Tierschutz - neue Herausforderungen im Zuge der Globalisierung - kritischer-agrarbericht.de

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Tierschutz und Tierhaltung

Tierschutz – neue Herausforderungen
im Zuge der Globalisierung

von Brigitte Rusche

                   Höhere Tierschutzstandards sind im internationalen Handel keinesfalls automatisch ein Hin-
                   dernis, sondern können als Qualitätskriterium sogar einen Wettbewerbsvorteil bringen. Um
                   die Tierschutzsituation weltweit zu verbessern, sollte die Europäische Union in bilateralen Ver-
                   einbarungen nicht nur auf die Einhaltung hoher Hygiene-Standards drängen, sondern auch
                   auf die Einhaltung des Tierschutzes. Auf Ebene der Welthandelsorganisation muss sich die EU
                   dafür einsetzen, dass in Zukunft Tierschutz-Mindeststandards der WTO-Gerichtsbarkeit
                   unterliegen und die Subventionierung höherer Tierschutzstandards durch einzelne Staaten
                   nicht als Handelshemmnis gilt, sondern erlaubt bleibt und über die „Green Box“ der WTO ab-
                   gesichert wird.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich die         des Sozialverhaltens führen zu Schäden und Leiden bei
weltweite Fleischproduktion in etwa verfünffacht. Nach          den Tieren. Dazu kommen Amputationen und Kastra-
Schätzungen der Weltbank wird sich der Fleischbedarf            tionen zur Anpassung der Tiere an die Stallbedingungen.
von 209 Milliarden Tonnen im Jahr 1997 auf 327 Milli-                Nicht tiergerechte, industrielle Haltungssysteme, in
arden Tonnen im Jahr 2020 steigern. Das entspricht              denen die Tiere Verhaltensstörungen entwickeln, fin-
einem Zuwachs von 56 Prozent. Der weltweite Milch-              den sich zunehmend auch in den Schwellen- und Ent-
bedarf soll bis zum Jahr 2020 um 54 Prozent wachsen,            wicklungsländern – teilweise sind es die aus Europa
von 422 Millionen Tonnen auf 648 Millionen Tonnen.              exportierten Altanlagen, die den Tierschutzbestim-
Andere Schätzungen gehen sogar von einem Zuwachs                mungen der EU heute nicht mehr genügen.
der Fleisch- und Milchproduktion von über 100 Prozent                Mit der Industrialisierung geht die Entkopplung der
bis ins Jahr 2020 aus.                                          Produktionsbereiche Zucht, Aufzucht, Mast und
    Um den derzeitigen Bedarf an Tierprodukten zu de-           Schlachtung einher. Folge dieser Spezialisierung in der
cken, werden weltweit rund eine Milliarde Schweine,             Tierwirtschaft ist eine Zunahme der Tiertransporte.
1,3 Milliarden Rinder, 1,8 Milliarden Schafe und Ziegen         Allein aus der EU sind rund 360 Millionen (Groß-)Tiere
und 15,4 Milliarden Hühner (1) gehalten – davon be-             jährlich von Tiertransporten betroffen [Geflügel nicht
reits heute zwei Drittel in den so genannten Entwick-           eingerechnet (2)]. Weltweit sind es in diesem Zeitraum
lungs- und Schwellenländern –, mit steigender Tendenz           mindestens 50 Milliarden Tiere. Laut Angaben der FAO
(Abb. 1 u. 2).                                                  werden jährlich weltweit 50 Milliarden Tiere geschlach-
                                                                tet, und es ist davon auszugehen, dass jedes Tier min-
                                                                destens einmal in seinem Leben transportiert wird.
Tierschutzrelevante Probleme                                         Die Verwandlung des Tieres vom Mitgeschöpf zum
                                                                Produktionsgut findet ihren Ausdruck auch in der
Produktionssteigerungen gingen in der Tierwirtschaft            Zucht. Tierschutzrelevant ist die Ausrichtung der Zucht
bisher immer mit einer zunehmenden Industrialisie-              in Richtung maximaler Produktionssteigerung. Über-
rung und Rationalisierung zu Lasten der Tiere einher.           mäßiger Muskelzuwachs, Schnellwüchsigkeit, hohe
Viele Tiere auf engstem Raum ohne Tageslicht, in struk-         Milchleistung oder hohe Legeleistung sind Zuchtziele,
turlosen Ställen, in Käfigen oder auf Spaltenböden sind         die bei den Tieren zu körperlichen Schäden und extre-
die schlimmen Charakteristika industrialisierter Tier-          men Leiden führen. Zu nennen sind hier u. a. Gelenk-
haltungssysteme.Fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten            probleme, Knochendeformationen und Herz-Kreislauf-
sowie die dauerhafte Unterdrückung der Bewegung und             Probleme.

                                                          207
Der kritische Agrarbericht 2006

            Abb. 1: Produktionssteigerung in Schwellen- und Entwicklungsländern – Beispiel Thailand

                                 1.600

                                 1.400
 Metrische Tonnen (in Tausend)

                                 1.200

                                 1.000

                                  800

                                  600

                                  400

                                  200

                                     -
                                                1980

                                                       1981

                                                              1982

                                                                            1983

                                                                                    1984

                                                                                           1985

                                                                                                     1986

                                                                                                             1987

                                                                                                                    1988

                                                                                                                              1989

                                                                                                                                       1990

                                                                                                                                               1991

                                                                                                                                                        1992

                                                                                                                                                                  1993

                                                                                                                                                                         1994

                                                                                                                                                                                 1995

                                                                                                                                                                                           1996

                                                                                                                                                                                                  1997

                                                                                                                                                                                                          1998

                                                                                                                                                                                                                        1999

                                                                                                                                                                                                                               2000

                                                                                                                                                                                                                                      2001
Quelle: FAOSTAT 2004
            Abb. 2: Exportsteigerung der Schwellen- und Entwicklungsländer – Beispiel Thailand

                                 1.200

                                 1.000

                                  800
 Million US$

                                  600

                                  400

                                  200

                                     -
                                         1986

                                                       1987

                                                                     1988

                                                                                   1989

                                                                                              1990

                                                                                                            1991

                                                                                                                       1992

                                                                                                                                     1993

                                                                                                                                                 1994

                                                                                                                                                               1995

                                                                                                                                                                          1996

                                                                                                                                                                                        1997

                                                                                                                                                                                                   1998

                                                                                                                                                                                                                 1999

                                                                                                                                                                                                                               2000

                                                                                                                                                                                                                                             2001

Quelle: FAOSTAT 2004

    Extreme Spezialisierung auf Legeleistung bzw.                                                                                             ge und hoch spezialisierte Zuchtlinien zur Verfügung,
Fruchtbarkeit oder Milchproduktion – Merkmale, die                                                                                            deren genetische Bandbreite – und damit verbunden
mit den Masteigenschaften negativ korreliert sind –                                                                                           die Anpassungsfähigkeit an die Umwelt – immer gerin-
führt zum Beispiel dazu, dass die männlichen Küken                                                                                            ger wird (3).
aus der Legehennenzucht, deren Mast sich nicht rech-                                                                                              Zudem werden bei diesem Prozess herkömmliche
net, gar nicht erst aufgezogen, sondern sofort nach dem                                                                                       Haustierrassen zunehmend ins Abseits gedrängt.Von
Schlüpfen vergast oder in einem so genannten Homo-                                                                                            den weltweit 6.400 anerkannten „Nutztierrassen“ sind
genisator (Schredder) getötet werden.                                                                                                         in den letzten hundert Jahren 1.000 ausgestorben. Wei-
    Die Zuchtindustrie hat jahrelang keinen Wert mehr                                                                                         tere 2.000 Rassen sind in Gefahr. In den Schwellen- und
darauf gelegt, Rassen zu erhalten, die sich an verschie-                                                                                      Entwicklungsländern sind derzeit rund 30 Prozent der
dene Haltungsumgebungen adaptieren können, da sich                                                                                            noch existierenden Nutztierarten vom Aussterben be-
die Haltungsbedingungen in den Ställen weltweit zu-                                                                                           droht. Und mit dem Schwinden der eigenen Rassen
nehmend angleichen. Durch Züchtung auf hohe Leis-                                                                                             nimmt die Abhängigkeit von der weltweit agierenden
tung stehen heute nur noch wenige hoch leistungsfähi-                                                                                         Zuchtindustrie zu.

                                                                                                                                     208
Tierschutz und Tierhaltung

   Erst in jüngster Zeit gibt es auch Bestrebungen, wie-              Nicht alle Länder dieser Erde sind gegenwärtig in
der robuste, standortangepasste und nach ethischen               der Lage, die hohen SPS-Anforderungen der Industrie-
Maßstäben entsprechende Zuchtlinien zu fördern (4).              blöcke einzuhalten. Viele von ihnen werden daher von
                                                                 den Industriestaaten „unter die Fittiche“ genommen,
                                                                 um die SPS-Anforderungen auf Weltniveau zu bringen
Tierschutz und Welthandel                                        oder um die Staaten zumindest für den regionalen
                                                                 Grenzverkehr zu rüsten. Die EU betreut seit vielen Jah-
     Wenn man betrachtet, welche Kriterien im interna-           ren beispielsweise afrikanische Staaten wie Botswana,
tionalen Handel relevant sind und bei Nichtbeachtung             Namibia und Simbabwe (7). Diesen Staaten wird für
gegebenenfalls ein Handelshemmnis darstellen kön-                Fleischerzeugnisse auch ein besonderer Marktzugang
nen, wird man leicht feststellen, dass Anforderungen             zur EU eingeräumt.Drittstaaten dort,wo es erforderlich
des Tierschutzes praktisch nicht zur Sprache kommen,             ist,gezielt zu unterstützen,wäre sicher auch eine Option
wohl aber Hygienebestimmungen.                                   für den Tierschutz,die man direkt an die SPS-Standards
     Die Europäische Union beispielsweise knüpft an              anknüpfen könnte.
den Import von tierischen Produkten hohe sanitäre und                 Die Verantwortlichen in der EU und den Mitglied-
phytosanitäre Anforderungen [„SPS-Anforderungen“                 staaten verweisen bei der Frage, warum der Tierschutz
(5)], das heißt, man achtet strengstens darauf, dass von         im Welthandel kein Kriterium ist, gerne auf die Bestim-
den eingeführten Produkten keine Gefahr für die                  mungen der WTO,die zwar SPS-Regeln vorsehen,es aber
menschliche Gesundheit ausgeht und dass keine Seu-               verbieten, Produkte nach Herstellungskriterien zu dis-
chengefahr für die heimischen Tierbestände besteht.              kriminieren, die sich im Endprodukt nicht maßgeblich,
     Geprüft werden hier unter anderem tierseuchen-              respektive nicht gesundheitsschädlich, niederschlagen.
rechtliche und gesundheitliche Bedingungen am Her-               Zu diesen nicht zulässigen Produktionsqualitäten ge-
stellungsort; und an vorgeschriebenen Grenzkontrollen            hört nach Meinung der meisten EU-Handelspolitiker
werden bis zu 100 Prozent Stichproben durchgeführt.              auch der Tierschutz. Ob das formal richtig ist, soll an
Im Übrigen sind in den Herkunftsländern grundsätz-               dieser Stelle nicht weiter hinterfragt werden. Tatsache
lich auch die EU-Vorschriften über den Schutz von Tie-           ist, dass die Verantwortlichen in der EU auch genau so
ren zum Zeitpunkt der Schlachtung einzuhalten – wohl             handeln und den Tierschutz, anders als die SPS-An-
ebenfalls aus SPS-Erwägungen heraus (6). Allerdings              forderungen im internationalen Agrarhandel, auch bei
konnte bislang nicht geklärt werden, ob oder wie dies            bilateralen Abkommen und Fördermaßnahmen weit-
umgesetzt und kontrolliert wird.                                 gehend unter den Tisch fallen lassen.
     Dass die Grenzen während der gegenwärtig noch
immer nicht ausgestandenen Vogelgrippe in Asien ge-              Tierschutz-Impulse für den Welthandel
schlossen bleiben, ähnlich wie dies während der BSE-
Krise im Rindfleischmarkt der Fall gegenüber Groß-               Immerhin hat die EU bei der laufenden Entwicklungs-
britannien war oder wie es das Aufflackern einzelner             runde versucht, den Tierschutz im Rahmen der WTO zu
Schweinepest- oder anderer Infektionsherde auch für              stärken. Konkret fordert die EU:
deutsche Waren nach sich zieht, ist selbstverständlich.
     Anspruchsvolle Hygienestandards im internationa-            1) Abschluss und Weiterentwicklung bi- und multilater-
len Handel durchzusetzen ist also bereits möglich. Es               aler Tierschutzabkommen (8). Die EU schlägt hier vor,
wäre ein Leichtes, über die hygieneorientierte Tierge-              die Tierschutzkompetenz aus dem WTO-Raum her-
sundheit hinaus auch den Tierschutz, der Wohlbefinden               auszuverlagern, da die Finanzexperten der WTO da-
und Sozialverhalten der Tiere bei Zucht und Haltung                 für nicht zuständig und kompetent seien.
berücksichtigt, als Handelskriterium einzubeziehen.
Die bereits bestehende Verpflichtung, dass bei Impor-            Diese Überlegung ist zwar einerseits berechtigt. Ande-
ten in die EU die Tierschutzschlachtverordnung einzu-            rerseits macht es aber wenig Sinn, wenn weder die Er-
halten ist, müsste lediglich um die Verpflichtung zur            arbeitung noch die Anwendung solcher Abkommen
Einhaltung der übrigen geltenden Tierschutzbestim-               verbindlich wird. Es sollte daher eine verbindliche An-
mungen ergänzt werden. Dort, wo die EU noch keine                kopplung an die WTO-Regularien vorgesehen werden,
Tierschutzbestimmungen erlassen hat, beispielsweise              um die Operationalisierung der Verfahren sicherzustel-
für die Mastgeflügelhaltung, für Rinder, Schafe, Ziegen          len. Unter anderem sollte gewährleistet sein, dass die
und Kaninchen, müsste sie die erforderlichen Vor-                Einhaltung multilateral, gegebenenfalls auch bilateral
schriften noch erlassen. Damit würde Europa nicht nur            vereinbarter Abkommen zur Tierhaltung in der Land-
den Tierschutz im internationalen Handel befördern,              wirtschaft der WTO-Gerichtsbarkeit unterliegt und
sondern zugleich den innerhalb der EU.                           mithin einklagbar ist.

                                                           209
Der kritische Agrarbericht 2006

2) Verpflichtende oder freiwillige Kennzeichnung, um den                 Im Jahr 2004 wurden etwa 18 Prozent der gesamten
   Verbraucher über die Herstellungsweise zu informieren.           EU-Agrarbeihilfen zur Subventionierung der europäi-
                                                                    schen Rindfleischerzeuger eingesetzt (10).Rindfleisch-
Aus Sicht des Tierschutzes wird hier im Regelfall eine ver-         produzenten erhalten beispielsweise Direktzahlungen
bindliche und klare Kennzeichnung zu bevorzugen sein.               der EU, um ihre teuren Produkte auf dem Weltmarkt
                                                                    billig anbieten zu können. Andere Länder, die ihre
3) Kompensation der durch die Beachtung hoher Tier-                 Landwirte nicht entsprechend bezahlen können, kön-
   schutzstandards verursachten zusätzlichen Kosten                 nen da nicht mithalten. Die EU begrenzt damit nicht
   durch nicht handelsverzerrende Beihilfen. (Obwohl die            nur den Import qualitativ hochwertigen Rindfleisches,
   Staaten grundsätzlich dazu angehalten sind Subventio-            beispielsweise aus Argentinien. Sie belastet durch hohe
   nen abzubauen, erlaubt die WTO staatliche Maßnah-                Exporterstattungen und Sonderverkäufe zusätzlich die
   men, sofern diese wettbewerbsneutral und produktions-            Preise auf dem Weltmarkt (11). Völlig inakzeptabel ist
   unabhängig sind, als Zahlungen aus der „Green-Box“.)             es überdies, dass die EU im Jahr 2005 noch immer bis
                                                                    zu 77 Millionen Euro an Exporterstattungen für die
Da selbst beim erfolgreichen Abschluss internationaler              Ausfuhr von Schlachttieren zahlt.
Abkommen kulturelle Unterschiede bleiben und einzel-                     Es gibt demnach durchaus Segmente, in denen
ne Länder oder Wirtschaftsblöcke mehr für den Tier-                 Drittstaaten der EU im Tierschutz überlegen sein kön-
schutz tun wollen, ist es erforderlich, dass solche Zu-             nen. Wenn die EU einen freien und fairen Welthandel
satzleistungen gegebenenfalls über die Green-Box                    will, darf sie sich nicht zugleich in beide Richtungen ab-
abgesichert werden können. Bislang ist dies nur indi-               schotten: gegen schlechteren Tierschutz nach unten und
rekt über die Förderung von Öko- oder Umweltmaß-                    zugleich gegen besseren Tierschutz nach oben. Die EU
nahmen möglich.Um direkt, unstrittig und effizient auf              muss sich entscheiden, ob sie für höhere oder niedrige-
den Tierschutz zusteuern zu können, ist die explizite               re Tierschutzstandards eintritt.
Einstufung der Tierschutzförderung als GATT-neutrale
Maßnahme wünschenswert.
                                                                    Immer billiger oder immer besser?
Die Entwicklungs- und Schwellenländer stehen diesem
Vorstoß der EU bislang sehr reserviert gegenüber.Aller-             Aus der Sicht des Tierschutzes und der Ethik gibt es
dings nicht, weil sie gegen den Tierschutz sind, sondern            hier keine Entscheidungsfreiheit.Tiere,zumal die sozia-
weil sie dahinter eine „Finte“ der EU vermuten – eine               len und intelligenten Geflügel- und Großtiere in der
neue Strategie der EU, um Drittstaaten im Zweifelsfall              Landwirtschaft, sind empfindsame, leidende Mitge-
den Marktzugang zu verweigern.                                      schöpfe, die wir nicht im Stich lassen dürfen. Auch die
    Ganz von der Hand zu weisen ist diese Sorge sicher              Europäische Union hat sich in den Amsterdamer Ver-
nicht. Zum Beispiel räumt die EU den Legehennen in                  trägen und im Entwurf der EU-Verfassung dem Schutz
der Käfighaltung ein paar Quadratzentimeter mehr                    der Tiere als unserer Mitgeschöpfe verpflichtet. In
Grundfläche ein, als dies in manchen Drittstaaten der               Deutschland schließlich haben wir durch das Staatsziel
Fall ist. Durch eine Kennzeichnung oder andere Han-                 Tierschutz auf ganz besondere Weise die Verantwortung
delsmaßnahmen könnte es ihr gelingen, die Einfuhr                   für die Tiere unterstrichen. Wir mögen heute darüber
von Eiern oder Eiprodukten aus diesen Staaten zu er-                streiten können, wie schnell wir mit Verbesserungen im
schweren oder gar zu verhindern.                                    Tierschutz vorangehen wollen, aber die rechtliche Op-
    Umgekehrt können Länder, die in Teilbereichen                   tion, geltende Tierschutzstandards wieder zurückzu-
bessere Tierhaltungsbedingungen haben als die EU, aus               schrauben, haben wir in Deutschland nicht mehr; das
diesem Umstand zurzeit keine Vorteile ziehen. Rinder                sagen auch anerkannte Rechtswissenschaftler (12).
werden in der EU weitgehend unter Intensivbedingun-                     Wer auf Ethik und Tierschutz nichts gibt, könnte
gen in Ställen gehalten. In Ländern wie Argentinien (9)             versucht sein, aus dem Abbau von Tierschutzbestim-
dagegen ist eine extensive Rinderhaltung im Freiland                mungen Kapital zu schlagen. Das würde bedeuten, dass
die Regel.In diesem Punkt hat Argentinien einen klaren              sich die EU auch im Tierschutz in einen Abwärtswett-
Tierschutzvorteil gegenüber der EU. Der Vorteil zahlt               bewerb begibt, den sie international gesehen genauso
sich aber nicht in „barer Münze“ aus.                               wenig gewinnen kann wie den Abwärtswettbewerb um
    Die EU hat keine Maßnahmen vorgesehen, um Län-                  die Lohnkosten. Unsere britischen Kollegen von der
dern mit tiergerechter Produktion einen besseren                    RSPCA (Royal Society for the Prevention of Cruelty to
Marktzugang in die EU zu ermöglichen. Im Gegenteil,                 Animals), mit denen der Deutsche Tierschutzbund im
statt einer qualifizierten Öffnung des Marktes wird die-            Rahmen der Eurogroup for Animal Welfare zusammen-
ser behindert.                                                      arbeitet, haben bei einer Untersuchung des asiatischen

                                                              210
Tierschutz und Tierhaltung

Geflügelmarktes im Jahr 2003 beobachtet, dass es in             gen. Höhere Tierschutzstandards sind im internationa-
Thailand deutliche Anstrengungen gibt, nicht nur die            len Handel keinesfalls automatisch ein Hindernis, son-
SPS-Anforderung der EU immer besser zu erfüllen,                dern können als Qualitätskriterium sogar einen Wett-
sondern auch Fleisch in besserer Qualität zu liefern.           bewerbsvorteil bringen.
Zielrichtung sind Qualitätssegmente, die auch ein bio-               Um die Tierschutzsituation weltweit zu verbessern,
dynamisches Wirtschaften umfassen sollen (13).                  sollte die Europäische Union in bilateralen Vereinba-
Grund für diese Bestrebungen ist es nicht nur, die              rungen nicht nur auf die Einhaltung hoher SPS-Stan-
Verbraucherwünsche in Europa besser zu treffen, son-            dards drängen, sondern auch auf die Einhaltung des
dern es ist vor allem auch der Versuch, sich über die           Tierschutzes. Gegenüber Drittstaaten, die das nicht aus
Qualität von anderen Billiganbietern auf dem Welt-              sich heraus leisten können, sind laufende Fördermaß-
markt abzusetzen (14).                                          nahmen, die im Rahmen der Entwicklungshilfe auch
    Wenn bereits die Billiganbieter am unteren Ende             auf die Verbesserung des SPS-Niveaus abzielen, auf den
der Spirale angekommen sind und erkennen, dass sie              Tierschutz auszudehnen. Um mit belastbaren und
sich mit einer noch weiteren Absenkung der Preise               glaubwürdigen Kriterien in den bilateralen Austausch
nicht durchsetzen können, dann können wir in                    gehen zu können, muss die EU in jenen Bereichen, in
Deutschland und in der EU doch nicht ernsthaft darü-            denen es überhaupt noch keine Tierschutzvorschriften
ber nachdenken, deren Preise auch noch unterbieten zu           gibt, etwa in der Mastgeflügel- oder Rinderhaltung, sol-
wollen. Wir müssen im Welthandel auf Qualität setzen,           che erlassen und soweit Regelungen bereits bestehen,
und qualitativ hochwertige Produkte kann nur derjeni-           sollten diese nachgebessert werden.
ge liefern, der tiergerecht produziert. Das Qualitäts-               Um bessere Tierschutzanforderungen auch unter
merkmal in der Tierwirtschaft heißt Tierschutz.                 dem Dach der WTO durchzusetzen, sollte die EU versu-
    Ähnliches gilt übrigens auch für den deutschen              chen, auch in diesem Kontext multilaterale Tierschutz-
Blick auf das Konkurrenzverhältnis innerhalb der Eu-            abkommen anzustreben. Insbesondere für solche Fälle,
ropäischen Union. Zu denken ist hier vor allem an die           in denen sich international keine Einigkeit erzielen lässt
aktuelle Diskussion um die Tierschutz-Nutztierhal-              oder einzelne Vertragspartner über die Mindeststandards
tungsverordnung in den Teilbereichen Legehennen und             hinausgehen wollen, muss es möglich sein, höhere Tier-
Schweine. Dänemark hat in der Schweinemast durch                schutzstandards über die Green-Box abzusichern und
schnellere Umsetzung besserer Tierschutzstandards               eine klare Tierschutzkennzeichnung vorzunehmen. Die
einen Qualitätsvorsprung herausgearbeitet, der welt-            EU-Agenda für die laufende Entwicklungsrunde hat
weit anerkannt ist und dem Land einen erheblichen               diese Maßnahmen im Wesentlichen vorgesehen.Die EU
Nachfragevorsprung beschert (15). Mit einem Außen-              muss daran festhalten und bei den Tierschutzabkom-
handelsvolumen von rund vier Milliarden Euro ist                men darauf achten, dass die Einhaltung von Mindest-
Dänemark der größte Exporteur im Segment.                       standards auch der WTO-Gerichtsbarkeit unterliegt.
    In Deutschland dagegen sind aktuell neue, riesig                 Handelsvorteile, die aufgrund höherer Tierschutz-
dimensionierte Schweinemastanlagen mit den geringst             standards erzielt werden, dürfen von keiner Seite unter-
möglichen EU-Vorgaben in der Planung. Erlasse zur               laufen werden, auch nicht von der EU. Auch von dieser
Schweinehaltung werden aufgehoben. Die Landwirte                Warte her empfiehlt es sich dringend, dass die Europä-
werden damit geradezu dazu angehalten, in weniger               ische Union für alle landwirtschaftlich genutzten Tier-
moderne Systeme zu investieren.                                 arten möglichst hohe Tierschutzstandards einführt.Die
    Völlig unverständlich sind auch die Bestrebungen            EU wird nicht immer und nicht in allen Segmenten „die
bei der Legehennenhaltung, den Ausstieg aus der Käfig-          Nase vorne“ haben können. Dort wo sie Standortnach-
haltung wieder rückgängig zu machen und „ausgestal-             teile hat, etwa bei der Extensivhaltung von Rindern,
tete Käfige“ auf unabsehbare Zeit zuzulassen.Dies wäre          muss sie zusehen, die Lücke möglichst gering zu halten
nicht nur für die Tiere eine Katastrophe, denn ganz ge-         oder zu schließen.Tierschutznachteile per Subventions-
wiss würde perspektivisch auch ein ökonomischer Vor-            dumping aufrecht zu erhalten, kann auch nach den ak-
sprung bei der „Prozessqualität Tierschutz“ verschenkt,         tuellen WTO-Zielen zum Abbau von Handelshemmnis-
den sich die Bundesrepublik eher früher als später teu-         sen im Agrarmarkt (16) nicht dauerhaft zulässig sein.
er zurückerobern muss.                                               Gerade wir Europäer haben durch den Integra-
                                                                tionsprozess der EU gelernt, dass es unter dem Strich
                                                                im Tierschutz vorangehen kann, sobald diejenigen, die
Fazit                                                           schon etwas weiter sind, andere mitziehen, die eben
                                                                noch nicht so weit sind. Im Tross geht es dann vielleicht
Den Tierschutz voranzubringen ist in Deutschland und            langsamer vorwärts als es dem einen oder der anderen
der EU ein wichtiges ethisches und rechtliches Anlie-           lieb ist; aber es geht voran.Voraussetzung ist und bleibt

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Der kritische Agrarbericht 2006

allerdings, dass immer jemand da ist, der zieht. Das gilt                        (10) Seit vielen Jahren fließt knapp die Hälfte des EU-Haushaltes in
auch für den Tierschutz im Weltmaßstab.                                               den Agrarbereich. Im Haushaltsplan für das Jahr 2004 waren da-
                                                                                      für 45,7 Milliarden Euro veranschlagt; das sind 46 Prozent der
                                                                                      Gesamtausgaben. Vgl. Bundesministerium des Innern: Der Haus-
                                                                                      halt der Europäischen Union, Mai 2004.
Anmerkungen                                                                      (11) Siehe Anm. 7.
                                                                                 (12) Johannes Caspar und Michael W. Schröter: Das Staatsziel Tier-
  (1 CIWF: Reducing Meat Consumption – The Case For Urgent Re-                        schutz in Art 20a GG. Rechtsgutachten im Auftrag des Deutschen
     form, Hampshire 2004.                                                            Tierschutzbundes, Bonn 2003.
 (2) Pressemeldung der EU-Kommission vom 16. Dezember 2002                       (13) RSPCA/Eurogroup for Animal Welfare, a.a.O.
     (DN: MEMO/02/295).                                                          (14) Wegen der aktuellen Seuchensituation ist die Lage in Asien der-
 (3) Frank Austen, Anita Idel und Maite Mathes: Nachholbedarf öko-                    zeit recht unübersichtlich. Länder wie Thailand oder China wer-
     logische Tierzucht – auch eine Geschlechterfrage. In: Der kriti-                 den sich nach Bewältigung der Vogelgrippe im Weltmarkt völlig
     sche Agrarbericht 2003, S 234 ff.; Anita Idel und Maite Matthes:                 neu aufstellen müssen. Stärker noch als dies in der EU nach der
     Die falschen Ziele – Warum die Tierzucht ökologisiert werden                     BSE-Krise der Fall war, könnte dies – bei den exportorientierten
     muss. In: Der kritische Agrarbericht 2004, S. 197 ff.; Brigitte Ru-              Unternehmen – dann in der Tat mit einem Schub in Richtung
     sche und Roman Kolar: Qualzucht in der Landwirtschaft – Neue                     Qualität und auch zur Umsetzung von Bio-Konzepten führen.
     Herausforderungen für den Tierschutz. In: Der kritische Agrarbe-            (15) Dazu u. a. H.J. Brock: Neue Lösungen zur Haltung und Beschäf-
     richt 2003, S. 230 ff.                                                           tigungsmöglichkeiten für Schweine in Dänemark, MS o.D.; H.W.
 (4) Pressemeldung des Tierzuchtfonds vom 26. November 2004 (sie-                     Windhorst: Perspektiven für die Veredelungswirtschaft. In: Nutz-
     he www.tierzuchtfonds.de). – Beispiele für neue züchterische                     tierpraxis aktuell, März 2003.
     Ansätze und den Erhalt bedrohter alter Landrassen finden sich               (16) Laut einer noch nicht näher konkretisierten Rahmenvereinba-
     unter den Preisträgern des Jahres 2005 des Pro Tier-Förderprei-                  rung vom Juli 2004 sollen:
     ses für artgerechte Nutztierhaltung der Allianz für Tiere in der                 - Exporterstattungen, Exportkredite und andere handelsverzer-
     Landwirtschaft (www.allianz-fuer-tiere.de).                                        rende Exportförderungen „bis zu einem glaubwürdigen End-
 (5) Sanitäre und Phytosanitäre Anforderungen: Siehe dazu: „Ein-                        datum“ abgeschafft werden.
     fuhr von und Innergemeinschaftlicher Handel mit Fleischer-                       - Im Bereich der internen Förderung sollen handelsverzerrende
     zeugnissen“ im Internetangebot der EU (http://europa.eu.int).                      Zahlungen substantiell reduziert werden.
 (6) Siehe http://europa.eu.int/comm/food/animal/animalproducts/                      - Zölle für Agrarprodukte sollen substantiell reduziert werden.
     meatproducts/products_de.htm.                                                      Ausnahmen sollen möglich sein für sensible Produkte wie
 (7) M. Halderman and M. Nelson: EU Policy-Making: Reform of the                        Rindfleisch oder Zucker.
     Cap and EU Trade in Beef & Dairy with Developing Countries.                      Ausführlich hierzu: WTO: The «July package» – the General
     PPLPI Working Paper No. 18, January 2005.                                        Council´s post-Cancún decision, 2. August 2005.
 (8) Zugute kommt der Europäischen Union dabei sicher auch, dass
     auch Organisationen wie FAO (Food and Agriculture Organisa-
     tion der UNO), die UNEP (United Nations Environment Pro-
     gramm), die OIE (International Epizootics Organisation) daran               Autorin
     arbeiten, neben SPS-Bestimmungen auch den Tierschutz in ihre
     jeweiligen Aufgabenbereiche zu integrieren. (Vgl. CIWF: The De-             Dr. Brigitte Rusche, Leiterin der Akademie
     trimental Impacts of Industrial Animal Agriculture, Hampshire               für Tierschutz des Deutschen Tierschutz-
     2002.)                                                                      bundes e.V.
 (9) Zwischen der Rindfleischproduktion in Brasilien und Argentinien
     ist aus ökologischen Gründen dringend zu unterscheiden.
     Während die Rinderhaltung in Brasilien mit der Rodung und                   Akademie für Tierschutz
     unwiederbringlichen Vernichtung von Regenwald einhergeht,                   Postfach 1361
     kommt die Tierhaltung in Argentinien der Pflege des Graslandes              85573 Neubiberg
     zugute. (Vgl. dazu Josef H. Reichholf: Der Tanz um das goldene              E-Mail:
     Kalb. Berlin 2004.)                                                         brigitte.rusche@tierschutzakademie.de

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