Lost in Transition Eine psychoanalytische Untersuchung zur Objektbindung in heutigen post

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Lost in Transition
Eine psychoanalytische Untersuchung zur Objektbindung in heutigen post-
                               modernen Organisationen

                                        Rose Mersky

                                                   Der Verlust von Objekten ist immer auch ein
                                                          Verlust von Teilen des eigenen Selbst.
                                                       León & Rebeca Grinberg (1989, S. 161)

                          Während die Gegenwart durch nichts gebunden ist, was gewesen ist,
                                           kann sie die Zukunft nur unzureichend beherrschen.
                                                                          Bauman (1996, S. 51)

Einleitung

Vom 18. bis ins 20. Jahrhundert emigrierten Menschen aus aller Welt in die USA. Sie
brachten kostbare Dinge mit, von denen einige auf Ellis Island ausgestellt sind. Diese Objekte
– ausgefallene Kleidungsstücke, Bibeln, Kochutensilien, Kämme, Spiele, Fotos usw. –
verkörperten für Millionen von Menschen auf der Suche nach einem neuen Leben Trost und
Kontinuität. Manche der Immigranten blieben auch über lange Zeit hinweg noch eng mit ihrer
alten Welt verhaftet, sie lernten niemals Englisch und hielten an ihren alten Traditionen fest.
Für andere waren diese Objekte auf dem Weg in die neue Welt jedoch eher hinderlich; sie
verloren an Wert und Bedeutung und standen für eine Sicherheit, die vergangen war.

In gewisser Weise gewährten die Sicherheit und Tradition der Alten Welt ein ausreichendes
Containment, so dass diese wertvollen Objekte als emotionale Quelle bei der Anpassung an
die ‚Wirklichkeit’ der neuen Welt dienten. Wie die Psychoanalytiker Leon und Rebecca
Grinberg (1999) aus ihrer Arbeit mit Immigranten zeigen, gibt es dafür auch heute noch
Beispiele. Eine ihrer Patientinnen, deren Möbel endlich von zuhause angekommen waren,
brachte das so zum Ausdruck:

     Seit ich hier angekommen bin, habe ich ziemlich verrückte Träume gehabt; es war, als
     würden meine Träume nicht zu mir gehören, ich erkannte sie nicht wieder. Nie zuvor
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hatte ich derartige Träume gehabt. Ich war nicht mehr ich selbst. … Aber vor einigen
     Tagen wurden meine Träume wieder so, wie sie vorher immer waren. Ich glaube, das
     passierte an dem Tag, als meine Möbel ankamen: Ich hatte das Gefühl, von „meinen“
     Sachen umgeben zu sein; ich war begeistert, sie wieder hier zu haben. Jedes Objekt
     brachte Erinnerungen an eine bestimmte Situation, an einen Moment, an die
     Vergangenheit. Ich habe wieder das Gefühl, ich selbst zu sein (ebd., S. 160).

Vamik Volkan, die Grindbergs und Salmon Akhtar – ein Psychoanalytiker, der selbst
Immigrant ist – haben (in Anlehnung an Winnicotts Begriff des Übergangsobjekts) über die
Bedeutung von Objekten bei der Erfahrung von Immigranten und Flüchtlingen geschrieben.
In diesem Beitrag werde ich Winnicotts grundlegendes Konzept auf die Welt heutiger
Rolleninhaber in Organisationen übertragen und die Bedeutung und Funktion von Objekt-
Bindungen aufzeigen, die ihnen bei den zahllosen Veränderungen und Herausforderungen der
Rolleninhaber zukommt.

Als ich diesen Beitrag schrieb, wurde mir deutlich, wie wichtig Objekte manchmal für
Rolleninhaber sein können, um mit Veränderungen zu Recht zu kommen. Zum anderen
können sie aber auch als Abwehr dienen, um Veränderungen zu vermeiden. Dabei werde ich
auch darauf eingehen, wie und in welchem Maße persönliche Objekte ebenso wie
Unternehmensobjekte von Organisationen dazu benutzt werden, um ihre Mitarbeiter zu
‚kolonisieren’. Die Erfahrung einer solchen Kolonisierung kann auch dazu führen, dass
Mitarbeiter sich als eigenständig genug erleben, um in andere Organisationen zu wechseln.
Die materiellen Objekte der heutigen Welt stehen in deutlichem Kontrast zu den
Übergangsobjekten aus der Vergangenheit und ihrer Bedeutung, die sie für Entwicklung und
Containment haben. Die materiellen Objekte unserer heutigen Zeit erscheinen
vergleichsweise eher als erzwungen und überzogen oder werden nur unzureichend genutzt,
und wenn sie an Wert verlieren, werden sie ausrangiert. In diesem Beitrag werde ich auch
deutlich zu machen versuchen, was es angesichts dieser Wirklichkeit so schwer macht, die
Verluste aus der Vergangenheit zu betrauern, die mit jedem Veränderungsprozess
einhergehen.

Mit dem Titel meines Beitrags beziehe ich mich auf den vor kurzem herausgekommenen Film
Lost in Translation, in dem zwei jet-lagged Amerikaner in einem sterilen High-Tech-Hotel in
Tokyo stranden. Einander völlig fremd, haben sie kaum eine Verbindung nach hause, zu ihren

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Rollen, Organisationen und ihren Partnern. Allein und gemeinsam versuchen sie, mit der
überwältigenden Fremdheit ihrer neuen Umgebung zurechtzukommen. So kommen sie sich in
dieser seltsamen riesengroßen Stadt nicht nur verloren vor, ihre Orientierungslosigkeit wächst
um so mehr, als jeder für sich feststellt, dass ihnen wichtige Teile ihres Selbst schon vor der
Ankunft abhanden gekommen waren. Besonders auffällig ist dabei, dass keiner von ihnen
irgendwelche persönlichen Objekte (Bücher, Zeitschriften, Fotos) mitgebracht zu haben
scheint. Ihre persönliche Beziehung zueinander wird zunächst durch ein großes wuscheliges
Plüschtier gefestigt, das er für sie kauft.

Dabei dient mir die Allgegenwart dieses eher geschmacklosen und gewöhnlichen Objekts –
das Plüschtier – und der vorübergehende Trost, den es spendet, als Metapher für meine
Arbeitshypothese dieses Beitrags. Sie lautet: in dem Maße, wie Objekte heutzutage weithin zu
geklonten und leicht ersetzbaren Wegwerfobjekten geworden sind, werden sie zum
unverarbeiteten Projektionsmaterial für Verluste, die nicht durchgearbeitet und betrauert
werden können. Indem sie ebenso leicht verloren gehen wie ersetzbar sind, verlieren diese
Objekte ihre stützende Funktion für die eigene Identität und Entwicklung über die Zeit
hinweg und werden statt dessen zu einer verleugneten Repräsentierung von Schmerz und
Bedauern.

Im folgenden Teil dieses Beitrags werde ich kurz auf einige psychoanalytische Theorien
eingehen, die sich auf Übergangsobjekte beziehen. Danach werde ich fünf verschiedene
Möglichkeiten darstellen, wie Objekte im gegenwärtigen Leben von Organisationen genutzt
werden und sie aus der Sicht meiner Arbeitshypothese betrachten. Ich werde diesen Beitrag
mit einigen weiteren Gedanken und Schlussfolgerungen beenden.

Die psychoanalytische Theorie der Objekte und Übergänge

Wie Winnicott (1953) deutlich macht, stellt das Übergangsobjekt (aus Stoff und mit
autoerotischen Trost) für das Kind sein erstes Nicht-Ich-Objekt dar, das – bei ausreichendem
Containment der Mutter – nach und nach in dem Maße an Bedeutung verliert, als das Kind
eine Verbindung mit der Realität entwickelt. „Die Brücke, die das Übergangsobjekt darstellt,
erlaubt es dem gesunden Kind, sich vom Mutter-Ich zum Nicht-Ich zu bewegen und so mit
der Welt der Wirklichkeit vertraut zu werden“ (Volkan 1981, S. 360). Als Verbindung
zwischen internen und externen Objekten gewährt das Übergangsobjekt einen tragfähigen

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Raum der Bindung, in den das Kind seine fragmentierten, unentwickelten und ungelösten
inneren Prozesse projiziert, die dort für eine gewisse Zeit gehalten werden können.

Dabei ist die Beschaffenheit des Übergangsobjekts wichtig – ein weicher Stoff, sein Geruch
und die Eigenschaft, es drücken und knuddeln zu können. Das Kind muss es beherrschen
können und so in gewisser Weise seine ursprüngliche Qualität zerstören, um es sich als ein
lebendiges Verbindungsobjekt mit der Mutter und der Welt zu Eigen machen zu können.

Wie Volkan und andere zeigen, haben Übergangsobjekte für Erwachsene eine ähnliche
Funktion in Zeiten von Regression, Angst und großen Veränderungen, wie z.B. Immigration.
Ein ‚reaktiviertes Übergangsobjekt’ (Volkan 1981, S. 367) kann so als „ein Puffer zwischen
den ausschließlich guten und bösen Selbst- und Objektanteilen [dienen]. Weil das Individuum
die totale Kontrolle über sein Übergangsobjekt hat, kann es die Illusion aufrechterhalten, sein
Beziehung zu den unvereinbaren repräsentativen Teilen vollkommen beherrschen zu können
– die Illusion, diese Teile zusammenführen oder auch getrennt halten zu können“ (ebd., S.
366).

Dies erinnert mich an Mark, einen meiner Klienten, der plötzlich und auf ziemlich brutale
Weise von seinem Job als Marketingleiter eines Unternehmens gefeuert wurde, das
Brillengestelle herstellt. Während einer schwierigen zweijährigen Arbeitssuche legte er hinter
seinem Haus einen wunderschönen Garten an, den er mit großer Sorgfalt und viel Mühe
pflegte. Dieser Garten wurde für ihn zu einem Ort des Trostes und der Beständigkeit, zu
seinem eigenen Reich – zu einem Ort, der sozusagen Halt für ihn und seine chaotischen
Gefühle gewährte, die sich sowohl darauf bezogen, dass er gefeuert worden war als auch
darauf, ob und wann er wieder eine Anstellung finden würde. So wie er diesen Garten
angelegt und was er darin gepflanzt hatte, ähnelte er deutlich dem Garten seiner Mutter, den
sie gestaltet und gepflegt hatte, als er noch ein Kind war.

Harold Searles (1960, S. 330) geht davon aus, dass es eine wichtige Verbindung zwischen der
jeweiligen Beziehung gibt, die ein Patient als Kind zu einem früheren Objekt der
nichtmenschlichen Umwelt gehabt hat und dem, was er als sein Problem darstellt. Searles
nimmt an, dass „Gefühle, die mit der Beziehung zur nichtmenschlichen Umwelt während
früher Lebensphasen einhergehen, auf die nichtmenschliche Umwelt im Leben des
Erwachsenen übertragen werden“.

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Wir haben nicht nur solche unbewussten Erinnerungsspuren frühkindlicher
       Erfahrungen, bei denen wir von einer chaotischen nicht beherrschbaren,
       nichtmenschlichen Umwelt umgeben waren, die wir als einen Teil von uns selbst
       wahrgenommen haben; darüber hinaus haben wir wahrscheinlich auch unbewusste
       Erinnerungsspuren der Erfahrung, eine nichtmenschliche Umwelt zu verlieren, die wir
       bislang als eine harmonische Erweiterung unseres weltumfassenden Selbst
       wahrgenommen hatten (ebd., S. 39).

Der Hinweis, dass die nichtmenschliche Umwelt frühere unbewusste Erinnerungsanteile für
den Erwachsenen enthalten kann, erscheint mir im Zusammenhang mit dem Thema dieses
Beitrags besonders wichtig. Ohne sich dessen bewusst zu sein, kann der Erwachsene sowohl
solche Gefühle haben, „die sich auf bestimmte Bereiche seiner nichtmenschlichen Umwelt
beziehen und so zu wichtigen Teilen von ihm selbst werden, als auch solche, die mit dem
Verlust von Objekten verbunden sind und das Gefühl entstehen lassen, eine Teil von sich
selbst verloren zu haben“ (ebd., S. 55).

Diese Überlegungen haben mir zu einem besseren Verständnis dafür verholfen, was mein
Klient wohl mit seinem Garten beabsichtigte. Während seines Übergangs hatte er solche
Blumen gepflanzt, die ihn erst später bewusst werden ließen, wie sehr sie dem Garten seiner
Mutter im Mittleren Westen ähnelten – Stockrosen und Hortensien. Er erzählte von seinen
Blumen auf sehr lebendige Weise und freute sich, mich an dem Fortschritt Anteil zu haben,
mit dem sie wuchsen und zunehmend die Form annahmen, die er so gut aus seiner Kindheit
erinnerte.

Wenn man die Bedeutung des Objekts und wofür es steht, erkennt, kann dies zu einem
Prozess des Durcharbeitens führen und so nicht nur zu einer Überwindung gegenwärtiger
Verluste beitragen, sondern auch zu denen aus der Vergangenheit. Manchmal kann ein
Verlust jedoch so verheerend sein, dass ein solcher Prozess nicht möglich ist. Volkan (1981,
S. 373) spricht in Bezug auf Speisen, Musik usw. aus der Heimat von ‚linking objects –
Verbindungsobjekten’ als „Variationen zum Thema Übergangsobjekt“. Dabei weist er
zugleich darauf hin, dass „die Reaktivierung des Übergangsobjekts (und -phänomens) beim
Erwachsenen mit .. einer Abwehr einhergeht, die fast immer pathologisch ist“ (ebd.).

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Ein traumatischer Bruch aktiviert die primitive Abwehr des Immigranten und „dient dazu,
eine Wiederholung ‚undenkbarer Angst’ oder die akute Konfusion abzuwehren, die Teil der
Desintegration der sich entwickelnden Ich-Struktur ist“ (Volkan 1966, S. 369).

In dem Maße, wie der Immigrant von dieser Konfusion überwältigt wird, benutzt er seine
Objekte dazu, sich dieser schrecklichen Gefühle zu entledigen. Statt dem Erwachsenen bei
seiner Entwicklung zu helfen, absorbieren die Verbindungsobjekte sozusagen „einige der
Konflikte, die mit der Trauerarbeit verbunden sind. Teile der Trauerarbeit werden sozusagen
auf das Verbindungsobjekt externalisiert, und der Schmerz oder andere sinnliche
Wahrnehmungen, die mit der gewöhnlichen Trauerarbeit einhergehen, werden nicht
wahrgenommen. … Was ursprünglich ein wichtiges Instrument gesunden Wachstums war,
wird so zu einer Abwehr von Pathologie“ (ebd., S. 374).

Wenn der Immigrant in das, was Volkan (ebd., S. 66) ‚pathologische Trauer’ nennt, verfällt,
benutzt er seine Verbindungsobjekte dazu, „seinen Trauerprozess ‚einzufrieren’ – was den
Patienten zugleich davor ‚schützt’, in eine tiefe Depression zu verfallen und/oder Selbstmord
zu begehen“ (ebd. S. 355).

Die Psychologie dessen, der fortwährend trauert, tritt manchmal in der Unfähigkeit des
Neuankömmlings zu Tage, in der neuen Umgebung eine Heimat zu finden. Diese Erfahrung
habe ich mit Leslie, einer meiner Klientinnen, gemacht, deren Erfolg sie von einer
Organisation zur anderen führte (Mersky 2005). Mit Ausnahme ihres ursprünglichen
Arbeitgebers (der berühmten Universität, an der sie ihren medizinischen Doktorgrad erworben
hatte) – und von dem sie auf brutale und erniedrigende Weise behandelt worden war,
erwiesen sich ihr alle folgenden Organisationen als unangemessen. Sie beklagte sich vor
allem darüber, dass ihre Verdienste entweder nicht beachtet oder nicht gebührend anerkannt
wurden. Ihre Trennung von diesen Organisationen geschah immer ganz plötzlich und
überstürzt und war darauf angelegt, die damit verbundene Ambivalenz und Traurigkeit zu
verdecken. Man könnte annehmen, dass ihr Doktortitel als ein Verbindungsobjekt diente, das
ihr ihre Wechsel erleichterte; andererseits hinderte es sie jedoch daran, eine stärkere und
integrierte professionelle Identität zu entwickeln.

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Eine größere Veränderung vorzunehmen, kann aber auch insofern einen Schritt in Richtung
auf die Lösung eines älteren oder tieferen Problems bedeuten, als sich dadurch die Bedeutung
des Objekts erschließt. Möglicherweise stellte Marks Garten einen solchen Schritt dar.

Wie León und Rebeca Grinberg (1989, S. 154) betonen, kann Trauerarbeit notwendig sein,
um „die Ängste und die Gefühle der Entwurzelung sowie des Verlustes durchzuarbeiten“. Sie
schreiben:

         Depressive Ängste entstehen durch eine starke Erfahrung, all das, was man hinter
         sich gelassen hat, zu verlieren sowie durch die Furcht, es niemals wiederfinden zu
         können. Dies macht es notwendig, die Trauer durchzuarbeiten – die Trauer um das
         Objekt und um die verlorenen Teile des Selbst ist immer schwierig und kann leicht
         pathologische Züge annehmen“ (ebd., 161).

Die letzte Phase des Migrationsprozesses beschreiben die Grinbergs (ebd., S. 169) so:

         Die Freude am Denken, Wünsche und die Fähigkeit, Pläne für die Zukunft zu
         entwickeln, werden wieder entdeckt. Zu dieser Zeit ist die Trauer um das
         Herkunftsland soweit wie möglich durchgearbeitet worden, was dazu beigetragen
         hat, die frühere Kultur mit der neuen zu integrieren, ohne dabei die alte Kultur zu
         verleugnen. Dies unterstützt eine Bereicherung des Ichs und die Festigung eines
         deutlicher entwickelten Identitätsgefühls.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wichtige Objekte in Zeiten von Stress und markanten
Veränderungen Erwachsenen als Übergangsobjekte dienen können. Dabei werden im Prozess
der Durcharbeitung dieser Erfahrung verschiedene innere Teile auf das Objekt projiziert und
von ihm contained. Sie ‚halten’ das Chaos und tragen zugleich dazu bei, das Identitätsgefühl
der Person und ihre Verbindung zur Vergangenheit aufrechtzuerhalten. Das Objekt dient so
als eine Art „greifbarer Rest der vergangenen, gegenwärtigen und wohl auch künftigen
Identitätsentwicklung“ (Warren 2004, 22).

Wenn die Angst stärker als die Fähigkeit der Verarbeitung ist, können Objekte zu
‚eingefrorenen’ Medien werden, die dazu verleiten, in der Vergangenheit zu verharren und so
zu einem Zustand pathologischer Trauer führen können. Wenn die Verluste durchgearbeitet

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werden können, wird es schließlich auch möglich, die eigene Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft miteinander zu integrieren.

Objektverwendung und -bindung im Leben post-moderner Organisationen

Wenngleich es auch eine Menge darüber zu sagen gäbe, was das Leben in post-modernen
Organisationen ausmacht, so möchte ich mich hier doch nur auf einige der Aspekte
beschränken, die mir für eine Exploration der Bedeutung von Objektverwendung und -
bindung im Kontext der unzähligen Übergänge von Rolleninhabern in heutigen
Organisationen besonders wichtig erscheinen.

Dabei scheinen vor allem drei Aspekte des Lebens in gegenwärtigen Organisationen von
Bedeutung zu sein: der Mangel an Kontinuität, die Notwendigkeit, flexibel zu sein, und ein
Zustand der Kontingenz. Diese drei Aspekte sind hängen in gewisser Weise eng mit einander
zusammen.

Gewöhnlicher Weise gewährt Kontinuität die Zeit und den Raum, um das Vertraute mit dem
Nicht-Vertrauten zu integrieren und beides miteinander auf sinnvolle Weise zu verknüpfen.
Dies vermittelt gewissermaßen ein Gefühl für die eigene Entwicklung und das Wachstum im
Laufe der Zeit und ermöglicht den Bezug zur Zeit in der ‚realen’ Welt. Dies fördert eine
fortlaufende Identitätsentwicklung.

Eine solche Entwicklung ist bei fehlender Kontinuität nicht möglich. In dem Maße jedoch,
wie man dem Zwang vom Neuen zum Allerneuesten unterliegt, durch den Experimente,
Fehler, das einmal Gelernte und Verbindungen bedeutungslos werden und keine Möglichkeit
mehr besteht, sich selbst in Raum und Zeit zu verorten, geht man, wie Siltala (2003, S. 201)
zeigt, „keine Verpflichtungen mehr ein und beschränkt seine Aufmerksamkeit auf das
aktuelle, zusammenhangslose Geschehen. Und indem man sich nur noch auf das unmittelbare
Geschehen zentriert, verliert man den Blick für ein umfassenderes Selbst-Bild.“

Das heutige post-moderne Ethos geht davon aus, dass man ein Weltbürger ist und sich nicht
von der Geschichte und Bindungen abhängig macht. Diese Fähigkeit ist von Vorteil, wenn es
darum geht, die nächste ‚Realität’ zu ergreifen. Man muss dazu in der Lage sein, fortwährend
im Jetzt zu sein und eine „’flexible’, vollkommen relationale Persönlichkeit“ zu ‚kultivieren’,

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die fähig ist, „sich von einem Moment auf den anderen umzustellen“ (ebd., S. 199). Wie
Bauman (1995, S. 51) sagt, muss man in einem „Zustand immerwährenden Neubeginns und
permanenten Anfangs“ sein.

Nicht nur gibt es weder Raum noch Zeit, um sich umzustellen, sondern die Umstellung selbst
scheint sich geradezu zu erübrigen. Einer meiner Kollegen wies (im privaten Kontext) darauf
hin, dass dies seit dem 11. September 2001 in zunehmendem Maße für diejenigen zur Realität
geworden ist, die in New York City arbeiten.

Das führt letztlich dazu, dass Dissoziierung an die Stelle von Reflektion und Verstehen tritt
und damit zugleich die Funktion eines Abwehrmechanismus übernimmt. Siltala (ebd., S. 201)
verweist in diesem Zusammenhang auf ein Zitat von Baumeister (1991):

          Es kommt vor allem darauf an, auf geistige Verknüpfungen aufzugeben; die geistige
          Fähigkeit, über die Gegenwart hinaus auf andere Zeiten, Orte, Ereignisse und
          Auffassungen Bezug zu nehmen, wird überflüssig; und das Interesse für größere
          Zusammenhänge oder Prinzipien schwindet. – Man muss den Versuch aufgeben, zu
          lernen, Schlussfolgerungen zu treffen, einen Standpunkt zu beziehen. Die Gegenwart
          muss von anderen Ereignissen und Zeiten entleert werden, und es kommt nicht
          darauf an, die Erfahrung vom einen Moment zum anderen zu analysieren, zu
          interpretieren und zu berücksichtigen. Dinge geschehen halt, und es macht keinen
          Sinn, aus ihnen schlau werden zu wollen. Indem man Erfahrungen ignoriert oder
          dekonstruiert, kann man ihre bedrohlichen und bestürzenden Aspekte aus der
          Wahrnehmung ausklammern.

Angesichts dieser Situation stellen sich eine Reihe von Fragen: Wie wirkt sich dieser
fortlaufende Neubeginn auf die Beziehungen aus, die Rolleninhaber zu ihrer
organisatorischen Umwelt haben? Welche Möglichkeiten des Containments, der Reflektion
und der Trauer kann diese Umwelt überhaupt noch bieten? Welche Bedeutung haben Objekte
überhaupt noch, die unzähligen physischen, psychischen und kulturellen Übergänge zu
erleichtern (Winnicott) und/oder sie aufzuhalten (Volkan)? Was wird in diese Objekte
projiziert?

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Diese Fragen haben mir fünf verschiedene Möglichkeiten deutlich werden lassen, wie Objekte
gegenwärtig benutzt werden und wie sich auf sie bezogen wird – und sicherlich wird es noch
viele andere geben. Im Folgenden werde ich sie im Zusammenhang mit meinem Fallmaterial
darstellen. Diese Möglichkeiten sind:

       1. Trost durch persönliches Vergnügen (Garten, Jazz)
       2. Reduzierung der Rollenobjekte auf ein Minimum (Reisen, hot desking)
       3. Defensiver Umgang mit Objekten (Arbeit über das Telefon, E-Mail)
       4. Allgegenwart von Unternehmensobjekten (Unternehmenslogos, -geschichten)
       5. Schwinden persönlicher und privater Grenzen am Arbeitsplatz (Büro als
           Wohnzimmer, Verbot persönlicher Objekte)

   1. Trost durch persönliches Vergnügen

Unsere Bindung an physische Objekte und der Trost, den sie gewähren, sind sicherlich keine
neuen Phänomene unserer Zeit. Wie Warren (2004, S. 20) zeigt, vermitteln „uns die Dinge,
die wir besitzen, ein Gefühl von Leistung, Zugehörigkeit und Stabilität; sie sind ein Teil von
uns selbst“.

Wie sehr „bestimmte Aspekte des Übergangsobjekts – die Besänftigung, die es vermittelt –
als mentale Strukturen verinnerlicht werden“ (Tolpin 1972, zit. in: Volkan 1981, S. 360), wird
auch in der Erinnerung an ihren Pandabär deutlich, von der mir eine Kollegin in einer E-Mail
(April 2005) schrieb:

       … wenn dieses allererste Objekt für die erste Fähigkeit der Selbstbesänftigung in
       Abwesenheit der Mutter steht, dann frage ich mich, was im späteren Leben wichtiger
       ist: das Objekt selbst oder die (ritualisierte) Fähigkeit, sich selbst zu besänftigen. Ist
       das Objekt selbst noch erforderlich, wenn man über die Fähigkeit zur Symbolisierung
       oder innere Entspannung verfügt? Oder ist es nicht vielmehr die Externalisierung
       meiner Fähigkeit zur Selbstbesänftigung in diesen heißgeliebten Teddybär, die
       sicherstellt, dass ich letztlich unzerstörbar bleibe, weil ich dann, wenn ich wirklich
       verletzt werde, diese von meiner Kraft gefüllte geheime Quelle wieder aufsuchen kann,
       um für die nächste mögliche Begegnung mit der Welt neue Kraft zu schöpfen?

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Vielleicht mag auch Marks Garten diese Besänftigung gewähren, indem er ihn in eine Zeit
zurückführt, in der seine Identität gefestigter war. So gesehen, wäre Marks Garten mehr als
ein bloßer Zeitvertreib.

Ein Kollege, der unlängst entlassen worden war und sechs Monate brauchte, bis er eine neue
gleichwertige Anstellung fand, erzählte mir in einem Telefongespräch (April 2005), wie
wichtig Jazzmusik für ihn während dieser Zeit des Übergangs gewesen ist:

       Es dauerte ein gutes halbes Jahr, bis ich eine neue Stelle bekam. Was habe ich in
       dieser Zeit gemacht? Ich ging häufiger als je zuvor zu Konzerten und hörte Musik. Ich
       bin sicher, dass sich während dieser Zeit meine Vorliebe für Jazzmusik verstärkt hat.
       Während ich mir früher alle mögliche Musik anhörte, habe ich im vergangenen Jahr
       fast nur noch Jazz gehört. Vor ein paar Wochen bin ich durch meine CD-Sammlung
       gegangen. Auf meinem Bücherbord stehen Rock und Pop auf der linken und Jazz und
       Klassik auf der rechten Seite. Fast achtzig oder neunzig Prozent der CDs waren
       Jazzmusik, die ich im vergangenen Jahr gehört habe.

Was mir hierbei besonders auffällt, ist die Intensität, mit der er sich seiner Musik widmete. Es
scheint, als ob etwas Altes, das er immer schon liebte, für ihn eine neue Wichtigkeit und
Bedeutung bekommen hatte – und während dieser schwierigen Zeit zu einem Containment
wurde. Die Grinbergs und andere, die über die Erfahrung von Immigranten schreiben, machen
oft deutlich, dass Musik eine der wichtigsten ‚Erinnerungen’ für Immigranten ist und ihnen
ein Gefühl der Heimat vermittelt. Wie Volkan (1993, S. 67f.) sagt, kann ein Lied aus der
Heimat als kulturelle Erinnerung „eine ‚magische’ Qualität für das Individuum haben“.

       Der Immigrant kann so die Repräsentationen dessen spüren und beeinflussen, was
       durch seinen Gebrauch der Verbindungsobjekte verloren gegangen ist wie auch die
       entsprechende Repräsentation seines Selbst. Mit anderen Worten, ein physisches
       Objekt oder ein Lied aus der Heimat kann so das innere Ringen zwischen der
       Rückkehr in die Vergangenheit und dem Voranschreiten in der Gegenwart
       repräsentieren (ebd., S. 68).

Was meinen Kollegen betrifft, so kann man annehmen, dass der Jazz mehr als nur ein
Vergnügen war, das ihm Spaß machte, sondern auch als ein Weg diente, zu sich selbst

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zurückzukehren – ein Weg, der ihn daran erinnerte, wer er war, um ihn so auf der Suche nach
einer neuen Stelle zu stärken. Auch mag der Jazz ihm eine Hilfe gewesen sein, vieles von dem
wieder zu entdecken, was in der vorherigen Stelle verkümmert oder verraten worden war.

Unlängst war ein Heft der Zeitschrift StadtAnsichten der Autostadt in Wolfsburg dem Thema
Heimat gewidmet. Einer der Beiträge in diesem Heft enthält eine Reihe von Aussagen
ausländischer Botschafter in Deutschland über ihr Heimatland. So hat der Botschafter von
Madagaskar beispielsweise in einer Ecke seiner Bibliothek eine Valiha, eine Harfe aus seinem
Heimatland. Er sagt, dass ihr „Klang mich genauso beruhigt wie ein Spaziergang am Strand
des Indischen Ozeans“ (Engel 2005, S. 38).

   2. Reduzierung der Rollenobjekte auf ein Minimum

In dem Beitrag Morality in the Age of Contingency beschreibt Zygmunt Bauman (1996, S. 54)
Menschen, die heutzutage “die Räume durchqueren, in denen andere Menschen leben“. Dies
scheint mir einen passenden Ton für diesen Teil zu setzen.

Für diejenigen, von denen verlangt wird, dass sie sich selbst fortlaufend neu erfinden und die
Fähigkeit haben müssen, sich unmittelbar von einer Umwelt (Büro, Land etc.) in die andere
zu begeben, hat dies Auswirkungen auf ihre Beziehung zu und ihren Gebrauch von dem, was
Ullrich Beumer (2005) ‚Rollenobjekte’ nennt – solche Dinge nämlich wie Möbel,
elektronische Kommunikationsmittel oder Schreibutensilien usw., deren sich der
Rolleninhaber bei seiner Arbeit bedient. Beumer weist darauf hin, dass alle organisatorischen
Artefakte sowohl eine expressive als auch eine instrumentelle Funktion haben.

In ihrer faszinierenden Untersuchung einer Webdesignabteilung eines großen englischen IT-
Unternehmens bezeichnet Sam Warren (2004, S. 3) ‚Hot Nesting’ „als einen der
auffälligendsten Trends gegenwärtigen Arbeitsplatzdesigns“. Dieser Begriff, der aus der
Seefahrt stammt, bedeutet, zusammen mit anderen eine Koje zu teilen. Hier bezieht er sich
darauf, dass ein Schreibtisch von mehreren Mitgliedern einer Organisation geteilt werden
kann. Dies ist deshalb von Vorteil, weil Arbeitnehmer häufig an anderen Orten arbeiten. Auch
sind Berater, die kommen und gehen, auf einen Arbeitsplatz angewiesen. (Ich selbst habe oft
in einem Büro gearbeitet, das jemandem gehörte, der gerade auf Reisen oder krank war.)
Dabei verliert die Tatsache an Bedeutung, dass ein Büro und sein Inventar für den

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Rolleninhaber auch einen Halt bedeuten und das Gefühl von Kontinuität und Identität
vermitteln.

Warren beschreibt, was in diesem Büro geschah: „Innerhalb des Büros der Abteilung X
mussten die Designer ... ihren ursprünglichen Arbeitsbereich aufgeben und saßen nun direkt
neben Teams aus anderen, ebenfalls entwurzelten Mitarbeitern, die alle zur gleichen Zeit an
dem selben Projekt arbeiteten. ... Das Management ging davon aus, dass eine ‚‚fließende’
Anordnung der Sitz- und Arbeitsplätze es den Mitarbeitern am ehesten erlauben würde,
schnell zwischen den Aufgaben wechseln zu können“ (ebd., S. 2). Und sie fährt fort: „Wenn
Mitarbeiter sich dazu entschließen, in ihrem Büro zu arbeiten, holen sie sich ihre persönlichen
Unterlagen und Utensilien, die normalerweise in einem fahrbaren ‚Karren’ (ein paar
Schubladen auf Rädern) aufbewahrt werden, und setzen sich an den nächsten verfügbaren
Schreibtisch“ (ebd., S. 4). Die Abteilungsleiterin sagte, dass sie dieses Hot-desking deshalb
bevorzuge, „weil es dazu beitrage, dass ihre Mitarbeiter innovativer seien und so verhindere,
dass sie ‚stagnierten’“ (ebd., S. 6).

Es ist nicht allzu verwunderlich, dass die von Warren interviewten Mitarbeiter bei diesem
Arrangement das „Gefühl von Instabilität und Flüchtigkeit“ hatten. Einer sagte: „dass ich
keinen eigenen Bereich mehr habe, in dem ich mich zuhause fühlen kann, ruft in mir ein
deutliches Gefühl von Vertreibung hervor“ (ebd., S. 28). Und selbst für jene, die nicht
fortlaufend Veränderungen in Kauf nehmen mussten, „hatte die bloße Möglichkeit,
irgendwann in Zukunft umziehen zu müssen, einen Einfluss auf ihr Gefühl der Sicherheit“
(ebd.).

Eine Mitarbeiterin, die an ihren Arbeitsplatz zurückkehrte, nachdem sie eine zeitlang in den
USA gearbeitet hatte, fand ihre ‚Rollenobjekte’ (Beumer 2005) in einem Karton wieder.

          „Alles, was ich hatte, war in einem Karton. ... Aber ich kann es nicht ausstehen, dies
          alles wieder aus dem Karton zu holen, … weil ich das alles wieder wegräumen muss,
          und das ist immer etwas traurig, weil man manchmal für den schönsten Teil des
          Jahres diesen Platz zugewiesen bekommen hatte und dann alles wieder wegräumen
          musste (ebd., S. 29).

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Günter Heismann (2005, S. 47) spricht von ‚Jobnomaden’, um die zu beschreiben, die
   leicht und häufig von einer Organisation oder einer Stelle zur anderen wechseln. Das
   führt, wie er betont, dazu, dass man von diesen Rolleninhabern sagen könnte, dass sie
   „kein ständiges Zuhause mehr haben – und dafür einen hohen persönlichen Preis zahlen“.

   Wie Rolleninhaber heutzutage reisen und damit zu Recht kommen müssen, in
   verschiedenen Büros zu arbeiten, kommt in der folgenden E-Mail (2005) zum Ausdruck,
   die mir ein Kollege schickte:

       Mein Eindruck ist, dass die zentrale Kompetenz heute in der Fähigkeit besteht, sich
       von innen her mit minimalen Ressourcen (Objekten), die einen unterstützen und
       containen, immer wieder neu zu erfinden. Ich habe mich selbst über Jahre hinweg
       darin geübt, ‚mit weniger zu reisen’ (wobei die Vorgabe ‚nur ein Stück Handgepäck’
       lautet).

Und sie fährt fort:

       Wenn ich mit Managern spreche, die ständig unterwegs sind, dann stelle ich ihnen
       immer die Frage, was das (eine) Ding ist, das konstant bleiben muss, damit sie sich
       während dieses Übergangs/Wechsels/Umzugs wohl (sicher, contained usw.) fühlen.
       Die Antworten, die ich dann bekomme, hören sich in der Regel so an:

       Körperliche Fitness          (Laufen, Gymnastik, Yoga usw.)
       Soziale Kontakte                    (Handy, E-Mail-Zugang, Bars)
       Kulturelle Erfahrung         (Bücher, Filme, Zeit zum Nachdenken)

       Interessanterweise kann man heute E-Mails über das Web abrufen, man braucht nicht
       einmal mehr seinen eigenen Laptop mit sich rumzuschleppen – seine Funktion als
       ‚Übergangsobjekt’ im Unternehmenskontext wird zunehmend durch Blueberrys (sic)
       ersetzt oder aufgrund der ausgedehnten Webzugangsmöglichkeiten überflüssig, die
       einige Provider oder Unternehmen anbieten, und die meisten Fitnessstudios in
       erstklassigen Healthclubs stellen überall in der Welt die gleichen Maschinen zur
       Erledigung deiner Arbeit bereit – ebenso wie die Tophotels sich mittlerweile alle
       gleichen – ganz egal wo in der Welt man gerade ist. Bücher und DVDs – und alle

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möglichen Objekte dieser Art – können mittlerweile auf jedem internationalen
          Flughafen erstanden werden (ebd.).

Dabei fällt auf, dass all dies deutlich dem widerspricht, was die niederländische Fotografin
Jacqueline Hassink in ihrem 2003 erschienenen Buch Mindscapes, Private and Public:
Mapping the Boundaries mit ihren Bilder darstellt, die sie in Büros von Topmanagern sehr
großer Unternehmen gemacht hat. Ihre Absicht bestand darin, die möglichen Verbindungen
aufzuzeigen, die zwischen der Art, wie die Büros organisiert sind und der Art bestehen, wie
die Rolleninhaber ihre Rolle im System wahrnehmen. Bei ihrer Kartographierung der
verschiedenen öffentlichen und privaten Räume dieser Rolleninhaber versteht sie das Büro
eines Topmanagers als Teil eines ‚Macht-Territoriums’, zu dem auch der Dienstwagen, die
Lobby und der Konferenzsaal gehören (Hassink 2003, S. 12). Was im Zusammenhang mit
unseren Überlegungen m. E. hier wichtig erscheint, ist die Tatsache, dass diese
Topmanagementbüros in deutlichem Kontrast zu den unpersönlichen Zellen der Jobmonaden
stehen.

   3. Defensiver Umgang mit Objekten

Die Menge und Allgegenwärtigkeit technischer Objekte, die uns vierundzwanzig Stunden
lang tagein, tagaus Kontakt ermöglichen (d.h. Laptop. Blackberry, Handy) erlaubt es uns
einerseits, in Verbindung zu bleiben, und andererseits von anderen getrennt zu sein. In diesem
Teil werde ich einige Beispiele für den defensiven Umgang mit technischen Objekten
aufzeigen.

Unlängst habe ich mit einer großen Immobilienfirma einen Workshop in einem
Tagungszentrum durchgeführt, bei dem es darum ging, Wege zu finden, wie die Untergruppen
enger zusammen arbeiten könnten. Ein Aspekt, der sich bei meiner vorangegangen Diagnose
herausstellte, waren starke Gefühle in Bezug auf die Diskrepanz, mit der Dinge angefragt und
wie sie erledigt wurden – und wessen Prioritäten dabei den Vorrang zu haben hätten.
Während des Workshops forderte ich die Untergruppen auf, ein konkretes Problem bzw. eine
Episode zu benennen, die diese Frage verdeutlichen würde, und darüber nachzudenken, wie
dies besser hätte erledigt werden können.

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Eine Gruppe beschäftigte sich dabei mit der eher generelleren Frage, wie im Unternehmen mit
E-Mails umgegangen werden sollte. In ihrem Bericht an die gesamte Gruppe wiesen sie auf
Folgendes hin:

E-Mail: Der Ton, in dem wir sprechen/schreiben.
         Wollen zu persönlichen Gesprächen zurückkehren.
         Unterscheiden, was wirklich in einer E-Mail oder im Zweiergespräch diskutiert
         werden muss.
         Unterschied zwischen einer Kommunikation im Zweiergespräch und E-Mail.
         Man kann zur Klärung eine E-Mail hinterherschicken und Details mitteilen.
         In der E-Mail kann man keine Erregung bzw. Begeisterung mitteilen; im
         Zweiergespräch ist das möglich.
         Wie verwendet man E-Mails richtig?

Indem ich versuchte, ihren Bericht auf dem Hintergrund des Problems zu verstehen, das sie
für diese Beratung benannt hatten (Verschlechterung der Arbeitsbeziehungen angesichts einer
schwachen ökonomischen Umwelt), kam ich zu der Hypothese, dass E-Mails vor allem dazu
dienten, das Trauma abzuwehren, das mit dem Verlust einer Reihe wichtiger Mieter in der
letzten Zeit verbunden war. Rolleninhaber benutzten E-Mails sowohl dazu, um sich an recht
spannungsreichen und immer weiter eskalierenden Auseinandersetzungen zu beteiligen als
auch dazu, andere Gruppen im System zu verunglimpfen. Da die Leasing-Gruppe keine
ausreichend große Zahl an neuen Mietern gewinnen konnte, förderte dieser Prozess ein
soziales Abwehrsystem, bei dem diese Gruppe als das eigentliche Übel im System deklariert
wurde. Dabei wurde der Leiter der Marketing- und Leasing-Abteilung zum eigentlichen
Sündenbock erklärt.

So wie sie ihre Ergebnisse darstellten, erweckten sie den Eindruck, als hätten sie gerade etwas
ganz Neues und Wichtiges entdeckt – nämlich den direkten menschlichen Kontakt. Bei
diesem Workshop genossen es die Teilnehmer geradezu, miteinander ins Gespräch zu
kommen. Ohne allzu naiv erscheinen oder meinen Klienten all zu sehr verunglimpfen zu
wollen, schien es fast so, als hätten sie sich gerade erst gegenseitig als Menschen ‚entdeckt’.

Selbst einer so altmodischen Technologie wie dem Telefon kann offensichtlich eine Funktion
der Abwehr zukommen. Viele von uns arbeiten heutzutage mit unseren Klienten über das

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Telefon, weil für direkte Kontakte keine Zeit bleibt. In dem Beitrag, den ich über meine
Klientin Leslie (Mersky 2005), die ich nur einmal getroffen habe und mit der ich vier Jahre
lang über das Telefon gearbeitet habe, schrieb ich:

       Ich glaube, dass die Tatsache, dass die Beratung über das Telefon stattfindet, Leslie
       ein Gefühl der Sicherheit und der Kontrolle gibt. An aller erster Stelle steht dabei die
       tatsächliche physische Trennung. Leslie legt sowohl in ihren privaten wie in ihren
       Beziehungen am Arbeitsplatz eine große Distanz an den Tag. Und das Telefon hat die
       gleiche Funktion für die Beratung. Wie die Psychoanalytikerin Linda Larkin (2000, S.
       3) schreibt, ermöglicht es dieses Medium, „eine Verbindung aufrecht zu erhalten,
       ohne sich dabei buchstäblich zu nahe zu kommen“.

   4. Allgegenwart von Unternehmensobjekten

Es ist mittlerweile zu einem unübersehbaren Trend geworden, Unternehmenslogos auf allen
denkbaren Gegenständen zu finden. Viele der großen Unternehmen haben ‚company stores’,
eigene Läden, in denen man u. a. solche Dinge wie Kaffeetassen, Kugelschreiber, Bleistifte,
Schlüsselringe, T-Shirts, Sweatshirts, Mützen, Ordner, Uhren, Regenschirme, Autoaufkleber,
Flaschenöffner, Korkenzieher und Servietten kaufen kann.

Als ich das erste Mal einen solchen Laden in der Hauptverwaltung eines meiner Klienten
fand, war ich recht verwundert. Mir war es geradezu unverständlich, weshalb Menschen
solche Dinge kaufen, die einen Bezug zu ihrem Unternehmen darstellen, wenn sie schon dort
arbeiten. Was dabei auffällt – und meiner Meinung nach besonders wichtig ist – ist die
Tatsache, dass diese Dinge überhaupt keine ‚Rollenobjekte’ sind, die für die eigene Arbeit
erforderlich wären, sondern vielmehr Dinge des Alltagsgebrauchs, die man normalerweise im
persönlichen Bereich vermuten würde. Ich sehe darin eine Art der Kolonisierung der Person
des Mitarbeiters durch das Unternehmen.

Einer meiner Klienten, der in einer kleinen IT-Firma arbeitete, erzählte mir von einem
Gegenstand mit dem Unternehmenslogo, der allen Mitarbeitern im Rahmen einer besonders
offiziellen Zeremonie überreicht worden war. Fortan führte dieser Gegenstand (etwas
Persönliches, das man jeden Tag mit nach Hause nehmen konnte und das dem Chef sogleich
auffiel, wenn es nicht benutzt wurde) dazu, dass von den Mitarbeitern selbst als ‚Eigentum’

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des Unternehmens gesprochen wurde. Sie wurden damit als Gruppe betrachtet und – um ein
anderes Beispiel zum besseren Verständnis zu geben – ‚Fordianer’ genannt. Mein Klient, der
inzwischen das Unternehmen verlassen hat, erzählte mir, wie ärgerlich seine Kollegen darüber
waren, auf eine so vermessene Weise vereinnahmt zu werden. Dies ist ein gutes Beispiel für
das, was Siltala (2003, S. 191) beschreibt: „Die Wirtschaft muss sich nicht länger darüber
legitimieren, dass sie die Bedürfnisse der Menschen erfüllt; vielmehr wird von den Menschen
erwartet, dass sie ihre Existenz rechtfertigen, indem sie ihr Leben für den ‚Geist des
Unternehmens’ opfern.“

Bei einer anderen Gelegenheit, einem Workshop mit einer Finanzgruppe, mit der ich
arbeitete, gab mein Klient, der Leiter dieser Gruppe war, am Ende des Workshops jedem ein
Souvenir. Dies war offensichtlich seit langem so üblich, und die Auswahl dieses Souvenirs
war sicherlich ein wichtiger Teil der Vorbereitung für diesen Workshop gewesen. Das
‚Objekt’, mit dem diese Veranstaltung gefeiert wurde, war – für diese Gruppe von Reisenden
sicherlich recht passend – ein Gepäckanhänger, auf dem der Name und das Datum des
Workshops sowie das Firmenlogo in Gold eingeprägt waren.

Was mich dabei überraschte, war die Art und Weise, wie diese Objekte angenommen wurden.
Ganz entgegen meiner Vermutung, dass man auf ein solches Unternehmensobjekt eher
zynisch reagieren würde, wurden diese Gepäckanhänger gerne angenommen, sehr geschätzt
und zierten bald alles mögliche Handgepäck.

Wenngleich ich auch versucht war, mir dies als Reaktion auf die wunderbare Erfahrung in
diesem Workshop (den ich geleitet hatte), zugute zu halten, so bin ich doch der Meinung, dass
das eine nichts mit dem anderen zu tun hatte. Mir scheint es vielmehr darum zu gehen, was es
bedeutet, auf eine andere Weise physisch mit dem Unternehmen verbunden zu sein. In
gewisser Weise hat mir dies geholfen, ein neues Gespür dafür zu bekommen, was das
Untenehmen für sie bedeuten muss. Da alle diese Menschen sehr hohe Einkommen hatten,
ging es dabei wirklich nicht bloß um einen Gepäckanhänger.

Dies legt die Annahme nahe, dass die Allgegenwart von Unternehmensobjekten eine subtile,
aber gleichwohl mächtige Botschaft beinhaltet: „Sie gehören uns“. Unlängst fragten mich
zwei Menschen, mit denen ich in einer meiner Klientenorganisationen (die mit dem Laden)
gearbeitet hatte, ob ich mit ihnen daran arbeiten würde, ihr eigenes Unternehmen aufzubauen.

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Sie waren in hohem Maße unzufrieden, in einem so großen Unternehmen nichts Nachhaltiges
bewirken zu können.

Als wir uns trafen, waren sie geradezu von der Idee besessen, gemeinsam etwas zu schaffen –
fast so wie schuldbewusste Kinder, die es darauf angelegt hatten, Bonbons aus dem
Küchenschrank zu stibitzen. Es erinnerte mich an Bions Grundannahme der Paarbildung.
Wenngleich sie mich vermutlich auch in erster Linie deshalb angesprochen hatten, um die
Möglichkeit eines solchen Vorhabens zu eruieren, so kam mir unsere Arbeit doch mehr als ein
Ausagieren, denn als ein ernsthaftes Unterfangen vor.

Diese Vignette scheint ein gutes Beispiel dafür zu sein, wie allgegenwärtige
Unternehmensobjekte insofern Volkans (1981, S. 373) ‚Verbindungsobjekte’ repräsentieren,
als sie die Rolleninhaber eng auf die Gegenwart beschränken und sie davon abhalten, das
Vater- oder Mutterland der Organisation zu verlassen (was bedeuten würde, die
Vergangenheit zu betrauern). Während diese Objekte einerseits hoch und fast schon auf
magische Weise geschätzt werden, scheinen sie andererseits zu der Erfahrung der
Rolleninhaber beizutragen, von der Organisation so sehr abhängig zu sein, dass sie sie
niemals verlassen können.

Es ist insofern nicht einfach, die Vorstellung der Kolonisierung der Mitarbeiter weiter zu
verfolgen, als dies mit der Frage einhergeht, worin dabei der jeweilige Beitrag der
Rolleninhaber und der des Unternehmens in einem solchen System besteht. Vor vielen Jahren
habe ich in einer öffentlichen Schule in einem der Vororte von New York gearbeitet. Zu der
damaligen Zeit – 1973 – war es nahezu undenkbar, dass jemand von einer Schule in eine
andere wechselte. Als ich mich auf eine neue Stelle vorbereitete, die mit einem Ortswechsel
verbunden war, packte ich vor den Sommerferien all die Dinge zusammen, die ich mitnehmen
wollte.

Als ich im Herbst in die neue Schule kam, war ich schockiert und traumatisiert als ich
erfahren musste, das die Hälfte der Sachen, die ich als mein Eigentum und als Teil meiner
Lehrerrolle betrachtet hatte, nicht in die neue Schule gebracht worden waren. Es war geradezu
so, als wenn ein großer Teil von mir umgebracht worden war. Wie ich später herausfand, lag
es in der Autorität des Hausmeisters, darüber zu entscheiden. Was entsprechend einer Logik,
die ich nie verstanden habe, nicht rüber gebracht worden war, galt als Eigentum der Schule, in

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der ich vorher gearbeitet hatte. Die Art, wie dies geregelt worden war, trug dazu bei, dass
dieser Übergang für mich sehr schwierig war; ich hatte meine Übergangsobjekte verloren.
Während der Hausmeister beispielsweise ein ganz gewöhnliches Lineal als Eigentum meiner
früheren Schule ansah, mag es für mich ein kostbares Rollenobjekt gewesen sein.

   5. Schwinden persönlicher und privater Grenzen am Arbeitsplatz

Die holländische Fotografin Jacqueline Hassink (2003, S. 5) macht in ihrer beeindruckenden
Serie über Unternehmensräume „den tiefen und fortwährenden Einfluss“ deutlich, den die
„Informationsgesellschaft darauf hat, was vor nur ein paar Jahren noch als deutliche Trennung
zwischen Arbeit und Privatleben galt“. Sie schreibt:

       Heutzutage hat der Computer die Gesellschaft in jeder Hinsicht dadurch beeinflusst,
       dass er in die Arbeitsumwelt eingedrungen ist und so den Stellenwert des privaten und
       des öffentlichen Lebens verändert hat. Menschen sind überall erreichbar und können
       zu jeder Tages- und Nachtzeit an Informationen gelangen. Die
       Informationsgesellschaft hat Heimarbeiter sowie flexible und mobile Arbeiter
       entstehen lassen. Menschen, die mit einem Laptop und einem Handy arbeiten, sind 24
       Stunden am Tag erreichbar und haben die Möglichkeit, überall dort zu arbeiten, wo
       sie wollen. Für solche Individuen besteht keine klare Grenze mehr zwischen einem
       privatem und dem öffentlichem Leben (ebd., S. 8f.).

Hassink untersuchte die kleinen, abgetrennten Räume von hoch innovativen Ingenieuren in
der Computerindustrie des Silicon Valey (z. B. Sun Microsystems, Intel Corporation und
Silicon Graphics). Diese hoch kreativen und innovativen Menschen „veränderten die als
Zellen bekannten unpersönlichen Büroeinheiten so, dass sie sie als ihren eigenen Raum
betrachten konnten“ (ebd., S. 193). Und „als Reaktion auf die Konformität von Unternehmen
in den USA“ wurden ihre Büros zu ihren „Wohnzimmern“ (ebd., S. 116), in denen sie solche
Objekte wie Sofas oder gar ihr eigenes Haustier hatten. „Diese kleinen, sehr unpersönlichen
Räume sind der Innbegriff eines Raumes, in dem die Privatsphäre und die Öffentlichkeit nicht
mehr getrennt sind. Der Arbeitsplatz wird so zum Privatraum und der Privatraum zum
Arbeitsplatz“ (ebd.).

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Im Gegensatz zu diesen Arbeitsumwelten schlug eine meiner Klientenorganisationen – eine
ziemlich große globale Corporation – den umgekehrten Weg ein. Ihre Hauptverwaltung ist
durch weite offene Räume mit einer Reihe gemütlicher Plätze gekennzeichnet, an denen die
Menschen regelmäßig vorbeilaufen. Diese Räume sind zum Gang hin weit offen, so dass man
im Vorbeigehen die meisten Dinge sehen kann, die die einzelnen Mitarbeiter darin haben. Vor
kurzem wurde die allgemeine Regelung getroffen, dass es nicht erlaubt ist, irgendwelche
persönlichen Dinge in seinem eigenen Raum zu haben – womöglich mit Ausnahme eines
Familienfotos (das vermutlich deutlich machen soll, dass das eigene Privatleben mit den
Werten des Unternehmens in Einklang steht). Wie mir gesagt wurde, war diese Regelung
deshalb notwendig geworden, um die inzwischen stark ausgeuferte Tendenz zur Schau
gestellter Dekorationen einzuschränken – die, wie sich vermuten lässt, ein Ausdruck des
Wunsches der Rolleninhaber war, der unpersönlichen physischen Umwelt etwas
entgegenzusetzen.

Dieses Verbot persönlicher Artefakte löste eine deutliche Verbitterung aus und führte – wie
kaum anders zu erwarten – zu einer Reihe von Ausflüchten, dieses Verbot zu umgehen: die
Anordnung von Möbeln, Verbergen von Artefakten hinter anderen Objekten usw. Dabei war
das Maß an Kreativität, mit dem die Rolleninhaber auf unterschiedlichste Weise versuchten,
einen für sie bedeutsamen Raum zu schaffen, durchaus beachtlich.

Es ist interessant, noch einmal einen Blick auf die Bilder in Hassinks Buch von einigen der
Räume von CEOs in einigen der führenden Corporations (Citigroup, MetLife Insurance,
Accenture) zu werfen. So steht beispielsweise in dem Raum eines CEOs der Softbank in
Tokyo ein Heimtrainer unmittelbar vor seinem Schreibtisch (die Rolleninhaber selbst sind auf
keinem der Bilder dargestellt). Wenn auch nur vermutet werden kann, was für eine Botschaft
damit vermittelt werden soll, so wird doch ersichtlich, dass man – zumindest auf oberster
Ebene – seine persönlichen, um nicht zu sagen physischen Vorlieben so zum Ausdruck
bringen kann, wie es einem gefällt.

Vergleicht man diese ‚Trends’ oder zumindest diese gegensätzlichen Weisen, wie die Grenze
zwischen persönlichem und öffentlichem Raum organisiert ist, hinterlässt dies den Eindruck,
dass hier eine Art Kulturkrieg zwischen der Kontrolle durch das Unternehmen (keine
persönlichen Gegenstände/allgegenwärtige Unternehmensobjekte) und der Freiheit und einem
grenzenlosen Leben derer ausgeführt wird, die ständig irgendwo unterwegs sind. Dies ist

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zweifellos von den jeweiligen Rollen abhängig, die die verschiedenen Rolleninhaber inne
haben, sowie von den Aufgaben und der Größe des Systems und vielen anderen Aspekten;
aber zugleich zeigen beide Aspekte insofern einen ähnlichen Trend auf, als sie auf einen
gleichen unausgesprochenen Wunsch verweisen, seine eigene Identität an das System zu
‚verlieren’ und sich so der Illusion hinzugeben, dass Rolleninhaber und System eins sind.

Abschließende Gedanken

Unsere Organisationen stehen im Kontext der Veränderungen in unserer Gesellschaft und
Zivilisation, einer Veränderung von Industrialisierung und Nationalgefühl hin zur
Globalisierung. In früheren, beständigeren Zeiten arbeiteten die Menschen in Organisationen
ein Leben lang, und diese Systeme gewährten ihren Arbeitnehmern viel von dem
Containment, der Bindung und der Sicherheit, auf die sie angewiesen waren. Das typische
Geschenk in den USA, das ein Arbeiter am Ende seines Arbeitslebens erhält, ist eine goldene
Uhr. Während ein solches Objekt einerseits eine symbolische Belohnung für all die Zeit ist,
die er in der Organisation verbracht hat, dient es andererseits zugleich als Erinnerung daran,
dass man bis ans Lebensende immer noch ein ‚company man’ ist.

Kulturell gesehen ist es ein langer Weg, den wir seit dem 18. und 19. Jahrhundert
zurückgelegt haben. Richard Sennett (2003) hat in seinem anregenden Beitrag The Foreigner
– Der Fremde (den ich nur jedem empfehlen kann, der die Absicht hat, ins Ausland zu gehen)
das Stereotyp des Fremden als eines auf Dauer entwurzelten und kulturell verunsicherten
Staatenlosen in Frage gestellt. Er ist der Ansicht, dass „ein solches Bild auf sentimentale
Weise die Notwendigkeit von Wurzeln und Herzenstugenden überbewertet“ (ebd., S. 173). Er
sieht dies im Zusammenhang mit der Entstehung des modernen Nationalismus im 19.
Jahrhundert, „eines Nationalismus, der diejenigen, die ihre Ursprungsnation verlassen hatten,
wie Chirurgiepatienten ansah, die amputiert worden waren“ (ebd., S. 178).

Wir leben heute in einer globalen Welt mit schellen Veränderungen, in der von
Rolleninhabern erwartet wird, mehrfache Rollenbeziehungen einzugehen und verschiedene
Rollenidentitäten zu übernehmen – einer Welt, in der, wie Sennett (ebd., S. 184) es ausdrückt,
„man sich selbst erfinden muss“. Ähnlich wie die Protagonisten in dem Film Lost in
Translation bleibt einem nichts anderes übrig, als sich anzupassen.

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Sofern wir nicht zu den tragischen Opfern der allzu verbreiteten Völkermorde und
Misshandlungen in den verschiedensten Teilen der Welt gehören und deshalb woanders Asyl
und Sicherheit suchen müssen, müssen wir uns nicht länger darum sorgen, mit kostbaren
Gegenständen aus der Heimat nach Ellis Island zu kommen. Wie meine Kollegin es in ihrer
E-Mail ausdrückte, können wir wahrscheinlich die meisten Dinge, die wir brauchen und
haben möchten, überall auf der Welt finden. Und selbst für unsere Familienfotos reicht ein
Laptop aus.

Wir haben die Vorstellung, entwurzelt zu sein, weitgehend dadurch ersetzt, dass wir für die
ausgeprägte Fähigkeit, überall hinzugehen, Anerkennung gewinnen. Wenn McDonald’s, Gap
und andere Ladenketten global operieren, können wir das auch!

Dies wird noch durch unsere Wegwerfgesellschaft verstärkt oder ist vielleicht deren direkte
Folge. Was nicht das Neuste ist, wird abgewertet, und neue Software wird absichtlich so
designed, dass sie in älteren Computern nicht verwendet werden kann. Wenn man von Ort zu
Ort geht, ist es umso einfacher, je weniger persönliche Objekte man hat, und umso
leistungsfähiger die sind, die man hat. Wenn es zu schmerzhaft ist, immer wieder aufs Neue
gerahmte Bilder aus dem Karton zu holen, dann verzichtet man besser ganz darauf, Bilder am
Arbeitsplatz zu haben.

Warren (2004, S. 21) zitiert McCarthy und schreibt, dass „Objekte dazu dienen, uns an unsere
Identität zu erinnern und sie zu bestätigen, und … unsere Identität beruht womöglich mehr auf
Objekten als auf Individuen“. Wenn wir bei der Vorstellung bleiben, dass alle möglichen
Objekte Gefäße projizierter verlorener Teile des Selbst sind, stellt sich die Frage, was es
bedeutet, dass diese Objekte so einfach ersetzt werden können. Was bedeutet das für unsere
Projektionen und die Weise, auf die wir uns selbst erfahren?

Vielleicht liegt einer der Gründe dafür, dass es so wichtig ist, immer das Allerneueste zu
haben, darin, die Verbindung zu einem geliebten Objekt wiederherzustellen, zu einem Objekt,
das ein Wohlgefühl vermittelt und einem ein gewisses Gefühl dafür gibt, etwas Besonderes zu
sein (eine Identität zu haben?), wobei die abgewerteten und nicht mehr zeitgemäßen Objekte
vielleicht dazu dienen, die abgespaltenen Teile von einem Selbst zu halten, die im Verlauf all
dieser Übergänge nicht betrauert werden können.

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