Toleranz lernen Zur Auseinandersetzung mit Toleranz und Intoleranz 1 - 2016 - Politik und Unterricht
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Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung HEFT 1 – 2016, 1. QUARTAL, 42. JAHRGANG »Politik & Unterricht« wird von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB) Inhalt herausgegeben. HERAUSGEBER Lothar Frick, Direktor Editorial 1 CHEFREDAKTEUR Autoren dieses Heftes 1 Prof. Dr. Reinhold Weber reinhold.weber@lpb.bwl.de REDAKTIONSASSISTENZ Unterrichtsvorschläge 2 – 15 Sylvia Rösch, sylvia.roesch@lpb.bwl.de Isabelle Holz, Tübingen Einleitung 2 ANSCHRIFT DER REDAKTION Die Toleranz-Rallye 10 Stafflenbergstraße 38, 70184 Stuttgart Telefon: 0711/164099-45; Fax: 0711/164099-77 REDAKTION Texte und Materialien 17 – 39 Judith Ernst-Schmidt, Oberstudienrätin, Werner-Siemens-Schule (Gewerbliche Schule Toleranz lernen – Materialien 18 für Elektrotechnik), Stuttgart Dipl.-Päd. Martin Mai, Wilhelm-Lorenz-Realschule, Literaturhinweise 39 Ettlingen Dipl.-Päd. Holger Meeh, Akademischer Rat, Pädagogische Hochschule Heidelberg Dr. Wibke Renner-Kasper, Konrektorin der Schule am Stromberg, Gemeinschaftsschule Illingen-Maulbronn Einleitung und alle Bausteine: Günther Gugel und Amos Heuss Angelika Schober-Penz, Oberstudienrätin, Erich-Bracher-Schule (Kaufmännische Schule), Kornwestheim GESTALTUNG TITEL Bertron.Schwarz.Frey, Gruppe für Gestaltung, Ulm Das komplette Heft finden Sie zum Downloaden als PDF-Datei unter www.bertron-schwarz.de www.politikundunterricht.de/1_16/toleranzlernen.htm DESIGN UND DIDAKTIK Medienstudio Christoph Lang, Rottenburg a. N., www.8421medien.de VERLAG Neckar-Verlag GmbH, Klosterring 1, Politik & Unterricht wird um digitale Angebote erweitert. Zu 78050 Villingen-Schwenningen jedem Heft stehen Arbeitsmaterialien online zur Nutzung Marketing/Anzeigen: Leitung: Rita Riedmüller, Tel: 07721/8987-44 in Kombination mit Beamer, interaktivem Whiteboard, PC werbung@neckar-verlag.de oder Tablet zur Verfügung. Sie sind an diesem Symbol zu Verkauf: Alexandra Beha, Tel: 07721/8987-42 anzeigen@neckar-verlag.de erkennen. Dort finden Sie auch die entsprechende Internet- Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 4 vom 1.1.2015 adresse und einen QR-Code zur direkten Nutzung. DRUCK PFITZER GmbH & Co. KG, Benzstraße 39, 71272 Renningen Politik & Unterricht erscheint vierteljährlich. Preis dieser Nummer: 3,50 EUR Politik & Unterricht wird auf umweltfreundlichem Papier mit Zellstoff aus nachhaltiger Forst- wirtschaft und Recyclingfasern gedruckt. Jahresbezugspreis: 14,00 EUR Unregelmäßige Sonderhefte werden zusätzlich mit je 3,50 EUR in Rechnung gestellt. Abbestellung zum Jahresende schriftlich Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers und der Redaktion wieder. Für unaufgefordert eingesendete Manuskripte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Nachdruck oder Vervielfältigung auf elektronischen THEMA IM FOLGEHEFT Datenträgern sowie Einspeisung in Datennetze nur mit Genehmigung der Redaktion. Titelfoto: Jan Roeder, Krailing (www.janroeder.de) Elephant or Donkey? Auflage dieses Heftes: 21.000 Exemplare Redaktionsschluss: 15. Februar 2016 Präsidentschaftswahl in den USA 2016 (bilingual) ISSN 0344-3531
Editorial Toleranz kann man lernen. Sie ist nicht nur eine wichtige die Frage im Mittelpunkt, wie man mit Konflikten angemes- Voraussetzung im persönlichen Umgang mit Menschen, son- sen und konstruktiv umgehen kann. Die gewählten metho- dern auch in der politischen Bildung. Kein Zweifel – Toleranz dischen Zugänge geben dabei Impulse, eigene und fremde ist eine Grundvoraussetzung in einer demokratischen und Verhaltensweisen, Einstellungen und Werte zu erkennen und pluralistischen Gesellschaft. Dabei ist Toleranz eine anstren- zu reflektieren. Dabei wird die Bedeutung gewaltfreier Kom- gende Tugend. Sie will reflektiert und auch geübt sein. Dabei munikation für ein tolerantes Zusammenleben sichtbar. Die genügt es nicht, andere Einstellungen, Werte und Lebens- angesprochenen Erfahrungen mit Toleranz und Intoleranz stile einfach zu dulden. Erst der gegenseitige aufrichtige können dazu beitragen zu sehen, wo Toleranz gefragt ist, Respekt kann als Kern einer toleranten Einstellung gelten. wie sie aussehen kann und wo die Grenzen von Toleranz Dass Toleranz auch Grenzen hat, liegt auf der Hand. Dort liegen. wo Grund- und Menschenrechte gefährdet sind und verletzt werden, ist »falsche Toleranz« sogar gefährlich. Wir leben in einer toleranten und pluralistischen Gesellschaft. Und dennoch wissen wir, dass diese offene Gesellschaft gegen Vorurteile und Intoleranz verteidigt werden muss. Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz gegenüber vermeintlich »fremden« Religionen, Sexismus, Homophobie, Fundamen- talismen und populistische Strömungen vielfältiger Schat- tierungen, die bewusst Ängste schüren, Vorurteile befeuern und auf dem Rücken von Minderheiten ihr Unwesen treiben, sind allgegenwärtig. Auch der globale Blick zeigt, dass die Welt keineswegs tolerant ist, denken wir nur an die vielen Opfer religiös grundierter gewaltsamer Konflikte, die den Lothar Frick Prof. Dr. Reinhold Weber Globus derzeit in Atem halten. Direktor der LpB Chefredakteur Toleranz ist ein Lernprozess. Bei den hier vorgestellten An- sätzen geht es um Erlebnisse und Erfahrungen Jugendlicher in ihrem Alltag, in der Schule und in der Freizeit als Aus- gangspunkte für solche Lernprozesse. Es geht um die Aus- einandersetzung mit Selbstbildern und Fremdbildern, mit Zugehörigkeit und Ausgrenzung. Und immer wieder steht AUTOREN DIESES HEFTES Günther Gugel war Geschäftsführer des Instituts für Frie- jugendring Stuttgart. Amos Heuss verfügt über langjäh- denspädagogik in Tübingen und anschließend Programm- rige Erfahrung in der Projektentwicklungs- und Workshop- direktor der Berghof Foundation für Deutschland sowie tätigkeit in den Bereichen Friedenspädagogik, Gewaltprä- Lehrbeauftragter für Friedenspädagogik und Gewaltprä- vention und politische Bildung. Er ist Autor von Publi- vention an der Universität Tübingen und der Hochschule kationen zur Wertepädagogik und zur Waffenfaszination Esslingen. Er ist Autor zahlreicher Schul- und Fachbücher, bei Jugendlichen. didaktischer Materialien, DVDs und Videos. Er arbeitet als selbstständiger Projektentwickler und Berater. Konzipiert, entwickelt und erprobt wurde das Lernkonzept Amos Heuss ist Erziehungs- und Politikwissenschaftler Toleranz lernen von Günther Gugel und Amos Heuss in Zu- (M. A.), Leiter des Jugendhauses Mettingen (Esslingen; sammenarbeit mit dem Stadtjugendring Herrenberg e. V. KJR-Esslingen) und freier Mitarbeiter der LpB im Team meX (Rechtsextremismusprävention). Er war Mitarbeiter des Instituts für Friedenspädagogik Tübingen/Berghof Foundation und Referent für Jugendpolitik beim Stadt- Politik & Unterricht • 1-2016 1
Toleranz lernen Zur Auseinandersetzung mit Toleranz und Intoleranz EINLEITUNG und Sitten verstanden. Diesem Gelten-Lassen geht jedoch ein Abwägungsprozess voraus, der uns herausfordert, denn Toleranz bedeutet, Meinungen und Verhaltensweisen anderer anzuerkennen, die man selbst eigentlich für falsch hält und ablehnt. Die Überzeugungen oder das Verhalten der anderen Was ist Toleranz? werden also auf die gleiche Stufe gestellt wie die eigenen. Toleranz ist wichtig, damit Menschen mit unterschiedlichen Bloße Duldung kann immer nur der erste Schritt sein. Es Werten, Lebensvorstellungen oder Glaubensüberzeugungen muss deshalb für verschiedene Bereiche des privaten und zusammenleben können. Demokratisches Zusammenleben gesellschaftlichen Zusammenlebens immer wieder neu eine braucht Toleranz. Diese kann sich nur dann voll entfalten, Balance zwischen Ablehnung und Akzeptanz gesucht und wenn demokratische Grundwerte wie z. B. Meinungsfreiheit gefunden werden. und Gleichberechtigung Beachtung finden. Im persönlichen Bereich ist Toleranz eine individuelle Toleranz wird häufig als Duldsamkeit, als ein Gelten- und Ge- Haltung, die sich im respektvollen Umgang mit anderen währen-Lassen fremder Überzeugungen, Handlungsweisen Menschen zeigt. Jan Roeder 2 Politik & Unterricht • 1-2016
Einleitung Begründungen für Toleranz ethisch: Alle Menschen haben eine eigene Würde. anthropologisch: Jeder Mensch ist einzigartig und hat das Recht auf Anderssein. normativ: Alle Menschen haben Anspruch, unter dem Schutz der Menschenrechte zu leben. erkenntnistheoretisch: Es gibt keine letzte Wahrheit. historisch: Aus der Erfahrung der Geschichte wissen religiös: Alle Weltreligionen kennen die »Goldene wir, wohin Intoleranz führen kann. Regel«: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu. pragmatisch: Toleranz wirkt der gewaltsamen Aus- tragung von Unterschieden und Konflikten entgegen und kann helfen, Radikalisierung zu verhindern. demokratietheoretisch: Toleranz ist die Voraus- setzung für eine Pluralität der Lebensweisen und Weltanschauungen und für einen friedlichen Wett- streit politischer Ideen. Auf Gruppen bezogen ist Toleranz eine soziale Praxis, Wertschätzung: Anerkennung pluralistischer Werte, die das friedliche und konstruktive Zusammenleben in Wertschätzung der Vielfalt. pluralistischen Gesellschaften ermöglicht. Schließlich ist Toleranz – auf die Gesellschaft bezogen – Prinzipien für Toleranz sind: ein ethisch-politischer Grundwert, ein Maßstab zur Beur- Gewaltverzicht; teilung menschlichen Verhaltens. Differenzen erkennen, aber bewusst aushalten; Im Kern geht es bei Toleranz um den Umgang mit Unter- Fairness im Umgang miteinander; schieden und Vielfalt. die eigenen Überzeugungen nicht für die einzig richtigen halten; Nichtbeachtung und Gleichgültigkeit haben mit Toleranz anderen die gleichen Rechte zubilligen, die man für sich nichts zu tun. Hierbei handelt es sich um Ignoranz. To- selbst in Anspruch nimmt; leranz umfasst die Auseinandersetzung mit anderen, die Differenzen und Konflikte konstruktiv austragen. Entdeckung von Gemeinsamkeiten in der Unterschiedlichkeit und das bewusste Wahrnehmen der Differenz. Dies erfordert Umgang mit Intoleranz Neugier, Interesse und Dialogbereitschaft. Dabei ist es auch Toleranz umfasst sowohl den konstruktiven Aspekt des För- wichtig, die Grenzen der Toleranz zu kennen. Diese sind bei derns eines friedlichen Zusammenlebens als auch den Aspekt Diskriminierung und Gewalt, also bei Intoleranz, erreicht: der Abwehr von Intoleranz, die das Zusammenleben zer- keine Toleranz der Intoleranz. Hier ist dann Bürgermut, also stören würde. Toleranz und Intoleranz können sich zwar in Zivilcourage, gefragt, um Grenzen zu ziehen. einem weiten Sinn auf alle Verhaltensweisen und Themen beziehen, auf Vorlieben und Abneigungen, was Aussehen, Im Zusammenhang mit dem hier dargestellten Lernansatz Kleidung, Ausdrucksweisen, Kommunikations- und Lebens- wird Toleranz im Sinne einer individuellen Eigenschaft formen, Reinlichkeit, Essen, Pünktlichkeit, Ansichten und (Tugend) gesehen, die durch gesellschaftliche und poli- Meinungen, Musikstile, Theater, Sport, Fortbewegungsmittel tische Werte gestützt wird und deren Entwicklung sich durch usw. angeht. Sie zielen jedoch immer auf die Frage des Um- gezielte pädagogische Impulse fördern lässt. Vorhandene gangs mit Differenz. Diese wird dort besonders sichtbar und Unterschiede und Differenzen zwischen Personen und Grup- spürbar, wo eigene Wertvorstellungen und Überzeugungen pen und daraus sich ergebende Konflikte werden dabei nicht im Kern betroffen sind, infrage gestellt werden und dadurch ignoriert, sondern aufgegriffen und konstruktiv bearbeitet. Stufen der Toleranz Toleranz als … Der Philosoph Rainer Forst (2003) unterscheidet vier Kon- zepte von Toleranz, die man auch als aufeinander aufbau- Ermöglichung Abwehr und Überwindung ende Stufen verstehen kann. Toleranz als von … von … Erlaubnis: Duldung der Differenz durch die Herr- schenden; Auseinandersetzung Intoleranz Koexistenz: gleiche Gruppen lassen sich gewähren; Zivi- lisierung der Differenz; Dialog Diskriminierung Respekt: Gleiche achten sich wechselseitig als moralisch Teilhabe Ausschluss und rechtlich Gleiche; Politik & Unterricht • 1-2016 3
Einleitung auch die eigene Identität und das eigene Sicherheitsgefühl urteilen gegenüber unterschiedlichen Adressatengruppen. berührt werden. Es ging um die Abwertung von Menschen aufgrund von ethnischen, kulturellen oder religiösen Merkmalen, der se- Zur gelebten Toleranz gehört auch, intolerantes Verhalten xuellen Orientierung, des Geschlechts, einer körperlichen wahrzunehmen, ihm zu begegnen bzw. entgegenzutreten. Einschränkung oder aus sozialen Gründen. Als grundlegend »Fremdenhass und Gewalt gegen Minderheiten sind aus für die Veränderungen in den Einstellungen werden soziale unserer Gesellschaft nicht verbannt und kommen nahezu Desintegrationsprozesse gesehen, die mit Ängsten vor so- täglich vor. Ausländer, Behinderte, Obdachlose werden dis- zialem Abstieg verbunden sind. Intoleranz wird hier als ein kriminiert, bedroht oder angegriffen. Menschenfeindliche, sozialpsychologischer Abwehrmechanismus als Folge gesell- antisemitische und rassistische Ideologien werden öffent- schaftlicher Veränderungen verstanden (vgl. M 14). lich vertreten. Die Gräuel des Nationalsozialismus werden verharmlost oder gar geleugnet«, so der frühere Bundesprä- Kategorien der »Gruppenbezogenen sident Johannes Rau im Jahr 2000. Für eine Demokratie ist Menschenfeindlichkeit« es zentral, sich gegen Unrecht, Ungerechtigkeit und Willkür »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« setzt sich aus fol- zu wehren und Freiheit und Menschenwürde überall dort genden Kategorien zusammen (vgl. zum Folgenden: www.uni- zu verteidigen, wo sie infrage gestellt oder beschnitten bielefeld.de/ikg/projekte/GMF/Fremdenfeindlichkeit.html): werden. Dies fängt im Alltag an und reicht über den beruf- Fremdenfeindlichkeit ist die Abwertung von Menschen, lichen und öffentlichen Bereich bis hin zur Politik. die als ethnisch oder kulturell »fremd« oder »anders« kategorisiert werden. »Keine Toleranz der Intoleranz« ist deshalb ein oft zitiertes Rassismus umfasst jene Einstellungen und Verhaltens- Motto – was nicht bedeuten kann, mit intoleranten Mitteln weisen, die Abwertungen mit einer konstruierten »na- oder gar mit Gewalt dagegen vorzugehen. Das Toleranzprin- türlichen« oder »biologisch fundierten« Höherwertigkeit zip ist nicht autoritär. Es bedeutet vielmehr, Zivilcourage im der Eigengruppe bzw. einer Minderwertigkeit einer iden- Alltag zu zeigen und gesetzliche Regelungen zum Schutz vor tifizierten Fremdgruppe begründen. Diskriminierung durchzusetzen und anzuwenden. Antisemitismus wird als feindselige Mentalität gegen- über Juden in all ihren Facetten definiert. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) Islamfeindlichkeit benennt ablehnende Einstellungen Der Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer und gegenüber Muslimen, ihrer Kultur und ihren öffentlich- sein Forschungsteam haben, ausgehend vom Phänomen des politischen wie religiösen Aktivitäten. Rechtsextremismus, das sogenannte Syndrom der »Gruppen- Etabliertenvorrechte umfassen die von Alteingesesse- bezogenen Menschenfeindlichkeit« erforscht. Dabei handelt nen – gleich welcher Herkunft – beanspruchten raumzeit- es sich um ein wissenschaftliches Konzept, das verdeutlicht, lichen Vorrangstellungen, die auf eine Unterminierung welche spezifischen Gruppen von Menschen wie mit Vor- gleicher Rechte hinauslaufen und somit die Gleichwer- urteilen belegt werden, und dass scheinbar unzusammen- tigkeit unterschiedlicher Gruppen verletzen. hängende, auf unterschiedliche Menschengruppen bezogene Sexismus betont die Unterschiede zwischen den Ge- Vorurteilsstrukturen miteinander verbunden sind. schlechtern im Sinne einer Demonstration der Überle- genheit des Mannes und die Befürwortung einer traditio- Der Forschungsansatz der »Gruppenbezogenen Menschen- nellen Rollenverteilung zulasten der Gleichwertigkeit von feindlichkeit« trägt dazu bei zu verstehen, wie sich Abwer- Frauen. tung und Intoleranz gegenüber verschiedenen Bevölkerungs- Homophobie bezeichnet feindselige Einstellungen ge- gruppen zeigen und wie sie sich, je nach gesellschaftlicher genüber Homosexuellen aufgrund eines »normabwei- Entwicklung, auch verändern können. Die Langzeitstudie chenden« sexuellen Verhaltens und die Verweigerung »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland« gleicher Rechte. (Heitmeyer u. a. 2013) untersuchte von 2002 bis 2012 jähr- Abwertung von Behinderten bezeichnet feindselige Ein- lich das Ausmaß, die Entwicklungen und Ursachen von Vor- stellungen gegenüber Menschen mit körperlichen oder Formen der Intoleranz Alltag Gesellschaft Staat Störungen und Belästigungen im systematische Missachtung und aktive Diskriminierung durch Alltag Diskriminierung Gesetze und Verordnungen Ignorieren von Konventionen Verletzung von Menschenrechten passive Diskriminierung durch Duldung von Übergriffen Ausschluss und Ausgrenzung Grenzüberschreitungen 4 Politik & Unterricht • 1-2016
Einleitung geistigen Besonderheiten, die als von der »Normalität« und erwartet wird. Wer definiert, was richtig und falsch abweichend betrachtet werden. ist – und damit auch über Privilegien für spezifische Gruppen Abwertung von Obdachlosen zielt in feindseliger Absicht bestimmt –, hat Macht und kann meist auch darüber verfü- auf jene Menschen, die den Normalitätsvorstellungen gen, was bei Abweichungen von der Normalität geschehen eines geregelten Lebens nicht nachkommen. soll. Toleranz ist so immer auch eine Anfrage an geltende Abwertung von Langzeitarbeitslosen: Die Gruppe der Normen und daran, wer sie setzt und durchsetzt. Langzeitarbeitslosen wird unter dem Gesichtspunkt man- gelnder Nützlichkeit für die Gesellschaft in den Fokus der Zivilcourage zeigen Abwertung gerückt. Ohne den Mut, unerschrocken seine Meinung zu vertreten und Diskriminierung und Gewalt entgegenzutreten, kann Die Studien von Heitmeyer u. a. zeigen, dass Vorurteile und eine Demokratie nicht bestehen. Dieser Bürgermut wird als Intoleranz gegenüber einer Gruppe von Menschen meist mit Zivilcourage bezeichnet. Der Tübinger Politologe Gerd Meyer ähnlichen Einstellungen anderen Minderheiten gegenüber versteht unter Zivilcourage ein prosoziales, humanes, de- einhergehen. Es wird dabei deutlich, dass Intoleranz und mokratisches Handeln, das öffentlich ist, ein Risiko in sich abwertende Vorurteile das gesellschaftliche Fundament für birgt und deshalb Mut erfordert. Solches Verhalten kann sich ein friedliches und demokratisches Zusammenleben unter- sowohl gegen die Verletzung zentraler Werte und Normen graben. in einer Gruppe oder einer ganzen Gesellschaft wenden als auch gegen die Verletzung einer konkreten Person (Meyer Ein zentraler Mechanismus beim Prozess der Abwertung ist 2014, S. 19 ff.). Wer mit Zivilcourage handelt, so Gerd Meyer die Definition von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit zu (2004, S. 23 ff.), setzt sich für demokratische und humane einer Gruppe bzw. Gemeinschaft. Dieser Prozess wird in der Werte, für legitime, »verallgemeinerungsfähige« Interes- Wissenschaft als Othering bezeichnet. Verbunden damit ist sen ein und ist in der Regel zu friedlichem Konfliktaustrag die Festlegung, was als »normales« Verhalten angesehen bereit. Zivilcourage ist prinzipiell ein öffentliches Handeln Politik & Unterricht • 1-2016 5
Einleitung und ein Handeln unter Risiko, was bedeutet, dass man zu- auf Beziehungserfahrungen, gegenseitiger Anerkennung meist mit Nachteilen rechnen und bereit sein muss, diese und einem positiven Selbstwertgefühl (vgl. Naurath 2013, in Kauf zu nehmen. Nicht jedes mutige Verhalten ist jedoch S. 29 f.). Aber auch die Fähigkeit, selbstständig urteilen und mit Zivilcourage gleichzusetzen. bewerten zu können und hierfür Kriterien zu entwickeln, ist wichtig. Dabei ist es nicht entscheidend, dass Jugendliche Gerd Meyer (2014, S. 21) unterscheidet drei Arten des zivil- bereits von Beginn an über explizite und reflektierte Wer- couragierten Handelns: temaßstäbe verfügen. Oft lehnen sie bestimmte Menschen, Eingreifen zugunsten anderer, meist in unvorhergese- Verhaltensweisen usw. ab oder tolerieren sie, ohne sich ihrer henen Situationen, in die man hineingerät und in denen eigenen Gründe (voll) bewusst zu sein. schnell entschieden werden muss. Sich-Einsetzen – meist ohne akuten Handlungsdruck – Der vorliegende Ansatz geht davon aus, dass das Erproben für allgemeine Werte, für das Recht oder für die legiti- und Einüben von Toleranz bzw. das Kennenlernen dieses men Interessen anderer. Dies betrifft beispielsweise das Wertemaßstabs bereits Konsequenzen für das eigene Han- Handeln in organisierten Kontexten und in Institutionen, deln und das Zusammenleben mit anderen haben und dass häufig auch für eine größere Zahl von Mitmenschen, z. B. darüber hinaus weitergehende individuelle und soziale Lern- von Kolleginnen und Kollegen in einem Betrieb oder für prozesse angestoßen werden können. So schreibt Armin Menschen in Not, wie etwa Flüchtlinge. Regenbogen (2013, S. 18 f.), dass »ethische, ästhetische Sich-Wehren gegen akute Zumutungen und Angriffe, z. B. und politische Wertmaßstäbe der sozialen Umgebung für gegen Gewalt, Mobbing oder sexuelle Belästigung. Das die eigene Lebensorientierung von Heranwachsenden be- kann auch bedeuten, sich zu weigern, etwas moralisch deutsam werden, auch wenn sich die zugrunde liegenden oder rechtlich nicht Annehmbares zu tun. Beurteilungskriterien nicht oder noch gar nicht als eigene Identifikationsmuster oder Charaktermerkmale ausgebildet Orientierungen für Toleranz lernen haben. So wird erwartet, dass Jugendliche z. B. Toleranz Toleranz kann man weder »vermitteln« noch anderen auf- als Wertmaßstab ihrer sozialen Umgebung auch dann schon zwingen, aber man kann sie vorleben. Sie entwickelt sich in respektieren können, wenn sie noch weit entfernt davon Selbstlernprozessen von Kindern und Jugendlichen. Diese sind, sich diesen Wert als eigenes Orientierungsmuster an- Prozesse sind nicht voraussetzungslos. Man kann sie beja- zueignen. Nicht alle Werte müssen als solche in die indivi- hen, ermöglichen, zulassen, unterstützen und fördern. Dies duelle Selbstbildung schon aufgenommen sein, bevor sie kann in realen Lebenssituationen im Alltag geschehen, aber als Urteilskriterien in Alltagssituationen verwendet werden. auch in speziellen Arrangements in der Schule und Jugend- Eine Wertidentifikation ist zwar eine Voraussetzung für einen arbeit, die Erfahrungen mit Toleranz ermöglichen. Solche Prozess der Bildung von Werten zur eigenen Lebensbewälti- Arrangements können als Teil der Wertebildung verstanden gung. Aber auch die nur flüchtig übernommenen Wertmaß- werden. stäbe können helfen, die Beurteilung des Verhaltens anderer zu erleichtern. Ich muss nicht selbst fleißig sein oder sein Eine der wichtigsten Voraussetzungen, um Toleranz entwi- können, um Fleiß bei Ehrgeizigen auch positiv bewerten ckeln zu können, ist jedoch, dass man selbst Toleranz, Wert- zu können. Die Vertrautheit mit Wertmaßstäben hilft uns, schätzung und Zugehörigkeit erleben konnte. Dies beruht andere zu verstehen, auch wenn wir diese uns zunächst Toleranz lernen heißt, sich auf Lern- prozesse einzulassen, die die eige- nen Überzeugungen in Frage stellen können, und sich z. B. mit Situationen zu beschäftigen, die einem selbst fremd sind. Jan Roeder 6 Politik & Unterricht • 1-2016
Einleitung fremden Werthaltungen selbst nicht teilen. Werte können bandsorganisation aufgegriffen werden (z. B. Möglichkeiten also auch dann eine orientierende Wirkung in der Gesell- echter Partizipation bieten) und nicht nur auf das Verhalten schaft haben, wenn sie nicht durchgängig in die spezifische der Jugendlichen bezogen sein. Eine weltoffene, demokra- Moral eines jeden Akteurs integriert sind.« tische Schule bezieht alle Bereiche ein und leistet einen Beitrag zur Förderung einer Kultur des Friedens. Toleranz lernen wird hier also im Kontext von Identitätsent- wicklung und Wertebildung verankert. Individuelle Toleranz- Zehn Orientierungspunkte fähigkeit zu erlernen ist wichtig und steht im Zentrum des 1. die pädagogische Haltung und das eigene Menschenbild pädagogischen Ansatzes. Dies deckt sich auch mit der Lehr- als Grundlage betrachten; planrevision für Schulen in Baden-Württemberg. So wurde 2. soziale Wahrnehmung überprüfen; »Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt« 2016 als 3. sich selbst kennen und anerkennen lernen; eine Leitperspektive – u. a. neben Bildung für nachhaltige 4. gute Kommunikation ermöglichen; Entwicklung und Gesundheitserziehung – aufgenommen: 5. Gefühle einbeziehen – Empathie entwickeln; »Schule als Ort von Toleranz und Weltoffenheit soll es jungen 6. mit Konflikten konstruktiv umgehen; Menschen ermöglichen, die eigene Identität zu finden und 7. Teilhabe und Mitbestimmung erfahren; sich frei und ohne Angst vor Diskriminierung zu artikulieren. 8. Organisationsentwicklung und ein Schulethos fördern; Indem Schülerinnen und Schüler sich mit anderen Identi- 9. eine klare Werteorientierung vermitteln; täten befassen, sich in diese hineinversetzen und sich mit 10. Toleranz ist nicht Beliebigkeit. diesen auseinandersetzen, schärfen sie ihr Bewusstsein für ihre eigene Identität« (Ministerium für Kultus, Jugend und 1. Die pädagogische Haltung und das eigene Sport, Bildungspläne 2016). Menschenbild als Grundlage betrachten Toleranz ist Teil einer professionellen Haltung, die auf einem Dies reicht jedoch nicht aus. Auch Gruppen, Gemeinschaften Menschenbild beruht, das dem Humanismus verpflichtet ist. und Gesellschaften müssen das Toleranzprinzip beachten, Sich des eigenen Menschenbildes und seiner Bedeutung zu Ausgrenzung verhindern und allen die Chance echter Teil- vergewissern ist wichtig, denn es ist eine zentrale Grund- habe bieten. Denn gesellschaftliche und politische Rah- lage des eigenen Handelns. Das humanistische Menschenbild menbedingungen können Toleranz fördern oder behindern. geht von der Gleichheit und Gleichwertigkeit aller Menschen Toleranz ist dabei kein gleichbleibendes Verhalten, sondern aus: Menschen sind einzigartig und wertvoll. ein dynamischer Prozess des Gewährens und Erhaltens, der immer wieder neu zur Positionierung herausfordert. Soziales Lernen geschieht unbewusst über Modelle und Identifikationen. Vorbilder spielen dabei als Identifikati- Toleranz lernen kann als Teil einer umfassenden Friedenspä- onsfiguren eine wichtige Rolle. »Erziehung heißt Vorbild« dagogik verstanden werden, die schrittweise aufbauend im lautet deshalb auch ein Kernsatz des Umgangs mit Kindern Bereich von Wertebildung und sozialem Lernen ansetzt und und Jugendlichen. Ein Vorbild ist ein Beispiel, ein Leitbild, mehrere Ebenen (Schüler, Klassen, Schulen, Jugendliche, nach dem sich andere Menschen in ihrem Denken, ihren Jugendgruppen, Jugendverbände) einbezieht. Dabei sollte Wertungen und ihren Taten richten. Vorbildlichkeit kann sich das Toleranzprinzip auch in der Schulorganisation bzw. Ver- auf den ganzen Menschen, jedoch häufiger auf spezifische Sich mit anderen Identitäten zu befassen heißt, das Bewusstsein für die eigene Identität zu schärfen. Günther Gugel Politik & Unterricht • 1-2016 7
Einleitung Eigenschaften oder Fähigkeiten eines Menschen beziehen »Mängeln« annimmt und auch seine eigenen Fähigkeiten (Peetz 1992). Tolerante oder intolerante Erwachsene sind und Stärken sehen und leben kann. immer auch Vorbilder für Kinder und Jugendliche, denn diese richten ihr eigenes Verhalten auch nach dem Handeln 4. Gute Kommunikation ermöglichen Erwachsener aus. Toleranz im Alltag bedeutet, miteinander in Kontakt zu kommen, sich wahrzunehmen und zu kommunizieren. Eine 2. Soziale Wahrnehmung überprüfen gelingende Kommunikation trägt wesentlich zur Toleranz Menschliches Verhalten wird wesentlich durch die Wahrneh- bei. Es geht dabei nicht nur um Verstehen und Verstanden- mung bestimmt. Dass und wie ein Mensch sich verhält, hängt werden, sondern immer auch um Differenz und Abgrenzung davon ab, wie er die ihn umgebende Welt wahrnimmt, z. B. sowie um die Klärung zwischenmenschlicher Beziehungen. als bedrohlich, als fürsorglich oder als ungerecht. Fehlwahr- Kommunikation geschieht nicht nur verbal. Nonverbale Kom- nehmungen, eingeschränkte Wahrnehmungen oder verzerrte munikation ist direkter und aussagekräftiger als verbale. Sie Interpretationen und Verarbeitungen des Wahrgenommenen richtig zu entschlüsseln und für den eigenen Ausdruck ein- können unangemessene Reaktionen zur Folge haben. Dies zusetzen, ist für einen gelingenden zwischenmenschlichen wirkt sich auch auf Toleranz aus. Werden eine Person, eine Umgang äußerst hilfreich. Frage oder ein Problem als Bedrohung für die eigenen Über- zeugungen oder Lebensweisen wahrgenommen, so wird eher 5. Gefühle einbeziehen – Empathie entwickeln mit Gegenwehr denn mit Toleranz reagiert. Gefühle beeinflussen unser Verhalten. Positive Gefühle wirken sich unmittelbar auf unsere Bereitschaft aus, ande- 3. Sich selbst kennen und anerkennen lernen ren zuzuhören, ihnen etwas zu gewähren, ihnen zu helfen Der Weg zur Toleranz beginnt bei sich selbst, beim Ken- oder tolerant zu sein. Die Fähigkeit zur Empathie ermög- nenlernen der eigenen toleranten und intoleranten Seiten. licht es, sich intuitiv in den anderen hineinzuversetzen und Die Besonderheit des Jugendalters liegt in den vielfältigen mitzufühlen. Veränderungen und Umbrüchen, die sich in kurzer Zeit voll- ziehen. Wandel ist das eigentliche Merkmal und Thema des Auch negative Gefühle wirken sich auf das Verhalten aus. Jugendalters. Sich diesen Veränderungen zu stellen und Vorurteile oder Abwertungen sind nicht nur »Meinungen« mit ihnen produktiv umzugehen, ist eine der größten He- über andere, sondern immer auch in der Gefühlswelt ver- rausforderungen – auch dafür, Toleranz zu lernen. Toleranz ankert. Sie lassen sich deshalb nicht allein mit kognitiven und Akzeptanz anderer kann nur jemand lernen und leben, Ansätzen bearbeiten. Wichtig für Erziehung und Bildung ist der selbst Toleranz und Akzeptanz gegenüber den eigenen es zu berücksichtigen, dass negative Gefühle (insbesondere Eigenarten erlebt hat, und vor allem jemand, der sich selbst Angst) Lernprozesse erschweren oder ganz verhindern. Es mit seinen (scheinbaren oder tatsächlichen) »Defiziten« und gibt keine emotionsfreie oder neutrale Informationsverar- beitung. Kommunikation und Respekt bedeuten … Tolerant zu sein erfordert, eigene Entscheidungen zu treffen und eigene Meinungen und Überzeugungen zu hinterfragen. die Gebote der Höflichkeit beachten Dies auszuhalten bedarf einer gewissen Ich-Stärke. Diese (Begrüßung, Verabschiedung); zu entwickeln bzw. zu fördern kann deshalb als langfristige Aufgabe von Toleranz lernen angesehen werden. ausreden lassen und einander zuhören; 6. Mit Konflikten konstruktiv umgehen Toleranz ist wichtig, um die Eskalation von Konflikten Anerkennung, Wertschätzung und das Bemühen um zu vermeiden. Sie trägt dazu bei, zu guten Lösungen zu ein Verstehen des Gegenübers; kommen. Allerdings sollte Toleranz nicht dazu führen, be- stehende Konflikte nicht aufzugreifen, denn Konflikte haben Wissen um die Subjektivität der wichtige soziale Funktionen. Sie machen auf Bedürfnisse eigenen Sichtweisen; aufmerksam, zeigen, wo Probleme zu lösen sind, und sie helfen, durch gute Lösungen das Zusammenleben fairer zu sensibel mit Bezeichnungen und Begriffen gestalten. umgehen; Toleranz hilft, eine gewaltfreie, konstruktive Konfliktaustra- diskriminierende, sexistische oder gewaltförmige gung zu ermöglichen, die die Grundbedingung gelingenden Ausdrücke vermeiden; menschlichen Zusammenlebens ist. Die Ermöglichung, Unter- den anderen nicht beschuldigen oder stützung und Förderung von konstruktiver Konfliktbearbei- beleidigen; tung auf persönlicher, institutioneller und gesellschaftlicher Ebene bedeutet deshalb, alternative Handlungskonzepte zu eine offene Haltung entwickeln und umzusetzen, die auf gegenseitiger Toleranz, einnehmen. Wertschätzung und Respekt beruhen und einen fairen Inte- ressenausgleich anstreben. 8 Politik & Unterricht • 1-2016
Einleitung 7. Teilhabe und Mitbestimmung erfahren Anerkennung des Anderen und seiner Andersartigkeit), Ge- »Wenn Kinder und Jugendliche die Erfahrung machen, dass rechtigkeit und Gewaltfreiheit. Auf den Wertebildungspro- in Schule und Erziehung Mitwirkung, demokratisches Han- zess können Schule und Jugendarbeit auf zweierlei Weise deln und Verantwortungsübernahme erwünscht sind und als einwirken: durch Geltend-Machen derjenigen Normen, die für wichtig anerkannt werden, sind sie für Gewalt und Rechts- die Aufgaben und den Erhalt ihrer Gemeinschaft unentbehr- extremismus weniger anfällig als Jugendliche, denen diese lich sind, und durch Reflexion einschlägiger Erfahrungen, Erfahrung versagt bleibt« (Edelstein/Fauser 2001, S. 20). insbesondere durch Konfliktlösungen (vgl. Gieseke 2005, Demokratisch strukturierte Schulen, die ein hohes Maß an S. 181). Schule und Jugendarbeit sollten sich dabei als »ge- Mitgestaltung und Mitbestimmung aufweisen, sind nicht rechte Gemeinschaften« verstehen, in denen demokratische nur gewaltärmer, sondern zeigen auch eine höhere Lern- Teilhabe und fairer Umgang selbstverständlich sind. Dabei bereitschaft der Schülerinnen und Schüler. Denn hier sind geht es nicht um Anpassung, sondern um Anerkennung von die sozialmoralischen Voraussetzungen für Schulleben und Differenzen und Toleranz. Schulunterricht stärker entwickelt und die entsprechenden Selbst- und Sozialkompetenzen intensiver ausgebildet (Him- 10. Toleranz ist nicht Beliebigkeit melmann 2007, S. 12). In der öffentlichen Diskussion wird Toleranz immer wieder mit unterschiedlichen Argumenten kritisiert. Auf der einen Seite Demokratiepädagogik, verbunden mit mehr Mitwirkungs- wird Toleranz mit Indifferenz und Beliebigkeit gesellschaft- und Beteiligungsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schü- licher Werte gleichgesetzt und für negative gesellschaftliche ler, aber auch für Eltern an Schulen, geht über die bislang Entwicklungen verantwortlich gemacht, beispielsweise für verbrieften Beteiligungsrechte (Schulkonferenz, Schülerver- das angebliche Scheitern der Integration von Einwanderern tretung, Elternpflegschaften) weit hinaus. Es geht nicht um und ihren Nachkommen. »Multikulti ist gescheitert« soll die Erfüllung formaler Verfahren, sondern um die Partizipa- beispielsweise auch heißen, jetzt ist Schluss mit Toleranz, tion aller Beteiligten. Möglichkeiten der Teilhabe und Mitbe- weil das Tolerieren von scheinbar fremden Wertvorstellungen stimmung anzubieten und zu gewähren, betrifft in gleicher und Verhaltensweisen zur Unterdrückung der Frauen, zu Weise auch Vereine und (Jugend-)Verbände. Parallelgesellschaften, erhöhter Gewaltbereitschaft usw. führen würde. Auf der anderen Seite wird Toleranz als erstes Toleranz ist eine wichtige Bedingung gelingender Mitbe- Gebot einer übertriebenen Political Correctness dargestellt. stimmung, da es zu Sachfragen und Problemen zumeist un- Menschen, die es wagen würden, öffentlich »die Wahrheit« terschiedliche Ansichten, Überzeugungen und Lösungsvor- über Minderheiten oder gesellschaftliche Missstände zu schläge gibt. Die Suche nach einem gerechten Kompromiss sagen, würden dem Vorwurf der Diskriminierung ausgesetzt kann nur gelingen, wenn alle Meinungen gleichberechtigt und mundtot gemacht. Toleranz erscheint hier als eine Art geäußert und toleriert werden können. »Gedankenpolizei«. 8. Organisationsentwicklung und ein Schulethos Toleranz ist jedoch weder beliebig noch repressiv. Sie ist fördern eine der Grundlagen sozialer, kultureller und politischer Plu- Schule muss, wie jede andere Organisation auch, so gestaltet ralität in modernen Gesellschaften und somit eine wichtige werden, dass sie tolerante Einstellungen und Verhaltens- Voraussetzung von Demokratie. Als solche ist sie auch an weisen fördert. Dies setzt die Entwicklung einer jugend- weitere Grundwerte gebunden, wie sie beispielsweise in der orientierten Lernkultur und eines Sozialklimas voraus, die Erklärung der Menschenrechte oder im Grundgesetz gewährt Ausgrenzung vermeiden, Anerkennung bieten und Jugendli- werden. Menschenwürde, Gewaltfreiheit oder Meinungsfrei- che unterstützen. In der Praxis zeigt sich, dass es weniger heit werden durch Toleranz nicht relativiert, sondern bilden um Einzelmaßnahmen geht – so wichtig sie auch sind – als erst mit dieser gemeinsam ein tragfähiges Wertegerüst. Den- vielmehr um die Herausbildung eines gemeinsamen Ethos noch gibt es klare Grenzen der Toleranz, die bei der Verlet- (»Wir verhalten uns in unserem Verband, in unserer Schule zung der (Menschen-)Rechte anderer beginnen. so ...«). Auf die Wichtigkeit eines solchen Ethos weist auch die Organisationsentwicklungsforschung hin. Gerade bei sozialen Organisationen geht es nicht nur um Rationalität von Abläufen und Funktionalität von Strukturen, sondern TOLERANZWOCHEN eben immer auch um Sinngebung und Sinngestaltung, da diese auch eine geistig-kulturelle Dimension umfassen. Alle Die Toleranzwochen der STIPHTUNG CHRISTOPH SONNTAG Bemühungen, die in diese Richtung gehen, leben letztlich ermöglichen Jugendlichen (Schulklassen und Gruppen ab von der Glaubwürdigkeit, der Überzeugungskraft und der Klasse 9), sich in ganztägigen Workshops mit Fragen von Beziehungsfähigkeit aller Beteiligten, denn Kinder und Ju- Toleranz und Intoleranz auseinanderzusetzen. gendliche brauchen glaubwürdige Vorbilder und Menschen, mit denen sie sich identifizieren können. 9. Eine klare Werteorientierung vermitteln Weitere Informationen: Das Zusammenleben in einer Gesellschaft wird wesentlich www.toleranzwochen.de durch drei Werte ermöglicht: Toleranz (verstanden als die Politik & Unterricht • 1-2016 9
Die Toleranz-Rallye UNTERRICHTSPRAKTISCHE HINWEISE Der Lernzirkel verläuft in vier Schritten: 1. Anfangsplenum mit kurzer Einführung in das Thema DIE TOLERANZ-RALLYE 2. Kleingruppenarbeit an den Lernstationen Die vorliegende Ausgabe von Politik & Unterricht kann als 3. Präsentation und Diskussion im Abschlussplenum/ Sammlung einzelner Materialien eingesetzt werden. Ent- Ergebnissicherung sprechende didaktische Hinweise finden sich im Folgenden. 4. Nachbereitung/Feedback In besonderem Maße bietet sie sich aber in Form einer To- leranz-Rallye als zusammenhängendes Lernangebot an. Die Die Lernstationen werden so vorbereitet, dass die Lernma- Toleranz-Rallye hat die methodische Struktur eines Lernzir- terialien und Arbeitsanweisungen schriftlich an den räum- kels und möchte durch handlungs- und erfahrungsbezogene lich getrennten Stationen ausliegen. Die Ergebnisse der Ansätze die Auseinandersetzung mit dem Thema Toleranz Gruppenarbeit werden auf Wandzeitungen festgehalten. Der fördern. In einem Lernzirkel werden Themen arbeitsteilig Lernzirkel ist für zwei bis drei Schulstunden konzipiert. Die von Kleingruppen bearbeitet. Die Ergebnisse werden dann Durchführung des Lernzirkels kann durch Lehrkräfte als auch im Plenum zusammengetragen und besprochen. durch Jugendliche (im Peer-Prinzip) erfolgen, d. h. ältere Jugendliche könnten in die Konzeption und Betreuungsauf- DIE VORBEREITUNG gaben eingeführt werden und führen dann selbstständig (zu Nach einem gemeinsamen Beginn erhält jede Kleingruppe dritt) den Lernzirkel durch. eine der sechs Lernstationen dieser Toleranz-Rallye zugewie- sen, die in einem vorbereiteten Ablauf bearbeitet werden. Zeitmanagement und Rotation Dabei kann, je nach Zeitbudget, jeweils nach circa 20 bis Die Aufgaben der einzelnen Arbeitsgruppen sind so be- 30 Minuten rotiert werden. Der Lernzirkel kombiniert so messen, dass sie in rund 20 bis 30 Minuten zu bewältigen verschiedene Sozialformen des Lernens wie Einzelarbeit, sind. Ist eine Gruppe schneller fertig, so sollten zusätzliche Gruppenarbeit und Plenum und ist daneben auch in der Arbeitsanweisungen (Fragen) vorhanden sein. Danach wird Zeitstruktur flexibel. Jede Kleingruppe kann entweder nur rotiert. Die Gruppe an Station 1 wechselt zu Station 2, die eine Lernstation oder auch im Rotationsverfahren mehrere Gruppe an Station 2 zu Station 3 usw. Der Wechsel findet bearbeiten. An den sechs Stationen werden Toleranzthemen für alle Gruppen gleichzeitig statt und bietet so auch die aufgegriffen und bearbeitet. Gelegenheit zu einer kurzen Trink- oder Toilettenpause. Zeitplanung Lernzirkel gesamt: 2 bis 3 Schulstunden à 45 Minuten. Die Gesamtdauer ist abhängig von der Anzahl der Teilneh- merinnen und Teilnehmer sowie davon, ob eine Rotation stattfindet oder nicht. Anfangsplenum: 20 bis 30 Minuten Lernstationen (ohne Rotation): 20 bis 30 Minuten Schlussplenum: 40 bis 60 Minuten Nachbereitung/Feedback Ergebnissicherung Die Aufgaben der einzelnen Stationen sind so gestaltet, dass präsentierbare Ergebnisse entstehen. Die Ergebnisse werden in Form von Wandzeitungen gesichert und von der Gruppe mit der Stationsnummer, einer Gruppenkennung (Namen) und der Durchgangsnummer (Runde 1, 2 usw.) versehen. Die Wandzeitungen werden von der Seminarleitung abfotogra- fiert und können zur Weiterarbeit verwendet werden. Vorbereitung der Jugendlichen auf die Toleranz-Rallye Als thematische Einstimmung auf die Toleranz-Rallye kann etwa eine Woche vor der Durchführung eine Einführung in das Thema erfolgen. Hierzu kann M 1 (»Rund um Tole- ranz …«) verwendet werden. Die ausgefüllten Fragebögen können von den Jugendlichen auch zur Rallye mitgebracht werden, sodass sie sich ihre Überlegungen in Erinnerung rufen und sich gegebenenfalls auf diese beziehen können. Auch anhand der Erzählung »Gemeinschaft« von Franz Kafka (M 12) kann anschaulich in das Thema eingeführt werden. Jan Roeder 10 Politik & Unterricht • 1-2016
Die Toleranz-Rallye CHECKLISTE, ORGANISATION UND Station 1: Kopien der Arbeitsanweisungen M 2 und MATERIALIEN M3 Station 2: Kopien der Arbeitsblätter M 4 und M 5 Station 3: Kopien der Arbeitsanweisungen und Einstimmung/Vorbereitungsstunde Bewerberprofile M 6 M 1 (Kopien) und/oder M 12 (Kopien) Station 4: Kopien von M 7. Zusätzlich Papierstreifen oder Karten, damit die Aussagen von M 7, Eingangsplenum in eine Rangfolge gebracht werden Stuhlkreis können. Textkarten M 18 Station 5: Kopien der Dilemmageschichte M 8 und des Arbeitsblatts mit Sprechblasen M 9 Materialien für die einzelnen Stationen Station 6: Kopien der Materialien M 10 und M 11 Sitzgruppen oder Stehpulte an den Lernstationen Stapel mit leeren Zetteln (DIN A5 oder DIN A4) Schlussplenum zum Schreiben Pinnwände Kleber und Tesa Flipchart und Stifte große Papierbögen für Wandzeitungen eventuell Vertiefungsmaterialien als Folie oder Stifte (Bleistifte und Faserschreiber) Bilddatei jeweils ein Schild mit Nummer und Titel zur Kennzeichnung der Station Nachbereitung/Feedback Pinnwände und Pinnnadeln Meinungsfragebogen M 17 (Schlussauswertung) für Arbeitsanweisungen und Materialien alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer Politik & Unterricht • 1-2016 11
Die Toleranz-Rallye DIE DURCHFÜHRUNG DES LERNZIRKELS Station, mit der die jeweilige Gruppe beginnt. Die Zahl der Das Anfangsplenum Kärtchen muss der Zahl der Teilnehmenden entsprechen. Ankommen, Begrüßung; Sitzen im Stuhlkreis; Die Lernstationen Einführung: Ablauf und Arbeitsweise des Lernzirkels. Die sechs Lernstationen sind in einem großen Raum oder Der Einstieg in das Thema erfolgt mit den Textkarten auf mehrere Räume verteilt. (M 18). Die Aufgabenbeschreibung und Arbeitsmaterialien, die Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lesen den Text der jeweils mit Nummer und Thema bezeichnet sind, liegen benutzten Karten vor und beschreiben kurz, was sie mit auf dem Tisch der entsprechenden Lernstation. der Situation verbinden und was sie ihrer Meinung nach Die Gruppen bearbeiten ihre Aufgabe und visualisieren mit dem Thema Toleranz zu tun hat. das Ergebnis auf einer Wandzeitung. In einer zweiten Runde wird zu der Situation kurz Stel- Die Arbeit an einer Lernstation dauert etwa 20, maximal lung bezogen. Die Reihenfolge kann reihum oder beliebig 30 Minuten. sein. Je nach verfügbarer Zeit rotieren die Gruppen zur jeweils Es werden (je nach Gruppengröße) bis zu sechs Klein- nächsten Lernstation (Lernstation 1 nach Lernstation 2 gruppen gebildet und den entsprechenden Lernstationen usw.). zugeteilt. Die Arbeitsmaterialien der Lernstationen müssen für die jeweils darauffolgenden Gruppen nochmals auf Vollstän- Aufteilung der Gruppen digkeit überprüft werden. Die Aufteilung in Gruppen geschieht durch Verteilung von Wenn eine Gruppe mit ihrer Aufgabe schneller fertig ist, vorbereiteten Kärtchen, auf denen die Nummern der Grup- sollten Zusatzfragen bzw. Zusatzaufgaben bereitliegen. pen (1 – 6) stehen. Diese werden gemischt und verteilt. Die Gruppennummern sind gleichzeitig die Nummern der DIE AUFGABEN DER LERNSTATIONEN Station 1 Worte können treffen – Begriffe rund um Toleranz Thema: Wie drücken sich Toleranz und Intoleranz in der DIE THEMEN UND LOGIK DER LERNSTATIONEN Sprache aus? Aufgabe: Begriffe, die treffen, finden und aufschreiben. Die Themen der sechs Lernstationen folgen einer inne- Mit Hilfe von M 3 (»Toleranz von A–Z«) werden Worte, ren Logik. Die grundlegenden Fragen sind: Was macht die andere beleidigen und diskriminieren, bzw. Worte, die Toleranz im Zusammenleben aus? Und: Warum ist Tole- Respekt ausdrücken, unterstützen und wertschätzen, ge- ranz wichtig? sammelt und auf Karten geschrieben. Die Orientierung am Alphabet (A–Z) erleichtert das Vorgehen. Im Anschluss dis- Station 1: Worte können treffen – Begriffe rund um kutiert die Arbeitsgruppe, was jemand empfindet, der solche Toleranz Worte hört. Sie diskutiert auch, wovon es abhängt, wie diese Merksatz: Worte können verletzen, aber Worte Worte empfunden werden (Arbeitsanweisung M 2). können auch unterstützen. Materialien: Arbeitsanweisungen M 2 sowie M 3 in mehreren Station 2: Soziale Wahrnehmung – Körperbilder Kopien. Merksatz: Sich selbst anzunehmen ist Vorausset- zung, um auch andere akzeptieren zu Station 2 können. Soziale Wahrnehmung – Körperbilder Station 3: WG-Platz frei! – Wen würde ich auswählen? Thema: Wie nehme ich mich, wie nehmen wir uns wahr? Auf- Merksatz: Das Wissen, wovon Beurteilungen gegriffen wird hier der Bereich der Selbst- und Fremdbilder abhängen, ermöglicht es, eigene sowie der Selbstakzeptanz von Jungen und Mädchen. Beurteilungen zu überprüfen. Aufgabe: Ausgehend von zwei Fotos (M 4) wird den Fragen Station 4: Vorbilder haben, Vorbild sein – nachgegangen, was Jungen bzw. Mädchen attraktiv finden Welche Werte zählen? und wie solche Selbstbilder entstehen. Merksatz: Vorbilder geben bzw. ermöglichen Im Hintergrund steht die Frage, was Schönheit und Attrak- Orientierung. tivität ist und wer diese bestimmt bzw. beeinflusst (M 5). Station 5: Dilemmageschichte – das Flüchtlingsheim Wie werden z. B. Männer bzw. Frauen in den Medien und in Merksatz: Es gibt Situationen, in denen man sich der Modewelt dargestellt? Und was bedeutet dies für unsere nur für einen Weg entscheiden kann. Wahrnehmung? Diese Entscheidung muss gut begründet Was geschieht auf dem Foto? Warum verhalten sich Mäd- sein. chen bzw. Jungen so? Station 6: Zivilcourage – Eingreifen oder Zuschauen? Wann sind Mädchen bzw. Jungen mit sich zufrieden bzw. Merksatz: Zu erkennen, wo Grenzen überschritten unzufrieden? werden, ist die Voraussetzung, um ein- Materialien: Arbeitsblätter M 4 und M 5 in mehreren Ko- greifen zu können. pien. 12 Politik & Unterricht • 1-2016
Die Toleranz-Rallye Station 3 Station 5 WG-Platz frei! – Wen würde ich auswählen? Dilemmageschichte – das Flüchtlingsheim Thema: Was tolerieren wir bei Menschen? Wonach beurteilen Thema: Wovon hängen Entscheidungen ab? wir Menschen? Aufgabe: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer treffen ge- Aufgabe: Aus fünf verschiedenen Bewerberinnen und Be- meinsam eine Entscheidung, wie die Dilemmageschichte werbern (M 6) soll eine neue WG-Mitbewohnerin bzw. ein enden soll (M 8). neuer WG-Mitbewohner ausgesucht werden. Tolerantes Verhalten steht oft in einem Spannungsverhältnis Die Jugendlichen lesen sich die mit Fotos versehenen Bewer- zu anderen Motiven, ohne dass es eine »einfache« Lösung bungsschreiben durch. Anschließend diskutieren sie, wen sie gibt. Toleranz lernen als Teil der Moralentwicklung kann we- als Mitbewohnerin bzw. Mitbewohner auswählen würden und sentlich durch die Auseinandersetzung mit solchen Problem- stimmen ab. Bei einer Pattsituation gibt es eine Stichwahl. und Dilemmasituationen gefördert werden, bei denen es um Die Argumente/Gründe für und gegen die einzelnen Kandida- ein Abwägen, Beurteilen und Entscheiden zwischen mehre- tinnen bzw. Kandidaten werden stichwortartig festgehalten, ren Werten geht (z. B. Eigennutz versus Gemeinnutz). ebenso das Ergebnis der Abstimmung. Nach der Abstim- Die Jugendlichen lesen sich die Dilemmageschichte (M 8) mung besprechen die Jugendlichen, nach welchen Kriterien durch. Sie diskutieren die Geschichte und überlegen ge- (Sprache, Name, Herkunft, schulische Bildung, Kleidung, meinsam, wie sich die Hauptperson entscheiden soll. Die Gesichtsausdruck, Sympathie usw.) sie entschieden haben gefundene Meinung wird begründet. Die Teilnehmerinnen und was den Ausschlag für oder gegen die Kandidatinnen und Teilnehmer führen die gegensätzlichen Positionen in bzw. die Kandidaten gegeben hat. Auch diese Überlegungen Form eines kurzen Dialogs aus (M 9) und übertragen diesen werden in Stichworten auf Karten geschrieben und auf der auf die Wandzeitung. Im Plenum trägt die Gruppe die Ge- Wandzeitung festgehalten. schichte und den entstandenen Dialog vor. Danach wird die Materialien: Arbeitsanweisungen und Bewerberprofile (M 6) gefundene Entscheidung dargestellt und begründet. in mehreren Kopien. Materialien: Dilemmageschichte (M 8) und Arbeitsblatt mit Sprechblasen (M 9). Station 4 Vorbilder haben, Vorbild sein – Welche Werte zählen? Station 6 Thema: Menschen brauchen Vorbilder. Welche Werte kommen Zivilcourage – Eingreifen oder Zuschauen? in Vorbildern zum Ausdruck? Thema: Wie kann man handeln, wenn andere diskriminiert Aufgabe: Fünf Eigenschaften von Vorbildern aussuchen und werden? in eine gemeinsame Rangfolge bringen (Prioritätenspiel). Aufgabe: M 10 zeigt eine Szene, die in allen Schulen immer Die Gruppe erhält eine Liste mit Aussagen zum Thema »Was wieder vorkommt und die die Jugendlichen kennen. Diese zeichnet ein Vorbild aus?« (M 7). Szene soll in der Arbeitsgruppe hinterfragt und besprochen Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben die Aufgabe, werden. fünf Aussagen auszuwählen und diese in eine Rangfolge Die Auseinandersetzung kann entlang der Fragen zu den zu bringen, wobei »1« die wichtigste Aussage bedeutet. Bildern geschehen: Die Aussagen können von der Gruppe besser bearbeitet Was ist hier geschehen? Erzähle die Geschichte. werden, wenn jede Aussage auf einem gesonderten Blatt Stelle dir vor, du siehst diesen Rucksack auf dem Schul- Papier (DIN A5) steht. Im zweiten Schritt sollen sich die hof. Was geht dir dann durch den Kopf? Jugendlichen mit der Frage beschäftigen, für wen sie selbst Vorbild sind oder sein könnten (auch ohne dass sie dies bewusst wahrnehmen). Was Zivilcourage oft verhindert … Menschen, die von anderen als Vorbild angesehen werden, Angst, z. B. etwas falsch zu machen, oder Angst zeichnen sich oft durch eine Mischung aus Toleranz gegen- vor körperlicher Gewalt; über der Verschiedenheit und Individualität ihrer Mit- menschen und einer unnachgiebigen Haltung hinsichtlich das Gefühl der Unterlegenheit Intoleranz, Diskriminierung und Gewalt aus. Die Jugend- (hier kann ich ja doch nichts machen ...); lichen setzen sich mit der Frage auseinander, welche Eigen- schaften und Werte Vorbilder aus ihrem Lebensumfeld oder das Gefühl der Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit haben und welche Rolle Toleranz dabei (was geht das mich an ...?); spielt. Die Aufgabe, eine Rangfolge zu erstellen, ist bei den meisten Themen nicht möglich, da viele Aussagen als gleich- die Meinung, dass das Opfer wertig betrachtet werden. Durch die Aufgabenstellung wird selbst schuld sei; jedoch ein »Zwang« zur Diskussion und Einigung erreicht, die Meinung, dass andere für die Lösung der das Thema und die Argumente zuspitzt. verantwortlich seien; Materialien: Kopien von M 7. Zusätzlich werden die Aus- sagen (von M 7), die in eine Rangfolge gebracht werden die Meinung, dass der Konflikt ein Privatproblem der sollen, jeweils auf einen Papierstreifen oder eine Karte über- Betroffenen sei. tragen. Politik & Unterricht • 1-2016 13
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