Cannabis: Potential und Risiken - Sächsische Landesärztekammer
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themenheft Cannabis: Potential und Risiken Ärzte zwischen Skylla und Charybdis Am 18. Juli 2018 fand in der Sächsi- Indikationsstellung und bei fehlenden schen Landesärztekammer eine Veran- Therapiealternativen ermöglicht wer- staltung zur Verordnung von Canna- den, diese Arzneimittel zu therapeuti- bispräparaten statt. Fast 120 Ärzte, schen Zwecken in standardisierter aber auch Apotheker, Polizisten, Juris- Qualität durch Abgabe in Apotheken zu ten und weitere mit der Problematik erhalten. Für eine ausreichende quali- befasste Teilnehmer wurden nicht nur tätsgesicherte Versorgung mit Canna- hervorragend informiert, sondern es bisarzneimitteln soll der Anbau von wurde auch sehr kontrovers, dank der Cannabis ausschließlich zu medizini- ausgewogenen Moderation des Präsi- schen Zwecken in Deutschland ermög- denten der Sächsischen Landesärzte- licht werden, entsprechende Aufgaben kammer, Erik Bodendieck, und immer dem Bundesinstitut für Arzneimittel wertschätzend diskutiert. Gerade diese und Medizinprodukte (BfArM) übertra- Diskussionen sind wichtig und die gen werden. Basis jeder Meinungsbildung. Informa- Das ist die eine Seite der Medaille, © SLÄK tion und Emotion fanden in dieser Ver- sozusagen Skylla. Aber der Präsident anstaltung ein zielführendes Gleichge- machte keinen Hehl daraus, wie Erik Bodendieck, Präsident, eröffnete wicht, auch wenn die Vorschläge für schwierig er dieses Gesetz in der die Veranstaltung eine Problemlösung teilweise sehr weit Umsetzung für ihn als Arzt empfindet, auseinander liegen. da seiner Meinung nach die Evidenz für Abhängigkeiten durch Prävention und die Verordnung bei den unterschied- Suchthilfe finanziell abgefedert werden „Hanf ist eine hochwachsende, krautige lichsten Indikationen sehr dürftig ist. könnten, hält der Präsident für politi- Pflanze, deren Stängel Fasern enthal- Wie konnte es also zu einem solchen schen Zynismus. ten, aus denen Seile und anderes her- Eingriff des Gesetzgebers in die sonst Zur Klärung der Frage nach der Evidenz gestellt werden, deren Samen ölhaltig üblichen sehr strengen Zulassungsre- (also den Chancen), aber auch zur Klä- sind und aus deren Blättern, Blüten, gelungen im GKV-Bereich kommen? rung der Evidenz zu den Risiken des Blütenständen Haschisch und Marihu- Und wie können die ärztlichen Kollegen Konsums hat das Bundesministerium ana gewonnen werden. Hanf zählt zu bei der konkreten Verordnung unter- für Gesundheit 2015 ein Gutachten bei den ältesten Nutz- und Zierpflanzen stützt werden? der Klinik für Psychiatrie und Psycho- der Erde.“ Mit diesem Zitat aus dem therapie in München unter Ägide von Duden begann der Präsident die Ein- Zur Problematik, die sich aus der neuen Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Eva Hoch in Auf- führung in das sensible Thema. Unter Verordnungsfähigkeit ergeben, kommt trag gegeben. Dr. Hoch ist Leiterin der Verweis auf das im März 2017 verab- die zunehmende gesellschaftliche Dis- Forschungsgruppe Cannabinoide an der schiedete Gesetz zur Änderung betäu- kussion hinzu, den Cannabiskonsum Klinik für Psychiatrie und Psychothera- bungsmittelrechtlicher und anderer generell zu legalisieren. Auch hierzu pie der Ludwig-Maximilians-Universität Vorschriften ging er zunächst auf das muss sich die Ärzteschaft positionie- München. Ziel des Gesetzgebers ein, die Verkehrs- ren. Nach Meinung des Kammerpräsi- Unerklärlicher Weise erfolgte die Ver- und Verschreibungsfähigkeit von diver- denten ist insbesondere die fatale Wir- abschiedung des Gesetzes VOR Ab sen Cannabisarzneimitteln herzustel- kung des Konsums auf die Entwicklung schluss dieses Gutachtens, dessen len, wie zum Beispiel von getrockneten des juvenilen Gehirns ein gewichtiges Vorbericht seit September 2017 vorliegt Cannabisblüten und Cannabisextrak- Argument gegen eine Legalisierung. und den Dr. Hoch im weiteren Veran- ten in standardisierter Qualität. Damit Berechnungen, dass über die geschätz- staltungsverlauf vorstellte. Den Kurz- soll Patienten mit schwerwiegenden ten Steuereinnahmen von zwei Milliar- bericht finden Sie unter Erkrankungen nach entsprechender den Euro Auswirkungen auf mögliche www.bundesgesundheitsministerium.de. Ärzteblatt Sachsen 08|2018 363
berufspolitik themenheft Dr. Hoch führte nun zunächst kurz in schaftlichen Evidenz orientierte Be Abstinenz von Cannabis vorliegen die aktuelle Cannabinoidforschung ein, wertung der in den letzten zehn Jahren (> ein Monat) finden sich nur in die eine erhebliche Dynamik durch publizierten Daten zu erstellen. Im Mit- Einzelstudien (zum Beispiel bei die Entdeckung des Endocannabinoid- telpunkt der Analyse sollten folgende Probanden mit frühem Konsum Systems als Teil des Nervensystems drei Bereiche stehen: beginn in der Adoleszenz). und seiner vielfältigen Funktionswei- A. Untersuchungen zu psychischen, • Bezüglich des Hodenkrebsrisikos sen erfuhr. Es handelt sich dabei um organischen und sozialen Folgen zeigt sich ein signifikanter Zusammen- ein komplexes Signalübertragungssys- des Konsums von pflanzlichen und hang mit Cannabis, insbesondere für tem mit Interaktionen zwischen zahl- synthetischen Cannabisprodukten Nicht-Seminome (Mischtumore). reichen Neurotransmittern. Das Zu zum Freizeitgebrauch, • Für andere Krebserkrankungen sammenspiel der verschiedenen Trans- B. Untersuchungen zur Wirksamkeit, können anhand der aktuellen Daten- mitter ist dabei noch nicht endgültig Verträglichkeit und Sicherheit von lage keine Schlussfolgerungen geklärt. Es bedarf weiterer Grundla- Cannabisarzneimitteln bei organi- getroffen werden. genforschung in den nächsten Jahren. schen und psychischen Erkran • Chronischer Cannabiskonsum steht Aber schon jetzt gilt es als erwiesen, kungen sowie im Zusammenhang mit strukturellen dass die Adoleszens in diesem komple- C. Untersuchungen zu den Motiven Veränderungen in Gehirnregionen, xen System eine ausgesprochen sen- und Erwartungen eines nicht-ärzt- welche eine hohe Dichte an CB1 sible beziehungsweise vulnerable lich verordneten Gebrauchs von Rezeptoren aufweisen (insbeson- Phase ist, darüber hinaus gibt es Cannabis (das heißt im Sinne einer dere Amygdala und Hippocampus. Hinweise auf geschlechtsspezifische Selbstmedikation). Diese Strukturen sind verantwort- Unterschiede, die auf die Funktion von lich für die Gedächtnisbildung). Hormonen bei der Interaktion der Neu- Methodisch wurden nach den gültigen • Es gibt Hinweise für Entwicklungs- rotransmitter zurückgeführt wird. internationalen Standards (vor allem störungen des Fötus bei Cannabis- Interessant war ein kurzer Exkurs über dem „Cochrane Handbook of Systema- konsum der Mutter (verringertes die Geschichte von Hanf in der thera- tic Reviews“ [Higgins & Green, 2013] Geburtsgewicht und erhöhte Not- peutischen Anwendung. Erste Berichte und dem „Regelwerk der Arbeitsge- wendigkeit für intensivmedizinische gibt es aus dem dritten Jahrtausend v. meinschaft wissenschaftlicher Medizi- Behandlung). Chr. in China. Der Exkurs endete mit nischer Fachgesellschaften“ [AWMF, • Ob Cannabiskonsum einen Einfluss den Auswirkungen der neuen Gesetz- 2012]) systematische Literaturrecher- auf die Gesamtmortalität hat, wird gebung aus 2017: Von März 2017 bis chen durchgeführt und ein umfassen- in den Studien nicht einheitlich März 2018 wurden 46.000 Rezepte ver- des Review erstellt. Details können im beantwortet und eine direkte ordnet mit zunehmender Tendenz. Kurzbericht nachgelesen werden. Schlussfolgerung ist nicht möglich. Im Gesetz wurde ausdrücklich darauf • Bezüglich erhöhter Suizidalität verzichtet, einzelne Indikationen aufzu- Hier exemplarisch einige Zitate, die für zeigte sich in drei von vier Studien führen. Cannabisblüten und -extrakte die tägliche ärztliche Praxis interessant ein leichter Zusammenhang mit können daher für jede Indikation ver- sind: Cannabiskonsum. ordnet werden, wenn „eine allgemein • Durch akuten Cannabiskonsum anerkannte, dem medizinischen Stan- Bei der Untersuchung der psychischen, erhöht sich das Verkehrsunfallrisiko dard entsprechende Leistung im Ein- organischen und sozialen Folgen des (Faktor 1,25 bis 2,66). Gleichzeitiger zelfall nicht zur Verfügung steht“ oder Freizeitgebrauches gab es teilweise Konsum von Cannabis mit Alkohol wenn diese Leistung „im Einzelfall nach eine recht gute Datenlage: scheint die Verkehrssicherheit der begründeten Einschätzung des • Eindeutige Einschränkungen finden stärker zu beeinträchtigen als reiner behandelnden Vertragsarztes unter sich in der Gedächtnisleistung, der Cannabiskonsum. Abwägung der zu erwartenden Neben- Aufmerksamkeit und der Psycho- • Früher Beginn (< 15. Lebensjahr) und wirkungen und unter Berücksichtigung motorik nach akutem Konsum. häufiger Cannabiskonsum in der des Krankheitszustandes der oder des • Kognitive Funktionsdefizite durch frühen Adoleszenz sind mit geringe- Versicherten nicht zur Anwendung chronischen Cannabiskonsum rem Bildungserfolg assoziiert. kommen kann“. scheinen vorübergehend zu sein. • Inkonsistente und zu wenige Ziel des Gutachtens wares, eine objek- • Hinweise auf kognitive Einschrän- empirische Daten liegen bezüglich tive, valide und an der besten wissen- kungen, die auch noch nach längerer Cannabis-assoziierter Auffälligkeiten 364 Ärzteblatt Sachsen 08|2018
berufspolitik themenheft im Sozialverhalten, der Straffälligkeit • Etwa 26,3 Prozent der Bürger der wurde häufig untersucht. Die Therapie sowie der familiären, beruflichen Europäischen Union (15 bis 64 Jahre war meistens von kurzer Dauer < = 12 und wirtschaftlichen Entwicklung vor. alt) haben in ihrem Leben Erfahrung Wochen, teilweise nur einige Tage). • Cannabiskonsum und Cannabisab- mit Cannabis gemacht. Cannabisarzneimittel wurden gemein- hängigkeit erhöhen das Risiko für • Cannabiskonsum kann zu einem sam mit etablierten, zugelassenen Angststörungen leicht (Faktor 1,3 Abhängigkeitssyndrom führen, das Schmerzmitteln (Analgetika) verab- beziehungsweise 1,7). Nicht alle Ein- unter anderem auch Toleranzent- reicht. Sie wurden in der Regel gegen- zelstudien belegen diesen Befund. wicklung und Entzugssymptome über Placebo getestet und selten • Früher Konsumbeginn (< 16 Jahre), einschließt. gegenüber etablierten Analgetika: langjähriger, wöchentlicher Canna- • In Deutschland geht man davon aus, bisgebrauch und aktuelle Cannabi- dass bei einem Prozent der 18- bis • Cannabisarzneimittel bei chroni- sabhängigkeit erhöhen das Risiko 64-jährigen Bevölkerung eine schen Schmerzen waren Placebo für Angststörungen (Faktor 3,2) cannabisbezogene Störung teilweise in der Schmerzreduktion (Ergebnisse einer Längsschnittstudie). (Cannabismissbrauch: 0,5 Prozent (um mindestens 30 Prozent) überle- • Das Risiko für Depressivität erhöht und Cannabisabhängigkeit: gen. Für eine substantielle Schmerz- sich durch Cannabiskonsum leicht, in 0,5 Prozent) vorliegt. reduktion (um mindestens 50 Pro- Abhängigkeit von der Intensität des • Cannabiskonsumenten stellen zent) liegt derzeit keine Evidenz vor. Konsums (Faktor 1,3 bis 1,6). inzwischen auch in Deutschland bei Alle Übersichtsarbeiten finden • Ein Neuauftreten bipolarer (das den erstmals wegen illegalen weitere, sekundäre Wirksamkeits- heißt manisch-depressiver) Symp- Substanzkonsums behandelten belege zugunsten der Cannabisarz- tome wird durch Cannabiskonsum Personen die größte Gruppe dar. neimittel (zum Beispiel eine Reduk- um den Faktor 3 erhöht. • Epidemiologische Studien schätzen, tion der durchschnittlichen Schmer- • Die Inzidenz von bipolaren Störun- dass etwa neun Prozent aller zintensität, einer größeren durch- gen durch Cannabiskonsum erhöht Personen, die jemals Cannabis schnittlichen Schmerzreduktion“ sich um den Faktor 1,4 (bei wöchent- konsumiert haben, eine cannabis oder einer „starken oder sehr lichem Konsum) beziehungsweise bezogene Störung entwickeln. starken globalen Verbesserung“). 2,5 (bei nahezu täglichem Konsum). • Besondere Risikofaktoren für die Dabei werden selten große Effekte • Bei bereits bestehender bipolarer Entwicklung von cannabisbezoge- beschrieben. Nabiximols – eine als Störung erhöht Cannabiskonsum nen Störungen sind: Männliches Arzneistoff verwendete standardi- das Risiko für ein Wiederauftreten Geschlecht, junges Alter bei Erst- sierte Extraktmischung aus THC und von manischen Symptomen oder konsum, Häufigkeit des Konsums, CBD, die aus den Blättern und Blüten Episoden. Co-Konsum mit Tabak. der Cannabispflanze gewonnen wird – • Große Meta-Analysen zeigten, dass • Gesundheitliche Belastungen, die ist bei chronischen Schmerzen die bei gelegentlichem Cannabiskonsum mit Cannabisabhängigkeit in am besten untersuchte Cannabis- die Häufigkeit des Auftretens psycho- Verbindung stehen, werden auf zwei arznei. Die Evidenz für eine leichte tischer Störungen um das 1,4- bis Millionen „Disability-Adjusted Life Schmerzreduktion und Verbesse- 2,0-fache, bei hoher Konsumintensi- Years (DALYs)“ (das heißt Anzahl rungen in Sekundärmaßen im tät um das 2,0- bis 3,4-fache erhöht verlorener Jahre aufgrund vorzeiti- Vergleich zum Placebo ist gut. ist. Der Zeitpunkt der Ersterkrankung gen Todes oder durch Beeinträchti- • Nebenwirkungen traten, mit Aus- verlagert sich gegenüber nicht- gung des normalen, beschwerde- nahme der Studien zu chronischen konsumierenden durchschnittlich freien Lebens) beziffert und machen Schmerzen bei Krebs, konsistent um 2,7 Jahre vor. lediglich rund 0,08 Prozent der häufiger unter der Behandlung mit • Cannabisgebrauch ist mit ungünsti- gesamten, globalen Gesundheits Cannabisarzneimitteln auf als unter gen Verläufen der psychotischen belastung aus. Placebo-Gabe. Die hauptsächlich Störungen (Rückfallquote, Verweil- zentralnervösen Nebenwirkungen dauer, stärkere Ausprägung der Die Studienlage zu Wirksamkeit, Ver- sind zumeist leicht bis mittel. Positivsymptomatik) assoziiert. träglichkeit und Sicherheit von Canna- Schwerwiegende Nebenwirkungen • Cannabis ist die in den Ländern bisarzneimitteln ist nicht ganz so gut. sind bei Cannabisarzneimittel-Gabe Europas am häufigsten konsumierte Die Wirksamkeit von Cannabisarznei- selten und nicht häufiger als bei illegale Substanz. mitteln bei chronischen Schmerzen Placebo-Gabe. Ärzteblatt Sachsen 08|2018 365
themenheft • Für Cannabisarzneimittel (Nabixi- mit psychischen Störungen getrof- mols, Dronabinol, Medizinalhanf, fen werden. orales und oromukosales THC und THC/CBD) konnte die Wirksamkeit Dr. Hoch fasste ihre Ergebnisse ganz bei Multipler Sklerose- und Paraple- pragmatisch zusammen: Die Cannabi- gie-assoziierter Spastizität mit noidforschung sollte dringend verbes- objektivierbaren Prüfkriterien nicht sert werden. Große Studien mit guter belegt werden. Studienqualität und ausreichender Stu- • Zur antiemetischen Wirkung von diendauer fehlen weitestgehend wie Cannabisarznei bei chemotherapeu- auch der Vergleich zur Standardtherapie. tisch-induzierter Übelkeit und Erbrechen liegen viele alte Studien Im Anschluss an den Vortrag von Dr. mit schlechter oder unklarer metho- Hoch führte Dr. med. Frank Härtel, discher Qualität vor und keine (mit Suchtbeauftragter und Vorsitzender Ausnahme einer RCT) mit Antieme- der Kommission Sucht und Drogen tika (das heißt Medikamente, die der Sächsischen Landesärztekammer, © SLÄK Übelkeit und Brechreiz unterdrücken pointiert zum „Cannabisverbreitungs- sollen) der neuen Generation Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Eva Hoch, München, gesetz“, wie er es nennt, aus. Er begann Co-Autorin der CaPRis-Studie (5-HT3- oder NK1-Antagonisten) mit der Darstellung der Deliktentwick- oder Neuroleptika als Vergleichs stellen. Bei höherer Dosierung von lung aus der Polizeilichen Kriminalsta- medikation. CBD zeigte sich ein Anstieg des tistik des LKA Sachsen (siehe Abb. 1) für • Bei HIV/AIDS-Erkrankungen können Augeninnendrucks. Es liegen keine illegale Drogen und insbesondere Can- vier von fünf Studien eine leicht Daten zu längerer Therapiedauer nabis sowie den Behandlungszahlen gewichtsstimulierende Wirkung von (> 1 Woche) vor. ambulanter und stationärer Fälle (siehe Cannabisarzneimitteln (Dronabinol, • Aufgrund der begrenzten Datenlage Abb. 2). Cannabiszigaretten) feststellen. können noch keine Aussagen zur In beiden Sektoren sind seit Jahren ste- In einer der Studien zeigt sich eine Wirksamkeit von Cannabisarznei- tige Zuwächse belegt. Trotzdem erfolge signifikante Überlegenheit gegen- mitteln (Dronabinol, Nabiximols, eine viel zu positive Bewertung von über Placebo. Nabilon, THC) und Cannabinoid- Cannabis im überwiegenden Teil der • Bei Morbus Crohn und Reizdarm- Modulatoren auf die psychopatholo- öffentlichen Medien und der Politik mit syndrom konnte keine Verbesserung gische Symptomatik bei Menschen Anpreisung als Arzneimittel. Das sei der primären Beschwerden durch Cannabisarzneimittel (Cannabis zigaretten, Dronabinol) gezeigt werden (2 RCTs). • In drei vorliegenden Studien bei Chorea Huntington war keine signifikante Wirksamkeit von Cannabisarzneimitteln (Nabilon, Nabiximols) nachweisbar. • Drei von vier Studien finden keine Verbesserung der Parkinson-Symp- tomatik oder der Levo-Dopa-indu- zierten Bewegungsstörungen/ Dyskinesien bei begleitender Therapie mit Cannabisarzneimitteln. • Eine RCT kann bei sechs Patienten mit erhöhtem Augendruck akut nach THC-Gabe eine signifikante Reduk- Abb. 1: Rauschgiftdelikte/Delikte mittels Cannabis 2013 bis 2017 tion des Augeninnendruckes fest- Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik Jahresüberblick 2017 366 Ärzteblatt Sachsen 08|2018
themenheft nicht nur von Behandlungserfolgen, sondern auch von Therapieversagern berichten. Es war eine Freude, dieser hochkompetenten und dabei empathi- schen und warmherzigen Wissen- schaftlerin durch den Abend zu folgen. © www.gbe-bund.de Ihrer Meinung nach ist zurzeit eine Behandlungsleitlinie zum medizini- schen Gebrauch von Cannabispräpara- ten zwingend erforderlich und sollte Abb. 2: Entwicklung Fallzahlen (stationär) mit ausgewählter Suchtproblematik (Patientenwohnort Sachsen), 2012 bis 2016 zeitnah erstellt werden. Von einer vollständigen Freigabe riet sachlich nicht gerechtfertigt, wie sich dagegen laut Techniker Krankenkasse auch ein Vertreter der Polizei Leipzig gerade aus der CaPRis-Studie, vielen hinter dem Bundesdurchschnitt deut- dringend ab. Dem oft kolportierten anderen Quellen und Erfahrungen des lich zurück. Argument der durch Betäubungsmit- Suchtkrankenhilfesystems ergibt. Es teldelikte, insbesondere bei Cannabis, bestünden also Steigerung von Dro- Das Fazit von Dr. Härtel war scho- überforderten Polizei widersprach er. genkriminalität und Behandlungszah- nungslos: Dass durch die Legalisierung von Can- len (besonders stationär, siehe Abb. 2) • Es gibt bisher keinen Hinweis auf nabis auch nur minimal Probleme in neben der öffentlichen Verharmlosung eine Überlegenheit mit wissen- diesem Bereich gelöst werden, sei nicht von Cannabis und irrigen Heilserwar- schaftlicher Evidenz für Cannabis absehbar. Zu Kontroversen gab natür- tungen. einsatz auch nur bei einer Indikation. lich immer wieder der Vergleich mit • Die Redner aller Fraktionen des dem Suchtmittel Alkohol Anlass, eine Das am 19. Januar 2017 beschlossene Deutschen Bundestages beklagten legale Droge, deren gesellschaftliche Gesetz zur Änderung betäubungsmit- dies unisono, stimmten dann dem und gesundheitliche Auswirkungen telrechtlicher und anderer Vorschriften, Gesetzesentwurf aber einstimmig zu. mindestens ebenso gefährlich, wenn Dr. Härtel spricht nur vom „Cannabis- • Bei keiner Erkrankung ist Cannabis nicht gefährlicher als Cannabis ist. verbreitungsgesetz“, bleibt nach seiner ein First- oder Secondlinepräparat, Ansicht hinter allen nötigen Quali- trotz 150 Jahren Anwendung setzte Der Präsident schloss den rundum tätsanforderungen weit zurück. Es be es sich nicht durch. erfolgreichen Abend mit dem Resümee, ruhe auch auf einem rechtlichen Sys- • Das Gesetz ist deshalb absichtlich dass jede Kultur ihre Droge(n) hat. Bei tembruch. Erstmals wurden Substan- schwammig und stellt den Arzt vor uns ist dies der Alkohol, in anderen zen verordnungsfähig gemacht ohne eine praktisch unlösbare Aufgabe. Ländern sind es andere Rauschmittel. vorgeschriebenes vorheriges Zulas- • Es fehlt jede Folgenkritik. Ob es sinnvoll ist, in unserer insgesamt sungsverfahren. Zudem waren in der • Seiner Meinung nach muss das sehr suchtgefährdeten Gesellschaft ein Anhörung des zuständigen Bundes- Gesetz außer Kraft gesetzt werden. weiteres Suchtmittel zu legalisieren, ist tagsausschusses nur Befürworter auch eine kulturelle Diskussion, der geladen. Vertreter der Kinder- und Es folgte eine mehr als einstündige und man sich stellen muss. Jugendpsychiatrie und ihrer Fachgre- sehr lebhafte Diskussion. Letztendlich mien fehlten. Sämtliche Redner aller reichten die Meinungen von einer voll- So kann man vielleicht am Ende dieses Bundestagsfraktionen beklagten die ständigen Legalisierung auch des Frei- Artikels in individueller Abänderung des fehlende Evidenz von Cannabis im zeitkonsums bis zu einer sehr weitrei- allseits bekannten Zitates aus „Der medizinischen Einsatz, stimmten je chenden Einschränkung selbst des gute Mensch von Sezuan“ sagen: doch alle (eigentlich wider besseren medizinischen Gebrauchs. Kollegen Wissens) für das umstrittene Gesetz. be richteten über sehr erfolgreiche „Wir stehen selbst belehrt und sehn Bedeutsam sei, stellte Dr. Härtel expli- Behandlungen vornehmlich in der betroffen / den Vorhang zu und alle zit heraus, dass nunmehr dasselbe gif- Schmerztherapie, aber immer im Ein- Fragen offen“. tige Cannabiskraut verordnungsfähig zelfall und nach Ausreizen aller etab- ist, an dem Abhängige kranken. Die lierten Behandlungsoptionen. Dr. Hoch Dr. med. Patricia Klein Verordnungszahlen in Sachsen bleiben konnte aus ihrer Erfahrung ebenfalls Ärztliche Geschäftsführerin Ärzteblatt Sachsen 08|2018 367
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