NUNCA MAIS BRASILIENTAGE - Deutschlandweite Veranstaltungsreihe 2014 Programmheft - FDCL
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NUNCA MAIS BRASILIENTAGE Deutschlandweite Veranstaltungsreihe 2014 Programmheft
IMPRESSUM Redaktionsschluß: 28. Februar 2014 | V.i.S.d.P.: Christian Russau | FDCL | Gneisenaustr.2a | D-10961 Berlin | Vereinsregister-Nr. 5010 Nz | Amtsgericht Charlottenburg | www.fdcl.org | Der Nachdruck und die Weiterverwendung von Inhalten dieses Programmheftes ist bei einfacher Quellenan- gabe möglich und erwünscht. Layout: Christian Russau | Clay Johnson | Santiago Engelhardt Druck: Hinkelsteindruck – sozialistische GmbH | www.hinkelstein-druck.de | Druck auf Recycling-Papier (Blau- er Engel) | Auflage: 5.000 Foto: Correio da Manhã / Arquivo Nacional Titelfoto (Umschlagseite 1): Guilherme Testa (CC BY SA 2.0)
DIE NUNCA MAIS BRASILIENTAGE Liebe Leser_innen, Liebe Besucher_innen der Nunca Mais Brasilientage, am 31. März 2014 jährt sich der Militärputsch in Brasilien zum fünfzigsten Mal. In über 20 Jahren Dik- tatur waren Repression, Folter und das „Verschwindenlassen“ von Gegner_innen der Militärregierung an der Tagesordnung. Zwei Jahre nachdem die Nationale Wahrheitskommission ihre zeitlich begrenzte Arbeit aufgenommen hat, ist die Diskussion um die Aufarbeitung des Regimes und seiner Verbrechen so lebendig wie nie. Die deutsch-brasilianische Initiative Nunca Mais - Nie Wieder organisiert in diesem Rahmen eine mehrmonatige Veranstaltungsreihe: die Nunca Mais Brasilientage. Von März bis Juni 2014 wird es in Berlin, Frankfurt, Köln, Hamburg und vielen anderen deutschen Städten Filmreihen und Ausstel- lungen, Workshops und Gesprächsrunden mit namhaften Expert_innen und Zeitzeug_innen geben. Parallel dazu finden ähnliche Veranstaltungen in mehreren Städten Brasiliens statt. Den übergreifenden Schwerpunkt bilden die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Bra- silien während der Diktatur. Denn: Wer waren die deutschen Unterstützer_innen der brasilianischen Militärs? Aber auch: Wer half politisch verfolgten Brasilianer_innen in Deutschland? Ein weiterer Fokus liegt auf der wirtschaftlichen Kooperation zwischen Deutschland und Brasilien in dieser Zeit. 1975 unterzeichneten beide Regierungen den bis heute gültigen Atomvertrag. Nicht zuletzt sollen im Rahmen der Nunca Mais Brasilientage aktuelle menschenrechtliche Probleme wie Polizeigewalt, Diskriminierung und Rassismus in Brasilien diskutiert werden. Als Verfolgte einer von deutscher Seite hofierten Diktatur, die wir später bei deutschen Freund_innen Aufnahme fanden, als Aktivist_innen, die wir uns damals mit den sozialen Bewegungen in Brasilien und anderen Ländern Lateinamerikas solidarisiert haben sowie als junge Engagierte, die sich den deutsch-brasilianischen Beziehungen der Gegenwart und der Aufarbeitung vergangenen Unrechts verpflichtet fühlen, laden wir Sie herzlich ein, an den Veranstaltungen der Nunca Mais Brasilientage teilzunehmen! Diskutieren Sie mit uns über Verantwortung und Geschichte, über Menschenrechte und Demokratie – damit sich solche Verbrechen niemals wiederholen mögen. Für die Initiative Nunca Mais - Nie Wieder Marijane Lisboa Luiz Ramalho Christian Russau Foto: Santiago Engelhardt Foto: AMEXCID Foto: privat Nunca Mais Brasilientage | Programmheft 3
ALLES AUF EINEN BLICK! – TUDO NUM LUGAR SÓ „DU KOMMST ZU MIR ZURÜCK“ (S. 13) Ausstellung | Mo, 31. März - Mi, 9. April 2014| 18:00 Uhr Lese- und Vortragsreise des Schriftstellers Bernardo Ku- | Berlin cinski in Deutschland Sprache: Spanisch mit Konsekutivverdolmetschung Fr, 14. März 2014 | 14.00-14.45 | Leipzig Mo, 17. März 2014 | 19:00 | Köln THEOLOGIE DER BEFREIUNG: DIE OPTION FÜR DIE AR- Do, 27. März 2014 | 19:30 | Frankfurt/M. MUT ALS HERAUSFORDERUNG ZUR GESELLSCHAFT- Sa, 29. März 2014 | 20:00 | Berlin LICHEN VERÄNDERUNG (S. 40) Sprache: Deutsch/Portugiesisch (konsekutive Übersetzung) Vortrag mit Diskussion | Mi, 2. April 2014 | 10:00 Uhr | Mettingen INDIGENE VÖLKER BRASILIENS. GENOZID UND MEN- Sprache: Deutsch/Portugiesisch (konsekutive Übersetzung) SCHENRECHTE – VOM FIGUEIREDE 1968 BIS HEUTE (S. 17-18) KIRCHE IM WIDERSTAND (S. 41-42) Vortrag mit Diskussion | Di, 18. März 2014 | 19:00 Uhr | Podiumsdiskussion | Fr, 4. April 2014 | 19:00 Uhr | Berlin Berlin Sprache: Deutsch/Portugiesisch (konsekutive Übersetzung) Sprache: Portugiesisch mit Konsekutivverdolmetschung DIE LANGEN SCHATTEN DER OPERATION CONDOR IN „A MEMORIA QUE ME CONTAM“ | „MEMORIES THEY ARGENTINIEN, BRASILIEN UND CHILE (S. 43) TOLD ME“ (S. 19) Podiumsdiskussion | Do, 3. April 2014 | 19:00 Uhr | Ber- Film | Mi, 26. März 2014 | 20:00 Uhr | Frankfurt/M lin Sprache: Deutsch NUNCA MAIS: WIDERSTAND UND VERFOLGUNG WÄH- REND DER BRASILIANISCHEN MILITÄRDIKTATUR (S. BRASILIENSOLIDARITÄT – DAMALS UND HEUTE (S. 44- 20-25) 45) Filmreihe mit Vorträgen und Diskussionen | Do, 27. März Podiumsgespräch | So, 6. April 2014 | 18:00 | Berlin - Mi, 2. April 2014 | Berlin Sprache: Deutsch NUNCA MAIS: WIDERSTAND UND VERFOLGUNG WÄH- NUNCA MAIS! BRASILIEN 50 JAHRE NACH DEM MILI- REND DER BRASILIANISCHEN MILITÄRDIKTATUR (S. 26) TÄRPUTSCH (S. 51) Filmreihe mit Vorträgen und Diskussionen | Fr, 4. April - Symposium | Mo, 7. April - Di, 8. April 2014 | 9:00 Uhr | Mo, 7. April 2014 | Köln Berlin Sprache: Deutsch/Englisch NUNCA MAIS! BRASILIENS VERGESSENE MILITÄRDIK- TATUR“ (S. 28) STRAHLENDE GESCHÄFTE: DAS DEUTSCH-BRASILIA- 3 Tages-Seminar | Fr, 28. März - So, 30. März 2014 | Nie- NISCHE ATOMABENTEUER (S. 52) derkaufungen Diskussionsabend | Di, 08. April 2014 | 19:30 | Berlin Sprache: Deutsch Sprache: Simultanübersetzung Deutsch-Portugiesisch BRASILIENSOLIDARITÄT – DAMALS UND HEUTE (S. 29) NUNCA MAIS! – BRASILIEN 50 JAHRE NACH DEM MILI- Podiumsdiskussion | Fr, 28. März 2014 | 19:30 | Köln TÄRPUTSCH (S. 53) Sprache: Deutsch Vortrag mit Diskussion | Mi, 9. April 2014, 19:30 Uhr | Bonn-Bad Godesberg „AUSÊNCIAS – ABWESENHEITEN“ | FOTOGRAFIEN VON Sprache: Portugiesisch-Deutsche Konsekutivverdolmet- GUSTAVO GERMANO UND DEN FAMILIENANGEHÖRI- schung GEN DER VERSCHWUNDENEN IN BRASILIEN (S. 35-39) 4 Nunca Mais Brasilientage | Programmheft
ALLES AUF EINEN BLICK! – TUDO NUM LUGAR SÓ KONZEPTIONEN VON GEDENKSTÄTTEN IM INTERNATI- NUNCA MAIS: WIDERSTAND UND VERFOLGUNG WÄH- ONALEN VERGLEICH: BRASILIEN UND DEUTSCHLAND REND DER BRASILIANISCHEN MILITÄRDIKTATUR (S. 26) (S. 54) Filmreihe | 6. und 8. Mai 2014 | 18:30 / 20:30 | Bonn Workshop | Mi, 9. April 2014 | 10:00 - 16:00 Uhr | Berlin Sprache: Simultanübersetzung Deutsch-Portugiesisch JORNADAS BRASIL-ALEMANHA: 50 ANOS DO GOLPE Eintritt frei, Anmeldung erforderlich bis zum 04.04.2014 bei DE 1964 (Arbeitstitel) (S. 65) Julia Ziesche (ziesche@boell.de) Konferenz | Do, 8. Mai 2014 | Rio de Janeiro Alle Infos werden auf der Webseite der Initiative Nunca Mais - AGROBUSINESS UND INDIGENE: AKTUELLE LAND- Nie Wieder www.nuncamais.de rechtzeitig bekanntgegeben. KONFLIKTE IN BRASILIEN (S. 57) Informations- und Diskussionsveranstaltung | Mi, 9. April BEFRIEDUNG ODER DEMOKRATISIERUNG? 2014 | 19:00 Uhr | Hamburg POLIZEIGEWALT IN DEN FAVELAS VON RIO DE JANEIRO Sprache: Spanisch mit Konsekutivverdolmetschung (S. 66) Vortrag mit Diskussion | Do, 29. Mai 2014 | 19:00 Uhr | CONSTRUIR UMA REFORMA AGRÁRIA POPULAR! Berlin NACH FÜNFZIG JAHREN WARTESCHLEIFE (S. 58) Sprache: Portugiesisch mit Konsekutivverdolmetschung; Informations-und Diskussionsveranstaltung | Mi, 9. April Deutsch 2014 | 18:30 Uhr | Berlin Sprache: Deutsch NUNCA MAIS? VOR, WÄHREND UND NACH DER DIKTA- TUR IN BRASILIEN: MENSCHENRECHTSVERLETZUN- STRAHLENDE GESCHÄFTE: 40 JAHRE DEUTSCH-BRA- GEN GEGENÜBER ARMEN UND SCHWARZEN COMMU- SILIANISCHER ATOMVERTRAG (S. 59) NITIES (S. 71) Hintergrundsgespräch und Diskussion | Do, 10. April Vortrag mit Diskussion | Do, 5. Juni 2014 | 19:00 Uhr | Ber- 2014 | 19:30 Uhr | Frankfurt/M lin Sprache: Deutsch mit konsekutiver Übersetzung aus dem Sprache: Portugiesisch mit Konsekutivverdolmetschung; Portugiesischen Deutsch 50 JAHRE NACH DER MILITÄRDIKTATUR – JURISTISCHE BELO MONTE UND DAS ERBE DER MILITÄRDIKTATUR (S. UND PSYCHOLOGISCHE AUFARBEITUNG VON REPRES- 72-73) SION UND FOLTER IN BRASILIEN (S. 60) Podiumsgespräch | Mi, 2. Juli 2014 | 19:30 Uhr | Berlin Diskussionsabend | Do, 10. April 2014 | 19.30 Uhr | Berlin Sprache: Portugiesisch mit Simultanverdolmetschung Sprache: Simultanübersetzung Deutsch-Portugiesisch NACH 50 JAHREN ERFOLGSSTORY BRASILIEN? (S. 65) DER BERICHT DER NATIONALEN WAHRHEITSKOM- Vortrag und Diskussion | Fr, 11. April 2014 | 19:30 Uhr | MISSION UND DIE SCHLUSSFOLGERUNGEN FÜR DIE Welthaus Bielefeld, Bielefeld DEUTSCH-BRASILIANISCHEN BEZIEHUNGEN. BILANZ Sprache: Portugiesisch-Deutsche Konsekutivverdolmet- DER NUNCA MAIS BRASILIENTAGE 2014 (S. 74) schung. Jahresabschlußveranstaltung der Nunca Mais Brasilien- JORNADAS BRASIL-ALEMANHA: 50 ANOS DO GOLPE tage | November 2014 | Berlin und São Paulo DE 1964 (Arbeitstitel) (S. 65) Ort, Zeit und alle weiteren Informationen werden auf der Symposium | Mo, 5. Mai - Mi, 7. Mai 2014 | São Paulo Webseite der Initiative Nunca Mais - Nie Wieder www.nunca- Zeit und alle weiteren Informationen werden auf der Webs- mais.de rechtzeitig bekanntgegeben. eite der Initiative Nunca Mais - Nie Wieder www.nuncamais. de rechtzeitig bekanntgegeben. Nunca Mais Brasilientage | Programmheft 5
HINTERGRUND OPPOSITION UND OPPORTUNISMUS DIE DEUTSCH-BRASILIANISCHEN BEZIEHUNGEN WÄHREND DER DIKTATUR. EIN (AUCH PERSÖNLICHER) RÜCKBLICK Opposition und Opportunismus. 2014 – 50 und dem amtierenden deutsch-stämmigen Dikta- Jahre nach dem Militärputsch in Brasilien tor Ernesto Geisel abgeschlossen. verweist ein Rückblick auf die deutsch-bra- Eine besonders nützliche Quelle, um die Argu- silianischen Beziehungen insbesondere in mentationsketten der „Freunde“ des Regimes den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts auf kennenzulernen, sind die Deutsch-Brasilianischen eindeutige Polarisierungen in der deutschen Hefte, aus denen ich die meisten folgenden Zi- Öffentlichkeit und Politik: Verteidiger_innen tate entnommen habe. Herausgegeben von der und Lobbyist_innen der sogenannten „Re- Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft dokumen- volution“ (so hatten die Militärs ihren Coup tieren die Hefte den Originalton der etablierten, d’Etat 1964 genannt), insbesondere aus deut- politischen Freunde der Militärs und insbesonde- schen Wirtschaftskreisen auf der einen Seite, re der davon profitierenden deutschen Unterneh- eine bemerkenswert engagierte Solidarität men. Drei Kostproben dazu: mit den Verfolgten des Regimes und der Op- Gustav Stein, stellvertretender Vorsitzender des position auf der anderen Seite. Wirtschaftsausschusses des Bundestags stellt nach einem Besuch in Brasilien 1971, ein beson- Und die „offizielle Bundesrepublik“ der in dieser ders durch systematische Folter und Liquidierung Zeit durchgehend sozialdemokratisch geführten brasilianischer Oppositioneller gekennzeichne- Regierungen? Sie übte Zurückhaltung in Fragen tes Jahr, fest: „Die Bedeutung unserer sozialen von Menschenrechtsverletzungen und zeigte sich Marktwirtschaft für das allgemeine Wohl der euphorisch angesichts der glänzenden Aussichten Volkswirtschaften ist kaum besser zu bestätigen von Wirtschafts- und Technologiekooperation mit als durch die Entwicklung und Fortschritte in die- dem autoritären Regime. sem Lande.“ Als Erfolgsfaktoren fügt er hinzu, Außenminister Genscher lobte beim Besuch in „dass die Regierung derzeit mit keinerlei Arbeits- Brasilien 1975 die „Atmosphäre des Vertrauens, kämpfen rechnen muss“ und solange „die Wirt- die für das deutsch-brasilianische Verhältnis cha- schaftsexpansion noch in den Anfängen steckt, rakteristisch ist“, Wirtschaftsminister Friedrich sollte die Lohnpolitik die Unternehmen vor einem analysierte ebenfalls 1975 zufrieden: „Unser Han- Kostendruck von der Lohnseite her schützen.“ delsvolumen hat sich von 1964 bis 1974 versechs- Der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG, facht.“ Man beachte das von Friedrich gewählte Rudolf Leidig, wird in den Deutsch-Brasiliani- Basisjahr 1964, das Jahr des Militärputsches, für schen Heften 1974 folgendermaßen zitiert: „Ich den Vergleich. bin überzeugt, dass Brasilien vom politischen Der Höhepunkt der deutsch-brasilianischen Zu- Gesichtspunkt aus sicherlich das stabilste Land in sammenarbeit war der deutsch-brasilianische ganz Lateinamerika ist. Die Tatsache, dass hier in Atomvertrag, den die deutsche Presse begeistert Europa gelegentlich Kritik gegenüber dem System als den „größten internationalen Technologiepakt laut wird, beruht sicherlich darauf, dass man hier nach dem Zweiten Weltkrieg“ zwischen zwei Län- nicht die nötige Einsicht und Kenntnis über das dern bezeichnete. Vorbereitet in der Regierung Land besitzt. Ich bin der Auffassung, dass diese Brandt wurde er unter tatkräftiger Unterstützung Stabilität mit dazu beiträgt, dem Land die unab- von Franz Josef Strauss, zwischen Helmut Schmidt dingbare und notwendige wirtschaftliche Basis zu 6 Nunca Mais Brasilientage | Programmheft
HINTERGRUND verschaffen. Dies ist wohl das vordringliche und systems wie z.B. dem Geheimdienst DOI-CODI vorrangige Ziel.“ Und später fügt er hinzu: „Der in São Paulo. Der verminderte „Kostendruck durch Brasilianer besitzt eine andere Mentalität als der die Löhne“ wurde durch die Politik der Lohnkne- Deutsche und Europäer. Er nennt eine glückliche belung, dem arrocho salarial, und der völligen Aus- Mentalität sein Eigen (…). Er ist nicht neidisch schaltung der Gewerkschaften erreicht. Die völlige und mit seinem Los zufrieden (…).“ „Übereinstimmung zwischen Privatwirtschaft und Die Wege des Erfolgs der „Revolutionsregierun- Regierung“ führte zu einem gigantischen System gen“ werden in einem anonym verfassten Arti- von Steueranreizen für Privatinvestitionen, zu ei- kel 1973 so beschrieben: Sie wurden „in kurzer nem wirtschaftsfreundlichen „Investitionsklima“ Zeit“ erreicht „durch nüchterne und energische und einem häufigen Wechsel von Militärs in die Maßnahmen, die zu Beginn natürlich wenig po- Vorstandsetagen der Unternehmen. Dass deut- pulär waren, z.B. Währungskorrekturen, Einfrie- sche Lobbyist_innen und Unternehmensvertre- ren der Löhne, (…), Erziehung des Volkes für ter_innen damals mit Lobeshymnen aufwarteten, Entwicklungsaufgaben. (…) In den großen Lini- ist nicht verwunderlich. Besonders gemein ist es en scheint es eine völlige Übereinstimmung der dann, wenn „der brasilianische Volkscharakter“ für Meinungen von beiden Sektoren (Regierung und die Rechtfertigung des Regimes herangezogen Unternehmen, LR) über die wünschenswerten wird, so Erik von Kuehnelt-Leddihn, ein „öster- Wirtschaftsziele zu geben. Die wirtschaftlichen reichischer Gelehrter“, der im Auftrag der Deutsch- Entscheidungen der Regierung gründen sich Brasilianischen Gesellschaft 1970 versuchte, „das heute im Einklang mit dem Privatbereich auf Brasilienbild Europas zurecht zu rücken“. Am Ende technische Kriterien(…). Es (ist) in Brasilien ge- seines Artikels über „Brasilien-Klischee und Wirk- lungen, ein Modell wirtschaftlicher, sozialer und lichkeit“ fasst er zusammen: „Das Volk will essen, politischer Ordnung zu schaffen, das den brasili- singen, tanzen, gut verdienen und sich bei Fußball- anischen Problemen angepasst ist (…) und zwei- spielen unterhalten. Der politische Streit ist für klei- felsohne für die brasilianischen Verhältnisse und ne Minderheiten da.“ die Phase, die das Land und die Welt erleben, das Das Kapitel der Beziehung deutscher Unterneh- Beste ist.“ men und Wirtschaftskreise zum Militärregime ist Diese Aussagen aus den 70er Jahren und die im Übrigen keineswegs aufgearbeitet. Der Wahr- Analysen dazu werden von den Autoren selbst heitskommission in São Paulo liegt eine Liste ein- durchgehend als objektiv, wissenschaftlich, tech- zelner Vertreter_innen deutscher Unternehmen nisch und rational bezeichnet, während die Wahr- nehmung der kritischen Öffentlichkeit in Deutsch- land eben dort als „verzerrend, emotional, und die Tatsachen nicht berücksichtigend“ beschrieben wird. Sie bilanzieren aus der Sicht deutscher Wirt- schaftsinteressen eine besonders harte Periode Foto: Ministério da Cultura der brasilianischen Diktatur. Die gepriesene „Sta- bilität“ stützt sich auf das Verbot der politische nParteien, Intervention in die Gewerkschaften, die Einführung der Pressezensur, die Schließung des Parlaments und nicht zuletzt auf die syste- matischen Folterungen und Verfolgung der Op- position auf Grund der Einführung eines zum Teil durch Unternehmen finanzierten Repressions- Verhaftung und Repression Nunca Mais Brasilientage | Programmheft 7
HINTERGRUND vor, denen besondere Nähe zu Repressionsorga- auch aus der Jungen Union und der Christlich- nen nachgesagt wird und die Kommission wird Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), dem voraussichtlich in ihrem Endbericht dazu Stellung Arbeitnehmer_innenflügel der CDU. In einer nehmen. anderen Aktion, von der katholischen Zeitschrift Nachdem 1970 insgesamt 17 Mitglieder der ka- PUBLIK organisiert, wurden 350.000 Deutsche tholischen Arbeiterjugend in Rio verhaftet wurden Mark für die Unterstützung kirchlicher Gruppen in (ihnen wurde der Betrieb eines illegalen Radiosen- Brasilien gesammelt, heute äquivalent mit etwa ders vorgeworfen), kam es in 60 Städten Europas 180.000 Euro. – darunter zahlreiche deutsche Städte wie Köln, Der Besuch hochrangiger Vertreter der brasilia- Düsseldorf, Bonn, Frankfurt, Berlin – Protestkund- nischen Diktatur wurde zwar von der deutschen gebungen gegen die brasilianische Regierung. Das Regierung freundlich empfangen, aber in der waren typische Solidaritätsaktionen im Deutsch- Öffentlichkeit auch von heftigen Protestaktionen land der 70er Jahre. Eine zentrale Rolle spielten begleitet, so z.B. 1970 gegen den brasilianischen dabei katholische (und evangelische) Einrichtun- Justizminister Alfredo Buzaid, jener furchtbare gen. Der Erzbischof von Recife, Dom Hélder Câ- Jurist, der ausführlich in den Deutsch-Brasiliani- mara, wichtigste Symbolfigur in Europa für den schen Heften über die demokratische Verfassung Widerstand gegen die brasilianischen Militärs, Brasiliens dozieren durfte. Bemerkenswert war reiste mehrfach nach Deutschland und prangerte dabei seine Definition des „subversiven Kriegs“, nicht nur das autoritäre Regime, sondern auch den der auch in „einer sublimen Beeinflussung der wilden, ungerechten Kapitalismus an und trat für Massenkommunikationsmittel sowie der Verbrei- eine entschiedene Opposition ein. Ein Spenden- tung von Drogen (existiert). Das Ziel dieser Art von aufruf für die Unterstützung Dom Hélder Câmaras Krieg ist, Panik zu verbreiten, der Jugend ihren En- trug damals auch die Unterschrift von Abgeordne- thusiasmus zu nehmen, die christliche Familie und ten aus allen im Bundestag vertretenen Parteien, die Bevölkerung mit Obszönität und Pornographie Foto: Correio da Manhã / Arquivo Nacional Rio de Janeiro, 1968 Studentischer Protest 8 Nunca Mais Brasilientage | Programmheft
HINTERGRUND vertraut zu machen“ (Deutsch-Brasilianische Hef- Diktatur!) im Vorraum des Konsulats. te, Nr.1/74). Nachdem Buzaid zwei Strafanstalten Ich selbst kam, nachdem ich 1968 bei der Sexta Fei- in Nordrhein-Westfalen besucht hatte, veranlasste ra Sangrenta (Blutiger Freitag) eine Schussverlet- ihn der Enthusiasmus der gegen seinen Besuch zung erlitten hatte, 1969 nach Deutschland und ge- protestierenden deutschen Jugend dazu, seinen riet wegen verschiedener Vorträge in Deutschland Besuch frühzeitig abzubrechen und nach London gegen die Militärs ins Visier der deutschen „Freun- weiter zu fliegen. Auch der von der Bundeswehr de der Militärs“. Von Angehörigen der Deutsch-Bra- betreute Besuch einer 60-köpfigen Delegation der silianischen Gesellschaft als einer der „schlechten Escola Superior de Guerra (Kriegshochschule) im Brasilianer“ identifiziert, die im Ausland das Image September 1972 wurde durch Proteste begleitet. Brasiliens beschädigen und verzerren, wurde ich Das Dominikanerkloster Walberg bei Köln und der brasilianischen Botschaft „gemeldet“, worauf- die Kölner Gruppe von Amnesty International um hin mir der brasilianische Pass entzogen und ich den Volkswirt Peter Klein waren zentrale Schalt- als Papierloser in die Illegalität gedrängt wurde. stellen der Solidaritätsbewegung mit Brasilien zu Zugleich aber bekam ich von der evangelischen Beginn der 70er Jahre. Am 8.12.1972 fand das Kirche und von Politikern, wie beispielsweise dem Brasilientribunal mit Zeitzeugen und Verfolgten SPD-Abgeordneten Karl Heinz Hansen aus Düssel- des Regimes wie Clemens Schrage statt, mode- dorf (später in der Zeit von Helmut Schmidt aus riert vom WDR-Journalisten und Monitormodera- der SPD ausgeschlossen), Unterstützung und wur- tor Casdorff. Ein „Verteidiger Brasiliens“ war der de jahrelang in Deutschland geduldet. Gründer der Deutsch-Brasilianischen Gesellschaft Während in Brasilien durch die Wahrheitskommis- H. Goergen. In einem mir vorliegenden Bericht sionen die Vergangenheit aufgearbeitet wird, führ- des brasilianischen Geheimdienstes SNI (der in te die Frage nach der Auseinandersetzung mit der Deutschland über die Brasilianische Botschaft ab deutsch-Brasilianischen Gesellschaft zur Initiative 1970 tätig war) zu dieser Veranstaltung wird unter Nunca mais Brasilientage (www.nuncamais.de). der Rubrik „Kommunismus“ die mangelnde Ob- Dabei geht es uns auch um die Aktualität, denn jektivität deutscher Medien beklagt. auch heute werden Menschenrechte hinter harte Auch die Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialist_ Wirtschaftsinteressen gestellt, Waffengeschäfte innen in der SPD (Jusos) engagierte sich in der mit autoritären Regimen wie Saudi-Arabien be- Solidaritätsbewegung mit Brasilien, insbesondere trieben und nicht zuletzt im heute demokratischen Michael Müller, stellvertretender Jusovorsitzen- Brasilien selbst sind die Einhaltung von Menschen- der, zuletzt Staatssekretär im Umweltministerium rechten, die Bekämpfung von Folter und den un- bei Sigmar Gabriel. menschlichen Bedingungen in Gefängnissen nach Militante Aktionen – wie die teilweise Besetzung wie vor aktuell. Solidarität und ein solidarisches der Brasilianischen Botschaft am 16.1.1970 in Verhältnis zwischen Deutschland und Brasilien Bonn – von Schüler_innen und der Bonner Kom- bleibt wichtig. mune I aus Roleben waren eher selten. Der Re- volutionäre Kampf (RK), die Gruppe in der in den // Luiz Ramalho 70er Jahren Joschka Fischer und Daniel Cohn- Bendit agierten, plante 1971 im Vorfeld des Un- Brasilianischer Soziologe aus Rio de Janeiro, Initi- abhängigkeitstags am 7.09.1971 die Besetzung ator der Nuncamais Brasilientage, lebt zurzeit zwi- des brasilianischen Generalkonsulats in Frankfurt. schen Deutschland und Mexiko. Die Aktion wurde aus Angst um die Gefährdung von Menschen abgeblasen, man beließ es beim Sprühen eines Abaixo a ditadura! (Nieder mit der Nunca Mais Brasilientage | Programmheft 9
INTERVIEW „HERZLICHE DIPLOMATISCHE BEZIEHUNGEN MIT DIKTATURREGIMEN“ INTERVIEW MIT PROF. MARIJANE LISBOA, MITBEGRÜNDERIN DER INITIATIVE NUN- CA MAIS – NIE MEHR Marijane, welches sind deine Motive, den Mi- chen nie wiederholen mögen. Aber ich glaube, litärputsch in Brasilien vor 50 Jahren im Rah- dass ein Nachdenken über die deutsch-brasi- men von Veranstaltungen der Nunca Mais Bra- lianischen Beziehungen auch in Deutschland silientage zu thematisieren? Früchte zeigen wird, eine Reflexion über seine Marijane: In der Welt von heute kann sich eine Verantwortung für die Einhaltung der Menschen- Diktatur, die so lange an der Macht war, nur hal- rechte. Es kann nicht sein, dass eine Demokratie ten, wenn sie Unterstützung oder zumindest die wie Deutschland herzliche diplomatische Bezie- Gleichgültigkeit wichtiger Länder der internatio- hungen mit Diktaturregimen pflegt, nur um sei- nalen Gemeinschaft erfahren hat. Andererseits ne kommerziellen Interessen zu verfolgen, und kann auch kein Kampf um Wiederherstellung der Demokratie ohne Solidarität und Unterstützung Der Gipfel der deutsch-brasilianischen anderer Länder, seiner Organisationen und Bewe- „herzlichen“ Diplomatie Der deutsch-brasilianischen gungen erfolgreich sein. Die BRD war eines die- Atomvertrag von 1975 ser Länder, die die Diktatur unterstützten – wenn- gleich ihre Rolle und Bedeutung nicht mit der der USA verglichen werden kann. Gleichzeitig gab es aber in Deutschland auch zahlreiche Organisatio- nen und Bewegungen, die die Verbrechen jener Diktatur anprangerten, Flüchtlinge aufnahmen und aktiv den Kampf für die Redemokratisierung Brasiliens unterstützten. Warum ein Projekt im Kontext der Militärdik- tatur zu den deutsch-brasilianischen Bezie- hungen organisieren? Inwiefern könnte diese Debatte in Deutschland die Arbeit in Brasilien gegenwärtig beeinflussen? Marijane: Im Vergleich zu Argentinien und Chile gibt es in Brasilien immer noch großen Wider- stand gegen die Aufarbeitung dessen, was damals während der Diktatur geschah. Es gibt Widerstän- Foto: FDCL-Archiv de, die Verbrechen, die von staatlichen Akteuren begangen wurden, vor ein Gericht zu bringen. Die Tatsache, dass auch in anderen Ländern solche Verbrechen geächtet werden, sollte den Gedan- ken unter uns stärken, mit dieser Vergangenheit ins Reine zu kommen, damit sich solche Verbre- 10 Nunca Mais Brasilientage | Programmheft
INTERVIEW Foto: Andre Deak (CC BY 2.0) São Paulo und deutsche Wirtschaftsinteressen in Brasilien Die über 1.200 in São Paulo ansässigen deutschen Unternehmen bilden die weltweit größte Konzentration deutscher Industrie. dabei die Augen schließt vor den Verbrechen, die FU-Berlin, wo ich das Diplom in Soziologie mach- im betreffenden Land gegen die Menschenrech- te. Ende 1979 kehrte ich nach Brasilien zurück. Ich te begangen werden. bin einige Male nach Deutschland zurückgekehrt, wo ich Freunde habe, ich pflegte Verbindungen Welches sind Deine persönlichen Beziehun- zu deutschen Einrichtungen in Brasilien wie dem gen zu Deutschland? Unter welchen Umstän- vormaligen Deutschen Entwicklungsdienst (DED, den kamst Du nach Deutschland? in Brasilien hieß der SACTES), die Friedrich-Ebert- Marijane: Ich lebte als Flüchtling in Chile, als die und Heinrich-Böll-Stiftung. Ich habe Rosa Luxem- Militärs 1973 gegen Allende putschten, flüchte- burg übersetzt, Anna Seghers, Christa Wolf, Hans te dann weiter nach Deutschland. Wer uns bei Jonas und Jean Améry und in letzter Zeit habe Ankunft aufnahm und unterstützte, das waren ich mich immer mehr für die neuere deutsche Mitglieder von Amnesty International Deutsch- Geschichte interessiert und die Debatte zu einer land, Peter Klein und Britta Lützow. Pfarrer Hans Erinnerungskultur im Zusammenhang mit dem Dressel, damals Direktor des Ökumenischen Nazismus und der DDR verfolgt. Studienwerks in Bochum, kümmerte sich um eine große Anzahl an brasilianischen, chileni- // Interview: Júlia Dócolas und schen und uruguayischen Flüchtlingen, denen er Sara Fremberg Stipendien besorgte, um Deutsch zu lernen und Übersetzung: Werner Würtele, ehem. Lan- um sich auf ein Studium an einer deutschen Uni- desdirektor des Deutschen Entwicklungs- versität vorzubereiten. Ich studierte am LAI der dienstes Brasilien Nunca Mais Brasilientage | Programmheft 11
INTERVIEW MARIJANE LISBOA Dr. Marijane Lisboa wurde 1947 in Rio de Janeiro, Brasilien geboren. Im September 1969 wurde sie wegen Mitgliedschaft in einer politischen Organisation, die die Militärdiktatur bekämpfte, ver- haftet. Nach mehreren Gefängniswechseln wurde sie im November 1970 freigelassen, und suchte politisches Asyl in der Botschaft Chiles. In Chile lebte sie bis zum Militärputsch 1973. Nach kurzen Aufenthalten in Mexiko und Belgien suchte sie schließlich Asyl in der Bundesrepublik Deutschland. In Berlin studierte sie am Lateinamerika-Institut der FU Berlin, ein Studium, das sie 1978 mit dem Diplom in Soziologie abschloss. Zurück in Brasilien war sie ab 1980 als Professorin an der Päpstlichen Katholischen Universität von São Paulo (PUC-SP) tätig. 1991 ließ sich Frau Lisboa dort freistellen, um beim Aufbau von Greenpeace Brasilien mitzuwirken. Mit Greenpeace organisierte sie Kampagnen gegen giftige und genmanipulierte Substanzen in Lebensmitteln. Zu diesen Themen begleitete sie auch Greenpeace International bei internationalen Verhandlungen. 2003 übernahm Frau Lisboa die Leitung des Sekretariats für umweltbezogene Qualität in mensch- lichen Siedlungen im Bundesumweltministerium in Brasília unter Ministerin Marina Silva. Zwischen 2007 und 2011 war sie Berichterstatterin für Umwelt- und Menschenrechte der Plattform für Wirt- schaftliche, Soziale und Kulturelle sowie Ökologische Menschenrechte (Plattform DHESCA) wieder, die Fälle massivster Verletzung von Umweltrechten untersucht. Dr. Lisboa ist Mitglied der Nationalen Technischen Kommission für Bio-Sicherheit (CTNBio). Die Kom- mission ist verantwortlich für die Prüfung von genmanipulierten Lebensmitteln auf ihre Biosicherheit. Frau Lisboa beteiligt sich zudem am Brasilianischen Netz für Umweltgerechtigkeit aus sozialen Be- wegungen, NGOs und Wissenschaftler_innen. Dieses Netz bemüht sich, die hinter den gesellschaft- lich-ökologischen Konflikten stehenden Fragen nach politischer und ökonomischer Macht sichtbar zu machen. Seit Juni 2013 ist sie Mitglied in der Wahrheitskommission „Rektorin Nadir Gouveia“, die die Gewalt gegen Mitglieder der PUC-SP während der Diktatur untersucht. Marijane Lisboa Foto: ALSP 2010 auf einer parlamenta- rischen Anhörung zu Agrar- giften und gentechnisch veränderten Organismen 12 Nunca Mais Brasilientage | Programmheft
LESUNG FR, 14. MÄRZ 2014, LEIPZIG | MO, 17. MÄRZ 2014, KÖLN | DO, 27. MÄRZ 2014, FRANKFURT/M. | SA, 29. MÄRZ 2014, BERLIN „DU KOMMST ZU MIR ZURÜCK“ LESE- UND VORTRAGSREISE DES SCHRIFTSTELLERS BERNARDO KUCINSKI IN DEUTSCHLAND IM MÄRZ 2014 FR, 14. März 2014, 14.00-14.45 Uhr | Leipzig | Lesung mit Bernardo Kucinski und Sarita Brandt | Ort: Leipziger Buchmesse: Frankfurter Buchmesse-Bühne, Halle 4 B 501 Veranstalter: Team Ehrengast Frankfurter Buchmesse und Initiative Nunca Mais – Nie Wieder. Mo, 17. März 2014, 19:00 Uhr | Köln | Lesung mit Bernardo Kucinski und Mario Schenk | Ort: Allerweltshaus e.V. - Kleiner Saal, 1.OG - Körnerstraße 77, 50823 Köln-Ehrenfeld. Veranstalter: Köln-Rio e. V. Städtepartnerschaftsverein und Initiative Nunca Mais - Nie Wieder. Do, 27. März 2014, 19:30 Uhr | Frankfurt/M. | Lesung mit Bernardo Kucinski und Sarita Brandt | Ort: Club Voltaire | Kleine Hochstraße 5 | 60313 Frankfurt Veranstalter: Centro Cultural Brasileiro em Frankfurt (CCBF) und Initiative Nunca Mais - Nie Wieder. Sa, 29. März 2014, 20:00 Uhr | Berlin | Film Cidadão Boilesen (Regie: Chaim Litewski, BRA 2009, 92 min. OmeU). Anschließend Vortrag und Diskussion mit Bernardo Kucinski Ort: Kino Eiszeit, Zeughofstraße 20, 10997 Berlin Veranstalter: Initiative Nunca Mais - Nie Wieder. Die Lese- und Vortragsreise von Bernardo Kucinski wird anteilig gefördert durch: Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung / Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit Stiftung Umverteilen – Stiftung für eine, solidarische Welt Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW e. V. Centro Cultural Brasileiro em Frankfurt (CCBF) Köln-Rio e. V. Städtepartnerschaftsverein. Nunca Mais Brasilientage | Programmheft 13
ERZÄHLUNG DU KOMMST ZU MIR ZURÜCK „Pass auf, was du sagst, denk dran, dass du danach Die Verhandlung dauerte nicht lange. Ein Oberst wieder herkommst. Du kommst zu mir zurück“, wie- verlas die Klageschrift. Sie erklärte sich in allen derholte er. Anklagepunkten für unschuldig, außer, dass sie einem Studenten aus Gründen der Menschlichkeit Er lachte. Schlug die Tür des Gefangenentranspor- Unterschlupf gewährt hatte, was nicht zusammen- ters zu und lachte. hing mit dem, was er getan hatte. Sie antwortete genau so, wie der Anwalt es ihr geraten hatte. Der Du miese Ratte, sagte sie sich. Ein kalter Schauer Untersuchungsrichter unterbrach sie. lief ihr über den Rücken. „Das steht so nicht in dem Geständnis, dessen Es war die erste Gerichtsverhandlung in ihrem Fall. Niederschrift der Polizeikommissar angefertigt hat Nachdem der Termin feststand, hatte man sie nicht und das Sie unterzeichnet haben.“ mehr kopfunter an die Papageienschaukel gehängt, sie bekam Essen, Wundsalben, Kleidung. Heute An diesem Punkt verlor sie die Kontrolle und trägt sie eine neue Bluse, auch der Rock ist neu. Al- schrie: le wollen vermeiden, dass sie eine schlechte Figur abgibt. Es wird alles gut ausgehen, haben sie ihr „Ich habe unter Folter gestanden! Diese Bestie versichert. Sie durfte nur nicht die Nerven verlieren. von Polizeikommissar hat mich sieben Mal aufge- Einfach den Mund halten, nur die Anklagepunkte hängt.“ abstreiten. Sonst nichts. Eine seltsame Stille machte sich breit. Sieben Mal, Sie war in dem Transporter allein. Von so vielen com- sieben Mal, die Worte schienen im Gerichtssaal panheiros war nur noch sie am Leben und befand die Runde zu machen. Sieben Mal, nicht ein Mal sich auf dem Weg ins Gericht, um sich vor der Mili- oder zwei Mal, sieben Mal. Der Richter unterbrach tärjustiz zu verantworten. Hätte es die Pressenach- die Verhandlung und bat alle in sein Amtszimmer. richt über ihre Festnahme nicht gegeben, wäre sie längst tot. Sie selbst hatte darum gebeten – mehr Dort, im kleinen Kreis, packte sie aus. Sie rede- als ein Mal –, bringt mich doch um, bringt mich doch te und redete. Sie zeigte die Blutergüsse an den um. Und dieses Untier sagte, ja, ich werde dich um- Armen und Fußgelenken, erzählte von den Schlä- bringen, aber dann, wenn es mir passt. gen, den Elektroden an den Brustwarzen und der Vagina, den angedrohten Vergewaltigungen, den Das geht jetzt nicht. Jetzt gibt es ein Gerichtsver- vorgetäuschten Erschießungen, dem simulierten fahren. Ertränken, den elf Tagen Einzelhaft. 14 Nunca Mais Brasilientage | Programmheft
ERZÄHLUNG Zum Schluss sprach sie von der Drohung, die wird nervös. Durch den vergitterten Luftschlitz be- der Folterer ausgesprochen hatte. Auf keinen Fall obachtet sie den Weg, den er wählt. Entsetzt sieht würde sie dorthin zurückkehren, sagte sie, lieber sie, dass sie dasselbe Tor passieren wie bei der Ab- würde sie sterben. Wenn man sie zurückbräch- fahrt zum Gerichtsgebäude. te, würde sie sich umbringen, sich bei der ersten Gelegenheit aus dem Fenster stürzen. Wenn es Der Transporter hält an, die Türen öffnen sich. kein Fenster gäbe, würde sie sich den Kopf an der Wand einschlagen. Wenn es keine Wand gäbe, sich Der Folterer grinst: die Pulsadern durchtrennen. Wenn sie nichts zum Schneiden hätte, sie mit den Zähnen durchbeißen. „Du wirst zu mir zurückkommen, hab ich’s nicht ge- Wenn es nicht klappte, würde sie in Hungerstreik sagt? Na los, Schätzchen, ich bin gerade so richtig treten, bis sie tot wäre. in Spiellaune.“ Richter, Staatsanwalt und Verteidiger berieten Er packt sie an den Fußknöcheln und zieht sie aus sich ausführlich. Zum Schluss traf der Richter die dem Wagen. Anordnung, sie ins Frauengefängnis zu verlegen. Sie werde nicht zum DOPS, der Polizeiabteilung für Die anderen um sie herum lachen. Politische und Soziale Ordnung, zurückgebracht. Er unterzeichnete in Anwesenheit aller Beteiligten. // Bernardo Kucinski Erst dann beruhigte sie sich und ließ sich zum Wa- Aus dem brasilianischen Portugiesisch gen bringen. von Sarita Brandt Von neuem sitzt sie in dem Gefangenentranspor- Aus: Bernardo Kucinski: VOCÊ VAI VOLTAR PRA MIM e ter. Sie merkt, dass es derselbe ist wie vorher, und outros contos,1ª edição, Cosac Naify, São Paulo 2014 Foto: privat Bernardo Kucinski und Sarita Brandt Präsentation des Romans K. oder Die verschwundene Tochter auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst 2013 Bernardo Kucinski, 1937 in São Paulo als Sohn Sarita Brandt hat in Porto Alegre, São Paulo und polnisch-jüdischer Einwander_innen geboren, Berlin Philosophie, Pädagogik und Portugiesisch ist Wissenschaftler und Journalist. Er hat zahl- studiert. Sie ist Konferenzdolmetscherin und Li- reiche Bücher zu Wirtschaft und Politik veröf- teraturübersetzerin. Zu ihren Übersetzungen zäh- fentlicht. K. oder Die verschwundene Tochter, len Werke von Clarice Lispector, José Saramago, sein erster Roman, erzielte in Brasilien ein João de Jesus Paes Loureiro, Sebastião Uchoa überragendes Medienecho und wurde mehr- Leite, Manuel Alegre, Maria Isabel Barreno, Ana fach ausgezeichnet. Der Roman ist bereits ins Luísa Amaral, Vasco Graça Moura, Hannah Höch Englische, Spanische und Deutsche übersetzt. und anderen. Nunca Mais Brasilientage | Programmheft 15
REZENSION DIE OFFENE WUNDE K. ODER DIE VERSCHWUNDENE TOCHTER VON BERNARDO KUCINSKI VERKNÜPFT BIO- GRAFISCHES MIT EINEM GESELLSCHAFTSPORTRÄT DER ZEIT DER MILITÄRDIKTATUR K., ein polnischer Jude, der in den 1930er Jahren Regime gespannt. Die Sicherheitsorgane, der be- nach São Paulo emigriert ist, begibt sich zur Zeit waffnete Widerstand und die teils gleichgültige, der brasilianischen Militärdiktatur auf die Suche teils verängstigte Zivilgesellschaft erhalten ihren nach seiner verschwundenen Tochter. Dies ist die Platz und ihre Stimme. Akribisch skizziert Kucinski Rahmenhandlung des Romans K. oder Die ver- den Repressionsapparat der brasilianischen Dik- schwundene Tochter, in dem der brasilianische tatur und holt die verschüttete Vergangenheit in Autor Bernardo Kucinski sich mit der eigenen tra- die Gegenwart zurück. Der Perspektivenwechsel gischen Familiengeschichte auseinandersetzt. Die ermöglicht vielfältige Einblicke, wobei sogar der Schwester des Autors, Ana-Rosa, deren Name im berüchtigtste Folterer jener Zeit, Fleury, zu Wort Roman ungenannt bleibt, hatte sich einer linken kommt. Untergrundbewegung angeschlossen und „ver- Diese Vielstimmigkeit, die sparsame Verwendung schwand“ 1974. Bis heute sind ihr Verbleib und die echter Quellen und der eigensinnige Sprachduk- Todesumstände unaufgeklärt. An ihrer Ermordung tus tragen zu dem realistischen Charakter des durch den staatlichen Sicherheitsapparat bestehen Romans bei. Emotionalität und Eindringlichkeit, hingegen keine Zweifel. Dies macht der Autor be- Genauigkeit und Sachlichkeit sind Variablen, die reits im Vorwort klar. Kucinski treffend einzusetzen weiß. Er schreibt Die ursprüngliche Verwunderung des Vaters wird einfach, schnörkellos und dicht. Es ist aber der von Panik und schließlich von Verzweiflung abge- Verdienst der Übersetzerin Sarita Brandt, dass löst. Selbstvorwürfe gepaart mit Angst durchzie- all diese Eigenheiten in der deutschen Fassung hen die Handlung. Die Nachforschungen von K. meisterhaft wiedergegeben sind. Brandt ist für führen in viele Sackgassen, nur nicht zu seiner Übersetzungen hochkarätiger Autor_innen wie Tochter. Die Hoffnung, dass seine Tochter noch Clarice Lispector und José Saramago bekannt. leben könnte, ist zu verheißungsvoll, als dass der Das intelligente Verketten der erwähnten Bruch- Vater mit der Vergangenheit abschließen könnte. stücke erzeugt die Spannung eines Kriminalro- Die verhinderte Trauer und die Hoffnung begleiten mans, wenn auch das Ende der Geschichte kein die Angehörigen der „Verschwundenen“ bis zur Geheimnis mehr ist. Die Komplexität der politi- Gegenwart. Sie sind die offene Wunde, in die die schen Verwicklungen, die seelischen Abgründe, Schergen des Systems ihr Salz streuen. die Schamlosigkeit und Brutalität des Machtappa- Der Roman ist in 29 Abschnitte unterteilt. Wäh- rats sowie der ausweglose Kampf der Hauptfigur rend der Hauptstrang aus der Suche des Prota- machen die Leser_innen gewissermaßen selbst gonisten nach seiner Tochter besteht, behandeln zu Beteiligten. Dies ist die große Stärke von Ku- Nebenstränge einerseits die zurückliegenden cinskis Romandebüt, das zu Recht mit zahlrei- Entwicklungen, wie zum Beispiel das Leben der chen Preisen ausgezeichnet wurde. Tochter im Untergrund, andererseits das Innenle- // Mario Schenk ben des Repressionsapparats. Sie ergänzen somit Quelle: Lateinamerika Nachrichten 471/472 den Hauptstrang und führen zu einer umfassen- Bernardo Kucinski // K. oder Die verschwundene Toch- den Darstellung der Epoche. Durch diese Unter- ter // Aus dem brasilianischen Portugiesisch von gliederung der Handlung wird der Bogen zwischen Sarita Brandt // Transit-Verlag // Berlin 2013 // 144 Sei- den verschiedenen Figuren und dem totalitären ten // 16,80 Euro // www.transit-verlag.de 16 Nunca Mais Brasilientage | Programmheft
VORTRAG MIT DISKUSSION DI, 18. MÄRZ 2014 | 19:00 UHR | ORT: FDCL, BERLIN INDIGENE VÖLKER BRASILIENS GENOZID UND MENSCHENRECHTE - VOM FIGUEIREDO-BERICHT 1968 BIS HEUTE Veranstaltung mit Merong Santos Tapurumã (Pataxó), Jocelino da Silveira Quiezza (Tupini- kim), Dr. Renate Gierus (COMIN), Hans Alfred Trein (COMIN - IECLB) und Christian Russau (FDCL, Moderation) Ort: FDCL, im MehringHof, Aufgang 3, 5. Stock, Gneisenaustr.2a, 10961 Berlin | Sprache: Portugie- sisch mit Konsekutivverdolmetschung | Eintritt: frei. Eine gemeinsame Veranstaltung von Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst und FDCL im Rahmen der Nunca Mais Brasilientage. Als Anfang 2013 der Menschenrechtsvertei- schnell verschwinden, egal wie, egal wohin. Frei- diger der Gruppe Tortura Nunca Mais aus es Land sollte entstehen für die Landwirtschaft. São Paulo und Koordinator des Projektes Dass dabei ganze indigene Ethnien komplett ver- Armazém Memória, Marcelo Zelic, im Mu- schwanden, wurde billigend in Kauf genommen. seu do Índio in Rio de Janeiro verstaubte Als der Report 1968 bekannt wurde, erregte er Akten durchforschte und merkte, was er weltweit Aufsehen. Die SPI wurde aufgelöst und da in den Händen hielt, war die Verblüffung durch die Indigenenbehörde FUNAI ersetzt. Doch nicht gering. bevor wirkliche Konsequenzen gezogen werden Es war der seit Ende der 1960er Jahre zerstört konnten, verschwand der Bericht. Angeblich fiel er geglaubte sogenannte Figueiredo-Report. Im einem Feuer zum Opfer; ein offenes Geheimnis, Auftrag des Innenministers hatte der Staats- dass die damalige Militärdiktatur das Dokument anwalt Jader de Figueiredo Correia Ende der verschwinden ließ. Die Expansion der Landwirt- 1960er Jahre 16.000 km zurückgelegt und über schaft ging ungestört weiter und auch die neue 130 Stationen der damaligen „Indianerschutzbe- FUNAI legte den Farmer_innen kaum Steine in hörde“ SPI besucht. Was er und seine Mitarbei- den Weg. ter_innen auf über 7.000 Seiten zusammentru- Nun ist der Figueiredo-Report wieder da und gibt gen, schockierte die Welt. beredtes Zeugnis von dem Genozid, den das Figueiredo sammelte Berichte von systemati- „grüne Wirtschaftswunder“ in Brasilien auch be- scher Folterung von Indigenen durch Farmer_in- deutete. Notwendig ist, dass daraus juristische nen und Angestellte der SPI. Die Indigenen Konsequenzen gezogen werden. Dass Indige- galten im brasilianischen „wilden Westen“ und nen, die gewaltsam vertrieben wurden, ihr Land Norden nicht als vollwertige Menschen, sie wur- zurückgegeben wird. Dass die Verantwortlichen den auf oft bestialische Art erniedrigt und ver- für den Genozid vor Gericht zur Rechenschaft sklavt. Die Gewalt gegen Indigene war aber nicht gezogen werden. Und es wäre an der Zeit, den nur Willkür – sondern auch zielgerichtet. Ange- wiederentdeckten Report zum Anlass zu neh- stellte der SPI verkauften mit Strychnin vergifte- men, um in der Agrarpolitik und in der Landfrage ten Zucker an Indigene und verteilten mit Pocken umzudenken, und die Interessen von Menschen verseuchte Kleidung. Die Indigenen sollten nur und Umwelt ins Zentrum zu stellen und nicht den Nunca Mais Brasilientage | Programmheft 17
VORTRAG MIT DISKUSSION Hans, Merong, Jocelino und Renate werden über den Kampf um indigenes Land in Brasilien berichten Profit. Zurzeit verfolgt die im Kongress mächtigs- unseren Referent_innen über die damaligen und te Fraktion der ruralistas, der Großgrundbesitzer, heutigen territorialen und verfassungsrechtlichen einen beispiellosen Angriff auf indigene Rechte, Kämpfe der Indigenen in Brasilien diskutieren und Territorien und indigenes Land. Der FUNAI soll Fragen stellen bezüglich der Gewalt gegen Indige- die alleinige Kompetenz zur Kennzeichnung in- ne damals – und auch heute. digener Territorien entzogen und dem Kongress Denn anhaltende Menschenrechtsverletzungen unterstellt werden. und Missachtung indigener Rechte deuten dar- 50 Jahre nach Beginn der brasilianischen Militär- auf hin, dass das Diktum „Nunca Mais“ sich noch diktatur (1. April 1964) wollen wir gemeinsam mit nicht vollständig bewahrheitet hat. DIE REFERENT_INNEN Hans Alfred Trein (COMIN – IECLB). Hans Alfred Trein (60), Pfarrer in der IECLB mit Gemeindeerfahrung im Amazonasgebiet und im Süden Brasiliens, arbeitete sechseinhalb Jahre in entwicklungsbezogener Bildungsarbeit in der Ökumenischen Werkstatt in Kassel und war zehn Jahre lang in der Koordination im Indianermissionsrat der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien tätig. Merong Santos Tapurumã. (26) stammt ursprünglich aus dem Volk der Pataxó in Bahia. Seine Frau ge- hört zu dem Volk der Guaraní. Sie haben ein Kind und wohnen zurzeit in einem Lager in Erebango, im Norden von Rio Grande do Sul, einer Besetzung für die sie die Rückgabe des Indigenen Landes einfor- dern. Er wird zur Landfrage aus der Perspektive derer, die noch darum kämpfen müssen, berichten. Jocelino da Silveira Quiezza (ca. 30), gehört dem Volk der Tupinikim in Espírito Santo an. Die Tupinikim haben einen über 30 Jahre langen Kampf um die Rückgabe ihres Landes seitens des großen interna- tionalen Konzerns Aracruz Celulose (heute Fibria) im Jahre 2011 erfolgreich abgeschlossen. Jocelino berichtet aus der Perspektive einer gelungenen Landrückgabe an die Indigenen, über die Geschichte des langen Kampfes und die jetzigen Herausforderungen, wie dieses Land genutzt werden soll. Dr. Renate Gierus. Renate Gierus (47) hat ihr Doktorat in Feministischer Theologie gemacht. Gegenwär- tig arbeitet sie als Pastorale und Programmatische Koordinatorin von COMIN (Indianermissionsrat) der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien, seit Juni 2011, mit Sitz in São Leopoldo, Rio Grande do Sul. Sie besucht die Arbeitsfelder und die Indigenen Dörfer, tröstet und ermutigt die Kollegin- nen und Kollegen in ihrer Arbeit. Sie hilft ihnen auch in der Planung, im Monitoring und in der Auswertung ihrer Arbeit. Von 2007-2010 war Renate im Austausch mit Zentralamerika in Costa Rica als Pfarrerin tätig. 18 Nunca Mais Brasilientage | Programmheft
FILM MIT VORTRAG MI, 26. MÄRZ 2014 | 20:00 UHR | ORT: MAL SEH’N KINO, FRANKFURT/M. „A MEMORIA QUE ME CONTAM“ FILMVORFÜHRUNG UND DISKUSSION MIT DER REGISSEURIN LÚCIA MURAT Deutschlandpremiere des Films „A memoria que me contam“ | Memories they told me (2012), Regie: Lúcia Murat (100 min), OmeU | Filmvorführung und Gespräch mit Regisseurin Lúcia Murat | Ort: Mal Seh’n Kino & Café Adlerflychtstr. 6, Hinterhaus, 60318 Frankfurt Eine Veranstaltung von medico international und der Nunca Mais Brasilientage. SPIELFILM: Revolution und Terrorismus, Lie- alte Freund_innen – einst Mitglieder des radikalen be und Sex, gescheiterte Utopien und Kom- brasilianischen Widerstandes – kommen am Ster- promisse. Die brasilianische Regisseurin und bebett ihrer charismatischen Wortführerin wieder Ex-Guerillera erzählt in ihrem Film die Ausein- zusammen. Sie reflektieren die gemeinsame Ver- andersetzung zwischen zwei sich nahe stehen- gangenheit und scheitern an der Gegenwart im den, sich entfremdeten Generationen. Ein paar Konflikt mit ihren erwachsenen Kindern. Nunca Mais Brasilientage | Programmheft 19
FILMREIHE „NUNCA MAIS“ DO, 27. MÄRZ 2014, - MI, 2. APRIL 2014 | KINO EISZEIT, BERLIN FILMREIHE „NUNCA MAIS“ WIDERSTAND UND VERFOLGUNG WÄHREND DER BRASILIANISCHEN MILITÄRDIKTATUR FILMREIHE MIT VORTRÄGEN UND DISKUSSIONEN IM KINO EISZEIT | ZEUGHOF- STR. 20, 10997 BERLIN | EINE FILMREIHE DER NUNCA MAIS BRASILIENTAGE Do, 27. März 2014, 19:30 Uhr | Eröffnung der Filmreihe: Deutschlandpremiere des Films „Verda- de 12.528“ | Truth 12.528 (2013), Regie: Paula Sacchetta und Peu Robles (55 min.), OmeU Do, 27. März 2014, 21:30 Uhr | Deutschlandpremiere des Films „Hoje” | Today (2011), Regie: Tata Amaral (90 min.), OmeU Fr, 28. März 2014, 20 Uhr | „Diário de Uma Busca” | Diary, Letters, Revolutions (2010), Regie: Flávia Castro (108 min.), OmeU Sa, 29. März 2014, 18 Uhr | „Tropicália” (2012), Regie: Marcelo Machado (87 min.), OmeU Sa, 29. März 2014, 20 Uhr | Deutschlandpremiere des Films „Cidadão Boilesen” | Citizen Boi- lesen (2009), Regie: Chaim Litewski (92 min.), OmeU, Filmvorführung mit anschließendem Vortrag und Diskussion mit dem brasilianischen Journalisten und Zeitzeugen Bernardo Kucinski So, 30. März 2014, 18 Uhr | „Que Bom Te Ver Viva” | How nice to see you alive (1989), Regie: Lúcia Murat (100 min.), OmeU, Filmvorführung mit anschließendem Vortrag und Diskussion mit der Regisseurin Lúcia Murat So, 30. März 2014, 20 Uhr | „A memória que me contam” | Memories they told me (2012), Regie: Lúcia Murat (100 min.), OmeU, Filmvorführung mit anschließendem Vortrag und Diskussion mit der Regisseurin Lúcia Murat Mo, 31. März 2014, 20 Uhr | „Marighella” (2012), Regie: Isa Grinspum Ferraz (100 min.), OmeU Di, 1. April 2014, 20 Uhr | „O Dia que Durou 21 Anos” | The day that lasted 21 years (2012), Regie: Camilo Tavares (73 min.), OmeU | Anschließend Diskussion mit dem Soziologen Dr. Luiz Ramalho und dem Zeitzeugen Clemens Schrage. Eine Veranstaltung der Freunde des Ibero-Amerikanischen Instituts e.V. im Rahmen der Nunca Mais Brasilientage. Mi, 2. April 2014, 20 Uhr | „Condor” (2007), Regie: Roberto Mader (103 min.), OmeU | Eine Veran- staltung der Nunca Mais Brasilientage in Zusammenarbeit mit dem Lateinamerika-Forum Berlin Die Filmreihe „Nunca Mais“ wird finanziell gefördert durch die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Stiftung Umverteilen! Stif- tung für eine, solidarische Welt. Der Druck der Plakate und Flyer der Filmreihe „Nunca Mais“ wird finanziell gefördert durch den Solidaritätsfonds der Hans Böckler Stiftung 20 Nunca Mais Brasilientage | Programmheft
FILMREIHE „NUNCA MAIS“ „VERDADE 12.528“ | TRUTH 12.528 (2013) Regie: Paula Sacchetta und Peu Robles (55 min.), OmeU DOKUMENTARFILM: Der Film erklärt die Geschichte der 2012 eingesetzten Nationalen Wahrheits- kommission der brasilianischen Regierung. Anhand von über 40 Interviews mit Zeitzeug_innen wird die aktuelle Diskussion über die Beschränkungen des Amnestiegesetzes und die Aufrechterhaltung der Erinnerung an diese Zeit geführt. „HOJE“ | TODAY (2011) Regie: Tata Amaral (90 min.), OmeU SPIELFILM: Erzählt wird die Geschichte einer ehemaligen politischen Aktivistin, die Entschädigungs- zahlungen für ihren verschwundenen Ehemann erhält. Mit dem Geld kauft sie eine Wohnung und erhält am Tag ihres Umzuges Besuch, der sie über ihre Geschichte nachdenken lässt. Nunca Mais Brasilientage | Programmheft 21
FILMREIHE „NUNCA MAIS“ „DIÁRIO DE UMA BUSCA” | DIARY, LETTERS, REVOLUTIONS (2010) Regie: Flávia Castro (108 min.), OmeU DOKUMENTARFILM: 1984 wird der Journalist und Aktivist der Linken, Celso Castro, tot in der Woh- nung eines ehemaligen Nazis aufgefunden. Die Tochter und Regisseurin des Filmes zeigt auf persön- liche Weise anhand seiner Geschichte und des Exils in zahlreichen Ländern ein Porträt Brasiliens. „TROPICÁLIA” (2012) Regie: Marcelo Machado (87 min.), OmeU DOKUMENTARFILM: In den 1960er Jahren, mitten in Zeiten der Diktatur, entsteht die kulturelle Bewegung Tropicália. Die Musiker Caetano Veloso und Gilberto Gil geben die Impulse für eine Musikrichtung, die sich für die Meinungsfreiheit und gegen die Tradition einsetzt. „Tropicália“ zeichnet den Aufstieg der beiden Ikonen dieser revolutionären Musikströmung nach.Dabei entwirft der Film, ergänzt um Erinnerungen anderer Musiker_innen und Künstler_innen des „Tropicalismo“, ein faszi- nierendes Bild der elektrisierenden Musik und Kultur Brasiliens im Aufbruch. 22 Nunca Mais Brasilientage | Programmheft
FILMREIHE „NUNCA MAIS“ „CIDADÃO BOILESEN” | CITIZEN BOILESEN (2009) Regie: Chaim Litewski (92 min.), OmeU DOKUMENTARFILM: Die finanzielle Unterstützung der Militärdiktatur durch den dänischen Unter- nehmer Henning Albert Boilesen, Vorsitzender von der Unternehmergruppe Ultra, wird durch zahl- reiche Aussagen belegt. Er beteiligte sich am Aufbau der berüchtigten Repressionseinheit Operação Bandeirante. „QUE BOM TE VER VIVA” | HOW NICE TO SEE YOU ALIVE (1989) Regie: Lúcia Murat (100 min.), OmeU DOKUMENTAR- UND SPIELFILM: Vier Jah- re nach dem Militärputsch von 1964 setzte die brasilianische Regierung die Bürgerrechte außer Kraft. Dieses Dekret wurde als AI-5 berüchtigt. Mit dieser „harten Linie“, die General Emílio Gar- rastazu Médici verfolgte, wurde das systema- tische Foltern zu einer alltäglichen Praktik, der Unbeteiligte ebenso unterzogen wurden wie Aktivist_innen. Die Regisseurin Lúcia Murat, die als ehemalige Guerillera während der Diktatur selbst verhaftet und gefoltert wurde, trägt mit ihrem Film, in dem acht Frauen zu Wort kommen, zum bisher schleppenden Prozess der Vergangenheitsaufar- beitung bei. Nunca Mais Brasilientage | Programmheft 23
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