steht dabei die tatsächliche physische Trennung. Leslie legt sowohl in ihren privaten wie in ihren Beziehungen am Arbeitsplatz eine große Distanz an den Tag. Und das Telefon hat die gleiche Funktion für die Beratung. Wie die Psychoanalytikerin Linda Larkin (2000, S. 3) schreibt, ermöglicht es dieses Medium, „eine Verbindung aufrecht zu erhalten, ohne sich dabei buchstäblich zu nahe zu kommen“. 4. Allgegenwart von Unternehmensobjekten Es ist mittlerweile zu einem unübersehbaren Trend geworden, Unternehmenslogos auf allen denkbaren Gegenständen zu finden. Viele der großen Unternehmen haben ‚company stores’, eigene Läden, in denen man u. a. solche Dinge wie Kaffeetassen, Kugelschreiber, Bleistifte, Schlüsselringe, T-Shirts, Sweatshirts, Mützen, Ordner, Uhren, Regenschirme, Autoaufkleber, Flaschenöffner, Korkenzieher und Servietten kaufen kann. Als ich das erste Mal einen solchen Laden in der Hauptverwaltung eines meiner Klienten fand, war ich recht verwundert. Mir war es geradezu unverständlich, weshalb Menschen solche Dinge kaufen, die einen Bezug zu ihrem Unternehmen darstellen, wenn sie schon dort arbeiten. Was dabei auffällt – und meiner Meinung nach besonders wichtig ist – ist die Tatsache, dass diese Dinge überhaupt keine ‚Rollenobjekte’ sind, die für die eigene Arbeit erforderlich wären, sondern vielmehr Dinge des Alltagsgebrauchs, die man normalerweise im persönlichen Bereich vermuten würde. Ich sehe darin eine Art der Kolonisierung der Person des Mitarbeiters durch das Unternehmen. Einer meiner Klienten, der in einer kleinen IT-Firma arbeitete, erzählte mir von einem Gegenstand mit dem Unternehmenslogo, der allen Mitarbeitern im Rahmen einer besonders offiziellen Zeremonie überreicht worden war. Fortan führte dieser Gegenstand (etwas Persönliches, das man jeden Tag mit nach Hause nehmen konnte und das dem Chef sogleich auffiel, wenn es nicht benutzt wurde) dazu, dass von den Mitarbeitern selbst als ‚Eigentum’ 17
des Unternehmens gesprochen wurde. Sie wurden damit als Gruppe betrachtet und – um ein anderes Beispiel zum besseren Verständnis zu geben – ‚Fordianer’ genannt. Mein Klient, der inzwischen das Unternehmen verlassen hat, erzählte mir, wie ärgerlich seine Kollegen darüber waren, auf eine so vermessene Weise vereinnahmt zu werden. Dies ist ein gutes Beispiel für das, was Siltala (2003, S. 191) beschreibt: „Die Wirtschaft muss sich nicht länger darüber legitimieren, dass sie die Bedürfnisse der Menschen erfüllt; vielmehr wird von den Menschen erwartet, dass sie ihre Existenz rechtfertigen, indem sie ihr Leben für den ‚Geist des Unternehmens’ opfern.“ Bei einer anderen Gelegenheit, einem Workshop mit einer Finanzgruppe, mit der ich arbeitete, gab mein Klient, der Leiter dieser Gruppe war, am Ende des Workshops jedem ein Souvenir. Dies war offensichtlich seit langem so üblich, und die Auswahl dieses Souvenirs war sicherlich ein wichtiger Teil der Vorbereitung für diesen Workshop gewesen. Das ‚Objekt’, mit dem diese Veranstaltung gefeiert wurde, war – für diese Gruppe von Reisenden sicherlich recht passend – ein Gepäckanhänger, auf dem der Name und das Datum des Workshops sowie das Firmenlogo in Gold eingeprägt waren. Was mich dabei überraschte, war die Art und Weise, wie diese Objekte angenommen wurden. Ganz entgegen meiner Vermutung, dass man auf ein solches Unternehmensobjekt eher zynisch reagieren würde, wurden diese Gepäckanhänger gerne angenommen, sehr geschätzt und zierten bald alles mögliche Handgepäck. Wenngleich ich auch versucht war, mir dies als Reaktion auf die wunderbare Erfahrung in diesem Workshop (den ich geleitet hatte), zugute zu halten, so bin ich doch der Meinung, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hatte. Mir scheint es vielmehr darum zu gehen, was es bedeutet, auf eine andere Weise physisch mit dem Unternehmen verbunden zu sein. In gewisser Weise hat mir dies geholfen, ein neues Gespür dafür zu bekommen, was das Untenehmen für sie bedeuten muss. Da alle diese Menschen sehr hohe Einkommen hatten, ging es dabei wirklich nicht bloß um einen Gepäckanhänger. Dies legt die Annahme nahe, dass die Allgegenwart von Unternehmensobjekten eine subtile, aber gleichwohl mächtige Botschaft beinhaltet: „Sie gehören uns“. Unlängst fragten mich zwei Menschen, mit denen ich in einer meiner Klientenorganisationen (die mit dem Laden) gearbeitet hatte, ob ich mit ihnen daran arbeiten würde, ihr eigenes Unternehmen aufzubauen. 18
Sie waren in hohem Maße unzufrieden, in einem so großen Unternehmen nichts Nachhaltiges bewirken zu können. Als wir uns trafen, waren sie geradezu von der Idee besessen, gemeinsam etwas zu schaffen – fast so wie schuldbewusste Kinder, die es darauf angelegt hatten, Bonbons aus dem Küchenschrank zu stibitzen. Es erinnerte mich an Bions Grundannahme der Paarbildung. Wenngleich sie mich vermutlich auch in erster Linie deshalb angesprochen hatten, um die Möglichkeit eines solchen Vorhabens zu eruieren, so kam mir unsere Arbeit doch mehr als ein Ausagieren, denn als ein ernsthaftes Unterfangen vor. Diese Vignette scheint ein gutes Beispiel dafür zu sein, wie allgegenwärtige Unternehmensobjekte insofern Volkans (1981, S. 373) ‚Verbindungsobjekte’ repräsentieren, als sie die Rolleninhaber eng auf die Gegenwart beschränken und sie davon abhalten, das Vater- oder Mutterland der Organisation zu verlassen (was bedeuten würde, die Vergangenheit zu betrauern). Während diese Objekte einerseits hoch und fast schon auf magische Weise geschätzt werden, scheinen sie andererseits zu der Erfahrung der Rolleninhaber beizutragen, von der Organisation so sehr abhängig zu sein, dass sie sie niemals verlassen können. Es ist insofern nicht einfach, die Vorstellung der Kolonisierung der Mitarbeiter weiter zu verfolgen, als dies mit der Frage einhergeht, worin dabei der jeweilige Beitrag der Rolleninhaber und der des Unternehmens in einem solchen System besteht. Vor vielen Jahren habe ich in einer öffentlichen Schule in einem der Vororte von New York gearbeitet. Zu der damaligen Zeit – 1973 – war es nahezu undenkbar, dass jemand von einer Schule in eine andere wechselte. Als ich mich auf eine neue Stelle vorbereitete, die mit einem Ortswechsel verbunden war, packte ich vor den Sommerferien all die Dinge zusammen, die ich mitnehmen wollte. Als ich im Herbst in die neue Schule kam, war ich schockiert und traumatisiert als ich erfahren musste, das die Hälfte der Sachen, die ich als mein Eigentum und als Teil meiner Lehrerrolle betrachtet hatte, nicht in die neue Schule gebracht worden waren. Es war geradezu so, als wenn ein großer Teil von mir umgebracht worden war. Wie ich später herausfand, lag es in der Autorität des Hausmeisters, darüber zu entscheiden. Was entsprechend einer Logik, die ich nie verstanden habe, nicht rüber gebracht worden war, galt als Eigentum der Schule, in 19
der ich vorher gearbeitet hatte. Die Art, wie dies geregelt worden war, trug dazu bei, dass dieser Übergang für mich sehr schwierig war; ich hatte meine Übergangsobjekte verloren. Während der Hausmeister beispielsweise ein ganz gewöhnliches Lineal als Eigentum meiner früheren Schule ansah, mag es für mich ein kostbares Rollenobjekt gewesen sein. 5. Schwinden persönlicher und privater Grenzen am Arbeitsplatz Die holländische Fotografin Jacqueline Hassink (2003, S. 5) macht in ihrer beeindruckenden Serie über Unternehmensräume „den tiefen und fortwährenden Einfluss“ deutlich, den die „Informationsgesellschaft darauf hat, was vor nur ein paar Jahren noch als deutliche Trennung zwischen Arbeit und Privatleben galt“. Sie schreibt: Heutzutage hat der Computer die Gesellschaft in jeder Hinsicht dadurch beeinflusst, dass er in die Arbeitsumwelt eingedrungen ist und so den Stellenwert des privaten und des öffentlichen Lebens verändert hat. Menschen sind überall erreichbar und können zu jeder Tages- und Nachtzeit an Informationen gelangen. Die Informationsgesellschaft hat Heimarbeiter sowie flexible und mobile Arbeiter entstehen lassen. Menschen, die mit einem Laptop und einem Handy arbeiten, sind 24 Stunden am Tag erreichbar und haben die Möglichkeit, überall dort zu arbeiten, wo sie wollen. Für solche Individuen besteht keine klare Grenze mehr zwischen einem privatem und dem öffentlichem Leben (ebd., S. 8f.). Hassink untersuchte die kleinen, abgetrennten Räume von hoch innovativen Ingenieuren in der Computerindustrie des Silicon Valey (z. B. Sun Microsystems, Intel Corporation und Silicon Graphics). Diese hoch kreativen und innovativen Menschen „veränderten die als Zellen bekannten unpersönlichen Büroeinheiten so, dass sie sie als ihren eigenen Raum betrachten konnten“ (ebd., S. 193). Und „als Reaktion auf die Konformität von Unternehmen in den USA“ wurden ihre Büros zu ihren „Wohnzimmern“ (ebd., S. 116), in denen sie solche Objekte wie Sofas oder gar ihr eigenes Haustier hatten. „Diese kleinen, sehr unpersönlichen Räume sind der Innbegriff eines Raumes, in dem die Privatsphäre und die Öffentlichkeit nicht mehr getrennt sind. Der Arbeitsplatz wird so zum Privatraum und der Privatraum zum Arbeitsplatz“ (ebd.). 20
Im Gegensatz zu diesen Arbeitsumwelten schlug eine meiner Klientenorganisationen – eine ziemlich große globale Corporation – den umgekehrten Weg ein. Ihre Hauptverwaltung ist durch weite offene Räume mit einer Reihe gemütlicher Plätze gekennzeichnet, an denen die Menschen regelmäßig vorbeilaufen. Diese Räume sind zum Gang hin weit offen, so dass man im Vorbeigehen die meisten Dinge sehen kann, die die einzelnen Mitarbeiter darin haben. Vor kurzem wurde die allgemeine Regelung getroffen, dass es nicht erlaubt ist, irgendwelche persönlichen Dinge in seinem eigenen Raum zu haben – womöglich mit Ausnahme eines Familienfotos (das vermutlich deutlich machen soll, dass das eigene Privatleben mit den Werten des Unternehmens in Einklang steht). Wie mir gesagt wurde, war diese Regelung deshalb notwendig geworden, um die inzwischen stark ausgeuferte Tendenz zur Schau gestellter Dekorationen einzuschränken – die, wie sich vermuten lässt, ein Ausdruck des Wunsches der Rolleninhaber war, der unpersönlichen physischen Umwelt etwas entgegenzusetzen. Dieses Verbot persönlicher Artefakte löste eine deutliche Verbitterung aus und führte – wie kaum anders zu erwarten – zu einer Reihe von Ausflüchten, dieses Verbot zu umgehen: die Anordnung von Möbeln, Verbergen von Artefakten hinter anderen Objekten usw. Dabei war das Maß an Kreativität, mit dem die Rolleninhaber auf unterschiedlichste Weise versuchten, einen für sie bedeutsamen Raum zu schaffen, durchaus beachtlich. Es ist interessant, noch einmal einen Blick auf die Bilder in Hassinks Buch von einigen der Räume von CEOs in einigen der führenden Corporations (Citigroup, MetLife Insurance, Accenture) zu werfen. So steht beispielsweise in dem Raum eines CEOs der Softbank in Tokyo ein Heimtrainer unmittelbar vor seinem Schreibtisch (die Rolleninhaber selbst sind auf keinem der Bilder dargestellt). Wenn auch nur vermutet werden kann, was für eine Botschaft damit vermittelt werden soll, so wird doch ersichtlich, dass man – zumindest auf oberster Ebene – seine persönlichen, um nicht zu sagen physischen Vorlieben so zum Ausdruck bringen kann, wie es einem gefällt. Vergleicht man diese ‚Trends’ oder zumindest diese gegensätzlichen Weisen, wie die Grenze zwischen persönlichem und öffentlichem Raum organisiert ist, hinterlässt dies den Eindruck, dass hier eine Art Kulturkrieg zwischen der Kontrolle durch das Unternehmen (keine persönlichen Gegenstände/allgegenwärtige Unternehmensobjekte) und der Freiheit und einem grenzenlosen Leben derer ausgeführt wird, die ständig irgendwo unterwegs sind. Dies ist 21
zweifellos von den jeweiligen Rollen abhängig, die die verschiedenen Rolleninhaber inne haben, sowie von den Aufgaben und der Größe des Systems und vielen anderen Aspekten; aber zugleich zeigen beide Aspekte insofern einen ähnlichen Trend auf, als sie auf einen gleichen unausgesprochenen Wunsch verweisen, seine eigene Identität an das System zu ‚verlieren’ und sich so der Illusion hinzugeben, dass Rolleninhaber und System eins sind. Abschließende Gedanken Unsere Organisationen stehen im Kontext der Veränderungen in unserer Gesellschaft und Zivilisation, einer Veränderung von Industrialisierung und Nationalgefühl hin zur Globalisierung. In früheren, beständigeren Zeiten arbeiteten die Menschen in Organisationen ein Leben lang, und diese Systeme gewährten ihren Arbeitnehmern viel von dem Containment, der Bindung und der Sicherheit, auf die sie angewiesen waren. Das typische Geschenk in den USA, das ein Arbeiter am Ende seines Arbeitslebens erhält, ist eine goldene Uhr. Während ein solches Objekt einerseits eine symbolische Belohnung für all die Zeit ist, die er in der Organisation verbracht hat, dient es andererseits zugleich als Erinnerung daran, dass man bis ans Lebensende immer noch ein ‚company man’ ist. Kulturell gesehen ist es ein langer Weg, den wir seit dem 18. und 19. Jahrhundert zurückgelegt haben. Richard Sennett (2003) hat in seinem anregenden Beitrag The Foreigner – Der Fremde (den ich nur jedem empfehlen kann, der die Absicht hat, ins Ausland zu gehen) das Stereotyp des Fremden als eines auf Dauer entwurzelten und kulturell verunsicherten Staatenlosen in Frage gestellt. Er ist der Ansicht, dass „ein solches Bild auf sentimentale Weise die Notwendigkeit von Wurzeln und Herzenstugenden überbewertet“ (ebd., S. 173). Er sieht dies im Zusammenhang mit der Entstehung des modernen Nationalismus im 19. Jahrhundert, „eines Nationalismus, der diejenigen, die ihre Ursprungsnation verlassen hatten, wie Chirurgiepatienten ansah, die amputiert worden waren“ (ebd., S. 178). Wir leben heute in einer globalen Welt mit schellen Veränderungen, in der von Rolleninhabern erwartet wird, mehrfache Rollenbeziehungen einzugehen und verschiedene Rollenidentitäten zu übernehmen – einer Welt, in der, wie Sennett (ebd., S. 184) es ausdrückt, „man sich selbst erfinden muss“. Ähnlich wie die Protagonisten in dem Film Lost in Translation bleibt einem nichts anderes übrig, als sich anzupassen. 22
Sofern wir nicht zu den tragischen Opfern der allzu verbreiteten Völkermorde und Misshandlungen in den verschiedensten Teilen der Welt gehören und deshalb woanders Asyl und Sicherheit suchen müssen, müssen wir uns nicht länger darum sorgen, mit kostbaren Gegenständen aus der Heimat nach Ellis Island zu kommen. Wie meine Kollegin es in ihrer E-Mail ausdrückte, können wir wahrscheinlich die meisten Dinge, die wir brauchen und haben möchten, überall auf der Welt finden. Und selbst für unsere Familienfotos reicht ein Laptop aus. Wir haben die Vorstellung, entwurzelt zu sein, weitgehend dadurch ersetzt, dass wir für die ausgeprägte Fähigkeit, überall hinzugehen, Anerkennung gewinnen. Wenn McDonald’s, Gap und andere Ladenketten global operieren, können wir das auch! Dies wird noch durch unsere Wegwerfgesellschaft verstärkt oder ist vielleicht deren direkte Folge. Was nicht das Neuste ist, wird abgewertet, und neue Software wird absichtlich so designed, dass sie in älteren Computern nicht verwendet werden kann. Wenn man von Ort zu Ort geht, ist es umso einfacher, je weniger persönliche Objekte man hat, und umso leistungsfähiger die sind, die man hat. Wenn es zu schmerzhaft ist, immer wieder aufs Neue gerahmte Bilder aus dem Karton zu holen, dann verzichtet man besser ganz darauf, Bilder am Arbeitsplatz zu haben. Warren (2004, S. 21) zitiert McCarthy und schreibt, dass „Objekte dazu dienen, uns an unsere Identität zu erinnern und sie zu bestätigen, und … unsere Identität beruht womöglich mehr auf Objekten als auf Individuen“. Wenn wir bei der Vorstellung bleiben, dass alle möglichen Objekte Gefäße projizierter verlorener Teile des Selbst sind, stellt sich die Frage, was es bedeutet, dass diese Objekte so einfach ersetzt werden können. Was bedeutet das für unsere Projektionen und die Weise, auf die wir uns selbst erfahren? Vielleicht liegt einer der Gründe dafür, dass es so wichtig ist, immer das Allerneueste zu haben, darin, die Verbindung zu einem geliebten Objekt wiederherzustellen, zu einem Objekt, das ein Wohlgefühl vermittelt und einem ein gewisses Gefühl dafür gibt, etwas Besonderes zu sein (eine Identität zu haben?), wobei die abgewerteten und nicht mehr zeitgemäßen Objekte vielleicht dazu dienen, die abgespaltenen Teile von einem Selbst zu halten, die im Verlauf all dieser Übergänge nicht betrauert werden können. 23
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