Toleranz lernen Zur Auseinandersetzung mit Toleranz und Intoleranz 1 - 2016 - Politik und Unterricht

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Toleranz lernen Zur Auseinandersetzung mit Toleranz und Intoleranz 1 - 2016 - Politik und Unterricht
E4542

1 – 2016

           Toleranz lernen
           Zur Auseinandersetzung mit Toleranz
           und Intoleranz
Toleranz lernen Zur Auseinandersetzung mit Toleranz und Intoleranz 1 - 2016 - Politik und Unterricht
Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung

                                                       HEFT 1 – 2016, 1. QUARTAL, 42. JAHRGANG

»Politik & Unterricht« wird von der Landeszentrale
für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB)         Inhalt
herausgegeben.

HERAUSGEBER
Lothar Frick, Direktor                                 Editorial                                                                                 1
CHEFREDAKTEUR                                          Autoren dieses Heftes                                                                     1
Prof. Dr. Reinhold Weber
reinhold.weber@lpb.bwl.de

REDAKTIONSASSISTENZ                                    Unterrichtsvorschläge                                                              2 – 15
Sylvia Rösch, sylvia.roesch@lpb.bwl.de
Isabelle Holz, Tübingen                                Einleitung                                                                               2
ANSCHRIFT DER REDAKTION                                Die Toleranz-Rallye                                                                     10
Stafflenbergstraße 38, 70184 Stuttgart
Telefon: 0711/164099-45; Fax: 0711/164099-77

REDAKTION
                                                       Texte und Materialien                                                            17 – 39
Judith Ernst-Schmidt, Oberstudienrätin,
Werner-Siemens-Schule (Gewerbliche Schule              Toleranz lernen – Materialien                                                           18
für Elektrotechnik), Stuttgart
Dipl.-Päd. Martin Mai, Wilhelm-Lorenz-Realschule,      Literaturhinweise                                                                       39
Ettlingen
Dipl.-Päd. Holger Meeh, Akademischer Rat,
Pädagogische Hochschule Heidelberg
Dr. Wibke Renner-Kasper, Konrektorin der
Schule am Stromberg,
Gemeinschaftsschule Illingen-Maulbronn
                                                       Einleitung und alle Bausteine: Günther Gugel und Amos Heuss
Angelika Schober-Penz, Oberstudienrätin,
Erich-Bracher-Schule (Kaufmännische Schule),
Kornwestheim

GESTALTUNG TITEL
Bertron.Schwarz.Frey, Gruppe für Gestaltung, Ulm       Das komplette Heft finden Sie zum Downloaden als PDF-Datei unter
www.bertron-schwarz.de                                 www.politikundunterricht.de/1_16/toleranzlernen.htm
DESIGN UND DIDAKTIK
Medienstudio Christoph Lang, Rottenburg a. N.,
www.8421medien.de

VERLAG
Neckar-Verlag GmbH, Klosterring 1,                              Politik & Unterricht wird um digitale Angebote erweitert. Zu
78050 Villingen-Schwenningen
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Politik & Unterricht erscheint vierteljährlich.
Preis dieser Nummer: 3,50 EUR                          Politik & Unterricht wird auf umweltfreundlichem Papier mit Zellstoff aus nachhaltiger Forst-
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Unregelmäßige Sonderhefte werden zusätzlich
mit je 3,50 EUR in Rechnung gestellt.
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Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht
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Titelfoto: Jan Roeder, Krailing (www.janroeder.de)
                                                       Elephant or Donkey?
Auflage dieses Heftes: 21.000 Exemplare
Redaktionsschluss: 15. Februar 2016                    Präsidentschaftswahl in den USA 2016
                                                       (bilingual)
ISSN 0344-3531
Toleranz lernen Zur Auseinandersetzung mit Toleranz und Intoleranz 1 - 2016 - Politik und Unterricht
Editorial
Toleranz kann man lernen. Sie ist nicht nur eine wichtige         die Frage im Mittelpunkt, wie man mit Konflikten angemes-
Voraussetzung im persönlichen Umgang mit Menschen, son-           sen und konstruktiv umgehen kann. Die gewählten metho-
dern auch in der politischen Bildung. Kein Zweifel – Toleranz     dischen Zugänge geben dabei Impulse, eigene und fremde
ist eine Grundvoraussetzung in einer demokratischen und           Verhaltensweisen, Einstellungen und Werte zu erkennen und
pluralistischen Gesellschaft. Dabei ist Toleranz eine anstren-    zu reflektieren. Dabei wird die Bedeutung gewaltfreier Kom-
gende Tugend. Sie will reflektiert und auch geübt sein. Dabei     munikation für ein tolerantes Zusammenleben sichtbar. Die
genügt es nicht, andere Einstellungen, Werte und Lebens-          angesprochenen Erfahrungen mit Toleranz und Intoleranz
stile einfach zu dulden. Erst der gegenseitige aufrichtige        können dazu beitragen zu sehen, wo Toleranz gefragt ist,
Respekt kann als Kern einer toleranten Einstellung gelten.        wie sie aussehen kann und wo die Grenzen von Toleranz
Dass Toleranz auch Grenzen hat, liegt auf der Hand. Dort          liegen.
wo Grund- und Menschenrechte gefährdet sind und verletzt
werden, ist »falsche Toleranz« sogar gefährlich.

Wir leben in einer toleranten und pluralistischen Gesellschaft.
Und dennoch wissen wir, dass diese offene Gesellschaft
gegen Vorurteile und Intoleranz verteidigt werden muss.
Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz gegenüber vermeintlich
»fremden« Religionen, Sexismus, Homophobie, Fundamen-
talismen und populistische Strömungen vielfältiger Schat-
tierungen, die bewusst Ängste schüren, Vorurteile befeuern
und auf dem Rücken von Minderheiten ihr Unwesen treiben,
sind allgegenwärtig. Auch der globale Blick zeigt, dass die
Welt keineswegs tolerant ist, denken wir nur an die vielen
Opfer religiös grundierter gewaltsamer Konflikte, die den         Lothar Frick                 Prof. Dr. Reinhold Weber
Globus derzeit in Atem halten.                                    Direktor der LpB             Chefredakteur

Toleranz ist ein Lernprozess. Bei den hier vorgestellten An-
sätzen geht es um Erlebnisse und Erfahrungen Jugendlicher
in ihrem Alltag, in der Schule und in der Freizeit als Aus-
gangspunkte für solche Lernprozesse. Es geht um die Aus-
einandersetzung mit Selbstbildern und Fremdbildern, mit
Zugehörigkeit und Ausgrenzung. Und immer wieder steht

    AUTOREN DIESES HEFTES

    Günther Gugel war Geschäftsführer des Instituts für Frie-     jugendring Stuttgart. Amos Heuss verfügt über langjäh-
    denspädagogik in Tübingen und anschließend Programm-          rige Erfahrung in der Projektentwicklungs- und Workshop-
    direktor der Berghof Foundation für Deutschland sowie         tätigkeit in den Bereichen Friedenspädagogik, Gewaltprä-
    Lehrbeauftragter für Friedenspädagogik und Gewaltprä-         vention und politische Bildung. Er ist Autor von Publi-
    vention an der Universität Tübingen und der Hochschule        kationen zur Wertepädagogik und zur Waffenfaszination
    Esslingen. Er ist Autor zahlreicher Schul- und Fachbücher,    bei Jugendlichen.
    didaktischer Materialien, DVDs und Videos. Er arbeitet als
    selbstständiger Projektentwickler und Berater.
                                                                  Konzipiert, entwickelt und erprobt wurde das Lernkonzept
    Amos Heuss ist Erziehungs- und Politikwissenschaftler         Toleranz lernen von Günther Gugel und Amos Heuss in Zu-
    (M. A.), Leiter des Jugendhauses Mettingen (Esslingen;        sammenarbeit mit dem Stadtjugendring Herrenberg e. V.
    KJR-Esslingen) und freier Mitarbeiter der LpB im Team
    meX (Rechtsextremismusprävention). Er war Mitarbeiter
    des Instituts für Friedenspädagogik Tübingen/Berghof
    Foundation und Referent für Jugendpolitik beim Stadt-

Politik & Unterricht • 1-2016                                                                                                1
Toleranz lernen Zur Auseinandersetzung mit Toleranz und Intoleranz 1 - 2016 - Politik und Unterricht
Toleranz lernen
             Zur Auseinandersetzung mit Toleranz und Intoleranz

                  EINLEITUNG                                              und Sitten verstanden. Diesem Gelten-Lassen geht jedoch
                                                                             ein Abwägungsprozess voraus, der uns herausfordert, denn
                                                                             Toleranz bedeutet, Meinungen und Verhaltensweisen anderer
                                                                             anzuerkennen, die man selbst eigentlich für falsch hält und
                                                                             ablehnt. Die Überzeugungen oder das Verhalten der anderen
             Was ist Toleranz?                                               werden also auf die gleiche Stufe gestellt wie die eigenen.
             Toleranz ist wichtig, damit Menschen mit unterschiedlichen      Bloße Duldung kann immer nur der erste Schritt sein. Es
             Werten, Lebensvorstellungen oder Glaubensüberzeugungen          muss deshalb für verschiedene Bereiche des privaten und
             zusammenleben können. Demokratisches Zusammenleben              gesellschaftlichen Zusammenlebens immer wieder neu eine
             braucht Toleranz. Diese kann sich nur dann voll entfalten,      Balance zwischen Ablehnung und Akzeptanz gesucht und
             wenn demokratische Grundwerte wie z. B. Meinungsfreiheit        gefunden werden.
             und Gleichberechtigung Beachtung finden.
                                                                              Im persönlichen Bereich ist Toleranz eine individuelle
             Toleranz wird häufig als Duldsamkeit, als ein Gelten- und Ge-     Haltung, die sich im respektvollen Umgang mit anderen
             währen-Lassen fremder Überzeugungen, Handlungsweisen              Menschen zeigt.
Jan Roeder

             2                                                                                                      Politik & Unterricht • 1-2016
Toleranz lernen Zur Auseinandersetzung mit Toleranz und Intoleranz 1 - 2016 - Politik und Unterricht
Einleitung

                                             Begründungen für Toleranz

     ethisch: Alle Menschen haben eine eigene Würde.           anthropologisch: Jeder Mensch ist einzigartig und
                                                                 hat das Recht auf Anderssein.
     normativ: Alle Menschen haben Anspruch, unter
      dem Schutz der Menschenrechte zu leben.                   erkenntnistheoretisch: Es gibt keine letzte Wahrheit.
     historisch: Aus der Erfahrung der Geschichte wissen       religiös: Alle Weltreligionen kennen die »Goldene
      wir, wohin Intoleranz führen kann.                         Regel«: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg
                                                                 auch keinem andern zu.
     pragmatisch: Toleranz wirkt der gewaltsamen Aus-
      tragung von Unterschieden und Konflikten entgegen
      und kann helfen, Radikalisierung zu verhindern.
     demokratietheoretisch: Toleranz ist die Voraus-
      setzung für eine Pluralität der Lebensweisen und
      Weltanschauungen und für einen friedlichen Wett-
      streit politischer Ideen.

 Auf Gruppen bezogen ist Toleranz eine soziale Praxis,         Wertschätzung: Anerkennung pluralistischer Werte,
   die das friedliche und konstruktive Zusammenleben in          Wertschätzung der Vielfalt.
   pluralistischen Gesellschaften ermöglicht.
 Schließlich ist Toleranz – auf die Gesellschaft bezogen –    Prinzipien für Toleranz sind:
   ein ethisch-politischer Grundwert, ein Maßstab zur Beur-     Gewaltverzicht;
   teilung menschlichen Verhaltens.                             Differenzen erkennen, aber bewusst aushalten;
Im Kern geht es bei Toleranz um den Umgang mit Unter-           Fairness im Umgang miteinander;
schieden und Vielfalt.                                          die eigenen Überzeugungen nicht für die einzig richtigen
                                                                  halten;
Nichtbeachtung und Gleichgültigkeit haben mit Toleranz          anderen die gleichen Rechte zubilligen, die man für sich
nichts zu tun. Hierbei handelt es sich um Ignoranz. To-           selbst in Anspruch nimmt;
leranz umfasst die Auseinandersetzung mit anderen, die          Differenzen und Konflikte konstruktiv austragen.
Entdeckung von Gemeinsamkeiten in der Unterschiedlichkeit
und das bewusste Wahrnehmen der Differenz. Dies erfordert      Umgang mit Intoleranz
Neugier, Interesse und Dialogbereitschaft. Dabei ist es auch   Toleranz umfasst sowohl den konstruktiven Aspekt des För-
wichtig, die Grenzen der Toleranz zu kennen. Diese sind bei    derns eines friedlichen Zusammenlebens als auch den Aspekt
Diskriminierung und Gewalt, also bei Intoleranz, erreicht:     der Abwehr von Intoleranz, die das Zusammenleben zer-
keine Toleranz der Intoleranz. Hier ist dann Bürgermut, also   stören würde. Toleranz und Intoleranz können sich zwar in
Zivilcourage, gefragt, um Grenzen zu ziehen.                   einem weiten Sinn auf alle Verhaltensweisen und Themen
                                                               beziehen, auf Vorlieben und Abneigungen, was Aussehen,
Im Zusammenhang mit dem hier dargestellten Lernansatz          Kleidung, Ausdrucksweisen, Kommunikations- und Lebens-
wird Toleranz im Sinne einer individuellen Eigenschaft         formen, Reinlichkeit, Essen, Pünktlichkeit, Ansichten und
(Tugend) gesehen, die durch gesellschaftliche und poli-        Meinungen, Musikstile, Theater, Sport, Fortbewegungsmittel
tische Werte gestützt wird und deren Entwicklung sich durch    usw. angeht. Sie zielen jedoch immer auf die Frage des Um-
gezielte pädagogische Impulse fördern lässt. Vorhandene        gangs mit Differenz. Diese wird dort besonders sichtbar und
Unterschiede und Differenzen zwischen Personen und Grup-       spürbar, wo eigene Wertvorstellungen und Überzeugungen
pen und daraus sich ergebende Konflikte werden dabei nicht     im Kern betroffen sind, infrage gestellt werden und dadurch
ignoriert, sondern aufgegriffen und konstruktiv bearbeitet.

Stufen der Toleranz                                                                Toleranz als …
Der Philosoph Rainer Forst (2003) unterscheidet vier Kon-
zepte von Toleranz, die man auch als aufeinander aufbau-        Ermöglichung                  Abwehr und Überwindung
ende Stufen verstehen kann. Toleranz als                        von …                         von …
 Erlaubnis: Duldung der Differenz durch die Herr-
   schenden;                                                     Auseinandersetzung           Intoleranz
 Koexistenz: gleiche Gruppen lassen sich gewähren; Zivi-
   lisierung der Differenz;                                      Dialog                       Diskriminierung
 Respekt: Gleiche achten sich wechselseitig als moralisch       Teilhabe                     Ausschluss
   und rechtlich Gleiche;

Politik & Unterricht • 1-2016                                                                                             3
Toleranz lernen Zur Auseinandersetzung mit Toleranz und Intoleranz 1 - 2016 - Politik und Unterricht
Einleitung

auch die eigene Identität und das eigene Sicherheitsgefühl       urteilen gegenüber unterschiedlichen Adressatengruppen.
berührt werden.                                                  Es ging um die Abwertung von Menschen aufgrund von
                                                                 ethnischen, kulturellen oder religiösen Merkmalen, der se-
Zur gelebten Toleranz gehört auch, intolerantes Verhalten        xuellen Orientierung, des Geschlechts, einer körperlichen
wahrzunehmen, ihm zu begegnen bzw. entgegenzutreten.             Einschränkung oder aus sozialen Gründen. Als grundlegend
»Fremdenhass und Gewalt gegen Minderheiten sind aus              für die Veränderungen in den Einstellungen werden soziale
unserer Gesellschaft nicht verbannt und kommen nahezu            Desintegrationsprozesse gesehen, die mit Ängsten vor so-
täglich vor. Ausländer, Behinderte, Obdachlose werden dis-       zialem Abstieg verbunden sind. Intoleranz wird hier als ein
kriminiert, bedroht oder angegriffen. Menschenfeindliche,        sozialpsychologischer Abwehrmechanismus als Folge gesell-
antisemitische und rassistische Ideologien werden öffent-        schaftlicher Veränderungen verstanden (vgl. M 14).
lich vertreten. Die Gräuel des Nationalsozialismus werden
verharmlost oder gar geleugnet«, so der frühere Bundesprä-       Kategorien der »Gruppenbezogenen
sident Johannes Rau im Jahr 2000. Für eine Demokratie ist        Menschenfeindlichkeit«
es zentral, sich gegen Unrecht, Ungerechtigkeit und Willkür      »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« setzt sich aus fol-
zu wehren und Freiheit und Menschenwürde überall dort            genden Kategorien zusammen (vgl. zum Folgenden: www.uni-
zu verteidigen, wo sie infrage gestellt oder beschnitten         bielefeld.de/ikg/projekte/GMF/Fremdenfeindlichkeit.html):
werden. Dies fängt im Alltag an und reicht über den beruf-        Fremdenfeindlichkeit ist die Abwertung von Menschen,
lichen und öffentlichen Bereich bis hin zur Politik.                die als ethnisch oder kulturell »fremd« oder »anders«
                                                                    kategorisiert werden.
»Keine Toleranz der Intoleranz« ist deshalb ein oft zitiertes     Rassismus umfasst jene Einstellungen und Verhaltens-
Motto – was nicht bedeuten kann, mit intoleranten Mitteln           weisen, die Abwertungen mit einer konstruierten »na-
oder gar mit Gewalt dagegen vorzugehen. Das Toleranzprin-           türlichen« oder »biologisch fundierten« Höherwertigkeit
zip ist nicht autoritär. Es bedeutet vielmehr, Zivilcourage im      der Eigengruppe bzw. einer Minderwertigkeit einer iden-
Alltag zu zeigen und gesetzliche Regelungen zum Schutz vor          tifizierten Fremdgruppe begründen.
Diskriminierung durchzusetzen und anzuwenden.                     Antisemitismus wird als feindselige Mentalität gegen-
                                                                    über Juden in all ihren Facetten definiert.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF)                       Islamfeindlichkeit benennt ablehnende Einstellungen
Der Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer und         gegenüber Muslimen, ihrer Kultur und ihren öffentlich-
sein Forschungsteam haben, ausgehend vom Phänomen des               politischen wie religiösen Aktivitäten.
Rechtsextremismus, das sogenannte Syndrom der »Gruppen-           Etabliertenvorrechte umfassen die von Alteingesesse-
bezogenen Menschenfeindlichkeit« erforscht. Dabei handelt           nen – gleich welcher Herkunft – beanspruchten raumzeit-
es sich um ein wissenschaftliches Konzept, das verdeutlicht,        lichen Vorrangstellungen, die auf eine Unterminierung
welche spezifischen Gruppen von Menschen wie mit Vor-               gleicher Rechte hinauslaufen und somit die Gleichwer-
urteilen belegt werden, und dass scheinbar unzusammen-              tigkeit unterschiedlicher Gruppen verletzen.
hängende, auf unterschiedliche Menschengruppen bezogene           Sexismus betont die Unterschiede zwischen den Ge-
Vorurteilsstrukturen miteinander verbunden sind.                    schlechtern im Sinne einer Demonstration der Überle-
                                                                    genheit des Mannes und die Befürwortung einer traditio-
Der Forschungsansatz der »Gruppenbezogenen Menschen-                nellen Rollenverteilung zulasten der Gleichwertigkeit von
feindlichkeit« trägt dazu bei zu verstehen, wie sich Abwer-         Frauen.
tung und Intoleranz gegenüber verschiedenen Bevölkerungs-         Homophobie bezeichnet feindselige Einstellungen ge-
gruppen zeigen und wie sie sich, je nach gesellschaftlicher         genüber Homosexuellen aufgrund eines »normabwei-
Entwicklung, auch verändern können. Die Langzeitstudie              chenden« sexuellen Verhaltens und die Verweigerung
»Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland«              gleicher Rechte.
(Heitmeyer u. a. 2013) untersuchte von 2002 bis 2012 jähr-        Abwertung von Behinderten bezeichnet feindselige Ein-
lich das Ausmaß, die Entwicklungen und Ursachen von Vor-            stellungen gegenüber Menschen mit körperlichen oder

                                                 Formen der Intoleranz

    Alltag                                  Gesellschaft                            Staat
     Störungen und Belästigungen im         systematische Missachtung und          aktive Diskriminierung durch
      Alltag                                  Diskriminierung                         Gesetze und Verordnungen
     Ignorieren von Konventionen            Verletzung von Menschenrechten         passive Diskriminierung durch
                                                                                      Duldung von Übergriffen
     Ausschluss und Ausgrenzung
     Grenzüberschreitungen

4                                                                                                       Politik & Unterricht • 1-2016
Toleranz lernen Zur Auseinandersetzung mit Toleranz und Intoleranz 1 - 2016 - Politik und Unterricht
Einleitung

  geistigen Besonderheiten, die als von der »Normalität«       und erwartet wird. Wer definiert, was richtig und falsch
  abweichend betrachtet werden.                                ist – und damit auch über Privilegien für spezifische Gruppen
 Abwertung von Obdachlosen zielt in feindseliger Absicht      bestimmt –, hat Macht und kann meist auch darüber verfü-
  auf jene Menschen, die den Normalitätsvorstellungen          gen, was bei Abweichungen von der Normalität geschehen
  eines geregelten Lebens nicht nachkommen.                    soll. Toleranz ist so immer auch eine Anfrage an geltende
 Abwertung von Langzeitarbeitslosen: Die Gruppe der           Normen und daran, wer sie setzt und durchsetzt.
  Langzeitarbeitslosen wird unter dem Gesichtspunkt man-
  gelnder Nützlichkeit für die Gesellschaft in den Fokus der   Zivilcourage zeigen
  Abwertung gerückt.                                           Ohne den Mut, unerschrocken seine Meinung zu vertreten
                                                               und Diskriminierung und Gewalt entgegenzutreten, kann
Die Studien von Heitmeyer u. a. zeigen, dass Vorurteile und    eine Demokratie nicht bestehen. Dieser Bürgermut wird als
Intoleranz gegenüber einer Gruppe von Menschen meist mit       Zivilcourage bezeichnet. Der Tübinger Politologe Gerd Meyer
ähnlichen Einstellungen anderen Minderheiten gegenüber         versteht unter Zivilcourage ein prosoziales, humanes, de-
einhergehen. Es wird dabei deutlich, dass Intoleranz und       mokratisches Handeln, das öffentlich ist, ein Risiko in sich
abwertende Vorurteile das gesellschaftliche Fundament für      birgt und deshalb Mut erfordert. Solches Verhalten kann sich
ein friedliches und demokratisches Zusammenleben unter-        sowohl gegen die Verletzung zentraler Werte und Normen
graben.                                                        in einer Gruppe oder einer ganzen Gesellschaft wenden als
                                                               auch gegen die Verletzung einer konkreten Person (Meyer
Ein zentraler Mechanismus beim Prozess der Abwertung ist       2014, S. 19 ff.). Wer mit Zivilcourage handelt, so Gerd Meyer
die Definition von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit zu     (2004, S. 23 ff.), setzt sich für demokratische und humane
einer Gruppe bzw. Gemeinschaft. Dieser Prozess wird in der     Werte, für legitime, »verallgemeinerungsfähige« Interes-
Wissenschaft als Othering bezeichnet. Verbunden damit ist      sen ein und ist in der Regel zu friedlichem Konfliktaustrag
die Festlegung, was als »normales« Verhalten angesehen         bereit. Zivilcourage ist prinzipiell ein öffentliches Handeln

Politik & Unterricht • 1-2016                                                                                             5
Toleranz lernen Zur Auseinandersetzung mit Toleranz und Intoleranz 1 - 2016 - Politik und Unterricht
Einleitung

             und ein Handeln unter Risiko, was bedeutet, dass man zu-       auf Beziehungserfahrungen, gegenseitiger Anerkennung
             meist mit Nachteilen rechnen und bereit sein muss, diese       und einem positiven Selbstwertgefühl (vgl. Naurath 2013,
             in Kauf zu nehmen. Nicht jedes mutige Verhalten ist jedoch     S. 29 f.). Aber auch die Fähigkeit, selbstständig urteilen und
             mit Zivilcourage gleichzusetzen.                               bewerten zu können und hierfür Kriterien zu entwickeln, ist
                                                                            wichtig. Dabei ist es nicht entscheidend, dass Jugendliche
             Gerd Meyer (2014, S. 21) unterscheidet drei Arten des zivil-   bereits von Beginn an über explizite und reflektierte Wer-
             couragierten Handelns:                                         temaßstäbe verfügen. Oft lehnen sie bestimmte Menschen,
              Eingreifen zugunsten anderer, meist in unvorhergese-         Verhaltensweisen usw. ab oder tolerieren sie, ohne sich ihrer
               henen Situationen, in die man hineingerät und in denen       eigenen Gründe (voll) bewusst zu sein.
               schnell entschieden werden muss.
              Sich-Einsetzen – meist ohne akuten Handlungsdruck –          Der vorliegende Ansatz geht davon aus, dass das Erproben
               für allgemeine Werte, für das Recht oder für die legiti-     und Einüben von Toleranz bzw. das Kennenlernen dieses
               men Interessen anderer. Dies betrifft beispielsweise das     Wertemaßstabs bereits Konsequenzen für das eigene Han-
               Handeln in organisierten Kontexten und in Institutionen,     deln und das Zusammenleben mit anderen haben und dass
               häufig auch für eine größere Zahl von Mitmenschen, z. B.     darüber hinaus weitergehende individuelle und soziale Lern-
               von Kolleginnen und Kollegen in einem Betrieb oder für       prozesse angestoßen werden können. So schreibt Armin
               Menschen in Not, wie etwa Flüchtlinge.                       Regenbogen (2013, S. 18 f.), dass »ethische, ästhetische
              Sich-Wehren gegen akute Zumutungen und Angriffe, z. B.       und politische Wertmaßstäbe der sozialen Umgebung für
               gegen Gewalt, Mobbing oder sexuelle Belästigung. Das         die eigene Lebensorientierung von Heranwachsenden be-
               kann auch bedeuten, sich zu weigern, etwas moralisch         deutsam werden, auch wenn sich die zugrunde liegenden
               oder rechtlich nicht Annehmbares zu tun.                     Beurteilungskriterien nicht oder noch gar nicht als eigene
                                                                            Identifikationsmuster oder Charaktermerkmale ausgebildet
             Orientierungen für Toleranz lernen                             haben. So wird erwartet, dass Jugendliche z. B. Toleranz
             Toleranz kann man weder »vermitteln« noch anderen auf-         als Wertmaßstab ihrer sozialen Umgebung auch dann schon
             zwingen, aber man kann sie vorleben. Sie entwickelt sich in    respektieren können, wenn sie noch weit entfernt davon
             Selbstlernprozessen von Kindern und Jugendlichen. Diese        sind, sich diesen Wert als eigenes Orientierungsmuster an-
             Prozesse sind nicht voraussetzungslos. Man kann sie beja-      zueignen. Nicht alle Werte müssen als solche in die indivi-
             hen, ermöglichen, zulassen, unterstützen und fördern. Dies     duelle Selbstbildung schon aufgenommen sein, bevor sie
             kann in realen Lebenssituationen im Alltag geschehen, aber     als Urteilskriterien in Alltagssituationen verwendet werden.
             auch in speziellen Arrangements in der Schule und Jugend-      Eine Wertidentifikation ist zwar eine Voraussetzung für einen
             arbeit, die Erfahrungen mit Toleranz ermöglichen. Solche       Prozess der Bildung von Werten zur eigenen Lebensbewälti-
             Arrangements können als Teil der Wertebildung verstanden       gung. Aber auch die nur flüchtig übernommenen Wertmaß-
             werden.                                                        stäbe können helfen, die Beurteilung des Verhaltens anderer
                                                                            zu erleichtern. Ich muss nicht selbst fleißig sein oder sein
             Eine der wichtigsten Voraussetzungen, um Toleranz entwi-       können, um Fleiß bei Ehrgeizigen auch positiv bewerten
             ckeln zu können, ist jedoch, dass man selbst Toleranz, Wert-   zu können. Die Vertrautheit mit Wertmaßstäben hilft uns,
             schätzung und Zugehörigkeit erleben konnte. Dies beruht        andere zu verstehen, auch wenn wir diese uns zunächst

                                                                                               Toleranz lernen heißt, sich auf Lern-
                                                                                               prozesse einzulassen, die die eige-
                                                                                               nen Überzeugungen in Frage stellen
                                                                                               können, und sich z. B. mit Situationen
                                                                                               zu beschäftigen, die einem selbst
                                                                                               fremd sind.
Jan Roeder

             6                                                                                                       Politik & Unterricht • 1-2016
Toleranz lernen Zur Auseinandersetzung mit Toleranz und Intoleranz 1 - 2016 - Politik und Unterricht
Einleitung

                fremden Werthaltungen selbst nicht teilen. Werte können         bandsorganisation aufgegriffen werden (z. B. Möglichkeiten
                also auch dann eine orientierende Wirkung in der Gesell-        echter Partizipation bieten) und nicht nur auf das Verhalten
                schaft haben, wenn sie nicht durchgängig in die spezifische     der Jugendlichen bezogen sein. Eine weltoffene, demokra-
                Moral eines jeden Akteurs integriert sind.«                     tische Schule bezieht alle Bereiche ein und leistet einen
                                                                                Beitrag zur Förderung einer Kultur des Friedens.
                Toleranz lernen wird hier also im Kontext von Identitätsent-
                wicklung und Wertebildung verankert. Individuelle Toleranz-     Zehn Orientierungspunkte
                fähigkeit zu erlernen ist wichtig und steht im Zentrum des       1. die pädagogische Haltung und das eigene Menschenbild
                pädagogischen Ansatzes. Dies deckt sich auch mit der Lehr-          als Grundlage betrachten;
                planrevision für Schulen in Baden-Württemberg. So wurde          2. soziale Wahrnehmung überprüfen;
                »Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt« 2016 als       3. sich selbst kennen und anerkennen lernen;
                eine Leitperspektive – u. a. neben Bildung für nachhaltige       4. gute Kommunikation ermöglichen;
                Entwicklung und Gesundheitserziehung – aufgenommen:              5. Gefühle einbeziehen – Empathie entwickeln;
                »Schule als Ort von Toleranz und Weltoffenheit soll es jungen    6. mit Konflikten konstruktiv umgehen;
                Menschen ermöglichen, die eigene Identität zu finden und         7. Teilhabe und Mitbestimmung erfahren;
                sich frei und ohne Angst vor Diskriminierung zu artikulieren.    8. Organisationsentwicklung und ein Schulethos fördern;
                Indem Schülerinnen und Schüler sich mit anderen Identi-          9. eine klare Werteorientierung vermitteln;
                täten befassen, sich in diese hineinversetzen und sich mit      10. Toleranz ist nicht Beliebigkeit.
                diesen auseinandersetzen, schärfen sie ihr Bewusstsein für
                ihre eigene Identität« (Ministerium für Kultus, Jugend und      1. Die pädagogische Haltung und das eigene
                Sport, Bildungspläne 2016).                                     Menschenbild als Grundlage betrachten
                                                                                Toleranz ist Teil einer professionellen Haltung, die auf einem
                Dies reicht jedoch nicht aus. Auch Gruppen, Gemeinschaften      Menschenbild beruht, das dem Humanismus verpflichtet ist.
                und Gesellschaften müssen das Toleranzprinzip beachten,         Sich des eigenen Menschenbildes und seiner Bedeutung zu
                Ausgrenzung verhindern und allen die Chance echter Teil-        vergewissern ist wichtig, denn es ist eine zentrale Grund-
                habe bieten. Denn gesellschaftliche und politische Rah-         lage des eigenen Handelns. Das humanistische Menschenbild
                menbedingungen können Toleranz fördern oder behindern.          geht von der Gleichheit und Gleichwertigkeit aller Menschen
                Toleranz ist dabei kein gleichbleibendes Verhalten, sondern     aus: Menschen sind einzigartig und wertvoll.
                ein dynamischer Prozess des Gewährens und Erhaltens, der
                immer wieder neu zur Positionierung herausfordert.              Soziales Lernen geschieht unbewusst über Modelle und
                                                                                Identifikationen. Vorbilder spielen dabei als Identifikati-
                Toleranz lernen kann als Teil einer umfassenden Friedenspä-     onsfiguren eine wichtige Rolle. »Erziehung heißt Vorbild«
                dagogik verstanden werden, die schrittweise aufbauend im        lautet deshalb auch ein Kernsatz des Umgangs mit Kindern
                Bereich von Wertebildung und sozialem Lernen ansetzt und        und Jugendlichen. Ein Vorbild ist ein Beispiel, ein Leitbild,
                mehrere Ebenen (Schüler, Klassen, Schulen, Jugendliche,         nach dem sich andere Menschen in ihrem Denken, ihren
                Jugendgruppen, Jugendverbände) einbezieht. Dabei sollte         Wertungen und ihren Taten richten. Vorbildlichkeit kann sich
                das Toleranzprinzip auch in der Schulorganisation bzw. Ver-     auf den ganzen Menschen, jedoch häufiger auf spezifische

                                                                                                   Sich mit anderen Identitäten zu
                                                                                                   befassen heißt, das Bewusstsein für
                                                                                                   die eigene Identität zu schärfen.
Günther Gugel

                Politik & Unterricht • 1-2016                                                                                               7
Toleranz lernen Zur Auseinandersetzung mit Toleranz und Intoleranz 1 - 2016 - Politik und Unterricht
Einleitung

Eigenschaften oder Fähigkeiten eines Menschen beziehen          »Mängeln« annimmt und auch seine eigenen Fähigkeiten
(Peetz 1992). Tolerante oder intolerante Erwachsene sind        und Stärken sehen und leben kann.
immer auch Vorbilder für Kinder und Jugendliche, denn
diese richten ihr eigenes Verhalten auch nach dem Handeln       4. Gute Kommunikation ermöglichen
Erwachsener aus.                                                Toleranz im Alltag bedeutet, miteinander in Kontakt zu
                                                                kommen, sich wahrzunehmen und zu kommunizieren. Eine
2. Soziale Wahrnehmung überprüfen                               gelingende Kommunikation trägt wesentlich zur Toleranz
Menschliches Verhalten wird wesentlich durch die Wahrneh-       bei. Es geht dabei nicht nur um Verstehen und Verstanden-
mung bestimmt. Dass und wie ein Mensch sich verhält, hängt      werden, sondern immer auch um Differenz und Abgrenzung
davon ab, wie er die ihn umgebende Welt wahrnimmt, z. B.        sowie um die Klärung zwischenmenschlicher Beziehungen.
als bedrohlich, als fürsorglich oder als ungerecht. Fehlwahr-   Kommunikation geschieht nicht nur verbal. Nonverbale Kom-
nehmungen, eingeschränkte Wahrnehmungen oder verzerrte          munikation ist direkter und aussagekräftiger als verbale. Sie
Interpretationen und Verarbeitungen des Wahrgenommenen          richtig zu entschlüsseln und für den eigenen Ausdruck ein-
können unangemessene Reaktionen zur Folge haben. Dies           zusetzen, ist für einen gelingenden zwischenmenschlichen
wirkt sich auch auf Toleranz aus. Werden eine Person, eine      Umgang äußerst hilfreich.
Frage oder ein Problem als Bedrohung für die eigenen Über-
zeugungen oder Lebensweisen wahrgenommen, so wird eher          5. Gefühle einbeziehen – Empathie entwickeln
mit Gegenwehr denn mit Toleranz reagiert.                       Gefühle beeinflussen unser Verhalten. Positive Gefühle
                                                                wirken sich unmittelbar auf unsere Bereitschaft aus, ande-
3. Sich selbst kennen und anerkennen lernen                     ren zuzuhören, ihnen etwas zu gewähren, ihnen zu helfen
Der Weg zur Toleranz beginnt bei sich selbst, beim Ken-         oder tolerant zu sein. Die Fähigkeit zur Empathie ermög-
nenlernen der eigenen toleranten und intoleranten Seiten.       licht es, sich intuitiv in den anderen hineinzuversetzen und
Die Besonderheit des Jugendalters liegt in den vielfältigen     mitzufühlen.
Veränderungen und Umbrüchen, die sich in kurzer Zeit voll-
ziehen. Wandel ist das eigentliche Merkmal und Thema des        Auch negative Gefühle wirken sich auf das Verhalten aus.
Jugendalters. Sich diesen Veränderungen zu stellen und          Vorurteile oder Abwertungen sind nicht nur »Meinungen«
mit ihnen produktiv umzugehen, ist eine der größten He-         über andere, sondern immer auch in der Gefühlswelt ver-
rausforderungen – auch dafür, Toleranz zu lernen. Toleranz      ankert. Sie lassen sich deshalb nicht allein mit kognitiven
und Akzeptanz anderer kann nur jemand lernen und leben,         Ansätzen bearbeiten. Wichtig für Erziehung und Bildung ist
der selbst Toleranz und Akzeptanz gegenüber den eigenen         es zu berücksichtigen, dass negative Gefühle (insbesondere
Eigenarten erlebt hat, und vor allem jemand, der sich selbst    Angst) Lernprozesse erschweren oder ganz verhindern. Es
mit seinen (scheinbaren oder tatsächlichen) »Defiziten« und     gibt keine emotionsfreie oder neutrale Informationsverar-
                                                                beitung.

      Kommunikation und Respekt bedeuten …                      Tolerant zu sein erfordert, eigene Entscheidungen zu treffen
                                                                und eigene Meinungen und Überzeugungen zu hinterfragen.
     die Gebote der Höflichkeit beachten                       Dies auszuhalten bedarf einer gewissen Ich-Stärke. Diese
      (Begrüßung, Verabschiedung);                              zu entwickeln bzw. zu fördern kann deshalb als langfristige
                                                                Aufgabe von Toleranz lernen angesehen werden.
     ausreden lassen und einander
      zuhören;                                                  6. Mit Konflikten konstruktiv umgehen
                                                                Toleranz ist wichtig, um die Eskalation von Konflikten
     Anerkennung, Wertschätzung und das Bemühen um             zu vermeiden. Sie trägt dazu bei, zu guten Lösungen zu
      ein Verstehen des Gegenübers;                             kommen. Allerdings sollte Toleranz nicht dazu führen, be-
                                                                stehende Konflikte nicht aufzugreifen, denn Konflikte haben
     Wissen um die Subjektivität der                           wichtige soziale Funktionen. Sie machen auf Bedürfnisse
      eigenen Sichtweisen;                                      aufmerksam, zeigen, wo Probleme zu lösen sind, und sie
                                                                helfen, durch gute Lösungen das Zusammenleben fairer zu
     sensibel mit Bezeichnungen und Begriffen
                                                                gestalten.
      umgehen;
                                                                Toleranz hilft, eine gewaltfreie, konstruktive Konfliktaustra-
     diskriminierende, sexistische oder gewaltförmige
                                                                gung zu ermöglichen, die die Grundbedingung gelingenden
      Ausdrücke vermeiden;
                                                                menschlichen Zusammenlebens ist. Die Ermöglichung, Unter-
     den anderen nicht beschuldigen oder                       stützung und Förderung von konstruktiver Konfliktbearbei-
      beleidigen;                                               tung auf persönlicher, institutioneller und gesellschaftlicher
                                                                Ebene bedeutet deshalb, alternative Handlungskonzepte zu
     eine offene Haltung                                       entwickeln und umzusetzen, die auf gegenseitiger Toleranz,
      einnehmen.                                                Wertschätzung und Respekt beruhen und einen fairen Inte-
                                                                ressenausgleich anstreben.

8                                                                                                        Politik & Unterricht • 1-2016
Einleitung

7. Teilhabe und Mitbestimmung erfahren                          Anerkennung des Anderen und seiner Andersartigkeit), Ge-
»Wenn Kinder und Jugendliche die Erfahrung machen, dass         rechtigkeit und Gewaltfreiheit. Auf den Wertebildungspro-
in Schule und Erziehung Mitwirkung, demokratisches Han-         zess können Schule und Jugendarbeit auf zweierlei Weise
deln und Verantwortungsübernahme erwünscht sind und als         einwirken: durch Geltend-Machen derjenigen Normen, die für
wichtig anerkannt werden, sind sie für Gewalt und Rechts-       die Aufgaben und den Erhalt ihrer Gemeinschaft unentbehr-
extremismus weniger anfällig als Jugendliche, denen diese       lich sind, und durch Reflexion einschlägiger Erfahrungen,
Erfahrung versagt bleibt« (Edelstein/Fauser 2001, S. 20).       insbesondere durch Konfliktlösungen (vgl. Gieseke 2005,
Demokratisch strukturierte Schulen, die ein hohes Maß an        S. 181). Schule und Jugendarbeit sollten sich dabei als »ge-
Mitgestaltung und Mitbestimmung aufweisen, sind nicht           rechte Gemeinschaften« verstehen, in denen demokratische
nur gewaltärmer, sondern zeigen auch eine höhere Lern-          Teilhabe und fairer Umgang selbstverständlich sind. Dabei
bereitschaft der Schülerinnen und Schüler. Denn hier sind       geht es nicht um Anpassung, sondern um Anerkennung von
die sozialmoralischen Voraussetzungen für Schulleben und        Differenzen und Toleranz.
Schulunterricht stärker entwickelt und die entsprechenden
Selbst- und Sozialkompetenzen intensiver ausgebildet (Him-      10. Toleranz ist nicht Beliebigkeit
melmann 2007, S. 12).                                           In der öffentlichen Diskussion wird Toleranz immer wieder mit
                                                                unterschiedlichen Argumenten kritisiert. Auf der einen Seite
Demokratiepädagogik, verbunden mit mehr Mitwirkungs-            wird Toleranz mit Indifferenz und Beliebigkeit gesellschaft-
und Beteiligungsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schü-        licher Werte gleichgesetzt und für negative gesellschaftliche
ler, aber auch für Eltern an Schulen, geht über die bislang     Entwicklungen verantwortlich gemacht, beispielsweise für
verbrieften Beteiligungsrechte (Schulkonferenz, Schülerver-     das angebliche Scheitern der Integration von Einwanderern
tretung, Elternpflegschaften) weit hinaus. Es geht nicht um     und ihren Nachkommen. »Multikulti ist gescheitert« soll
die Erfüllung formaler Verfahren, sondern um die Partizipa-     beispielsweise auch heißen, jetzt ist Schluss mit Toleranz,
tion aller Beteiligten. Möglichkeiten der Teilhabe und Mitbe-   weil das Tolerieren von scheinbar fremden Wertvorstellungen
stimmung anzubieten und zu gewähren, betrifft in gleicher       und Verhaltensweisen zur Unterdrückung der Frauen, zu
Weise auch Vereine und (Jugend-)Verbände.                       Parallelgesellschaften, erhöhter Gewaltbereitschaft usw.
                                                                führen würde. Auf der anderen Seite wird Toleranz als erstes
Toleranz ist eine wichtige Bedingung gelingender Mitbe-         Gebot einer übertriebenen Political Correctness dargestellt.
stimmung, da es zu Sachfragen und Problemen zumeist un-         Menschen, die es wagen würden, öffentlich »die Wahrheit«
terschiedliche Ansichten, Überzeugungen und Lösungsvor-         über Minderheiten oder gesellschaftliche Missstände zu
schläge gibt. Die Suche nach einem gerechten Kompromiss         sagen, würden dem Vorwurf der Diskriminierung ausgesetzt
kann nur gelingen, wenn alle Meinungen gleichberechtigt         und mundtot gemacht. Toleranz erscheint hier als eine Art
geäußert und toleriert werden können.                           »Gedankenpolizei«.

8. Organisationsentwicklung und ein Schulethos                  Toleranz ist jedoch weder beliebig noch repressiv. Sie ist
fördern                                                         eine der Grundlagen sozialer, kultureller und politischer Plu-
Schule muss, wie jede andere Organisation auch, so gestaltet    ralität in modernen Gesellschaften und somit eine wichtige
werden, dass sie tolerante Einstellungen und Verhaltens-        Voraussetzung von Demokratie. Als solche ist sie auch an
weisen fördert. Dies setzt die Entwicklung einer jugend-        weitere Grundwerte gebunden, wie sie beispielsweise in der
orientierten Lernkultur und eines Sozialklimas voraus, die      Erklärung der Menschenrechte oder im Grundgesetz gewährt
Ausgrenzung vermeiden, Anerkennung bieten und Jugendli-         werden. Menschenwürde, Gewaltfreiheit oder Meinungsfrei-
che unterstützen. In der Praxis zeigt sich, dass es weniger     heit werden durch Toleranz nicht relativiert, sondern bilden
um Einzelmaßnahmen geht – so wichtig sie auch sind – als        erst mit dieser gemeinsam ein tragfähiges Wertegerüst. Den-
vielmehr um die Herausbildung eines gemeinsamen Ethos           noch gibt es klare Grenzen der Toleranz, die bei der Verlet-
(»Wir verhalten uns in unserem Verband, in unserer Schule       zung der (Menschen-)Rechte anderer beginnen.
so ...«). Auf die Wichtigkeit eines solchen Ethos weist auch
die Organisationsentwicklungsforschung hin. Gerade bei
sozialen Organisationen geht es nicht nur um Rationalität
von Abläufen und Funktionalität von Strukturen, sondern
                                                                 TOLERANZWOCHEN
eben immer auch um Sinngebung und Sinngestaltung, da
diese auch eine geistig-kulturelle Dimension umfassen. Alle
                                                                 Die Toleranzwochen der STIPHTUNG CHRISTOPH SONNTAG
Bemühungen, die in diese Richtung gehen, leben letztlich
                                                                 ermöglichen Jugendlichen (Schulklassen und Gruppen ab
von der Glaubwürdigkeit, der Überzeugungskraft und der
                                                                 Klasse 9), sich in ganztägigen Workshops mit Fragen von
Beziehungsfähigkeit aller Beteiligten, denn Kinder und Ju-
                                                                 Toleranz und Intoleranz auseinanderzusetzen.
gendliche brauchen glaubwürdige Vorbilder und Menschen,
mit denen sie sich identifizieren können.

9. Eine klare Werteorientierung vermitteln
                                                                              Weitere Informationen:
Das Zusammenleben in einer Gesellschaft wird wesentlich
                                                                              www.toleranzwochen.de
durch drei Werte ermöglicht: Toleranz (verstanden als die

Politik & Unterricht • 1-2016                                                                                               9
Die Toleranz-Rallye

             UNTERRICHTSPRAKTISCHE HINWEISE                                 Der Lernzirkel verläuft in vier Schritten:
                                                                            1. Anfangsplenum mit kurzer Einführung in das Thema
             DIE TOLERANZ-RALLYE                                            2. Kleingruppenarbeit an den Lernstationen
             Die vorliegende Ausgabe von Politik & Unterricht kann als      3. Präsentation und Diskussion im Abschlussplenum/
             Sammlung einzelner Materialien eingesetzt werden. Ent-            Ergebnissicherung
             sprechende didaktische Hinweise finden sich im Folgenden.      4. Nachbereitung/Feedback
             In besonderem Maße bietet sie sich aber in Form einer To-
             leranz-Rallye als zusammenhängendes Lernangebot an. Die        Die Lernstationen werden so vorbereitet, dass die Lernma-
             Toleranz-Rallye hat die methodische Struktur eines Lernzir-    terialien und Arbeitsanweisungen schriftlich an den räum-
             kels und möchte durch handlungs- und erfahrungsbezogene        lich getrennten Stationen ausliegen. Die Ergebnisse der
             Ansätze die Auseinandersetzung mit dem Thema Toleranz          Gruppenarbeit werden auf Wandzeitungen festgehalten. Der
             fördern. In einem Lernzirkel werden Themen arbeitsteilig       Lernzirkel ist für zwei bis drei Schulstunden konzipiert. Die
             von Kleingruppen bearbeitet. Die Ergebnisse werden dann        Durchführung des Lernzirkels kann durch Lehrkräfte als auch
             im Plenum zusammengetragen und besprochen.                     durch Jugendliche (im Peer-Prinzip) erfolgen, d. h. ältere
                                                                            Jugendliche könnten in die Konzeption und Betreuungsauf-
             DIE VORBEREITUNG                                               gaben eingeführt werden und führen dann selbstständig (zu
             Nach einem gemeinsamen Beginn erhält jede Kleingruppe          dritt) den Lernzirkel durch.
             eine der sechs Lernstationen dieser Toleranz-Rallye zugewie-
             sen, die in einem vorbereiteten Ablauf bearbeitet werden.      Zeitmanagement und Rotation
             Dabei kann, je nach Zeitbudget, jeweils nach circa 20 bis      Die Aufgaben der einzelnen Arbeitsgruppen sind so be-
             30 Minuten rotiert werden. Der Lernzirkel kombiniert so        messen, dass sie in rund 20 bis 30 Minuten zu bewältigen
             verschiedene Sozialformen des Lernens wie Einzelarbeit,        sind. Ist eine Gruppe schneller fertig, so sollten zusätzliche
             Gruppenarbeit und Plenum und ist daneben auch in der           Arbeitsanweisungen (Fragen) vorhanden sein. Danach wird
             Zeitstruktur flexibel. Jede Kleingruppe kann entweder nur      rotiert. Die Gruppe an Station 1 wechselt zu Station 2, die
             eine Lernstation oder auch im Rotationsverfahren mehrere       Gruppe an Station 2 zu Station 3 usw. Der Wechsel findet
             bearbeiten. An den sechs Stationen werden Toleranzthemen       für alle Gruppen gleichzeitig statt und bietet so auch die
             aufgegriffen und bearbeitet.                                   Gelegenheit zu einer kurzen Trink- oder Toilettenpause.

                                                                            Zeitplanung
                                                                            Lernzirkel gesamt: 2 bis 3 Schulstunden à 45 Minuten.
                                                                            Die Gesamtdauer ist abhängig von der Anzahl der Teilneh-
                                                                            merinnen und Teilnehmer sowie davon, ob eine Rotation
                                                                            stattfindet oder nicht.
                                                                             Anfangsplenum: 20 bis 30 Minuten
                                                                             Lernstationen (ohne Rotation): 20 bis 30 Minuten
                                                                             Schlussplenum: 40 bis 60 Minuten
                                                                             Nachbereitung/Feedback

                                                                            Ergebnissicherung
                                                                            Die Aufgaben der einzelnen Stationen sind so gestaltet, dass
                                                                            präsentierbare Ergebnisse entstehen. Die Ergebnisse werden
                                                                            in Form von Wandzeitungen gesichert und von der Gruppe
                                                                            mit der Stationsnummer, einer Gruppenkennung (Namen)
                                                                            und der Durchgangsnummer (Runde 1, 2 usw.) versehen. Die
                                                                            Wandzeitungen werden von der Seminarleitung abfotogra-
                                                                            fiert und können zur Weiterarbeit verwendet werden.

                                                                            Vorbereitung der Jugendlichen auf die Toleranz-Rallye
                                                                            Als thematische Einstimmung auf die Toleranz-Rallye kann
                                                                            etwa eine Woche vor der Durchführung eine Einführung
                                                                            in das Thema erfolgen. Hierzu kann M 1 (»Rund um Tole-
                                                                            ranz …«) verwendet werden. Die ausgefüllten Fragebögen
                                                                            können von den Jugendlichen auch zur Rallye mitgebracht
                                                                            werden, sodass sie sich ihre Überlegungen in Erinnerung
                                                                            rufen und sich gegebenenfalls auf diese beziehen können.
                                                                            Auch anhand der Erzählung »Gemeinschaft« von Franz Kafka
                                                                            (M 12) kann anschaulich in das Thema eingeführt werden.
Jan Roeder

             10                                                                                                      Politik & Unterricht • 1-2016
Die Toleranz-Rallye

      CHECKLISTE, ORGANISATION UND                        Station 1: Kopien der Arbeitsanweisungen M 2 und
      MATERIALIEN                                                    M3
                                                          Station 2: Kopien der Arbeitsblätter M 4 und M 5
                                                          Station 3: Kopien der Arbeitsanweisungen und
      Einstimmung/Vorbereitungsstunde                                Bewerberprofile M 6
       M 1 (Kopien) und/oder M 12 (Kopien)               Station 4: Kopien von M 7. Zusätzlich Papierstreifen
                                                                     oder Karten, damit die Aussagen von M 7,
      Eingangsplenum                                                 in eine Rangfolge gebracht werden
       Stuhlkreis                                                   können.
       Textkarten M 18                                   Station 5: Kopien der Dilemmageschichte M 8 und
                                                                     des Arbeitsblatts mit Sprechblasen M 9
      Materialien für die einzelnen Stationen             Station 6: Kopien der Materialien M 10 und M 11
       Sitzgruppen oder Stehpulte an den Lernstationen
       Stapel mit leeren Zetteln (DIN A5 oder DIN A4)    Schlussplenum
        zum Schreiben                                      Pinnwände
       Kleber und Tesa                                    Flipchart und Stifte
       große Papierbögen für Wandzeitungen                eventuell Vertiefungsmaterialien als Folie oder
       Stifte (Bleistifte und Faserschreiber)              Bilddatei
       jeweils ein Schild mit Nummer und Titel zur
        Kennzeichnung der Station                         Nachbereitung/Feedback
       Pinnwände und Pinnnadeln                           Meinungsfragebogen M 17 (Schlussauswertung) für
       Arbeitsanweisungen und Materialien                  alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Politik & Unterricht • 1-2016                                                                                    11
Die Toleranz-Rallye

DIE DURCHFÜHRUNG DES LERNZIRKELS                            Station, mit der die jeweilige Gruppe beginnt. Die Zahl der
Das Anfangsplenum                                           Kärtchen muss der Zahl der Teilnehmenden entsprechen.
 Ankommen, Begrüßung;
 Sitzen im Stuhlkreis;                                     Die Lernstationen
 Einführung: Ablauf und Arbeitsweise des Lernzirkels.       Die sechs Lernstationen sind in einem großen Raum oder
  Der Einstieg in das Thema erfolgt mit den Textkarten        auf mehrere Räume verteilt.
  (M 18).                                                    Die Aufgabenbeschreibung und Arbeitsmaterialien, die
 Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lesen den Text der       jeweils mit Nummer und Thema bezeichnet sind, liegen
  benutzten Karten vor und beschreiben kurz, was sie mit      auf dem Tisch der entsprechenden Lernstation.
  der Situation verbinden und was sie ihrer Meinung nach     Die Gruppen bearbeiten ihre Aufgabe und visualisieren
  mit dem Thema Toleranz zu tun hat.                          das Ergebnis auf einer Wandzeitung.
 In einer zweiten Runde wird zu der Situation kurz Stel-    Die Arbeit an einer Lernstation dauert etwa 20, maximal
  lung bezogen. Die Reihenfolge kann reihum oder beliebig     30 Minuten.
  sein.                                                      Je nach verfügbarer Zeit rotieren die Gruppen zur jeweils
 Es werden (je nach Gruppengröße) bis zu sechs Klein-        nächsten Lernstation (Lernstation 1 nach Lernstation 2
  gruppen gebildet und den entsprechenden Lernstationen       usw.).
  zugeteilt.                                                 Die Arbeitsmaterialien der Lernstationen müssen für die
                                                              jeweils darauffolgenden Gruppen nochmals auf Vollstän-
Aufteilung der Gruppen                                        digkeit überprüft werden.
Die Aufteilung in Gruppen geschieht durch Verteilung von     Wenn eine Gruppe mit ihrer Aufgabe schneller fertig ist,
vorbereiteten Kärtchen, auf denen die Nummern der Grup-       sollten Zusatzfragen bzw. Zusatzaufgaben bereitliegen.
pen (1 – 6) stehen. Diese werden gemischt und verteilt.
Die Gruppennummern sind gleichzeitig die Nummern der        DIE AUFGABEN DER LERNSTATIONEN
                                                            Station 1
                                                            Worte können treffen – Begriffe rund um Toleranz
                                                            Thema: Wie drücken sich Toleranz und Intoleranz in der
  DIE THEMEN UND LOGIK DER LERNSTATIONEN                    Sprache aus?
                                                            Aufgabe: Begriffe, die treffen, finden und aufschreiben.
  Die Themen der sechs Lernstationen folgen einer inne-     Mit Hilfe von M 3 (»Toleranz von A–Z«) werden Worte,
  ren Logik. Die grundlegenden Fragen sind: Was macht       die andere beleidigen und diskriminieren, bzw. Worte, die
  Toleranz im Zusammenleben aus? Und: Warum ist Tole-       Respekt ausdrücken, unterstützen und wertschätzen, ge-
  ranz wichtig?                                             sammelt und auf Karten geschrieben. Die Orientierung am
                                                            Alphabet (A–Z) erleichtert das Vorgehen. Im Anschluss dis-
   Station 1: Worte können treffen – Begriffe rund um      kutiert die Arbeitsgruppe, was jemand empfindet, der solche
               Toleranz                                     Worte hört. Sie diskutiert auch, wovon es abhängt, wie diese
    Merksatz: Worte können verletzen, aber Worte            Worte empfunden werden (Arbeitsanweisung M 2).
               können auch unterstützen.                    Materialien: Arbeitsanweisungen M 2 sowie M 3 in mehreren
   Station 2: Soziale Wahrnehmung – Körperbilder           Kopien.
    Merksatz: Sich selbst anzunehmen ist Vorausset-
               zung, um auch andere akzeptieren zu          Station 2
               können.                                      Soziale Wahrnehmung – Körperbilder
   Station 3: WG-Platz frei! – Wen würde ich auswählen?    Thema: Wie nehme ich mich, wie nehmen wir uns wahr? Auf-
    Merksatz: Das Wissen, wovon Beurteilungen               gegriffen wird hier der Bereich der Selbst- und Fremdbilder
               abhängen, ermöglicht es, eigene              sowie der Selbstakzeptanz von Jungen und Mädchen.
               Beurteilungen zu überprüfen.                 Aufgabe: Ausgehend von zwei Fotos (M 4) wird den Fragen
   Station 4: Vorbilder haben, Vorbild sein –              nachgegangen, was Jungen bzw. Mädchen attraktiv finden
               Welche Werte zählen?                         und wie solche Selbstbilder entstehen.
    Merksatz: Vorbilder geben bzw. ermöglichen              Im Hintergrund steht die Frage, was Schönheit und Attrak-
               Orientierung.                                tivität ist und wer diese bestimmt bzw. beeinflusst (M 5).
   Station 5: Dilemmageschichte – das Flüchtlingsheim      Wie werden z. B. Männer bzw. Frauen in den Medien und in
    Merksatz: Es gibt Situationen, in denen man sich        der Modewelt dargestellt? Und was bedeutet dies für unsere
               nur für einen Weg entscheiden kann.          Wahrnehmung?
               Diese Entscheidung muss gut begründet         Was geschieht auf dem Foto? Warum verhalten sich Mäd-
               sein.                                           chen bzw. Jungen so?
   Station 6: Zivilcourage – Eingreifen oder Zuschauen?     Wann sind Mädchen bzw. Jungen mit sich zufrieden bzw.
    Merksatz: Zu erkennen, wo Grenzen überschritten            unzufrieden?
               werden, ist die Voraussetzung, um ein-       Materialien: Arbeitsblätter M 4 und M 5 in mehreren Ko-
               greifen zu können.                           pien.

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Die Toleranz-Rallye

Station 3                                                        Station 5
WG-Platz frei! – Wen würde ich auswählen?                        Dilemmageschichte – das Flüchtlingsheim
Thema: Was tolerieren wir bei Menschen? Wonach beurteilen        Thema: Wovon hängen Entscheidungen ab?
wir Menschen?                                                    Aufgabe: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer treffen ge-
Aufgabe: Aus fünf verschiedenen Bewerberinnen und Be-            meinsam eine Entscheidung, wie die Dilemmageschichte
werbern (M 6) soll eine neue WG-Mitbewohnerin bzw. ein           enden soll (M 8).
neuer WG-Mitbewohner ausgesucht werden.                          Tolerantes Verhalten steht oft in einem Spannungsverhältnis
Die Jugendlichen lesen sich die mit Fotos versehenen Bewer-      zu anderen Motiven, ohne dass es eine »einfache« Lösung
bungsschreiben durch. Anschließend diskutieren sie, wen sie      gibt. Toleranz lernen als Teil der Moralentwicklung kann we-
als Mitbewohnerin bzw. Mitbewohner auswählen würden und          sentlich durch die Auseinandersetzung mit solchen Problem-
stimmen ab. Bei einer Pattsituation gibt es eine Stichwahl.      und Dilemmasituationen gefördert werden, bei denen es um
Die Argumente/Gründe für und gegen die einzelnen Kandida-        ein Abwägen, Beurteilen und Entscheiden zwischen mehre-
tinnen bzw. Kandidaten werden stichwortartig festgehalten,       ren Werten geht (z. B. Eigennutz versus Gemeinnutz).
ebenso das Ergebnis der Abstimmung. Nach der Abstim-             Die Jugendlichen lesen sich die Dilemmageschichte (M 8)
mung besprechen die Jugendlichen, nach welchen Kriterien         durch. Sie diskutieren die Geschichte und überlegen ge-
(Sprache, Name, Herkunft, schulische Bildung, Kleidung,          meinsam, wie sich die Hauptperson entscheiden soll. Die
Gesichtsausdruck, Sympathie usw.) sie entschieden haben          gefundene Meinung wird begründet. Die Teilnehmerinnen
und was den Ausschlag für oder gegen die Kandidatinnen           und Teilnehmer führen die gegensätzlichen Positionen in
bzw. die Kandidaten gegeben hat. Auch diese Überlegungen         Form eines kurzen Dialogs aus (M 9) und übertragen diesen
werden in Stichworten auf Karten geschrieben und auf der         auf die Wandzeitung. Im Plenum trägt die Gruppe die Ge-
Wandzeitung festgehalten.                                        schichte und den entstandenen Dialog vor. Danach wird die
Materialien: Arbeitsanweisungen und Bewerberprofile (M 6)        gefundene Entscheidung dargestellt und begründet.
in mehreren Kopien.                                              Materialien: Dilemmageschichte (M 8) und Arbeitsblatt mit
                                                                 Sprechblasen (M 9).
Station 4
Vorbilder haben, Vorbild sein – Welche Werte zählen?             Station 6
Thema: Menschen brauchen Vorbilder. Welche Werte kommen          Zivilcourage – Eingreifen oder Zuschauen?
in Vorbildern zum Ausdruck?                                      Thema: Wie kann man handeln, wenn andere diskriminiert
Aufgabe: Fünf Eigenschaften von Vorbildern aussuchen und         werden?
in eine gemeinsame Rangfolge bringen (Prioritätenspiel).         Aufgabe: M 10 zeigt eine Szene, die in allen Schulen immer
Die Gruppe erhält eine Liste mit Aussagen zum Thema »Was         wieder vorkommt und die die Jugendlichen kennen. Diese
zeichnet ein Vorbild aus?« (M 7).                                Szene soll in der Arbeitsgruppe hinterfragt und besprochen
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben die Aufgabe,            werden.
fünf Aussagen auszuwählen und diese in eine Rangfolge            Die Auseinandersetzung kann entlang der Fragen zu den
zu bringen, wobei »1« die wichtigste Aussage bedeutet.           Bildern geschehen:
Die Aussagen können von der Gruppe besser bearbeitet              Was ist hier geschehen? Erzähle die Geschichte.
werden, wenn jede Aussage auf einem gesonderten Blatt             Stelle dir vor, du siehst diesen Rucksack auf dem Schul-
Papier (DIN A5) steht. Im zweiten Schritt sollen sich die           hof. Was geht dir dann durch den Kopf?
Jugendlichen mit der Frage beschäftigen, für wen sie selbst
Vorbild sind oder sein könnten (auch ohne dass sie dies
bewusst wahrnehmen).                                                     Was Zivilcourage oft verhindert …
Menschen, die von anderen als Vorbild angesehen werden,            Angst, z. B. etwas falsch zu machen, oder Angst
zeichnen sich oft durch eine Mischung aus Toleranz gegen-           vor körperlicher Gewalt;
über der Verschiedenheit und Individualität ihrer Mit-
menschen und einer unnachgiebigen Haltung hinsichtlich             das Gefühl der Unterlegenheit
Intoleranz, Diskriminierung und Gewalt aus. Die Jugend-             (hier kann ich ja doch nichts machen ...);
lichen setzen sich mit der Frage auseinander, welche Eigen-
schaften und Werte Vorbilder aus ihrem Lebensumfeld oder           das Gefühl der Gleichgültigkeit
der Öffentlichkeit haben und welche Rolle Toleranz dabei            (was geht das mich an ...?);
spielt. Die Aufgabe, eine Rangfolge zu erstellen, ist bei den
meisten Themen nicht möglich, da viele Aussagen als gleich-        die Meinung, dass das Opfer
wertig betrachtet werden. Durch die Aufgabenstellung wird           selbst schuld sei;
jedoch ein »Zwang« zur Diskussion und Einigung erreicht,           die Meinung, dass andere für die Lösung
der das Thema und die Argumente zuspitzt.                           verantwortlich seien;
Materialien: Kopien von M 7. Zusätzlich werden die Aus-
sagen (von M 7), die in eine Rangfolge gebracht werden             die Meinung, dass der Konflikt ein Privatproblem der
sollen, jeweils auf einen Papierstreifen oder eine Karte über-      Betroffenen sei.
tragen.

Politik & Unterricht • 1-2016                                                                                              13
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