Thüringer Wasserstoffstrategie - Eckpunkte
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2 Warum Wasserstoff? Wir befinden uns mitten im Prozess der Energiewende und haben noch immense Aufgaben vor uns, wenn wir unsere Energieversorgung nahezu vollständig klimaneutral ausrichten wollen. Unser bisheriger Schwerpunkt war vor allem die Umstellung der Stromproduktion auf erneuerbare Energien, aber die Energiewende ist mehr als nur eine Stromwende. Wir müssen uns verstärkt auch um den Wärme- und um den Verkehrssektor kümmern. Die Umwandlung von Strom in andere Energieträger (“Power to X“), aber vor allem in Wasserstoff, bietet große Chancen zur sektorenübergreifenden Integration von erneuerbaren Energien, insbesondere als Kraftstoff im Verkehr, aber auch bei der Wärmeversorgung, und kann dazu beitragen, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu beenden. Das ist besonders dort von Interesse, wo erneuerbarer Strom nicht direkt eingesetzt werden kann, denn die Umwandlung in Wasserstoff verursacht Wirkungsgradverluste. Innovative Lösungen zur Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff werden entscheidende Grundbausteine einer sicheren, sauberen und bezahlbaren Energieversorgung und Mobilität der Zukunft sein. Denn Wasserstoff ist – wenn auch in gebundener Form – in nahezu unbegrenzter Menge auf der Erde verfügbar. Er ist völlig ungiftig und kann mit Hilfe erneuerbarer Energieträger nahezu emissionsfrei produziert werden. Als grüner Wasserstoff ist er für die Energiewende interessant als ein idealer Energieträger, der in der Lage ist, die erneuerbaren Energien zeitlich und örtlich dort verfügbar zu machen, wo erneuerbarer Strom nicht direkt eingesetzt werden kann. Wasserstoff ist transportierbar und vor allem auch gut zu speichern. Mit dieser Speicherung bietet Wasserstoff einen zeitlich verlässlichen Zugriff auf erneuerbare Energien. Der Einsatz von Wasserstoff kann damit eine wichtige Ergänzung zu den erneuerbaren Energieträgern werden, weil er Möglichkeiten zur Steigerung der Flexibilität und der Versorgungssicherheit eröffnet und gleichzeitig die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu reduzieren hilft. Aus all diesen Gründen nimmt der energiewirtschaftliche Stellenwert von Wasserstoff neben der stofflichen industriellen Verwendung immer mehr zu, und aus diesen Gründen müssen wir uns auch in Thüringen mit der Integration von Wasserstoff in unser Energiesystem beschäftigen. Warum in Thüringen? Wir haben in Thüringen viele Ansatzpunkte, die eine Wasserstoffnutzung nahelegen: - Das Thüringer Klimagesetz sieht mit mehreren Zwischenzielen bis zum Jahr 2050 eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent vor. Grüner Wasserstoff kann, insbesondere im Industrie- und Mobilitätssektor, helfen, dieses Klimaziel zu erreichen. - Thüringen hat bisher große Anstrengungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien unternommen und dadurch bereits einen guten Ausbaustand erreicht. Dass aus Gründen der Netzsicherheit immer wieder erneuerbare Energien abgeregelt und damit
3 nicht genutzt werden, ist dabei ein sehr unbefriedigender Zustand. Mit dem Einsatz von Wasserstoff gewinnen wir eine Flexibilitätsoption, die den Strom aus erneuerbaren Energien, insbesondere aus Windenergie, auch dann einer Nutzung zuführt, wenn er im Stromnetz nicht gebraucht wird. - Thüringens Lage in der Mitte Deutschlands macht es mit mehreren Höchstspannungsleitungen zu einem Stromtransitland. Zur Erhaltung der erforderlichen Netzstabilität bietet sich die Stromnutzung für Wasserstoffproduktion (Elektrolyse) in großem Umfang als eine Flexibilitätsoption an. - Ab 2020 fallen die ersten Thüringer Windenergieanlagen aus der EEG-Förderung heraus. Sie können aus technischer Sicht in der Regel weiterbetrieben werden, brauchen dazu aber ein neues Geschäftsmodell. Die Produktion von Wasserstoff kann ein solches Geschäftsmodell sein. - Thüringen hat einen hohen Ausbaustand bei Biogasanlagen. Auch bei diesen Anlagen läuft die EEG-Förderung sukzessive aus und es werden neue Geschäftsmodelle erforderlich. Die Methanisierung von grünem Wasserstoff mit Hilfe des CO2 aus Biogas kann hier eine Lösung sein. - In Thüringen setzen wir auch auf dezentrale Erzeugungsstrukturen. Mit grüner Wasserstofferzeugung aus lokalen erneuerbaren Energiequellen können neue Wertschöpfungsmöglichkeiten für die Regionen generiert werden. - In Thüringen gibt es geeignete geologische Untergrundformationen: die vorhandenen Untergrundspeicher für die Speicherung von synthetischem Erdgas und, je nach Dichte, auch von Wasserstoff haben wir in einer Studie systematisch dokumentieren lassen. Außerdem verfügt Thüringen auch über eine gut ausgebaute Erdgasnetzinfrastruktur, die den Transport und die Speicherung von synthetischem Erdgas ermöglicht. - Wir haben in Thüringen bereits seit 2012 Forschungsvorhaben zum Thema „Power to Gas“ initiiert und begleitet, an die wir jetzt anknüpfen können. - Auch die Bauhaus-Universität Weimar beschäftigt sich mit Wasserstoff und seinen verschiedenen energetischen Anwendungsmöglichkeiten und hat, mit Partnern aus der Praxis, eine Modellregion mit zwei Demonstrationsvorhaben initiiert, in der die Infrastrukturbereiche Elektrizitätswirtschaft, Mobilität, Wärmeversorgung und Abwasserbehandlung über die Wasserstofftechnologie zusammengeführt werden sollen mit dem Ziel, die Wasserstoffwirtschaft in dezentralen Strukturen umzusetzen. - Es gibt in Thüringen Erfahrungen beim Einsatz von Wasserstoff im Mobilitätssektor. Genannt sei hier vor allem die Testfahrt des weltweit ersten Wasserstoff- Brennstoffzellen-Zuges, die im Februar 2019 im Thüringer Schwarzatal stattfand. 70 Prozent des Thüringer Eisenbahnnetzes ist nicht elektrifiziert und bietet sich damit für
4 den Zugbetrieb mit Wasserstoff-Brennstoffzellen an. - Es gibt in Thüringen bereits eine Reihe von an Wasserstoff interessierten Abnehmern, kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie anderen Akteuren aus den Bereichen Stromerzeugung, Wasserstoffproduktion, Transport, Zwischenspeicherung, Projektierung und Finanzierung. An deren Aktivitäten lässt sich anknüpfen. Was ist zu tun? Wasserstoff wird ein wichtiges Bindeglied für eine umfassende Energie- und Mobilitätswende. Unser Ziel ist es daher, in Thüringen eine grüne Wasserstoffwirtschaft auszubauen, die beiträgt zu einer Stabilisierung des auf erneuerbaren Energieträgern basierenden Energiesystems und zu einer klimaverträglichen Umstellung der Mobilität und einiger industrieller Prozesse. Dazu müssen wir die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten und Potenziale der Wasserstofftechnologien prüfen und für den Klimaschutz und die Energiewende nutzbar machen. Mit dem Ausbau der Produktion von grünem Wasserstoff stellen sich verstärkt auch die Fragen nach seiner Weiterverarbeitung, der Speicherung, des Transportes, der Verteilung und nach den dazu erforderlichen Serviceleistungen (z. B. Finanzierung, Projektierung). Zu allen diesen Prozessen gibt es unterschiedlich ausgereifte technologische Lösungen. Wir müssen die Erforschung und Weiterentwicklung dieser Technologien eng begleiten und für eine gute Partnerschaft von Forschung und Praxiserprobung sorgen. Mit dem Ausbau der Wasserstoffwirtschaft ergreifen wir auch die darin enthaltenen wirtschaftlichen Chancen, die in dem Aufbau neuer Geschäftsfelder liegen und damit zur Stärkung bestehender sowie zur Ansiedlung neuer Unternehmen führen können. Dadurch, dass wir einen Schwerpunkt auf die Errichtung dezentraler Strukturen setzen, stärken wir die Wertschöpfung vor Ort. Wir wollen eine Region werden mit einer vollständigen Wertschöpfungskette einer grünen Wasserstoffwirtschaft etwa von der dezentralen Erzeugung von Ökostrom, dessen Umwandlung in grünen Wasserstoff vor Ort unter Mitnutzung der dabei entstehenden Abwärme bis zur anschließenden Bereitstellung von grünem Treibstoff für die Mobilität. Die Analyse und Beseitigung von Hemmnissen beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft muss ein wichtiger Teil unserer Aktivitäten sein. Insbesondere müssen wir die signifikanten Kostensenkungspotenziale identifizieren. Denn die Wirtschaftlichkeit der Elektrolyse ist noch nicht sicher gegeben. Grüner Wasserstoff steht in Konkurrenz zu konventionell hergestelltem Wasserstoff und zu anderen Energieträgern im Industrie-, Wärme- und Mobilitätssektor und ist insoweit nicht wettbewerbsfähig. Das liegt vor allem an den Strompreisen, insbesondere den staatlich induzierten Preisbestandteilen, die den strombasierten Wasserstoff vergleichsweise teuer machen.
5 Im Einzelnen: Im Vordergrund der energetischen Nutzung von Wasserstoff steht die Brennstoffzelle. Wasserstoff-Brennstoffzellen-Systeme sind prinzipiell für fast alle Verkehrsmittel geeignet. Den Einsatz von Zügen wollen wir weiter vorantreiben. Der Probebetrieb auf der Verbindung Katzhütte – Rottenbach, der Anfang 2022 aufgenommen werden soll, soll möglichst komplett durch in Thüringen produzierten grünen Wasserstoff gespeist werden. Bei Bussen und PKWs müssen die Vor- und Nachteile gegenüber rein batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen, insbesondere hinsichtlich der Betankungszeit und der Reichweite, weiterhin sorgfältig abgewogen werden. Wir müssen den Aufbau einer Wasserstoff-Tanksäulen-Infrastruktur begleiten und Fördermöglichkeiten dazu schaffen. Wir müssen den Kreislauf durchbrechen, dass beim Ausbau von Ladesäulen auf den fehlenden Fahrzeugbestand, beim Versuch, den Fahrzeugbestand zu vermehren, auf die fehlende Tankinfrastruktur verwiesen wird. Mit Hilfe des grünen Wasserstoffs, gegebenenfalls auch über Methanisierung, wollen wir unser Erdgas grüner machen. Dazu müssen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen überprüft und angepasst werden, insbesondere muss der Bund dafür sorgen, dass grünes Erdgas als Erneuerbare Energien-Bestandteil im Rahmen des Gebäudeenergierechts anerkannt wird. Wir wollen die Brennstoffzellentechnologie auch für die Wärmeversorgung als eine sinnvolle Ergänzung nutzbar machen. Wir müssen Handlungsfelder auch innerhalb der Landesregierung identifizieren. Dabei muss es zum einen um die Nutzung ihrer eigenen Vorbildwirkung und ihrer eigenen Steuerungsmöglichkeiten gehen, zum anderen um ihre Möglichkeit, auf übergeordnete staatliche Stellen, insbesondere auf den Bund, einzuwirken. Wir müssen für eine Vernetzung aller Akteure sorgen, breit über die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie und ihre Möglichkeiten informieren und damit auch zu deren Akzeptanzsteigerung beitragen.
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