Welternährung verstehen - Fakten und Hintergründe - BMEL
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WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE Inhalt 1 Wie ernährt sich die Welt? 02 – 13 2 Warum steht auch Deutschland in der Verantwortung? 14 – 19 3 Wie lässt sich die Ernährung sichern? 20 – 31 2
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE Liebe Leserinnen und Leser, noch immer haben 815 Millionen Menschen auf der Welt Ich bin davon überzeugt, dass der entscheidende Schlüssel nicht genug zu essen. Die Zahl der weltweit Hungernden zur Ernährungssicherung in einer leistungsfähigen, nach- hat sich im Laufe der vergangenen Jahre zwar stetig redu- haltigen und regional angepassten Landwirtschaft liegt. ziert. Doch seit 2016 steigt diese Zahl wieder. Das ist eine alarmierende Entwicklung, die wir umkehren müssen! Diese Broschüre gibt Ihnen Informationen über die grundlegenden Zusammenhänge zwischen Welternäh- Bis 2050 wird die Weltbevölkerung auf rund neun Mil- rung und Landwirtschaft und informiert Sie über die liarden Menschen wachsen. Ausreichend Lebensmittel Aktivitäten des Landwirtschaftsministeriums zur Ernäh- zu produzieren wird zur globalen Herausforderung. Vor rungssicherung. Wir wollen unseren Beitrag leisten, dem allem, weil die Nachfrage nach Energie und nachwach- Ziel näher zu kommen: Jeder Mensch sollte ausreichend senden Rohstoffen steigen wird und sich die Folgen des und angemessen zu essen haben! Klimawandels noch vergrößern werden. Mit herzlichen Grüßen Konflikte und Ernährungsunsicherheit bedingen einander und potenzieren sich: Häufig nimmt Hunger bei anhal- Ihre tender politischer Instabilität zu. Zugleich können aber Engpässe in der Nahrungsmittelversorgung politische Unruhen begünstigen und Treiber von Konflikten sein. Ernährungsunsicherheit verbunden mit Perspektivlosig- keit ist eine der zentralen Fluchtursachen. Ernährungssi- Julia Klöckner cherung ist deshalb ein wichtiger Stabilitätsanker. Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft 3
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE 1 Wie ernährt sich die Welt? Die Landwirtschaft erzeugt weltweit derzeit genug Lebensmittel, um zumindest rein rechnerisch alle Menschen zu ernähren. Dennoch muss jeder neunte Mensch auf der Welt jeden Abend hungrig schlafen gehen. Und das, obwohl das Recht eines jeden Menschen auf Nahrung – und zwar in ausreichender Quantität und Qualität – ein Menschenrecht ist, das im internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (VN-Sozialpakt) völkerrechtlich verbindlich verankert ist. Dass Menschen nicht ausreichend ernährt sind, hat viele Ursachen. Doch in jedem Fall ist Hunger nicht hinnehmbar. 4
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE Wird die Nahrung knapp? Der Appetit der Welt wächst Laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Im Jahr 2050 werden nicht mehr rund sieben, sondern Vereinten Nationen (FAO) hungerten im Jahr 2014 welt- mehr als neun Milliarden Menschen auf der Welt leben. weit 805 Millionen Menschen – mehr als alle Einwohner Sie werden mehr Nahrung brauchen und mit wachsen- der Europäischen Union (EU), Russlands und Japans dem Wohlstand auch höhere Ansprüche entwickeln, etwa zusammen. Wird also die Nahrung knapp? Im Gegenteil: auf mehr Fleisch und Milchprodukte. Um diese Ansprü- Die Landwirtschaft erzeugt derzeit etwa ein Drittel mehr che befriedigen zu können, müsste die Agrarproduktion Kalorien, als für die Versorgung aller Menschen rechne- bis 2050 um rund zwei Drittel gesteigert werden. Dazu risch benötigt wird – und noch wächst die Lebensmittel- müssen insbesondere Wasser, fruchtbare Böden und die produktion schneller als die Weltbevölkerung. Hunger hat Artenvielfalt intelligenter – vor allem effektiver – genutzt andere Ursachen: zum Beispiel Armut, mangelnder und erhalten werden. Bislang gehen weltweit jährlich Zugang zu Boden, Wasser und anderen Ressourcen sowie rund zwölf Millionen Hektar Agrarfläche verloren – durch schlechte Regierungsführung. Überweidung, ungeeignete Anbaumethoden, Erosion oder durch Straßen- und Städtebau. Setzt sich dieser Trend Unter- und Mangelernährung sind sehr ungleich verteilt unvermindert fort, würden die Ernten in den nächsten – nach Weltregionen, nach Arm und Reich, nach Ge- 25 Jahren um bis zu zwölf Prozent sinken. schlecht. Die große Mehrheit der Hungernden lebt in ländlichen Regionen der Entwicklungsländer – also dort, Eine ausgewogene, gesundheits- wo eigentlich Lebensmittel produziert werden. Sie haben fördernde Ernährung für alle kaum eine Chance, sich gegen Hunger als Folge von Armut, Krieg, Umweltkatastrophen oder Dürren zu Circa zwei Milliarden Menschen leiden an einem Mangel schützen. Besonders betroffen sind Frauen. Sie tragen in an Vitaminen und Mineralstoffen. Weitere 1,4 Milliarden vielen Ländern die Hauptlast der Feldarbeit, haben jedoch sind durch falsche Ernährung übergewichtig oder gar weniger Rechte – denn 90 Prozent der weltweiten Acker- adipös – nicht nur in reichen Staaten, sondern zuneh- flächen gehören Männern. Kurz gesagt: Das Gesicht des mend auch in Entwicklungs- und Schwellenländern. Hungers ist zumeist ländlich und weiblich. Insgesamt ist etwa die Hälfte der Weltbevölkerung nicht bedarfsgerecht ernährt. Es geht also nicht nur um eine Steigerung der Agrarproduktion, sondern um eine ausgewogene und gesunde Ernährung für alle. KREISLAUF DER UNTERERNÄHRUNG Unter- und mangelernährte Mütter gebären unter- und BRENNPUNKT: mangelnährte Kinder körperlicher und WIE WIRD HUNGER DEFINIERT? mehr Hunger, Mangelernährung geistiger Rückstand Es scheint ganz einfach: Isst der Mensch zu wenig, wird und Armut er schnell von Hungergefühlen gequält. Fach-leute sehen das differenzierter: Sie sprechen von chronischem Hunger oder Unterernährung, wenn Menschen über längere Zeit zu wenig Energie aufnehmen, um ein gesundes und akti- ves Leben zu führen. Der Energiebedarf ist unterschied- lich und liegt bei Erwachsenen je nach Region, Aktivität, Altersgruppe und Geschlecht etwa zwischen 1.700 und 2.000 Kilokalorien am Tag. Bei weniger als 1.400 Kilokalo- rien beginnt extreme Unterernährung oder akuter Hunger. Übrigens: In Deutschland liegt der Verbrauch im Durch- schnitt bei mehr als 3.500 Kilokalorien. Doch Kalorien sind nicht alles. Armut und – oft dadurch niedriges Ein- bedingt – einseitige Ernährung führen zu einem Mangel kommen, geringe Krankheits v olkswirtschaftliche anfälligkeit u.a. an Vitaminen, Mineralstoffen wie Jod und Eisen sowie Produktivität Spurenelementen. Diese Nähr-stoffdefizite nennt man Konzentrationsmängel, auch „versteckten Hunger“. Er ist nicht auf den ersten schlechte Schulleistungen Blick sichtbar, schädigt aber die geistige und körperliche Entwicklung und die Leistungsfähigkeit. Quelle: Welthungerhilfe 5
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE Woher kommen die Lebensmittel? Wer soll Lebensmittel in ausreichender Qualität und Menge für eine wachsende Weltbevölkerung bereitstellen, wenn nicht die Landwirtschaft mit Ackerbau und Vieh- zucht, der Fischfang, die Aquakultur und die Waldnut- zung? Zur Welternährung leistet der große, hochmoderne Agrarbetrieb, der mit viel Kapital, Know-how, Maschinen und Hochleistungssorten hohe Erträge erzielt, genauso einen Beitrag wie der kleinbäuerliche Familienbetrieb, der mit weniger Kapital und Technik Kaffee und Bananen für den Verkauf und Feldfrüchte für den Eigenbedarf erzeugt; der wandernde Viehzüchter, der Sammler in den Wäldern ebenso wie die Bäuerin, die Gemüse für ihre Familie anbaut. Die unmittelbare Erzeugung ist jedoch nur ein Teil. Auch die Voraussetzungen dafür müssen vorhanden sein: Land, Wasser, Saatgut, Dünge- und Futtermittel, Kapital sowie das entsprechende Know-how. Nach der Ernte muss für sachgerechte Lagerung, Transport und Verarbeitung gesorgt sein. Groß- und Einzelhändler, Im- und Exporteu- re sowie lokale und internationale Märkte müssen die Lebensmittel „auf den Tisch“ bringen. Als „Wertschöp- fungskette“ bezeichnen Fachleute diese vielen Schritte, die ein Lebensmittel vom Rohprodukt über die Verarbeitung Sie sichern die lokale und regionale Versorgung und und den Transport bis zum Endverbraucher durchläuft. produzieren den größten Teil der Lebensmittel. Allerdings arbeiten viele von ihnen bislang nicht sehr produktiv: Wer produziert die Lebensmittel? Pro Hektar erzeugen sie deutlich weniger als Betriebe in Europa oder Nordamerika. So liegt in Afrika südlich der Der Großteil der Landwirtschaft der Welt liegt nicht in der Sahara der durchschnittliche Getreideertrag bei 0,5 bis 1,5 Hand leistungsstarker, moderner Landwirtschaftsbetrie- Tonnen pro Hektar, in Deutschland bei bis zu acht Tonnen. be, wie wir sie aus Deutschland kennen, sondern in den Kleinbäuerliche Betriebe in Entwicklungsländern wirt- Händen kleinbäuerlicher Familienbetriebe. Während ein schaften unter schwierigeren Bedingungen als ein Land- durchschnittlicher Familienbetrieb in Deutschland über wirt bei uns. Zumeist haben sie schlechteren Zugang zu 43 Hektar hat, sind 85 Prozent der Bauernhöfe weltweit Land, Wasser, Saatgut, Dünger, Pflanzenschutzmitteln kleiner als zwei Hektar, bewirtschaften aber zusammen und Energie und produzieren mit einfachen Werkzeugen rund 60 Prozent der globalen Anbauflächen. Die meisten und Geräten und ohne moderne Methoden. Oft reichen dieser Betriebe befinden sich in Asien und Afrika. ihre Erträge daher kaum zum Überleben. WERTSCHÖPFUNGSKETTE IN DER LANDWIRTSCHAFT AM BEISPIEL ACKERBAU: VIELE SIND BETEILIGT Vor- Input: Produktion: Lagerung Weiter (Groß-) Eventuell (Groß-) Einzelhandel, Verbrauche- bereitung: Know-how, Anbau, Pflege verarbeitung: Handel und weitere Handel und Supermärkte rinnen und Saatgut, M ethoden, der Pflanzen, Trocknen, Transport Verarbeitung Transport Verbraucher D ünger, K redite Bewässerung, Schälen, M aschinen Bekämpfung R östen, von Schäd- M ahlen, lingen und Veredeln etc. Unkraut, Ernte 6
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE 04 | 05 Warum sind ländliche Räume in Wo lassen sich Erträge steigern? armen Ländern kaum entwickelt? Die moderne, hoch entwickelte Landwirtschaft der Über viele Jahrzehnte haben nationale Regierungen und Industrieländer hat mit Hochleistungssorten und präzi- internationale Entwicklungspolitik kaum in die Land- sem Einsatz von Pflanzenschutz-, Dünge- und Futtermit- wirtschaft der Entwicklungsländer investiert. Daher teln einen großen Anteil am Zuwachs der Lebensmittel- mangelt es an Beratung, Wissen, Kapital und funktionie- produktion der letzten Jahrzehnte. Sie hat ihre Möglich- render Infrastruktur. Während ein Bauer bei uns seine keiten damit weitgehend genutzt. Große Potenziale für Ernte z.B. im Getreidespeicher lagert, bevor er sie mit Hilfe Ertragssteigerungen liegen dagegen bei den kleinbäuerli- von Telefon, E-Mail, gewachsenen Marktstrukturen und chen Familienbetrieben in Schwellen- und Entwicklungs- guter Straßenanbindung verkauft, fehlt es in Entwick- ländern, gerade wegen ihrer bislang niedrigen Produktivi- lungsländern oft an all diesen Dingen. Es fehlen Möglich- tät. Mit ihrer Förderung von reiner Selbstversorgung hin keiten, die Produkte zu verarbeiten oder haltbar zu zu einer zusätzlichen Erzeugung für den Markt sowie machen. Es mangelt an Unterstützung durch Agrarpolitik organisatorischen Änderungen wie Kooperationen in und guter Regierungsführung. Genossenschaften lässt sich viel bewegen: Wenn sie mehr VERTEILUNG DER 525 MIO. BAUERNHÖFE WELTWEIT DURCHSCHNITTLICHE HOFGRÖSSE Afrika 8 % Nord- und Südamerika West- 1% Europa 4 % Asien 87 % Quelle: Agriculture at a Crossroads - Global Report 2009 BRENNPUNKT: PRODUKTIVITÄT STEIGERN Wie lässt sich in Entwicklungsländern die Produktivität der Landwirtschaft sowohl für die Selbstversorgung als auch für den Verkauf steigern? Zum Beispiel mit ver- besserten Anbaumethoden, nachhaltiger Bewässerung und Erosionsbekämpfung, mit angepasstem Saatgut, Pflanzenschutz und Düngung. Hilfen bei Finanzierung, bei Bildung von Kooperationen und bei Vermarktung erzeugen starke wirtschaftliche Impulse für die ländlichen Regionen. Wichtig sind jedoch sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Anbaumethoden, die sauberes Wasser, fruchtbare Böden, Wälder und Artenvielfalt lang- fristig erhalten. 7
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ernten, besser vermarkten und verkaufen können, verringert das nicht nur die Armut in ländlichen Regio- nen, sondern es kommen insgesamt mehr und vielfältige- re Lebensmittel auf den Markt – ein wichtiger Schritt zur Sicherung der Welternährung. Was gefährdet die Ernährungs- sicherung? Die Weltbevölkerung wächst. Werden wir in Zukunft alle genug zu essen haben? Für die meisten Europäer dürfte dies angesichts des reichhaltigen Warenangebots keine ernsthafte Frage sein. Doch eine europaweite Umfrage der EU-Kommission zeichnete 2012 ein anderes Bild: Drei Viertel aller Europäer machen sich Sorgen über die Deckung des weltweiten Lebensmittelbedarfs. Ob alle Menschen Zugang zu ausreichenden und ausgewogenen Lebensmitteln haben, hängt aber nicht nur von der Produktionsmenge ab. Ernährungssicherung ist eine sehr komplexe Angelegenheit, bei der viele Faktoren Einfluss EINE ZUKUNFTSFÄHIGE LANDWIRTSCHAFT haben. → liefert eine Vielfalt an bezahlbaren, hochwertigen Die wichtigsten Grundlagen der Lebensmittelproduktion Lebensmitteln mit hoher Nährstoffdichte, sind die natürlichen Ressourcen – fruchtbare Böden und → produziert Lebensmittel vor Ort, die an lokale Kultur Süßwasser ebenso wie die Fischbestände der Meere und und Standortbedingungen angepasst sind, Binnengewässer. Sie sind nur begrenzt auf unserem → sichert das Einkommen vieler Menschen vor allem in Planeten vorhanden und in vielen Regionen inzwischen Entwicklungsländern, die sich dadurch eine angemes- auch überbeansprucht oder durch falschen Umgang sene und ausgewogene Ernährung leisten können, geschädigt. → vermeidet durch nachhaltige Methoden negative Folgen für Umwelt, Gesellschaft und Gesundheit und bewahrt natürliche Ressourcen für künftige Generationen, → stärkt die Rolle der Frau in Familie, Wirtschaft, Gesellschaft und Gesundheit. BRENNPUNKT: TANK, TROG ODER TELLER? Land- und Forstwirtschaft haben schon immer neben Nahrung für Mensch und Futter für Nutztiere auch Rohstoffe gelie- fert: Bau- und Brennholz, Leder für Schuhe, Wolle für Kleidung, Flachs für Leinen, Hanf für Seile, Grundstoffe für Arzneien und Kosmetika. Weil nachwachsende Rohstoffe aus Gründen der Nachhaltigkeit und des Klima-und Umweltschutzes zunehmend Öl und andere fossile Rohstoffe substituieren, wächst heute auf den Rohstoffmärkten die Nachfrage nach Biomasse für die Industrie und für erneuerbare Energieerzeugung. Diese „biobasierte Wirtschaft“ eröffnet der Land- und Forstwirtschaft neue Einkommensmöglichkeiten. Der Rohstoffanbau kann Arbeitsplätze in der Landwirtschaft schaffen, Kleinbauernfamilien Einnahmen und Entwicklungsländern Devisen brin- gen. Doch er ist auch eine Herausforderung: Jede Pflanze, jeder Quadratmeter Ackerfläche lassen sich nur einmal nutzen. Soll damit die CO2-Bilanz der Autofahrer verbessert, sollen Gebrauchsgüter hergestellt, Futtertröge zur Fleischerzeugung gefüllt – oder pflanzliche Lebensmittel erzeugt werden? Die wachsende Nutzungskonkurrenz um die begrenzten Agrarflä- chen ist ein Faktor, der sich auf die Lebensmittelpreise auswirken kann. Die Bundesregierung tritt für die Verwirklichung des Menschenrechts auf angemessene Nahrung ein sowie für weltweite Re- geln zur nachhaltigen Erzeugung von Nahrungsgütern und Agrarrohstoffen. Der Anbau von Rohstoffen darf nicht zum Raubbau an den natürlichen Ressourcen oder zur Vertreibung von Kleinbauernfamilien führen. Für das innerhalb der Bun- desregierung bei der Bioökonomiestrategie federführende BMEL hat die Ernährungssicherung Vorrang vor der Erzeugung von Rohstoffen für Industrie und Energie. Hier bedarf es Strategien, um gleichzeitig die Ernährung zu sichern und das Po- 8 tenzial nachwachsender Rohstoffe für Innovationen zu nutzen.
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE WIE VIELE LEBENSMITTEL WERFEN ERNÄHRUNGSSICHERUNG – WAS IST DAS? VERBRAUCHER WEG? (PRO KOPF UND JAHR) Die Welternährungsorganisation FAO definiert vier Dimen- Europa und sionen für Ernährungssicherung: Nordamerika → Verfügbarkeit: Genug Lebensmittel sind dort verfügbar, wo sie benötigt werden. Deutschland → Zugang: Die Menschen haben einen gesicherten Zugang zu diesen Lebensmitteln, sie können also ange- 95 - 115 kg Sub-Sahara- Afrika und Süd-/ messene Nahrung anbauen oder kaufen. 55 kg Südostasien → Nutzung: Die Lebensmittel können angemessen und bedarfsgerecht verwendet und verwertet werden – dazu gehören eine gesunderhaltende Zubereitung 6-11 kg ebenso wie die körperliche Gesundheit als Vorausset- zung, Nahrung überhaupt aufnehmen zu können. → Dauerhaftigkeit: Die Versorgung mit Lebensmitteln ist Quelle: Agriculture at a Crossroads – Global Report 2009; langfristig stabil – also auch dann, wenn regional Systematische Erfassung von Lebensmittelabfällen der privaten Haushalte Missernten auftreten. in Deutschland (2017), Gesellschaft für Konsumforschung 2017 im Auftrag Ernährungssicherung hängt also neben der Agrarprodukti- des BMEL on auch von Verteilung und Infrastruktur, ausreichendem Einkommen, Zugang zu Land, Gesundheit und Hygiene, guter Regierungsführung und vielem mehr ab. Warum werden Böden unfruchtbar? Das kann verschiedene Ursachen haben: In manchen trockenen Zonen der Erde sind weite Flächen durch Überweidung nahezu unfruchtbar geworden. In Zeiten guter Regenfälle wächst das Gras üppig, so dass viele Rinder, Schafe und Ziegen dort grasen können. Aber in BRENNPUNKT: trockenen Jahren sind diese Herden zu groß. Sie fressen VERLUSTE die karge Pflanzendecke und gleich auch das Wurzelwerk. Der Boden ist schutzlos der Erosion durch Wind und VON LEBENSMITTELN Regen ausgesetzt. Auf solchermaßen degradierten Land- flächen, wie Fachleute das Phänomen nennen, können Weltweit geht rund ein Drittel aller Lebensmittel weder Weiden noch Feldfrüchte gedeihen. zwischen Feld und Teller verloren. Pro Jahr sum- mieren sich diese Verluste auf etwa 1,3 Milliar- den Tonnen. Schätzungen bei Getreide belaufen WAS WERFEN WIR WEG? sich auf bis zu 30 Prozent Nachernteverluste, bei Obst und Gemüse, Fisch und Meeresfrüchten so- gar bis zu 50 Prozent. Ursache sind Schädlings- 16 % Zubereitetes 14 % Brot & Backwaren befall, Schimmel und Fäulnis bei fehlerhafter Trocknung und Lagerung. Hinzu kommen Verlus- te bei der Ernte, während des Transports und bei der Verarbeitung. Der Wert der Getreideverluste in Afrika südlich der Sahara wird auf 11 % Getränke jährlich vier Milliarden Dollar geschätzt – 34 % Obst & Gemüse sie würden ausreichen, um 48 Millionen Menschen zu ernähren. Insgesamt werden nach Berechnungen der FAO jedoch von den Verbraucherinnen und Verbrauchern in den Industrieländern mehr als zehnmal 9 % Milchprodukte soviel Lebensmittel weggeworfen wie in Entwicklungsländern. 55 KG PRO KOPF UND JAHR Mit der Kampagne Zu gut für 4 % Fleisch & Fisch die Tonne! informiert das BMEL deutsche 7 % Fertigprodukte Verbraucher darüber, wie sie Lebensmittel- verschwendung vermeiden können 5 % Sonstiges (www.zugutfuerdietonne.de). Quelle: Systematische Erfassung von Lebensmittelabfällen der privaten Grafik: Gerundete Mengenanteile (%) der Lebensmittel- Haushalte in Deutschland (2017), Gesellschaft für Konsumforschung 2017 arten im vermeidbaren Lebensmittelabfall. im Auftrag des BMEL 9
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE DIE WELTWEITE BODENDEGRADATION sehr starke starke Schädigung mittlere Schädigung leichte Schädigung unbeschädigtes Schädigung Land, Eisflächen, Quelle: FAO 2011 Wüsten Auch Brandrodung und großflächiges Abholzen von Solche nicht nachhaltigen Methoden haben dazu beigetra- Wäldern schädigen die Bodenfruchtbarkeit. Die meisten gen, dass innerhalb der letzten 25 Jahre, während die Wälder in Entwicklungs- und Schwellenländern werden Weltbevölkerung um etwa zwei Milliarden Menschen gerodet, um neue landwirtschaftliche Anbauflächen zu zugenommen hat, rund ein Viertel der landwirtschaftlich gewinnen. Tropische Waldböden aber haben häufig nur genutzten Flächen verloren gegangen ist. Alle drei Jahre eine dünne, empfindliche Bodenschicht, deren Nährstoffe erobern Wüsten weltweit ein Gebiet von der Größe bereits nach kurzer landwirtschaftlicher Nutzung er- Deutschlands. schöpft sind. Daher ist es oft nicht mehr möglich, den ursprünglichen Zustand des Waldes wiederherzustellen. Können uns die Meere auch in Zukunft noch ernähren? Vor allem in trockenen Klimazonen gehen fruchtbare Böden durch fehlerhafte Bewässerung verloren. Wo Regen Die Weltmeere sind eine der wichtigsten Nahrungsquellen knapp ist, wird Grundwasser auf die Felder gepumpt. Das und unter anderem Grundlage der Eiweiß- und Jodversor- löst im Boden enthaltene Salze, die mit dem verdunsten- gung für Milliarden Menschen vor allem in Küstenregio- den Wasser nach oben steigen. Werden sie nicht über nen. Laut Welternährungsorganisation FAO stagnieren fachgerechte Entwässerung abgeführt, reichern sie sich im die Fischereierträge in den Meeren seit 1990 und sind Boden an, der innerhalb weniger Jahre regelrecht versalzt inzwischen sogar rückläufig. Die küstennahe Fischerei – keine Nutzpflanze wächst mehr. mit kleinen Booten ist davon besonders betroffen. Auch in AGRARFLÄCHE PRO KOPF IM VERGLEICH ZUR WELTBEVÖLKERUNG (IN MILLIARDEN) 3,69 4,45 5,23 6,12 6,81 9,50 3.205 m2 2.703 m2 2.372 m2 2.275 m2 2.039 m2 1.500 m2 1970 1980 1990 2000 2009 2050 Quelle: World Bank 2010/11, FAO 10
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE DIE VERTEILUNG DES HUNGERS (ANGABEN IN % DER WELTBEVÖLKERUNG) Industrieländer 1,8 Kaukasusregion und Ostasien Zentralasien 0,7 20,0 Nordafrika 1,6 Westasien 2,3 Südasien Südostasien 7,9 Lateinamerika und Karibik 4,6 Afrika südlich der Sahara 26,6 34,3 Ozeanien 0,2 BRENNPUNKT: Quelle: FAO SOFI 2014 LANDWIRTSCHAFT – BETROFFENE UND MITVERUR- Seen und Flüssen gehen die Fänge zurück. Das ist auch in SACHERIN DES KLIMAWANDELS der starken fischereilichen Nutzung bis hin zur Überfi- schung sowie in der Gewässerverschmutzung begründet. Landwirtschaft ist vom Klima abhängig und reagiert Einen wichtigen Beitrag zur Ernährung bilden laut FAO in daher sensibel auf den Klimawandel, besonders auf die diesem Zusammenhang die Erzeugnisse der Aquakultur. zu erwartende Zunahme klimatischer Extremereignisse wie Dürreperioden und Überschwemmungen. Die Aus- Wo gibt es am meisten Hunger? wirkungen sind sehr ungleich verteilt: Während die Pro- duktivität der Landwirtschaft in den Ländern nördlich Ein Blick auf die weltweite Verteilung des Hungers lässt und südlich des Äquators, also in Teilen Afrikas, Südost- große Unterschiede zwischen den Ländern erkennen. Die asiens und Lateinamerikas, um bis zu 50 Prozent zu sin- Lage in Asien, vor allem in Ost- und Südostasien, hat sich ken droht, könnte sie in den Ländern der Nordhalbkugel seit 1990 deutlich verbessert, ebenso in Mittel- und um bis zu 35 Prozent steigen. Bäuerliche Familien in Ent- Lateinamerika. Zwar leiden auch dort immer noch viele wicklungsländern sind wegen ihrer hohen Abhängigkeit Millionen Menschen unter Hunger und Unterernährung, von der Landwirtschaft am stärksten betroffen. Sie aber ihr Anteil an den Einwohnerzahlen ist gesunken. In haben kaum Möglichkeiten, sich gegen die Folgen des insgesamt 26 Ländern hat sich die Lage verbessert, in 16 Klimawandels zu wappnen. Ländern, überwiegend in Subsahara-Afrika, ist die Versor- gungslage aber nach wie vor sehr kritisch. Die Landwirtschaft trägt jedoch auch zur globalen Erwärmung bei: Sie produziert rund 14 Prozent der Warum haben nicht alle Menschen weltweit emittierten Treibhausgase, 80 Prozent davon Zugang zu Nahrung? werden in Schwellen- und Entwicklungsländern freige- setzt. Die Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Was sind die Gründe für ungleiche Verteilung und man- Lachgas werden von Rindern, bei Düngung, Bodenbear- gelnden Zugang zu Lebensmitteln? Gewiss gehören in beitung, Verbrennung von Ernterückständen und Nass- einigen Regionen Dürren, Überschwemmungen, Erdbe- reisanbau emittiert. Vom Feld bis zum Teller entstehen ben, Epidemien, aber auch Kriege dazu. Sie vernichten die bei einem Kilo Brot etwa 720 Gramm CO2, für ein Kilo Ernten und treffen die Menschen in ländlichen Regionen Rindfleisch rund 13.300 Gramm CO2. besonders hart. Doch überwiegend sind es politische und strukturelle Gründe, die zu Mangel und Unterversorgung Zusätzlich setzt die Rodung von Tropenwäldern zur Ge- führen: das Versagen politisch Verantwortlicher, die winnung von landwirtschaftlichen Flächen im Wald und falsche Entscheidungen über Investitionen oder Infra- in den Waldböden gespeichertes CO2 frei. Das trägt struktur treffen und damit die Bedingungen für Land- ebenfalls wesentlich zur globalen Erwärmung bei. wirtschaft und ländliche Entwicklung verschlechtern. Die Minderung des Ausstoßes landwirtschaftlicher Treibhausgase und die Anpassung der Landwirtschaft an die Folgen des Klimawandels sind wesentlich für die 11 Ernährungssicherung im 21. Jahrhundert.
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE Fehlende Investitionen Nach wie vor aber werden in vielen Ländern Bauern und ländliche Regionen von der Politik gering geschätzt. Investiert wird vor allem in den Städten, wo große Wäh- lerschichten mobilisiert werden können. Um die ärmeren Bevölkerungsschichten dort gewogen zu halten, werden Lebensmittelpreise niedrig gehalten. Die Folge: Landwirte haben keinen Anreiz zum Verkauf, produzieren weniger und haben geringere Einkünfte. Bildung und Ausbildung in den Dörfern werden vernachlässigt, ebenso die Gesund- heitsversorgung, die Elektrifizierung, der Bau und Erhalt von Straßen und der Aufbau eines funktionierenden Finanzwesens. Unsichere Land- und Wassernutzungsrechte erleichtern die Vertreibung von Bauern, Hirten und anderen Land- So trägt etwa die Entscheidung, Straßen in ländlichen nutzern, wenn etwa einflussreiche Investoren ein Auge auf Regionen zu bauen, deutlich zur Ernährungssicherung fruchtbares Ackerland geworfen haben. Vorrangig ist dies eines Landes bei: Bessere Transportwege bedeuten ein Problem in Staaten mit schlechter Regierungsführung schnelleren Zugang der Bauern zu den Märkten und weni- und niedrigen rechtsstaatlichen Standards. So haben ger verdorbene Lebensmittel; der Verkauf von einheimi- einige Länder die Nutzungsrechte für hunderttausende schem Getreide, Gemüse und Früchten schafft höheres von Hektar Land für Jahrzehnte an Investoren übertragen, Einkommen für die Dörfer und motiviert die Bauern, ihre die dort hoch mechanisierte Großfarmen aufbauen und Produktion zu steigern. nicht selten die vorhandenen natürlichen Ressourcen stark beanspruchen. Die Ernten dieser Großbetriebe sind Wenn Regierungen einen Agrarberatungsdienst in häufig nicht für den Verkauf auf den lokalen Märkten ländlichen Regionen finanzieren, der Bauern bei sachge- gedacht, sondern werden in kaufkräftige Abnehmerländer rechter Bewässerung oder Bekämpfung von Schädlingen exportiert. Die einheimischen Bauern müssen auf weniger hilft, wenn Kredite bereitgestellt werden und Schulen in fruchtbare Gebiete ausweichen, wo die Ernten oft nicht ländlichen Regionen besser ausgestattet werden, dann schafft all dies strukturelle Voraussetzungen für Ernäh- rungssicherung und ländliche Entwicklung. Und wenn dadurch junge Leute in den Dörfern eine wirtschaftliche und soziale Perspektive für ihre eigene Zukunft erhalten, wird auch die Landflucht verringert. Günstige Rahmenbedingungen schaffen Warum geschieht nicht in mehr Ländern das Notwendige, warum setzen nicht mehr politisch Verantwortliche auf eine stärkere Förderung der Landwirtschaft und ländli- chen Regionen? Tatsächlich geschieht nämlich genau dies in jenen Ländern, die die Zahl der Hungernden und Unterernährten gesenkt und die Einkommen der Bauern gesteigert haben. „Ein wesentlicher Schritt besteht darin, landwirtschaftli- chen Betrieben günstige Rahmenbedingungen zu bieten, welche die Nachhaltigkeit des Wachstums im Agrarsektor gewährleisten können“, fasst das International Food Policy Research Institute in Washington, eine unabhängi- ge Forschungseinrichtung, das Ergebnis seiner Untersu- chungen zusammen. 12
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE ÜBERERNÄHRUNG NIMMT ZU (ANTEIL DER ADIPÖSEN* AN DER BEVÖLKERUNG / ANGABEN IN PROZENT) * BMI > 30 kg/m2 keine Daten < 10 10 -19,9 20-29,9 > 30 Quelle: WHO 2012 BRENNPUNKT: reichen, um die Familien ausreichend zu ernähren: Ist der ÜBERGEWICHT AUCH IN Zugang zu guten Böden versperrt, wird auch der Zugang zu Einkommen und Nahrung verwehrt. ENTWICKLUNGSLÄNDERN AUF DEM VORMARSCH Geringschätzung der Landwirte, Vernachlässigung ländlicher Regionen, fehlende politische Teilhabe der Das Einkommen vieler Millionen Menschen in Asien, Latein- Landbevölkerung, Unkenntnis der Menschen über ihre amerika und Afrika steigt. Sie werden als die „neuen Mittel- Rechte und oft auch Korruption bilden den „Nährboden“ schichten“ der Schwellen- und Entwicklungsländer be- für Armut. So entsteht eine paradoxe Situation: Drei von zeichnet, ihre Zahl wächst und wird Mitte des Jahrhunderts vier unterernährten Menschen leben auf dem Land, fast die Milliardengrenze erreichen. Wie zuvor in den industria- alle produzieren selbst Nahrung – für eine ausreichende lisierten Ländern und gesunde Ernährung allerdings zu wenig, und sie sind ändern sich mit mehr Wohlstand auch Lebensstil und Kon- zu arm, um Nahrung hinzukaufen zu können. sumgewohnheiten. Sitzende Tätigkeiten nehmen zu, ebenso der Verzehr von Fleisch, Zucker, Süßgetränken, Milchpro- Frauen und Kinder sind besonders betroffen: Zu den dukten, Fett, Pflanzenölen und politischen und strukturellen Ursachen kommen in vielen generell von verarbeiteten Lebensmitteln, während der von ärmeren Ländern kulturelle Traditionen und nachteilige Hülsenfrüchten, Gemüse und grobkörnigem Getreide zu- Gesellschaftsstrukturen hinzu. In Dörfern und in den rückgeht. Dieser Wandel der Ernährungsgewohnheiten hat Armenvierteln der schnell wachsenden Städte sind Frauen Folgen für die Ernährungssicherung. Eine zunehmende wesentlich häufiger arm und unterernährt als Männer, Fleischproduktion verstärkt die Flächenkonkurrenz zwi- meist sind sie schlechter ausgebildet und haben deshalb schen Lebens- und Futtermitteln. Die veränderten Verzehr- weniger Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu verdie- und Lebensgewohnheiten führen zu mehr Fettleibigkeit und nen. Auf den Dörfern haben Frauen oft schlechteren „Wohlstandskrankheiten“ wie Bluthochdruck; Diabetes gilt Zugang zu Land und anderen produktiven Ressourcen. heute schon als die neue „afrikanische Volkskrankheit“. Wo Zum Teil auch aus Unwissenheit werden Kinder oft nicht ehedem überwiegend Unterernährung herrschte, treten ausgewogen ernährt. heute vermehrt Fehl- und Mangelernährung auf, auch bei den ärmsten Bevölkerungsgruppen. Unter-, Fehl- und Man- gelernährung kommen sogar gleichzeitig in ein und dem- selben Haushalt vor. 13
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE Lösungswege zur Ernährungs- In anderen Bereichen zeichnen sich ebenfalls positive sicherung Tendenzen ab: Wo vielerorts kleine Familienbetriebe keinen Zugang zu Krediten hatten, bieten heute verschie- Wie lässt sich die Ernährung sichern? Mit dieser Frage dene Formen der Mikrofinanzierung Darlehen zu akzep- befassen sich Agrar- und Ernährungswissenschaftler, tablen Zinssätzen. Ökonomen und Ökologen weltweit. Sie entwickeln unterschiedliche Lösungsansätze, aber alle gehen von Auch die Agrar- und Ernährungsforschung liefert neue einer Erkenntnis aus: Die Landwirtschaft der Zukunft Erkenntnisse und ein besseres Verständnis kleinbäuerli- wird sich an den Prinzipien der Nachhaltigkeit und eines cher Landwirtschaft. Forscher arbeiten an nachhaltigem effizienteren Ressourceneinsatzes orientieren müssen. Pflanzenschutz und an Bodenverbesserung, züchten Gemüse- und Obstsorten, die ertrag- und nährstoffreich Einige Beispiele: Schon mit wenig Aufwand lässt sich der und widerstandfähiger gegen Schädlinge oder Trocken- Verlust fruchtbaren Ackerbodens stoppen. heit sind. Dabei kommen auch fast vergessene lokale Getreide- oder Gemüsesorten zum Einsatz, die oft besser → K leine Regenwasserrückhaltewälle und Hecken als an die jeweiligen Standortbedingungen angepasst sind. So Windschutz auf den Feldern mindern Bodenerosion trägt die Forschung zu höherer Produktivität und Nähr- durch Regen und Wind. stoffdichte sowie zum schonenden, effizienteren Umgang mit den natürlichen Ressourcen bei. → Die dosierte „Tröpfchenbewässerung“ direkt an den Pflanzenwurzeln ist effizienter als großflächige Feldbe- Welche Perspektiven haben wässerung, bei der viel Wasser verdunstet und zu Kleinbauern? Bodenversalzung führt. Damit die bäuerlichen Familienbetriebe weiterhin das → Aufeinander abgestimmte Mischpflanzungen, wie Rückgrat der Welternährung bilden, müssen sie Produkti- Kaffee- und Kakaobäume zusammen mit Bananen- on und Produktivität nachhaltig steigen. Ohne Moderni- stauden, steigern mit geringem Arbeitsaufwand die sierung der ländlichen Regionen und ohne Professionali- Erträge und schonen die Böden. sierung der Landwirte wird dies nicht gelingen. Ihre 14
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE Zukunft und mit ihnen die Zukunft der Welternährung BRENNPUNKT: insgesamt kann nicht in der Subsistenzwirtschaft (Selbst- LEBENSMITTELPREISE UND versorgung) liegen. SPEKULATION Die kleinbäuerlichen Produzenten müssen die Märkte besser kennen und beliefern können. Vor allem der Seit 2000 kam es auf den Weltmärkten für Agrarrohstoffe Zugang zu den Märkten der Ballungsräume stellt viele zu heftigen Preisschwankungen mit extremen Preisspitzen. Kleinbauern vor große Herausforderungen. Dort etablie- Sie hatten problematische Auswirkungen auf die Ernäh- ren sich zunehmend große Handelsketten, die von ihren rungslage, vor allem in den am wenigsten entwickelten Lieferanten stetig und zuverlässig gleichbleibende Quali- Ländern. Entwicklungen bei den fundamentalen Faktoren tät erwarten. Eine Chance für die Familienbetriebe: In (unter anderem wachsende Weltbevölkerung, verändertes Genossenschaften zusammengeschlossen, können sie Konsumverhalten in Schwellenländern, Nachfrage nach Produktion, Verarbeitung und Vermarktung ihrer Bioenergie, begrenztes Vorhandensein von Anbaufläche, Erzeugnisse gemeinsam und effektiv organisieren. abnehmende Verfügbarkeit von fossiler Energie und von Wasser, Ressourcenverknappung in ökologisch sensiblen Eine andere Form des Marktzugangs ist die Vertragsland- Regionen durch den Klimawandel) treiben langfristig das wirtschaft, bei der der künftige Käufer, etwa eine Lebens- Preisniveau. Zudem ist auch künftig mit großen Schwan- mittelfirma, die Abnahme von Erzeugnissen zu einem kungen bei den Nahrungsmittelpreisen zu rechnen. vereinbarten Zeitpunkt und Preis garantiert. Gerade kleinbäuerlichen Betrieben kann das Vorteile bringen: Die Warentermingeschäfte sind ein nützliches Instrument für Abnahme- und Preisgarantien bieten Sicherheit für die die Agrar- und Ernährungswirtschaft, sich gegen unerwar- Vorfinanzierung des Anbaus und senken das Absatzrisiko. tete Preisschwankungen abzusichern. Andererseits liefern die Börsen, an denen Warentermingeschäfte stattfinden, Eine moderne Marktproduktion mindert also keineswegs Signale über die aktuelle und zu erwartende Preisentwick- die Chancen kleiner Betriebe. „Klein“ ist ohnehin ein lung. Warenterminmärkte müssen daher vor exzessiver relativer Begriff, denn in fruchtbaren Regionen von Spekulation und Marktmissbrauch geschützt werden. An- Entwicklungsländern kann ein bäuerlicher Betrieb auch sonsten können Fehlsignale unter Umständen die Preisbil- mit wenigen Hektar ein ausreichendes Einkommen dung an den physischen Märkten verzerren. erzielen. Andernorts werden die Flächen größer sein müssen, um unter Berücksichtigung ökologischer wie In diesem Sinne unterstützt die Bundesregierung auch die ökonomischer Aspekte nachhaltig ein ausreichendes aktuellen Finanzmarktreformen auf EU-Ebene im Hinblick Einkommen erwirtschaften zu können. auf Agrarterminmärkte. Ihr Fokus sind die Schaffung von Transparenz an den Warenterminmärkten für Agrarroh- All das kann das Einkommen der ländlichen Bevölkerung stoffe sowie eine angemessene Regulierung, die die positi- in Landwirtschaft, Handwerk und Dienstleistungen ven Eigenschaften der Warenterminmärkte nicht abwürgt. steigern. Nur wenn sich Leben und Arbeiten in den Die entsprechenden Gesetzgebungen in Europa und den ländlichen Regionen „lohnen“, wenn dort die Lebensbe- USA (wo sich die Leitbörsen für Agrarrohstoffe befinden) dingungen und die Zukunftsaussichten besser werden, sind im Wesentlichen bereits angepasst. kann die Welt auch ausreichend ernährt und Landflucht vermieden werden. 15
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE 2 Warum steht auch Deutschland in der Verantwortung? Es gibt viele gute Gründe für die Bundesregierung, sich aktiv für eine gesicherte Welternährung zu engagieren: Hunger sowie Fehl- und Mangelernährung verursachen menschliches Leid. Dem zu begegnen, ist eine zutiefst humanitäre Aufgabe. Doch es gibt weitere Gründe, dazu beizutragen, dass alle Menschen jederzeit ausreichend mit Le- bensmitteln versorgt sind, um ein aktives und gesundes Leben führen zu können. Wo es an Ernährungssicherung mangelt, sind die soziale und politische Stabilität gefährdet und Frieden und Sicherheit bedroht. Agrar- und Ernährungspolitik dienen der Krisenprävention und sind damit Teil einer aktiven Friedenspolitik. Vor allem aber ist das Recht auf Nahrung ein universell geltendes Menschenrecht. Eine leistungsfä- hige und nachhaltige Landwirtschaft ist eine wichtige Grundlage, um dieses Menschenrecht für alle zu verwirklichen. 16
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE Das Menschenrecht auf Nahrung Hunger, Mangel- und Fehlernährung zu beseitigen, ist nicht nur die Aufgabe jener Länder, in denen es an Lebensmitteln mangelt. Es ist eine globale Aufgabe. Angesichts der Welternährungskrisen und Hungersnöte in den 1970er und 1990er Jahren setzte sich die Erkennt- nis durch, dass viele gemeinsame Anstrengungen nötig sind, um Ernährungssicherung zu erreichen und das Menschenrecht auf Nahrung zu verwirklichen. Es besagt, dass Menschen entweder Zugang zu Ressourcen haben müssen, die sie dazu befähigen, in Quantität und Qualität ausreichende Nahrung zu produzieren, oder genug zum Erwerb von Nahrung verdienen müssen, um sich nicht nur vor Hunger zu schützen, sondern darüber hinaus Gesundheit und Wohlbefinden abzusichern. Nur in BRENNPUNKT: Ausnahmefällen – etwa bei Katastrophen oder bei er- WAS BEDEUTET DAS werbsunfähigen Menschen – bedeutet dies klassische Lebensmittel- oder Sozialhilfe, um Leben und Gesundheit MENSCHENRECHT AUF von Menschen zu erhalten. Eine besondere Verpflichtung NAHRUNG? haben die Staaten gegenüber verletzlichen Gruppen wie Kindern, Frauen, kranken und alten Menschen sowie In Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Men- gegenüber Landlosen und Armen. schenrechte der Vereinten Nationen von 1948 heißt es: „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, Leitlinien zur Verwirklichung des der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl Menschenrechts auf Nahrung gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige so- Im November 2004 hat die Welternährungsorganisation ziale Leistungen (...).“ Völkerrechtlich verankert ist das FAO der Vereinten Nationen die „Freiwilligen Leitlinien Menschenrecht auf Nahrung im Internationalen Pakt zur Unterstützung der schrittweisen Verwirklichung des über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Rechts auf Nahrung im Kontext nationaler Ernährungssi- (Sozialpakt) von 1976, dem bislang über 160 Staaten cherung“ beschlossen. Die Bundesregierung hat durch das beigetreten sind. Gemäß Artikel 11 (1) erkennen die Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Vertragsstaaten „das Recht eines jeden auf einen an- (BMEL) die Entwicklung dieser freiwilligen Leitlinien gemessenen Lebensstandard für sich und seine politisch und finanziell maßgeblich unterstützt. Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Die Leitlinien fordern von den Staaten verstärkte An- Verbesserung der Lebensbedingungen“. In Artikel 11 strengungen zur Bekämpfung des Hungers und geben (2) bestätigen sie, dass dringlichere Maßnahmen er- Handlungsempfehlungen, um das Recht auf angemessene forderlich sind, um „das grundlegende Recht eines Nahrung zu verwirklichen, etwa zur rechtlichen und jeden, vor Hunger und Mangelernährung geschützt institutionellen Verankerung von Menschenrechten, zu zu sein“, zu gewährleisten. Das Recht auf Nahrung sicherem Zugang zu Produktionsressourcen wie Land, umfasst damit sowohl das Prinzip der Zugänglichkeit Wasser oder Saatgut, zur Verbesserung von landwirt- als auch das Prinzip der Verfügbarkeit. Staaten müs- schaftlichen Strukturen, Produktivität und Vermarktung sen einen existierenden Zugang zu Nahrung respek- sowie zum Aufbau sozialer Sicherungssysteme. Die tieren, also jede Handlung unterlassen, die Menschen Leitlinien dienen Staaten, Medien und Zivilgesellschaft ihres vorhandenen Zuganges zu Nahrung beraubt. im weltweiten Kampf gegen Hunger und Mangelernäh- Staaten müssen den Zugang zu Nahrung vor Über- rung als wichtige Orientierung für mehr innerstaatliche griffen Dritter schützen, sei es durch Gesetze oder Verantwortung und gute Regierungsführung. polizeiliche Maßnahmen. Staaten müssen den Zugang zu Nahrung gewährleisten, falls dieser noch nicht vorhanden ist. Auch Unternehmen haben eine politische Verantwortung, das Menschenrecht auf Nahrung zu respektieren und dürfen nicht zu seiner Verletzung beitragen. 17
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE SICHERE WELTERNÄHRUNG – AUFGABE FÜR ALLE Für Stabilität und Sicherheit sorgen Ernährungspolitik ist immer auch Sicherheitspolitik. Fünf triftige Gründe für das deutsche Engagement: Territoriale Konflikte sind häufig auch Konflikte um → Das Menschenrecht auf Nahrung verpflichtet die Staa- Ressourcen, vor allem um Land oder Wasser. Raubbau, ten verbindlich zum Handeln. Vertreibungen von Kleinbauern oder Vernachlässigung → Ernährungssicherung kann nicht allein durch Entwick- der Bedürfnisse der Landbevölkerung verstärken diese lungs- und Schwellenländer erreicht werden. Wirkung. Wem verwehrt wird, auf seinem Land etwas → Eine weltweit klimafreundlichere und ressourcenef- fizientere Agrar- und Ernährungswirtschaft liegt in anzubauen, der hat keinen Erwerb. Wer keinen Erwerb unserem Interesse. hat, ist in seiner Existenz bedroht und verliert die Pers- → Eine zuverlässige Nahrungs- und Rohstoffversorgung pektive. Das führt zu Entwurzelung und Verdrängung der liegt auch im Interesse deutscher Verbraucher und der ländlichen Bevölkerung und kann die Stabilität ganzer Lebensmittelindustrie. Regionen bedrohen. Umgekehrt gefährden Konflikte → Ernährungspolitik ist auch Friedens- und wiederum die Nahrungsversorgung. Eine Förderung der Sicherheitspolitik. Landwirtschaft und ländlicher Regionen hingegen stärkt die regionale politische Stabilität. Daher müssen die Regierungen der betroffenen Länder darin unterstützt werden, das Recht auf Nahrung auch zu verwirklichen. WASSERVERBRAUCH IM VERGLEICH (PRO KILO) Umwelt und Klima schützen Die Produktion von Lebensmitteln für die Menschheit Kartoffeln: 250 l benötigt große Mengen natürlicher Ressourcen. Es liegt in unserem Interesse, an diesen begrenzten Ressourcen keinen Raubbau zu betreiben, sondern sie durch die weltweite Verbreitung moderner, effizienter und nachhal- tiger Anbaumethoden zu erhalten. Die Landwirtschaft ist schon heute weltweit der größte Wasserverbraucher: Über 70 Prozent der weltweiten Süßwassernutzung gehen auf Rindfleisch: 15.500 l ihr Konto. Um ein Kilo Rindfleisch zu produzieren, werden insgesamt über 15.000 Liter Wasser benötigt, für die gleiche Menge Kartoffeln nur 250 Liter. Werden in weniger entwickelten Ländern mehr Futtermittel ange- baut, um den wachsenden Fleischbedarf zu bedienen, kann das auch den Wassermangel verschärfen. Mit Methan und Lachgas, die zum Beispiel beim Nassreisan- Quelle: UN DESA 2012, BMUB 2014 bau und bei der Rinderhaltung entstehen, zählt die Landwirtschaft zu den Quellen von Treibhausgasen. Um den wachsenden Bedarf zu befriedigen, muss auf vorhandenen Flächen und mit dem vorhandenen Wasser mehr erzeugt werden. Die Ressource Wasser muss effizi- enter und nachhaltiger eingesetzt werden, nicht nur in den Industrieländern, sondern auch bei den Millionen Kleinbauernfamilien in den Entwicklungsländern. So können Umwelt und Klima geschützt werden. In den Erzeugerländern Einkommen sichern Investitionen in die Landwirtschaft in den Schwellen- und Entwicklungsländern stärken die Kaufkraft der Bevölkerung vor Ort und tragen wesentlich dazu bei, das Menschenrecht auf Nahrung zu verwirklichen. Vor allem Kleinbauern spielen hierbei eine wichtige Rolle: Sie sorgen in besonderem Maße für die lokale Ernährungssicherung – durch heimische Produkte, zum Beispiel Hirse oder 18
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE Maniok. Gleichzeitig sind sie mit erheblichen Einschrän- 80 Milliarden Euro. Der Export aus der EU in die Entwick- kungen konfrontiert, indem sie wenig Zugang zu Bildung, lungs- und Schwellenländer ist demgegenüber mit etwa Gesundheitsdiensten, Märkten und Krediten haben. 58,3 Milliarden Euro (2013) deutlich geringer. Für die Daher empfiehlt zum Beispiel der Welternährungsaus- Entwicklungs- und Schwellenländer ist die EU im interna- schuss der Vereinten Nationen (Committee on World Food tionalen Vergleich auch ein besonders offener Absatz- Security, CFS) mehr öffentliche Investitionen in Straßen, markt. Sie liefern in die EU zollfrei oder zu niedrigen Energie und Telekommunikation, in das nachhaltige Zollsätzen mehr Agrarprodukte als in die USA, nach Kana- Management von Wasser und genetischen Ressourcen für da, Japan, Australien und Neuseeland zusammen. Ernährung und Landwirtschaft sowie in die Erhaltung von Böden und Wäldern. Bei der Stärkung der kleinbäuer- Verbraucher und Lebensmittelwirtschaft in Deutschland lichen Strukturen legt die Bundesregierung besonderes sind in hohem Maße auf eine sichere Versorgung mit Augenmerk auf die Beteiligungsrechte von Frauen und Lebensmitteln und Agrarrohstoffen in gleichbleibend Mädchen. Internationalen Schätzungen zufolge könnte hoher Qualität aus Entwicklungs- und Schwellenländern die Zahl der Hungernden weltweit um über 100 Millionen angewiesen. Daher liegt eine weltweit leistungsfähige, reduziert werden, wenn Frauen denselben Zugang zu konkurrenzfähige Landwirtschaft, die auch die kleinbäu- Land, Bildung und Technologie hätten wie Männer. erlichen Familien angemessen ernährt, genauso in unserem Interesse wie ein gleichberechtigter, freier Voneinander profitieren – Zugang der Schwellen- und Entwicklungsländer zu den globale Verantwortung internationalen Lebensmittel- und Rohstoffmärkten. Die EU ist für Schwellen- und Entwicklungsländer ein Aber auch die Verbraucher in Deutschland können wichtiger Absatzmarkt. Zu einem großen Teil liefern sie Verantwortung übernehmen: Zum Beispiel sorgsam mit wichtige Erzeugnisse, die nicht oder kaum mit EU-Pro- dem wertvollen Gut Nahrung umgehen, indem sie weni- dukten konkurrieren: südländisches Obst und Gemüse ger Lebensmittel wegwerfen oder gezielt nachhaltig sowie Kaffee, Kakao und Tee, aber auch verschiedene erzeugte Produkte kaufen. Das Konsum- und Ernährungs- Rohstoffe. Rund 70 Prozent der Agrarimporte und etwa verhalten in Industrieländern wie Deutschland kann 50 Prozent der Exporte werden mit den Entwicklungs- tendenziell auch zur Verknappung und damit zur Steige- und Schwellenländern getätigt. Aus diesen Ländern rung der Preise für Lebensmittel beitragen. Und die trifft importierte die EU 2013 Agrargüter im Wert von etwa die Ärmsten der Armen am stärksten. DAS MENSCHENRECHT AUF NAHRUNG: WICHTIGE SCHRITTE ZUR VERWIRKLICHUNG 1948 Das Recht auf Nahrung findet Eingang in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. 1976 Mit dem Inkrafttreten des UN-Sozialpakts wird das Menschenrecht auf Nahrung völkerrechtlich verankert. 1996 Auf dem Welternährungsgipfel wird das Recht auf Nahrung bekräftigt. Die Staaten werden aufgefordert, die Zahl der Hungernden bis zum Jahr 2015 zu halbieren. 2000 In die Millenniums-Entwicklungsziele findet das Ziel Eingang, den Anteil der hungernden Menschen zu halbieren. 2002 Der zweite Welternährungsgipfel fordert freiwillige Leitlinien, nach denen die Staaten das Recht auf angemessene Ernährung schrittweise umsetzen. 2004 Die Welternährungsorganisation FAO beschließt die „Freiwilligen Richtlinien zur Implementierung des Rechts auf Nahrung“. An der Entwicklung war das BMEL federführend beteiligt. 2009 Auf dem dritten Welternährungsgipfel werden Grundlagen für eine „globale Partnerschaft für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit“ gelegt. Ein Netzwerk aus UN-Organisationen, Geber- und Entwicklungsländern soll Maßnahmen zur Welternährung koordinieren. 2012 Der Ausschuss für Welternährungssicherung (CFS) verabschiedet die „Freiwilligen Leitlinien für die verantwortli- che Regulierung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern im Rahmen der nationalen Ernährungssicherung“ (VGGT). 2014 Der Ausschuss für Welternährungssicherung (CFS) verabschiedet einen Katalog mit Prinzipien für verantwortliche Investitionen in Landwirtschaft und Nahrungsmittelsysteme (RAI-Prinzipien). Wird das Recht auf Nahrung als grundlegender Anspruch anerkannt, so hat das entscheidenden Einfluss auf die Strategien gegen Hunger. Wird Hunger als Schicksalsschlag verstanden, verursacht durch äußere Umstände wie Dürre oder Krieg, so wird eher mit karitativen Hilfslieferungen reagiert. Nahrung als Rechtsanspruch erfordert dagegen strukturelles und politisches Vorgehen gegen die Ursachen von Hunger und Mangelernährung. 19
WELTERNÄHRUNG VERSTEHEN | FAKTEN UND HINTERGRÜNDE 3 Wie lässt sich die Ernährung sichern? Die Ernährung der Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert erfordert nicht allein eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. Denn es geht um mehr als um die Bekämpfung von Hunger und kalorischer Unterversorgung. Gefragt ist ein ganzheitlicher Ansatz, der auch die Qualität und Vielfalt der Ernährung im Blick hat. Ernährungssicherung mit all ihren Aspekten – Verfügbarkeit von und Zugang zu Lebensmit- teln, Verwertung der vorhandenen Nahrung im Körper und Dauerhaf- tigkeit der Versorgung – steht in einem gesundheitlichen, gesellschaft- lichen, wirtschaftlichen und ökologischen Zusammenhang. Diese Herausforderungen kann kein Land allein bewältigen. Es liegt auch in der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, Hunger zu bekämpfen und das Menschenrecht auf angemessene Nahrung zu verwirklichen. Eine wichtige Rolle spielt dabei naturgemäß die Agrar- und Ernährungspolitik, doch die Probleme – etwa Armut oder Klima- wandel – erfordern ein kohärentes Engagement aller Politikfelder. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) setzt sich in internationalen Institutionen und politischen Prozessen dafür ein, eine übergreifende Politik für eine gesunde und ausgewoge- ne Ernährung zu gestalten. Durch Projekte vor Ort stärkt das Ministe- rium den Aufbau einer leistungsfähigen und nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft. 20
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