TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE - KreativLandTransfer
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INHALT TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 2 1. WIE ALLES BEGANN … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.1. Idee, Vision & Motivation . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.2. Phase 0: Startbedingungen . . . . . . . . . . . . 6 1.3. Gründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2. DAS SIND WIR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2.1. Die Menschen der Künstlerstadt Kalbe . 9 2.2. Mitgliedergewinnung und -bindung . . 10 2.3. Haupt- und Ehrenamt . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3. WIR UND ANDERE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3.1. Bevölkerung vor Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3.2. Einbindung & Mitwirkung ermöglichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 4. WEGGEFÄHRT:INNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 4.1. Kooperationen und Netzwerke . . . . . . . 28 4.2. Lobbying und politische Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 5. OHNE MOOS NIX LOS …? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 5.1. Startkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 5.2. Finanzen am Anfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 5.3. Unsere Einnahmequellen . . . . . . . . . . . . . 34 6. LEBENSraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 6.1. Unser Umfeld (Umfeldfaktoren wie Umwelt, Wirtschaft, Soziales) . . . . . . . . . 37 6.2. Unser Beitrag zur Regional- und Stadtentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 7. LUXUS DER LEERE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 7.1. Mieten, Nutzen, Pachten, Besitzen . . . . . 41 7.2. Rund ums Bauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 8. WERBUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 8.1. Außendarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 8.2. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit . . . . 45 8.3. Markenentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 8.4. Storytelling Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . 49 ANHANG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Handout - Workshop: Fördermittel finden! . . . 51 Veranstaltungen 2019 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
1. WIE ALLES BEGANN ... TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 3 Jeden Morgen aus dem Fenster 1.1. Idee, Vision & Motivation Künstler:innen um mich haben. zu blicken und leere Gebäude Mittelfristig: verschiedenste Kultur- vor sich zu sehen, abends in eine Die Rolle der Protagnostin/ angebote, die Spaß machen, Men- Straße zu fahren und zu überle- des Protagonisten schen zusammenbringen, neue gen, wie lange es dauern würde Ideen für den ländlichen Raum ge- bis weitere Häuser unbelebt wä- Gruppen formieren sich immer nerieren und langfristig: ich möch- ren, machen das Problem des um eine Person, die eine span- te mit 80 Jahren mit meinem Rol- Leerstands überdeutlich. Und nende Idee einbringt. Die Anhän- lator durch Kalbe flitzen und mir auch das Stadtbild verändert ger:innen dieser Idee sind Men- überlegen müssen, ob ich erst zu sich, wenn Menschen weniger schen, die durchaus auch andere, dem Atelier der neuen Künstlerin werden. Letztlich ist es dann nur weitere Bedürfnisse mit dieser gehe oder doch noch ins Künst- eine Frage der Zeit, wann die In- Projektidee befriedigen. Das ist ler:innencafé, um dann am Abend frastruktur wegbrechen wird und von Vorteil, da sich das Gruppen- die Lesung zu besuchen. die Lebensqualität derart ge- verhalten umso kohäsiver zeigt, Die eigenen Gründe für so viel sunken ist, dass man schließlich je mehr Menschen in der Grup- Aktivität transparent zu machen, auch die Koffer packt und geht. penzugehörigkeit etwas sehen ist enorm wichtig für die soziale Gleichzeitig sieht man immer können, was sie brauchen oder Umgebung. Würden andere diese mehr Potentiale und wundert weiterbringt. Gründe nicht kennen, kämen sie sich, dass niemand anderes diese Auch ich habe eine sehr persön- sich womöglich missioniert vor. auch sieht. Das heißt: es ist not- liche Motivation die Vision der Der Widerstand gegenüber dem wendig andere mit einzubeziehen, Künstlerstadt zu verwirklichen: Projekt wäre vermutlich größer. wie die Stadt und die Region er- eine kurzfristige: ich will auf be- lebt wird und welche „verrückten“ lebte Häuser schauen, möchte, Ideen ausgesponnen werden kön- dass die Straße, die Stadt wie- nen für eine „bessere Zukunft“. der belebt wird, und ich will mehr
Vision + Idee auch „verrückt“ sein, d. h. weit TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 4 nach vorne blicken. Verrückte Eine Idee oder eine Vision ist nicht Ideen sind erstmal nichts weiter zu verwechseln mit einem Gedan- als für die meisten Menschen FÜLLE kenblitz. Vielmehr ist es ein Pro- ungewohnte Gedanken. D. h. zess, der mit einer Bedingungs- diese haben noch nicht in eine IN DIE analyse beginnt, die mehr oder solche Richtung gedacht, wür- HÜLLE weniger bewusst vonstattengeht. den vielleicht auch nie in solche Daraufhin werden Informationen Richtung bereit sein zu denken, gesammelt und ausgewertet. oder sie sehen die Notwendig- Hinzu kommen Beobachtungen keit der Problematik nicht, so- funktioniert nur dann, wenn sie in anderer Projekte, das Einschät- dass sie auch darüber nicht eine plausible, nachvollziehbare zen der eigenen Motivation, si- nachdenken müssen. Eine Idee Geschichte gepackt wird. Wenn cherlich auch der ein oder andere für eine Stadt- und Regionalent- jemand, der noch nie mit Kunst Gedankenblitz und aus all dem wicklung zu entwerfen, ist zu- in Verbindung stand, plötzlich formiert sich letztlich die Vision dem auch nicht jedermanns In- eine Künstlerstadt gründet, wür- und das Projekt. teresse. Die Idee muss jedoch, de man sich automatisch fragen: Wir starteten mit dem Slogan „Fül- wenn sie Kraft entwickeln soll, Wieso jetzt diese Wendung, wie- le in die Hülle“ und griffen damit in eine schöne Geschichte ein- so dieser Inhalt, warum jetzt die etwas auf, was viele Kalbenser:in- gewickelt werden. Dadurch wird Handlung erfolgt. Hierzu müsste nen auch störte: den zunehmen- sie erzählbar, interessant und man schon sehr schlüssig ent- den Verfall der Altstadt. Das war wird diskutiert. sprechende Angaben machen konkret und die Idee mit Kunst Wer äußert die Idee oder die können, um glaubhaft zu wirken. und Kultur dem Leerstand zu be- Vision? Es ist ein bedeutsamer Für die Person ist es wichtig zu gegnen nachvollziehbar. Es gab Unterschied, wer eine Idee oder klären, was geschieht, im Falle schließlich auch keine andere Idee Vision nach vorne bringen will. des Scheiterns der Projektidee: mit leeren Häusern umzugehen, Ist dieser Mensch anderen be- Kann ich dann trotzdem in dem zumal die Besitzenden oftmals kannt, vertrauenswürdig? Weiß Ort bestehen/leben; wie viel Aus- über nicht genügend finanzielle man etwas über den Hintergrund dauer kann ich aufbringen, bis Mittel verfügten, um diese Objekte der Person, meint sie es gut mit erste Erfolge zu sehen sind; wie zu sanieren. Die Idee einer Künst- und für die Gemeinschaft, oder gehe ich mit Dürrephasen um, lerstadt war hingegen sehr abs- will sie nur für sich etwas bewir- d. h. mit Zeiten, in denen sich trakt. Schließlich kennt man keine ken? Wie notwendig ist die Um- nichts entwickelt; kann ich mit solche, weiß nicht was dann in ei- setzung der Idee oder die Vision Ablehnung und Widerspruch um- ner solchen Stadt geschehen wür- für die betreffende Person? Ist gehen; wie dringend und drän- de. Zeitgenössische Kunst stellten sie finanziell abhängig von dem gend ist mir die Problematik, für sich die meisten sicherlich nicht Erfolg der Umsetzung? die ich eine Lösung suche wirk- vor, sondern eher Kunsthandwerk, Hier im ländlichen Raum ist die lich; bin ich bereit auf anderes zu kleine Läden mit schönen Dingen Kenntnis des Visionärs/der Vi- verzichten, wenn das Projekt es darin und Skulpturen im Außen- sionärin noch wichtiger. In urba- erfordert; bin ich finanziell frei, raum. Mit der Idee der sozialen nen Kontexten spielt sie dagegen dass ich auch anfängliche finan- Skulptur hatten sich die wenigsten eher eine geringe Rolle. Je größer zielle Einsätze tätigen kann, ohne bisher beschäftigt und sicherlich die Stadt, desto unwichtiger wird in Not zu geraten (Ehrenamt wird ist sie bis heute vielen noch eher der Hintergrund, den ein/eine Vi- häufig auch über das eigene fremd geblieben. sionär:in hat. Im ländlichen Raum Portemonnaie mitfinanziert, be- Wichtig: Es muss noch nicht ab- dient die persönliche Geschichte sonders in der Startphase). schließend alles durchdacht und der Einordnung, inwieweit die ge- Sicherlich uns, bzw. mir wurden fertig sein. Eine unfertige Idee, machten Aussagen kongruent, diese Fragen nicht explizit ge- ein vages Konzept impliziert eine sprich nachvollziehbar mit dieser stellt. Und es gab auch Zeiten, in Einladung zum weiteren Ausspin- Person verbunden werden kön- denen ich nicht sicher war, ob ich nen und Mitverfassen. Es darf nen. Eine völlig abwegige Idee weitermachen wollte.
Motivationslöcher gerade zu viel Energie in Projekte TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 5 gesteckt, die schwer weiterzufüh- Wenn jemand eine Idee hat, die ren sind, bei denen sich unerwar- andere noch nie gedacht haben, teter Weise Hindernisse aufgetan Ich kann mich erinnern, dass un- wird dieser Mensch automatisch haben? Sind diese Projekte für ser allererstes Workshop-Ange- zum Leittier. Das muss man aus- die anderen auch überfordernd, bot, ein Bienen-Kunst-Workshop halten/mögen/annehmen können. muss es eine neue Ausrichtung (damals waren Bienen-Projekte Als Leitschaf oder Leithammel geben, oder muss die Energie- total out; keiner interessierte sich einer Gemeinschaft vorzustehen zufuhr gedrosselt oder in ande- für Bienen, außer Imker:innen)völ- bedeutet auch, Motivator:in für re Projekte verlagert werden? lig floppte. Große Fragezeichen in die anderen zu sein. Wenn es gut Vielleicht stirbt gerade diese den Gesichtern und keine einzige läuft, entwickeln die anderen auch Projektidee – keine Angst da- Anmeldung, trotz sehr starker Be- genügend Kraft die anderen zu vor, nicht schlimm!!! 1 Es kom- werbung. Heute wäre er der ab- motivieren. Gerade in schwierigen men wieder Neue. Oder muss solute Renner. Wir waren einfach Zeiten ist es wichtig, sich dieser man mit diesem Projekt pausie- der Zeit voraus. Verantwortung für die Gruppe be- ren, weil die richtige Zeit noch Ist die Vision nicht gut in den wusst zu sein. Da man diese Idee nicht gekommen ist? Gerade bei nächsten Schritt übertragen, den eingebracht hat, gilt es diese auch sehr innovativen Projekten kann die Gruppe erkennt und vollzie- in problematischen Zeiten auf- es geschehen, dass man so be- hen mag, kann es auch zu Stö- rechtzuerhalten oder zu modifizie- geistert ist von der eigenen Idee, rungen in der Motivationsstärke ren, jedoch weiterhin als die Per- dass man geneigt ist andere zu kommen. Auch hier einfach als son zu fungieren, die daran glaubt. überfordern. Diese weigern sich Signal werten und genau betrach- Motivationslöcher gibt es trotz- dann dieser zu folgen, oder noch ten, welche möglichen Zwischen- dem immer wieder. Diese sind schlimmer: Man erhält gar keine schritte gemacht werden können. im Grunde recht wichtige Signa- Resonanz. Nicht traurig sein: Verliert die Gruppe oder das lei- le und deshalb auf jeden Fall zu das hat nichts mit der tollen Idee tende Team, oder die ideenfüh- beachten und auszuwerten. Hilf- zu tun, sondern mit dem Zeit- rende Person die Vision aus dem reiche Fragen sind hierbei: Wird punkt. Blick, kommt es ebenso zu Stö-
rungen. Der eingeschlagene Weg ja beruflich mit sogenannten „ver- TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 6 ist dann nicht mehr nachvollzieh- rückten“ Menschen zu tun habe. bar, bzw. wird beliebig. Die Kraft Insofern wurde mir Seriosität und innerhalb der Gruppe verliert sich Kompetenz zugeschrieben. zigen Umsetzung funktionierte. in der fehlenden Ausrichtung. Ich startete, indem ich dem Also: ein Erkenntnisgewinn. Als In ein Motivationsloch kann man Bürgermeister und der Touris- schlimmsten Ausgang einen Er- auch abrutschen, weil die eigenen musbeauftragten der Stadt das kenntnisgewinn zu verzeichnen, Kräfte erschöpft sind – auch ein Konzept vorstellte. Sicherlich würde ich nicht so schrecklich wichtiges Signal. Was hilft dann? kommt es im Leben eines Bür- erachten, dass ich es nicht ver- Eine Nacht drüber schlafen, mit germeisters sehr selten vor, dass suchen würde wollen. Mit Mut anderen darüber reden, sich ab- eine Bürgerin zu ihm kommt und hat das nichts zu tun. Angst vor lenken, Distanz gewinnen. Einmal ein Konzept einer nachhaltigen sozialer Ächtung („das haben wir die Vogelperspektive einnehmen Stadt- und Regionalentwicklung doch gewusst, dass das nicht und noch mal genauer hinsehen funktionieren kann“, „war wohl was gerade läuft, wieder Kraft DAS IST ABER doch zu groß, die Nummer“, „hat über andere Dinge ziehen, sich an den Geschehnissen erfreuen, MUTIG sie sich aber übernommen“) hat- te ich nicht, weil ich wusste, dass die gut gelaufen sind, alles nicht VON DIR diese Menschen, die so etwas so wichtig nehmen, relativieren, äußern, sicherlich nie ein sozia- Scheitern als Erkenntniszuwachs vorlegt. Die Verwunderung da- les Wagnis eingegangen sind. begreifen, eine heiße Milch mit rüber war entsprechend groß. Bequem in ihrem Leben einge- Honig trinken und ausschlafen. Schließlich wurde ich eingeladen, richtet, urteilen sie. im Stadtrat das Konzept vorzu- Der Einbezug der relevant ähn- 1.2. Phase 0: stellen. Für die Mitglieder des lichen Aktiven in der Stadt ist Startbedingungen Stadtrates war es auch eine neue notwendig. Nicht nur, dass diese Situation, dass eine Bürgerin un- Menschen mich kennenlernen, Sicherlich haben nicht alle die eigennützig ein Konzept vorlegt. sondern auch privilegiert als Erste Problematik des Leerstandes und So viel Engagement kann man na- Informationen erhielten und sich die Folgen des demografischen türlich nicht ablehnen. Anschlie- eingebunden fühlen konnten. Zu Wandels so im Blick. Manche ßend nahm ich Kontakt zum Kul- diesem Zeitpunkt ging es noch Kalbenser:innen waren noch nie tur- und Heimatverein und zum nicht um Kooperationen oder Ab- in der Altstadt und kennen diese Tourismusverein auf und führte sprachen, sondern schlicht um Sicht der Dinge nicht. Menschen eine öffentliche Informationsver- Vorstellung des Konzeptes, Fra- auf ein Problem hinzuweisen, anstaltung durch, um für das An- gen klären, eventuell Ideen auf- welches sie selbst noch nicht er- liegen Mitwirkende zu finden. Die nehmen und Mitwirkende finden. kannt haben, ist nicht so einfach. Reaktionen waren bunt gemischt: Vorteilhaft und sicherlich sehr Wer will sich gerne noch ein wei- von Überraschung bis Begeis- wichtig, besonders in der Start- teres Problem an Land holen?! terung, Zweifeln, Verwunderung phase war, dass wir zwei Lokal- Doch mehr im Hinterkopf als be- und Unverständnis. redaktionen zweier Tageszei- wusst, nehmen doch viele die Ver- Auf die Äußerung: das ist aber tungen in Kalbe haben. Beide änderungen in ihrer Stadt wahr. mutig von dir, antwortete ich Zeitungen berichteten von Be- Dass ich die Bewohner:innen von stets: Nein, hierzu bedarf es kei- ginn der Künstlerstadt an re- Kalbe darauf hingewiesen habe, nen Mut. Mit einem Schlauch- gelmäßig über unsere Aktivi- stellte sich als Vorteil heraus. Als boot über das Mittelmeer zu rei- täten. Gerade Zeitungslesende kassenärztlich tätige psychologi- sen, bedarf des Mutes. Aber was gehören ja meist auch zu der sche Psychotherapeutin wussten sollte mir geschehen? Ich werde Schicht, die Kulturangebote an- viele von mir, kannten mich auch nicht ertrinken oder vor Erschöp- nehmen. Zudem fand unsere aus anderen Bezügen (Kirchen- fung sterben. Schlimmstenfalls allererste Veranstaltung 2013, chor, Kirchengemeinde, Malkrei- werde ich die Vision verabschie- der über 50 Tage dauernde Inter- se). Und das Wichtigste: Ich konn- den müssen, aber dann weiß nationale Sommercampus zur te ja nicht „verrückt“ sein, da ich ich, dass diese nicht in der jet- Zeit der Sommerferien statt,
TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 7 tholische Pfarrer seine Wohnung zur Verfügung gestellt. Wir hatten also keine Quartiere für unsere ersten Stipendiat:innen. Durch verschiedenste Aufrufe, Briefe an die Eigentümer:innen der leer ste- henden Häuser, unzählige Gesprä- che und Telefonate gelang es uns innerhalb eines Monats genügend Wohnraum und Arbeitsräume zu finden, die in Windeseile geputzt und eingerichtet wurden. Das In- ventar und die Mittel, die dafür benötigt wurden, wurden privat gespendet und kamen von den ersten fleißigen Mitstreiter:innen des Projektes. Der erste Aufruf der Künstler- stadt mitzumachen? Nicht, wie viele denken mögen mit einer Diskussion über Beuys und des- sen Umsetzung des Gedankens einer sozialen Skulptur! Wir riefen während sich bei den Zeitungen damit zu tun, dass niemandem so zum Putzen auf. Das war konkret das große Sommerloch auftat. recht klar war, wohin solch eine genug und zog, wie sollte es im Das etwas so Ungewöhnliches Künstlerstadt sich entwickeln ländlich geprägten Raum anders stattfand, war ein willkommenes könnte. Auf derart Unsicheres sein, ausschließlich Frauen an Ereignis für die Presse. Im ersten wollte sich kaum jemand einlas- mitzumachen. Der Übergang von Sommercampus wurden alle 15 sen. Hier gab es übrigens den den Diskussionen über die Vision Künstler:innen mit ihren Projek- ersten Zweifel, ob es sich lohnen der Künstlerstadt hin zur Umset- ten porträtiert. Das brachte uns würde, das Projekt weiter zu füh- zung betrug nur wenige Wochen. von Anfang an eine sehr gute ren. Schließlich kam der 13.6.2013 Das ist insofern bedeutsam, da Wirkung in der Öffentlichkeit ein. und die Gründungsversammlung nach einer so entfernten Idee eine sollte beginnen. Es waren nur zu Künstlerstadt aus Kalbe zu ma- 1.3. Gründung wenige im Raum versammelt, um chen, Taten folgen mussten. Über die sieben Menschen für die Ver- diese Taten konnten die Unver- Nach den vielen Informations- einsgründung zusammenzube- ständigen, die Zweifelnden, aber veranstaltungen ging es darum, kommen. Jede und jeder rief noch auch die Befürwortenden ablesen, einen Verein zu gründen. Ich hät- jemanden an und nach einer Stun- dass der Wandel möglich ist. te nicht gedacht, dass das so ein de saßen die Gründungsmitglie- Merke: Je komplexer ein Projekt, schwieriges Unterfangen werden der komplett da. Erstes Ziel des desto schwieriger wird es sein würde. Ich zog von Haus zu Haus, neuen Vereins sollte die Durch- Menschen zu finden, die verant- um Klinken zu putzen, sprach alle führung eines internationalen wortlich dabei sein wollen. Je Freund:innen und Bekannte an, sie Sommercampus werden. Künst- schneller an Taten ablesbar wird, mögen doch bitte zur Gründungs- ler:innen sollten nach Kalbe einge- worum es geht, desto positiver versammlung kommen, suchte laden werden und hier als Artist in fallen Bewertungen aus. Taten verzweifelt nach einem Vorstand. Residenz leben und arbeiten kön- können stärker überzeugen als Dass dies so schwierig war, hatte nen. Nur: Bisher hatte nur der ka- Worte.
2. DAS SIND WIR TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 8 Das WIR war nicht von Beginn an Konzert zweier Stipendiat:innen da. Am Anfang stand eine Per- des Sommercampus in einem son, Corinna Köbele, die diese aus dem Dornröschenschlaf ge- „verrückte“ Idee mit der Künst- weckten ehemaligen Turnraum lerstadt Kalbe hatte. Als sie das eines uralten Kindergartens. Vor- Konzept, welches sie geschrie- her in Windeseile diesen Raum DAS ben hatte, im Stadtrat vorstellte, von Brombeeren und Efeu be- fragte eine Stadträtin, wer denn freit, geputzt, die Decke gesi- WIR das WIR sei, von dem Frau Köbe- chert. Dann das Konzert. Der WAR NICHT le immer spreche. Ja, das gäbe Raum ist übervoll gefüllt, wir es noch nicht richtig. Sicherlich schleppen immer weitere Sitzge- VON BEGINN seien einige Freund:innen invol- legenheiten von den Nachbar:in- AN DA. viert gewesen, die von den Ideen nen herbei. Das Pop-Duo begeis- wüssten, diese aber würden eher tert die Zuhörer:innen, die lange milde lächeln und sich denken, applaudieren. Die Musiker:innen Ja-Ja, die Corinna, die hat immer sagen Danke für das tolle Kon- so verrückte Ideen. Sie würden zert in dem absolut ungewöhn- eher nicht dran glauben. Doch lichen Raum. Wieder brandet der ich bin sicher, erzählt Frau Köbe- Applaus auf. Ich sitze in der ersten le, dass das WIR noch kommen Reihe und spüre: Jetzt ist das WIR würde. Vier Monate später: ein da.
2.1. Die Menschen mengekommen, die anpacken TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 9 der Künstlerstadt Kalbe wollen, die sich über das gemein- same Arbeiten auch sehr gut ver- Die Künstlerstadt Kalbe ver- stehen und wertschätzen. Nicht fügt über eine ganz besondere die Kenntnis von Kunst war die Struktur der Mitwirkenden. Fin- Eintrittskarte, sondern die Lust den sich solche Initiativen meist am gemeinsamen Tun und etwas durch Menschen zusammen, die durch eigene Kräfte nach vorne oftmals mit akademischem Hin- zu bringen. Dementsprechend tergrund in ein Dorf nahe einer werden inhaltliche Diskussionen größeren Stadt hinziehen, dann sehr pragmatisch geführt und di- ähnlich Gesinnte suchen und rekt in den nächsten gewünsch- starten, ist die Künstlerstadt ten Schritt abgeleitet. aus den Reihen der Menschen entstanden, die schon lange in Merke: Die ersten Schritte einer Initiative sind maßgeblich ent- Nicht die Kalbe leben und hier verwurzelt scheidend dafür, wie sich die wei- Kenntnis von sind. Da Kalbe weit von einer Me- tropolregion entfernt liegt, gibt tere Arbeit gestaltet. Wie wurde zur Teilnahme eingeladen, wur- Kunst war die es kaum solche Mitwirkenden, de über einen Austausch oder Eintrittskarte, die das Modell „Landsitz zum Wohnen, Stadt zum Arbeiten“ über eine Aktion eingeladen, wurden vorwiegend Freund:in- sondern die praktizieren. Unsere Altersstruk- nen angesprochen oder über Lust am tur ist auch anders aufgestellt. Die Mehrheit der Mitglieder:in- eine Zeitung aufgerufen oder gar über Postwurfsendungen? gemeinsamen nen befindet sich schon im Ru- Will man sich von Anfang an ge- Tun etwas durch hestand. Jüngere im sehr länd- lichen Raum sind meistens noch borgen und sicher fühlen, sind Freund:innen-Starts vorteilhaft. eigene Kräfte im Arbeitsprozess und in familiä- Wird offen aufgerufen, kann es nach vorne zu ren Bezügen stark eingespannt, sodass keine freien Kapazitäten auch sein, dass Menschen kom- men, die man noch nicht kennt bringen. für eine Arbeit in solch einer Initi- oder die man nicht gleich am ative möglich sind. Pendlerzeiten Anfang sympathisch findet. Für lassen die Menschen spät nach die Idee der sozialen Skulptur Hause kommen, meist wartet Künstlerstadt Kalbe wäre nur dann schon eine Familie. eine offene Ansprache möglich Durch den Aufruf zum Putzen gewesen. Die Möglichkeit der über eine Zeitung, sind bestimm- Heterogenität der Gruppe birgt te Menschen von vornherein den Vorteil einer guten Vertei- Es ist zu vermuten, dass diese nicht erschienen. Es ging ja nicht lung unterschiedlichster Fähig- anfängliche Ansprache der ers- erst darum ein Konzept anzufer- keiten und eine weitere Anspra- ten Mitwirkenden auch über die tigen, sondern die Häuser fit für che diverser Kreise, in denen Zügigkeit des Vorankommens den ersten Sommercampus her- diese Menschen leben. Das He- entscheidet. In der Künstler- zurichten. Die Struktur des har- rauskommen aus der eigenen stadt fanden sich sehr fleißige ten Kerns, der die meiste Arbeit in Blase wird dadurch erheblich Menschen zusammen, die ihre der Künstlerstadt erledigt, wurde gefördert. Und das Entdecken Freude auch über erledigte Pro- durch diesen Aufruf und unsere der verschiedensten Motiva- jekte zog. Zuviel „Gerede“ macht ersten Aktionen begründet. Es ist tionen der Mitwirkung in der sie oftmals unruhig, es wird eine kein intellektueller Zugang zum Künstlerstadt eröffnet zudem rasche, prägnante Entscheidung Thema Künstlerstadt Kalbe, son- Kenntnis darüber, wie andere gefordert, damit klare, ableitbare dern ein pragmatischer entstan- Zielgruppen angesprochen wer- nächste Schritte formuliert wer- den. Es sind Menschen zusam- den können mitzumachen. den können.
2.2. Mitgliedergewinnung Taten statt Worte TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 10 und -bindung Die Startphase kann geprägt sein Die große Frage, wie man an Mit- von Taten oder Worten. Wird ein- ren rückläufig. Menschen können wirkende kommt oder an potenti- fach losgelegt, etwas gemein- sich eher eine punktuelle Bindung elle Mitglieder, wird stets gestellt. schaftlich zu machen oder wird an eine Initiative vorstellen, also Die Künstlerstadt hat sich den erst einmal die gesamte Projekt- kurze und umschriebene Projek- Weg in die Wirklichkeit auf unge- idee ausformuliert. Beim Letzte- te, als dass sie eine generelle Ver- wohnte Weise gebahnt. ren läuft man Gefahr, keine posi- pflichtung gegenüber einem Ver- tiven Erlebnisse zu produzieren. ein eingehen. Das hat mit dem Ansprache Die Gruppe, die möglicherweise gesellschaftlichen Streben nach auch aus bisher nicht bekannten mehr Individualität zu tun, aber Oftmals werden bekannte Men- Mitwirkenden besteht, kann sich auch damit, dass das Eingehen schen angesprochen, meist jedoch über Taten sehr gut ken- in eine Verpflichtung selten als Freund:innen, welche die Idee nenlernen und eine Gruppeniden- bereichernd erlebt wird. Interes- oder das Projekt unterstützen tität ausbilden. Fähigkeiten wer- santerweise klagt eine Vielzahl sollen. Die Künstlerstadt rief den sichtbar und müssen nicht von Menschen darüber, dass sie über die lokale Zeitung zum Mit- erfragt werden, sondern werden keine Bindungen/Zugehörigkei- machen auf. Und es war eben gemeinschaftlich entdeckt. Wir ten zu anderen erleben – Einsam- nicht der Diskurs über die gro- starteten damit, dass wir ein Ziel- keit droht. Ab wann wird Bindung ßen Themen der Kunst und Kul- datum hatten – unser erster Som- positiv erlebt? Sie wird dann zum tur, sondern ganz konkret und mercampus – und wir bis zu die- Gewinn und nicht zur Belastung nah, wir brauchen Hilfe beim sem Tag mit dem Saubermachen einer Person, wenn eine gewisse Putzen. Sicherlich ein unge- und Einrichten der Räume fertig Anzahl bedeutsamer Bedürfnis- wöhnlicher Weg, der aber den sein mussten. Rückblickend war se durch diese Bindung erfüllt großen Vorteil hat, dass nicht es wirklich sehr wenig Zeit und wird. Die wichtigsten Bedürfnis- eine Gruppe von Freund:innen es ist nur dem Fleiß der Ersten se sind neben Bindung/Zugehö- den Weg bestimmt, den andere geschuldet, dass dies funktio- rigkeit der Wunsch nach Kont- nicht befreundete Menschen, nierte. Der Zeitdruck forderte uns rolle und Orientierung sowie die die sich dieser Gruppe anschlie- aber auch heraus, insofern war er Bedürfnisse nach Lustgewinn ßen wollen, mitgehen müssen. hilfreich. Es kam auf jede helfen- und Selbstwerterhöhung. Des- Hier war von Anfang an jede de Hand an und es wurden viele halb gelten ziemlich von Anfang und jeder gleich gefragt, stand Menschen in dieser Anfangs- an folgende unausgesprochenen auf gleichen Stand mit der Ini- phase angesprochen, die diesem Bedingungen einer Mitarbeit in tiatorin. Hier hatte keine Person neuen Projekt ein Stück Gutes tun der Künstlerstadt, die unsere Hal- einen Wissensvorteil, weil das wollten und mithalfen. Sicherlich tung zueinander geprägt haben: gesamte Erlebte und Gespro- blieben nicht alle dieser ersten chene mit dieser Gruppe ge- Unterstützer:innen des Projektes. 1. Keiner muss, jeder darf. Um- meinschaftlich erfahren wurde. Das ist auch wenig bedeutsam, gesetzt heißt das, dass jede und Zudem wurde dadurch ein Weg weil anfangs Neugier-Prozesse jeder kommen konnte, wann er eröffnet, Menschen aus dem am Wirken sind. Man will sich oder sie es wollte. Die Nachfra- näheren Umfeld kennenzuler- erkundigen, will wissen, was in ge: „Weshalb bist du nicht da ge- nen, die vorher sicherlich nicht seinem Umfeld geschieht und wesen?“, haben wir vorwiegend im Blickfeld gelegen hätten. Ein mindestens mitreden können. Be- vermieden. Wir freuten uns stets weiterer Vorteil ist es, wenn sonders im ländlichen Raum ein über jene, die da waren. Keine nicht die Freund:innen den Kreis recht wichtiger Aspekt. und keiner wurde zu etwas ge- der ersten Stunde ausmachen: zwungen. Sicherlich sagt da je- Beim Auskämpfen von unter- Bindung de/r Lesende na klar, ich kann schiedlichen Meinungen wird doch niemanden zwingen. Aber nie die Freundschaft infrage ge- Der Wunsch nach einer Mitglied- es ist nicht zu unterschätzen, stellt. schaft in einem Verein ist seit Jah- wie solch eine Frage wirkt, wenn
jemand gerade dabei ist, sich für es darum geht, die eigenen Fähig- TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 11 das Projekt, die Aufgabe, die Ar- keiten einzusetzen. Das macht beit zu begeistern. Wenn jemand oftmals nicht nur den meisten nur zwei Stunden kommen konn- Spaß für die Person. Häufig liegt te zum Helfen, freuten wir uns ein brauchbarer Hintergrund vor, über die zwei Stunden und dank- der es möglich macht, mit den ten der Person. Es geht hier viel- mehr um den sozialen Druck, der gewonnenen Fähigkeiten die Aufgabe zu meistern. Sicherlich Neben der durch diese Frage, „Wo warst du bleiben dann immer wieder Auf- verdienten Pause denn?“ ausgeübt wird. Wir gehen davon aus, dass jede und jeder gaben liegen, die niemand ma- chen mag oder die für alle neu können hier seine und ihre Gründe schon ha- sind. Unbeliebte Aufgaben wer- auch alle ben mag. Wenn er/sie uns diese mitteilen mag, o. k., wenn nicht, den im Umlaufverfahren erledigt oder es wird eine anderweitige aktuellen dann nicht. Die Frage stellten Lösung gefunden. Informationen wir nur, wenn jemand schon ver- pflichtend zugesagt hatte und 3. Arbeiten + Feiern. Wer viel ar- ausgetauscht dann nicht zum Treffen erschien. beitet, muss viel feiern! Arbeits- werden. einsätze mit einem gemeinsa- 2. Immer nach den Fähigkeiten men Imbiss oder Kaffeetrinken gehen. Jede und jeder ist am zu beenden wurde gerade in besten in der Arbeit und am wir- der letzten Zeit unserer Bauak- kungsvollsten eingesetzt, wenn tivitäten eingeführt. Ein Mitglied
des Vereins, der nicht mit bauen kreis erhielten wir positive Rück- TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 12 konnte, bereitete uns ein schö- meldungen hierzu. nes Essen vor, Schnittchen und Suppe oder es wurde Kaffee und Vorteil neuer Mitglieder Kuchen angeboten. Neben der Mehr Mitglieder verdienten Pause konnten hier Durch unsere Gebäude und bedeuten auch auch alle aktuellen Informationen durch die vielfältigen Aktivitäten ausgetauscht werden. Das ge- haben wir einen hohen Finanz- ein immer meinsame Zusammensein schuf bedarf aufgrund der Nebenkos- größer das WIR, welches die arbeitsin- ten und Eigenanteile, die wir bei tensiven Zeiten gut durchstehen den Förderungen mit aufbringen werdendes ließ. Und natürlich vor den gro- müssen. Mehr Mitgliedsbeiträge Netzwerk ßen Events, wie bei uns der Som- sichern ein paar der laufenden mercampus und der Einstieg in Kosten ab, ein anderer Teil ist für an den Veranstaltungsreigen wurde die Rücklagenbildung, falls Eigen- Mitwirkenden, ein Grillen im Voraus benötigt. anteile gefordert werden, bzw. Spätestens wenn die Bereitschaft für Investitionen, die nicht durch aber auch mitzuwirken nachlässt, muss ge- Fördermittel abgedeckt werden an Menschen, feiert werden. können. Und zweitens: Mehr Mit- glieder erhöhen die Legitimation welche die Idee Neue Mitglieder gewinnen und die Außenwirkung. Es gibt in die Welt hinaus besonders im ländlichen Raum Am Anfang haben wir uns kaum eine Hierarchie an Bedeutsam- tragen. Gedanken über Mitgliederge- keit aufgrund von Mitgliederzah- winnung gemacht. Wenn uns je- len. Es ist ein Indiz für: es stehen mand ansprach, bezüglich einer Menschen hinter dem Projekt. Je Mitgliedschaft freuten wir uns mehr Menschen, desto wichtiger und gaben den Mitgliedsantrag ist das Projekt. Da wir auch einige wir eine „Mitglieder werben, Mit- aus. Lange Zeit hatten wir um internationale Mitgliedschaften glieder-Aktion“ durchführen und die 30 Mitglieder im Verein. Erst haben, steigen wir auch noch im bei allen Großveranstaltungen im durch den „Call for Members“ Ansehen der Anderen. Deshalb nächsten Jahr verstärkt die An- Wettbewerb der Kulturstiftung ist eine Mitgliederbewerbung re- träge bewerben. Menschen, von des Bundes 2016 haben wir mög- gelmäßig durchzuführen, um ge- denen wir denken, dass Sie uns liche Kandidat:innen für eine Mit- rade auch in den Initiativen, die unterstützen würden, sollen ge- gliedschaft angesprochen. Da stark wachsen, in ihrer Arbeit eine zielt auch auf den Freundeskreis die Mitgliedschaft für den Verein Bedeutungswahrnehmung am Künstlerstadt Kalbe angespro- jeweils 50,– € aus den Mitteln der Laufen zu halten. Mehr Mitglieder chen werden, den wir 2019 ins Le- Stiftung einbrachte, waren wei- bedeuten auch ein immer größer ben gerufen haben. Hier werden tere Mitglieder auf einmal eine werdendes Netzwerk an Mitwir- höhere Beiträge erbeten, gleich- wichtige Finanzquelle für den kenden, aber auch an Menschen, zeitig gibt es auch besondere Ver- Verein. Wir konnten maximal für welche die Idee in die Welt hinaus anstaltungen und Einladungen 100 Mitglieder diesen Bonus er- tragen. Diese begeistern dann für diese Gruppe. Ähnlich wie bei halten und gewannen traumhaf- wiederum weitere Menschen, – der Aktion vor drei Jahren vermu- te 97 neue Mitglieder dazu. Über- es entsteht ein Schneeballeffekt. ten wir einige stille Zustimmende, raschenderweise stellte es sich Wie gewinnt man nun neue Mit- die durchaus bereit wären, als als gar nicht so schwer heraus. glieder? Wir haben gerade ent- förderndes oder ordentliches Mit- Durch unsere Aktivitäten hatten schieden, dass jede und jeder, der glied die Künstlerstadt zu unter- wir schon sehr viele Menschen oder die irgendwie in Kontakt mit stützen. Wie damals wollen wir erreicht, die sich für unsere Ar- der Künstlerstadt Kalbe tritt, ge- sehr persönlich die entsprechen- beit begeisterten. Auch im nahen fragt wird, ob sie oder er eine Mit- den Kandidat:innen ansprechen, Bekannten- und Verwandten- gliedschaft will. Außerdem wollen um ihnen eine Brücke zu bauen.
TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 13 den wenigen Ehrenamtlichen in der Organisation weiter getragen werden musste. Wir unterschätz- ten die Schwierigkeit, überhaupt Bewerber:innen auf diese Stelle nach Kalbe locken zu können. Wir führten reihenweise sehr vielver- sprechende Bewerbungsgesprä- che, erteilten Zusagen, die aber von der anderen Seite abwegig bescheinigt wurden. Offenbar be- reitete der ländliche Raum mehr Unbehagen, besonders dann, wenn die jungen Menschen sich aus ihren Studienstädten ablösen mussten, war der Sprung aufs Land für viele zu gewagt. Koordinationsstipendium als Übergang zur Professionalität Durch die ständige Anwesenheit der Stipendiat:innen wurde zum ersten Mal ein Büro mit festen Bürozeiten eingerichtet. Dieses 2.3. Haupt- und Ehrenamt kostenfrei eine Wohnung von der erhöhte die Ansprechbarkeit der Stadt Kalbe zur Verfügung ge- Künstlerstadt nach außen und Neben dem ehrenamtlichen Enga- stellt – das war die Bedingung der wirkte nach innen wie ein Kristal- gement strebten wir ab 2015 nach Kulturstiftung an die Stadt sich lisationspunkt. Alle Informatio- einer Professionalisierung der an der Förderung zu beteiligen. nen kamen im Büro zusammen. Künstlerstadt Kalbe. Wir erhielten Für jeweils sechs Monate war Es brachte ebenso eine sehr gro- in dem Zuge eine Förderung der ab Februar 2016 diese Stelle ge- ße Entlastung in der Planung der Kulturstiftung des Bundes „Vom schaffen. Es war dabei gar nicht Organisation und Durchführung Steg zur Brücke“, in dessen Rah- so einfach, jemanden zu finden, von Veranstaltungen mit sich. men wir auch ein Koordinations- der oder die diese Stelle für sich Wurden diese Arbeiten vorher stipendium einführen konnten. interessant genug fand, um nach meist nur von wenigen Ehrenamt- Durch eine ehemalige Praktikan- Kalbe zu kommen. Die Förderung lichen ausgeführt, konnten Auf- tin, die im Sommercampus 2015 lief bis September 2019. In dieser gaben verteilt und gezielter ko- in der Künstlerstadt mitwirkte, Zeit arbeiteten fünf Stipendiat:in- ordiniert werden. Und es kamen kam das starke Bedürfnis auf, nen in 31 Monaten von insge- frische Ideen hinein, Impulse wur- eine weitere Mitarbeit vorwiegend samt 45 Monaten der Förderung den gesetzt und neue Menschen in der Organisation und Planung in der Künstlerstadt mit, wobei in die Künstlerstadt eingeladen. hier zu haben. Wir konnten erst- eine Stipendiatin 12 Monate ab- Auch die Stipendiat:innen profi- malig Menschen einladen mitzu- solvieren konnte. Die 14 Monate tierten von der Mitwirkung in der wirken, die dafür 500,– €/Monat ohne Stipendiat:innen waren in- Künstlerstadt. Nicht nur, dass sie von der Kulturstiftung erhielten. sofern recht hart, da der Umfang Einblick erhielten in vielfältige kul- Sicherlich nicht ein üppiges Geld, der Arbeit anwuchs, in den Zeiten turelle Prozesse, sondern ihnen aber wir bekamen dazu noch ohne Stipendiat:innen aber von wurden auch teilweise hohe Ver-
antwortlichkeiten zugeschrieben, stießen wir auf den Weg, über den TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 14 die sie forderten und förderten. Europäischen Sozialfonds Stel- Und so ganz nebenbei konnten len finanziert zu bekommen. Da sie Kontakte im Kulturbereich wir schon seit 2014 Mitglied in wahrnehmen, nahmen an diver- der LAG Mittlere Altmark waren, sen Tagungen teil, konnten selbst reichten wir hier einen Antrag auf ihre Netzwerke erweitern. Förderung durch LEADER/CLLD Von Beginn dieser Förderung an –Mittel ein. war stets mitgedacht, dass die Am 1.7.2020 und am 1.12.2020 Koordinationsstipendien in feste starteten unsere ersten beiden Stellen münden sollten. Nur wo- hauptamtlichen Mitarbeiterinnen her erhält man Geld für Personal- mit ihren 40 Stunden Stellen. stellen? 2018 begann eine Förde- Wir rung durch die Kulturhanse, die FSJ/BfDi Stellen zum Ziel hatte, ein Gründerlabor unterschätzten in der Künstlerstadt zu etablie- Sicherlich war uns bekannt, dass den Sprung ren. Die Idee des Gründerlabors es diese Möglichkeiten gab, jun- entwickelte sich aus der zuneh- ge Menschen im Rahmen eines vom mend differenzierten und profes- Freiwilligen Sozialen Jahres oder städtischen sionalisierten Arbeit der Künst- einer Bundesfreiwilligenstelle bei lerstadt heraus, insbesondere uns zu beschäftigen. Bis 2019 Leben aufs aus den drei Festivals in 2018. hatten wir jedoch keine Idee da- Land, Dort kamen verstärkt Menschen rüber, wie wir 300,– € Taschen- auf uns zu, die gerne nach Kalbe geld für eine solche Stelle auf- das war ziehen wollten, jedoch keine Idee bringen können. Im September ja das mitbrachten, womit sie ihren Le- 2019 kam eine FSJ-Willige auf bensunterhalt sichern konnten. uns zu, da sie uns im Portal des woran es hakte. Wir entdeckten daraufhin, dass Jugendwerkes der AWO entdeckt es durchaus Arbeitsmöglichkei- hatte. ten gäbe (Unternehmensnach- Tatsächlich hatten wir 2014 drei folgen in Kalbe neue Ideen einer Bundesfreiwilligenstellen mit Mi- weg positive Erfahrungen mit der existenzsichernden Arbeit), diese grationsbezug beantragt und be- Einrichtung dieser Bundesfreiwil- aber oftmals nicht bekannt wa- willigt bekommen. Damals schu- ligenstelle gemacht. Nicht nur, ren. Wohnraum gab es genügend, fen wir diese Möglichkeit, um im dass inzwischen sehr viel Arbeit doch mussten ebenso Möglich- Falle einer drohenden Abschie- im Büro erledigt wird, sondern keiten des Broterwerbs erhoben bung unserer neuen Bürger:in- auch von Botengängen, Hilfestel- und geschaffen werden, damit nen sie durch eine Arbeitsstelle lungen für die anderen Ehrenamt- Menschen den Weg nach Kalbe in Deutschland halten zu können. lichen bis zu vorbereitenden und vollziehen konnten. Im Rahmen Wir mussten davon nie Gebrauch mit durchführenden Arbeiten ist des Gründerlabors bewarben wir machen, da unsere neuen Bür- es gut, jemanden quasi als Joker zwei Stellen für Kulturwissen- ger:innen nicht in diese Gefahr einsetzen zu können. schaftler:innen, die wir gerne im gerieten. Diese drei Stellen wa- Die Stelle birgt sehr viel persön- Rahmen einer Selbstständigkeit ren jedoch auf dem Portal seit- liches Entwicklungspotential für hier in Kalbe begrüßen wollten. dem zu finden. die Inhaber:innen. Gerade aus Wir unterschätzten den Sprung Da das Landeswerk der AWO uns dem schulischen Kontext heraus vom städtischen Leben aufs Land, noch durch eine Ermäßigung gekommen, vermitteln die Auf- das war ja das woran es hakte. unterstützte, wagten wir die Fi- gaben und die Einbindung in die Offensichtlich war auch hier das nanzierung und hatten von da Arbeit verantwortungsbewusstes Risiko, „Land“ zu wagen, zu hoch. an eine FSJ-Stelle geschaffen. Tun und Einblick in vielerlei le- Durch unsere Recherche bezüg- 2020 konnte diese Stelle erneut bensrelevante und kulturelle Kon- lich weiterer Fördermöglichkeiten besetzt werden. Wir haben durch- texte.
Zusammenwirken de also plötzlich unter monetä- TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 15 ren Gesichtspunkten bewertet. Das Angebot seitens der Vorsit- Gleichzeitig wurden viel stärker zenden, im Vornherein über die als zuvor Leistungen von der Arbeit der Hauptamtlichen auf al- Zusammenarbeit der ehrenamt- Künstlerstadt abgefordert, – sei les wirkt. Für manche ist es hier- lichen mit den hauptamtlichen es ein gemeinsames Grillen oder bei noch schwer zu verstehen, Strukturen zu sprechen, wurde Ausgeben von Getränken. Of- dass Hauptamtliche einen Feier- abgelehnt. War das Koordinati- fenbar ist durch die Schaffung abend haben und auch nicht un- onsstipendium noch eher als Sti- der hauptamtlichen Stellen der bedingt bei jedem Arbeitseinsatz pendium zu sehen – und der Um- Eindruck entstanden, dass die mitwirken können. Im letzten Jahr gang mit Stipendiat:innen war ja Künstlerstadt nun „reicher“ ge- kamen durch die Corona-Pande- durch die Campuszeiten hinweg worden sei. Dabei sind die Förde- mie zudem weitere Belastungen bekannt – veränderte sich die rungen durchlaufende Posten, mit hinein, die einige gemeinsa- Wahrnehmung der Person, die d. h. wir gewinnen kein Geld me Treffen der beiden Gruppen ab 1.7.2020 im Büro nun haupt- durch diese Stellen. Ganz im verhindert hat. So gab es im letz- amtlich saß, doch erheblich. Die Gegenteil: Die Finanzierung der ten Jahr nur sehr wenige Stamm- Ehrenamtlichen gingen sehr ziel- beiden Stellen kostet uns Geld, tische der Künstlerstadt, die ein strebig auf diese Person zu und weil wir den vom ESF erhalte- besseres Kennenlernen hätten versuchten ihr Aufgaben zu über- nen Betrag aufgestockt haben, erleichtern können. Wir sind neu- tragen. um gute Kräfte nach Kalbe zu gierig, wie die Kraft dieser Stel- Der zweite Effekt war, dass die locken. len sich noch weiter zeigen wird. Ehrenamtlichen verstärkt her- Noch ist nicht viel gemeinsame Wichtig ist es hierbei stets die vorhoben, wie viel sie bisher für Zeit zwischen den Hauptamt- Lust, die Bereitschaft und das die Künstlerstadt gemacht hat- lichen und den Ehrenamtlichen Herzblut der Ehrenamtlichen ten. Die dahinter liegende Frage entstanden. Sicherlich wurde wahrzunehmen und zu würdigen. war: Wie wird unsere Arbeit jetzt durch den Sommercampus und Schließlich sind sie diejenigen, bewertet, mit was belohnt? Die das BRUCCA! Festival schon für die den bisherigen Erfolg unserer Wertigkeit getaner Arbeit wur- alle deutlich, wie entlastend die Arbeit gewährleistet haben.
3. WIR UND ANDERE TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 16 3.1. Bevölkerung vor Ort die Auszeichnung vom Land der auf den letzten Platz bei der Preis- Ideen, ein bundesweiter Wettbe- verleihung besetzt. Alle feierten Als der erste Sommercampus sehr werb. Wir wurden, obwohl gerade mit. Und die Rede des Innenminis- erfolgreich verlief, kamen Mitglie- einmal drei Monate alt und erst ters, die folgendermaßen begann: der anderer Vereine auf uns zu und eine Veranstaltung erfolgreich „Sachsen-Anhalt hat schon viel fragten an, ob wir nicht nur noch hinter uns gebracht, unter 1000 hervorgebracht: Martin Luther, das ein Verein machen sollten, nämlich Bewerbungen ausgewählt. Man Bauhaus und jetzt die Künstlerstadt die Künstlerstadt. Wir hielten uns darf die Wirkung dieses Preises Kalbe!“ brachte viel Lachen und zurück bei diesem Angebot und nicht unterschätzen. Das Land der Applaus ein, aber viel wichtiger versuchten den Wert der anderen Ideen ist eine von der Bundesre- auch die offizielle Anerkennung, Vereine zu unterstreichen. Eine gierung eingesetzte Initiative, ge- dass das, was wir vorhaben, preis- Auflösung aller Vereine hielten wir fördert von der Deutschen Bank würdig ist. nicht für sinnvoll, weil in ihnen ge- und der deutschen Wirtschaft. Merke: Je „verrückter“ die Visi- wachsene Strukturen mit ihrer ei- Zur Preisverleihung luden wir die on, desto mehr Wirkung hat eine genen Geschichte entstanden wa- Geschäftsführerin vom Land der Anerkennung durch Externe, am ren, die ihren Wert in sich trugen. Ideen und den Innenminister von besten noch bedeutsame, wich- Das Angebot damals war der Aus- Sachsen-Anhalt ein. Da der Preis tige Menschen, denen Kenntnis druck der Hoffnung, dass endlich nicht mit finanziellen Mitteln ver- zugeschrieben wird. Deshalb: etwas Wegweisendes geschieht bunden war, uns aber als Verein unbedingt schon in der Frühpha- und dass sich hier Menschen ver- in der Organisation der Preisver- se Wettbewerbe und Auszeich- sammelten, die wirklich in sehr leihung stark forderte, wollten nungen anstreben. Sie bringen kurzer Zeit etwas bewegten. wir wenigstens einen öffentlich- nicht nur die Medien in Gang und Am Ende des ersten Sommer- keitswirksamen Effekt erzielen. entsprechende Aufmerksamkeit, campus erhielten wir völlig über- Der Ratsstubensaal, der größte sondern erzielen auch Wirkung raschend unseren ersten Preis, mögliche Saal in Kalbe, war bis in der Bevölkerung.
Neugier-Effekte + fördern und anzubieten. Würden TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 17 Akzeptanz der Angebote wir die Besucher:innenzahlen als Maßstab für den Erfolg nehmen, Mitbedenken muss man soge- nannte Neugier-Effekte im ersten hätte das zur Folge, dass nur Mainstream-Kultur angeboten Da es Jahr evtl. auch noch im zweiten wird. Ungewöhnlichere Forma- sehr wenig Jahr. Es ist der Ausdruck der na- türlichen Orientierungsreaktion te vorzuhalten ermöglicht aber erst Vielfalt kennenzulernen und zeitgenössische des Menschen, sich selbst ein Bild seine Ansprechbarkeit für be- Kunst im zu machen, von dem, was dort geschieht. Während der Sommer- stimmte Kunstformate zu entde- cken. Wir haben es uns zum Ziel ländlichen campuszeiten brachte uns das gemacht, eben nicht in Konkur- Raum der durchaus schon recht gute Be- sucher:innenzahlen bei den be- renz mit anderen bestehenden Formaten zu gehen, sondern im Altmark gleitenden Veranstaltungen und Sinne einer Ergänzung kultu- zu sehen den Atelier-Rundgängen. Hier ist anzumerken, dass die Künst- relle Angebote zu gestalten. Es gab auch heftige Diskussionen gibt, lerstadt zeitgenössische Kunst über die gezeigte Kunst, die zu war vieles, in den ländlichen Raum bringt, welches durchaus den Diskurs Distanzierungseffekten führte. Sollte allgemein verträglichere was es hier über das, was Kunst ist und alles Kunst zum Erleben angeboten zu sehen, sein kann, anschiebt. Da es sehr wenig zeitgenössische Kunst im werden? Mehr gegenständliche Malerei statt Installationen? Um zu hören und ländlichen Raum der Altmark zu trotz der Infragestellung hand- zu erleben gab, sehen gibt, war vieles, was es hier zu sehen, zu hören und zu erleben lungsfähig zu bleiben, war es für uns in dieser Zeit wichtig, uns im- sehr neu für die gab, sehr neu für die meisten der mer wieder auf das langfristige meisten der Besuchenden. Nachdem „klar“ war, was hier zu sehen gibt, nah- Ziel unserer gesamten Arbeit zu besinnen. Der Sommercampus, Besuchenden. men die Besucher:innenzahlen die Atelier-Rundgänge und die ab. Sicherlich fehlte auch eine präsentierte Kunst dort ist nur auskristallisierte – die Potentiale Möglichkeit, sich dieser Kunst un- eine Möglichkeit für junge Men- der Künstlerstadt. Es sollte ein voreingenommen zu nähern bzw. schen und internationale Künst- Ausrufezeichen werden, um die Kunstvermittlungsprogramme, ler:innen, den ländlichen Raum in Potentiale des ländlichen Rau- um das Gesehene einzuordnen. seinem Luxus der Leere zu erle- mes und der Künstlerstadt deut- Vorträge und Workshops, die wir ben, evtl. sich darin ein wenig zu lich werden zu lassen. Gepaart anboten, wurden zwar besucht, verlieben, um im zweiten Schritt mit improvisierter Musik, die wir jedoch hatten sie geringe Aus- den Lebensmittelpunkt Kalbe zu als kongruente Form im musikali- wirkungen auf die Besucher:in- wählen. Die Abnahme der Besu- schen Bereich hinzunahmen, um nenzahlen. Diese Durststrecke cher:innenzahlen bei den Atelier- das abzubilden, was sich in dem ist zu überwinden, indem man Rundgängen würde dieses Ziel Prozess der letzten Jahre unse- einfach kleiner, aber beständig nicht irritieren können. rer Arbeit zeigte, nämlich das weiter macht. Schließlich sind Unser erstes Festival in 2018, Fördern und Herausschälen von wir nicht abhängig von der Be- welches als Idee schon 2014 Potentialen, war Zündstoff für die sucher:innenzahl, sodass wir re- durch einen der Sommercam- Kalbenser:innen. Alle zogen neu- lativ entspannt weiter machten. pus-Stipendiaten entstanden gierig zum Festival, vermuteten Diese Unabhängigkeit von den war, erleichterte unsere Arbeit leicht konsumierbare Musik und Besucher:innenzahlen wird uns nicht. Wir wollten etwas Beson- wurden mit improvisierter Musik durch die Förderungen möglich, deres in der Künstlerstadt Kalbe empfangen, die viel Unverständ- die wir akquirieren. Diese ist not- entwickeln, welches sich durch nis und Ablehnung erzeugte. Die wendig, um kulturelle Vielfalt zu die Arbeit der letzten Jahre her- von extern angereisten Festival-
besucher:innen hingegen waren fahrbar zu machen. Deshalb eig- TRANSFERKONZEPT KÜNSTLERSTADT KALBE 18 begeistert von der Atmosphäre net sich der niedrigschwellige der Spielorte, den Menschen, die Zugang hervorragend. Die (((po- sie hier trafen, von der Qualität tentiale))) hingegen soll und wird dass es überhaupt noch keinen der erlebten Musik und des Rah- immer eine Perle bleiben, keine Vorläufer für dieses Format bun- menprogramms. Massenveranstaltung, aber et- desweit gegeben hat, sodass Daraufhin war das zweite und was, was die Künstlerstadt Kal- neben diesem als solches auch dritte Festival in 2018 mit sehr be sichtbar werden lässt in be- die Idee erst vermittelt werden vielen Vorbehalten seitens der stimmten Kreisen. muss. Die kulturelle Belebung Bevölkerung belegt gewesen. In- Neugier-Effekte treten interes- des ländlichen Raumes der Alt- zwischen erfreut sich das BRUC- santerweise weniger im Work- mark bis in den letzten Winkel CA! Festival für Theater, Zirkus shop-Bereich der Künstlerstadt hinein und dass die Kunst zum und Musik stark wachsender auf. Offensichtlich wird die Menschen kommt, sind neue Begeisterung, und auch das IM- Künstlerstadt Kalbe wenig in der Ansätze, die Zeit benötigen, um PULS-Festival für Neue Musik Bevölkerung als Anbieter von begriffen und angenommen zu gewinnt deutlich an Besucher:in- kulturellen Workshops verstan- werden. Inzwischen hat sich die nen. Schließlich zeigte sich, dass den, obwohl diese seit 2014 ein Kunstlotterie als Format bewährt dort eher vertraute Inhalte ange- starkes Standbein im kulturel- und zwar auf zwei Seiten: Die boten wurden. len Angebot der Künstlerstadt Rezipient:innen erfreuen sich an Merke: Festivals sind allein auf- darstellt. Wir bieten jährlich ca. den hochwertigen Beiträgen zu grund der Größe deutliche Signa- 14 Workshops für Kinder und Hause und die Künstler:innen be- le in die Bevölkerung des Ortes. Jugendliche, drei für Menschen fruchten die Nähe zum Publikum Sicherlich kann man spezifische mit Behinderungen und ca. acht und ziehen sehr häufig weitere Themen wie improvisierte Mu- für erwachsene Menschen an. Engagements nach sich. sik anbieten – ich denke, es ist Sicherlich wird der Radius der Immer wieder kommt der Satz auch unbedingt notwendig, – Nutzer:innen dieser Workshops auf, dass doch zu dieser oder je- doch muss man mit den nicht mittlerweile immer größer, zieht ner Veranstaltung nur so wenige nur positiven Reaktionen der Be- Menschen aus der gesamten Kalbenser:innen anwesend ge- völkerung rechnen. Das BRUC- Altmark an, jedoch bekommen wesen wären. Von der geringen CA! Festival für Theater, Zirkus diese Workshops noch nicht Teilnahme der Bevölkerung wird und Musik hingegen ist niedrig- die gleiche Aufmerksamkeit wie dann abgeleitet, dass Kalbe sich schwellig angesetzt. Mittels Stra- die Festivals. Einzig die Graffi- nicht für die Arbeit der Künstler- ßentheater, dem Format Zirkus ti-Workshops werden deutlich stadt interessiere, ihr womög- und einem starken partizipativen wahrgenommen, weil nach je- lich sogar abwertend gegenüber Teil ist es für viele leicht zugän- dem Workshop im Stadtbild ein steht. Das ist schon ein eigen- gig. Inzwischen gilt das Theater- Objekt gesprayt wurde, welches tümlicher Gedankengang. Ich Festival als Geheimtipp, weil es für jedermann sichtbar ist. Des- frage mich, ob ein Fußballverein die breite Masse anspricht, wäh- halb kann man davon ausgehen, im Ort „enttäuscht“ ist, wenn rend sich bei der improvisierten dass Sichtbarkeit ein Faktor ist, nicht alle Kalbenser:innen dieses Musik lange noch nicht alle mit- der Neugier-Effekte und ein spä- Spiel gesehen haben. Weshalb genommen fühlen. Wichtig sind teres Nutzen dieser Angebote wird bei kulturellen Angeboten hier jeweils die Ziele, die verfolgt begünstigt. eine hohe Besucher:innenquote werden. Das Theater hat in Kalbe Die Kunstlotterie „Kunst ge- erwartet, obwohl nur ca. 10 % der eine sehr alte Tradition, die aber winnt!“, die 2017 von der Kultur- Bevölkerung regelmäßig Kultur- durch das Schließen des Kultur- stiftung des Bundes als „Beste veranstaltungen besuchen? Da- hauses seit 24 Jahren ruht. Uns Idee“ ausgezeichnet wurde, er- bei ist aber noch nicht gesagt, ist es wichtig, wieder Theater- fuhr eine ähnliche Geschichte welcher Art diese Kulturveran- kultur zu etablieren, nicht nur für wie die Festivals. Jetzt im drit- staltung ist. Eine Karnevalssit- den Konsum, sondern auch als ten Durchlauf zeigt sich deutlich zung, das Oktoberfest oder das Möglichkeit, gesellschaftlichen ein größeres Inanspruchnahme- Konzert des heimischen Chores und persönlichen Ausdrucks er- verhalten. Hier ist zu bedenken, können dies ebenso sein wie
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