Tarifliche Weiterbildungspolitik in den Niederlanden und in Deutschland
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aufsätze Tarifliche Weiterbildungspolitik in den Niederlanden und in Deutschland Mit der gestiegenen Bedeutung der beruflichen Weiterbildung wurde Mitarbeiterqualifi zierung auch zum Thema von Tarifverhandlungen. Bei der zentralen Frage der Weiter bildungsfinanzierung einigen sich die Tarifparteien in der Regel darauf, dass der Arbeit geber die Kosten der betrieblichen Weiterbildung trägt. Nur in wenigen kleinen Branchen wird darüber hinaus auch die Errichtung eines überbetrieblichen Finanzierungsfonds ge regelt, sodass es abgesehen von diesen Branchen bei einer einzelbetrieblichen Finanzie rung bleibt. Ein Blick über die Landesgrenzen zeigt, dass eine tarifliche Fondsfinanzie rung in den Niederlanden zum festen Bestandteil des Weiterbildungssystems gehört und eine über den Einzelbetrieb hinaus am Branchenbedarf orientierte Weiterbildungspolitik fördert. Kl aus Berger, Dick Mor a al Beschäftigten an die Anforderungen der Wirtschaft. Im 1. Einleitung Vergleich mit Ländern, die eine ähnliche sozio-ökonomi sche Struktur aufweisen – wie die nord- und westeuropäi Während im internationalen Vergleich die Niederlande bei schen Länder – ist die betriebliche Weiterbildung in zentralen Indikatoren zur betrieblichen Weiterbildung auf Deutschland deutlich schlechter aufgestellt. (Behringer et al. den vorderen Plätzen rangieren, befindet sich Deutschland 2008). Beim Vergleich der Performanz der betrieblichen auf der internationalen Rangliste eher abgeschlagen auf den Weiterbildung in den Niederlanden und Deutschland zeigt hinteren Rängen. Dieser Befund wird im vorliegenden Bei sich Folgendes: (gewerbliche Vervielfältigung, Aufnahme in elektronische Datenbanken, Veröffent- Diese Datei und ihr Inhalt sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Verwertung trag zum Anlass genommen, die institutionalisierte Koope ration von Tarifparteien und Staat in der beruflichen Wei (1) Das Weiterbildungsangebot der Unternehmen in terbildung näher zu betrachten. Ein zentrales Element Deutschland ist vergleichsweise gering. Die Unternehmen stellen hierbei die tariflichen Branchenfonds zur Weiterbil konzentrieren ihre betriebliche Weiterbildung auf relativ dungsfinanzierung dar. Während diese in der tariflichen wenige Beschäftigte, die Dauer der Maßnahmen ist kurz Weiterbildungspolitik Deutschlands nur eine marginale und die direkten Aufwendungen je Teilnehmenden sind Rolle spielen, bilden Branchenfonds in den Niederlanden niedrig. Beim Angebot an arbeitsplatzintegrierten und ar das Fundament für eine branchenbezogene Koordination beitsplatznahen Formen platziert sich Deutschland aller lichung online oder offline) sind nicht gestattet. beruflicher Weiterbildungspolitik. dings wesentlich besser. Die Professionalisierung der Wei terbildung in Unternehmen – zum Beispiel im Hinblick auf die Bedarfsermittlung, die Weiterbildungsplanung, die Aufstellung eines Weiterbildungsbudgets und die Evaluie rung – lässt in Deutschland nur einen geringen Grad an 2. Betriebliche Weiterbildung in Systematisierung erkennen. © WSI Mitteilungen 2012 Deutschland und in den (2) Die Unternehmen in den Niederlanden weisen bei den Niederlanden wichtigsten Indikatoren höhere Werte als die deutschen Die betriebliche Weiterbildung ist der wichtigste Bereich Unternehmen auf: Sie bieten überdurchschnittlich häufig der beruflichen Weiterbildung und eine der Hauptmaßnah betriebliche Weiterbildung in der Form von internen und men zur fortwährenden Anpassung der Kompetenzen der externen Lehrveranstaltungen an. An diesem Angebot neh 3 82 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2012-5-382 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 08.11.2021, 02:31:22. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
wsi mitteilungen 5/2012 men zwar relativ wenige Beschäftigte teil, die Intensität der Länder lassen sich danach einteilen, ob das System der be betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen und die direkten ruflichen Weiterbildung eher kooperativ ausgerichtet ist – Aufwendungen je Teilnehmenden sind allerdings hoch. Bei die einzelnen oben genannten Bereiche der beruflichen den arbeitsplatzintegrierten und arbeitsplatznahen Formen Weiterbildung sind institutionell miteinander verzahnt – liegen die Unternehmen in Deutschland jedoch vor den oder eher segmentiert – es existiert eine institutionelle Tren niederländischen. Die Professionalisierung der Weiterbil nung zwischen den einzelnen Bereichen der beruflichen dung in niederländischen Unternehmen ist wie in Deutsch Weiterbildung. land auch nicht sehr ausgeprägt. In unterschiedlicher Weise sind z. B. in Dänemark und den Niederlanden die Akteure im Bereich der beruflichen In diesem Beitrag wird argumentiert, dass ein wichtiger Weiterbildung – Staat, Unternehmen, Gewerkschaften, Indi Grund für die insgesamt gesehen bessere Performanz der viduen und Bildungsträger – in ein komplexes System kom betrieblichen Weiterbildung in den Niederlanden im Ver binierter Verantwortlichkeiten für die berufliche Weiterbil gleich zu Deutschland auch in der überbetrieblichen Ko dung eingebunden. Dagegen liegen z. B. in Deutschland und operation und Koordination von Staat und Tarifparteien in auch Österreich die Verantwortlichkeiten der beruflichen der beruflichen Weiterbildung liegt. Weiterbildung bei den jeweiligen Akteuren selbst: In diesen Ländern ist der Staat verantwortlich für die Weiterbildung 2.1 Kooperation und Koordination in der der Arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeit beruflichen Weiterbildungq nehmerinnen und Arbeitnehmer, die Unternehmen für die betriebliche Weiterbildung und die Individuen für ihre eige Mit dem Ansatz der „Comparative Political Economy of Skill ne berufliche Weiterbildung. Das Prinzip der Subsidiarität Formation (CPE-SF)“ entwickelte sich in den letzten Jahren (Verantwortung im eigenen Bereich) ist vor allem in Deutsch eine Forschungsrichtung, die sich primär mit der Investition land sehr stark entwickelt (Moraal 2007). in und Entwicklung von (gesellschaftlichem) Humankapital In einer vergleichenden Länderanalyse haben Tram- und deren Zusammenhängen mit der Entwicklung anderer pusch/Eichenberger (2011) erstmalig systematisch den Ein politisch-ökonomischer Institutionen wie dem Wohlfahrts fluss von institutionellen und politischen Rahmenbedin staat, der Unternehmenskontrolle, den industriellen Bezie gungen auf die tarifliche Weiterbildungspolitik und ihre hungen und Finanzsystemen beschäftigt. Das berufliche Finanzierung untersucht. Die Autoren stellen heraus, dass Bildungssystem in Deutschland als auch in den Niederlan bei der Genese und Implementierung tariflicher Weiterbil den wird als ein System typisiert, in dem kooperativ und dungspolitik fünf Rahmenbedingungen eine wichtige Rol koordinierend die nötigen Qualifikationen und Fähigkeiten le spielen (Trampusch/Eichenberger 2011, S. 18): hergestellt werden (collective skill formation system). Die Akteure in der beruflichen Bildung (Staat und Tarifparteien) – „das Vorhandensein einer unterstützenden und fördern kooperieren in der Organisation, Durchführung, Finanzie den Rolle des Staates, rung und Evaluierung (Busemeyer 2009; Busemeyer/Tram – die größere Bereitschaft kleiner Unternehmen und ihrer pusch 2011; Trampusch/Eichenberger 2011). Zwischen den Organisationen, sektorale Qualifizierungstarifverträge ab beiden Ländern existieren deutliche Unterschiede bei der zuschließen, Kooperation und Koordination der Tarifparteien und des – die Bereitschaft der Gewerkschaften, eher tarifliche Qua Staates in der beruflichen Bildung. Während in Deutschland lifizierungstarifverträge abzuschließen statt rechtliche Re eine ausgeprägte, gesetzlich festgelegte Zusammenarbeit der gelungen zu präferieren, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in der berufli – die gemeinsame Bereitschaft der Tarifparteien, die Quali chen Ausbildung besteht, kooperieren diese Akteure bei der fizierung in den Lohnverhandlungen aufzunehmen sowie beruflichen Weiterbildung nur im Bereich der wenigen – die Konsens- und Kooperationskultur zwischen den Ta staatlich anerkannten Fortbildungsabschlüsse miteinander. rifparteien.“ In den Niederlanden arbeiten Staat und Tarifparteien auf der Grundlage allgemeingültig erklärter tariflicher Verein Diese fünf Rahmenbedingungen zeigen, dass es die Bereit barungen sowohl in der beruflichen Ausbildung als auch in schaft der Akteure (vor allem Staat und Tarifparteien) zur der Weiterbildung zusammen. Kooperation und Koordination ist, die die Entstehung Grundsätzlich gilt für beide Länder, dass drei Teilbereiche der beruflichen Weiterbildung identifiziert werden können: q Vgl. hierzu das BIBB-Forschungsprojekt „Berufliche Weiter- – der Bereich der betrieblichen Weiterbildung, bildung: Ursachen möglicher Unterinvestitionen und Anrei- – der Bereich der individuellen beruflichen Weiterbildung, ze für Betriebe und Beschäftigte“ – Arbeitspaket IV „Tarifli- – der Bereich der Weiterbildung für Arbeitslose und von che Weiterbildungspolitik in Deutschland und in den Nie- derlanden“, in dem u .a. die Wirksamkeit umlagefinanzierter Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmerinnen und Arbeit Tariffonds in Deutschland und den Niederlanden unter- nehmer als Teil der aktiven Arbeitsmarktpolitik (Sau sucht werden (https://www2.bibb.de/tools/fodb/pdf/ ter 1989). zw_23301.pdf; letzter Zugriff: 15.05.2012). https://doi.org/10.5771/0342-300X-2012-5-382 383 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 08.11.2021, 02:31:22. 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aufsätze Übersicht 1 der Chemieindustrie eigenständige Qualifizierungstarifver träge abgeschlossen worden (vgl. z.B. Bahnmüller 2012). Der Entwicklung der Qualifizierungstarifverträge in Deutschland Regelungsschwerpunkt liegt beim Bedarfsermittlungs-, Pla nungs- und Gestaltungsprozess der betrieblichen Weiterbil Eigenständige Qualifizierungstarifverträge, in denen z. B. Wei- dung unter Beteiligung des Betriebsrats (Übersicht 2). Ein Die letzten 10 Jahre terbildungszeiten, Weiterbildungspflichten des Arbeitgebers, zentrales Instrument ist dabei der Anspruch der Beschäftig Kostenübernahme oder Bedarfsermittlung geregelt wurden. ten auf ein regelmäßiges Qualifizierungsgespräch. 1980er/1990er Jahre Qualifikationsförderliche Gestaltung der Arbeitsorganisation Bei der Mehrzahl der Qualifizierungstarifverträge ka und Entgeltsysteme. men die Tarifparteien überein, dass betriebliche Weiterbil 1970er/1980er Jahre „Qualifizieren statt entlassen“ – Verknüpfung betrieblicher Inves- dung einzelbetrieblich vom Arbeitgeber zu finanzieren ist, titionsplanungen mit vorausschauender Qualifizierungsplanung. während bei „persönlicher beruflicher“ Weiterbildung die 1960er/1970er Jahre Fortbildung und Umschulung zur Abfederung rationalisierungs- Beschäftigten die Kosten zu tragen haben. Tarifliche Rege bedingter Entlassungen lungen zur Einrichtung umlagefinanzierter Weiterbildungs Quelle: BIBB-Forschungsprojekt „Berufliche Weiterbildung: Ursachen möglicher Unterinvestitionen fonds stellen eher die Ausnahme dar. So umfassen die Qua und Anreize für Betriebe und Beschäftigte“ – Arbeitspaket IV „Tarifliche Weiterbildungspolitik in lifizierungstarifverträge der letzten Jahre etwa 5 Mio. Deutschland und in den Niederlanden“, https://www2.bibb.de/tools/fodb/pdf/zw_23301.pdf (letzter Zugriff 15.05.2012). Beschäftigte (Bahnmüller/Hoppe 2011), in den Geltungs bereich umlagefinanzierter Tariffonds fallen jedoch nur knapp 100.000 Beschäftigte. Diese wurden in den kleineren Übersicht 2 Branchen des Gerüstbaugewerbes, der Textil- und Beklei dungsindustrie und bestimmten Tarifregionen der Land- Regelungsinhalte von Qualifizierungstarifverträgen in Deutschland und Forstwirtschaft eingerichtet. Bahnmüller (2009, S. 13) beschreibt drei Vorteile dieser überbetriebliche Unterstützungsstrukturen überbetrieblichen Tariffonds. Durch die paritätische Betei selten – Branchenfonds ligung von Arbeitgebern und Gewerkschaften orientieren – gemeinsame Institutionen zur Weiterbildungsförderung sich Finanzierungsentscheidungen weniger an Einzelinte selten und mit quantifizierte Weiterbildungsansprüche der Beschäftigten bei ressen, sondern mehr am Bedarf der gesamten Branche. Sie Einschränkungen Lohnfortzahlung ermöglichen eine Weiterbildungsfinanzierung unabhängig von konjunkturellen Schwankungen und der aktuellen wirt generelle Verfahrensweisen – Verfahren zur Ermittlung des Weiterbildungsbedarfs schaftlichen Lage eines Betriebes. Gerade kleinere Einzel häufig – Förderung spezifischer Beschäftigtengruppen betriebe werden über die Tariffondsverwaltungen nicht nur – Mitarbeitergespräche – Zeiten für Weiterbildungsmaßnahmen finanziell, sondern auch bei der Organisation von Weiter – Voraussetzung für den Abschluss von Betriebsvereinbarungen bildung entlastet. Der Anspruch, Qualifizierung von Fachkräften nicht Quelle: BIBB-Forschungsprojekt „Berufliche Weiterbildung: Ursachen möglicher Unterinvestitionen mehr als einzelbetriebliches Problem, sondern als Heraus und Anreize für Betriebe und Beschäftigte“ – Arbeitspaket IV „Tarifliche Weiterbildungspolitik in forderung für die gesamte Branche anzusehen, wird von den Deutschland und in den Niederlanden“, https://www2.bibb.de/tools/fodb/pdf/zw_23301.pdf (letzter Zugriff 15.05.2012). bestehenden Tariffonds unterschiedlich eingelöst. So wurde bei der Umsetzung des Qualifizierungsvertrags in der Textil- und Bekleidungsindustrie von Arbeitgeberseite darauf ver zichtet, „die Mittel auf Projekte und Maßnahmen zu lenken, und langfristige Implementierung der tariflichen Weiter die darauf ausgelegt sind, den künftigen Qualifikationsbe bildungspolitik vor allem bestimmt. Im Folgenden gehen darf der Branche zu identifizieren und entsprechende Maß wir nach einem kurzen Überblick über die tarifliche Wei nahmen zu konzipieren und zu realisieren“ (Bahnmüller/ terbildungspolitik in Deutschland näher auf die zentralen Jentgens 2005, S. 92). Hingegen verfolgt die Gewerkschafts Dimensionen der tariflichen Weiterbildungspolitik in den seite durchaus das Ziel, den branchenspezifischen Qualifi Niederlanden ein. kationsbedarf zu klären. Inwieweit der tarifvertragliche Fi nanzierungsfonds hierzu beitragen kann, scheint jedoch noch nicht festzustehen (Bahnmüller/Jentgens 2005, S. 93). Die Orientierung am branchenspezifischen Qualifikati onsbedarf war ein zentraler Regelungsgegenstand des Tarif 3. Tarifliche Weiterbildungspolitik vertrags über die Berufsbildung im Gerüstbaugewerbe. „So in Deutschland vereinbarten die Tarifparteien in dem Tarifabkommen nicht nur die Finanzierungsmodalitäten, sondern auch die Fort Tarifvereinbarungen, die in Deutschland Fragen der Quali bildungsmaßnahmen (wie z. B. geprüfter Gerüstbau-Kolon fizierung regeln, reichen bis in die 1960er Jahre zurück nenführer), die über den Tariffonds gefördert werden sollten“ (Übersicht 1). Im letzten Jahrzehnt sind insbesondere in den (Berger et al. 2012, S. 52). Einen branchenspezifischen As großen Tarifbereichen der Metall- und Elektroindustrie und pekt hat auch der Tariffonds in der Forstwirtschaft Nieder 3 84 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2012-5-382 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 08.11.2021, 02:31:22. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
wsi mitteilungen 5/2012 sachsens bzw. in der Land- und Forstwirtschaft Schleswig- tiert und in der Durchführung als „unkompliziert“ be Holsteins. Hierüber werden nicht nur die Beschäftigten, schrieben (Bahnmüller/Hoppe 2011, S. 7). Dennoch gelten sondern auch die Weiterbildung der Arbeitnehmer wird sie bei den Arbeitgebern nicht als zukunftsweisendes Ins gefördert, die in der Branche beschäftigt waren und eine trument zur Lösung des Finanzierungsproblems in der Wei forstwirtschaftliche Tätigkeit fortsetzen wollen (Berger et al. terbildung (vgl. auch im Folgenden Bahnmüller 2012). Die 2012, S. 51; vgl. ausführlicher Übersicht 3 und Tabelle 1) se ablehnende Haltung der Arbeitgeberseite führt dazu, Der Vorteil der Konjunkturunabhängigkeit der Weiter dass auch die Gewerkschaftsseite wenig Anlass sieht, in bildungsfinanzierung besteht bei den drei Tariffonds inso dieser Richtung initiativ zu werden, zumal in der Mehrzahl fern, als wirtschaftliche Krisen nicht unmittelbar auf die der Qualifizierungstarifverträge die einzelbetriebliche Fi Weiterbildungsfinanzierung der Betriebe durchschlagen. nanzierung der betrieblichen Weiterbildung durch den Ar Dennoch sind die zur Verfügung stehenden Fondsmittel beitgeber festgeschrieben ist und hiermit im Interesse der auch von der Wirtschaftslage abhängig, weil die Beitrags Beschäftigten ein Kompromiss erzielt wurde, von dem die zahlungen an die betriebliche Beschäftigtenzahl bzw. an die Gewerkschaft ungern wieder abrückt. Ferner ist zu beden Bruttogehälter geknüpft sind. Der Vorteil der überbetrieb ken, dass tarifliche Fondslösungen zur Weiterbildungsfi lichen Unterstützungsstrukturen für kleinere Betriebe wird nanzierung bislang oft dann erst zustande kamen, wenn die am Beispiel des Gerüstbaugewerbes deutlich. Hier bietet Gewerkschaften ihrerseits auf andere Forderungen verzich die Tariffondsverwaltung (Sozialkasse des Gerüstbaugewer teten. Angesichts der in den letzten Jahren teilweise einge bes) neben der Weiterbildungsfinanzierung auch eine or tretenen Reallohnverluste gilt ein derartiger Entgeltverzicht ganisierte Kooperation mit überbetrieblichen Berufsbil zugunsten der Weiterbildung den Gewerkschaftsmitglie dungseinrichtungen an, die die Betriebe in die Lage versetzt, dern derzeit als kaum vermittelbar. Umlagefinanzierte Ta ihren Beschäftigten die erforderliche Fortbildung anzubie riffonds zur Weiterbildungsfinanzierung werden derzeit ten (Berger et al. 2012, S. 52). denn auch nur von IG Metall und ver.di für die Leiharbeits In den drei Branchen, in denen Tariffonds eingerichtet branche diskutiert. Der Schwerpunkt gewerkschaftlicher sind, werden sie von den Tarifparteien weitgehend akzep Weiterbildungspolitik dürfte künftig eher in der Stär Übersicht 3 Tarifliche Branchenfonds zur Weiterbildungsfinanzierung* in Deutschland Textil- und Bekleidungsindustrie Land- und Forstwirtschaft Gerüstbaugewerbe Im Wirtschaftsbereich Textil und Bekleidung haben sich die Tarifparteien von drei kleinen Im Jahr 2001 vereinbarten die Der finanziell bedeutendste Branchen auf überbetriebliche Fondslösungen zur Weiterbildungsfinanzierung geeinigt. Tarifparteien der Forstwirtschaft in Tariffonds ist die Sozialkasse Niedersachsen und der Land- und im Gerüstbaugewerbe (Berger Miederindustrie Forstwirtschaft in Schleswig-Hol- et al. 2012). Die Tarifvertrags- Zu Beginn des Jahres 2012 trat die neu verhandelte Tarifvereinbarung zur überbe- stein die Errichtung von Qualifizie- parteien des Gerüstbauge- trieblichen Fondsfinanzierung der Weiterbildung in der Miederindustrie in Kraft. Erst- rungsfonds. werbes vereinbarten dieses mals wurde dieser Tariffonds im Jahr 1963 ausgehandelt und seitdem immer wieder tarifliche Fondsmodell im verlängert. Hierbei verpflichten sich die Arbeitgeber, einen bestimmten Prozentsatz Die Modalitäten beider Tarifver- Jahr 1981. Aus der Sozialkas- der Bruttolohn- und Gehaltssumme in einen Fonds zur Altersversorgung, Bildung träge basieren auf dem für das se werden die tarifvertraglich und Gesundheitsförderung der Arbeitnehmer einzuzahlen. ostdeutsche Tarifgebiet Mitte der geregelten Sozialleistungen Textil Service 1990er Jahre vereinbarten tarifli- einschließlich der Kosten In der Branche Textil Service trat im Jahr 2009 ein Tarifvertrag in Kraft, bei dem der chen „Qualifizierungsfonds“ der für die berufliche Aus- und Industrieverband Textil Service-intex-e.V. und die IG Metall übereinkamen, „die Aus-, Land- und Forstwirtschaft. Weiterbildung finanziert. För- Fort-, Weiterbildung, präventiven Gesundheitsschutz sowie die Altersversorgung der derfähig sind nach Tarifvertrag Beschäftigten zu fördern“. Die intex-Mitgliedsbetriebe verpflichten sich zu diesem Die Besonderheit dieses Fonds dieser Branche ausschließlich Zweck, jährlich 35 € je Beschäftigten an einen Verein zur Verwaltung des Tariffonds bestand darin, dass über ihn die Fortbildungslehrgänge abzuführen. Qualifizierungsmaßnahmen ge- zum geprüften Gerüstbau- fördert wurden, die sich auch an Kolonnenführer, zur Vorbe- Textil- und der Bekleidungsindustrie ehemalige Beschäftigte in der reitung auf die Ausbildereig- Der Tarifvertrag zur Förderung von Aus-, Fort- und Weiterbildung der Beschäftigten Land- und Forstwirtschaft richteten nungsprüfung und zur Ab- trat im Jahr 1997 in Kraft. Zentrale Elemente dieses Tarifvertrags sind die Regelung und die eine Wiederaufnahme der schlussprüfung Gerüstbauer/ eines individuellen Weiterbildungsanspruchs für die Beschäftigten bei gleichzeitiger land- und forstwirtschaftlichen Gerüstbauerin gemäß §45 Begrenzung des jährlichen Anspruchs auf maximal 2 % der Belegschaft und die Ein- Tätigkeit anstrebten. Mit Datum Abs. 2 Berufsbildungsgesetz. führung eines paritätisch verwalteten Bildungsfonds. Die Fondsmittel stehen jeweils vom 10.11.2006 wurde der Qualifi- zur Hälfte für arbeitgeberseitig und für arbeitnehmerseitig veranlasste Weiterbildung zierungsfonds der Land- und Forst- zur Verfügung (Bahnmüller/Jentgens 2005). wirtschaft e.V. liquidiert. * Die Nutzung der hier aufgeführten Tariffonds ist weder im Gerüstbau noch bei den Fonds der Textilbranchen auf die alleinige Weiterbildungsfinanzierung fokussiert. Sie dient teilweise auch der Ausbildungsfinanzierung sowie der Förderung anderer tariflich festgelegter Sozialleistungen (Berger et al. 2012). Quelle: Zusammenstellung der Autoren. https://doi.org/10.5771/0342-300X-2012-5-382 385 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 08.11.2021, 02:31:22. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
3 86 aufsätze Tabelle 1 Eckdaten tariflicher Branchenfonds zur Weiterbildungsfinanzierung in Deutschland für das Jahr 2011 Textilbranche Land- und Forstwirtschaft Gerüstbaugewerbe Tarifvertrag zur Förderung von Aus-, Fort- Tarifvertrag zur Sicherung Tarifvereinbarung über Qualifizierungs- Qualifizierungs- Sozialkasse des Gerüst- und Weiterbildung der Beschäftigten der u. Förderung der Beschäf- die Errichtung eines Ver- fonds Land- und fonds Forstwirt- baugewerbes Textilindustrie und der Bekleidungsindust- tigung, der Wettbewerbs- eins und einer Stiftung Forstwirtschaft in schaft Niedersach- (Angaben für 2010) rie fähigkeit u. zur tarifpoliti- für die Arbeitnehmerin- Schleswig-Holstein sen schen Zusammenarbeit in nen und Arbeitnehmer in der Branche Textil Service der Miederindustrie arbeitgeberseitig* arbeitnehmerseitig* Anzahl der tarif- 357 372 15 3 1.802 ca. 300 2.864 gebundenen Betriebe Arbeitnehmer im Tarifbereich 49.301 41.107 10.691 1.746 4.467 k. A. 20.000 Monatlicher Bei- trag von 5,11 € je Monatlicher Bei- Jährliche Pauschale von 12,50 € pro Be- Arbeitnehmer, trag: 5,– € für den 2,5 % der Bruttolohnsum- 35,– € je Beschäftigten 3,4 % der jährl. Brutto- Tarifliche Beitragsregelung schäftigten, denen ein zusätzliches Ur- 70 % trägt der Arbeitgeber und me für Aus- und Fortbil- pro Jahr a) lohn- u. Gehaltssumme a) https://doi.org/10.5771/0342-300X-2012-5-382 laubsgeld gezahlt wird Arbeitgeber und 3,– € für den dung 30 % der Arbeitnehmer Generiert durch IP '46.4.80.155', am 08.11.2021, 02:31:22. Arbeitnehmer b) Weiterbildungsbudget 2010 Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Gesamt (inkl. Mittel aus 539.770 € 511.573 € 534.600 € 198.000 € 190.000 € ca. 35.000 € 10.200.000 € c) Vorjahren) Genutzte Mittel 353.723 € 249.293 € 234.356 € 198.000 € 155.000 € k. A. 1.760.000 € Anzahl der Betriebe, die Fondsmittel beansprucht 102 k.A. 11 3 k.A. 28 160 haben Anzahl der Arbeitnehmer, die den Fonds beansprucht 972 314 723 272 580 43 281 haben * Die Fondsverwaltung der Arbeitgeber und Gewerkschaften gaben zur Anzahl der tarifgebundenen Betriebe und Arbeitnehmer unterschiedliche Auskünfte. a) Beiträge werden für Altersversorgung, Bildung, Kur und Erholungsmaßnahmen genutzt, es besteht eine Vorteilsregelung für IG-Metall-Mitglieder. b) In der Regel tragen die Arbeitgeber den Gesamtbeitrag. c) Für berufliche Aus- und Weiterbildung zur Verfügung stehender Betrag. Quelle: Auskünfte der Fondsverwaltungen, Zusammenstellung der Autoren.
wsi mitteilungen 5/2012 kung der Mitarbeiter- und Betriebsratsbeteiligung bei Be führt. Diese Branchenfonds erfassten 1997 1,5 Mio. Be darfsermittlung und Weiterbildungsplanung, bei der Stär schäftigte und verfügten über Einnahmen in Höhe von kung der Weiterbildungsansprüche der Beschäftigten sowie 300 Mio. €, davon wurden 100 Mio. € für Maßnahmen der in dem Ansatz liegen, Qualifizierungsfragen mit dem Ent betrieblichen Weiterbildung verwendet. Bis 2002 stieg die lohnungssystem zu verbinden. Zahl der Branchenfonds auf 99 und erreichte damit mehr als 40 % aller Beschäftigten – ungefähr 2,5 Mio. (Waterreus 2002). Der jährliche Umsatz der Branchenfonds stieg auf 600 Mio. € an, davon wurden zwei Drittel für Maßnahmen im Bereich der betrieblichen Weiterbildung, für die duale 4. Tarifliche Weiterbildungspolitik in Lehrlingsausbildung und für Beschäftigungsprojekte ge den Niederlanden nutzt. Die Maßnahmen im Bereich der betrieblichen Wei terbildung sind dabei mit 250 Mio. € die wichtigste Ausga Die tarifliche Weiterbildungspolitik ist in den Niederlanden benkategorie. Mitte 2007 gab es 140 Branchenfonds, von in den letzten Jahrzehnten im Gegensatz zu Deutschland ein denen die übergroße Mehrheit an einen Tarifvertrag gebun integrativer Teil des niederländischen Berufsbildungssystems den war. Die Anzahl der Fonds ändert sich ständig. Es wer geworden. Im Nachfolgenden wird die tarifliche Weiterbil den neue gegründet, es kommt zu Fusionen und manchmal dungspolitik anhand ihrer zentralen Aspekte beschrieben. wird ein Fonds eingestellt. Von den 6,9 Mio. Beschäftigten in den Niederlanden fallen zurzeit insgesamt 5,9 Mio. – 4.1 Genese oder 86 % – in die Zuständigkeit eines O&O-Fonds (Don ker van Heel et al. 2008). Damit ist die tarifliche Weiterbil Als Folge der rezessiven Phase in den Niederlanden Ende dungspolitik ein zentraler Teil der beruflichen Weiterbil der 1970er Jahre stieg die (strukturelle) Arbeitslosigkeit stark dung geworden. an. Die Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen ver einbarten in dieser Periode Maßnahmen, um Unternehmen 4.3 Akteure und Beschäftigte zukünftig weniger anfällig für die ökono mische konjunkturelle Entwicklung zu machen (aktive Be Grundsätzlich gilt für die berufliche Bildung in den Nieder schäftigungspolitik). Tarifverträge beinhalteten seit den landen, dass die berufliche Erstausbildung in der kombinier 1960er Jahren sukzessive immer mehr Regelungen, die über ten Verantwortung des Staates und der Tarifparteien liegt die reinen tariflichen Regelungen von Löhnen hinausgehen. und die betriebliche Weiterbildung in der Verantwortung Bereits in den 1960er Jahren wurden solche tariflichen Frei der Tarifparteien. Die Unternehmen bzw. die Tarifparteien räume (loonruimte) – unter anderen Voraussetzungen und sind also für die betriebliche Weiterbildung verantwortlich. aus anderen Gründen – in den Tarifverträgen vereinbart. In den Niederlanden gibt es im Gegensatz zu Frankreich Die Unternehmer zahlten 10 Gulden pro Beschäftigten in keine nationale Gesetzgebung über die betriebliche Weiter einen sektoralen Finanzierungstopf („loontientje“). Diese bildung. Die Tarifverträge und auch die darin enthaltenen Gelder finanzierten damals u. a. bereits Qualifizierungsmaß Sozialfonds (auch die Bildungsfonds) werden nachträglich nahmen. Anfang der 1980er Jahre wurden Tarifverträge vom Staat für die jeweiligen Branchen für allgemeinverbind vereinbart, die einen politischen Tausch zwischen Arbeitge lich erklärt, eine staatliche Einflussnahme auf die betriebli ber und Gewerkschaften beinhalteten: Im „Akkoord van che Weiterbildung erfolgt damit eher indirekt. Wassenaar“ (Hassel 1998) wurde eine restriktive Lohnent wicklung im Tausch für nicht lohnbasierte Zugeständnisse 4.4 Akzeptanz vereinbart. Mitte der 1980er Jahre entstanden daraus die sogenannten Sozialfonds. Als eine Form der Sozialfonds Als Folge der wachsenden (strukturellen) Arbeitslosigkeit wurden die O&O-Fonds (Ausbildungs- und Entwicklungs seit dem Ende der 1970er Jahre ergriff die niederländische fonds) eingerichtet (Trampusch 2004). Diese Fonds sind Regierung in Zusammenarbeit mit den Tarifparteien eine zumeist tarifvertraglich geregelt und sollen teilweise zur Lö Vielzahl von Maßnahmen. Neue Gesetze folgten in schnel sung eines zentralen Problems der Aus- und Weiterbildung lem Tempo aufeinander. Die niederländische Arbeitsver beitragen (Poaching): Unternehmen, die nicht aus- und/oder waltung wurde unter Beteiligung der Tarifparteien privati weiterbilden, werben ausgebildete Fachkräfte von aus- und/ siert und ein neues Gesetz zur Regelung der Erwachsenen oder weiterbildenden Unternehmen ab (Waterreus 1997, bildung eingeführt. Auch die entstandenen O&O-Fonds 2002; Mooij/Houtkoop 2005; Donker van Heel et al. 2008). schafften Anreize für Arbeitgeber, in Bildung zu investieren. Durch die umlagefinanzierte Ausgleichsregelung beteiligen 4.2 Reichweite sich hier alle Unternehmen an der Finanzierung der Quali fizierung, auch diejenigen, die ihre Mitarbeiter nicht quali 1997 gab es 72 Branchenfonds (Waterreus 1997). 40 der 66 fizieren. Bildungsaktive Unternehmen erhalten dafür eine damals untersuchten Branchenfonds haben Maßnahmen finanzielle Kompensation. Die in 30 Jahren gewachsene der betrieblichen Weiterbildung unterstützt und durchge Akzeptanz der Branchenfonds ist groß. Dennoch wur https://doi.org/10.5771/0342-300X-2012-5-382 387 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 08.11.2021, 02:31:22. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
aufsätze de vor einigen Jahren kritisiert, dass die Branchenfonds zu Branchen und Unternehmen geht, über die O&O-Fonds wenig von ihren Mitteln ausgeben. Um das Jahr 2000 hatten beantragt und verwaltet werden. Schätzungen zufolge in viele der Fonds große Reserven aufgebaut. Inzwischen sind vestieren O&O-Fonds pro Jahr etwa 600 Mio. €, davon diese Reserven aufgebraucht. Momentan hält die Mehrzahl 250 Mio. zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit bzw. der Fonds eine Mindestreserve in Höhe der erwarteten Qualifizierung. Ausgaben pro Jahr. Dies wurde durch einen proaktiven Ansatz erreicht, sowohl was die berufliche Qualifizierung 4.7 Spektrum der Aktivitäten der O&O-Fonds und den Einsatz von Bildungsberatern betrifft als auch im Hinblick auf die Definition eines breiteren Aufgabenspekt Die O&O-Fonds können für unterschiedliche Aktivitäten rums und durch Anpassungen bei der Höhe der Umlage, die in den Branchen genutzt werden, so z. B. für Information, die Unternehmen in Form eines Teils der Lohnsumme an Forschung, Beschäftigung von Arbeitslosen, Aus- und Wei die O&O-Fonds abführen müssen. terbildung. Zentrale Aufgabe ist allerdings die tätigkeitsbe zogene Qualifizierung. Etwas mehr als 60 % der Fonds set 4.5 Kooperationsformen zen finanzielle Mittel ein, um Beschäftige in die Lage zu versetzen, die aktuelle Tätigkeit besser ausführen zu können. Die nationale Politik in den Niederlanden zielt zunehmend An zweiter Stelle, jedoch immer noch mit 50 %, kommt die darauf ab, die Verantwortung im Bereich der beruflichen entwicklungsgerichtete Qualifizierung. Dabei handelt es Bildung auf die regionalen und lokalen Behörden zu verla sich um Qualifizierung, die im Prinzip den Übergang zu gern. Auf der regionalen Ebene sind die Berufsbildungs einer anderen, eventuell höherwertigen, Tätigkeit ermög zentren (ROC, regionale opleidingscentra), die lokalen Ar licht. Die Grenzen zwischen diesen beiden Formen der beitsverwaltungen und auch die Unternehmen die Qualifizierung sind jedoch fließend. An dritter Stelle stehen wichtigsten Akteure im Bereich der beruflichen Weiterbil mit 37 % Verfahren zur Feststellung non-formal und infor dung, die durch nationale (Wirtschaftsministerium, Bran mell erworbener beruflicher Kompetenzen. Sie ermögli chenfonds) und/oder europäische Einrichtungen wie den chen den Beschäftigten, die während ihrer beruflichen Tä Europäischen Sozialfonds (ESF) ko-finanziert werden. In tigkeit erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten formal einigen Fällen wurden verschiedene Formen regionaler anerkennen zu lassen, was den Übergang in eine andere Vereinbarungen entwickelt. Die meisten der bestehenden Tätigkeit in der eigenen Branche oder den Wechsel in eine regionalen Vereinbarungen sind aber auf Branchenebene andere Branche vereinfacht. Die sektoralen O&O-Fonds abgeschlossen (Branche-Region-Kombinationen). Die ta unterstützen auch vermehrt Bildungsmaßnahmen für Be rifliche Weiterbildungspolitik beinhaltet daher verschiede schäftigte, die in eine andere Branche wechseln. In einigen ne Formen der Zusammenarbeit: Bildungsnetzwerke, ge Branchen wurden zusätzliche Vereinbarungen verabschie meinsame Bildungspolitik, Bildungsvereinbarungen, det. Diese umfassen u. a. Fonds für spezifische Zielgruppen, Regelungen zur Steuerung von Bildungsangebot und -nach wie z. B. Frauen, Langzeitarbeitslose, Beschäftigte ohne oder frage, Finanzierungslösungen usw. mit einer geringen Ausbildung oder ausländische Beschäf tigte. Die Tarifparteien in den Branchen, in denen Bildungs 4.6 Finanzierung vereinbarungen getroffen wurden, sind in die Aus- und Weiterbildung stark involviert. Die sektoralen O&O-Fonds Die bei Weitem wichtigste Finanzierungsquelle der O&O- sind außerdem ein wichtiges Instrument zur Förderung der Fonds bilden die Abgaben der Unternehmen der jeweiligen betrieblichen Weiterbildung in Klein- und Mittelunterneh Branche. 2005 lagen diese bei durchschnittlich 0,67 % der men. In den Anfangsjahren der Bildungsfonds war die Nut Lohnsumme. Zwischen den Branchen und branchenintern zung durch Klein- und Mittelunternehmen noch gering. gibt es große Unterschiede. So variiert in der Metallverar Dies hat sich seit Ende der 1990er Jahre deutlich verbessert. beitungsbranche der für das Jahr 2010 geltende Prozentsatz Insgesamt sind das Weiterbildungsangebot und die Weiter zwischen 0,15 % für die Subbranche „Tankstellen und Au bildungsteilnahme in den Niederlanden und besonders towaschanlagen“ und 1,0 % für die Subbranche der „Tech auch in den Klein- und Mittelunternehmen stark gestiegen. nischen Installationsbetriebe“. Die Prozentsätze werden im Rahmen von Tarifverhandlungen ausgehandelt und festge legt. Eine zweite Finanzierungsquelle stellen die staatlichen Fördermittel dar. Dabei handelt es sich fast immer um eine zeitlich befristete Förderung. In den vergangenen Jahren 5. I st die fondsfinanzierte tarifliche waren dies beispielsweise Projektförderungen zur Verbes Weiterbildungspolitik für Deutsch serung einer altersgerechten Personalpolitik sowie Mittel land eine politische Option? für das Zustandekommen von Vereinbarungen zum Ge sundheits- und Arbeitsschutz. Eine dritte Finanzierungs Im Vergleich mit den europäischen Ländern, die eine ähn quelle sind ESF-Mittel. Die Regierung hat beschlossen, dass liche sozio-ökonomische Struktur aufweisen, ist die betrieb diese Gelder, zumindest soweit es dabei um Projekte in den liche Weiterbildung in Deutschland deutlich schlechter 3 88 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2012-5-382 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 08.11.2021, 02:31:22. 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wsi mitteilungen 5/2012 aufgestellt als in den Niederlanden. In diesem Beitrag wur sende Handlungsoption erblicken (Trampusch/Eichenber de argumentiert, dass dies daran liegen kann, dass das je ger 2011). Bahnmüller (2012) weist in einer aktuellen Ex weilige System der beruflichen Weiterbildung eher koope pertise darauf hin, dass Fondsmodelle in den großen rativ ausgerichtet oder eher segmentiert ist. Tarifbereichen der Metall- und Elektroindustrie von Arbeit Zwischen den beiden Ländern existieren deutliche Un geberseite nach wie vor abgelehnt werden. Auch für große terschiede bei der Kooperation und Koordination der Ta Gewerkschaften wie die IG Metall in Baden-Württemberg rifparteien und des Staates in der beruflichen Bildung. Wäh stellen sie derzeit keine tarifpolitische Option dar. rend in Deutschland eine ausgeprägte, gesetzlich Der direkte politische Transfer einer tariflichen Weiter festgelegte Zusammenarbeit der Gewerkschaften und Ar bildungspolitik, wie sie in den Niederlanden in den letzten beitgeberverbände in der beruflichen Ausbildung besteht, Jahrzehnten gewachsen ist, scheint daher für die deutschen kooperieren diese Akteure bei der beruflichen Weiterbil Akteure im Bereich der beruflichen Weiterbildung keine dung nur im Bereich der wenigen staatlich anerkannten realistische Option zu sein. Dennoch wird ein möglicher Fortbildungsabschlüsse miteinander (segmentiertes System Beitrag der Tarifpolitik zur Weiterbildungsfinanzierung in der beruflichen Weiterbildung). In den Niederlanden ar Deutschland immer wieder diskutiert. So wurde vom Bun beiten Staat und Tarifparteien auf der Grundlage allgemein desministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bereits gültig erklärter tariflicher Vereinbarungen sowohl in der im Jahr 2001 eine Expertenkommission „Finanzierung le beruflichen Ausbildung als auch in der Weiterbildung zu benslangen Lernens“ eingesetzt, die neue Förder- und Fi sammen (kooperatives System der beruflichen Weiterbil nanzierungskonzepte entwickeln sollte (BMBF 2004). Die dung). 2004 veröffentlichten Empfehlungen der Kommission gehen Die tarifliche Weiterbildungspolitik und ihre Fondsfi dabei nicht nur von einem Handlungsbedarf des Staates nanzierung in den Niederlanden bilden die Grundlage für und der Individuen aus, auch sei „der Betrieb […] für die eine koordinierte Verantwortlichkeit und Zusammenarbeit meisten erwerbstätigen Erwachsenen der wichtigste Lernort“ aller an der beruflichen Bildung beteiligten Akteure. Ihre (BMBF 2004, S. 236). Die Kommission forderte deshalb „die Entstehung war letztlich nur denkbar vor dem Hintergrund Tarifparteien und die betrieblichen Partner auf, die Instru einer erheblichen strukturellen (Jugend-)Arbeitslosigkeit mente der Arbeits- und Lernzeitkonten intensiv zu nutzen Anfang der 1980er Jahre. Erst unter diesem Druck einigten und ggf. auf tarifvertraglicher Ebene kollektive Finanzie sich Tarifparteien und Staat darauf, sozialpolitischen Maß rungsregeln zu entwickeln, wie sie etwa in der Baubranche nahmen und insbesondere auch Qualifizierungsmaßnah bekannt sind“ (BMBF 2004, S. 290). Während die Empfeh men den Vorrang vor Lohnerhöhungen zu geben. Auf lung an die Tarifparteien, tarifliche Regelungen zu Lernzei Grundlage dieses Sozialpaktes entwickelte sich in den letzten ten zu vereinbaren, im Konsens erfolgte, blieb das Instru drei Jahrzehnten unter Beteiligung des Staates eine tarifliche ment tariflicher Finanzierungsregelungen in der Kom- Weiterbildungspolitik, die bis heute die Durchführungsbe mission umstritten. Lediglich für die Leiharbeitnehmer im dingungen für das niederländische Berufsbildungssystem expandierenden Zeitarbeitsmarkt empfahl die Kommissi bestimmt. onsmehrheit die Einrichtung tariflicher Branchenfonds. Hingegen führte der ökonomisch-technologische Struk Umlagefinanzierte Tariffonds zur Weiterbildungsfinanzie turwandel in Deutschland nur in wenigen kleinen Branchen rung werden derzeit nur von IG Metall und ver.di für die zu umlagefinanzierten Tariffonds. Ähnlich wie in den Nie Leiharbeitsbranche diskutiert (Bahnmüller 2012). Jüngst derlanden wurden aber auch diese meist durch Verzicht, hat Bosch (2012) angesichts des drohenden Fachkräfteman z. B. auf eine Erhöhung des Urlaubsgeldes, möglich. Dort, gels und sinkender Weiterbildungsinvestitionen in Deutsch wo sie existieren, haben sie teilweise eine lange Tradition land erneut vorgeschlagen, über eine Fondsfinanzierung und sind von den Tarifparteien weitgehend akzeptiert. In nachzudenken. Dazu hat er ein Modell eines Weiterbil der Durchführung gelten sie als unkompliziert und tragen dungsfonds für Deutschland entwickelt, in dem sowohl die gerade auch in klein- und mittelbetrieblich geprägten Bran betriebliche als auch die individuelle Weiterbildung durch chen dazu bei, die Qualifizierung von Fachkräften nicht Umlage- und Zuschussfonds gefördert werden sollen. mehr als einzelbetriebliches Problem, sondern als Heraus Auch von Seiten der Europäischen Union gibt es aktuell forderung für die gesamten Branche zu erkennen. Initiativen, die tarifliche Weiterbildungspolitik zu fördern. Anders als in den Niederlanden, in denen der Staat an Mit Inkrafttreten der Sozialpartnerrichtlinie am 26. März der nationalen Tarifpolitik aktiv beteiligt ist, werden Tarif 2009 wurde in Deutschland erstmalig im Rahmen der ESF- vereinbarungen in Deutschland ausschließlich von den Ta Förderperiode von 2007 – 2013 eine finanzielle Förderung rifparteien in den jeweiligen Tarifbereichen geschlossen. tariflicher Vereinbarungen ermöglicht, die die Tarifpartei Ein Transfer des niederländischen Modells ist schon wegen en zur Verbesserung der beruflichen Weiterbildung und der im Grundgesetz abgesicherten Tarifautonomie, aber deren Rahmenbedingungen abgeschlossen haben (BMAS auch wegen der sektoralen Struktur der tariflichen Weiter 2009). Qualifizierungstarifverträge werden damit als wich bildungspolitik in Deutschland nicht möglich. Eine Bedin tiges Instrument zur Förderung der betrieblichen Weiter gung für eine weitere Ausbreitung sektoraler Tariffonds ist bildung hervorgehoben. Der Schwerpunkt der hierüber also, dass die Tarifparteien selbst hierin eine zukunftswei geförderten Qualifizierungsvereinbarungen liegt bei https://doi.org/10.5771/0342-300X-2012-5-382 389 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 08.11.2021, 02:31:22. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
aufsätze der Regelung der Bedarfsermittlung und Planung der betrieblichen Wei Donker van Heel, P./van Velden, J./Siegert, J./Groenendijk, R./de Kogel, M./ terbildung. Hinsichtlich der Finanzierung haben sich die Tarifparteien Sincer, E. (2008): Hoe werken sectorfondsen?, Rotterdam, http://www. flexservice.com/wp-content/uploads/Hoe_werken_sectorfondsen.pdf (letzter meist auf folgende Lastenteilung geeinigt: Betriebliche Weiterbildung zahlt Zugriff: 04.11.2011) der Arbeitgeber. Für „persönliche berufliche“ Weiterbildung kommen die Hassel, A. (1998): Soziale Pakte in Europa, in: Gewerkschaftliche Monatshefte Beschäftigten auf. 49 (10), S. 626 – 637 Mooij, A. de/Houtkoop, W. (2005): Scholing op afspraak. Sectorale scho- lingsafspraken en stand van zaken O&O fondsen, Amsterdam Moraal, D. (2007): Berufliche Weiterbildung in Deutschland, Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn, http://www.bibb.de/de/30130.htm (letzter Zugriff: literatur 16.05.2012) Sauter, E. (1989): Ansätze für eine Neuorientierung der beruflichen Weiterbil- dung, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis 18 (3), S. 3 – 8 Bahnmüller, R. (2009): Tarifverträge als Instrument der beruflichen (Weiter-)Bil- Trampusch, C. (2004): Sozialpolitik durch Tarifvertrag in den Niederlanden: Die dung in Deutschland. Shanghai, http://www.regiestelle-weiterbildung.de/fi- Rolle der industriellen Beziehungen in der Liberalisierung des Wohlfahrtsstaa- leadmin/pdfs/anfahrt/Bahnmueller.pdf (letzter Zugriff: 16.05.2012) tes, MPIfG Discussion Paper (12), Köln Bahnmüller, R. (2012): Tarifliche Weiterbildungsregelungen für die M+E-Indus Trampusch, C./Busemeyer,M.R. (2011): The Political Economy of Collective trie: Regulierungsansätze, Wirkungen und Perspektiven einer überbetriebli- Skill Formation, Oxford chen Weiterbildungsfinanzierung, unveröffentlichtes Projektmanuskript Trampusch, C./Eichenberger, P. (2011): Skills and Industrial Relations in Coordi- Bahnmüller, R./Fischbach, S. (2006): Qualifizierung und Tarifvertrag. Befunde nated Market Economies – Continuing Vocational Training in Denmark, the aus der Metallindustrie Baden-Württembergs, Hamburg 2006 Netherlands, Austria, and Switzerland, in: British Journal of Industrial Rela- Bahnmüller, R./Hoppe, M. (2011): Überbetriebliche und betriebsbezogene tarif- tions, Oxford (im Erscheinen) vertragliche Qualifizierungsregelungen in Deutschland: Ein Überblick in 13 Waterreus J. M. (1997): O&O fondsen onderzocht. Opleidings, en ontwikke- Punkten, BIBB-Konferenz 2011, Sektion 5.2., Überbetriebliche Zusammenarbeit lingsfondsen en de scholing van werknemers, Amsterdam in der Weiterbildungsfinanzierung im In- und Ausland Waterreus J. M. (2002): O&O fondsen op herhaling. Stand van zaken scho- Bahnmüller, R./Jentgens, B. (2005): Expertise zur Nutzung und zu den Wirkun- lingsfondsen 2002, Amsterdam gen des Tarifvertrags zur Aus-, Fort- und Weiterbildung in der westdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie, Tübingen Behringer, F./Moraal, D./Schönfeld, G.(2008): Betriebliche Weiterbildung in Eu- ropa: Deutschland weiterhin nur im Mittelfeld. Aktuelle Ergebnisse aus CVTS3, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis 37 (1), S. 9 – 14 Berger, K./Häusele, S./Moraal, D. (2012): Tarifvertraglich geregelte Finanzie- autoren rung der beruflichen Weiterbildung am Beispiel der Sozialkasse im Gerüstbau- gewerbe, in: Berufbildung in Wissenschaft und Praxis 41 (2), S. 49 – 53 Kl aus Berger , Dipl. Päd., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundesinsti- Bosch, G. (2012): Weiterbildungsfonds – ein Finanzierungsmodell auch für tut für Berufsbildung (BIBB). Arbeitsschwerpunkte: Kosten, Nutzen, Finanzie- Deutschland, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis 10 (1), S. 23 – 26 rung der Berufsbildung. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (Hrsg.) (2009): ESF-Richtli- nie zur Förderung der beruflichen Weiterbildung von Beschäftigten (Sozial- berger@bibb.de partnerrichtlinie), in: Bundesanzeiger Ausgabe Nr. 57 vom 16. April, S. 1373 Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (Hrsg.) (2004): Schlussbericht der Expertenkommission Finanzierung Lebenslangen Lernens:Der Weg in die Zukunft. 28. Juli, http://www.bmbf.de/pub/ Dick Mor a al , Dipl. Pol., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im BIBB. Arbeits- schlussbericht_kommission_lll.pdf (letzter Zugriff 03.02.2009) schwerpunkte: Kosten, Nutzen, Finanzierung. Arbeitsschwerpunkte: Betriebli- Busemeyer, M. R. (2009): Wandel trotz Reformstau. Die Politik der beruflichen che Weiterbildung im internationalen Vergleich, Kosten der betrieblichen Aus- Bildung seit 1970, Schriften aus dem MPI für Gesellschaftsforschung, Bd. 65, und Weiterbildung. Frankfurt a. M. Busemeyer M. R./Trampusch, C. (Hrsg) (2011): The Political Economy of Collec- moraal@bibb.de tive Skill Formation, Oxford 3 90 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2012-5-382 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 08.11.2021, 02:31:22. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
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