THEMA - Universität Göttingen
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15 04.07.21 4. JULI 2021 WSBE-HP : EIT: -Z BELICHTERFREIGABE: FARBE: BELICHTER: THEMA IN S E WELT AM SONNTAG NR. 27 4. JULI 2021 SEITE 15 Das Verschwinden der KT E N Nach langen Debatten wurde im Bundestag gerade das „Insektenschutzgesetz“ verabschiedet, um die Artenvielfalt zu schützen. Wissenschaftler sind alarmiert, Studien beschreiben seit Jahren einen dramatischen Schwund. Ohne die Biomasse der Fluginsekten bräche unser Ökosystem zusammen. ??/WAMS/WSBE-HP 04.07.21/1/Thema1 CPASSLAC Was muss jetzt passieren, damit es so weit nicht kommt? Text: Pia Heinemann, Illustrationen: Oriana Fenwick Abgezeichnet von: Chef vom Dienst Abgezeichnet von: Artdirector Abgezeichnet von: Textchef Abgezeichnet von: Chefredaktion 5% 25% 50% 75% 95%
WSBE-HP 16 04.07.21 4. JULI 2021 :BELICHTERFREIGABE: -ZEIT: FARBE: BELICHTER: 16 THEMA WELT AM SONNTAG NR. 27 4. JULI 2021 Kleiner Fuchs Aglais urticae Der kleine Fuchs ist in Deutschland und auch weltweit verbreitet, er kommt in Höhen bis zu 3000 Meter vor. Als Falter ernährt er sich von Nek- tar und bestäubt Blüten. Als Raupe frisst er vor allem Brennnesselblätter. Wer ihn schützen will, muss für Blüten und für Raupenfutter sorgen. ten ist sehr weit. Und die nun beschlos- große, grobe Steine.“ Das Wasser hat senen Schritte sind ein Kompromiss, Florfliege die kleineren Steine und Sedimente ein den Umweltschützer wie der BUND als wenig weiter weggetragen, hat sich ver- wirbelt und kleine Höhlen ins Ufer ge- „Schritt in die richtige Richtung“ se- hen – und in dem Bauernverbandsprä- Chrysoperla graben. „Das Sediment oben ist ein an- derer Lebensraum als die Steine unten“, sident Joachim Rukwied „das Ende ei- nes jahrhundertealten Teils unserer carnea sagt Wagner. Auf engstem Raum haben Kultur“ befürchtet. sich völlig unterschiedliche Unterwas- Die Tiere zu schützen und gleichzei- Florfliegen sind die wohl be- serlandschaften gebildet. Sie sind Hei- tig den Landwirten nicht ihre Lebens- kanntesten Nützlinge unter mat verschiedenster Lebewesen. „Oben grundlage zu nehmen kostet nicht nur den Insekten. Als ausgewachse- leben Insektenlarven, die sich gemüt- viel Geld, sondern kann letztlich nur ge- ne Tiere fressen sie Pollen, lich in den Schlamm gebuddelt haben, lingen, wenn bei Konsumenten und Nektar und Honigtau, als räu- unten überleben Larven, die fest an den Landwirten ein Umdenken stattfindet. berisch lebende Larven jagen U Steinen kleben. 820 Insektenarten ha- Zudem wurde die „Pflanzenschutz- Aber bringen die Maßnahmen des In- sie Raupen, Wollläuse, Spin- ben wir hier gefunden – seltene Arten, Anwendungsverordnung“ nach mona- sektenschutzpaketes überhaupt etwas? nenmilben und vor allem Blatt- Allerweltsarten, auch mal Arten, die nur telangem Streit und Protesten von Reicht es, nachts das Licht in Städten, läuse. Sie werden auch Blatt- kurz da waren“, sagt er. „Eine Auswer- Bauern und Umweltschützern verab- Dörfern und an Straßen zu dimmen, we- lauslöwen genannt, weil sie so tung der Jahrzehnte umfassenden Da- schiedet: Auf Äcker, die in Schutzgebie- niger Gifte in Parks und auf Äckern zu effizient fressen. Eine Flor- ten hat aber gezeigt: Auch im Breiten- ten liegen, dürfen noch weniger Pesti- verwenden und Subventionen für eine fliegenlarve kann bis zu 100 Grünes bach werden es weniger.“ Insektenschwund in Bächen und zide ausgebracht werden. Dank Gesetz und Verordnung, die als „Insekten- artenfreundlichere Landwirtschaft aus- zuschütten? Blattläuse am Tag vertilgen. Wiesen, Wäldern und Feldern nicht schutzpaket“ bezeichnet werden, sol- Heupferd mehr nur für Experten das große The- ma der vergangenen Jahre. Seit Wissen- len mehr Flächen geschützt, weniger Pestizide ausgebracht werden. Glypho- ES GIBT NICHT EINE LÖSUNG In Deutschland gibt es mehr als 30.000 „Insect Conservation and Diversity“ Tettigonia schaftler im Jahr 2017 mit der soge- nannten „Krefelder Studie“ einen dra- sat, das wohl bekannteste Gift, soll ganz verschwinden. Für eventuelle verschiedene Insektenarten mit vielfäl- tigsten Lebensmodellen. Es ist ein Kunstlicht eine ganze Ausgabe gewid- met. Darin zeigen Studien aus aller Unter Rüdiger Wagner gluckert es. Er matischen Rückgang der Biomasse von Ernteverluste gibt es Ausgleichszah- wundersames Panoptikum: Bei man- Welt, welche Lichtspektren bestimm- steht in dunklen Gummistiefeln und ka- viridissima Fluginsekten in verschiedenen deut- lungen an Landwirte. chen Arten können die Eier wie Samen- te Mottenarten besonders anziehen, riertem Hemd auf einem Forstweg, schen Naturschutzgebieten dokumen- Auf europäischer Ebene wurde so- körner jahrelang überdauern. Eintags- ob LEDs die Paarung von Glühwürm- links und rechts sattgrüne Wiesen. Das tiert haben, versuchen Experten zu ver- eben im Rahmen der Gemeinsamen fliegen, Maikäfer und Libellen wieder- chen erschweren, ob Schlupfwespen Gluckern mitten in der Landschaft Große Heuschrecken sind stehen, was den Schmetterlingen, Bie- Agrarpolitik (GAP) der EU darüber um sind einen Großteil ihres Lebens durch das Licht nachts geweckt wer- kommt von einem Bach, keinen Schritt für Landwirte nützlich – nen und Fliegen schadet, es wurden Kä- entschieden, wie man die Landwirt- Larven, sie verstecken sich in Teichen den – und was das für ihre Fortpflan- breit, der sich durch die Wiesen und un- anders als die in Afrika und fer und Mücken abgesucht. Denn Insek- schaft, die einen Großteil von Europas und Seen oder im Erdreich. Nur für Ta- zung bedeutet. ter dem Weg entlangschlängelt. An ei- anderen Regionen vorkom- ten, das lernen Kinder bereits im Kin- Landfläche ausmacht, mit wirkungs- ge breiten sie ihre Flügel zum Hoch- Gregor Kalinkat vom Leibniz-Insti- ner nahen Betonstufe wird es besonders menden Wanderheuschre- dergarten, sind die Architekten des Le- volleren Anreizen zu mehr Arten- zeitsflug. Manche fressen als Larven tut für Gewässerökologie und Binnenfi- laut: Hier stürzt das Wasser gut 20 Zen- cken, die ganze Landstriche bens. Sie sorgen dafür, dass der Boden schutz animiert. Fleisch und als erwachsene Tiere nur scherei in Berlin hat in diesem Schwer- timeter hinunter, platscht unten auf di- leer fressen können. Die locker, gesund und nährstoffreich Alle diese Maßnahmen haben zwei Nektar und Pollen, andere fressen als punktheft einen Beitrag publiziert, es cke Steine und sprudelt weiter. Ein Mi- grünen Heupferde sind bleibt, halten das Grundwasser sauber, Ziele: Insekten zu schützen und Land- Larven nur Blätter und als Erwachsene ist eine Literaturrecherche, die den ni-Wasserfall. Fleischfresser, bereits als helfen bei der Schädlingskontrolle, be- wirten und anderen Betroffenen den- gar nichts mehr. Es gibt Einzelgänger Stand des Wissens zusammenfasst. Ka- Der Bach ist Rüdiger Wagners Leben Larven ernähren sie sich von stäuben Blüten und sind Futter für Vö- noch ein Auskommen zu ermöglichen. unter den Insekten, die sich nur für den linkat klingt am Telefon sehr vorsich- – und der kleine Wasserfall der perfek- Blattläusen, Käferlarven, gel, Spinnen, Fledermäuse, Frösche und Doch so gut das klingt: Der Weg hin wenige Sekunden dauernden Paarungs- tig. „It’s complicated“, sagt er, „einfa- te Ort, um eines der drängendsten Pro- Fliegen und kleineren Heu- Fische. Ohne Insekten brächen Ökosys- zu insektenfreundlicheren Landschaf- akt mit ihresgleichen abgeben – und es che Antworten gibt es nicht. Natürlich bleme der Ökologie zu verstehen: das schrecken. teme zusammen. gibt Arten, die sich in komplexen Sozi- schadet Kunstlicht nicht allen nachtak- Insektensterben. Rüdiger Wagner hat Da es den Insekten hierzulande alstaaten über eine ausgefeilte Duft- tiven Insekten – manche stören sich mehr als 35 Jahre lang Wasserinsekten schlecht geht, muss sich etwas ändern. oder Tanzsprache verständigen. Andere wenig daran. Aber es sieht so aus, als ob in dem kleinen Gewässer erforscht, Im Bundestag wurde deshalb gerade orientieren sich am Licht von Mond der negative Einfluss des Lichtes mehr Schwerpunkt Köcherfliegen. Auch über eine Änderung des Bundesnatur- und Sternen. Arten, vor allem spezialisierte, betrifft jetzt, im Ruhestand, kommt er häufig schutzgesetzes entschieden. Das „In- Deshalb ist es auch nicht einfach zu und einen stärkeren Umwelteffekt hat, her. Er hat untersucht, welche es gibt sektenschutzgesetz“ ist beschlossen. benennen, was DEN Insekten hilft und als wir lange Zeit gedacht haben.“ Na- und wie sie sich bei Hochwasser, Dür- Nach langen Verhandlungen sollen Bio- was ihnen schadet. Josef Settele kann türlich könne man jetzt nicht einfach ren und den vielen anderen Änderun- tope und Grünland jetzt besser ge- das nicht oft genug betonen. Er ist einer alle Lampen ausknipsen. Die Nacht ge- gen der Umwelt verhalten. Und er schützt und die nächtliche Lichtver- der prominentesten Insektenschützer hört schließlich nicht nur der Natur – kann am Beispiel dieser kleinen Welt schmutzung eingedämmt werden. Deutschlands, sammelt seit seiner sondern auch den Menschen, die sich erklären, wo die großen Kindheit Schmetterlinge, hat Agraröko- sicher fühlen wollen. Aber man könne Probleme liegen. logie studiert und ist Professor am versuchen, Lichtquellen so zu gestal- Der Breitenbach in der Helmholtz-Zentrum für Umweltfor- ten, dass sie möglichst wenig Schaden Nähe von Schlitz im mit- telhessischen Vogelsberg- kreis gilt als eines der best- erforschten Fließgewässer Europas, von 1951 bis 2006 wurde er Tag für Tag über- ,, SEIT 1950 SIND schung in Halle. Von 2016 bis 2019 war er einer der drei Co-Vorsitzenden des globalen Berichtes des Weltbiodiversi- tätsrates IPBES und ist auch in der deutschen Politik ein gefragter Berater. Er redet oft mit Biologen und Politi- anrichten. Viele nachtaktive Insekten haben sich im Laufe der Evolution darauf spe- zialisiert, den Mond als Orientierungs- punkt zu sehen. „Die Lichtstrahlen, die der Mond auf die Erde wirft, treffen fast wacht. Wasser- und Lufttem- peratur, Säuregehalt, Fließge- IN DEUTSCHLAND kern, mit Landwirten und mit Laien, kennt die vielen verschiedenen Bedürf- parallel auf die Erdoberfläche“, erklärt Kalinkat. „Dadurch weiß das Insekt ge- schwindigkeit, Algen, Bakte- nisse. Sein Rezept für mehr Artenviel- nau, in welche Richtung es fliegt. Eine rien, Würmer und Insekten – 71 PROZENT DER falt: Maßnahmenvielfalt. Lampe oder Straßenlaterne strahlt aber alles, was das Ökosystem aus- „Man muss an vielen Stellschrauben Licht in alle Richtungen ab. Das Insekt macht, wurde kartiert. Wagner erklärt, wie komplex ACKERWILDKRAUTARTEN drehen“, sagt er. Die höchste Insekten- vielfalt gab es in Deutschland nicht zu ein Bach ist. Er zeigt zum Mini- Wasserfall. „Oben fließt das Was- AUF DEN FELDERN der Zeit, als noch fast überall Buchen- wälder wuchsen. „Die meisten Insek- ser scheinbar langsam durch das tenarten gab es vielmehr, als die Land- niedrige Bachbett, der Bach mäan- dert, Sediment setzt sich ab. Oben, VERSCHWUNDEN wirtschaft extensiv war, es offene Flä- chen gab und kleinere Wälder. Als Vieh kurz vor der Kante, liegt viel Sand, TEJA TSCHARNTKE, Professor für Agrarökologie nicht auf festen Weiden graste, sondern das Wasser ist ruhig – unten liegen Hirten im Rahmen der Hutewirtschaft mit den Tieren durch die Gegend zo- gen.“ Damals waren die Landschaft, die Dörfer und Städte nicht eintönig und aufgeräumt, Fassaden nicht dicht. Es war alles ein bisschen unordentlicher, bunt zusammengewürfelt. Die Vielfalt Buntgrabläufer der Lebensräume war hoch – und ent- sprechend fühlten sich Insekten in gro- Pterostichus ßer Anzahl und Artenvielfalt wohl. Heute ist die Hälfte der Fläche cupreus Deutschlands Acker, Feld und Weide. Die Felder sind groß, Bäche begradigt, Es gibt mehrere Hundert Lauf- Wälder aufgeräumt – und auch in Städ- käferarten in Deutschland, viele ten werden Brachen, Gebüsche und un- von ihnen sind an sehr spezielle ordentliche Ecken rar. „Da muss sich et- Lebensräume angepasst. Die was ändern“, sagt Settele, „Monotonie meisten sind nachtaktiv, sie ist der Feind der Vielfalt.“ ernähren sich, je nach Art, von Schneckeneiern, Kartoffel- LICHTVERSCHMUTZUNG käferlarven, Schnecken, Draht- Eine Stellschraube, die bislang viele würmern, Läusen und Milben. Experten unterschätzt haben, ist das Licht. Kürzlich hat die Fachzeitschrift Abgezeichnet von: Abgezeichnet von: Abgezeichnet von: Abgezeichnet von: ??/WAMS/WSBE-HP 04.07.21/1/Thema2 CPASSLAC Chef vom Dienst Artdirector Textchef Chefredaktion 5% 25% 50% 75% 95%
WSBE-HP 17 04.07.21 4. JULI 2021 :BELICHTERFREIGABE: -ZEIT: FARBE: BELICHTER: 4. JULI 2021 WELT AM SONNTAG NR. 27 THEMA 17 sollten, hat gelitten: Sie lassen wichtige Bestäuberinsekten wie Wild- und Ho- nigbienen orientierungslos werden und schaden wahrscheinlich dem Stoff- wechsel von Käfern und anderen Insek- ten. Angesichts des gesteigerten Be- wusstseins für den Rückgang der Insek- tenarten scheint giftige Chemie auf dem Acker nicht mehr zukunftsfähig. Dass das Umdenken bereits stattge- funden hat, konnte eine Forschergrup- pe von der Universität Landau kürzlich mit einer aufwendigen Analyse zum Pestizidverbrauch in den USA belegen. Sie zeigte, dass seit den frühen 1990er- Jahren weniger Mittel verspritzt wer- den. Für die Artenvielfalt klingt das er- freulich. Allerdings gibt es einen Haken: Die Mittel wirken nicht so zielgenau, verliert an einer Lampe schnell die Ori- sondern richten im Stoffwechsel aller te“), er hat seine Felder mit Drohnen entierung, es flattert um die Lichtquelle Insekten Schäden an. Obwohl weniger „Das reicht nicht, um das galoppierende und Satelliten vermessen lassen und herum, bis es erschöpft stirbt.“ Licht Pestizide ausgebracht werden, schrei- Aussterben von Arten in Agrarland- macht bei verschiedenen Forschungs- blendet Insekten zudem, sodass ihre ben die Forscher, seien Insekten heute schaften zu verhindern.“ Zudem sei der projekten mit. „Für ein Projekt zur Augen nicht mehr funktionieren. Und wesentlich mehr giftigen Chemikalien Ökolandbau nicht ganz unproblema- smarten Unkrautkontrolle zählen wir es stört ihr Verhalten, wenn sie, wie ausgesetzt als Anfang der 1990er-Jahre. tisch: Die Landwirte verpflichteten sich zweimal im Jahr etwa zwei Wochen lang Glühwürmchen, Licht als Paarungsreiz In der EU soll der Pestizidverbrauch zwar dazu, keine synthetischen Pestizi- aus, wie viele Regenwürmer im Boden einsetzen. weiterhin deutlich verringert werden, de oder Herbizide auf ihren Flächen sind.“ Das mit den Regenwürmern sei Auch Nachtinsekten sind seltener ge- Glyphosat soll in Deutschland bis Ende einzusetzen. Aber es gibt sogenannte manchmal schon etwas langweilig, um worden. Sie sind für die Ökosysteme 2023 verboten werden. Und für Neoni- natürliche Pestizide, die auf Sonderkul- die 100 von ihnen können in einem Ku- aber ebenso wichtig wie ihre tagaktiven kotinoide und andere Pflanzenschutz- turen gespritzt werden. Im Wein-, bikmeter Ackerboden leben. Aber es ge- Verwandten, zersetzen Aas und Blätter, mittel gibt es stärkere Auflagen. Aber Obst- und Gemüseanbau dürften natür- he ja schließlich darum, den besten Weg sind Futter für Fische und Fledermäuse. das muss, wie die Landauer Studie zeigt, liche Mittel wie Kupfersulfat eingesetzt für die Zukunft zu finden. Nachtfalter wie Gammaeulen und Bir- nicht unbedingt eine Trendumkehr für werden – die zwar natürlich, aber nicht Die Transformation zur biodiversen kenspanner fliegen auf der Suche nach den Insektenrückgang bedeuten. Man weniger umweltbelastend sind. „Sie Agrarlandschaft testet er in dem vom Nektar auch nachts von Blüte zu Blüte sollte nicht darauf setzen, dass künftige wirken gut, das Schwermetall Kupfer Bundeslandwirtschaftsministerium ge- und bestäuben sie dabei. Wissenschaft- Pestizide nur noch Schädlingen gefähr- reichert sich aber im Boden an. Zudem förderten Projekt „Förderung von In- ler der Universität Zürich konnten lich werden. sind Pestizide ja nicht alles: Wenn Bio- Hainschwebfliege sekten in Agrarlandschaften“ (FInAL) jüngst zeigen, dass die Bestäubungsleis- gurken oder -Paprika nur noch unter mit aus. Bei FInAL soll in Bayern, Bran- tung insgesamt sinkt, wenn Wiesen nachts mit künstlichem Licht erhellt LANDSCHAFTEN Teja Tscharntke verfolgt einen anderen Folie oder im Gewächshaus angebaut werden, haben Insekten davon nichts, Episyrphus balteatus denburg und Niedersachsen jeweils ein sogenanntes „Landschaftslabor“ von werden. Licht aus in der Landschaft – Ansatz beim Insektenschutz. Einen, der auch wenn die Ware biozertifiziert ist. drei mal drei Kilometer Fläche aufge- das ist nicht nur für Tiere, sondern auch sich mit den Ideen des Biodiversitäts- Die Flächen sind für Insekten tot.“ Schwebfliegen gehören zu den wich- erwachsene Tiere von Nektar und baut werden. Frommes Äcker liegen für Landwirte eine gute Idee. Auch experten Josef Settele trifft: groß den- Um die Insektenvielfalt in die Agrar- tigsten Bestäuberinsekten in Pollen. Als Larven fressen sie Blatt- zum Teil in der niedersächsischen La- nachts wird bestäubt, auch nachts wer- ken, multifaktoriell eingreifen. flächen zurückzubringen, müsse mehr Deutschland. Ihr Flug ist, typisch für läuse – zwei Gründe, warum sie als borregion. Was hier geplant ist, gleicht den Blattläuse und andere Schädlinge Tscharntke ist Soziologe, Biologe und gemacht werden, sagt der Agrarökologe. Fliegen, sehr wendig, da ihr zweites, Nützlinge gelten. Die Weibchen einem Realitätscheck für die Wissen- gefressen. Professor für Agrarökologie an der Uni- Man müsse die Landschaften umgestal- hinteres Flügelpaar zu kleinen legen ihre Eier direkt in Blattlaus- schaft. Denn zwar ist für Forscher ei- Gregor Kalinkat und viele andere versität Göttingen. Seit Jahren er- ten, was bei der ökologischen Zertifizie- Schwingkolben umgebildet ist, die kolonien ab, so sind die Larven nach gentlich klar, wie eine insektenfreundli- Wissenschaftler versuchen nun, Kunst- forscht er, wie man mehr Biodiversität rung nicht berücksichtigt wird. eine gute Steuerung ermöglichen. dem Schlüpfen mit Nahrung ver- che und artenreiche Landwirtschaft licht so zu gestalten, dass es nicht zur auf die Äcker bekommen kann – und zu- Untersuchungen der letzten Jahre Schwebfliegen ernähren sich als sorgt. auszusehen hat. Aber ob diese Pläne Todesfalle wird. „Möglichst wenig blau- gleich die Erntemengen erhält. Wenn belegen, dass allein die Feldgröße schon auch gesellschaftlich und vor allem es Licht, möglichst wenig lichtstark – weniger Pestizide und Insektizide in die viel bewirkt, ohne dass darunter der Er- wirtschaftlich machbar sind – niemand und möglichst nach oben und zu den Umwelt gelangten, dann wäre das na- trag leiden müsste. Ein Weizenfeld von Im Idealfall könnten die Betriebe ei- die Landwirtschaft. Deshalb engagieren weiß das. Seiten hin abgeschirmt“, resümiert er. türlich gut, sagt er. „Aber der Schlüssel sechs Hektar können Wildbienen auf ner Region mit ihren Flächen zur Ge- wir Bauern uns aktiv beim Insekten- „Beim FInAL-Projekt ist gut, dass wir „So stellen wir uns momentan eine in- für die Förderung der Artenvielfalt liegt der Suche nach Pollen und Nektar staltung einer neuen, artenreichen schutz.“ Allerdings: „Das Insekten- als Landwirte mitreden dürfen“, sagt sektenfreundliche Beleuchtung vor.“ woanders“, sagt er. „Je intensiver leicht überfliegen. Ein 30 Hektar großes Landschaft beitragen, mit Blühstreifen schutzpaket hilft den Bienen nicht und Fromme. „Das war ja bei der EU-Verord- Ackerland genutzt wird, umso monoto- Feld hingegen ist für viele Insekten eine für Wildbienen und Schwebfliegen, Alt- schadet stattdessen den Bauern.“ nung zu den Blühstreifen nicht so. Da- PESTIZIDE ner wird es.“ Große Felder sind effizien- unüberwindliche grüne Wüste. Sie su- grasflächen und Brachen für Spinnen, Von den derzeit geplanten Verboten mals hieß es nur: ‚Du musst bis zu einem Den ebenfalls bedrohten tagaktiven ter zu bewirtschaften als kleine, und so chen Blüten und Blätter, Verstecke und Käfer und Ameisen. Mit Hecken und und Auflagen des neuen Gesetzes, also festen Termin auf soundso viel Fläche Insekten hilft das allerdings nicht. Ihr prägen riesige Mais-, Raps- und Getrei- einen Ort, an dem sie ihre Eier ablegen Agroforstsystemen, bei denen Bäume des Insektenschutzpaketes, seien mehr Saatgut für Blühstreifen ausbringen, Hauptproblem sind Pestiziden – Gifte, defelder die Landschaft, und Brachen, können. „Zudem sollten die Kulturfol- und Sträucher so an und auf die Äcker als eine Million Hektar Acker- und sonst gibt es keine Subventionen.‘“ In die zur Ausmerzung von Schädlingen Hecken und Tümpel gehen verloren. gen vielfältiger werden, also beispiels- gepflanzt werden, dass sie auch der Ar- Grünlandflächen betroffen, auf denen manchen Jahren sei es zu diesem Ter- (Insektizide, Fungizide) oder zur Til- Überdüngung mit Stickstoff und der weise aus fünf, sechs, sieben oder sogar tenvielfalt dienen – und natürlich auf eine produktive Bewirtschaftung nicht min aber zu feucht gewesen, man habe gung von Unkräutern (Herbizide) auf Einsatz von Herbiziden führt zudem da- neun verschiedenen Feldfrüchten be- Basis einer vielfältigen Landwirtschaft mehr oder nur noch eingeschränkt die Samen nur in die Erde schmieren Feldern, an Böschungen, auf Bahnglei- zu, dass weniger Wildpflanzenarten im stehen“, erklärt Tscharntke. Die mit verschiedenen Feldfrüchten. Nütz- möglich sein wird, so der Verband. Ein statt wirklich säen können. „Aber der sen und in Gärten versprüht werden. Feld und am Feldrand wachsen. „Seit Fruchtfolgen könnten auch Lupinen liche Insekten sowie Spinnen und Vögel angemessener Ausgleich sei nicht vor- Termin musste eingehalten werden.“ Die Stoffe gehören seit Jahrzehnten 1950 sind in Deutschland 71 Prozent der oder Ackerbohnen einplanen, die Stick- würden die Pflanzenschädlinge besser gesehen, und die geplanten Maßnahmen Jetzt baut er in Absprache mit den zum Alltag, sie galten als Segen, er- Ackerwildkrautarten auf den Feldern stoff aus der Luft in den Boden bringen in Schach halten, und die bessere Be- seien für den Insektenschutz weder ver- Wissenschaftlern nicht mehr nur Raps möglichen sie doch reiche Ernten, un- verschwunden“, sagt er. Je weniger – und dadurch Dünger sparen. Weniger stäubung von Obst und Erdbeeren hältnismäßig noch zielführend. Natur- und Weizen auf seinen Feldern an, son- krautfreie Bahnanlagen, gepflegte Pflanzenarten in einem Lebensraum Dünger schützt indirekt die Artenviel- durch Wildbienen würde den Ertrag er- schutz und Landwirtschaft müssten ko- dern viele verschiedene Ackerfrüchte: Parks und Gärten. wachsen, umso weniger Nahrung und falt, weil dann nicht nur die konkur- höhen. „Unsere Agrarlandschaften wür- operieren, anders gehe es nicht. Gerste, Sommergerste, Zuckerrüben, Seit den 1930er-Jahren gibt es diese Verstecke finden Insekten. renzkräftigsten Pflanzen, meist Gräser, den mit so einem Mix von kleinen Fel- Bauer Burkhard Fromme lacht am Te- Sonnenblumen und Roggen. „Wir wol- Pflanzenschutzmittel, sie werden welt- Was also tun? Alle Landwirte zu Öko- sich durchsetzen. Wie artenreich Flä- dern, vielfältigem Anbau und einem Mi- lefon, als er nach dem Zusammenspiel len eine möglichst vielfältige Fruchtfol- weit eingesetzt. In den 1960er-Jahren bauern machen? Immerhin wurde in chen sein können, kann man sehr gut nimum naturnaher Flächen wieder von Landwirtschaft und Artenvielfalt ge haben“, sagt er. Er bearbeitet den Bo- verfügte man über 100 Wirkstoffe, die großen Metaanalysen nachgewiesen, an bunt blühenden, ungedüngten Grün- deutlich artenreicher werden“, betont gefragt wird – und ob das denn gehe, den nicht mehr so stark, pflanzt unter Pflanzenschutzindustrie hatte ein Volu- dass auf Ökoäckern die Zahl der Acker- landflächen sehen. Tscharntke. Licht aus, Pestizide weg, Felder den Raps Untersaaten. Er legt Blüh- men von weniger als zehn Milliarden pflanzenarten im Schnitt um 95 Pro- Baut man verschiedene Pflanzen zeit- schrumpfen. Fromme führt mit seinem streifen an, lässt Altgras stehen. Und er US-Dollar. Heute ist die Branche auf zent, die Zahl der Insektenarten um 30 gleich an, hilft das Insekten unmittel- EINE SCHÖNE UTOPIE? Sohn einen Hof in Scheppau im Land- stimmt sich mit den anderen Landwir- über 50 Milliarden Dollar gewachsen, es Prozent und die der Insektenmasse um bar. „Wenn man nach Raps Getreide Joachim Rukwied, Präsident des Deut- kreis Helmstedt. „Man muss da realis- ten der Testregion ab, was sie anbauen – gibt mehr als 600 verschiedene Mittel. 50 Prozent höher war als auf konventio- pflanzt, dann verliert man die meisten schen Bauernverbandes, sieht das diffe- tisch ran. Wenn es meinen Pflanzen wer welche Erntegeräte und welche Sie sichern die Ernten – aber schaden nell bewirtschafteten Flächen. Tiere, da mit Kreuzblütlern wie dem renziert. Natürlich müsse man mehr für schlecht geht, dann will ich in den Arz- Marktkontakte hat. „Das Risiko“, er- Insekten. In vielen Regionen der Welt „Aber derzeit wird auf weniger als Raps andere Insekten verbunden sind die Bestäuber tun, schreibt er in einer neimittelkasten greifen dürfen“, sagt er. klärt er, „ist durch das FInAL-Projekt hat der Ruf der Chemikalien deshalb zehn Prozent der Fläche ökologischer als mit Gräsern wie dem Getreide“, sagt Stellungnahme. „Keine Branche braucht Aber dass man nicht einfach weiterma- abgesichert, sonst könnten wir das stark gelitten. Nicht zuletzt auch des- Landbau betrieben“, sagt Tscharntke. Tscharntke. Viel geschickter sei es, Bienen und andere Bestäuber mehr als chen kann wie bisher, das sei ihm längst nicht ausprobieren.“ halb, weil Glyphosat, das weltweit am wenn man einen Streifen Raps neben ei- klar. „Der gesellschaftliche und politi- Das Projekt wird wissenschaftlich be- häufigsten verwendete Totalherbizid, nem Streifen Getreide auf demselben sche Druck ist schon sehr hoch.“ gleitet, es wird gezählt, wie sich die das alle unerwünschten Pflanzen auf Acker anbaut: „Die Schwebfliegen er- Seit mehr als 20 Jahren versucht er, Vielfalt der Arten entwickelt. Über Auf- den Äckern vernichtet, unter Krebsver- nähren sich vom Pollen und Nektar des nachhaltiger zu wirtschaften, den Boden wand und Ertrag der neuen Kleinteilig- dacht geraten ist. Rapses und legen ihre Eier im Weizen zu schonen, seine Erträge insekten- keit wird Buch geführt. „Die Erträge Auch der Ruf modernerer Mittel wie ab. Daraus schlüpfen dann die Larven, freundlich zu erwirtschaften. Ins Minus werden wohl ähnlich hoch werden wie den sogenannten Neonikotinoiden, die die sich über die schädlichen Blattläuse rutschen will er nicht. „Von anderen früher“, glaubt Fromme. „Aber die Kos- eigentlich nur Schädlinge ausmerzen hermachen.“ Landwirten muss ich mir oft sagen las- ten, die sind sehr hoch. Ohne Subven- sen: ‚Du bist nicht ganz normal‘“, sagt tionen geht das nicht.“ er. Denn Generationen von Bauern ha- Ohne Subventionen und höhere ben das Ziel der Ertragsmaximierung Marktpreise kann ein Umbau der Land- verfolgt. Sie haben den Anbau optimiert, wirtschaft nicht funktionieren. Aber große Landmaschinen angeschafft, kilo- auch nicht ohne ein Umdenken – bei meterlange Felder bestellt. Die Produk- den Bauern – und bei den Konsumen- tion musste kostengünstig sein – um am ten. In einer insektenfreundlicheren Markt bestehen zu können. Wer Land- Zukunft werden grüne Weizenfelder wirtschaft ein Leben lang so gedacht sich nicht bis zum Horizont ziehen, hat, kann über Fromme und die Wissen- sondern vom gelben Raps, lila Lupinen, schaftler nur den Kopf schütteln. von wilden Hecken und Baumreihen Burkhard Fromme und sein Sohn durchzogen sein. Die Landschaft wird sind im Laufe der Jahre zu so etwas wie aus vielen kleinen Ökosystemen, aus Experimental-Landwirten geworden. vielen Nischen bestehen. Fromme ist im Vorstand der Gesell- Wenn die Landschaften kleinteiliger schaft für konservierende Bodenbear- werden, dann können auch kleine Wun- beitung („Von Landwirten für Landwir- der passieren – wie sie Rüdiger Wagner am Breitenbach beobachtet hat: Ob- wohl ein Hochwasser in einem Jahr fast alle Larven bestimmter Köcherfliegen- arten weggeschwemmt hatte, erholte sich der Bestand nach ein paar Jahren wieder. „Das ist ja das Tolle an vielen In- sekten: Solange ein paar irgendwo in der Nähe überlebt haben, besteht die Chance, dass sie wieder zurückfinden. Sie müssen nur einen Ort zum Leben finden.“ Abgezeichnet von: Abgezeichnet von: Abgezeichnet von: Abgezeichnet von: ??/WAMS/WSBE-HP 04.07.21/1/Thema3 CPASSLAC Chef vom Dienst Artdirector Textchef Chefredaktion 5% 25% 50% 75% 95%
WSBE-HP 18 04.07.21 4. JULI 2021 :BELICHTERFREIGABE: -ZEIT: FARBE: BELICHTER: 18 THEMA WELT AM SONNTAG NR. 27 4. JULI 2021 I Im Verlauf der Erdgeschichte gab es we- nigstens fünf große und weltweite Mas- sensterben von Tier- und Pflanzenarten. Das letzte ließ vor 66 Millionen Jahren auch die Dinosaurier aussterben, als ein Meteorit auf der Erde einschlug, mit glo- balen Folgen. Heute, dieses Mal, ist der sich weiterhin massenhaft vermehrende Steinhummel Bombus lapidarius Hummeln sind Wildbienen und gehören zu den wichtigsten Be- stäubern in Deutschland. Obst- bauern sollten besonders viel Wert auf ihren Schutz legen: Die Tiere können mit ihrer Brustmuskulatur Wärme erzeugen, deshalb fliegen sie bereits ab sechs Grad Celsius. Ho- nigbienen fliegen erst ab acht Grad Celsius. In kalten Frühjahren kön- nen sie die Ernte retten. Hummeln sind in der Lage, bis zu 4000 Blüten pro Tag zu bestäuben, pro Tag kön- nen pro Hummelvolk also 20.000 Blüten befruchtet werden. Sie be- stäuben Heidelbeeren, Tomaten, viele weitere Obstarten und auch Hülsenfrüchte (Bohnen, Erbsen, Wicken) und Rotklee. Hummeln haben einen längeren Rüssel als andere Wildbienen und Honigbie- nen und sind deshalb für viele Blüten mit sehr tiefen Kelchen ideale Bestäuber. Mensch der Meteorit. Tatsächlich zeich- net sich in immer mehr Studien ab, dass wir am Anfang eines weiteren massen- haften Artensterbens stehen. Der Welt- biodiversitätsrat IPBES warnt vor dem Verschwinden von bis zu einer Million Tier- und Pflanzenarten innerhalb der kommenden Jahrzehnte. Schon zuvor gab es Hinweise auf ei- VON MATTHIAS GLAUBRECHT nen massiven Insektenschwund: So le- ben etwa auf Wiesen und Weiden in Betroffen davon sind sämtliche Ar- Südwestdeutschland im Vergleich zu tengruppen: von den großen charisma- den 1970er-Jahren nur noch die Hälfte tischen Tieren wie Tiger, Elefant und aller Arten von Tagschmetterlingen. Bei Nashorn über die Fischbestände im Meer bis hin zu den Insekten und ande- ren wirbellosen Tieren. Betroffen sind auch sämtliche Lebensräume, angefan- gen bei den tropischen Regenwäldern – den Schatztruhen der Artenvielfalt – bis Der Mensch Heuschrecken ging in Wiesenschutzge- bieten von Brandenburg bis Thüringen über Jahrzehnte die Zahl um mehr als 70 Prozent zurück. In Großbritannien nahm die Zahl der Schmetterlinge seit 1976 um die Hälfte ab, in den Niederlan- ,, NOCH HABEN WIR hin zu den Korallenriffen. Hauptgrund den sind 20 Prozent der dort lebenden ES IN DER HAND, als Meteorit für das Verschwinden der Arten ist ne- Arten bereits ausgestorben, im belgi- ben Jagd, Wilderei und Fischerei insbe- sondere die Landnutzung durch eine schen Flandern ist die Zahl der Tagfal- ter um 30 Prozent zurückgegangen. EIN MASSENHAFTES immer ressourcenhungrigere Mensch- Studien in Kalifornien und in Ohio zei- heit. Weil wir durch unsere wachsenden Siedlungen, das Verkehrswegenetz und gen, dass auch in Nordamerika die Zahl der Schmetterlinge über vier Jahrzehn- ARTENSTERBEN ZU die Landwirtschaft immer mehr Le- bensräume zerstören und degradieren, Der Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht te stark geschrumpft ist, im Durch- schnitt um 1,6 Prozent pro Jahr und VERHINDERN schrumpfen die Bestände, und es gibt selbst in weitgehend unberührten Re- immer weniger Arten. betont, dass dem Verschwinden der Arten gionen. Nicht alle Insekten sind indes Dem Artensterben aber wird – zu- rückläufig: In England haben etwa Ar- mindest im Vergleich zum Klimawandel zu wenig Aufmerksamkeit zukommt. ten von Nachtfaltern in Bestand und – viel zu wenig Aufmerksamkeit gewid- Vorkommen zugelegt. Vor allem in met. Das ist fatal. Denn selbst wenn wir Die Biodiversität war noch nie so bedroht – Nordamerika profitierten verschiedene beim Klima alles richtig machen sollten, das sagen alle Zahlen weltweit Arten von Wasserinsekten von Maßnah- droht eine massive Biodiversitätskrise, men zur Verbesserung der Wasserquali- die letztlich das Funktionieren der Öko- tät; pro Jahrzehnt sind etwas mehr als bold einen dramatischen Rückgang der bringen dadurch sogenannte Ökosys- systeme und damit unsere biologische zehn Prozent mehr Libellen, Zuckmü- Insekten im vergangenen Jahrzehnt um temdienstleistungen. Sie tragen dazu Lebensversicherung auf diesem Plane- cken, Wasserläufer und andere aquati- ein Drittel bis zu Dreiviertel der Popula- bei, dass Böden regenerieren, Blätter ten gefährdet. sche Insekten hinzugekommen. Doch tion in drei beprobten Regionen und Holz kompostiert und Dung ande- Dennoch gilt das Artensterben bisher an Land ist der Trend klar: Weltweit Deutschlands. Zwar sind auch Arten in rer Tiere entfernt wird. Und sie bestäu- weder in der Öffentlichkeit noch in der werden es weniger Insekten. Wäldern betroffen – aber die Hotspots ben Blüten. Ohne Insekten gäbe es we- Politik als besonders alarmierend. Ein Hierzulande entdeckten Forscher um des Insektensterbens sind Wiesen in der Äpfel noch Birnen, Kirschen, Man- Grund dafür ist, dass sich dieser den Münchner Ökologen Sebastian Sei- stark landwirtschaftlich genutzter Um- gos, es gäbe keine Mandeln, keinen Kaf- Schwund weitgehend unterhalb der gebung. Dort schrumpfte die Biomasse fee und keinen Kakao. Zwei Drittel der Wahrnehmungsschwelle der meisten der Insekten um zwei Drittel, die Zahl 100 weltweit wichtigsten Nutzpflanzen Menschen abspielt. Wir bemerken den der Arten um ein Drittel. In den Wäl- hängen ganz oder teilweise von der Be- Wandel kaum, weil sich die Bezugsgrö- dern schrumpfte die Masse um 41 Pro- stäubung durch Insekten ab. Der globa- ßen stetig verändern. „Shifting base- Totengräber zent, die Artenzahl um 36 Prozent. le monetäre Wert dieser Bestäuber- line“ nennen Experten dieses Phäno- Das heißt: Vom Menschen intensiv ge- dienstleistung wird auf 138 Milliarden men. So verschwanden allmählich auch immer mehr Insekten aus unserer Um- Nicrophorus nutzte Ökosysteme wie Ackerland und Forste verlieren die meisten Insekten. Euro pro Jahr geschätzt, was etwa zehn Prozent der landwirtschaftlichen Pro- welt, aber durch das Fehlen von Lang- zeitstudien hatte selbst die Biodiversi- vespilloides In einer Auswertung von 70 Studien kamen Wissenschaftler in „Science“ so- duktion entspricht. Zudem werden 80 Prozent aller Wildpflanzen durch In- tätsforschung lange keine belastbaren gar zu dem Schluss, dass weltweit mehr sekten bestäubt. Zahlen. Kaum jemand wusste, ob die Be- Diese Käfer haben sich auf die als 40 Prozent aller Insektenarten vom Was sicher ist: Das Artensterben hat obachtungen von sauberen Wind- Beseitigung von Kadavern Aussterben bedroht sein könnten. In ei- viele Ursachen, entsprechend kompli- schutzscheiben nach langen Autofahr- spezialisiert. Spüren sie bei- ner anderen Analyse von 166 Studien ziert ist die Suche nach ihnen. Denn ten ein Einzelfall waren – oder ob sie ei- spielsweise eine tote Maus auf, aus 41 Ländern zwischen 1925 und 2018 ebenso vielfältig wie Insekten selbst, ih- nen Trend verrieten. so graben mehrere Käfer unter an fast 1700 Standorten zeigte sich, dass re Lebensräume und Lebensweisen sind Erst mit der sogenannten Krefelder der Maus einen Gang, sodass die Masse an Land, insbesondere die auf auch die möglichen Gründe für die Ver- Studie wurde 2017 das von manchen sie langsam in den Boden ver- oder am Boden lebender Insekten be- änderung der Insektenwelt. Und sehr vermutete Insektensterben von Fakten sinkt. Je nach Art wird der ständig abnahm – um ein Viertel in den wahrscheinlich wirken sie gemeinsam. untermauert. Drei Jahrzehnte lang hat- Kadaver nur knapp unter die vergangenen 30 Jahren. Daher sei das Insektensterben ein te der Krefelder Entomologische Verein Laubstreu oder bis zu zehn Natürlich wurden einzelne Befun- „death by a thousand cuts“, so die Auto- Daten zusammengetragen, aus denen Zentimeter in die Erde gezo- de, methodische Ansätze und Studien ren der jüngsten PNAS-Studie. sich ablesen ließ, dass die Biomasse von gen. Eier werden in die Nähe – wie in der Wissenschaft üblich – kri- Einig sind sich die Experten aber da- Fluginsekten in verschiedenen Gebie- des Kadavers gelegt, sodass die tisiert. Doch in der Sache ist man sich rin, dass die industrialisierte Landwirt- ten Deutschlands in den Sommermona- geschlüpften Larven schnell zu mittlerweile einig: Mehr als 50 Wis- schaft einschließlich der dabei weltweit ten um bis zu 80 Prozent zurückgegan- ihrer Nahrung finden. Toten- senschaftler haben gerade im renom- eingesetzten hochwirksamen und leicht gen ist, egal ob Naturschutzgebiet oder gräber fördern die Durchlüf- mierten Fachjournal „Proceedings of verteilbaren Gifte ein wichtiger Auslö- Ackerland. tung des Bodens und bringen the National Academy of Sciences“ ser des Schwunds der Arten ist. Mono- Nährstoffe in ihn ein. (PNAS) das Fazit gezogen, dass nicht kulturen verringern das Nahrungsange- nur die Biomasse und damit die An- bot und die Zahl der Lebensräume, der zahl der Insekten, sondern auch die Einsatz von Dünger und Herbiziden Zahl der Arten rückläufig ist. Vorkom- und Pestiziden schadet Insekten in Bö- men und Vielfalt nehmen ab, sowohl den und Gewässern. in Europa als auch in den Tropen. So vielfältig die Ursachen des Insek- Hautflügler wie Bienen und Ameisen tensterbens, so gravierend sind noch sind genauso betroffen wie Tag- und immer die Kenntnislücken. Was vor al- Nachtfalter, Käfer und andere. lem fehlt, sind Langzeitstudien – aus al- Dieser Schwund kann ganze Ökosys- len Weltregionen. Es steht indes auch teme aus dem Tritt bringen. Insekten fest: Der Schwund der Insekten ist real sind die Daseinsgrundlage für viele an- und global – noch aber haben wir es in dere Tiere, allen voran Vögel. Wenn drei der Hand, ein massenhaftes Artenster- Viertel aller Fluginsekten verschwin- ben zu verhindern. den, fehlt vielen Vögeln die Nahrung, denn selbst Körnerfresser ziehen ihre T Der Evolutionsbiologe Matthias Jungen anfangs mit Insekten auf. Ohne Glaubrecht ist Professor für Biodi- summende Insekten und singende Vö- versität der Tiere an der Universität gel droht ein doppelt stummer Früh- Hamburg und leitet als Wissenschaftli- ling. Nicht nur die Zahl verschiedener cher Direktor das Centrum für Natur- Arten von Insekten, sondern auch deren kunde. In seinem Buch „Das Ende der Anzahl und Biomasse ist also wichtig Evolution. Der Mensch und die Vernich- für das Funktionieren der Ökosysteme. tung der Arten“ beschreibt er ausführ- Zudem halten Insekten wichtige Stoff- lich Fakten und Befunde zum anthro- kreisläufe in der Natur aufrecht und er- pogenen Artensterben. Abgezeichnet von: Abgezeichnet von: Abgezeichnet von: Abgezeichnet von: ??/WAMS/WSBE-HP 04.07.21/1/Thema4 DSCHWARZ Chef vom Dienst Artdirector Textchef Chefredaktion 5% 25% 50% 75% 95%
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