TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE - KreativLandTransfer

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TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE - KreativLandTransfer
TRANSFERKONZEPT
KÜNSTLERSTADT KALBE
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INHALT                                                                                                                    TRANSFERKONZEPT
                                                                                                                          KÜNSTLERSTADT KALBE   2
1. WIE ALLES BEGANN … .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                    3
   1.1. Idee, Vision & Motivation  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                                     3
   1.2. Phase 0: Startbedingungen  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .                                              6
   1.3. Gründung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .       7

2. DAS SIND WIR .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 8
   2.1. Die Menschen der Künstlerstadt Kalbe . 9
   2.2. Mitgliedergewinnung und -bindung .  . 10
   2.3. Haupt- und Ehrenamt .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 13

3. WIR UND ANDERE .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 16
   3.1. Bevölkerung vor Ort .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 16
   3.2.	Einbindung & Mitwirkung
         ermöglichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  25

4. WEGGEFÄHRT:INNEN  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 28
  4.1. Kooperationen und Netzwerke  .  .  .  .  .  .  . 28
  4.2.	Lobbying und politische
       Kommunikation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

5. OHNE MOOS NIX LOS …? .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 34
   5.1. Startkapital  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 34
   5.2. Finanzen am Anfang .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 34
   5.3. Unsere Einnahmequellen .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 34

6. LEBENSraum .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 37
   6.1.	Unser Umfeld (Umfeldfaktoren wie
         Umwelt, Wirtschaft, Soziales)  .  .  .  .  .  .  .  .  . 37
   6.2.	Unser Beitrag zur Regional- und
         Stadtentwicklung .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 38

7. LUXUS DER LEERE .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 41
   7.1. Mieten, Nutzen, Pachten, Besitzen .  .  .  .  . 41
   7.2. Rund ums Bauen .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 43

8. WERBUNG  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 44
  8.1. Außendarstellung  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 45
  8.2. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit .  .  .  . 45
  8.3. Markenentwicklung  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 47
  8.4. Storytelling Strategien .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 49

ANHANG .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 50
Handout - Workshop: Fördermittel finden! .  .  . 51
Veranstaltungen 2019 .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 53
TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE - KreativLandTransfer
1. WIE ALLES BEGANN ...                                                    TRANSFERKONZEPT
                                                                           KÜNSTLERSTADT KALBE               3
Jeden Morgen aus dem Fenster         1.1. Idee, Vision & Motivation        Künstler:innen um mich haben.
zu blicken und leere Gebäude                                               Mittelfristig: verschiedenste Kultur-
vor sich zu sehen, abends in eine    Die Rolle der Protagnostin/           angebote, die Spaß machen, Men-
Straße zu fahren und zu überle-      des Protagonisten                     schen zusammenbringen, neue
gen, wie lange es dauern würde                                             Ideen für den ländlichen Raum ge-
bis weitere Häuser unbelebt wä-      Gruppen formieren sich immer          nerieren und langfristig: ich möch-
ren, machen das Problem des          um eine Person, die eine span-        te mit 80 Jahren mit meinem Rol-
Leerstands überdeutlich. Und         nende Idee einbringt. Die Anhän-      lator durch Kalbe flitzen und mir
auch das Stadtbild verändert         ger:innen dieser Idee sind Men-       überlegen müssen, ob ich erst zu
sich, wenn Menschen weniger          schen, die durchaus auch andere,      dem Atelier der neuen Künstlerin
werden. Letztlich ist es dann nur    weitere Bedürfnisse mit dieser        gehe oder doch noch ins Künst-
eine Frage der Zeit, wann die In-    Projektidee befriedigen. Das ist      ler:innencafé, um dann am Abend
frastruktur wegbrechen wird und      von Vorteil, da sich das Gruppen-     die Lesung zu besuchen.
die Lebensqualität derart ge-        verhalten umso kohäsiver zeigt,       Die eigenen Gründe für so viel
sunken ist, dass man schließlich     je mehr Menschen in der Grup-         Aktivität transparent zu machen,
auch die Koffer packt und geht.      penzugehörigkeit etwas sehen          ist enorm wichtig für die soziale
Gleichzeitig sieht man immer         können, was sie brauchen oder         Umgebung. Würden andere diese
mehr Potentiale und wundert          weiterbringt.                         Gründe nicht kennen, kämen sie
sich, dass niemand anderes diese     Auch ich habe eine sehr persön-       sich womöglich missioniert vor.
auch sieht. Das heißt: es ist not-   liche Motivation die Vision der       Der Widerstand gegenüber dem
wendig andere mit einzubeziehen,     Künstlerstadt zu verwirklichen:       Projekt wäre vermutlich größer.
wie die Stadt und die Region er-     eine kurzfristige: ich will auf be-
lebt wird und welche „verrückten“    lebte Häuser schauen, möchte,
Ideen ausgesponnen werden kön-       dass die Straße, die Stadt wie-
nen für eine „bessere Zukunft“.      der belebt wird, und ich will mehr
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Vision + Idee                          auch „verrückt“ sein, d. h. weit     TRANSFERKONZEPT
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                                       nach vorne blicken. Verrückte
Eine Idee oder eine Vision ist nicht   Ideen sind erstmal nichts weiter
zu verwechseln mit einem Gedan-        als für die meisten Menschen                      FÜLLE
kenblitz. Vielmehr ist es ein Pro-     ungewohnte Gedanken. D. h.
zess, der mit einer Bedingungs-        diese haben noch nicht in eine                    IN DIE
analyse beginnt, die mehr oder         solche Richtung gedacht, wür-                     HÜLLE
weniger bewusst vonstattengeht.        den vielleicht auch nie in solche
Daraufhin werden Informationen         Richtung bereit sein zu denken,
gesammelt und ausgewertet.             oder sie sehen die Notwendig-
Hinzu kommen Beobachtungen             keit der Problematik nicht, so-      funktioniert nur dann, wenn sie in
anderer Projekte, das Einschät-        dass sie auch darüber nicht          eine plausible, nachvollziehbare
zen der eigenen Motivation, si-        nachdenken müssen. Eine Idee         Geschichte gepackt wird. Wenn
cherlich auch der ein oder andere      für eine Stadt- und Regionalent-     jemand, der noch nie mit Kunst
Gedankenblitz und aus all dem          wicklung zu entwerfen, ist zu-       in Verbindung stand, plötzlich
formiert sich letztlich die Vision     dem auch nicht jedermanns In-        eine Künstlerstadt gründet, wür-
und das Projekt.                       teresse. Die Idee muss jedoch,       de man sich automatisch fragen:
Wir starteten mit dem Slogan „Fül-     wenn sie Kraft entwickeln soll,      Wieso jetzt diese Wendung, wie-
le in die Hülle“ und griffen damit     in eine schöne Geschichte ein-       so dieser Inhalt, warum jetzt die
etwas auf, was viele Kalbenser:in-     gewickelt werden. Dadurch wird       Handlung erfolgt. Hierzu müsste
nen auch störte: den zunehmen-         sie erzählbar, interessant und       man schon sehr schlüssig ent-
den Verfall der Altstadt. Das war      wird diskutiert.                     sprechende Angaben machen
konkret und die Idee mit Kunst         Wer äußert die Idee oder die         können, um glaubhaft zu wirken.
und Kultur dem Leerstand zu be-        Vision? Es ist ein bedeutsamer       Für die Person ist es wichtig zu
gegnen nachvollziehbar. Es gab         Unterschied, wer eine Idee oder      klären, was geschieht, im Falle
schließlich auch keine andere Idee     Vision nach vorne bringen will.      des Scheiterns der Projektidee:
mit leeren Häusern umzugehen,          Ist dieser Mensch anderen be-        Kann ich dann trotzdem in dem
zumal die Besitzenden oftmals          kannt, vertrauenswürdig? Weiß        Ort bestehen/leben; wie viel Aus-
über nicht genügend finanzielle        man etwas über den Hintergrund       dauer kann ich aufbringen, bis
Mittel verfügten, um diese Objekte     der Person, meint sie es gut mit     erste Erfolge zu sehen sind; wie
zu sanieren. Die Idee einer Künst-     und für die Gemeinschaft, oder       gehe ich mit Dürrephasen um,
lerstadt war hingegen sehr abs-        will sie nur für sich etwas bewir-   d. h. mit Zeiten, in denen sich
trakt. Schließlich kennt man keine     ken? Wie notwendig ist die Um-       nichts entwickelt; kann ich mit
solche, weiß nicht was dann in ei-     setzung der Idee oder die Vision     Ablehnung und Widerspruch um-
ner solchen Stadt geschehen wür-       für die betreffende Person? Ist      gehen; wie dringend und drän-
de. Zeitgenössische Kunst stellten     sie finanziell abhängig von dem      gend ist mir die Problematik, für
sich die meisten sicherlich nicht      Erfolg der Umsetzung?                die ich eine Lösung suche wirk-
vor, sondern eher Kunsthandwerk,       Hier im ländlichen Raum ist die      lich; bin ich bereit auf anderes zu
kleine Läden mit schönen Dingen        Kenntnis des Visionärs/der Vi-       verzichten, wenn das Projekt es
darin und Skulpturen im Außen-         sionärin noch wichtiger. In urba-    erfordert; bin ich finanziell frei,
raum. Mit der Idee der sozialen        nen Kontexten spielt sie dagegen     dass ich auch anfängliche finan-
Skulptur hatten sich die wenigsten     eher eine geringe Rolle. Je größer   zielle Einsätze tätigen kann, ohne
bisher beschäftigt und sicherlich      die Stadt, desto unwichtiger wird    in Not zu geraten (Ehrenamt wird
ist sie bis heute vielen noch eher     der Hintergrund, den ein/eine Vi-    häufig auch über das eigene
fremd geblieben.                       sionär:in hat. Im ländlichen Raum    Portemonnaie mitfinanziert, be-
Wichtig: Es muss noch nicht ab-        dient die persönliche Geschichte     sonders in der Startphase).
schließend alles durchdacht und        der Einordnung, inwieweit die ge-    Sicherlich uns, bzw. mir wurden
fertig sein. Eine unfertige Idee,      machten Aussagen kongruent,          diese Fragen nicht explizit ge-
ein vages Konzept impliziert eine      sprich nachvollziehbar mit dieser    stellt. Und es gab auch Zeiten, in
Einladung zum weiteren Ausspin-        Person verbunden werden kön-         denen ich nicht sicher war, ob ich
nen und Mitverfassen. Es darf          nen. Eine völlig abwegige Idee       weitermachen wollte.
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Motivationslöcher                     gerade zu viel Energie in Projekte   TRANSFERKONZEPT
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                                      gesteckt, die schwer weiterzufüh-
Wenn jemand eine Idee hat, die        ren sind, bei denen sich unerwar-
andere noch nie gedacht haben,        teter Weise Hindernisse aufgetan     Ich kann mich erinnern, dass un-
wird dieser Mensch automatisch        haben? Sind diese Projekte für       ser allererstes Workshop-Ange-
zum Leittier. Das muss man aus-       die anderen auch überfordernd,       bot, ein Bienen-Kunst-Workshop
halten/mögen/annehmen können.         muss es eine neue Ausrichtung        (damals waren Bienen-Projekte
Als Leitschaf oder Leithammel         geben, oder muss die Energie-        total out; keiner interessierte sich
einer Gemeinschaft vorzustehen        zufuhr gedrosselt oder in ande-      für Bienen, außer Imker:innen)völ-
bedeutet auch, Motivator:in für       re Projekte verlagert werden?        lig floppte. Große Fragezeichen in
die anderen zu sein. Wenn es gut      Vielleicht stirbt gerade diese       den Gesichtern und keine einzige
läuft, entwickeln die anderen auch    Projektidee – keine Angst da-        Anmeldung, trotz sehr starker Be-
genügend Kraft die anderen zu         vor, nicht schlimm!!! 1 Es kom-      werbung. Heute wäre er der ab-
motivieren. Gerade in schwierigen     men wieder Neue. Oder muss           solute Renner. Wir waren einfach
Zeiten ist es wichtig, sich dieser    man mit diesem Projekt pausie-       der Zeit voraus.
Verantwortung für die Gruppe be-      ren, weil die richtige Zeit noch     Ist die Vision nicht gut in den
wusst zu sein. Da man diese Idee      nicht gekommen ist? Gerade bei       nächsten Schritt übertragen, den
eingebracht hat, gilt es diese auch   sehr innovativen Projekten kann      die Gruppe erkennt und vollzie-
in problematischen Zeiten auf-        es geschehen, dass man so be-        hen mag, kann es auch zu Stö-
rechtzuerhalten oder zu modifizie-    geistert ist von der eigenen Idee,   rungen in der Motivationsstärke
ren, jedoch weiterhin als die Per-    dass man geneigt ist andere zu       kommen. Auch hier einfach als
son zu fungieren, die daran glaubt.   überfordern. Diese weigern sich      Signal werten und genau betrach-
Motivationslöcher gibt es trotz-      dann dieser zu folgen, oder noch     ten, welche möglichen Zwischen-
dem immer wieder. Diese sind          schlimmer: Man erhält gar keine      schritte gemacht werden können.
im Grunde recht wichtige Signa-       Resonanz. Nicht traurig sein:        Verliert die Gruppe oder das lei-
le und deshalb auf jeden Fall zu      das hat nichts mit der tollen Idee   tende Team, oder die ideenfüh-
beachten und auszuwerten. Hilf-       zu tun, sondern mit dem Zeit-        rende Person die Vision aus dem
reiche Fragen sind hierbei: Wird      punkt.                               Blick, kommt es ebenso zu Stö-
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rungen. Der eingeschlagene Weg         ja beruflich mit sogenannten „ver-   TRANSFERKONZEPT
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ist dann nicht mehr nachvollzieh-      rückten“ Menschen zu tun habe.
bar, bzw. wird beliebig. Die Kraft     Insofern wurde mir Seriosität und
innerhalb der Gruppe verliert sich     Kompetenz zugeschrieben.             zigen Umsetzung funktionierte.
in der fehlenden Ausrichtung.          Ich startete, indem ich dem          Also: ein Erkenntnisgewinn. Als
In ein Motivationsloch kann man        Bürgermeister und der Touris-        schlimmsten Ausgang einen Er-
auch abrutschen, weil die eigenen      musbeauftragten der Stadt das        kenntnisgewinn zu verzeichnen,
Kräfte erschöpft sind – auch ein       Konzept vorstellte. Sicherlich       würde ich nicht so schrecklich
wichtiges Signal. Was hilft dann?      kommt es im Leben eines Bür-         erachten, dass ich es nicht ver-
Eine Nacht drüber schlafen, mit        germeisters sehr selten vor, dass    suchen würde wollen. Mit Mut
anderen darüber reden, sich ab-        eine Bürgerin zu ihm kommt und       hat das nichts zu tun. Angst vor
lenken, Distanz gewinnen. Einmal       ein Konzept einer nachhaltigen       sozialer Ächtung („das haben wir
die Vogelperspektive einnehmen         Stadt- und Regionalentwicklung       doch gewusst, dass das nicht
und noch mal genauer hinsehen                                               funktionieren kann“, „war wohl
was gerade läuft, wieder Kraft              DAS IST ABER                    doch zu groß, die Nummer“, „hat
über andere Dinge ziehen, sich
an den Geschehnissen erfreuen,
                                               MUTIG                        sie sich aber übernommen“) hat-
                                                                            te ich nicht, weil ich wusste, dass
die gut gelaufen sind, alles nicht            VON DIR                       diese Menschen, die so etwas
so wichtig nehmen, relativieren,                                            äußern, sicherlich nie ein sozia-
Scheitern als Erkenntniszuwachs        vorlegt. Die Verwunderung da-        les Wagnis eingegangen sind.
begreifen, eine heiße Milch mit        rüber war entsprechend groß.         Bequem in ihrem Leben einge-
Honig trinken und ausschlafen.         Schließlich wurde ich eingeladen,    richtet, urteilen sie.
                                       im Stadtrat das Konzept vorzu-       Der Einbezug der relevant ähn-
1.2. Phase 0:                          stellen. Für die Mitglieder des      lichen Aktiven in der Stadt ist
Startbedingungen                       Stadtrates war es auch eine neue     notwendig. Nicht nur, dass diese
                                       Situation, dass eine Bürgerin un-    Menschen mich kennenlernen,
Sicherlich haben nicht alle die        eigennützig ein Konzept vorlegt.     sondern auch privilegiert als Erste
Problematik des Leerstandes und        So viel Engagement kann man na-      Informationen erhielten und sich
die Folgen des demografischen          türlich nicht ablehnen. Anschlie-    eingebunden fühlen konnten. Zu
Wandels so im Blick. Manche            ßend nahm ich Kontakt zum Kul-       diesem Zeitpunkt ging es noch
Kalbenser:innen waren noch nie         tur- und Heimatverein und zum        nicht um Kooperationen oder Ab-
in der Altstadt und kennen diese       Tourismusverein auf und führte       sprachen, sondern schlicht um
Sicht der Dinge nicht. Menschen        eine öffentliche Informationsver-    Vorstellung des Konzeptes, Fra-
auf ein Problem hinzuweisen,           anstaltung durch, um für das An-     gen klären, eventuell Ideen auf-
welches sie selbst noch nicht er-      liegen Mitwirkende zu finden. Die    nehmen und Mitwirkende finden.
kannt haben, ist nicht so einfach.     Reaktionen waren bunt gemischt:      Vorteilhaft und sicherlich sehr
Wer will sich gerne noch ein wei-      von Überraschung bis Begeis-         wichtig, besonders in der Start-
teres Problem an Land holen?!          terung, Zweifeln, Verwunderung       phase war, dass wir zwei Lokal-
Doch mehr im Hinterkopf als be-        und Unverständnis.                   redaktionen zweier Tageszei-
wusst, nehmen doch viele die Ver-      Auf die Äußerung: das ist aber       tungen in Kalbe haben. Beide
änderungen in ihrer Stadt wahr.        mutig von dir, antwortete ich        Zeitungen berichteten von Be-
Dass ich die Bewohner:innen von        stets: Nein, hierzu bedarf es kei-   ginn der Künstlerstadt an re-
Kalbe darauf hingewiesen habe,         nen Mut. Mit einem Schlauch-         gelmäßig über unsere Aktivi-
stellte sich als Vorteil heraus. Als   boot über das Mittelmeer zu rei-     täten. Gerade Zeitungslesende
kassenärztlich tätige psychologi-      sen, bedarf des Mutes. Aber was      gehören ja meist auch zu der
sche Psychotherapeutin wussten         sollte mir geschehen? Ich werde      Schicht, die Kulturangebote an-
viele von mir, kannten mich auch       nicht ertrinken oder vor Erschöp-    nehmen. Zudem fand unsere
aus anderen Bezügen (Kirchen-          fung sterben. Schlimmstenfalls       allererste Veranstaltung 2013,
chor, Kirchengemeinde, Malkrei-        werde ich die Vision verabschie-     der über 50 Tage dauernde Inter-
se). Und das Wichtigste: Ich konn-     den müssen, aber dann weiß           nationale Sommercampus zur
te ja nicht „verrückt“ sein, da ich    ich, dass diese nicht in der jet-    Zeit der Sommerferien statt,
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                                                                           KÜNSTLERSTADT KALBE              7

                                                                           tholische Pfarrer seine Wohnung
                                                                           zur Verfügung gestellt. Wir hatten
                                                                           also keine Quartiere für unsere
                                                                           ersten Stipendiat:innen. Durch
                                                                           verschiedenste Aufrufe, Briefe an
                                                                           die Eigentümer:innen der leer ste-
                                                                           henden Häuser, unzählige Gesprä-
                                                                           che und Telefonate gelang es uns
                                                                           innerhalb eines Monats genügend
                                                                           Wohnraum und Arbeitsräume zu
                                                                           finden, die in Windeseile geputzt
                                                                           und eingerichtet wurden. Das In-
                                                                           ventar und die Mittel, die dafür
                                                                           benötigt wurden, wurden privat
                                                                           gespendet und kamen von den
                                                                           ersten fleißigen Mitstreiter:innen
                                                                           des Projektes.
                                                                           Der erste Aufruf der Künstler-
                                                                           stadt mitzumachen? Nicht, wie
                                                                           viele denken mögen mit einer
                                                                           Diskussion über Beuys und des-
                                                                           sen Umsetzung des Gedankens
                                                                           einer sozialen Skulptur! Wir riefen
während sich bei den Zeitungen       damit zu tun, dass niemandem so       zum Putzen auf. Das war konkret
das große Sommerloch auftat.         recht klar war, wohin solch eine      genug und zog, wie sollte es im
Das etwas so Ungewöhnliches          Künstlerstadt sich entwickeln         ländlich geprägten Raum anders
stattfand, war ein willkommenes      könnte. Auf derart Unsicheres         sein, ausschließlich Frauen an
Ereignis für die Presse. Im ersten   wollte sich kaum jemand einlas-       mitzumachen. Der Übergang von
Sommercampus wurden alle 15          sen. Hier gab es übrigens den         den Diskussionen über die Vision
Künstler:innen mit ihren Projek-     ersten Zweifel, ob es sich lohnen     der Künstlerstadt hin zur Umset-
ten porträtiert. Das brachte uns     würde, das Projekt weiter zu füh-     zung betrug nur wenige Wochen.
von Anfang an eine sehr gute         ren. Schließlich kam der 13.6.2013    Das ist insofern bedeutsam, da
Wirkung in der Öffentlichkeit ein.   und die Gründungsversammlung          nach einer so entfernten Idee eine
                                     sollte beginnen. Es waren nur zu      Künstlerstadt aus Kalbe zu ma-
1.3. Gründung                        wenige im Raum versammelt, um         chen, Taten folgen mussten. Über
                                     die sieben Menschen für die Ver-      diese Taten konnten die Unver-
Nach den vielen Informations-        einsgründung zusammenzube-            ständigen, die Zweifelnden, aber
veranstaltungen ging es darum,       kommen. Jede und jeder rief noch      auch die Befürwortenden ablesen,
einen Verein zu gründen. Ich hät-    jemanden an und nach einer Stun-      dass der Wandel möglich ist.
te nicht gedacht, dass das so ein    de saßen die Gründungsmitglie-        Merke: Je komplexer ein Projekt,
schwieriges Unterfangen werden       der komplett da. Erstes Ziel des      desto schwieriger wird es sein
würde. Ich zog von Haus zu Haus,     neuen Vereins sollte die Durch-       Menschen zu finden, die verant-
um Klinken zu putzen, sprach alle    führung eines internationalen         wortlich dabei sein wollen. Je
Freund:innen und Bekannte an, sie    Sommercampus werden. Künst-           schneller an Taten ablesbar wird,
mögen doch bitte zur Gründungs-      ler:innen sollten nach Kalbe einge-   worum es geht, desto positiver
versammlung kommen, suchte           laden werden und hier als Artist in   fallen Bewertungen aus. Taten
verzweifelt nach einem Vorstand.     Residenz leben und arbeiten kön-      können stärker überzeugen als
Dass dies so schwierig war, hatte    nen. Nur: Bisher hatte nur der ka-    Worte.
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2. DAS SIND WIR                                                             TRANSFERKONZEPT
                                                                            KÜNSTLERSTADT KALBE   8
Das WIR war nicht von Beginn an      Konzert zweier Stipendiat:innen
da. Am Anfang stand eine Per-        des Sommercampus in einem
son, Corinna Köbele, die diese       aus dem Dornröschenschlaf ge-
„verrückte“ Idee mit der Künst-      weckten ehemaligen Turnraum
lerstadt Kalbe hatte. Als sie das    eines uralten Kindergartens. Vor-
Konzept, welches sie geschrie-       her in Windeseile diesen Raum                   DAS
ben hatte, im Stadtrat vorstellte,   von Brombeeren und Efeu be-
fragte eine Stadträtin, wer denn     freit, geputzt, die Decke gesi-                 WIR
das WIR sei, von dem Frau Köbe-      chert. Dann das Konzert. Der                 WAR NICHT
le immer spreche. Ja, das gäbe       Raum ist übervoll gefüllt, wir
es noch nicht richtig. Sicherlich    schleppen immer weitere Sitzge-              VON BEGINN
seien einige Freund:innen invol-     legenheiten von den Nachbar:in-                AN DA.
viert gewesen, die von den Ideen     nen herbei. Das Pop-Duo begeis-
wüssten, diese aber würden eher      tert die Zuhörer:innen, die lange
milde lächeln und sich denken,       applaudieren. Die Musiker:innen
Ja-Ja, die Corinna, die hat immer    sagen Danke für das tolle Kon-
so verrückte Ideen. Sie würden       zert in dem absolut ungewöhn-
eher nicht dran glauben. Doch        lichen Raum. Wieder brandet der
ich bin sicher, erzählt Frau Köbe-   Applaus auf. Ich sitze in der ersten
le, dass das WIR noch kommen         Reihe und spüre: Jetzt ist das WIR
würde. Vier Monate später: ein       da.
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2.1. Die Menschen                       mengekommen, die anpacken            TRANSFERKONZEPT
                                                                             KÜNSTLERSTADT KALBE            9
der Künstlerstadt Kalbe                 wollen, die sich über das gemein-
                                        same Arbeiten auch sehr gut ver-
Die Künstlerstadt Kalbe ver-            stehen und wertschätzen. Nicht
fügt über eine ganz besondere           die Kenntnis von Kunst war die
Struktur der Mitwirkenden. Fin-         Eintrittskarte, sondern die Lust
den sich solche Initiativen meist       am gemeinsamen Tun und etwas
durch Menschen zusammen, die            durch eigene Kräfte nach vorne
oftmals mit akademischem Hin-           zu bringen. Dementsprechend
tergrund in ein Dorf nahe einer         werden inhaltliche Diskussionen
größeren Stadt hinziehen, dann          sehr pragmatisch geführt und di-
ähnlich Gesinnte suchen und             rekt in den nächsten gewünsch-
starten, ist die Künstlerstadt          ten Schritt abgeleitet.
aus den Reihen der Menschen
entstanden, die schon lange in
                                        Merke: Die ersten Schritte einer
                                        Initiative sind maßgeblich ent-
                                                                                   Nicht die
Kalbe leben und hier verwurzelt         scheidend dafür, wie sich die wei-      Kenntnis von
sind. Da Kalbe weit von einer Me-
tropolregion entfernt liegt, gibt
                                        tere Arbeit gestaltet. Wie wurde
                                        zur Teilnahme eingeladen, wur-
                                                                                Kunst war die
es kaum solche Mitwirkenden,            de über einen Austausch oder            Eintrittskarte,
die das Modell „Landsitz zum
Wohnen, Stadt zum Arbeiten“
                                        über eine Aktion eingeladen,
                                        wurden vorwiegend Freund:in-
                                                                                 sondern die
praktizieren. Unsere Altersstruk-       nen angesprochen oder über                 Lust am
tur ist auch anders aufgestellt.
Die Mehrheit der Mitglieder:in-
                                        eine Zeitung aufgerufen oder
                                        gar über Postwurfsendungen?
                                                                               gemeinsamen
nen befindet sich schon im Ru-          Will man sich von Anfang an ge-       Tun etwas durch
hestand. Jüngere im sehr länd-
lichen Raum sind meistens noch
                                        borgen und sicher fühlen, sind
                                        Freund:innen-Starts vorteilhaft.
                                                                               eigene Kräfte
im Arbeitsprozess und in familiä-       Wird offen aufgerufen, kann es         nach vorne zu
ren Bezügen stark eingespannt,
sodass keine freien Kapazitäten
                                        auch sein, dass Menschen kom-
                                        men, die man noch nicht kennt
                                                                                   bringen.
für eine Arbeit in solch einer Initi-   oder die man nicht gleich am
ative möglich sind. Pendlerzeiten       Anfang sympathisch findet. Für
lassen die Menschen spät nach           die Idee der sozialen Skulptur
Hause kommen, meist wartet              Künstlerstadt Kalbe wäre nur
dann schon eine Familie.                eine offene Ansprache möglich
Durch den Aufruf zum Putzen             gewesen. Die Möglichkeit der
über eine Zeitung, sind bestimm-        Heterogenität der Gruppe birgt
te Menschen von vornherein              den Vorteil einer guten Vertei-      Es ist zu vermuten, dass diese
nicht erschienen. Es ging ja nicht      lung unterschiedlichster Fähig-      anfängliche Ansprache der ers-
erst darum ein Konzept anzufer-         keiten und eine weitere Anspra-      ten Mitwirkenden auch über die
tigen, sondern die Häuser fit für       che diverser Kreise, in denen        Zügigkeit des Vorankommens
den ersten Sommercampus her-            diese Menschen leben. Das He-        entscheidet. In der Künstler-
zurichten. Die Struktur des har-        rauskommen aus der eigenen           stadt fanden sich sehr fleißige
ten Kerns, der die meiste Arbeit in     Blase wird dadurch erheblich         Menschen zusammen, die ihre
der Künstlerstadt erledigt, wurde       gefördert. Und das Entdecken         Freude auch über erledigte Pro-
durch diesen Aufruf und unsere          der verschiedensten Motiva-          jekte zog. Zuviel „Gerede“ macht
ersten Aktionen begründet. Es ist       tionen der Mitwirkung in der         sie oftmals unruhig, es wird eine
kein intellektueller Zugang zum         Künstlerstadt eröffnet zudem         rasche, prägnante Entscheidung
Thema Künstlerstadt Kalbe, son-         Kenntnis darüber, wie andere         gefordert, damit klare, ableitbare
dern ein pragmatischer entstan-         Zielgruppen angesprochen wer-        nächste Schritte formuliert wer-
den. Es sind Menschen zusam-            den können mitzumachen.              den können.
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2.2. Mitgliedergewinnung                Taten statt Worte                      TRANSFERKONZEPT
                                                                               KÜNSTLERSTADT KALBE             10
und -bindung
                                        Die Startphase kann geprägt sein
Die große Frage, wie man an Mit-        von Taten oder Worten. Wird ein-       ren rückläufig. Menschen können
wirkende kommt oder an potenti-         fach losgelegt, etwas gemein-          sich eher eine punktuelle Bindung
elle Mitglieder, wird stets gestellt.   schaftlich zu machen oder wird         an eine Initiative vorstellen, also
Die Künstlerstadt hat sich den          erst einmal die gesamte Projekt-       kurze und umschriebene Projek-
Weg in die Wirklichkeit auf unge-       idee ausformuliert. Beim Letzte-       te, als dass sie eine generelle Ver-
wohnte Weise gebahnt.                   ren läuft man Gefahr, keine posi-      pflichtung gegenüber einem Ver-
                                        tiven Erlebnisse zu produzieren.       ein eingehen. Das hat mit dem
Ansprache                               Die Gruppe, die möglicherweise         gesellschaftlichen Streben nach
                                        auch aus bisher nicht bekannten        mehr Individualität zu tun, aber
Oftmals werden bekannte Men-            Mitwirkenden besteht, kann sich        auch damit, dass das Eingehen
schen angesprochen, meist               jedoch über Taten sehr gut ken-        in eine Verpflichtung selten als
Freund:innen, welche die Idee           nenlernen und eine Gruppeniden-        bereichernd erlebt wird. Interes-
oder das Projekt unterstützen           tität ausbilden. Fähigkeiten wer-      santerweise klagt eine Vielzahl
sollen. Die Künstlerstadt rief          den sichtbar und müssen nicht          von Menschen darüber, dass sie
über die lokale Zeitung zum Mit-        erfragt werden, sondern werden         keine Bindungen/Zugehörigkei-
machen auf. Und es war eben             gemeinschaftlich entdeckt. Wir         ten zu anderen erleben – Einsam-
nicht der Diskurs über die gro-         starteten damit, dass wir ein Ziel-    keit droht. Ab wann wird Bindung
ßen Themen der Kunst und Kul-           datum hatten – unser erster Som-       positiv erlebt? Sie wird dann zum
tur, sondern ganz konkret und           mercampus – und wir bis zu die-        Gewinn und nicht zur Belastung
nah, wir brauchen Hilfe beim            sem Tag mit dem Saubermachen           einer Person, wenn eine gewisse
Putzen. Sicherlich ein unge-            und Einrichten der Räume fertig        Anzahl bedeutsamer Bedürfnis-
wöhnlicher Weg, der aber den            sein mussten. Rückblickend war         se durch diese Bindung erfüllt
großen Vorteil hat, dass nicht          es wirklich sehr wenig Zeit und        wird. Die wichtigsten Bedürfnis-
eine Gruppe von Freund:innen            es ist nur dem Fleiß der Ersten        se sind neben Bindung/Zugehö-
den Weg bestimmt, den andere            geschuldet, dass dies funktio-         rigkeit der Wunsch nach Kont-
nicht befreundete Menschen,             nierte. Der Zeitdruck forderte uns     rolle und Orientierung sowie die
die sich dieser Gruppe anschlie-        aber auch heraus, insofern war er      Bedürfnisse nach Lustgewinn
ßen wollen, mitgehen müssen.            hilfreich. Es kam auf jede helfen-     und Selbstwerterhöhung. Des-
Hier war von Anfang an jede             de Hand an und es wurden viele         halb gelten ziemlich von Anfang
und jeder gleich gefragt, stand         Menschen in dieser Anfangs-            an folgende unausgesprochenen
auf gleichen Stand mit der Ini-         phase angesprochen, die diesem         Bedingungen einer Mitarbeit in
tiatorin. Hier hatte keine Person       neuen Projekt ein Stück Gutes tun      der Künstlerstadt, die unsere Hal-
einen Wissensvorteil, weil das          wollten und mithalfen. Sicherlich      tung zueinander geprägt haben:
gesamte Erlebte und Gespro-             blieben nicht alle dieser ersten
chene mit dieser Gruppe ge-             Unterstützer:innen des Projektes.      1. Keiner muss, jeder darf. Um-
meinschaftlich erfahren wurde.          Das ist auch wenig bedeutsam,          gesetzt heißt das, dass jede und
Zudem wurde dadurch ein Weg             weil anfangs Neugier-Prozesse          jeder kommen konnte, wann er
eröffnet, Menschen aus dem              am Wirken sind. Man will sich          oder sie es wollte. Die Nachfra-
näheren Umfeld kennenzuler-             erkundigen, will wissen, was in        ge: „Weshalb bist du nicht da ge-
nen, die vorher sicherlich nicht        seinem Umfeld geschieht und            wesen?“, haben wir vorwiegend
im Blickfeld gelegen hätten. Ein        mindestens mitreden können. Be-        vermieden. Wir freuten uns stets
weiterer Vorteil ist es, wenn           sonders im ländlichen Raum ein         über jene, die da waren. Keine
nicht die Freund:innen den Kreis        recht wichtiger Aspekt.                und keiner wurde zu etwas ge-
der ersten Stunde ausmachen:                                                   zwungen. Sicherlich sagt da je-
Beim Auskämpfen von unter-              Bindung                                de/r Lesende na klar, ich kann
schiedlichen Meinungen wird                                                    doch niemanden zwingen. Aber
nie die Freundschaft infrage ge-        Der Wunsch nach einer Mitglied-        es ist nicht zu unterschätzen,
stellt.                                 schaft in einem Verein ist seit Jah-   wie solch eine Frage wirkt, wenn
jemand gerade dabei ist, sich für    es darum geht, die eigenen Fähig-    TRANSFERKONZEPT
                                                                          KÜNSTLERSTADT KALBE   11
das Projekt, die Aufgabe, die Ar-    keiten einzusetzen. Das macht
beit zu begeistern. Wenn jemand      oftmals nicht nur den meisten
nur zwei Stunden kommen konn-        Spaß für die Person. Häufig liegt
te zum Helfen, freuten wir uns       ein brauchbarer Hintergrund vor,
über die zwei Stunden und dank-      der es möglich macht, mit den
ten der Person. Es geht hier viel-
mehr um den sozialen Druck, der
                                     gewonnenen Fähigkeiten die
                                     Aufgabe zu meistern. Sicherlich
                                                                              Neben der
durch diese Frage, „Wo warst du      bleiben dann immer wieder Auf-       verdienten Pause
denn?“ ausgeübt wird. Wir gehen
davon aus, dass jede und jeder
                                     gaben liegen, die niemand ma-
                                     chen mag oder die für alle neu
                                                                             können hier
seine und ihre Gründe schon ha-      sind. Unbeliebte Aufgaben wer-           auch alle
ben mag. Wenn er/sie uns diese
mitteilen mag, o. k., wenn nicht,
                                     den im Umlaufverfahren erledigt
                                     oder es wird eine anderweitige
                                                                              aktuellen
dann nicht. Die Frage stellten       Lösung gefunden.                      Informationen
wir nur, wenn jemand schon ver-
pflichtend zugesagt hatte und        3. Arbeiten + Feiern. Wer viel ar-
                                                                           ausgetauscht
dann nicht zum Treffen erschien.     beitet, muss viel feiern! Arbeits-        werden.
                                     einsätze mit einem gemeinsa-
2. Immer nach den Fähigkeiten        men Imbiss oder Kaffeetrinken
gehen. Jede und jeder ist am         zu beenden wurde gerade in
besten in der Arbeit und am wir-     der letzten Zeit unserer Bauak-
kungsvollsten eingesetzt, wenn       tivitäten eingeführt. Ein Mitglied
des Vereins, der nicht mit bauen     kreis erhielten wir positive Rück-     TRANSFERKONZEPT
                                                                            KÜNSTLERSTADT KALBE            12
konnte, bereitete uns ein schö-      meldungen hierzu.
nes Essen vor, Schnittchen und
Suppe oder es wurde Kaffee und       Vorteil neuer Mitglieder
Kuchen angeboten. Neben der                                                   Mehr Mitglieder
verdienten Pause konnten hier        Durch unsere Gebäude und                 bedeuten auch
auch alle aktuellen Informationen    durch die vielfältigen Aktivitäten
ausgetauscht werden. Das ge-         haben wir einen hohen Finanz-               ein immer
meinsame Zusammensein schuf          bedarf aufgrund der Nebenkos-                 größer
das WIR, welches die arbeitsin-      ten und Eigenanteile, die wir bei
tensiven Zeiten gut durchstehen      den Förderungen mit aufbringen              werdendes
ließ. Und natürlich vor den gro-     müssen. Mehr Mitgliedsbeiträge               Netzwerk
ßen Events, wie bei uns der Som-     sichern ein paar der laufenden
mercampus und der Einstieg in        Kosten ab, ein anderer Teil ist für              an
den Veranstaltungsreigen wurde       die Rücklagenbildung, falls Eigen-        Mitwirkenden,
ein Grillen im Voraus benötigt.      anteile gefordert werden, bzw.
Spätestens wenn die Bereitschaft     für Investitionen, die nicht durch          aber auch
mitzuwirken nachlässt, muss ge-      Fördermittel abgedeckt werden             an Menschen,
feiert werden.                       können. Und zweitens: Mehr Mit-
                                     glieder erhöhen die Legitimation         welche die Idee
Neue Mitglieder gewinnen             und die Außenwirkung. Es gibt           in die Welt hinaus
                                     besonders im ländlichen Raum
Am Anfang haben wir uns kaum         eine Hierarchie an Bedeutsam-                 tragen.
Gedanken über Mitgliederge-          keit aufgrund von Mitgliederzah-
winnung gemacht. Wenn uns je-        len. Es ist ein Indiz für: es stehen
mand ansprach, bezüglich einer       Menschen hinter dem Projekt. Je
Mitgliedschaft freuten wir uns       mehr Menschen, desto wichtiger
und gaben den Mitgliedsantrag        ist das Projekt. Da wir auch einige    wir eine „Mitglieder werben, Mit-
aus. Lange Zeit hatten wir um        internationale Mitgliedschaften        glieder-Aktion“ durchführen und
die 30 Mitglieder im Verein. Erst    haben, steigen wir auch noch im        bei allen Großveranstaltungen im
durch den „Call for Members“         Ansehen der Anderen. Deshalb           nächsten Jahr verstärkt die An-
Wettbewerb der Kulturstiftung        ist eine Mitgliederbewerbung re-       träge bewerben. Menschen, von
des Bundes 2016 haben wir mög-       gelmäßig durchzuführen, um ge-         denen wir denken, dass Sie uns
liche Kandidat:innen für eine Mit-   rade auch in den Initiativen, die      unterstützen würden, sollen ge-
gliedschaft angesprochen. Da         stark wachsen, in ihrer Arbeit eine    zielt auch auf den Freundeskreis
die Mitgliedschaft für den Verein    Bedeutungswahrnehmung            am    Künstlerstadt Kalbe angespro-
jeweils 50,– € aus den Mitteln der   Laufen zu halten. Mehr Mitglieder      chen werden, den wir 2019 ins Le-
Stiftung einbrachte, waren wei-      bedeuten auch ein immer größer         ben gerufen haben. Hier werden
tere Mitglieder auf einmal eine      werdendes Netzwerk an Mitwir-          höhere Beiträge erbeten, gleich-
wichtige Finanzquelle für den        kenden, aber auch an Menschen,         zeitig gibt es auch besondere Ver-
Verein. Wir konnten maximal für      welche die Idee in die Welt hinaus     anstaltungen und Einladungen
100 Mitglieder diesen Bonus er-      tragen. Diese begeistern dann          für diese Gruppe. Ähnlich wie bei
halten und gewannen traumhaf-        wiederum weitere Menschen, –           der Aktion vor drei Jahren vermu-
te 97 neue Mitglieder dazu. Über-    es entsteht ein Schneeballeffekt.      ten wir einige stille Zustimmende,
raschenderweise stellte es sich      Wie gewinnt man nun neue Mit-          die durchaus bereit wären, als
als gar nicht so schwer heraus.      glieder? Wir haben gerade ent-         förderndes oder ordentliches Mit-
Durch unsere Aktivitäten hatten      schieden, dass jede und jeder, der     glied die Künstlerstadt zu unter-
wir schon sehr viele Menschen        oder die irgendwie in Kontakt mit      stützen. Wie damals wollen wir
erreicht, die sich für unsere Ar-    der Künstlerstadt Kalbe tritt, ge-     sehr persönlich die entsprechen-
beit begeisterten. Auch im nahen     fragt wird, ob sie oder er eine Mit-   den Kandidat:innen ansprechen,
Bekannten- und Verwandten-           gliedschaft will. Außerdem wollen      um ihnen eine Brücke zu bauen.
TRANSFERKONZEPT
                                                                           KÜNSTLERSTADT KALBE               13

                                                                           den wenigen Ehrenamtlichen in
                                                                           der Organisation weiter getragen
                                                                           werden musste. Wir unterschätz-
                                                                           ten die Schwierigkeit, überhaupt
                                                                           Bewerber:innen auf diese Stelle
                                                                           nach Kalbe locken zu können. Wir
                                                                           führten reihenweise sehr vielver-
                                                                           sprechende Bewerbungsgesprä-
                                                                           che, erteilten Zusagen, die aber
                                                                           von der anderen Seite abwegig
                                                                           bescheinigt wurden. Offenbar be-
                                                                           reitete der ländliche Raum mehr
                                                                           Unbehagen, besonders dann,
                                                                           wenn die jungen Menschen sich
                                                                           aus ihren Studienstädten ablösen
                                                                           mussten, war der Sprung aufs
                                                                           Land für viele zu gewagt.

                                                                           Koordinationsstipendium als
                                                                           Übergang zur Professionalität

                                                                           Durch die ständige Anwesenheit
                                                                           der Stipendiat:innen wurde zum
                                                                           ersten Mal ein Büro mit festen
                                                                           Bürozeiten eingerichtet. Dieses
2.3. Haupt- und Ehrenamt             kostenfrei eine Wohnung von der       erhöhte die Ansprechbarkeit der
                                     Stadt Kalbe zur Verfügung ge-         Künstlerstadt nach außen und
Neben dem ehrenamtlichen Enga-       stellt – das war die Bedingung der    wirkte nach innen wie ein Kristal-
gement strebten wir ab 2015 nach     Kulturstiftung an die Stadt sich      lisationspunkt. Alle Informatio-
einer Professionalisierung der       an der Förderung zu beteiligen.       nen kamen im Büro zusammen.
Künstlerstadt Kalbe. Wir erhielten   Für jeweils sechs Monate war          Es brachte ebenso eine sehr gro-
in dem Zuge eine Förderung der       ab Februar 2016 diese Stelle ge-      ße Entlastung in der Planung der
Kulturstiftung des Bundes „Vom       schaffen. Es war dabei gar nicht      Organisation und Durchführung
Steg zur Brücke“, in dessen Rah-     so einfach, jemanden zu finden,       von Veranstaltungen mit sich.
men wir auch ein Koordinations-      der oder die diese Stelle für sich    Wurden diese Arbeiten vorher
stipendium einführen konnten.        interessant genug fand, um nach       meist nur von wenigen Ehrenamt-
Durch eine ehemalige Praktikan-      Kalbe zu kommen. Die Förderung        lichen ausgeführt, konnten Auf-
tin, die im Sommercampus 2015        lief bis September 2019. In dieser    gaben verteilt und gezielter ko-
in der Künstlerstadt mitwirkte,      Zeit arbeiteten fünf Stipendiat:in-   ordiniert werden. Und es kamen
kam das starke Bedürfnis auf,        nen in 31 Monaten von insge-          frische Ideen hinein, Impulse wur-
eine weitere Mitarbeit vorwiegend    samt 45 Monaten der Förderung         den gesetzt und neue Menschen
in der Organisation und Planung      in der Künstlerstadt mit, wobei       in die Künstlerstadt eingeladen.
hier zu haben. Wir konnten erst-     eine Stipendiatin 12 Monate ab-       Auch die Stipendiat:innen profi-
malig Menschen einladen mitzu-       solvieren konnte. Die 14 Monate       tierten von der Mitwirkung in der
wirken, die dafür 500,– €/Monat      ohne Stipendiat:innen waren in-       Künstlerstadt. Nicht nur, dass sie
von der Kulturstiftung erhielten.    sofern recht hart, da der Umfang      Einblick erhielten in vielfältige kul-
Sicherlich nicht ein üppiges Geld,   der Arbeit anwuchs, in den Zeiten     turelle Prozesse, sondern ihnen
aber wir bekamen dazu noch           ohne Stipendiat:innen aber von        wurden auch teilweise hohe Ver-
antwortlichkeiten zugeschrieben,    stießen wir auf den Weg, über den    TRANSFERKONZEPT
                                                                         KÜNSTLERSTADT KALBE           14
die sie forderten und förderten.    Europäischen Sozialfonds Stel-
Und so ganz nebenbei konnten        len finanziert zu bekommen. Da
sie Kontakte im Kulturbereich       wir schon seit 2014 Mitglied in
wahrnehmen, nahmen an diver-        der LAG Mittlere Altmark waren,
sen Tagungen teil, konnten selbst   reichten wir hier einen Antrag auf
ihre Netzwerke erweitern.           Förderung durch LEADER/CLLD
Von Beginn dieser Förderung an      –Mittel ein.
war stets mitgedacht, dass die      Am 1.7.2020 und am 1.12.2020
Koordinationsstipendien in feste    starteten unsere ersten beiden
Stellen münden sollten. Nur wo-     hauptamtlichen Mitarbeiterinnen
her erhält man Geld für Personal-   mit ihren 40 Stunden Stellen.
stellen? 2018 begann eine Förde-                                                  Wir
rung durch die Kulturhanse, die     FSJ/BfDi Stellen
zum Ziel hatte, ein Gründerlabor                                            unterschätzten
in der Künstlerstadt zu etablie-    Sicherlich war uns bekannt, dass         den Sprung
ren. Die Idee des Gründerlabors     es diese Möglichkeiten gab, jun-
entwickelte sich aus der zuneh-     ge Menschen im Rahmen eines                  vom
mend differenzierten und profes-    Freiwilligen Sozialen Jahres oder        städtischen
sionalisierten Arbeit der Künst-    einer Bundesfreiwilligenstelle bei
lerstadt heraus, insbesondere       uns zu beschäftigen. Bis 2019             Leben aufs
aus den drei Festivals in 2018.     hatten wir jedoch keine Idee da-             Land,
Dort kamen verstärkt Menschen       rüber, wie wir 300,– € Taschen-
auf uns zu, die gerne nach Kalbe    geld für eine solche Stelle auf-           das war
ziehen wollten, jedoch keine Idee   bringen können. Im September                ja das
mitbrachten, womit sie ihren Le-    2019 kam eine FSJ-Willige auf
bensunterhalt sichern konnten.      uns zu, da sie uns im Portal des        woran es hakte.
Wir entdeckten daraufhin, dass      Jugendwerkes der AWO entdeckt
es durchaus Arbeitsmöglichkei-      hatte.
ten gäbe (Unternehmensnach-         Tatsächlich hatten wir 2014 drei
folgen in Kalbe neue Ideen einer    Bundesfreiwilligenstellen mit Mi-    weg positive Erfahrungen mit der
existenzsichernden Arbeit), diese   grationsbezug beantragt und be-      Einrichtung dieser Bundesfreiwil-
aber oftmals nicht bekannt wa-      willigt bekommen. Damals schu-       ligenstelle gemacht. Nicht nur,
ren. Wohnraum gab es genügend,      fen wir diese Möglichkeit, um im     dass inzwischen sehr viel Arbeit
doch mussten ebenso Möglich-        Falle einer drohenden Abschie-       im Büro erledigt wird, sondern
keiten des Broterwerbs erhoben      bung unserer neuen Bürger:in-        auch von Botengängen, Hilfestel-
und geschaffen werden, damit        nen sie durch eine Arbeitsstelle     lungen für die anderen Ehrenamt-
Menschen den Weg nach Kalbe         in Deutschland halten zu können.     lichen bis zu vorbereitenden und
vollziehen konnten. Im Rahmen       Wir mussten davon nie Gebrauch       mit durchführenden Arbeiten ist
des Gründerlabors bewarben wir      machen, da unsere neuen Bür-         es gut, jemanden quasi als Joker
zwei Stellen für Kulturwissen-      ger:innen nicht in diese Gefahr      einsetzen zu können.
schaftler:innen, die wir gerne im   gerieten. Diese drei Stellen wa-     Die Stelle birgt sehr viel persön-
Rahmen einer Selbstständigkeit      ren jedoch auf dem Portal seit-      liches Entwicklungspotential für
hier in Kalbe begrüßen wollten.     dem zu finden.                       die Inhaber:innen. Gerade aus
Wir unterschätzten den Sprung       Da das Landeswerk der AWO uns        dem schulischen Kontext heraus
vom städtischen Leben aufs Land,    noch durch eine Ermäßigung           gekommen, vermitteln die Auf-
das war ja das woran es hakte.      unterstützte, wagten wir die Fi-     gaben und die Einbindung in die
Offensichtlich war auch hier das    nanzierung und hatten von da         Arbeit verantwortungsbewusstes
Risiko, „Land“ zu wagen, zu hoch.   an eine FSJ-Stelle geschaffen.       Tun und Einblick in vielerlei le-
Durch unsere Recherche bezüg-       2020 konnte diese Stelle erneut      bensrelevante und kulturelle Kon-
lich weiterer Fördermöglichkeiten   besetzt werden. Wir haben durch-     texte.
Zusammenwirken                      de also plötzlich unter monetä-     TRANSFERKONZEPT
                                                                        KÜNSTLERSTADT KALBE           15
                                    ren Gesichtspunkten bewertet.
Das Angebot seitens der Vorsit-     Gleichzeitig wurden viel stärker
zenden, im Vornherein über die      als zuvor Leistungen von der        Arbeit der Hauptamtlichen auf al-
Zusammenarbeit der ehrenamt-        Künst­lerstadt abgefordert, – sei   les wirkt. Für manche ist es hier-
lichen mit den hauptamtlichen       es ein gemeinsames Grillen oder     bei noch schwer zu verstehen,
Strukturen zu sprechen, wurde       Ausgeben von Getränken. Of-         dass Hauptamtliche einen Feier-
abgelehnt. War das Koordinati-      fenbar ist durch die Schaffung      abend haben und auch nicht un-
onsstipendium noch eher als Sti-    der hauptamtlichen Stellen der      bedingt bei jedem Arbeitseinsatz
pendium zu sehen – und der Um-      Eindruck entstanden, dass die       mitwirken können. Im letzten Jahr
gang mit Stipendiat:innen war ja    Künstlerstadt nun „reicher“ ge-     kamen durch die Corona-Pande-
durch die Campuszeiten hinweg       worden sei. Dabei sind die Förde-   mie zudem weitere Belastungen
bekannt – veränderte sich die       rungen durchlaufende Posten,        mit hinein, die einige gemeinsa-
Wahrnehmung der Person, die         d. h. wir gewinnen kein Geld        me Treffen der beiden Gruppen
ab 1.7.2020 im Büro nun haupt-      durch diese Stellen. Ganz im        verhindert hat. So gab es im letz-
amtlich saß, doch erheblich. Die    Gegenteil: Die Finanzierung der     ten Jahr nur sehr wenige Stamm-
Ehrenamtlichen gingen sehr ziel-    beiden Stellen kostet uns Geld,     tische der Künstlerstadt, die ein
strebig auf diese Person zu und     weil wir den vom ESF erhalte-       besseres Kennenlernen hätten
versuchten ihr Aufgaben zu über-    nen Betrag aufgestockt haben,       erleichtern können. Wir sind neu-
tragen.                             um gute Kräfte nach Kalbe zu        gierig, wie die Kraft dieser Stel-
Der zweite Effekt war, dass die     locken.                             len sich noch weiter zeigen wird.
Ehrenamtlichen verstärkt her-       Noch ist nicht viel gemeinsame      Wichtig ist es hierbei stets die
vorhoben, wie viel sie bisher für   Zeit zwischen den Hauptamt-         Lust, die Bereitschaft und das
die Künstlerstadt gemacht hat-      lichen und den Ehrenamtlichen       Herzblut der Ehrenamtlichen
ten. Die dahinter liegende Frage    entstanden. Sicherlich wurde        wahrzunehmen und zu würdigen.
war: Wie wird unsere Arbeit jetzt   durch den Sommercampus und          Schließlich sind sie diejenigen,
bewertet, mit was belohnt? Die      das BRUCCA! Festival schon für      die den bisherigen Erfolg unserer
Wertigkeit getaner Arbeit wur-      alle deutlich, wie entlastend die   Arbeit gewährleistet haben.
3. WIR UND ANDERE                                                             TRANSFERKONZEPT
                                                                              KÜNSTLERSTADT KALBE             16
3.1. Bevölkerung vor Ort                die Auszeichnung vom Land der         auf den letzten Platz bei der Preis-
                                        Ideen, ein bundesweiter Wettbe-       verleihung besetzt. Alle feierten
Als der erste Sommercampus sehr         werb. Wir wurden, obwohl gerade       mit. Und die Rede des Innenminis-
erfolgreich verlief, kamen Mitglie-     einmal drei Monate alt und erst       ters, die folgendermaßen begann:
der anderer Vereine auf uns zu und      eine Veranstaltung erfolgreich        „Sachsen-Anhalt hat schon viel
fragten an, ob wir nicht nur noch       hinter uns gebracht, unter 1000       hervorgebracht: Martin Luther, das
ein Verein machen sollten, nämlich      Bewerbungen ausgewählt. Man           Bauhaus und jetzt die Künstlerstadt
die Künstlerstadt. Wir hielten uns      darf die Wirkung dieses Preises       Kalbe!“ brachte viel Lachen und
zurück bei diesem Angebot und           nicht unterschätzen. Das Land der     Applaus ein, aber viel wichtiger
versuchten den Wert der anderen         Ideen ist eine von der Bundesre-      auch die offizielle Anerkennung,
Vereine zu unterstreichen. Eine         gierung eingesetzte Initiative, ge-   dass das, was wir vorhaben, preis-
Auflösung aller Vereine hielten wir     fördert von der Deutschen Bank        würdig ist.
nicht für sinnvoll, weil in ihnen ge-   und der deutschen Wirtschaft.         Merke: Je „verrückter“ die Visi-
wachsene Strukturen mit ihrer ei-       Zur Preisverleihung luden wir die     on, desto mehr Wirkung hat eine
genen Geschichte entstanden wa-         Geschäftsführerin vom Land der        Anerkennung durch Externe, am
ren, die ihren Wert in sich trugen.     Ideen und den Innenminister von       besten noch bedeutsame, wich-
Das Angebot damals war der Aus-         Sachsen-Anhalt ein. Da der Preis      tige Menschen, denen Kenntnis
druck der Hoffnung, dass endlich        nicht mit finanziellen Mitteln ver-   zugeschrieben wird. Deshalb:
etwas Wegweisendes geschieht            bunden war, uns aber als Verein       unbedingt schon in der Frühpha-
und dass sich hier Menschen ver-        in der Organisation der Preisver-     se Wettbewerbe und Auszeich-
sammelten, die wirklich in sehr         leihung stark forderte, wollten       nungen anstreben. Sie bringen
kurzer Zeit etwas bewegten.             wir wenigstens einen öffentlich-      nicht nur die Medien in Gang und
Am Ende des ersten Sommer-              keitswirksamen Effekt erzielen.       entsprechende Aufmerksamkeit,
campus erhielten wir völlig über-       Der Ratsstubensaal, der größte        sondern erzielen auch Wirkung
raschend unseren ersten Preis,          mögliche Saal in Kalbe, war bis       in der Bevölkerung.
Neugier-Effekte +                     fördern und anzubieten. Würden        TRANSFERKONZEPT
                                                                            KÜNSTLERSTADT KALBE             17
Akzeptanz der Angebote                wir die Besucher:innenzahlen als
                                      Maßstab für den Erfolg nehmen,
Mitbedenken muss man soge-
nannte Neugier-Effekte im ersten
                                      hätte das zur Folge, dass nur
                                      Mainstream-Kultur       angeboten
                                                                                    Da es
Jahr evtl. auch noch im zweiten       wird. Ungewöhnlichere Forma-               sehr wenig
Jahr. Es ist der Ausdruck der na-
türlichen Orientierungsreaktion
                                      te vorzuhalten ermöglicht aber
                                      erst Vielfalt kennenzulernen und
                                                                              zeitgenössische
des Menschen, sich selbst ein Bild    seine Ansprechbarkeit für be-               Kunst im
zu machen, von dem, was dort
geschieht. Während der Sommer-
                                      stimmte Kunstformate zu entde-
                                      cken. Wir haben es uns zum Ziel
                                                                                 ländlichen
campuszeiten brachte uns das          gemacht, eben nicht in Konkur-              Raum der
durchaus schon recht gute Be-
sucher:innenzahlen bei den be-
                                      renz mit anderen bestehenden
                                      Formaten zu gehen, sondern im
                                                                                   Altmark
gleitenden Veranstaltungen und        Sinne einer Ergänzung kultu-                zu sehen
den Atelier-Rundgängen. Hier
ist anzumerken, dass die Künst-
                                      relle Angebote zu gestalten. Es
                                      gab auch heftige Diskussionen
                                                                                     gibt,
lerstadt zeitgenössische Kunst        über die gezeigte Kunst, die zu            war vieles,
in den ländlichen Raum bringt,
welches durchaus den Diskurs
                                      Distanzierungseffekten führte.
                                      Sollte allgemein verträglichere
                                                                                 was es hier
über das, was Kunst ist und alles     Kunst zum Erleben angeboten                 zu sehen,
sein kann, anschiebt. Da es sehr
wenig zeitgenössische Kunst im
                                      werden? Mehr gegenständliche
                                      Malerei statt Installationen? Um
                                                                                zu hören und
ländlichen Raum der Altmark zu        trotz der Infragestellung hand-         zu erleben gab,
sehen gibt, war vieles, was es hier
zu sehen, zu hören und zu erleben
                                      lungsfähig zu bleiben, war es für
                                      uns in dieser Zeit wichtig, uns im-
                                                                              sehr neu für die
gab, sehr neu für die meisten der     mer wieder auf das langfristige            meisten der
Besuchenden. Nachdem „klar“
war, was hier zu sehen gibt, nah-
                                      Ziel unserer gesamten Arbeit zu
                                      besinnen. Der Sommercampus,
                                                                               Besuchenden.
men die Besucher:innenzahlen          die Atelier-Rundgänge und die
ab. Sicherlich fehlte auch eine       präsentierte Kunst dort ist nur       auskristallisierte – die Potentiale
Möglichkeit, sich dieser Kunst un-    eine Möglichkeit für junge Men-       der Künstlerstadt. Es sollte ein
voreingenommen zu nähern bzw.         schen und internationale Künst-       Ausrufezeichen werden, um die
Kunstvermittlungsprogramme,           ler:innen, den ländlichen Raum in     Potentiale des ländlichen Rau-
um das Gesehene einzuordnen.          seinem Luxus der Leere zu erle-       mes und der Künstlerstadt deut-
Vorträge und Workshops, die wir       ben, evtl. sich darin ein wenig zu    lich werden zu lassen. Gepaart
anboten, wurden zwar besucht,         verlieben, um im zweiten Schritt      mit improvisierter Musik, die wir
jedoch hatten sie geringe Aus-        den Lebensmittelpunkt Kalbe zu        als kongruente Form im musikali-
wirkungen auf die Besucher:in-        wählen. Die Abnahme der Besu-         schen Bereich hinzunahmen, um
nenzahlen. Diese Durststrecke         cher:innenzahlen bei den Atelier-     das abzubilden, was sich in dem
ist zu überwinden, indem man          Rundgängen würde dieses Ziel          Prozess der letzten Jahre unse-
einfach kleiner, aber beständig       nicht irritieren können.              rer Arbeit zeigte, nämlich das
weiter macht. Schließlich sind        Unser erstes Festival in 2018,        Fördern und Herausschälen von
wir nicht abhängig von der Be-        welches als Idee schon 2014           Potentialen, war Zündstoff für die
sucher:innenzahl, sodass wir re-      durch einen der Sommercam-            Kalbenser:innen. Alle zogen neu-
lativ entspannt weiter machten.       pus-Stipendiaten       entstanden     gierig zum Festival, vermuteten
Diese Unabhängigkeit von den          war, erleichterte unsere Arbeit       leicht konsumierbare Musik und
Besucher:innenzahlen wird uns         nicht. Wir wollten etwas Beson-       wurden mit improvisierter Musik
durch die Förderungen möglich,        deres in der Künstlerstadt Kalbe      empfangen, die viel Unverständ-
die wir akquirieren. Diese ist not-   entwickeln, welches sich durch        nis und Ablehnung erzeugte. Die
wendig, um kulturelle Vielfalt zu     die Arbeit der letzten Jahre her-     von extern angereisten Festival-
besucher:innen hingegen waren          fahrbar zu machen. Deshalb eig-      TRANSFERKONZEPT
                                                                            KÜNSTLERSTADT KALBE           18
begeistert von der Atmosphäre          net sich der niedrigschwellige
der Spielorte, den Menschen, die       Zugang hervorragend. Die (((po-
sie hier trafen, von der Qualität      tentiale))) hingegen soll und wird   dass es überhaupt noch keinen
der erlebten Musik und des Rah-        immer eine Perle bleiben, keine      Vorläufer für dieses Format bun-
menprogramms.                          Massenveranstaltung, aber et-        desweit gegeben hat, sodass
Daraufhin war das zweite und           was, was die Künstlerstadt Kal-      neben diesem als solches auch
dritte Festival in 2018 mit sehr       be sichtbar werden lässt in be-      die Idee erst vermittelt werden
vielen Vorbehalten seitens der         stimmten Kreisen.                    muss. Die kulturelle Belebung
Bevölkerung belegt gewesen. In-        Neugier-Effekte treten interes-      des ländlichen Raumes der Alt-
zwischen erfreut sich das BRUC-        santerweise weniger im Work-         mark bis in den letzten Winkel
CA! Festival für Theater, Zirkus       shop-Bereich der Künstlerstadt       hinein und dass die Kunst zum
und Musik stark wachsender             auf. Offensichtlich wird die         Menschen kommt, sind neue
Begeisterung, und auch das IM-         Künstlerstadt Kalbe wenig in der     Ansätze, die Zeit benötigen, um
PULS-Festival für Neue Musik           Bevölkerung als Anbieter von         begriffen und angenommen zu
gewinnt deutlich an Besucher:in-       kulturellen Workshops verstan-       werden. Inzwischen hat sich die
nen. Schließlich zeigte sich, dass     den, obwohl diese seit 2014 ein      Kunstlotterie als Format bewährt
dort eher vertraute Inhalte ange-      starkes Standbein im kulturel-       und zwar auf zwei Seiten: Die
boten wurden.                          len Angebot der Künstlerstadt        Rezipient:innen erfreuen sich an
Merke: Festivals sind allein auf-      darstellt. Wir bieten jährlich ca.   den hochwertigen Beiträgen zu
grund der Größe deutliche Signa-       14 Workshops für Kinder und          Hause und die Künstler:innen be-
le in die Bevölkerung des Ortes.       Jugendliche, drei für Menschen       fruchten die Nähe zum Publikum
Sicherlich kann man spezifische        mit Behinderungen und ca. acht       und ziehen sehr häufig weitere
Themen wie improvisierte Mu-           für erwachsene Menschen an.          Engagements nach sich.
sik anbieten – ich denke, es ist       Sicherlich wird der Radius der       Immer wieder kommt der Satz
auch unbedingt notwendig, –            Nutzer:innen dieser Workshops        auf, dass doch zu dieser oder je-
doch muss man mit den nicht            mittlerweile immer größer, zieht     ner Veranstaltung nur so wenige
nur positiven Reaktionen der Be-       Menschen aus der gesamten            Kalbenser:innen anwesend ge-
völkerung rechnen. Das BRUC-           Altmark an, jedoch bekommen          wesen wären. Von der geringen
CA! Festival für Theater, Zirkus       diese Workshops noch nicht           Teilnahme der Bevölkerung wird
und Musik hingegen ist niedrig-        die gleiche Aufmerksamkeit wie       dann abgeleitet, dass Kalbe sich
schwellig angesetzt. Mittels Stra-     die Festivals. Einzig die Graffi-    nicht für die Arbeit der Künstler-
ßentheater, dem Format Zirkus          ti-Workshops werden deutlich         stadt interessiere, ihr womög-
und einem starken partizipativen       wahrgenommen, weil nach je-          lich sogar abwertend gegenüber
Teil ist es für viele leicht zugän-    dem Workshop im Stadtbild ein        steht. Das ist schon ein eigen-
gig. Inzwischen gilt das Theater-      Objekt gesprayt wurde, welches       tümlicher Gedankengang. Ich
Festival als Geheimtipp, weil es       für jedermann sichtbar ist. Des-     frage mich, ob ein Fußballverein
die breite Masse anspricht, wäh-       halb kann man davon ausgehen,        im Ort „enttäuscht“ ist, wenn
rend sich bei der improvisierten       dass Sichtbarkeit ein Faktor ist,    nicht alle Kalbenser:innen dieses
Musik lange noch nicht alle mit-       der Neugier-Effekte und ein spä-     Spiel gesehen haben. Weshalb
genommen fühlen. Wichtig sind          teres Nutzen dieser Angebote         wird bei kulturellen Angeboten
hier jeweils die Ziele, die verfolgt   begünstigt.                          eine hohe Besucher:innenquote
werden. Das Theater hat in Kalbe       Die Kunstlotterie „Kunst ge-         erwartet, obwohl nur ca. 10 % der
eine sehr alte Tradition, die aber     winnt!“, die 2017 von der Kultur-    Bevölkerung regelmäßig Kultur-
durch das Schließen des Kultur-        stiftung des Bundes als „Beste       veranstaltungen besuchen? Da-
hauses seit 24 Jahren ruht. Uns        Idee“ ausgezeichnet wurde, er-       bei ist aber noch nicht gesagt,
ist es wichtig, wieder Theater-        fuhr eine ähnliche Geschichte        welcher Art diese Kulturveran-
kultur zu etablieren, nicht nur für    wie die Festivals. Jetzt im drit-    staltung ist. Eine Karnevalssit-
den Konsum, sondern auch als           ten Durchlauf zeigt sich deutlich    zung, das Oktoberfest oder das
Möglichkeit, gesellschaftlichen        ein größeres Inanspruchnahme-        Konzert des heimischen Chores
und persönlichen Ausdrucks er-         verhalten. Hier ist zu bedenken,     können dies ebenso sein wie
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