Welternährung verstehen - Fakten und Hintergründe - BMEL

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Welternährung verstehen - Fakten und Hintergründe - BMEL
Welternährung
verstehen
Fakten und Hintergründe
Welternährung verstehen - Fakten und Hintergründe - BMEL
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE

Inhalt

                       1 Wie ernährt sich die Welt?              02 – 13

                       2 Warum steht auch Deutschland in der
                         Verantwortung?                          14 – 19

                       3 Wie lässt sich die Ernährung sichern?   20 – 31

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WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE

Liebe Leserinnen
und Leser,

noch immer haben 815 Millionen Menschen auf der Welt           Ich bin davon überzeugt, dass der entscheidende Schlüssel
nicht genug zu essen. Die Zahl der weltweit Hungernden         zur Ernährungssicherung in einer leistungsfähigen, nach-
hat sich im Laufe der vergangenen Jahre zwar stetig redu-      haltigen und regional angepassten Landwirtschaft liegt.
ziert. Doch seit 2016 steigt diese Zahl wieder. Das ist eine
alarmierende Entwicklung, die wir umkehren müssen!             Diese Broschüre gibt Ihnen Informationen über die
                                                               grundlegenden Zusammenhänge zwischen Welternäh-
Bis 2050 wird die Weltbevölkerung auf rund neun Mil-           rung und Landwirtschaft und informiert Sie über die
liarden Menschen wachsen. Ausreichend Lebensmittel             Aktivitäten des Landwirtschaftsministeriums zur Ernäh-
zu produzieren wird zur globalen Herausforderung. Vor          rungssicherung. Wir wollen unseren Beitrag leisten, dem
allem, weil die Nachfrage nach Energie und nachwach-           Ziel näher zu kommen: Jeder Mensch sollte ausreichend
senden Rohstoffen steigen wird und sich die Folgen des         und angemessen zu essen haben!
Klimawandels noch vergrößern werden.
                                                               Mit herzlichen Grüßen
Konflikte und Ernährungsunsicherheit bedingen einander
und potenzieren sich: Häufig nimmt Hunger bei anhal-           Ihre
tender politischer Instabilität zu. Zugleich können aber
Engpässe in der Nahrungsmittelversorgung politische
Unruhen begünstigen und Treiber von Konflikten sein.
Ernährungsunsicherheit verbunden mit Perspektivlosig-
keit ist eine der zentralen Fluchtursachen. Ernährungssi-      Julia Klöckner
cherung ist deshalb ein wichtiger Stabilitätsanker.            Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft

                                                                                                                         3
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1             Wie ernährt
              sich die Welt?
              Die Landwirtschaft erzeugt weltweit derzeit genug Lebensmittel, um
              zumindest rein rechnerisch alle Menschen zu ernähren. Dennoch muss
              jeder neunte Mensch auf der Welt jeden Abend hungrig schlafen gehen.
              Und das, obwohl das Recht eines jeden Menschen auf Nahrung – und
              zwar in ausreichender Quantität und Qualität – ein Menschenrecht ist,
              das im internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle
              Rechte (VN-Sozialpakt) völkerrechtlich verbindlich verankert ist. Dass
              Menschen nicht ausreichend ernährt sind, hat viele Ursachen. Doch in
              jedem Fall ist Hunger nicht hinnehmbar.

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Wird die Nahrung knapp?                                       Der Appetit der Welt wächst
Laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der          Im Jahr 2050 werden nicht mehr rund sieben, sondern
Vereinten Nationen (FAO) hungerten im Jahr 2014 welt-         mehr als neun Milliarden Menschen auf der Welt leben.
weit 805 Millionen Menschen – mehr als alle Einwohner         Sie werden mehr Nahrung brauchen und mit wachsen-
der Europäischen Union (EU), Russlands und Japans             dem Wohlstand auch höhere Ansprüche entwickeln, etwa
zusammen. Wird also die Nahrung knapp? Im Gegenteil:          auf mehr Fleisch und Milchprodukte. Um diese Ansprü-
Die Landwirtschaft erzeugt derzeit etwa ein Drittel mehr      che befriedigen zu können, müsste die Agrarproduktion
Kalorien, als für die Versorgung aller Menschen rechne-       bis 2050 um rund zwei Drittel gesteigert werden. Dazu
risch benötigt wird – und noch wächst die Lebensmittel-       müssen insbesondere Wasser, fruchtbare Böden und die
produktion schneller als die Weltbevölkerung. Hunger hat      Artenvielfalt intelligenter – vor allem effektiver – genutzt
andere Ursachen: zum Beispiel Armut, mangelnder               und erhalten werden. Bislang gehen weltweit jährlich
Zugang zu Boden, Wasser und anderen Ressourcen sowie          rund zwölf Millionen Hektar Agrarfläche verloren – durch
schlechte Regierungsführung.                                  Überweidung, ungeeignete Anbaumethoden, Erosion oder
                                                              durch Straßen- und Städtebau. Setzt sich dieser Trend
Unter- und Mangelernährung sind sehr ungleich verteilt        unvermindert fort, würden die Ernten in den nächsten
– nach Weltregionen, nach Arm und Reich, nach Ge-             25 Jahren um bis zu zwölf Prozent sinken.
schlecht. Die große Mehrheit der Hungernden lebt in
ländlichen Regionen der Entwicklungsländer – also dort,       Eine ausgewogene, gesundheits-
wo eigentlich Lebensmittel produziert werden. Sie haben       fördernde Ernährung für alle
kaum eine Chance, sich gegen Hunger als Folge von
Armut, Krieg, Umweltkatastrophen oder Dürren zu               Circa zwei Milliarden Menschen leiden an einem Mangel
schützen. Besonders betroffen sind Frauen. Sie tragen in      an Vitaminen und Mineralstoffen. Weitere 1,4 Milliarden
vielen Ländern die Hauptlast der Feldarbeit, haben jedoch     sind durch falsche Ernährung übergewichtig oder gar
weniger Rechte – denn 90 Prozent der weltweiten Acker-        adipös – nicht nur in reichen Staaten, sondern zuneh-
flächen gehören Männern. Kurz gesagt: Das Gesicht des         mend auch in Entwicklungs- und Schwellenländern.
Hungers ist zumeist ländlich und weiblich.                    Insgesamt ist etwa die Hälfte der Weltbevölkerung nicht
                                                              bedarfsgerecht ernährt. Es geht also nicht nur um eine
                                                              Steigerung der Agrarproduktion, sondern um eine
                                                              ausgewogene und gesunde Ernährung für alle.

                                                              KREISLAUF DER UNTERERNÄHRUNG

                                                                                     Unter- und mangelernährte
                                                                                     Mütter gebären unter- und
BRENNPUNKT:                                                                            mangelnährte Kinder
                                                                                                                  körperlicher und
WIE WIRD HUNGER DEFINIERT?                                        mehr Hunger,
                                                                 Mangel­ernährung
                                                                                                                 geistiger Rückstand

Es scheint ganz einfach: Isst der Mensch zu wenig, wird            und Armut
er schnell von Hungergefühlen gequält. Fach-leute sehen
das differenzierter: Sie sprechen von chronischem Hunger
oder Unterernährung, wenn Menschen über längere Zeit
zu wenig Energie aufnehmen, um ein gesundes und akti-
ves Leben zu führen. Der Energiebedarf ist unterschied-
lich und liegt bei Erwachsenen je nach Region, Aktivität,
Altersgruppe und Geschlecht etwa zwischen 1.700 und
2.000 Kilokalorien am Tag. Bei weniger als 1.400 Kilokalo-
rien beginnt extreme Unterernährung oder akuter Hunger.
Übrigens: In Deutschland liegt der Verbrauch im Durch-
schnitt bei mehr als 3.500 Kilokalorien.
Doch Kalorien sind nicht alles. Armut und – oft dadurch              niedriges Ein-
bedingt – einseitige Ernährung führen zu einem Mangel              kommen, ­geringe                                     Krankheits­
                                                                v­ olkswirtschaftliche                                  anfälligkeit
u.a. an Vitaminen, Mineralstoffen wie Jod und Eisen sowie            Produktivität
Spurenelementen. Diese Nähr-stoffdefizite nennt man                                       Konzentrationsmängel,
auch „versteckten Hunger“. Er ist nicht auf den ersten                                   schlechte Schulleistungen
Blick sichtbar, schädigt aber die geistige und körperliche
Entwicklung und die Leistungsfähigkeit.                       Quelle: Welthungerhilfe

                                                                                                                                  5
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WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE

     Woher kommen die Lebensmittel?
     Wer soll Lebensmittel in ausreichender Qualität und
     Menge für eine wachsende Weltbevölkerung bereitstellen,
     wenn nicht die Landwirtschaft mit Ackerbau und Vieh-
     zucht, der Fischfang, die Aquakultur und die Waldnut-
     zung? Zur Welternährung leistet der große, hochmoderne
     Agrarbetrieb, der mit viel Kapital, Know-how, Maschinen
     und Hochleistungssorten hohe Erträge erzielt, genauso
     einen Beitrag wie der kleinbäuerliche Familienbetrieb, der
     mit weniger Kapital und Technik Kaffee und Bananen für
     den Verkauf und Feldfrüchte für den Eigenbedarf erzeugt;
     der wandernde Viehzüchter, der Sammler in den Wäldern
     ebenso wie die Bäuerin, die Gemüse für ihre Familie
     anbaut.

     Die unmittelbare Erzeugung ist jedoch nur ein Teil. Auch
     die Voraussetzungen dafür müssen vorhanden sein: Land,
     Wasser, Saatgut, Dünge- und Futtermittel, Kapital sowie
     das entsprechende Know-how. Nach der Ernte muss für
     sachgerechte Lagerung, Transport und Verarbeitung
     gesorgt sein. Groß- und Einzelhändler, Im- und Exporteu-
     re sowie lokale und internationale Märkte müssen die
     Lebensmittel „auf den Tisch“ bringen. Als „Wertschöp-
     fungskette“ bezeichnen Fachleute diese vielen Schritte, die
     ein Lebensmittel vom Rohprodukt über die Verarbeitung               Sie sichern die lokale und regionale Versorgung und
     und den Transport bis zum Endverbraucher durchläuft.                produzieren den größten Teil der Lebensmittel. Allerdings
                                                                         arbeiten viele von ihnen bislang nicht sehr produktiv:
     Wer produziert die Lebensmittel?                                    Pro Hektar erzeugen sie deutlich weniger als Betriebe in
                                                                         Europa oder Nordamerika. So liegt in Afrika südlich der
     Der Großteil der Landwirtschaft der Welt liegt nicht in der         Sahara der durchschnittliche Getreideertrag bei 0,5 bis 1,5
     Hand leistungsstarker, moderner Landwirtschaftsbetrie-              Tonnen pro Hektar, in Deutschland bei bis zu acht Tonnen.
     be, wie wir sie aus Deutschland kennen, sondern in den              Kleinbäuerliche Betriebe in Entwicklungsländern wirt-
     Händen kleinbäuerlicher Familienbetriebe. Während ein               schaften unter schwierigeren Bedingungen als ein Land-
     durchschnittlicher Familienbetrieb in Deutschland über              wirt bei uns. Zumeist haben sie schlechteren Zugang zu
     43 Hektar hat, sind 85 Prozent der Bauernhöfe weltweit              Land, Wasser, Saatgut, Dünger, Pflanzenschutzmitteln
     kleiner als zwei Hektar, bewirtschaften aber zusammen               und Energie und produzieren mit einfachen Werkzeugen
     rund 60 Prozent der globalen Anbauflächen. Die meisten              und Geräten und ohne moderne Methoden. Oft reichen
     dieser Betriebe befinden sich in Asien und Afrika.                  ihre Erträge daher kaum zum Überleben.

     WERTSCHÖPFUNGSKETTE IN DER LANDWIRTSCHAFT AM BEISPIEL ACKERBAU: VIELE SIND BETEILIGT

    Vor-         Input:     Produktion:     Lagerung       Weiter­        (Groß-)      Eventuell       (Groß-)    Einzelhandel,   Verbrauche-
 bereitung:   Know-how,    Anbau, Pflege               verarbeitung:    Handel und       ­weitere    Handel und   Supermärkte      rinnen und
  Saatgut,    M
              ­ ethoden,   der Pflanzen,                 Trocknen,       Transport   ­Verarbeitung    Transport                   Verbraucher
  D
  ­ ünger,      K
                ­ redite   Bewässerung,                   Schälen,
M
­ aschinen                  Bekämpfung                     R
                                                           ­ östen,
                            von Schäd-                    M
                                                          ­ ahlen,
                             lingen und                 Veredeln etc.
                           Unkraut, Ernte

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                                                                                                                            04 | 05

Warum sind ländliche Räume in                                   Wo lassen sich Erträge steigern?
armen Ländern kaum entwickelt?                                  Die moderne, hoch entwickelte Landwirtschaft der
Über viele Jahrzehnte haben nationale Regierungen und           Industrieländer hat mit Hochleistungssorten und präzi-
internationale Entwicklungspolitik kaum in die Land-            sem Einsatz von Pflanzenschutz-, Dünge- und Futtermit-
wirtschaft der Entwicklungsländer investiert. Daher             teln einen großen Anteil am Zuwachs der Lebensmittel-
mangelt es an Beratung, Wissen, Kapital und funktionie-         produktion der letzten Jahrzehnte. Sie hat ihre Möglich-
render Infrastruktur. Während ein Bauer bei uns seine           keiten damit weitgehend genutzt. Große Potenziale für
Ernte z.B. im Getreidespeicher lagert, bevor er sie mit Hilfe   Ertragssteigerungen liegen dagegen bei den kleinbäuerli-
von Telefon, E-Mail, gewachsenen Marktstrukturen und            chen Familienbetrieben in Schwellen- und Entwicklungs-
guter Straßenanbindung verkauft, fehlt es in Entwick-           ländern, gerade wegen ihrer bislang niedrigen Produktivi-
lungsländern oft an all diesen Dingen. Es fehlen Möglich-       tät. Mit ihrer Förderung von reiner Selbstversorgung hin
keiten, die Produkte zu verarbeiten oder haltbar zu             zu einer zusätzlichen Erzeugung für den Markt sowie
machen. Es mangelt an Unterstützung durch Agrarpolitik          organisatorischen Änderungen wie Kooperationen in
und guter Regierungsführung.                                    Genossenschaften lässt sich viel bewegen: Wenn sie mehr

VERTEILUNG DER 525 MIO. BAUERNHÖFE WELTWEIT                     DURCHSCHNITTLICHE HOFGRÖSSE

Afrika 8 %                                   Nord- und
                                            Südamerika
     West-                                         1%
Europa 4 %

                         Asien 87 %

Quelle: Agriculture at a Crossroads - Global Report 2009

BRENNPUNKT:
PRODUKTIVITÄT STEIGERN
Wie lässt sich in Entwicklungsländern die Produktivität
der Landwirtschaft sowohl für die Selbstversorgung als
auch für den Verkauf steigern? Zum Beispiel mit ver-
besserten Anbaumethoden, nachhaltiger Bewässerung
und Erosionsbekämpfung, mit angepasstem Saatgut,
Pflanzenschutz und Düngung. Hilfen bei Finanzierung,
bei Bildung von Kooperationen und bei Vermarktung
erzeugen starke wirtschaftliche Impulse für die ländlichen
Regionen. Wichtig sind jedoch sozial, wirtschaftlich und
ökologisch nachhaltige Anbaumethoden, die sauberes
Wasser, fruchtbare Böden, Wälder und Artenvielfalt lang-
fristig erhalten.
                                                                                                                        7
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                                                                     ernten, besser vermarkten und verkaufen können,
                                                                     verringert das nicht nur die Armut in ländlichen Regio-
                                                                     nen, sondern es kommen insgesamt mehr und vielfältige-
                                                                     re Lebensmittel auf den Markt – ein wichtiger Schritt zur
                                                                     Sicherung der Welternährung.

                                                                     Was gefährdet die Ernährungs-
                                                                     sicherung?
                                                                     Die Weltbevölkerung wächst. Werden wir in Zukunft alle
                                                                     genug zu essen haben? Für die meisten Europäer dürfte
                                                                     dies angesichts des reichhaltigen Warenangebots keine
                                                                     ernsthafte Frage sein. Doch eine europaweite Umfrage der
                                                                     EU-Kommission zeichnete 2012 ein anderes Bild: Drei
                                                                     Viertel aller Europäer machen sich Sorgen über die
                                                                     Deckung des weltweiten Lebensmittelbedarfs. Ob alle
                                                                     Menschen Zugang zu ausreichenden und ausgewogenen
                                                                     Lebensmitteln haben, hängt aber nicht nur von der
                                                                     Produktionsmenge ab. Ernährungssicherung ist eine sehr
                                                                     komplexe Angelegenheit, bei der viele Faktoren Einfluss
    EINE ZUKUNFTSFÄHIGE LANDWIRTSCHAFT                               haben.

    → 	 liefert eine Vielfalt an bezahlbaren, hochwertigen          Die wichtigsten Grundlagen der Lebensmittelproduktion
         Lebensmitteln mit hoher Nährstoffdichte,                    sind die natürlichen Ressourcen – fruchtbare Böden und
    → produziert Lebensmittel vor Ort, die an lokale Kultur         Süßwasser ebenso wie die Fischbestände der Meere und
         und Standortbedingungen angepasst sind,                     Binnengewässer. Sie sind nur begrenzt auf unserem
    → sichert das Einkommen vieler Menschen vor allem in             Planeten vorhanden und in vielen Regionen inzwischen
         Entwicklungsländern, die sich dadurch eine angemes-         auch überbeansprucht oder durch falschen Umgang
         sene und ausgewogene Ernährung leisten können,              geschädigt.
    → vermeidet durch nachhaltige Methoden negative Folgen
         für Umwelt, Gesellschaft und Gesundheit und bewahrt
         natürliche Ressourcen für künftige Generationen,
    → stärkt die Rolle der Frau in Familie, Wirtschaft,
         Gesellschaft und Gesundheit.

     BRENNPUNKT:
     TANK, TROG ODER TELLER?
     Land- und Forstwirtschaft haben schon immer neben Nahrung für Mensch und Futter für Nutztiere auch Rohstoffe gelie-
     fert: Bau- und Brennholz, Leder für Schuhe, Wolle für Kleidung, Flachs für Leinen, Hanf für Seile, Grundstoffe für Arzneien
     und Kosmetika. Weil nachwachsende Rohstoffe aus Gründen der Nachhaltigkeit und des Klima-und Umweltschutzes
     zunehmend Öl und andere fossile Rohstoffe substituieren, wächst heute auf den Rohstoffmärkten die Nachfrage nach
     Biomasse für die Industrie und für erneuerbare Energieerzeugung.

     Diese „biobasierte Wirtschaft“ eröffnet der Land- und Forstwirtschaft neue Einkommensmöglichkeiten. Der Rohstoffanbau
     kann Arbeitsplätze in der Landwirtschaft schaffen, Kleinbauernfamilien Einnahmen und Entwicklungsländern Devisen brin-
     gen. Doch er ist auch eine Herausforderung: Jede Pflanze, jeder Quadratmeter Ackerfläche lassen sich nur einmal nutzen.
     Soll damit die CO2-Bilanz der Autofahrer verbessert, sollen Gebrauchsgüter hergestellt, Futtertröge zur Fleischerzeugung
     gefüllt – oder pflanzliche Lebensmittel erzeugt werden? Die wachsende Nutzungskonkurrenz um die begrenzten Agrarflä-
     chen ist ein Faktor, der sich auf die Lebensmittelpreise auswirken kann.

     Die Bundesregierung tritt für die Verwirklichung des Menschenrechts auf angemessene Nahrung ein sowie für weltweite Re-
     geln zur nachhaltigen Erzeugung von Nahrungsgütern und Agrarrohstoffen. Der Anbau von Rohstoffen darf nicht zum
     Raubbau an den natürlichen Ressourcen oder zur Vertreibung von Kleinbauernfamilien führen. Für das innerhalb der Bun-
     desregierung bei der Bioökonomiestrategie federführende BMEL hat die Ernährungssicherung Vorrang vor der Erzeugung
     von Rohstoffen für Industrie und Energie. Hier bedarf es Strategien, um gleichzeitig die Ernährung zu sichern und das Po-
8
     tenzial nachwachsender Rohstoffe für Innovationen zu nutzen.
Welternährung verstehen - Fakten und Hintergründe - BMEL
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE

                                                              WIE VIELE LEBENSMITTEL WERFEN
  ERNÄHRUNGSSICHERUNG – WAS IST DAS?                          VERBRAUCHER WEG? (PRO KOPF UND JAHR)
  Die Welternährungsorganisation FAO definiert vier Dimen-     Europa und
  sionen für Ernährungssicherung:                              Nordamerika
  → Verfügbarkeit: Genug Lebensmittel sind dort verfügbar,
    wo sie benötigt werden.                                                                      Deutschland
  → Zugang: Die Menschen haben einen gesicherten
    Zugang zu diesen Lebensmitteln, sie können also ange-                95 - 115 kg                               Sub-Sahara-
                                                                                                                 Afrika und Süd-/
    messene Nahrung anbauen oder kaufen.                                                          55 kg            Südostasien
  → Nutzung: Die Lebensmittel können angemessen und
    bedarfsgerecht verwendet und verwertet werden –
    dazu gehören eine gesunderhaltende Zubereitung                                                                 6-11 kg
    ebenso wie die körperliche Gesundheit als Vorausset-
    zung, Nahrung überhaupt aufnehmen zu können.
  → Dauerhaftigkeit: Die Versorgung mit Lebensmitteln ist     Quelle: Agriculture at a Crossroads – Global Report 2009;
    langfristig stabil – also auch dann, wenn regional        Systematische Erfassung von Lebensmittelabfällen der privaten Haushalte
    Missernten auftreten.                                     in Deutschland (2017), Gesellschaft für Konsumforschung 2017 im Auftrag
  Ernährungssicherung hängt also neben der Agrarprodukti-     des BMEL
  on auch von Verteilung und Infrastruktur, ausreichendem
  Einkommen, Zugang zu Land, Gesundheit und Hygiene,
  guter Regierungsführung und vielem mehr ab.                 Warum werden Böden unfruchtbar?
                                                              Das kann verschiedene Ursachen haben: In manchen
                                                              trockenen Zonen der Erde sind weite Flächen durch
                                                              Überweidung nahezu unfruchtbar geworden. In Zeiten
                                                              guter Regenfälle wächst das Gras üppig, so dass viele
                                                              Rinder, Schafe und Ziegen dort grasen können. Aber in
BRENNPUNKT:                                                   trockenen Jahren sind diese Herden zu groß. Sie fressen
VERLUSTE 			                                                  die karge Pflanzendecke und gleich auch das Wurzelwerk.
                                                              Der Boden ist schutzlos der Erosion durch Wind und
VON LEBENSMITTELN                                             Regen ausgesetzt. Auf solchermaßen degradierten Land-
                                                              flächen, wie Fachleute das Phänomen nennen, können
Weltweit geht rund ein Drittel aller Lebensmittel             weder Weiden noch Feldfrüchte gedeihen.
zwischen Feld und Teller verloren. Pro Jahr sum-
mieren sich diese Verluste auf etwa 1,3 Milliar-
den Tonnen. Schätzungen bei Getreide belaufen                 WAS WERFEN WIR WEG?
sich auf bis zu 30 Prozent Nachernteverluste, bei
Obst und Gemüse, Fisch und Meeresfrüchten so-
gar bis zu 50 Prozent. Ursache sind Schädlings-                      16 % Zubereitetes                      14 % Brot & Backwaren
befall, Schimmel und Fäulnis bei fehlerhafter
Trocknung und Lagerung. Hinzu kommen Verlus-
te bei der Ernte, während des Transports und bei
der Verarbeitung. Der Wert der Getreideverluste
in Afrika südlich der Sahara wird auf
                                                                                                                        11 % Getränke
jährlich vier Milliarden Dollar geschätzt –                        34 % Obst & Gemüse
sie würden ausreichen, um 48 Millionen
Menschen zu ernähren. Insgesamt werden
nach Berechnungen der FAO jedoch von
den Verbraucherinnen und Verbrauchern in
den Industrieländern mehr als zehnmal
                                                                                                                        9 % Milchprodukte
soviel Lebensmittel weggeworfen wie in
Entwicklungsländern.                                    55  KG
                                                        PRO KOPF
                                                        UND JAHR
Mit der Kampagne Zu gut für                                             4 % Fleisch & Fisch
die Tonne! informiert das BMEL deutsche                                                                            7 % Fertigprodukte
Verbraucher darüber, wie sie Lebensmittel-
verschwendung vermeiden können                                                                 5 % Sonstiges
(www.zugutfuerdietonne.de).
                                                             Quelle: Systematische Erfassung von Lebensmittelabfällen der privaten
Grafik: Gerundete Mengenanteile (%) der Lebensmittel-        Haushalte in Deutschland (2017), Gesellschaft für Konsumforschung 2017
arten im vermeidbaren Lebensmittelabfall.                    im Auftrag des BMEL
                                                                                                                                9
Welternährung verstehen - Fakten und Hintergründe - BMEL
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE

DIE WELTWEITE BODENDEGRADATION

     sehr starke            starke Schädigung          mittlere Schädigung          leichte Schädigung           unbeschädigtes
     Schädigung                                                                                                 Land, Eisflächen,
Quelle: FAO 2011                                                                                                    Wüsten

Auch Brandrodung und großflächiges Abholzen von                    Solche nicht nachhaltigen Methoden haben dazu beigetra-
Wäldern schädigen die Bodenfruchtbarkeit. Die meisten              gen, dass innerhalb der letzten 25 Jahre, während die
Wälder in Entwicklungs- und Schwellenländern werden                Weltbevölkerung um etwa zwei Milliarden Menschen
gerodet, um neue landwirtschaftliche Anbauflächen zu               zugenommen hat, rund ein Viertel der landwirtschaftlich
gewinnen. Tropische Waldböden aber haben häufig nur                genutzten Flächen verloren gegangen ist. Alle drei Jahre
eine dünne, empfindliche Bodenschicht, deren Nährstoffe            erobern Wüsten weltweit ein Gebiet von der Größe
bereits nach kurzer landwirtschaftlicher Nutzung er-               Deutschlands.
schöpft sind. Daher ist es oft nicht mehr möglich, den
ursprünglichen Zustand des Waldes wiederherzustellen.              Können uns die Meere auch in
                                                                   Zukunft noch ernähren?
Vor allem in trockenen Klimazonen gehen fruchtbare
Böden durch fehlerhafte Bewässerung verloren. Wo Regen             Die Weltmeere sind eine der wichtigsten Nahrungsquellen
knapp ist, wird Grundwasser auf die Felder gepumpt. Das            und unter anderem Grundlage der Eiweiß- und Jodversor-
löst im Boden enthaltene Salze, die mit dem verdunsten-            gung für Milliarden Menschen vor allem in Küstenregio-
den Wasser nach oben steigen. Werden sie nicht über                nen. Laut Welternährungsorganisation FAO stagnieren
fachgerechte Entwässerung abgeführt, reichern sie sich im          die Fischereierträge in den Meeren seit 1990 und sind
Boden an, der innerhalb weniger Jahre regelrecht versalzt          inzwischen sogar rückläufig. Die küstennahe Fischerei
– keine Nutzpflanze wächst mehr.                                   mit kleinen Booten ist davon besonders betroffen. Auch in

AGRARFLÄCHE PRO KOPF IM VERGLEICH ZUR WELTBEVÖLKERUNG (IN MILLIARDEN)

                   3,69
                                    4,45               5,23                  6,12            6,81
                                                                                                                 9,50

          3.205 m2            2.703 m2          2.372 m2            2.275 m2           2.039 m2          1.500 m2
          1970               1980               1990                2000              2009               2050

Quelle: World Bank 2010/11, FAO

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WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE

DIE VERTEILUNG DES HUNGERS (ANGABEN IN % DER WELTBEVÖLKERUNG)

                                                   Industrieländer
                                                   1,8

                                                         Kaukasusregion und            Ostasien
                                                         Zentralasien 0,7
                                                                                       20,0
                        Nordafrika 1,6                               Westasien   2,3
                                                                       Südasien
                                                                                   Südostasien    7,9
    Lateinamerika
    und Karibik
    4,6
                                           Afrika südlich der
                                           Sahara

                                           26,6
                                                                       34,3                             Ozeanien 0,2

                                                                      BRENNPUNKT:
Quelle: FAO SOFI 2014
                                                                      LANDWIRTSCHAFT –
                                                                      BETROFFENE UND MITVERUR-
Seen und Flüssen gehen die Fänge zurück. Das ist auch in              SACHERIN DES KLIMAWANDELS
der starken fischereilichen Nutzung bis hin zur Überfi-
schung sowie in der Gewässerverschmutzung begründet.                  Landwirtschaft ist vom Klima abhängig und reagiert
Einen wichtigen Beitrag zur Ernährung bilden laut FAO in              daher sensibel auf den Klimawandel, besonders auf die
diesem Zusammenhang die Erzeugnisse der Aquakultur.                   zu erwartende Zunahme klimatischer Extremereignisse
                                                                      wie Dürreperioden und Überschwemmungen. Die Aus-
Wo gibt es am meisten Hunger?                                         wirkungen sind sehr ungleich verteilt: Während die Pro-
                                                                      duktivität der Landwirtschaft in den Ländern nördlich
Ein Blick auf die weltweite Verteilung des Hungers lässt              und südlich des Äquators, also in Teilen Afrikas, Südost-
große Unterschiede zwischen den Ländern erkennen. Die                 asiens und Lateinamerikas, um bis zu 50 Prozent zu sin-
Lage in Asien, vor allem in Ost- und Südostasien, hat sich            ken droht, könnte sie in den Ländern der Nordhalbkugel
seit 1990 deutlich verbessert, ebenso in Mittel- und                  um bis zu 35 Prozent steigen. Bäuerliche Familien in Ent-
Lateinamerika. Zwar leiden auch dort immer noch viele                 wicklungsländern sind wegen ihrer hohen Abhängigkeit
Millionen Menschen unter Hunger und Unterernährung,                   von der Landwirtschaft am stärksten betroffen. Sie
aber ihr Anteil an den Einwohnerzahlen ist gesunken. In               haben kaum Möglichkeiten, sich gegen die Folgen des
insgesamt 26 Ländern hat sich die Lage verbessert, in 16              Klimawandels zu wappnen.
Ländern, überwiegend in Subsahara-Afrika, ist die Versor-
gungslage aber nach wie vor sehr kritisch.                            Die Landwirtschaft trägt jedoch auch zur globalen
                                                                      Erwärmung bei: Sie produziert rund 14 Prozent der
Warum haben nicht alle Menschen                                       weltweit emittierten Treibhausgase, 80 Prozent davon
Zugang zu Nahrung?                                                    werden in Schwellen- und Entwicklungsländern freige-
                                                                      setzt. Die Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und
Was sind die Gründe für ungleiche Verteilung und man-                 Lachgas werden von Rindern, bei Düngung, Bodenbear-
gelnden Zugang zu Lebensmitteln? Gewiss gehören in                    beitung, Verbrennung von Ernterückständen und Nass-
einigen Regionen Dürren, Überschwemmungen, Erdbe-                     reisanbau emittiert. Vom Feld bis zum Teller entstehen
ben, Epidemien, aber auch Kriege dazu. Sie vernichten die             bei einem Kilo Brot etwa 720 Gramm CO2, für ein Kilo
Ernten und treffen die Menschen in ländlichen Regionen                Rindfleisch rund 13.300 Gramm CO2.
besonders hart. Doch überwiegend sind es politische und
strukturelle Gründe, die zu Mangel und Unterversorgung                Zusätzlich setzt die Rodung von Tropenwäldern zur Ge-
führen: das Versagen politisch Verantwortlicher, die                  winnung von landwirtschaftlichen Flächen im Wald und
falsche Entscheidungen über Investitionen oder Infra-                 in den Waldböden gespeichertes CO2 frei. Das trägt
struktur treffen und damit die Bedingungen für Land-                  ebenfalls wesentlich zur globalen Erwärmung bei.
wirtschaft und ländliche Entwicklung verschlechtern.
                                                                      Die Minderung des Ausstoßes landwirtschaftlicher
                                                                      Treibhausgase und die Anpassung der Landwirtschaft an
                                                                      die Folgen des Klimawandels sind wesentlich für die   11
                                                                      Ernährungssicherung im 21. Jahrhundert.
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE

                                                             Fehlende Investitionen
                                                             Nach wie vor aber werden in vielen Ländern Bauern und
                                                             ländliche Regionen von der Politik gering geschätzt.
                                                             Investiert wird vor allem in den Städten, wo große Wäh-
                                                             lerschichten mobilisiert werden können. Um die ärmeren
                                                             Bevölkerungsschichten dort gewogen zu halten, werden
                                                             Lebensmittelpreise niedrig gehalten. Die Folge: Landwirte
                                                             haben keinen Anreiz zum Verkauf, produzieren weniger
                                                             und haben geringere Einkünfte. Bildung und Ausbildung
                                                             in den Dörfern werden vernachlässigt, ebenso die Gesund-
                                                             heitsversorgung, die Elektrifizierung, der Bau und Erhalt
                                                             von Straßen und der Aufbau eines funktionierenden
                                                             Finanzwesens.

                                                             Unsichere Land- und Wassernutzungsrechte erleichtern
                                                             die Vertreibung von Bauern, Hirten und anderen Land-
So trägt etwa die Entscheidung, Straßen in ländlichen        nutzern, wenn etwa einflussreiche Investoren ein Auge auf
Regionen zu bauen, deutlich zur Ernährungssicherung          fruchtbares Ackerland geworfen haben. Vorrangig ist dies
eines Landes bei: Bessere Transportwege bedeuten             ein Problem in Staaten mit schlechter Regierungsführung
schnelleren Zugang der Bauern zu den Märkten und weni-       und niedrigen rechtsstaatlichen Standards. So haben
ger verdorbene Lebensmittel; der Verkauf von einheimi-       einige Länder die Nutzungsrechte für hunderttausende
schem Getreide, Gemüse und Früchten schafft höheres          von Hektar Land für Jahrzehnte an Investoren übertragen,
Einkommen für die Dörfer und motiviert die Bauern, ihre      die dort hoch mechanisierte Großfarmen aufbauen und
Produktion zu steigern.                                      nicht selten die vorhandenen natürlichen Ressourcen
                                                             stark beanspruchen. Die Ernten dieser Großbetriebe sind
Wenn Regierungen einen Agrarberatungsdienst in               häufig nicht für den Verkauf auf den lokalen Märkten
ländlichen Regionen finanzieren, der Bauern bei sachge-      gedacht, sondern werden in kaufkräftige Abnehmerländer
rechter Bewässerung oder Bekämpfung von Schädlingen          exportiert. Die einheimischen Bauern müssen auf weniger
hilft, wenn Kredite bereitgestellt werden und Schulen in     fruchtbare Gebiete ausweichen, wo die Ernten oft nicht
ländlichen Regionen besser ausgestattet werden, dann
schafft all dies strukturelle Voraussetzungen für Ernäh-
rungssicherung und ländliche Entwicklung. Und wenn
dadurch junge Leute in den Dörfern eine wirtschaftliche
und soziale Perspektive für ihre eigene Zukunft erhalten,
wird auch die Landflucht verringert.

Günstige Rahmenbedingungen
schaffen
Warum geschieht nicht in mehr Ländern das Notwendige,
warum setzen nicht mehr politisch Verantwortliche auf
eine stärkere Förderung der Landwirtschaft und ländli-
chen Regionen? Tatsächlich geschieht nämlich genau dies
in jenen Ländern, die die Zahl der Hungernden und
Unterernährten gesenkt und die Einkommen der Bauern
gesteigert haben.

„Ein wesentlicher Schritt besteht darin, landwirtschaftli-
chen Betrieben günstige Rahmenbedingungen zu bieten,
welche die Nachhaltigkeit des Wachstums im Agrarsektor
gewährleisten können“, fasst das International Food
Policy Research Institute in Washington, eine unabhängi-
ge Forschungseinrichtung, das Ergebnis seiner Untersu-
chungen zusammen.

12
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE

ÜBERERNÄHRUNG NIMMT ZU
(ANTEIL DER ADIPÖSEN* AN DER BEVÖLKERUNG / ANGABEN IN PROZENT)
* BMI > 30 kg/m2

    keine Daten

    < 10

    10 -19,9

    20-29,9

    > 30

Quelle: WHO 2012

BRENNPUNKT:                                                     reichen, um die Familien ausreichend zu ernähren: Ist der
ÜBERGEWICHT AUCH IN 		                                          Zugang zu guten Böden versperrt, wird auch der Zugang
                                                                zu Einkommen und Nahrung verwehrt.
ENTWICKLUNGSLÄNDERN AUF
DEM VORMARSCH                                                   Geringschätzung der Landwirte, Vernachlässigung
                                                                ländlicher Regionen, fehlende politische Teilhabe der
Das Einkommen vieler Millionen Menschen in Asien, Latein-       Landbevölkerung, Unkenntnis der Menschen über ihre
amerika und Afrika steigt. Sie werden als die „neuen Mittel-    Rechte und oft auch Korruption bilden den „Nährboden“
schichten“ der Schwellen- und Entwicklungsländer be-            für Armut. So entsteht eine paradoxe Situation: Drei von
zeichnet, ihre Zahl wächst und wird Mitte des Jahrhunderts      vier unterernährten Menschen leben auf dem Land, fast
die Milliardengrenze erreichen. Wie zuvor in den industria-     alle produzieren selbst Nahrung – für eine ausreichende
lisierten Ländern                                               und gesunde Ernährung allerdings zu wenig, und sie sind
ändern sich mit mehr Wohlstand auch Lebensstil und Kon-         zu arm, um Nahrung hinzukaufen zu können.
sumgewohnheiten. Sitzende Tätigkeiten nehmen zu, ebenso
der Verzehr von Fleisch, Zucker, Süßgetränken, Milchpro-        Frauen und Kinder sind besonders betroffen: Zu den
dukten, Fett, Pflanzenölen und                                  politischen und strukturellen Ursachen kommen in vielen
generell von verarbeiteten Lebensmitteln, während der von       ärmeren Ländern kulturelle Traditionen und nachteilige
Hülsenfrüchten, Gemüse und grobkörnigem Getreide zu-            Gesellschaftsstrukturen hinzu. In Dörfern und in den
rückgeht. Dieser Wandel der Ernährungsgewohnheiten hat          Armenvierteln der schnell wachsenden Städte sind Frauen
Folgen für die Ernährungssicherung. Eine zunehmende             wesentlich häufiger arm und unterernährt als Männer,
Fleischproduktion verstärkt die Flächenkonkurrenz zwi-          meist sind sie schlechter ausgebildet und haben deshalb
schen Lebens- und Futtermitteln. Die veränderten Verzehr-       weniger Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu verdie-
und Lebensgewohnheiten führen zu mehr Fettleibigkeit und        nen. Auf den Dörfern haben Frauen oft schlechteren
„Wohlstandskrankheiten“ wie Bluthochdruck; Diabetes gilt        Zugang zu Land und anderen produktiven Ressourcen.
heute schon als die neue „afrikanische Volkskrankheit“. Wo      Zum Teil auch aus Unwissenheit werden Kinder oft nicht
ehedem überwiegend Unterernährung herrschte, treten             ausgewogen ernährt.
heute vermehrt Fehl- und Mangelernährung auf, auch bei
den ärmsten Bevölkerungsgruppen. Unter-, Fehl- und Man-
gelernährung kommen sogar gleichzeitig in ein und dem-
selben Haushalt vor.

                                                                                                                       13
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE

Lösungswege zur Ernährungs-                                     In anderen Bereichen zeichnen sich ebenfalls positive
sicherung                                                       Tendenzen ab: Wo vielerorts kleine Familienbetriebe
                                                                keinen Zugang zu Krediten hatten, bieten heute verschie-
Wie lässt sich die Ernährung sichern? Mit dieser Frage          dene Formen der Mikrofinanzierung Darlehen zu akzep-
befassen sich Agrar- und Ernährungswissenschaftler,             tablen Zinssätzen.
Ökonomen und Ökologen weltweit. Sie entwickeln
unterschiedliche Lösungsansätze, aber alle gehen von            Auch die Agrar- und Ernährungsforschung liefert neue
einer Erkenntnis aus: Die Landwirtschaft der Zukunft            Erkenntnisse und ein besseres Verständnis kleinbäuerli-
wird sich an den Prinzipien der Nachhaltigkeit und eines        cher Landwirtschaft. Forscher arbeiten an nachhaltigem
effizienteren Ressourceneinsatzes orientieren müssen.           Pflanzenschutz und an Bodenverbesserung, züchten
                                                                Gemüse- und Obstsorten, die ertrag- und nährstoffreich
Einige Beispiele: Schon mit wenig Aufwand lässt sich der        und widerstandfähiger gegen Schädlinge oder Trocken-
Verlust fruchtbaren Ackerbodens stoppen.                        heit sind. Dabei kommen auch fast vergessene lokale
                                                                Getreide- oder Gemüsesorten zum Einsatz, die oft besser
→ K leine Regenwasserrückhaltewälle und Hecken als            an die jeweiligen Standortbedingungen angepasst sind. So
     Windschutz auf den Feldern mindern Bodenerosion            trägt die Forschung zu höherer Produktivität und Nähr-
     durch Regen und Wind.                                      stoffdichte sowie zum schonenden, effizienteren Umgang
                                                                mit den natürlichen Ressourcen bei.
→ Die dosierte „Tröpfchenbewässerung“ direkt an den
     Pflanzenwurzeln ist effizienter als großflächige Feldbe-   Welche Perspektiven haben
     wässerung, bei der viel Wasser verdunstet und zu           Kleinbauern?
     Bodenversalzung führt.
                                                                Damit die bäuerlichen Familienbetriebe weiterhin das
→ Aufeinander abgestimmte Mischpflanzungen, wie               Rückgrat der Welternährung bilden, müssen sie Produkti-
     Kaffee- und Kakaobäume zusammen mit Bananen-               on und Produktivität nachhaltig steigen. Ohne Moderni-
     stauden, steigern mit geringem Arbeitsaufwand die          sierung der ländlichen Regionen und ohne Professionali-
     Erträge und schonen die Böden.                             sierung der Landwirte wird dies nicht gelingen. Ihre

14
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE

                                                              Zukunft und mit ihnen die Zukunft der Welternährung
BRENNPUNKT:                                                   insgesamt kann nicht in der Subsistenzwirtschaft (Selbst-
LEBENSMITTELPREISE UND                                        versorgung) liegen.

SPEKULATION                                                   Die kleinbäuerlichen Produzenten müssen die Märkte
                                                              besser kennen und beliefern können. Vor allem der
Seit 2000 kam es auf den Weltmärkten für Agrarrohstoffe       Zugang zu den Märkten der Ballungsräume stellt viele
zu heftigen Preisschwankungen mit extremen Preisspitzen.      Kleinbauern vor große Herausforderungen. Dort etablie-
Sie hatten problematische Auswirkungen auf die Ernäh-         ren sich zunehmend große Handelsketten, die von ihren
rungslage, vor allem in den am wenigsten entwickelten         Lieferanten stetig und zuverlässig gleichbleibende Quali-
Ländern. Entwicklungen bei den fundamentalen Faktoren         tät erwarten. Eine Chance für die Familienbetriebe: In
(unter anderem wachsende Weltbevölkerung, verändertes         Genossenschaften zusammengeschlossen, können sie
Konsumverhalten in Schwellenländern, Nachfrage nach           Produktion, Verarbeitung und Vermarktung ihrer
Bioenergie, begrenztes Vorhandensein von Anbaufläche,         Erzeugnisse gemeinsam und effektiv organisieren.
abnehmende Verfügbarkeit von fossiler Energie und von
Wasser, Ressourcenverknappung in ökologisch sensiblen         Eine andere Form des Marktzugangs ist die Vertragsland-
Regionen durch den Klimawandel) treiben langfristig das       wirtschaft, bei der der künftige Käufer, etwa eine Lebens-
Preisniveau. Zudem ist auch künftig mit großen Schwan-        mittelfirma, die Abnahme von Erzeugnissen zu einem
kungen bei den Nahrungsmittelpreisen zu rechnen.              vereinbarten Zeitpunkt und Preis garantiert. Gerade
                                                              kleinbäuerlichen Betrieben kann das Vorteile bringen: Die
Warentermingeschäfte sind ein nützliches Instrument für       Abnahme- und Preisgarantien bieten Sicherheit für die
die Agrar- und Ernährungswirtschaft, sich gegen unerwar-      Vorfinanzierung des Anbaus und senken das Absatzrisiko.
tete Preisschwankungen abzusichern. Andererseits liefern
die Börsen, an denen Warentermingeschäfte stattfinden,        Eine moderne Marktproduktion mindert also keineswegs
Signale über die aktuelle und zu erwartende Preisentwick-     die Chancen kleiner Betriebe. „Klein“ ist ohnehin ein
lung. Warenterminmärkte müssen daher vor exzessiver           relativer Begriff, denn in fruchtbaren Regionen von
Spekulation und Marktmissbrauch geschützt werden. An-         Entwicklungsländern kann ein bäuerlicher Betrieb auch
sonsten können Fehlsignale unter Umständen die Preisbil-      mit wenigen Hektar ein ausreichendes Einkommen
dung an den physischen Märkten verzerren.                     erzielen. Andernorts werden die Flächen größer sein
                                                              müssen, um unter Berücksichtigung ökologischer wie
In diesem Sinne unterstützt die Bundesregierung auch die      ökonomischer Aspekte nachhaltig ein ausreichendes
aktuellen Finanzmarktreformen auf EU-Ebene im Hinblick        Einkommen erwirtschaften zu können.
auf Agrarterminmärkte. Ihr Fokus sind die Schaffung von
Transparenz an den Warenterminmärkten für Agrarroh-           All das kann das Einkommen der ländlichen Bevölkerung
stoffe sowie eine angemessene Regulierung, die die positi-    in Landwirtschaft, Handwerk und Dienstleistungen
ven Eigenschaften der Warenterminmärkte nicht abwürgt.        steigern. Nur wenn sich Leben und Arbeiten in den
Die entsprechenden Gesetzgebungen in Europa und den           ländlichen Regionen „lohnen“, wenn dort die Lebensbe-
USA (wo sich die Leitbörsen für Agrarrohstoffe befinden)      dingungen und die Zukunftsaussichten besser werden,
sind im Wesentlichen bereits angepasst.                       kann die Welt auch ausreichend ernährt und Landflucht
                                                              vermieden werden.

                                                                                                                      15
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE

2             Warum steht auch
              Deutschland
              in der Verantwortung?
              Es gibt viele gute Gründe für die Bundesregierung, sich aktiv für eine
              gesicherte Welternährung zu engagieren: Hunger sowie Fehl- und
              Mangelernährung verursachen menschliches Leid. Dem zu begegnen,
              ist eine zutiefst humanitäre Aufgabe. Doch es gibt weitere Gründe,
              dazu beizutragen, dass alle Menschen jederzeit ausreichend mit Le-
              bensmitteln versorgt sind, um ein aktives und gesundes Leben führen
              zu können. Wo es an Ernährungssicherung mangelt, sind die soziale
              und politische Stabilität gefährdet und Frieden und Sicherheit bedroht.
              Agrar- und Ernährungspolitik dienen der Krisenprävention und sind
              damit Teil einer aktiven Friedenspolitik. Vor allem aber ist das Recht
              auf Nahrung ein universell geltendes Menschenrecht. Eine leistungsfä-
              hige und nachhaltige Landwirtschaft ist eine wichtige Grundlage, um
              dieses Menschenrecht für alle zu verwirklichen.

16
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE

Das Menschenrecht auf Nahrung
Hunger, Mangel- und Fehlernährung zu beseitigen, ist
nicht nur die Aufgabe jener Länder, in denen es an
Lebensmitteln mangelt. Es ist eine globale Aufgabe.
Angesichts der Welternährungskrisen und Hungersnöte
in den 1970er und 1990er Jahren setzte sich die Erkennt-
nis durch, dass viele gemeinsame Anstrengungen nötig
sind, um Ernährungssicherung zu erreichen und das
Menschenrecht auf Nahrung zu verwirklichen. Es besagt,
dass Menschen entweder Zugang zu Ressourcen haben
müssen, die sie dazu befähigen, in Quantität und Qualität
ausreichende Nahrung zu produzieren, oder genug zum
Erwerb von Nahrung verdienen müssen, um sich nicht

                                                              nur vor Hunger zu schützen, sondern darüber hinaus
                                                              Gesundheit und Wohlbefinden abzusichern. Nur in
BRENNPUNKT:                                                   Ausnahmefällen – etwa bei Katastrophen oder bei er-
WAS BEDEUTET DAS 		                                           werbsunfähigen Menschen – bedeutet dies klassische
                                                              Lebensmittel- oder Sozialhilfe, um Leben und Gesundheit
MENSCHENRECHT AUF                                             von Menschen zu erhalten. Eine besondere Verpflichtung
NAHRUNG?                                                      haben die Staaten gegenüber verletzlichen Gruppen wie
                                                              Kindern, Frauen, kranken und alten Menschen sowie
In Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Men-              gegenüber Landlosen und Armen.
schenrechte der Vereinten Nationen von 1948 heißt
es: „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard,           Leitlinien zur Verwirklichung des
der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl             Menschenrechts auf Nahrung
gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung,
Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige so-             Im November 2004 hat die Welternährungsorganisation
ziale Leistungen (...).“ Völkerrechtlich verankert ist das   FAO der Vereinten Nationen die „Freiwilligen Leitlinien
Menschenrecht auf Nahrung im Internationalen Pakt            zur Unterstützung der schrittweisen Verwirklichung des
über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte          Rechts auf Nahrung im Kontext nationaler Ernährungssi-
(Sozialpakt) von 1976, dem bislang über 160 Staaten          cherung“ beschlossen. Die Bundesregierung hat durch das
beigetreten sind. Gemäß Artikel 11 (1) erkennen die          Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
Vertragsstaaten „das Recht eines jeden auf einen an-         (BMEL) die Entwicklung dieser freiwilligen Leitlinien
gemessenen Lebensstandard für sich und seine                 politisch und finanziell maßgeblich unterstützt.
Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung,
Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige         Die Leitlinien fordern von den Staaten verstärkte An-
Verbesserung der Lebensbedingungen“. In Artikel 11           strengungen zur Bekämpfung des Hungers und geben
(2) bestätigen sie, dass dringlichere Maßnahmen er-          Handlungsempfehlungen, um das Recht auf angemessene
forderlich sind, um „das grundlegende Recht eines            Nahrung zu verwirklichen, etwa zur rechtlichen und
jeden, vor Hunger und Mangelernährung geschützt              institutionellen Verankerung von Menschenrechten, zu
zu sein“, zu gewährleisten. Das Recht auf Nahrung            sicherem Zugang zu Produktionsressourcen wie Land,
umfasst damit sowohl das Prinzip der Zugänglichkeit          Wasser oder Saatgut, zur Verbesserung von landwirt-
als auch das Prinzip der Verfügbarkeit. Staaten müs-         schaftlichen Strukturen, Produktivität und Vermarktung
sen einen existierenden Zugang zu Nahrung respek-            sowie zum Aufbau sozialer Sicherungssysteme. Die
tieren, also jede Handlung unterlassen, die Menschen         Leitlinien dienen Staaten, Medien und Zivilgesellschaft
ihres vorhandenen Zuganges zu Nahrung beraubt.               im weltweiten Kampf gegen Hunger und Mangelernäh-
Staaten müssen den Zugang zu Nahrung vor Über-               rung als wichtige Orientierung für mehr innerstaatliche
griffen Dritter schützen, sei es durch Gesetze oder          Verantwortung und gute Regierungsführung.
polizeiliche Maßnahmen. Staaten müssen den
Zugang zu Nahrung gewährleisten, falls dieser noch
nicht vorhanden ist. Auch Unternehmen haben eine
politische Verantwortung, das Menschenrecht auf
Nahrung zu respektieren und dürfen nicht zu seiner
Verletzung beitragen.
                                                                                                                   17
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE

  SICHERE WELTERNÄHRUNG – AUFGABE FÜR ALLE                   Für Stabilität und Sicherheit sorgen
                                                             Ernährungspolitik ist immer auch Sicherheitspolitik.
  Fünf triftige Gründe für das deutsche Engagement:
                                                             Territoriale Konflikte sind häufig auch Konflikte um
  → Das Menschenrecht auf Nahrung verpflichtet die Staa-     Ressourcen, vor allem um Land oder Wasser. Raubbau,
     ten verbindlich zum Handeln.                            Vertreibungen von Kleinbauern oder Vernachlässigung
  → Ernährungssicherung kann nicht allein durch Entwick-
                                                             der Bedürfnisse der Landbevölkerung verstärken diese
     lungs- und Schwellenländer erreicht werden.
                                                             Wirkung. Wem verwehrt wird, auf seinem Land etwas
  → Eine weltweit klimafreundlichere und ressourcenef-
     fizientere Agrar- und Ernährungswirtschaft liegt in     anzubauen, der hat keinen Erwerb. Wer keinen Erwerb
     unserem Interesse.                                      hat, ist in seiner Existenz bedroht und verliert die Pers-
  → Eine zuverlässige Nahrungs- und Rohstoffversorgung      pektive. Das führt zu Entwurzelung und Verdrängung der
     liegt auch im Interesse deutscher Verbraucher und der   ländlichen Bevölkerung und kann die Stabilität ganzer
     Lebensmittelindustrie.                                  Regionen bedrohen. Umgekehrt gefährden Konflikte
  → Ernährungspolitik ist auch Friedens- und                 wiederum die Nahrungsversorgung. Eine Förderung der
     Sicherheitspolitik.                                     Landwirtschaft und ländlicher Regionen hingegen stärkt
                                                             die regionale politische Stabilität. Daher müssen die
                                                             Regierungen der betroffenen Länder darin unterstützt
                                                             werden, das Recht auf Nahrung auch zu verwirklichen.
WASSERVERBRAUCH IM VERGLEICH (PRO KILO)
                                                             Umwelt und Klima schützen
                                                             Die Produktion von Lebensmitteln für die Menschheit
                                       Kartoffeln: 250 l
                                                             benötigt große Mengen natürlicher Ressourcen. Es liegt in
                                                             unserem Interesse, an diesen begrenzten Ressourcen
                                                             keinen Raubbau zu betreiben, sondern sie durch die
                                                             weltweite Verbreitung moderner, effizienter und nachhal-
                                                             tiger Anbaumethoden zu erhalten. Die Landwirtschaft ist
                                                             schon heute weltweit der größte Wasserverbraucher: Über
                                                             70 Prozent der weltweiten Süßwassernutzung gehen auf
                                    Rindfleisch: 15.500 l
                                                             ihr Konto. Um ein Kilo Rindfleisch zu produzieren,
                                                             werden insgesamt über 15.000 Liter Wasser benötigt, für
                                                             die gleiche Menge Kartoffeln nur 250 Liter. Werden in
                                                             weniger entwickelten Ländern mehr Futtermittel ange-
                                                             baut, um den wachsenden Fleischbedarf zu bedienen,
                                                             kann das auch den Wassermangel verschärfen. Mit
                                                             Methan und Lachgas, die zum Beispiel beim Nassreisan-
Quelle: UN DESA 2012, BMUB 2014                              bau und bei der Rinderhaltung entstehen, zählt die
                                                             Landwirtschaft zu den Quellen von Treibhausgasen.

                                                             Um den wachsenden Bedarf zu befriedigen, muss auf
                                                             vorhandenen Flächen und mit dem vorhandenen Wasser
                                                             mehr erzeugt werden. Die Ressource Wasser muss effizi-
                                                             enter und nachhaltiger eingesetzt werden, nicht nur in
                                                             den Industrieländern, sondern auch bei den Millionen
                                                             Kleinbauernfamilien in den Entwicklungsländern. So
                                                             können Umwelt und Klima geschützt werden.

                                                             In den Erzeugerländern
                                                             Einkommen sichern
                                                             Investitionen in die Landwirtschaft in den Schwellen-
                                                             und Entwicklungsländern stärken die Kaufkraft der
                                                             Bevölkerung vor Ort und tragen wesentlich dazu bei, das
                                                             Menschenrecht auf Nahrung zu verwirklichen. Vor allem
                                                             Kleinbauern spielen hierbei eine wichtige Rolle: Sie sorgen
                                                             in besonderem Maße für die lokale Ernährungssicherung
                                                             – durch heimische Produkte, zum Beispiel Hirse oder

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WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE

Maniok. Gleichzeitig sind sie mit erheblichen Einschrän-                     80 Milliarden Euro. Der Export aus der EU in die Entwick-
kungen konfrontiert, indem sie wenig Zugang zu Bildung,                      lungs- und Schwellenländer ist demgegenüber mit etwa
Gesundheitsdiensten, Märkten und Krediten haben.                             58,3 Milliarden Euro (2013) deutlich geringer. Für die
Daher empfiehlt zum Beispiel der Welternährungsaus-                          Entwicklungs- und Schwellenländer ist die EU im interna-
schuss der Vereinten Nationen (Committee on World Food                       tionalen Vergleich auch ein besonders offener Absatz-
Security, CFS) mehr öffentliche Investitionen in Straßen,                    markt. Sie liefern in die EU zollfrei oder zu niedrigen
Energie und Telekommunikation, in das nachhaltige                            Zollsätzen mehr Agrarprodukte als in die USA, nach Kana-
Management von Wasser und genetischen Ressourcen für                         da, Japan, Australien und Neuseeland zusammen.
Ernährung und Landwirtschaft sowie in die Erhaltung
von Böden und Wäldern. Bei der Stärkung der kleinbäuer-                      Verbraucher und Lebensmittelwirtschaft in Deutschland
lichen Strukturen legt die Bundesregierung besonderes                        sind in hohem Maße auf eine sichere Versorgung mit
Augenmerk auf die Beteiligungsrechte von Frauen und                          Lebensmitteln und Agrarrohstoffen in gleichbleibend
Mädchen. Internationalen Schätzungen zufolge könnte                          hoher Qualität aus Entwicklungs- und Schwellenländern
die Zahl der Hungernden weltweit um über 100 Millionen                       angewiesen. Daher liegt eine weltweit leistungsfähige,
reduziert werden, wenn Frauen denselben Zugang zu                            konkurrenzfähige Landwirtschaft, die auch die kleinbäu-
Land, Bildung und Technologie hätten wie Männer.                             erlichen Familien angemessen ernährt, genauso in
                                                                             unserem Interesse wie ein gleichberechtigter, freier
Voneinander profitieren –                                                    Zugang der Schwellen- und Entwicklungsländer zu den
globale Verantwortung                                                        internationalen Lebensmittel- und Rohstoffmärkten.

Die EU ist für Schwellen- und Entwicklungsländer ein                         Aber auch die Verbraucher in Deutschland können
wichtiger Absatzmarkt. Zu einem großen Teil liefern sie                      Verantwortung übernehmen: Zum Beispiel sorgsam mit
wichtige Erzeugnisse, die nicht oder kaum mit EU-Pro-                        dem wertvollen Gut Nahrung umgehen, indem sie weni-
dukten konkurrieren: südländisches Obst und Gemüse                           ger Lebensmittel wegwerfen oder gezielt nachhaltig
sowie Kaffee, Kakao und Tee, aber auch verschiedene                          erzeugte Produkte kaufen. Das Konsum- und Ernährungs-
Rohstoffe. Rund 70 Prozent der Agrarimporte und etwa                         verhalten in Industrieländern wie Deutschland kann
50 Prozent der Exporte werden mit den Entwicklungs-                          tendenziell auch zur Verknappung und damit zur Steige-
und Schwellenländern getätigt. Aus diesen Ländern                            rung der Preise für Lebensmittel beitragen. Und die trifft
importierte die EU 2013 Agrargüter im Wert von etwa                          die Ärmsten der Armen am stärksten.

DAS MENSCHENRECHT AUF NAHRUNG: WICHTIGE SCHRITTE ZUR VERWIRKLICHUNG

  1948                        Das Recht auf Nahrung findet Eingang in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen.

  1976                        Mit dem Inkrafttreten des UN-Sozialpakts wird das Menschenrecht auf Nahrung völkerrechtlich verankert.

  1996                        Auf dem Welternährungsgipfel wird das Recht auf Nahrung bekräftigt. Die Staaten werden aufgefordert, die Zahl
                              der Hungernden bis zum Jahr 2015 zu halbieren.

  2000                        In die Millenniums-Entwicklungsziele findet das Ziel Eingang, den Anteil der hungernden Menschen zu halbieren.

  2002                        Der zweite Welternährungsgipfel fordert freiwillige Leitlinien, nach denen die Staaten das Recht auf angemessene
                              Ernährung schrittweise umsetzen.

  2004                        Die Welternährungsorganisation FAO beschließt die „Freiwilligen Richtlinien zur Implementierung des Rechts auf
                              Nahrung“. An der Entwicklung war das BMEL federführend beteiligt.

  2009                        Auf dem dritten Welternährungsgipfel werden Grundlagen für eine „globale Partnerschaft für Landwirtschaft und
                              Ernährungssicherheit“ gelegt. Ein Netzwerk aus UN-Organisationen, Geber- und Entwicklungsländern soll
                              Maßnahmen zur Welternährung koordinieren.

  2012                        Der Ausschuss für Welternährungssicherung (CFS) verabschiedet die „Freiwilligen Leitlinien für die verantwortli-
                              che Regulierung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern im Rahmen der nationalen
                              Ernährungssicherung“ (VGGT).

  2014                        Der Ausschuss für Welternährungssicherung (CFS) verabschiedet einen Katalog mit Prinzipien für verantwortliche
                              Investitionen in Landwirtschaft und Nahrungsmittelsysteme (RAI-Prinzipien).

Wird das Recht auf Nahrung als grundlegender Anspruch anerkannt, so hat das entscheidenden Einfluss auf die Strategien gegen Hunger. Wird Hunger
als Schicksalsschlag verstanden, verursacht durch äußere Umstände wie Dürre oder Krieg, so wird eher mit karitativen Hilfslieferungen reagiert. Nahrung
als Rechtsanspruch erfordert dagegen strukturelles und politisches Vorgehen gegen die Ursachen von Hunger und Mangelernährung.

                                                                                                                                                   19
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE

3             Wie lässt sich die
              Ernährung sichern?
              Die Ernährung der Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert erfordert nicht
              allein eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. Denn es
              geht um mehr als um die Bekämpfung von Hunger und kalorischer
              Unterversorgung. Gefragt ist ein ganzheitlicher Ansatz, der auch die
              Qualität und Vielfalt der Ernährung im Blick hat. Ernährungssicherung
              mit all ihren Aspekten – Verfügbarkeit von und Zugang zu Lebensmit-
              teln, Verwertung der vorhandenen Nahrung im Körper und Dauerhaf-
              tigkeit der Versorgung – steht in einem gesundheitlichen, gesellschaft-
              lichen, wirtschaftlichen und ökologischen Zusammenhang.
              Diese Herausforderungen kann kein Land allein bewältigen. Es liegt
              auch in der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, Hunger
              zu bekämpfen und das Menschenrecht auf angemessene Nahrung zu
              verwirklichen. Eine wichtige Rolle spielt dabei naturgemäß die Agrar-
              und Ernährungspolitik, doch die Probleme – etwa Armut oder Klima-
              wandel – erfordern ein kohärentes Engagement aller Politikfelder.
              Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL)
              setzt sich in internationalen Institutionen und politischen Prozessen
              dafür ein, eine übergreifende Politik für eine gesunde und ausgewoge-
              ne Ernährung zu gestalten. Durch Projekte vor Ort stärkt das Ministe-
              rium den Aufbau einer leistungsfähigen und nachhaltigen Land- und
              Ernährungswirtschaft.

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