Tierschutz - neue Herausforderungen im Zuge der Globalisierung - kritischer-agrarbericht.de
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Tierschutz und Tierhaltung Tierschutz – neue Herausforderungen im Zuge der Globalisierung von Brigitte Rusche Höhere Tierschutzstandards sind im internationalen Handel keinesfalls automatisch ein Hin- dernis, sondern können als Qualitätskriterium sogar einen Wettbewerbsvorteil bringen. Um die Tierschutzsituation weltweit zu verbessern, sollte die Europäische Union in bilateralen Ver- einbarungen nicht nur auf die Einhaltung hoher Hygiene-Standards drängen, sondern auch auf die Einhaltung des Tierschutzes. Auf Ebene der Welthandelsorganisation muss sich die EU dafür einsetzen, dass in Zukunft Tierschutz-Mindeststandards der WTO-Gerichtsbarkeit unterliegen und die Subventionierung höherer Tierschutzstandards durch einzelne Staaten nicht als Handelshemmnis gilt, sondern erlaubt bleibt und über die „Green Box“ der WTO ab- gesichert wird. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich die des Sozialverhaltens führen zu Schäden und Leiden bei weltweite Fleischproduktion in etwa verfünffacht. Nach den Tieren. Dazu kommen Amputationen und Kastra- Schätzungen der Weltbank wird sich der Fleischbedarf tionen zur Anpassung der Tiere an die Stallbedingungen. von 209 Milliarden Tonnen im Jahr 1997 auf 327 Milli- Nicht tiergerechte, industrielle Haltungssysteme, in arden Tonnen im Jahr 2020 steigern. Das entspricht denen die Tiere Verhaltensstörungen entwickeln, fin- einem Zuwachs von 56 Prozent. Der weltweite Milch- den sich zunehmend auch in den Schwellen- und Ent- bedarf soll bis zum Jahr 2020 um 54 Prozent wachsen, wicklungsländern – teilweise sind es die aus Europa von 422 Millionen Tonnen auf 648 Millionen Tonnen. exportierten Altanlagen, die den Tierschutzbestim- Andere Schätzungen gehen sogar von einem Zuwachs mungen der EU heute nicht mehr genügen. der Fleisch- und Milchproduktion von über 100 Prozent Mit der Industrialisierung geht die Entkopplung der bis ins Jahr 2020 aus. Produktionsbereiche Zucht, Aufzucht, Mast und Um den derzeitigen Bedarf an Tierprodukten zu de- Schlachtung einher. Folge dieser Spezialisierung in der cken, werden weltweit rund eine Milliarde Schweine, Tierwirtschaft ist eine Zunahme der Tiertransporte. 1,3 Milliarden Rinder, 1,8 Milliarden Schafe und Ziegen Allein aus der EU sind rund 360 Millionen (Groß-)Tiere und 15,4 Milliarden Hühner (1) gehalten – davon be- jährlich von Tiertransporten betroffen [Geflügel nicht reits heute zwei Drittel in den so genannten Entwick- eingerechnet (2)]. Weltweit sind es in diesem Zeitraum lungs- und Schwellenländern –, mit steigender Tendenz mindestens 50 Milliarden Tiere. Laut Angaben der FAO (Abb. 1 u. 2). werden jährlich weltweit 50 Milliarden Tiere geschlach- tet, und es ist davon auszugehen, dass jedes Tier min- destens einmal in seinem Leben transportiert wird. Tierschutzrelevante Probleme Die Verwandlung des Tieres vom Mitgeschöpf zum Produktionsgut findet ihren Ausdruck auch in der Produktionssteigerungen gingen in der Tierwirtschaft Zucht. Tierschutzrelevant ist die Ausrichtung der Zucht bisher immer mit einer zunehmenden Industrialisie- in Richtung maximaler Produktionssteigerung. Über- rung und Rationalisierung zu Lasten der Tiere einher. mäßiger Muskelzuwachs, Schnellwüchsigkeit, hohe Viele Tiere auf engstem Raum ohne Tageslicht, in struk- Milchleistung oder hohe Legeleistung sind Zuchtziele, turlosen Ställen, in Käfigen oder auf Spaltenböden sind die bei den Tieren zu körperlichen Schäden und extre- die schlimmen Charakteristika industrialisierter Tier- men Leiden führen. Zu nennen sind hier u. a. Gelenk- haltungssysteme.Fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten probleme, Knochendeformationen und Herz-Kreislauf- sowie die dauerhafte Unterdrückung der Bewegung und Probleme. 207
Der kritische Agrarbericht 2006 Abb. 1: Produktionssteigerung in Schwellen- und Entwicklungsländern – Beispiel Thailand 1.600 1.400 Metrische Tonnen (in Tausend) 1.200 1.000 800 600 400 200 - 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 Quelle: FAOSTAT 2004 Abb. 2: Exportsteigerung der Schwellen- und Entwicklungsländer – Beispiel Thailand 1.200 1.000 800 Million US$ 600 400 200 - 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 Quelle: FAOSTAT 2004 Extreme Spezialisierung auf Legeleistung bzw. ge und hoch spezialisierte Zuchtlinien zur Verfügung, Fruchtbarkeit oder Milchproduktion – Merkmale, die deren genetische Bandbreite – und damit verbunden mit den Masteigenschaften negativ korreliert sind – die Anpassungsfähigkeit an die Umwelt – immer gerin- führt zum Beispiel dazu, dass die männlichen Küken ger wird (3). aus der Legehennenzucht, deren Mast sich nicht rech- Zudem werden bei diesem Prozess herkömmliche net, gar nicht erst aufgezogen, sondern sofort nach dem Haustierrassen zunehmend ins Abseits gedrängt.Von Schlüpfen vergast oder in einem so genannten Homo- den weltweit 6.400 anerkannten „Nutztierrassen“ sind genisator (Schredder) getötet werden. in den letzten hundert Jahren 1.000 ausgestorben. Wei- Die Zuchtindustrie hat jahrelang keinen Wert mehr tere 2.000 Rassen sind in Gefahr. In den Schwellen- und darauf gelegt, Rassen zu erhalten, die sich an verschie- Entwicklungsländern sind derzeit rund 30 Prozent der dene Haltungsumgebungen adaptieren können, da sich noch existierenden Nutztierarten vom Aussterben be- die Haltungsbedingungen in den Ställen weltweit zu- droht. Und mit dem Schwinden der eigenen Rassen nehmend angleichen. Durch Züchtung auf hohe Leis- nimmt die Abhängigkeit von der weltweit agierenden tung stehen heute nur noch wenige hoch leistungsfähi- Zuchtindustrie zu. 208
Tierschutz und Tierhaltung Erst in jüngster Zeit gibt es auch Bestrebungen, wie- Nicht alle Länder dieser Erde sind gegenwärtig in der robuste, standortangepasste und nach ethischen der Lage, die hohen SPS-Anforderungen der Industrie- Maßstäben entsprechende Zuchtlinien zu fördern (4). blöcke einzuhalten. Viele von ihnen werden daher von den Industriestaaten „unter die Fittiche“ genommen, um die SPS-Anforderungen auf Weltniveau zu bringen Tierschutz und Welthandel oder um die Staaten zumindest für den regionalen Grenzverkehr zu rüsten. Die EU betreut seit vielen Jah- Wenn man betrachtet, welche Kriterien im interna- ren beispielsweise afrikanische Staaten wie Botswana, tionalen Handel relevant sind und bei Nichtbeachtung Namibia und Simbabwe (7). Diesen Staaten wird für gegebenenfalls ein Handelshemmnis darstellen kön- Fleischerzeugnisse auch ein besonderer Marktzugang nen, wird man leicht feststellen, dass Anforderungen zur EU eingeräumt.Drittstaaten dort,wo es erforderlich des Tierschutzes praktisch nicht zur Sprache kommen, ist,gezielt zu unterstützen,wäre sicher auch eine Option wohl aber Hygienebestimmungen. für den Tierschutz,die man direkt an die SPS-Standards Die Europäische Union beispielsweise knüpft an anknüpfen könnte. den Import von tierischen Produkten hohe sanitäre und Die Verantwortlichen in der EU und den Mitglied- phytosanitäre Anforderungen [„SPS-Anforderungen“ staaten verweisen bei der Frage, warum der Tierschutz (5)], das heißt, man achtet strengstens darauf, dass von im Welthandel kein Kriterium ist, gerne auf die Bestim- den eingeführten Produkten keine Gefahr für die mungen der WTO,die zwar SPS-Regeln vorsehen,es aber menschliche Gesundheit ausgeht und dass keine Seu- verbieten, Produkte nach Herstellungskriterien zu dis- chengefahr für die heimischen Tierbestände besteht. kriminieren, die sich im Endprodukt nicht maßgeblich, Geprüft werden hier unter anderem tierseuchen- respektive nicht gesundheitsschädlich, niederschlagen. rechtliche und gesundheitliche Bedingungen am Her- Zu diesen nicht zulässigen Produktionsqualitäten ge- stellungsort; und an vorgeschriebenen Grenzkontrollen hört nach Meinung der meisten EU-Handelspolitiker werden bis zu 100 Prozent Stichproben durchgeführt. auch der Tierschutz. Ob das formal richtig ist, soll an Im Übrigen sind in den Herkunftsländern grundsätz- dieser Stelle nicht weiter hinterfragt werden. Tatsache lich auch die EU-Vorschriften über den Schutz von Tie- ist, dass die Verantwortlichen in der EU auch genau so ren zum Zeitpunkt der Schlachtung einzuhalten – wohl handeln und den Tierschutz, anders als die SPS-An- ebenfalls aus SPS-Erwägungen heraus (6). Allerdings forderungen im internationalen Agrarhandel, auch bei konnte bislang nicht geklärt werden, ob oder wie dies bilateralen Abkommen und Fördermaßnahmen weit- umgesetzt und kontrolliert wird. gehend unter den Tisch fallen lassen. Dass die Grenzen während der gegenwärtig noch immer nicht ausgestandenen Vogelgrippe in Asien ge- Tierschutz-Impulse für den Welthandel schlossen bleiben, ähnlich wie dies während der BSE- Krise im Rindfleischmarkt der Fall gegenüber Groß- Immerhin hat die EU bei der laufenden Entwicklungs- britannien war oder wie es das Aufflackern einzelner runde versucht, den Tierschutz im Rahmen der WTO zu Schweinepest- oder anderer Infektionsherde auch für stärken. Konkret fordert die EU: deutsche Waren nach sich zieht, ist selbstverständlich. Anspruchsvolle Hygienestandards im internationa- 1) Abschluss und Weiterentwicklung bi- und multilater- len Handel durchzusetzen ist also bereits möglich. Es aler Tierschutzabkommen (8). Die EU schlägt hier vor, wäre ein Leichtes, über die hygieneorientierte Tierge- die Tierschutzkompetenz aus dem WTO-Raum her- sundheit hinaus auch den Tierschutz, der Wohlbefinden auszuverlagern, da die Finanzexperten der WTO da- und Sozialverhalten der Tiere bei Zucht und Haltung für nicht zuständig und kompetent seien. berücksichtigt, als Handelskriterium einzubeziehen. Die bereits bestehende Verpflichtung, dass bei Impor- Diese Überlegung ist zwar einerseits berechtigt. Ande- ten in die EU die Tierschutzschlachtverordnung einzu- rerseits macht es aber wenig Sinn, wenn weder die Er- halten ist, müsste lediglich um die Verpflichtung zur arbeitung noch die Anwendung solcher Abkommen Einhaltung der übrigen geltenden Tierschutzbestim- verbindlich wird. Es sollte daher eine verbindliche An- mungen ergänzt werden. Dort, wo die EU noch keine kopplung an die WTO-Regularien vorgesehen werden, Tierschutzbestimmungen erlassen hat, beispielsweise um die Operationalisierung der Verfahren sicherzustel- für die Mastgeflügelhaltung, für Rinder, Schafe, Ziegen len. Unter anderem sollte gewährleistet sein, dass die und Kaninchen, müsste sie die erforderlichen Vor- Einhaltung multilateral, gegebenenfalls auch bilateral schriften noch erlassen. Damit würde Europa nicht nur vereinbarter Abkommen zur Tierhaltung in der Land- den Tierschutz im internationalen Handel befördern, wirtschaft der WTO-Gerichtsbarkeit unterliegt und sondern zugleich den innerhalb der EU. mithin einklagbar ist. 209
Der kritische Agrarbericht 2006 2) Verpflichtende oder freiwillige Kennzeichnung, um den Im Jahr 2004 wurden etwa 18 Prozent der gesamten Verbraucher über die Herstellungsweise zu informieren. EU-Agrarbeihilfen zur Subventionierung der europäi- schen Rindfleischerzeuger eingesetzt (10).Rindfleisch- Aus Sicht des Tierschutzes wird hier im Regelfall eine ver- produzenten erhalten beispielsweise Direktzahlungen bindliche und klare Kennzeichnung zu bevorzugen sein. der EU, um ihre teuren Produkte auf dem Weltmarkt billig anbieten zu können. Andere Länder, die ihre 3) Kompensation der durch die Beachtung hoher Tier- Landwirte nicht entsprechend bezahlen können, kön- schutzstandards verursachten zusätzlichen Kosten nen da nicht mithalten. Die EU begrenzt damit nicht durch nicht handelsverzerrende Beihilfen. (Obwohl die nur den Import qualitativ hochwertigen Rindfleisches, Staaten grundsätzlich dazu angehalten sind Subventio- beispielsweise aus Argentinien. Sie belastet durch hohe nen abzubauen, erlaubt die WTO staatliche Maßnah- Exporterstattungen und Sonderverkäufe zusätzlich die men, sofern diese wettbewerbsneutral und produktions- Preise auf dem Weltmarkt (11). Völlig inakzeptabel ist unabhängig sind, als Zahlungen aus der „Green-Box“.) es überdies, dass die EU im Jahr 2005 noch immer bis zu 77 Millionen Euro an Exporterstattungen für die Da selbst beim erfolgreichen Abschluss internationaler Ausfuhr von Schlachttieren zahlt. Abkommen kulturelle Unterschiede bleiben und einzel- Es gibt demnach durchaus Segmente, in denen ne Länder oder Wirtschaftsblöcke mehr für den Tier- Drittstaaten der EU im Tierschutz überlegen sein kön- schutz tun wollen, ist es erforderlich, dass solche Zu- nen. Wenn die EU einen freien und fairen Welthandel satzleistungen gegebenenfalls über die Green-Box will, darf sie sich nicht zugleich in beide Richtungen ab- abgesichert werden können. Bislang ist dies nur indi- schotten: gegen schlechteren Tierschutz nach unten und rekt über die Förderung von Öko- oder Umweltmaß- zugleich gegen besseren Tierschutz nach oben. Die EU nahmen möglich.Um direkt, unstrittig und effizient auf muss sich entscheiden, ob sie für höhere oder niedrige- den Tierschutz zusteuern zu können, ist die explizite re Tierschutzstandards eintritt. Einstufung der Tierschutzförderung als GATT-neutrale Maßnahme wünschenswert. Immer billiger oder immer besser? Die Entwicklungs- und Schwellenländer stehen diesem Vorstoß der EU bislang sehr reserviert gegenüber.Aller- Aus der Sicht des Tierschutzes und der Ethik gibt es dings nicht, weil sie gegen den Tierschutz sind, sondern hier keine Entscheidungsfreiheit.Tiere,zumal die sozia- weil sie dahinter eine „Finte“ der EU vermuten – eine len und intelligenten Geflügel- und Großtiere in der neue Strategie der EU, um Drittstaaten im Zweifelsfall Landwirtschaft, sind empfindsame, leidende Mitge- den Marktzugang zu verweigern. schöpfe, die wir nicht im Stich lassen dürfen. Auch die Ganz von der Hand zu weisen ist diese Sorge sicher Europäische Union hat sich in den Amsterdamer Ver- nicht. Zum Beispiel räumt die EU den Legehennen in trägen und im Entwurf der EU-Verfassung dem Schutz der Käfighaltung ein paar Quadratzentimeter mehr der Tiere als unserer Mitgeschöpfe verpflichtet. In Grundfläche ein, als dies in manchen Drittstaaten der Deutschland schließlich haben wir durch das Staatsziel Fall ist. Durch eine Kennzeichnung oder andere Han- Tierschutz auf ganz besondere Weise die Verantwortung delsmaßnahmen könnte es ihr gelingen, die Einfuhr für die Tiere unterstrichen. Wir mögen heute darüber von Eiern oder Eiprodukten aus diesen Staaten zu er- streiten können, wie schnell wir mit Verbesserungen im schweren oder gar zu verhindern. Tierschutz vorangehen wollen, aber die rechtliche Op- Umgekehrt können Länder, die in Teilbereichen tion, geltende Tierschutzstandards wieder zurückzu- bessere Tierhaltungsbedingungen haben als die EU, aus schrauben, haben wir in Deutschland nicht mehr; das diesem Umstand zurzeit keine Vorteile ziehen. Rinder sagen auch anerkannte Rechtswissenschaftler (12). werden in der EU weitgehend unter Intensivbedingun- Wer auf Ethik und Tierschutz nichts gibt, könnte gen in Ställen gehalten. In Ländern wie Argentinien (9) versucht sein, aus dem Abbau von Tierschutzbestim- dagegen ist eine extensive Rinderhaltung im Freiland mungen Kapital zu schlagen. Das würde bedeuten, dass die Regel.In diesem Punkt hat Argentinien einen klaren sich die EU auch im Tierschutz in einen Abwärtswett- Tierschutzvorteil gegenüber der EU. Der Vorteil zahlt bewerb begibt, den sie international gesehen genauso sich aber nicht in „barer Münze“ aus. wenig gewinnen kann wie den Abwärtswettbewerb um Die EU hat keine Maßnahmen vorgesehen, um Län- die Lohnkosten. Unsere britischen Kollegen von der dern mit tiergerechter Produktion einen besseren RSPCA (Royal Society for the Prevention of Cruelty to Marktzugang in die EU zu ermöglichen. Im Gegenteil, Animals), mit denen der Deutsche Tierschutzbund im statt einer qualifizierten Öffnung des Marktes wird die- Rahmen der Eurogroup for Animal Welfare zusammen- ser behindert. arbeitet, haben bei einer Untersuchung des asiatischen 210
Tierschutz und Tierhaltung Geflügelmarktes im Jahr 2003 beobachtet, dass es in gen. Höhere Tierschutzstandards sind im internationa- Thailand deutliche Anstrengungen gibt, nicht nur die len Handel keinesfalls automatisch ein Hindernis, son- SPS-Anforderung der EU immer besser zu erfüllen, dern können als Qualitätskriterium sogar einen Wett- sondern auch Fleisch in besserer Qualität zu liefern. bewerbsvorteil bringen. Zielrichtung sind Qualitätssegmente, die auch ein bio- Um die Tierschutzsituation weltweit zu verbessern, dynamisches Wirtschaften umfassen sollen (13). sollte die Europäische Union in bilateralen Vereinba- Grund für diese Bestrebungen ist es nicht nur, die rungen nicht nur auf die Einhaltung hoher SPS-Stan- Verbraucherwünsche in Europa besser zu treffen, son- dards drängen, sondern auch auf die Einhaltung des dern es ist vor allem auch der Versuch, sich über die Tierschutzes. Gegenüber Drittstaaten, die das nicht aus Qualität von anderen Billiganbietern auf dem Welt- sich heraus leisten können, sind laufende Fördermaß- markt abzusetzen (14). nahmen, die im Rahmen der Entwicklungshilfe auch Wenn bereits die Billiganbieter am unteren Ende auf die Verbesserung des SPS-Niveaus abzielen, auf den der Spirale angekommen sind und erkennen, dass sie Tierschutz auszudehnen. Um mit belastbaren und sich mit einer noch weiteren Absenkung der Preise glaubwürdigen Kriterien in den bilateralen Austausch nicht durchsetzen können, dann können wir in gehen zu können, muss die EU in jenen Bereichen, in Deutschland und in der EU doch nicht ernsthaft darü- denen es überhaupt noch keine Tierschutzvorschriften ber nachdenken, deren Preise auch noch unterbieten zu gibt, etwa in der Mastgeflügel- oder Rinderhaltung, sol- wollen. Wir müssen im Welthandel auf Qualität setzen, che erlassen und soweit Regelungen bereits bestehen, und qualitativ hochwertige Produkte kann nur derjeni- sollten diese nachgebessert werden. ge liefern, der tiergerecht produziert. Das Qualitäts- Um bessere Tierschutzanforderungen auch unter merkmal in der Tierwirtschaft heißt Tierschutz. dem Dach der WTO durchzusetzen, sollte die EU versu- Ähnliches gilt übrigens auch für den deutschen chen, auch in diesem Kontext multilaterale Tierschutz- Blick auf das Konkurrenzverhältnis innerhalb der Eu- abkommen anzustreben. Insbesondere für solche Fälle, ropäischen Union. Zu denken ist hier vor allem an die in denen sich international keine Einigkeit erzielen lässt aktuelle Diskussion um die Tierschutz-Nutztierhal- oder einzelne Vertragspartner über die Mindeststandards tungsverordnung in den Teilbereichen Legehennen und hinausgehen wollen, muss es möglich sein, höhere Tier- Schweine. Dänemark hat in der Schweinemast durch schutzstandards über die Green-Box abzusichern und schnellere Umsetzung besserer Tierschutzstandards eine klare Tierschutzkennzeichnung vorzunehmen. Die einen Qualitätsvorsprung herausgearbeitet, der welt- EU-Agenda für die laufende Entwicklungsrunde hat weit anerkannt ist und dem Land einen erheblichen diese Maßnahmen im Wesentlichen vorgesehen.Die EU Nachfragevorsprung beschert (15). Mit einem Außen- muss daran festhalten und bei den Tierschutzabkom- handelsvolumen von rund vier Milliarden Euro ist men darauf achten, dass die Einhaltung von Mindest- Dänemark der größte Exporteur im Segment. standards auch der WTO-Gerichtsbarkeit unterliegt. In Deutschland dagegen sind aktuell neue, riesig Handelsvorteile, die aufgrund höherer Tierschutz- dimensionierte Schweinemastanlagen mit den geringst standards erzielt werden, dürfen von keiner Seite unter- möglichen EU-Vorgaben in der Planung. Erlasse zur laufen werden, auch nicht von der EU. Auch von dieser Schweinehaltung werden aufgehoben. Die Landwirte Warte her empfiehlt es sich dringend, dass die Europä- werden damit geradezu dazu angehalten, in weniger ische Union für alle landwirtschaftlich genutzten Tier- moderne Systeme zu investieren. arten möglichst hohe Tierschutzstandards einführt.Die Völlig unverständlich sind auch die Bestrebungen EU wird nicht immer und nicht in allen Segmenten „die bei der Legehennenhaltung, den Ausstieg aus der Käfig- Nase vorne“ haben können. Dort wo sie Standortnach- haltung wieder rückgängig zu machen und „ausgestal- teile hat, etwa bei der Extensivhaltung von Rindern, tete Käfige“ auf unabsehbare Zeit zuzulassen.Dies wäre muss sie zusehen, die Lücke möglichst gering zu halten nicht nur für die Tiere eine Katastrophe, denn ganz ge- oder zu schließen.Tierschutznachteile per Subventions- wiss würde perspektivisch auch ein ökonomischer Vor- dumping aufrecht zu erhalten, kann auch nach den ak- sprung bei der „Prozessqualität Tierschutz“ verschenkt, tuellen WTO-Zielen zum Abbau von Handelshemmnis- den sich die Bundesrepublik eher früher als später teu- sen im Agrarmarkt (16) nicht dauerhaft zulässig sein. er zurückerobern muss. Gerade wir Europäer haben durch den Integra- tionsprozess der EU gelernt, dass es unter dem Strich im Tierschutz vorangehen kann, sobald diejenigen, die Fazit schon etwas weiter sind, andere mitziehen, die eben noch nicht so weit sind. Im Tross geht es dann vielleicht Den Tierschutz voranzubringen ist in Deutschland und langsamer vorwärts als es dem einen oder der anderen der EU ein wichtiges ethisches und rechtliches Anlie- lieb ist; aber es geht voran.Voraussetzung ist und bleibt 211
Der kritische Agrarbericht 2006 allerdings, dass immer jemand da ist, der zieht. Das gilt (10) Seit vielen Jahren fließt knapp die Hälfte des EU-Haushaltes in auch für den Tierschutz im Weltmaßstab. den Agrarbereich. Im Haushaltsplan für das Jahr 2004 waren da- für 45,7 Milliarden Euro veranschlagt; das sind 46 Prozent der Gesamtausgaben. Vgl. Bundesministerium des Innern: Der Haus- halt der Europäischen Union, Mai 2004. Anmerkungen (11) Siehe Anm. 7. (12) Johannes Caspar und Michael W. Schröter: Das Staatsziel Tier- (1 CIWF: Reducing Meat Consumption – The Case For Urgent Re- schutz in Art 20a GG. Rechtsgutachten im Auftrag des Deutschen form, Hampshire 2004. Tierschutzbundes, Bonn 2003. (2) Pressemeldung der EU-Kommission vom 16. Dezember 2002 (13) RSPCA/Eurogroup for Animal Welfare, a.a.O. (DN: MEMO/02/295). (14) Wegen der aktuellen Seuchensituation ist die Lage in Asien der- (3) Frank Austen, Anita Idel und Maite Mathes: Nachholbedarf öko- zeit recht unübersichtlich. Länder wie Thailand oder China wer- logische Tierzucht – auch eine Geschlechterfrage. In: Der kriti- den sich nach Bewältigung der Vogelgrippe im Weltmarkt völlig sche Agrarbericht 2003, S 234 ff.; Anita Idel und Maite Matthes: neu aufstellen müssen. Stärker noch als dies in der EU nach der Die falschen Ziele – Warum die Tierzucht ökologisiert werden BSE-Krise der Fall war, könnte dies – bei den exportorientierten muss. In: Der kritische Agrarbericht 2004, S. 197 ff.; Brigitte Ru- Unternehmen – dann in der Tat mit einem Schub in Richtung sche und Roman Kolar: Qualzucht in der Landwirtschaft – Neue Qualität und auch zur Umsetzung von Bio-Konzepten führen. Herausforderungen für den Tierschutz. In: Der kritische Agrarbe- (15) Dazu u. a. H.J. Brock: Neue Lösungen zur Haltung und Beschäf- richt 2003, S. 230 ff. tigungsmöglichkeiten für Schweine in Dänemark, MS o.D.; H.W. (4) Pressemeldung des Tierzuchtfonds vom 26. November 2004 (sie- Windhorst: Perspektiven für die Veredelungswirtschaft. In: Nutz- he www.tierzuchtfonds.de). – Beispiele für neue züchterische tierpraxis aktuell, März 2003. Ansätze und den Erhalt bedrohter alter Landrassen finden sich (16) Laut einer noch nicht näher konkretisierten Rahmenvereinba- unter den Preisträgern des Jahres 2005 des Pro Tier-Förderprei- rung vom Juli 2004 sollen: ses für artgerechte Nutztierhaltung der Allianz für Tiere in der - Exporterstattungen, Exportkredite und andere handelsverzer- Landwirtschaft (www.allianz-fuer-tiere.de). rende Exportförderungen „bis zu einem glaubwürdigen End- (5) Sanitäre und Phytosanitäre Anforderungen: Siehe dazu: „Ein- datum“ abgeschafft werden. fuhr von und Innergemeinschaftlicher Handel mit Fleischer- - Im Bereich der internen Förderung sollen handelsverzerrende zeugnissen“ im Internetangebot der EU (http://europa.eu.int). Zahlungen substantiell reduziert werden. (6) Siehe http://europa.eu.int/comm/food/animal/animalproducts/ - Zölle für Agrarprodukte sollen substantiell reduziert werden. meatproducts/products_de.htm. Ausnahmen sollen möglich sein für sensible Produkte wie (7) M. Halderman and M. Nelson: EU Policy-Making: Reform of the Rindfleisch oder Zucker. Cap and EU Trade in Beef & Dairy with Developing Countries. Ausführlich hierzu: WTO: The «July package» – the General PPLPI Working Paper No. 18, January 2005. Council´s post-Cancún decision, 2. August 2005. (8) Zugute kommt der Europäischen Union dabei sicher auch, dass auch Organisationen wie FAO (Food and Agriculture Organisa- tion der UNO), die UNEP (United Nations Environment Pro- gramm), die OIE (International Epizootics Organisation) daran Autorin arbeiten, neben SPS-Bestimmungen auch den Tierschutz in ihre jeweiligen Aufgabenbereiche zu integrieren. (Vgl. CIWF: The De- Dr. Brigitte Rusche, Leiterin der Akademie trimental Impacts of Industrial Animal Agriculture, Hampshire für Tierschutz des Deutschen Tierschutz- 2002.) bundes e.V. (9) Zwischen der Rindfleischproduktion in Brasilien und Argentinien ist aus ökologischen Gründen dringend zu unterscheiden. Während die Rinderhaltung in Brasilien mit der Rodung und Akademie für Tierschutz unwiederbringlichen Vernichtung von Regenwald einhergeht, Postfach 1361 kommt die Tierhaltung in Argentinien der Pflege des Graslandes 85573 Neubiberg zugute. (Vgl. dazu Josef H. Reichholf: Der Tanz um das goldene E-Mail: Kalb. Berlin 2004.) brigitte.rusche@tierschutzakademie.de 212
Sie können auch lesen