Österreichische UNESCO-Kommission Jahrbuch 2020

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Österreichische UNESCO-Kommission Jahrbuch 2020
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Österreichische
UNESCO-Kommission
Jahrbuch 2020

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Österreichische UNESCO-Kommission Jahrbuch 2020
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         INHALT

     2   VORWORT

    4    75 JAHRE UNESCO – QUO VADIS?

     6   BILDUNG

    14   WISSENSCHAFT

    20   KULTUR

    39   KOMMUNIKATION UND INFORMATION

    46   ANHANG

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    48   IMPRESSUM
Österreichische UNESCO-Kommission Jahrbuch 2020
Österreichische
UNESCO-Kommission
  Jahrbuch 2020
Österreichische UNESCO-Kommission Jahrbuch 2020
VORWORT
© Nitsche

            Mag.a Patrizia Jankovic, Generalsekretärin

            Als im Februar 2020 das Treffen der Europäischen National-     Paris ein ursprünglich von den deutschsprachigen National-
            kommissionen in Cascais (Portugal) stattfand, ahnte niemand,   kommissionen initiiertes Positionspapier zur Strategischen
            dass es für die Beteiligten die letzte physische Zusammen-     Transformation der UNESCO. Durch zahlreiche NatComs aller
            kunft für lange Zeit sein sollte. Denn üblicherweise gibt es   Kontinente breit unterstützt zeigt es, welche entscheidende
            im Lauf eines Jahres etliche Gelegenheiten, bei denen Ver-     Rolle diese für die Organisation spielen. Enge Kooperation
            treter*innen der 199 Nationalkommissionen (NatComs)            mit anderen Nationalkommissionen gibt es etwa auch im
            weltweit miteinander in Austausch treten. Das Netzwerk         Bereich multinationaler Einreichungen, für das Jahr 2020 sind
            der Europäischen NatComs ist ein Forum, das Zusammen-          hier im Immateriellen Kulturerbe die Lippizanerzucht sowie
            arbeit ermöglicht, eine Plattform, die sich dem Austausch      die Flößerei zu nennen. Außerdem wurden, gemeinsam mit
            und der Kooperation widmet und die Ziele der UNESCO in         den deutschsprachigen UNESCO-Kommissionen, mehrere
            den einzelnen Ländern voranbringt.                             Publikationen zur Kulturellen Vielfalt aus dem Englischen
                UNESCO-Nationalkommissionen sind einzigartig im            übersetzt und einem deutschsprachigen Interessent*innen-
            UN-System. Ihr Alleinstellungsmerkmal ist ihre profunde,       kreis zugänglich gemacht. Auch waren die Nationalkom-
            langjährige Kenntnis von Prozessen sowohl auf inner-           missionen wesentlich in die vorbereitenden Arbeiten zur
            staatlicher wie auch auf UNESCO-Ebene. Zudem ist es            UNESCO-Empfehlung zur künstlichen Intelligenz involviert
            eine ihrer zentralen Aufgaben, den Austausch zwischen          und im Bildungsbereich sehr gefordert, der durch die Pande-
            Mitgliedstaat, UNESCO und Zivilgesellschaft voranzutreiben.    mie wieder massiv ins Zentrum der UNESCO-Bemühungen
            Sie informieren, beraten, managen, verwalten – sie ver-        gerückt ist.
            suchen, den „Geist der UNESCO“ in den Mitgliedstaaten              Dieser kleine Ausschnitt gemeinsamer Aktivitäten zeigt
            nicht nur am Leben zu erhalten, sondern stets aufblühen        bereits, wie zentral diese Kooperationen sind – und wie
            zu lassen.                                                     sehr der ständige, auch informelle, Austausch die Arbeit
                Die ÖUK beteiligt sich sehr aktiv sowohl am bereits        der österreichischen UNESCO-Kommission bereichert und
            genannten Netzwerk der Europäischen NatComs, als auch          zu ihrem Erfolg beiträgt. Dafür bedanke ich mich nicht nur
            an jenem aller Nationalkommissionen weltweit sowie am          bei unseren internationalen Partner*innen, sondern auch
            sog. Viererausschuss der deutschsprachigen Kommissionen        bei unseren Fördergeber*innen und Unterstützer*innen in
            und kooperiert regelmäßig zu spezifischen Aspekten mit         Österreich sowie selbstverständlich beim Team der Öster-
            anderen Nationalkommissionen. Dieser Austausch ist –           reichischen UNESCO-Kommission!
            zusätzlich zu den vielfältigen nationalen Aufgaben – ein
            zentrales Anliegen für die ÖUK und wesentlich für unser
            Verständnis von multilateraler Zusammenarbeit. Von ihm
            profitieren auch unsere innerstaatlichen Aktivitäten, sei
            es auf Grund der Inspiration durch andere Nationalkommis-
            sionen, sei es durch konkrete gemeinsame Projekte.
                So ist es uns auch im herausfordernden „Pandemie-Jahr“
            2020 gelungen, zahlreiche Aktivitäten gemeinsam mit
            anderen Nationalkommissionen zu realisieren. Besondere
            Aufmerksamkeit erfuhr durch das UNESCO-Sekretariat in                              Mag. a Patrizia Jankovic

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Österreichische UNESCO-Kommission Jahrbuch 2020
© KHM Museumsverband

                       Dr.in Sabine Haag, Präsidentin

                       Das Jahr 2020 war ohne Zweifel ein Außergewöhnliches.           Freiheit schützen – Allianzen bilden“. Zudem beteiligte sich
                       Als sich Anfang März 2020 der erste „Lockdown“ ankündigte,      die ÖUK auch an der von der UNESCO ins Leben gerufenen
                       rechneten wohl die Meisten von uns mit einer relativ raschen    ResiliArt-Reihe, die die Auswirkungen der COVID-19-Pande-
                       Rückkehr zur Normalität. Dass und wie die Covid-19-Pande-       mie auf Kunst- und Kulturakteur*innen ins Zentrum rückt.
                       mie das gesamte Jahr prägen sollte, schien zu diesem Zeit-      In Österreich fand ein ResiliArt-Talk im April gemeinsam
                       punkt kaum vorstellbar.                                         mit der IG KiKK (Kulturinitiativen in Kärnten/Koroška) zum
                           Bald schon wurde jedoch deutlich, wie tiefgreifend die      Thema Kultur & Demokratie statt, ein zweiter im Dezember
                       Auswirkungen der Krise sein würden – und wie stark sie das      mit VIDC/kulturen in bewegung zu Herausforderungen des
                       Mandat der UNESCO betreffen. In einer für eine internationale   internationalen Kulturaustauschs. Das Jahr 2020 hat also
                       Organisation eindrucksvollen Geschwindigkeit wurden u.a.        für große Herausforderungen gesorgt, gleichzeitig aber
                       Webinare in verschiedensten Bereichen (z.B. für Bildungs-       auch Chancen eröffnet und neue Kooperationen ermöglicht
                       verantwortliche) angeboten, Veranstaltungsreihen (z.B. zur      – so konnte etwa internationale Expert*innen am IKE-
                       Situation von Künstler*innen) ins Leben gerufen und auch        Online-Fachgespräch „Impulse eines praxis-orientierten
                       für statutarische Treffen der UNESCO-Organe neue Formen         Re-Definierens im (post)-migrantischen Europa“ teilnehmen,
                       gefunden.                                                       denen eine physische Anwesenheit nicht ohne weiteres
                           Auch die Österreichische UNESCO-Kommission sah sich         möglich gewesen wäre.
                       mit der Situation konfrontiert, ihre Jahresplanung verändern        Möglich gemacht wurde all dies nicht nur durch das
                       zu müssen. Eine ihrer zentralen Stärken – die Kooperation       außergewöhnliche Engagement der Mitarbeiter*innen
                       mit vielfältigen Partner*innen aus Verwaltung, Wissen-          der ÖUK, sondern auch durch die Flexibilität und das Ent-
                       schaft, Forschung und Zivilgesellschaft – bedeutet norma-       gegenkommen unserer langjährigen Unterstützer*innen
                       lerweise, dass Treffen abgehalten, Workshops veranstaltet,      aus den zuständigen Ministerien. Ihnen sowie all unseren
                       in persönlichen Gesprächen Informationen ausgetauscht           Partner*innen aus der Zivilgesellschaft gilt mein Dank. Und
                       werden. Insbesondere die Zusammenarbeit mit der Zivil-          bei allem Erfolg der genannten Online-Formate wünsche
                       gesellschaft war – und ist – stark vom direkten, unmittel-      ich uns für das Jahr 2021 und die weitere Zukunft doch
                       baren Kontakt getragen. So schien es anfangs nur schwer         wieder mehr Austausch und Zusammenarbeit in physischer
                       vorstellbar, wie dieser Austausch in Zeiten von Kontakt-        Ko-Präsenz!
                       beschränkungen und „physical distancing“ weiter bestehen
                       kann.
                           Es war daher beeindruckend zu sehen, wie innerhalb
                       kurzer Zeit Möglichkeiten geschaffen wurden, die Koope-
                       ration erfolgreich aufrechtzuerhalten: langjährig etablierte
                       Veranstaltungen, wie etwa die Jahrestagung der Österreichi-
                       schen UNESCO-Schulen oder die Klausurtagung Kulturelle
                       Vielfalt, wurden in den virtuellen Raum verlegt, aber auch
                       vollständig neue Formate entwickelt. Nennen möchte ich
                       exemplarisch den Virtuellen Salon zum Immateriellen Kul-
                       turerbe oder die Online-Workshop-Reihe „Künstlerische                                 Dr.in Sabine Haag

                                                                                                                                                  3
Österreichische UNESCO-Kommission Jahrbuch 2020
© iStock
75 Jahre UNESCO – quo vadis?
Die „Verankerung des Friedens im Geiste der Menschheit“ ist gemäß ihrer Verfassung das erklärte Ziel der
UNESCO, die vor 75 Jahren in London gegründet wurde. Ein Auftrag, der bis heute nichts an Gültigkeit und
Notwendigkeit verloren hat. Im Gegenteil.
(erstmals erschienen in: Die Presse vom 16.11.2020)

DR.IN SABINE HAAG                          der sich in vielen Aspekten deutlich von          Spätestens in Zeiten akuter globaler
                                           der gegenwärtigen geopolitischen Situ-       Herausforderungen – wie diese Pande-
Am 16. November 1945, nur wenige           ation unterschieden hat. Besonders in        mie wohl eine der einschneidendsten
Monate nach Kriegsende, wurde von          den vergangenen Jahren, denen viele          der jüngsten Geschichte ist und die
den Vertretern von 37 Staaten das Grün-    Kommentatoren eine „Krise des Multi-         Klimakrise eine solche sein wird – wird
dungsdokument für eine UN-Sonder-          lateralismus“ attestierten, wurde immer      deutlich, dass individuelle Alleingänge
organisation unterzeichnet, die die        wieder (sicherlich auch teils berechtigte)   auf nationalstaatlicher Ebene zwar
friedenssichernde Mission der Ver-         Kritik an der UNESCO, aber auch am           vielleicht kurzfristig sichtbar, langfris-
einten Nationen durch die Förderung        UN-System insgesamt geübt. Fehlende          tig jedoch nicht erfolgreich sein werden
der internationalen Zusammenarbeit         Schlagkräftigkeit, Schwerfälligkeit, poli-   können. Die COVID-19 Pandemie hat
in Bildung, Wissenschaft und Kultur        tische Vereinnahmung und die generelle       bekanntermaßen nicht nur eine welt-
aktiv mittragen sollte. Ins Leben geru-    Frage nach der allgemeinen Relevanz in       weite Gesundheitskrise ausgelöst, son-
fen wurde die UNESCO im Geiste der         der Welt des 21. Jahrhunderts standen        dern auch eine tiefgreifende Krise des
Vereinten Nationen von einer Genera-       und stehen im Raum. Wie notwendig ist        kulturellen Lebens und des Bildungswe-
tion an Politikern und Intellektuellen,    also eine Organisation, deren Grund-         sens nach sich gezogen. Auch wenn sich
die die Verheerungen und Folgen zweier     strukturen und Prinzipien vor einem          die Situationen in unterschiedlichen
Weltkriege selbst unmittelbar miterlebt    dreiviertel Jahrhundert geschaffen           Teilen der Welt in den Details unter-
hatten, in einem historischen Kontext,     wurden?                                      schiedlich darstellen mögen, handelt es

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Österreichische UNESCO-Kommission Jahrbuch 2020
sich um globale Phänomene: weltweit        gänzlich veränderten Welt, sondern        machen jedoch Hoffnung, dass dem
wurden Schließungen von Bildungs- und      auch neuen Problemen gegenüber. Zu        Multilateralismus wieder eine größere
Kultureinrichtungen, Schulen, Universi-    ihren ursprünglichen, beinahe schon       Rolle zukommen und Bedeutung bei-
täten, Museen und Theatern vollzogen       klassischen Aufgaben des Kulturgü-        gemessen werden könnte.
– und damit massive Eingriffe in das       terschutzes oder der Bewahrung von             Die UNESCO hat in den vergange-
gemeinschaftliche Leben mit bislang        Umwelt, Biodiversität und natürlichen     nen Monaten bewiesen, dass das vor 75
noch kaum vorherzusehenden Folgen.         Ressourcen haben sich, trotz immer        Jahren erdachte System der multilatera-
                                                                                     len Kooperation nicht obsolet geworden
Internationale Zusammenarbeit                                                        ist. In ihrem Bezug auf die Grundideen
in einer veränderten Welt                     „Spätestens in Zeiten akuter           der Menschenrechte – als erste UN-Or-
                                              globaler Herausforderungen             ganisation noch vor der Verabschiedung
Die Krise betrifft also wie kaum ein          […] wird deutlich, dass indi-          der Allgemeinen Erklärung der Men-
anderes Ereignis die Kernthemen und           viduelle Alleingänge auf               schenrechte 1948 – und ihrer Einbin-
Mandate der UNESCO. Die UNESCO                                                       dung zivilgesellschaftlicher Kräfte war
                                              nationalstaatlicher Ebene
war es auch, die als eine der zentralen                                              die UNESCO zudem bereits zu ihrer
Institutionen in Bildungs- und Kultur-        zwar vielleicht kurzfristig            Gründung innovativ. Aktuelle Initiati-
fragen auf internationaler Ebene rasche       sichtbar, langfristig jedoch           ven, etwa das unlängst verabschiedete
Schritte setzen konnte. Neben der Eta-        nicht erfolgreich sein werden          Übereinkommen zur einfacheren Aner-
blierung eines Monitorings für Schul-         können.“                               kennung von Qualifikationen im Hoch-
schließungen stand die Gründung einer                                                schulbereich oder die Bestrebungen im
globalen Bildungskoalition – bestehend                                               Bereich Ethik der künstlichen Intelli-
aus multilateralen Partnern, privatwirt-   knapper werdender finanzieller Res-       genz zeigen, dass die UNESCO auch
schaftlichen Akteur*innen und zivil-       sourcen, Fragen der Digitalisierung,      75 Jahre später als globales „laboratory
gesellschaftlichen Organisationen – im     der Künstlichen Intelligenz und – immer   of ideas“ zukunftsweisende, innovative
Zentrum, um Mitgliedstaaten dabei zu       virulenter werdend – Problemstellungen    Lösungen in den Bereichen Bildung,
unterstützen, Fernunterricht zu verbes-    des Klimawandels in das ohnehin schon     Wissenschaft und Kultur bieten kann.
sern und integrativer und gerechter zu     breite Themenspektrum der Organisa-       Es bleibt also zu hoffen, dass dieser
gestalten. Die Tätigkeiten der Koalition   tion gereiht.                             erfolgreiche Weg gesehen wird und
in den verschiedenen Ländern ist viel-                                               weiter beschritten werden kann. Denn
fältig: von der Bereitstellung von offen   Nur so stark wie ihre Mitglieder          globale Herausforderungen brauchen
zugänglichen Bildungsangeboten, der                                                  globale Lösungen und starke Instituti-
Unterstützung der Lernenden und Lehr-      Kritik an der UNESCO gab und gibt es      onen, die diese tragen können.
personen bis hin sowie zur Verfügung-      immer wieder. Die UNESCO reagiert
stellung von Infrastruktur und tech-       darauf mit einem ambitionierten
nischem Equipment. Die ebenso von          Reformbestreben unter der Ägide der
der UNESCO angestoßene „ResiliArt“-        aktuellen Generaldirektorin Audrey
Bewegung wendet sich hingegen an           Azoulay. Viele Kritikpunkte mögen
Kulturakteur*innen und versucht, über      aber auch einer gewissen Erwartungs-
                                                                                                           © KHM Museumsverband

internationale Vernetzung Möglich-         haltung gegenüber einer multilatera-
keiten und Antworten auf die Fragen        len Organisation geschuldet sein, die
dieser Kulturkrise zu finden und jenen     nur bis zu einem gewissen Grad erfüllt
eine hörbare Stimme zu geben, die akut     werden kann. Klar muss sein, dass die
von dieser betroffen sind.                 UNESCO nur so stark sein kann, wie
                                                                                     DR.IN SABINE HAAG studierte Anglistik und
     Am deutlichsten sichtbar wurde in     ihre Mitglieder dies zulassen. Und dies   Amerikanistik sowie Kunstgeschichte an den
diesem Jahr wohl eine Notwendigkeit:       wiederum war immer Schwankungen           Universitäten Innsbruck und Wien, wo sie 1995
die Stärkung internationaler wissen-       unterworfen. Insbesondere der Aus-        promovierte. Ab 1990 war sie als Kuratorin in
                                                                                     der Kunstkammer sowie der Weltlichen und
schaftlicher Zusammenarbeit, etwa          tritt der USA, bedeutend als Finanz-
                                                                                     Geistlichen Schatzkammer des Kunsthistorischen
durch die aktive Förderung von Open        geber und geopolitisch starke Stimme,     Museums tätig, die sie spätere auch leitete.
Science, deren weitreichenden Chancen      hat zudem zu einer massiven Schwä-        Seit 2009 ist Sabine Haag Generaldirektorin
vor dem Hintergrund der globalen Krise     chung, nicht nur der Organisation, son-   des Kunsthistorischen Museums, des Welt-
                                                                                     museums sowie des Theatermuseums und
zunehmend an Bedeutung gewinnen.           dern des Multilateralismus insgesamt
                                                                                     lenkt die Geschicke dieses Museumsverbandes.
     75 Jahre nach ihrer Gründung          geführt. Jüngste Äußerungen des frisch    Seit 2018 steht sie der Österreichischen
steht die UNESCO nicht nur einer           gewählten US-Präsidenten Joe Biden        UNESCO-Kommission als Präsidentin vor.

                                                                                                                                  5
Österreichische UNESCO-Kommission Jahrbuch 2020
BILDUNG
    Mit der Verabschiedung der Agenda 2030 für
    nachhaltige Entwicklung hat die internationale
    Staatengemeinschaft auch die zentrale Rolle der
    Bildung hervorgehoben. Mit ihren 17 Sustainable
    Development Goals/SDGs skizziert sie eine
    langfristige weltweite Agenda, die einen grund-
    legenden Richtungswechsel im Denken und
    Handeln der Menschen einleitet. Zentrales
    Element für die Umsetzung ist Bildung, denn
    eine global nachhaltige Entwicklung kann nur
    umgesetzt werden, wenn Nachhaltigkeit in den
    Bildungssystemen weltweit verankert ist.

                                                      © iStock-wavebreakmedia

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Österreichische UNESCO-Kommission Jahrbuch 2020
UNESCO-BILDUNGSPROGRAMME                                                SGD 4: Bildungsziele
                                                                        Bis 2030 für alle Menschen inklusive, chancen-
Auf dem Weg zu einer gerechten                                          gerechte und hochwertige Bildung sicherstellen
                                                                        sowie Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen
Welt für alle                                                           fördern.

                                                                                        4.1. Bis 2030 allen Mädchen und
                                                                                        Buben den Abschluss einer kos-
                                                                                        tenlosen, chancengerechten und
„No one shall be left behind“ – so lauten Motto und Ziel der UNESCO-                    hochwertigen Primar- und Sekun-
Bildungsagenda 2030. Das Jahr 2020 hat, wie kein anderes in der                         darschulbildung ermöglichen.
jüngeren Geschichte, die Bedeutung dieses Leitspruchs vor Augen
geführt. Tatsächlich haben im Lauf des Jahres Millionen von Men-                        4.2. Bis 2030 allen Mädchen
schen, insbesondere Kinder und Jugendliche, ihre gewohnten Lern-                        und Buben den Zugang zu
umgebungen zumindest temporär verloren, und Lernende wie                                hochwertiger frühkindlicher
Lehrende mussten sich auf vollständig veränderte Gegebenheiten                          Bildung, Betreuung und Erzie-
einstellen. Zu bereits seit langem bekannten Herausforderungen                          hung sichern.
wie digitalen Umwälzungen, Klimawandel, sozialer Ungleichheit,
Flucht und Migration ist damit auch noch der Aspekt einer globalen                      4.3. Bis 2030 allen Frauen und
Gesundheitsgefahr hinzugetreten. Immer wieder war im Lauf des                           Männern einen gleichberechtig-
Jahres und in Zusammenhang mit dieser tiefgreifenden Krise die                          ten und leistbaren Zugang zu
Rede von einer Spaltung von Gesellschaften, von einem Brüchig-                          hochwertiger beruflicher und
werden des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Dies wirft auch die                        akademischer Bildung ermög-
Frage auf, wie Bildung aussehen muss, damit Menschen die gesell-                        lichen.
schaftlichen Veränderungen unserer globalisierten Welt verstehen
lernen und dementsprechend handeln. Das ist auch das Ziel der                           4.4. Bis 2030 sicherstellen, dass
aktuellen Bildungsagenda der UNESCO (Bildung 2030): Im Wesent-                          eine deutlich höhere Anzahl an
lichen geht es darum, dass jeder und jede Einzelne Verantwortung                        Jugendlichen und Erwachsenen
als „global citizen“ übernehmen kann. Zudem ist Bildung ein funda-                      die für eine Beschäftigung oder
mentales Menschenrecht. Alle Menschen haben ihr ganzes Leben                            Selbstständigkeit relevanten
lang das Recht auf hochwertige Bildung und damit auf Zukunfts-                          Kenntnisse, Fähigkeiten und
chancen und die Möglichkeit, ihr Leben grundlegend zu verändern.                        Fertigkeiten erwirbt.

Bildungsagenda – No one shall be left behind                                            4.5. Bis 2030 Benachteiligungen
Weil Bildung nicht unabhängig von den globalen Herausforderungen                        aufgrund der Geschlechtszu-
unserer Zeit betrachtet werden kann, ist die UNESCO-Bildungsagenda                      gehörigkeit auf allen Bildungs-
eingebettet in die globale UN-Agenda 2030, bestehend aus 17 Zielen                      stufen beseitigen und allen
nachhaltiger Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs).                         Menschen gleichberechtigten
Bildung kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu. So zeigt SDG 4 auf,                       Zugang zu allen Bildungsstufen
wie Bildung aussehen muss, um Menschen auf den Umgang mit                               sichern.
den globalen Herausforderungen vorzubereiten. Gleichzeitig spielt
Bildung eine zentrale Rolle bei der nachhaltigen Umsetzung aller                        4.6. Bis 2030 den Erwerb aus-
17 Sustainable Development Goals.                                                       reichender Lese-, Schreib- und
    Wesentlich für den Erfolg des Bildungsziels 4 ist der universelle                   Rechenfähigkeiten für alle
Charakter der Agenda 2030. Durch deren Verabschiedung haben                             Jugendlichen und für einen
sich erstmals alle Staaten der Welt dazu verpflichtet, Bildung als                      erheblichen Anteil der Erwach-
integralen Bestandteil nachhaltiger Entwicklung anzuerkennen und                        senen sicherstellen.
entsprechende Maßnahmen umzusetzen. Somit soll die Agenda
2030 allen Menschen auf der ganzen Welt zugutekommen: „No one                           4.7. Bis 2030 sicherstellen, dass
shall be left behind“ – dies gilt heute mehr als je zuvor.                              alle Lernenden die für nachhal-
                                                                                        tige Entwicklung notwendigen
                                                                                        Kenntnisse und Fähigkeiten
                                                                                        erwerben.

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Österreichische UNESCO-Kommission Jahrbuch 2020
Bezug zu den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung / Sustainable Development Goals (SDGs)

Bildung und SDGs Die Bildung steht im Mittelpunkt der Agenda 2030. Sie spielt eine zentrale Rolle für die erfolgreiche
Umsetzung aller 17 Entwicklungsziele. Darüber hinaus ist der Bildung ein eigenständiges Ziel gewidmet, SDG4, das lautet:
„Bis 2030 für alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sicherstellen sowie Möglichkeiten zum
lebenslangen Lernen fördern“.

Neue Herausforderungen, alte Ungleichheiten?            AUSGEWÄHLTE AKTIVITÄTEN 2020
Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf
die Bildungssituation weltweit sind noch nicht          In der nationalen Umsetzung der internationalen Bildungspro-
abschätzbar. Erste Erhebungen der UNESCO                gramme hat die Österreichische UNESCO-Kommission eine unter-
zeigen, dass im Lauf des Jahres 2020 die Mehr-          stützende und beratende Funktion für die unterschiedlichen
heit aller Mitgliedstaaten Online-, Fernseh-            Akteur*innen. Dabei orientiert sie sich an den jeweils aktuellen
oder Radiolösungen bereitgestellt haben, um             Arbeitsschwerpunkten der UNESCO und insbesondere an der
in der Ausnahmesituation eine Lernkontinuität           globalen Bildungsagenda 2030.
herzustellen. Dennoch weisen erste Daten des
UNESCO-Instituts für Statistik darauf hin, dass         • „Turning Point“: Bildung für die SDGs
rund 100 Millionen Kinder und Jugendliche auf           Um die Stimme von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen
Grund der Pandemie im Bereich der Lesekom-              zu stärken, schuf die Österreichische UNESCO-Kommission 2019
petenz unter das Mindestniveau zurückfallen             die Position der „Youth Representative“. Die erste Jugenddelegierte
werden und in vielen Ländern Fortschritte               Ines Erker rief die Veranstaltungsreihe „Turning Point. Youth for
der letzten zwei Jahrzehnte zunichte gemacht            Sustainable Development“ ins Leben, um junge Menschen dafür zu
werden könnten. Eine gemeinsame Studie von              begeistern, sich für die globalen Nachhaltigkeitsziele einzusetzen.
Education Finance Watch und der Weltbank stellt         Die für 2020 geplante Veranstaltung unter dem Motto „Deine Rechte
außerdem fest, dass 65% der Länder mit niedri-          – deine Welt“ musste auf Grund der COVID-19-Pandemie sowohl
gem Bruttoinlandsprodukt ihre Bildungsbudgets           in den virtuellen Raum als auch in das Jahr 2021 (25./26.1.) verlegt
kürzen, während Bildungsausgaben in den                 werden.
Konjunkturpaketen von 56 Ländern nur 2%
ausmachen.
    Die weltweite Gesundheitskrise hat zweifels-
ohne bestehende Ungleichheiten verstärkt:
einerseits treten ökonomische Gefälle massiv zu
Tage, andererseits spielt die unterschiedlich stark
ausgebaute digitale Infrastruktur im Kontext der
Pandemie eine gewichtige Rolle: Die veränderte
Lernsituation erfordert neue methodisch-techno-
logische Ansätze, den Zugang zum Internet eben-
so wie zu Endgeräten, Plattformen und digitalen          • Fachbeirat für Global Citizenship Education, Globales Lernen,
Lösungen. Sie zeigt aber auch auf, wie zentral          Bildung für nachhaltige Entwicklung
der Erwerb von entsprechenden digitalen Kom-            Der im März 2017 ins Leben gerufene Fachbeirat „Transformative
petenzen ist – nicht nur, um die technischen            Bildung/Global Citizenship Education“ an der Österreichischen
Fähigkeiten zu stärken, sondern vor allem auch,         UNESCO-Kommission dient dem Monitoring und der Begleitung der
um eine emanzipatorische Nutzung und einen              nationalen Umsetzung von SDG 4 auf Expert*innenebene.
reflektierten Umgang mit neuen Technologien zu             2020 sind zwei neue Mitglieder dem Fachbeirat beigetreten: der
fördern.                                                neue UNESCO-Lehrstuhlinhaber Univ.-Prof. Dr. Hans Karl Peterlini
                                                        (UNESCO Chair for Global Citizenship Education – Culture of Diversity
                                                        and Peace, Universität Klagenfurt) sowie Dr.in Irene Gabriel (beobach-
                                                        tendes Mitglied, BMBWF). Weiters wurde eine Arbeitsgruppe

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gegründet, die sich mit verschiedenen Zugängen zu Transformativer      • Frühkindliche Bildung, Betreuung und
Bildung – insbesondere Global Citizenship Education und Bildung        Erziehung
für Nachhaltige Entwicklung – auseinandersetzt. Diese haben sich       Im Jahr 2020 wurden vorbereitende Arbeiten
weltweit im UN-Kontext historisch unterschiedlich entwickelt, sind     zur Etablierung eines neuen Schwerpunkts im
durch unterschiedliche Finanzierungen und Förderungen gestützt         Bereich frühkindliche Bildung, Betreuung und
und auch in Österreich unterschiedlich verankert. Die Arbeitsgruppe    Erziehung (FBBE) gesetzt. Dafür wurde von der
soll dazu beitragen, sie in Einklang zu bringen und Synergien zu       Bildungswissenschaftlerin und Kindergartenpä-
nutzen und zu stärken.                                                 dagogin Lena Gruber ein Konzept erarbeitet, das
  Auch wurde der Fachbeirat im Jahr 2020 mehrfach zur Beant-           die Basis für einen Leitfaden zur frühkindlichen
wortung von UNESCO-Fragebögen bzw. zur Vorbereitung nationaler         Erziehung bildet. Der auf den UNESCO-Bildungs-
Stellungnahmen konsultiert. Unter anderem erfolgte eine gemein-        konzepten beruhende Leitfaden wird sich an
same Beantwortung eines Fragebogens zur Recommendation                 Pädagog*innen richten und sie bei der Schaffung
concerning Education for International Understanding, Co-operation     von kinder-, behinderten- und geschlechterge-
and Peace and Education relating to Human Rights and Fundamental       rechten FBBE-Bildungseinrichtungen unterstüt-
Freedoms sowie eine gemeinsame Stellungnahme zum ersten Frei-          zen.
willigen Staatenbericht Österreichs zur Umsetzung der Agenda 2030
betreffend SDG 4.

• Präsentation des UNESCO-Weltbildungsberichts 2020
in Österreich
Die UNESCO publiziert regelmäßig Weltbildungsberichte (Global
Education Monitoring Reports), um Entwicklungen der internatio-
nalen Bildungspolitik in den einzelnen Ländern aufzuzeigen, die
Umsetzung der Agenda Bildung 2030 zu überwachen, zu dokumen-
tieren und zu analysieren und Empfehlungen zur besseren Umsetzung
der Agenda zu formulieren. Unter dem Titel „Inclusion and education:
All means all“ behandelt der aktuelle Weltbildungsbericht Inklusion
von Lernenden aller Hintergründe im Sinne eines gesamtgesell-
schaftlichen Prozesses und fokussiert dabei insbesondere Lernende
mit Behinderungen und Beeinträchtigungen. Der Bericht 2020
wurde von der UNESCO im Juni 2020 veröffentlicht. Die österrei-
chische Präsentation des Weltbildungsberichts fand in der Folge
am 28. Jänner 2021 als Online-Veranstaltung in Kooperation mit der
Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung
(ÖFSE) statt, gut 100 Interessent*innen nahmen teil. Nach einer
Präsentation der zentralen Erkenntnisse und Empfehlungen des
Berichtes durch Dr. Dr. Bilal Barakat (Statistiker und Bildungs-
experte, Senior Policy Analyst des Global Education Monitoring
Report Teams) folgten Überlegungen zur Bedeutung des Berichts
für die österreichische Bildungspolitik
durch Univ.-Prof. Dr. Gottfried Biewer
(Experte für integrative Heilpädago-
gik) sowie eine Podiumsdiskussion
mit Mag.a Terezija Stoisits (BMBWF),
DI Johanna Mang MS (Licht für die
Welt) und Mag.a Katharina Müllebner
(BIZEPS- Zentrum für ein selbstbe-
stimmtes Leben), die entwicklungs-
politische Aspekte des Weltbildungs-
berichts beleuchtete.

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Kein Chair zum Ausruhen
                Idee und Leitgedanken des neuen UNESCO-Chair
               „Global Citizenship Education – Culture of Diversity
                    and Peace” an der Universität Klagenfurt

Kommentar von UNIV.-PROF. DR.               Dass die Welt nicht an den jeweiligen      sich mittlerweile mehr als bestätigten)
HANS KARL PETERLINI                         Landesgrenzen aufhört, sondern dass        Analyse zieht Asimov eine einfache
                                            alles, was jenseits liegt, auch jenseits   Konsequenz: „Probleme von planetari-
„Global Citzenship Education hat für        von hohen Gebirgen und unermessli-         schem Ausmaß erfordern ein planeta-
mich etwas mit ständigem Lernen zu          chen Ozeanen, unmittelbar auch mit         risches Programm und eine planetari-
tun, mit Lebendigsein. Ja, Global Citi-     uns zu tun hat, hebt die Illusion auf,     sche Lösung.“ Was kann Bildung, was
zenship hält mich lebendig“, so ver-        dass es genügt, im eigenen Land oder       kann Erziehung dazu beitragen? Freud
dichtet Werner Wintersteiner, der mit       Staat für ordentliche Verhältnisse zu      musste in seiner Antwort an Einstein
Fug und Recht als einer der Pioniere        sorgen, um gut leben zu können. Mit        dessen Hoffnung enttäuschen, dass
dieses Ansatzes in Österreich gelten        „gut leben“ ist auch gemeint, Einklang     er Erziehungs- und Bildungsrezepte
darf, in einem Interview das theoreti-      mit jenen ethischen Fragen zu suchen,      für eine friedfertigere und verantwor-
sche und handlungsorientierte Projekt       denen wir nur um den Preis der Ver-        tungsbewusstere Gesellschaft beisteu-
einer Bürger*innenschaft, die sich nicht                                               ern könnte. Eine solche Hoffnung wurde
regional oder national definiert, sondern                                              allein schon durch die tiefe Skepsis ver-
                                               „Diese Erde als Heimat zu
die ganze Erde zum Bezugspunkt für                                                     eitelt, die der Begründer der Psychoana-
Zugehörigkeit, Solidarität und Verant-
                                               begreifen, heißt zugleich,              lyse einer rein rationalen Veränderung
wortungssinn wählt. „Heimatland Erde“          übliche – meist nationale –             von Menschen entgegenhielt – zu tief
des französischen Philosophen und              Ordnungsrahmen zwar nicht               waren seine Einsichten in die Dynami-
Soziologen Edgar Morin ist so etwas wie        unbedingt aufzugeben, aber              ken von Verdrängung und Projektion,
die programmatische Gründungsschrift                                                   mit denen Menschen Unliebsames igno-
                                               in ihrer trügerischen Absolut-
von Global Citizenship.                                                                rieren und auf Feindbilder übertragen,
    Die Idee ist ebenso einfach wie
                                               heit und Verlässlichkeit                an denen wir dann das bekämpfen, was
beunruhigend. Sie fußt auf dem festen          anzuzweifeln.“                          wir an uns selbst nicht zu ertragen ver-
Boden dieser Erde, auf der wir alle                                                    mögen.
stehen, wenn auch die Orte sehr unter-      drängung ausweichen können, etwa               In der Ausblendung der über den
schiedlich sind, je eigene Geschichten      jener, ob es ein gutes Leben für einige    Planeten verbreiteten Not, in der ratio-
haben, klimatischen Schwankungen            Auserwählte geben kann, wenn dies für      nal eingestandenen und irrational wei-
unterworfen sind, in krassen sozioöko-      andere Armut, Krieg, Elend, Hoffnungs-     terbetriebenen Zerstörung der eigenen
nomischen Ungleichheiten auseinan-          losigkeit bedeutet.                        Lebensgrundlagen, im Ausagieren von
derfallen, von schweren Machtasym-              Wohl nicht zufällig wurde 1972 die     verdrängter Frustration und Existenz-
metrien durchwirkt sind. Diese Erde         Neuedition des berühmten Schriftwech-      not an jeweils Anderen in Kriegen oder
als Heimat zu begreifen, heißt zugleich,    sels zwischen Albert Einstein und Sig-     tödlicher Gleichgültigkeit stellen diese
übliche – meist nationale – Ordnungs-       mund Freud zur Frage „Warum Krieg?“        Einsichten auch einen Gegenwartsbe-
rahmen zwar nicht unbedingt aufzuge-        durch einen Essay von Isaac Asimov mit     fund dar. Die einzige Möglichkeit einer
ben, aber in ihrer trügerischen Absolut-    dem Titel „Die gute Erde stirbt“ einge-    transformativen Gegenwirkung sah
heit und Verlässlichkeit anzuzweifeln.      leitet. Aus seiner beunruhigenden (und     Freud in seiner Antwort an Einstein in all

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dem, „was Gefühlsbindungen unter den       Stätten informellen Lernens, in Politik       vielen wertvollen Initiativen verliehen
Menschen herstellt“. Gerade in Bezug       und Zivilgesellschaft.                        wird.
auf die Wahrnehmung von Zusammen-              Der UNESCO-Chair “Global Citi-                Die „Gefühlsbindungen“, auf die
hängen – und entsprechender Entwick-       zenship Education – Culture of Diver-         Freud hoffte, lassen sich auch so ver-
lung von planetarem Verantwortungs-        sity and Peace“ versteht sich vor diesem      stehen: Beziehungen knüpfen zwischen
sinn – greift rationale Erkenntnis zu      Hintergrund als eine Aktionsplattform         Menschen, die sich mühen. Kein Chair
kurz. An Beispielen, die wir alle auch     für Zusammenführung, Bündelung und            zum Ausruhen, sondern einer der unbe-
von uns selbst kennen, zeigt sich, wie     Verbreitung von Initiativen, die sich         quemen Fragen und des freudvollen
sogar so etwas wie „Gefühlsbindung“        auf unterschiedlichen Ebenen um ein           Handelns.
– wir könnten Empathie, Mitfühlen,         Bewusstwerden planetarer Verbunden-
Verantwortungsgefühl sagen – natio-        heit und Verantwortung bemühen. Der           Literatur:
nal gestimmt ist: Bei Nachrichten von      Antrag auf den Chair war auch deshalb         Asimov, Isaac (1972): Die gute Erde stirbt, in:
                                                                                         Einstein/Freud (1972 [1932], S. 49–52.
Flugzeugabstürzen oder Erdbeben in         erfolgreich, weil er von vielen bereits
entlegenen Gebieten ist die mediale        Tätigen in Österreich und international       Einstein, Albert/Freud, Sigmund (1972 [1932]):
                                                                                         Warum Krieg?. Zürich: Diogenes.
Aufmerksamkeit und damit einherge-         mitgetragen wurde. An der Universität
hende Betroffenheit ungleich höher,        Klagenfurt sind seine Kernstücke der          Hamburger, Franz (2010): Über die Unmöglichkeit,
                                                                                         Pädagogik durch Politik zu ersetzen, in: Krüger-
wenn Landsleute betroffen sind. Der
                                                                                         Portratz, Marianne/Neumann, Ursula/ Reich, Hans
methodische Nationalismus, mit dem
                                               „Erst wenn Menschen in eine               (Hg.): Bei Vielfalt Chancengleichheit. Interkultu-
wir die Welt wahrnehmen und behan-                                                       relle Pädagogik und Durchgängige Sprachbildung.
deln, erfasst auch unser empathisches          Beziehung mit dem kommen,                 Münster: Waxmann, S. 16–23.
Vermögen.                                      was ihr Handeln anderswo                  Morin, Edgar/Kern, Anne-Brigitte (1999): Heimat-
     Global Citizenship Education kann         oder an anderen auslöst,                  land Erde. Versuch einer planetarischen Politik.
                                                                                         Hrsg. von Wilfried Graf und Christoph Wulf, aus
sich daher, als per se transformativer         kann Veränderung möglich                  dem Französischen von Horst Friessner. Wien:
Bildungsansatz, nicht mit der ratio-
                                               werden.“                                  Promedia. [Terre-Patrie. Paris: Le Seuil, 1993].
nal-kognitiven Vermittlung von Wissen
                                                                                         Illich, Ivan (1973): Tools for Convivality, London:
allein begnügen. Ein solcher Ansatz                                                      Calder & Boyars.
muss die Zusammenhänge erfahrbar           nun zum dritten Mal durchgeführte
machen. Erst wenn Menschen in eine         Universitätslehrgang „Global Citizen-
Beziehung mit dem kommen, was ihr          ship Education“ und das neue Master-
Handeln anderswo oder an anderen           studium „Diversitätspädagogik in
auslöst, kann Veränderung möglich          Schule und Gesellschaft“, ebenso ver-
werden. Im Wissen darum, dass Päd-         wandte Forschungs- und Lehrprojekte.
agogik Politik nicht ersetzen kann         Dies wäre aber ein enger Radius: Seine
(Franz Hamburger) zielt Global Citi-       Aufgabe kann der Chair nur erfüllen,
zenship Education, im Sinne von Ivan       wenn es gelingt, in einen Austausch mit
Illich, nicht nur auf die „Umkehr“ der     anderen Initiativen zu kommen – mit
Einzelnen ab, sondern auf eine Refle-      Institutionen, Vereinen, mit Ökonomie,
xion und Veränderung ökonomischer          Politik und Zivilgesellschaft, lokal, regi-
                                                                                                                 © Christina Suppanz

und politischer Praxen. Voraussetzung      onal, national und international. Allein
dafür ist, das Globale in eine Beziehung   schon die ersten Monate nach der Kon-
zum Lokalen, das Individuelle in eine      stituierung des Chair zu Weihnachten
Beziehung zum Kollektiven zu bringen:      2020 offenbaren das enorme Potenzial
                                                                                         UNIV.-PROF. DR. HANS KARL PETERLINI ist seit
kein schwärmerischer Universalismus,       des UNESCO-Netzwerks: Was sonst
                                                                                         2014 Universitätsprofessor für Allgemeine
sondern ein konkretes Mühen auch           vielleicht isoliert bliebe, kaum Stimme       Erziehungswissenschaft und Interkulturelle
ums Kleine und Eigene im wachsenden        und Sprache finden könnte, manchmal           Bildung an der Universität Klagenfurt, seit 2020
Bewusstsein, dass dieses mit der ganzen    auch früh erstickt wird, findet Möglich-      auch Leiter des von ihm initiierten UNESCO-
                                                                                         Chair „Global Citizenship Education – Culture
Welt verbunden ist, zugleich aber auch     keiten zur Vernetzung und Sichtbarkeit.
                                                                                         of Diversity and Peace“. Schwerpunkte sind
ein Anstoßen zivilgesellschaftlicher       So kann der Chair manches stärken,            personales und gesellschaftliches Lernen als
Prozesse zur Veränderung von Struk-        was es auch ohne Chair gibt, manches          transformatives Potenzial für eine sozial
turen und Ordnungen. Es geht darum,        anstiften, was es sonst nicht gäbe, so        gerechtere, friedlichere und ökologisch acht-
                                                                                         samere Welt. Eine besondere Berücksichtigung
Erfahrungs- und Lernräume auf vielen       verdankt sich aber umgekehrt auch der
                                                                                         gilt förderlichen Prozessen des Zusammen-
Ebenen zu eröffnen – in den Schulen, in    Chair nur dem Leben, das ihm durch            lebens unter den Bedingungen von Diversität,
der Erwachsenen- und Weiterbildung, in     Vernetzung und Austausch mit den              Ethnisierung und Migration.

                                                                                                                                         11
UNESCO-SCHULEN IN ÖSTERREICH
                      „learning to know, learning to do, learning to be,
                      learning to live together”

                                                                            Die Österreichischen UNESCO-Schulen sind Teil des 1953 in Paris
                                                                            gegründeten internationalen Schulnetzwerkes der UNESCO. Das
                                                                            Netzwerk verbindet 11.500 Bildungseinrichtungen in 182 Ländern
                                                                            mit dem gemeinsamen Ziel, die Idee des Friedens im Geiste von
                                                                            Kindern und Jugendlichen zu verankern. Seit 66 Jahren setzt das
                                                                            Netzwerk auf hochqualitative Bildung und innovative Konzepte, um
                                                                            interkulturellen Dialog, nachhaltige Entwicklung und gegenseitiges
                                                                            Verständnis über Ländergrenzen hinweg zu fördern. Die „UNESCO
                                                                            Associated Schools“ gelten als Leuchtfeuer der Umsetzung der
                                                                            globalen Bildungsagenda 2030, die 2015 von den Vereinten Nationen
                                                                            verabschiedet wurde. Sie sind besonders erfolgreich in der Imple-
© C.A.N. Photograph

                                                                            mentierung des globalen Nachhaltigkeitszieles SDG 4.7, indem sie
                                                                            junge Menschen zu Weltbürger*innen heranbilden und Bildung im
                                                                            Bereich der nachhaltigen Entwicklung fördern.
                                                                                Österreich engagiert sich sehr aktiv im internationalen Netzwerk
                           UNESCO-SCHULEN
                                                                            und ist derzeit mit 98 Bildungseinrichtungen vertreten. Die Themen-
                                                                            vorschläge für Aktivitäten der österreichischen UNESCO-Schulen
                           1953 von der UNESCO gegründet
                                                                            werden von der österreichischen Bundeskoordinatorin an engagier-
                           Über 11.500 Bildungseinrichtungen in             tes Lehrpersonal herangetragen, das sich mittels des Netzwerkes
                           182 Ländern                                      in regem Austausch befindet und mit der Unterstützung der
                                                                            Österreichischen UNESCO-Kommission die Ziele der Agenda 2030
                           Österreich: Mitglied seit 1957, 98 Schulen       umsetzt.
                           aller Schultypen in allen 9 Bundesländern,           Im Jahr 2020 haben zwei Bildungseinrichtungen den Antrag zur
                           21 Schulen mit Anwärterstatus                    offiziellen Aufnahme in das Netzwerk der Österreichischen UNESCO-
                                                                            Schulen an die UNESCO in Paris übermittelt. Auch besteht an Öster-
                           Leitlinien: learning to know, learning to        reichs Schulen weiterhin großes Interesse, dem Netzwerk beizu-
                           do, learning to be, learning to live together.   treten: 21 Bildungseinrichtungen befinden sich derzeit im Anwärter-
                           Themen: Friedenserziehung und                    status.
                           Menschenrechtsbildung, Global Citizen-
                           ship Education, Bildung für Nachhaltige
                           Entwicklung, Kulturelle Bildung, Sustain-
                           able Development Goals.

                           ÖUK-Rolle: Nationale Koordination zur
                           Beratung, Information und Kooperation,
                           jährlich dreitägige Jahrestagung, Magazin
                           „FORUM“, Website.

                           www.unesco.at/bildung/unesco-schulen/:
                           Zentrale Informations-Website mit einer
                           Liste aller österreichischen UNESCO-
                           Schulen, aktuellen Veranstaltungen, Pro-
                           jekten und Ausschreibungen der Schulen.

                      12
AUSGEWÄHLTE AKTIVITÄTEN 2020

• UNESCO-Schulen / Tagung 2020
Bereits seit 1997 organisiert die Österreichische UNESCO-Kommission     Labor oder entdeckten Outdoor die Natur und
jährliche Vernetzungstreffen für alle Referent*innen der österreichi-   Biodiversität ihrer Region.
schen UNESCO-Schulen.                                                       Weiters gab es zahlreiche künstlerische
  Die Jahrestagungen tragen wesentlich zur Weiterbildung und zum        Projekte, wie beispielweise ein Radioprojekt zu
Gedankenaustausch bei. In Workshops, Vorträgen, durch Exkursionen       Mehrsprachigkeit, Theater-Workshops zur Aus-
und in vielen Gesprächen können sich die UNESCO-Schulreferent*innen     einandersetzung mit Themen wie Menschen-
fortbilden und gegenseitig auch dazu ermutigen, anspruchsvolle          rechten, Geschlechtsidentitäten oder Zivilcourage
Projekte im Unterricht altersgemäß für Kinder und Jugendliche zu        im digitalen Raum oder kreative Projekte zur
gestalten. Die Jahrestagung 2020 konnte aufgrund der COVID-19-          Aufarbeitung des eigenen Erlebens des Lock-
Pandemie und den damit einhergehenden Hygienemaßnahmen und              down durch Comics, Texte und Bilder. Retzer
Beschränkungen nicht in gewohnter Form stattfinden. Statt eines         Schüler*innen organisierten, von der weltweiten
persönlichen Zusammentreffens nahmen die Lehrer*innen am                Jugend-Klimabewegung inspiriert, eine „Klima-
15. Oktober 2020 an einem virtuellen Webinar teil. Thema waren          gala“ und setzten an ihrer Schule Schritte hin zu
u.a. „Zivilcourage zeigen: Künstlerische Freiheit“. Weiters bot der     mehr Nachhaltigkeit. Weiters engagierten sich
„Markt der Möglichkeiten“ die Gelegenheit zum virtuellen Austausch      Schüler*innen in Plattformen zum Austausch und
für die Lehrer*innen. Die Veranstaltung fand unter Teilnahme von        zum besseren Kennenlernen von Mitschüler*in-
79 Schulen statt.                                                       nen mit Fluchterfahrung oder widmeten sich
                                                                        dem Gedenken an und der kritischen Auseinan-
• Zeitschrift FORUM                                                     dersetzung mit zeitgeschichtlichen Gräueln. Die
Die jährlich erscheinende Zeitschrift                                   zuständigen Lehrer*innen wählten partizipative,
FORUM zeigt in bunter Vielfalt, wie                                     innovative und praxisorientierte Methoden und
kreativ und engagiert die österreichi-                                  vermittelten die Themen durch Projektarbeiten,
schen UNESCO-Schulen die Leitideen                                      karitative Initiativen, Exkursionen sowie mittels
der UNESCO und die jeweiligen Jahres-                                   Schüler*innenaustausch und Schulpartner-
themen umsetzen. Die aktuelle Ausgabe                                   schaften.
des FORUM (Heft 32/2020) trägt den
Titel „Bildung – Kultur – Natur“.
    Beiträge von 45 Schulen dokumen-
tieren die Diversität der Themen, mit
denen sich Schüler*innen im letzten
Schuljahr 2019/2020 praktisch im Unterricht auseinandergesetzt
haben. Der thematische Bogen ist weit gespannt: während einige
Schüler*innen eine Ausstellung zu den SDGs aufbauten, untersuch-
ten andere die Mikroplastik in heimischen Gewässern selbst im

                                                                                                                       13
WISSENSCHAFT
     Die Wissenschaftsprogramme der UNESCO ver-
     folgen das Ziel, eine dauerhafte, nachhaltige und
     menschenwürdige Entwicklung für alle Menschen
     zu fördern und globalen Frieden zu sichern.
     Erreicht wird dies durch zahlreiche internationale
     Forschungsprogramme sowie durch den Aufbau
     internationaler und transdisziplinärer Forschungs-
     netzwerke. Besonderes Augenmerk gilt der
     Förderung von Frauen in den Wissenschaften.

                                                          © ThisisEngineering RAEng / unsplash

14
UNESCO-WISSENSCHAFTSPROGRAMME

Wissenschaften sind der Grundpfeiler moderner, aufgeklärter, demo-
kratischer Gesellschaften. Die wissenschaftliche Forschung ermöglicht
es uns, gesellschaftliche Entwicklungen und Herausforderungen
überhaupt erst zu benennen und Antworten auf die Fragen unserer
Zeit zu finden. Wissenschaft ist per se ein internationales Vorhaben,
kein Staat ist alleine in der Lage, Forschung voranzutreiben, der
Austausch zwischen Wissenschaftler*innen kennt keine Grenzen.
In der UNESCO arbeiten alle Mitgliedstaaten zusammen, um die
wissenschaftliche Forschung im Spannungsfeld zwischen Wissen-
schaftsfreiheit und gesellschaftlicher Verantwortung weltweit
zu stärken. Sie fördert die globale Forschung zu den drängenden
Menschheitsfragen und unterstützt Menschen dabei, Wissen für
den Aufbau gerechter und inklusiver Gesellschaften zu nutzen.

Die Kernthemen der UNESCO-Wissenschaftsprogramme

                                                                                                                           © Daniel Zupanc
Zu den inhaltlichen Schwerpunkten der UNESCO zählen der Klima-
wandel und die Erhaltung der Artenvielfalt, die Förderung von Wissen
zum Schutz von Ozeanen und Küsten sowie die Sicherung der Trink-
wasserversorgung. Beispielgebend sind die drei etablierten UNESCO-      IHP – INTERNATIONAL HYDROLOGICAL
Programme „Man and the Biosphere“ (MAB) und „International Hydro-       PROGRAMME
logical-und Geoscience-Programme“ (IHP und IGCP), die sich der Er-
forschung und dem Schutz der Lebensumwelt des Menschen widmen.          1975 erstes multilaterales Programm zu
                                                                        Wasserforschung und Wasser-Ressourcen-
• Man and the Biosphere                                                 management – International Hydrological
Das im Jahr 1971 gegründete UNESCO Programm „Man and the                Programme IHP
Biosphere“ (MAB) entwickelt wissenschaftliche und anwendungs-
orientierte Grundlagen im Bereich der Natur- und Sozialwissen-          8. IHP 2014–2021: IHP widmet sich in der
schaften, die der langfristigen Sicherung der natürlichen Lebens-       8. Phase der Verbesserung der Wasser-
grundlagen und der Artenvielfalt dienen. Ziel ist eine nachhaltige      qualität unter Berücksichtigung lokaler,
Entwicklung in der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt: die            regionaler und globaler Herausforderungen
Schaffung eines Gleichgewichts zwischen dem Schutz der biologi-
schen Vielfalt, der Förderung der wirtschaftlichen und sozialen         Kern des Programms: Nachhaltiges
Entwicklung und der Bewahrung der jeweiligen kulturellen Werte.         Wassermanagement, Förderung und Ent-
Das Biosphärenpark-Netzwerk umfasst derzeit 701 Biosphärenparks         wicklung internationaler Wasserforschung
in 124 Ländern. In Österreich sind bis dato vier Biosphärenparks        sowie globale Netzwerkbildung
(Wienerwald, Großes Walsertal, Salzburger Lungau & Kärntner
Nockberge, Unteres Murtal) eingerichtet.                                Teil der Agenda 2030
    Österreich beteiligt sich auch äußerst aktiv an internationalen
                                                                        ÖUK Rolle: Informationsplattform für das
Gremien und Ausschüssen zum MAB-Programm. So vertritt aktuell
                                                                        Programm, Öffentlichkeitsarbeit. Nähere
Dr. Günter Köck von der Österreichischen Akademie der Wissen-
                                                                        Informationen zur 8. Implementierungsphase:
schaften die Region „Europa und Nordamerika“ im UNESCO-Lenkungs-
                                                                        https://en.unesco.org/themes/water-
                                                                        security/hydrology/IHP-VIII-water-security
� Der Wildensteiner Wasserfall im Geopark Karawanken/Karavanke

                                                                                                                      15
Bezug zu den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung / Sustainable Development Goals (SDGs)

                    SDG und Wissenschaft Die UNESCO-Wissenschaftsprogramme tragen maßgeblich zur Erreichung und zum Monitoring aller
                    nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) bei. Vor allem Wissenschaft, Technologie und Innovation spielen hierbei eine zentrale
                    Rolle. Die Sozial- und Geisteswissenschaften fördern das Verständnis für aktuelle Herausforderungen und helfen somit die
                    Ziele zu erreichen. Die naturwissenschaftlichen Programme der UNESCO tragen v.a. zur Umsetzung von SDG 12 (Verantwor-
                    tungsvolle Konsum- und Produktionsmuster), SDG 15 (Leben an Land) sowie im Speziellen SDG 13 (Maßnahmen zum Klima-
                    schutz) bei. Durch die sozial- und geisteswissenschaftlichen Programme der Organisation wird v.a. die Umsetzung von SDG 16
                    (Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen) gefördert. Alle Wissenschaftsprogramme leisten auch wichtige Beiträge zur
                    Umsetzung von SDG 5 (Geschlechtergerechtigkeit) und SDG 17 (Partnerschaften zur Erreichung der Ziele).

                                                                           ausschuss des Forschungsprogramms. Bereits zum vierten Mal
                                                                           wurde der österreichische Delegierte im Herbst 2020 für das Inter-
                                                                           national Coordinating Council des UNESCO MAB-Programms zum
                                                                           Vize-Vorsitzenden gewählt.

                                                                           • IHP (International Hydrological Programme)
                                                                           Das „International Hydrological Programme“ (IHP) der UNESCO ist
© Tomo Jeseničnik

                                                                           das einzige zwischenstaatliche Programm des UN-Systems, das
                                                                           der Wasserforschung, der Wasserbewirtschaftung sowie dem
                                                                           Capacity-Building diesbezüglich gewidmet ist. Seit seiner Gründung
                                                                           im Jahr 1975 hat sich das IHP von einem international koordinierten
                         IGCP – INTERNATIONAL GEOSICENCE                   hydrologischen Forschungsprogramm zu einem umfassenden, ganz-
                         PROGRAMME                                         heitlichen Programm zur Erleichterung von Bildung und Capacity-
                                                                           Building sowie zur Verbesserung der Verwaltung von Wasserres-
                         1973 gegründet                                    sourcen entwickelt. Ziel des Programmes ist es, einen interdiszipli-
                                                                           nären und integrierten Ansatz für Wassereinzugsgebiete und das
                         Kern des Programms: weltweite wissen-             Aquifer-Management zu fördern, der die soziale Dimension der Wasser-
                         schaftliche Zusammenarbeit mit Schwer-            ressourcen einbezieht und die internationale Forschung in den hydro-
                         punkt auf Nord-Süd-Kooperation; aktuell           logischen und Süßwasserwissenschaften fördert und entwickelt.
                         Fokus auf angewandte Geowissenschaften,
                         vor allem zur Bekämpfung von Natur-               • IGCP (International Geoscience Programme)
                         katastrophen wie Erdbeben, Erdrutschen            Im Rahmen des 1973 gegründeten „International Geoscience
                         und Vulkanausbrüchen                              Programme“ (IGCP) werden geowissenschaftliche Kooperations-
                                                                           projekte zu den von der UNESCO genau definierten Forschungs-
                         2015 Gründung des UNESCO Global                   schwerpunkten gefördert. Dazu zählen auch die UNESCO Global
                         Geopark (UGG)-Labels                              Geoparks, zu denen in Österreich folgende Geoparks zählen:
                                                                           Steirische Eisenwurzen, Erz der Alpen sowie der länderüber-
                         161 UGGs weltweit, 3 davon in Österreich
                                                                           greifende Geopark Karawanken/Karavanke.

                         In Österreich: Betreuung durch das Geo/
                                                                           • UNITWIN/UNESCO-Chairs-Programm
                         Hydro-Sciences Nationalkomitee an der
                                                                           Das 1992 ins Leben gerufene UNITWIN/UNESCO-Chairs-Programm
                         Österreichischen Akademie der Wissen-
                                                                           ist ein wichtiger Impulsgeber für den internationalen Austausch von
                         schaften (ÖAW) im Rahmen des Earth
                                                                           Universitäten. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der Anzahl von über
                         System Sciences-Programmes
                                                                           600 UNESCO-Lehrstühlen weltweit. Neun davon sind an österreichi-
                                                                           schen Hochschulen angesiedelt.
                         ÖUK Rolle: gemeinsam mit der ÖAW
                         zentrale Ansprechpartnerin der Geoparks
                                                                           � Das Bergwerk Mežica im Geopark Karawanken/Karavanke

                    16
• UNESCO-L'Oréal For Women in Science                                                       Der feierliche Festakt zur Überreichung der
                             The World needs Science – Science needs Women                                               Stipendien fand am 4. Dezember 2020 ausnahms-
                             Wesentliches Ziel der Wissenschaftsprogramme der UNESCO ist                                 weise online statt. Die Eröffnungsrede übernahm
                             die weltweite Förderung der Rolle von Frauen in der Wissenschaft,                           Univ.-Prof. DI Dr. Georg Brasseur, Präsident der
                             insbesondere in den Biowissenschaften. Die „L'Oréal-UNESCO For                              mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse
                             Women in Science Initiative“ ist ein Teil dieses Engagements.                               der Österreichischen Akademie der Wissen-
                             Jährlich werden im Rahmen der „L'Oréal-UNESCO for Women in                                  schaften, weitere Laudator*innen: Mag.a Dr.in Iris
                             Science Awards Ceremony“ am UNESCO-Sitz in Paris fünf Preise zu                             Rauskala, Sektionschefin im BMBWF, ÖUK-Gene-
                             je € 100.000 und fünfzehn L'Oréal-UNESCO Rising Talents Stipendien                          ralsekretärin Mag.a Patrizia Jankovic und Mag.a
                             an herausragende Naturwissenschaftlerinnen vergeben.                                        Wioletta Rosolowska, Geschäftsführerin von
                                                                                                                         L'Oréal Österreich.

                             AUSGEWÄHLTE AKTIVITÄTEN 2020                                                                • UNITWIN/UNESCO-Chairs-Programm
                                                                                                                         In Österreich setzen mittlerweile neun UNESCO-
                             • 4 UNESCO-L’ORÉAL-Stipendien in Österreich                                                 Lehrstühle die diversen Themen der UNESCO im
                             Seit 2007 vergibt L'Oréal Österreich in Zusammenarbeit mit der                              Rahmen des „UNIWTIN/UNESCO Chairs Programme“
                             Österreichischen UNESCO-Kommission, der Österreichischen                                    um. Zwei davon wurden im Jahr 2020 neu ein-
                             Akademie der Wissenschaften und mit Unterstützung des Bundes-                               gerichtet: neben dem UNESCO-Chair for Global
                             ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF)                                Citizenship Education – Culture of Diversity and
                             jährlich vier Stipendien zu je € 25.000 an exzellente junge Wissen-                         Peace an der Universität Klagenfurt, unter der
                             schaftlerinnen in Österreich. Die Stipendien sind Forscherinnen aus                         Leitung von Univ.-Prof. Dr. Hans Karl Peterlini,
                             Naturwissenschaften, Mathematik und Medizin zugänglich.                                     der für das vorliegende Jahrbuch auch einen
                                 Die Stipendien verfolgen das Ziel der Anerkennung, Förderung                            Kommentar verfasst hat (s. S. 10/11), wurde an
                             und Ermutigung junger Frauen durch die Schaffung von Rollenvor-                             der Fachhochschule Kärnten/Klagenfurt der
                             bildern. Zudem wollen sie die Öffentlichkeit auf wissenschaftliche                          UNESCO-Chair for Sustainable Management of
                             Spitzenleistungen aufmerksam machen und dabei gleichzeitig das                              Conservation Areas etabliert, Lehrstuhlinhaber
                             weibliche Gesicht der Forschung zeigen.                                                     ist Dr. Michael Jungmeier.
                             Die Preisträgerinnen 2020:                                                                      Die Lehrstühle gelten im UNESCO-Kontext als
                             • Alexandra Franziska Gülich, MSc, Immunologin, Universität Wien                            besonders wichtige Player, bilden sie doch eine
                             • Dr.in Sandra Müller, MSc MSc, Logikerin, Universität Wien                                 Brücke zwischen der akademischen Welt, der
                             • Veronika Pedrini-Martha, PhD, Biologin, Universität Innsbruck                             Zivilgesellschaft und der Politik. Die neun heimi-
                             • Dr.in Anna Maria Wernbacher, Chemikerin, Universität Wien                                 schen UNESCO-Lehrstühle forschen, lehren und
                                                                                                                         arbeiten zu den unterschiedlichsten Bereichen –
                                                                                                                         von der Restauration von materiellem Kulturerbe
                                                                                                                         über Friedens- und Konfliktforschung bis hin zu
                                                                                                                         Bioethik, Fließgewässerforschung oder dem nach-
                                                                                                                         haltigen Management von Naturschutzgebieten.
                                                                                                                         Gemeinsam ist ihnen die hervorragende inter-
© L'Oréal Deutschland GmbH

                                                                    © L'Oréal Deutschland GmbH

                                                                                                                         nationale Vernetzung im UNESCO-Kontext sowie
                                                                                                                         die Arbeit an innovativen Bereichen, die sich über
                                                                                                                         disziplinäre Grenzen hinaus mit brandaktuellen
                                                                                                                         Fragestellungen beschäftigen.
                             Alexandra Franziska Gülich                                          Sandra Müller               Die Inhaber*innen der österreichischen
                                                                                                                         UNESCO-Lehrstühle haben sich am 15. Mai 2020
                                                                                                                         virtuell versammelt, um einander kennen-
                                                                                                                         zulernen, sich zu vernetzen und um mögliche
                                                                                                                         Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. Im Zuge
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                                                                                                                         des Treffens einigten sich die Lehrstuhlinha-
                                                          L'Oréal Deutschland GmbH
                                                          © the_right_light_com

                                                                                                                         ber*-innen, in einem ersten Schritt die Sichtbar-
                                                                                                                         keit der exzellenten Arbeit und der Vielfalt der
                                                                                                                         Lehrstühle zu erhöhen.

                             Veronika Pedrini-Martha                                             Anna Maria Wernbacher

                                                                                                                                                                         17
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