Hessischer Preis für Innovation und Gemeinsinn im Wohnungsbau
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Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen 2. Hessischer Preis für Innovation und Gemeinsinn im Wohnungsbau Miteinander der Generationen im Quartier
INNOVATIO N UND GE ME INS INN IM WOHNU NGS BAU INHALT Seite: 2 —› Einleitung – 2. Hessischer Preis für Innovation und Gemeinsinn im Wohnungsbau 6 —› Wie es gelingen kann, zukunftsweisende Quartiere zu entwickeln Gespräch mit Prof. Dr. Constanze A. Petrow und Dr. Robert Kaltenbrunner 14 —› Vernetzung und Nachbarschaften von Beginn an »Konsortiale Quartiersentwicklung« am Beispiel des Prinz Eugen Parks in München 20 —› Nachbarschaftshilfe weiter entwickelt – die »sorgende Gemeinschaft« im ländlichen Gillenfeld »Wohnen und Leben im Florinshof« 22 —› Besonderheiten der Gemeinwesenarbeit in ländlichen Räumen Dr. Maren Heincke 25 —› Wie sich die »jungen Alten« neu erfinden: Utopien und Pioniergeist sind gefragt! Neue Lebens- und Wohnkonzepte für »junge Alte« 30 —› Standorte der 21 Beiträge 32 —› Ideenpool für lebenswerte Quartiere 35 —› Ausgezeichnete und nominierte Beiträge 68 —› Anhang: Informationsquellen, Jury, Kooperationspartner
I N N OVATI ON U N D G EM EI N SI N N I M WOH N U N G SB AU Grußwort Liebe Leserinnen und Leser, eine funktionierende Nachbarschaft bedeutet Brennpunkte Hessen e. V., der Liga der freien Lebensqualität und sozialen Zusammenhalt. Wohlfahrtspflege in Hessen und der Nassaui- Soziale Dienstleistungen in der näheren schen Heimstätte den »Hessischen Preis für Umgebung erleichtern es Bürgerinnen und Innovation und Gemeinsinn im Wohnungsbau« 1 Bürgern, auch im hohen Alter in ihren ge- ausgelobt. Die zweite, vom Hessischen Minis- wohnten vier Wänden zu bleiben und am terium für Soziales und Integration unterstützte Leben im Quartier teilzuhaben – vor allem Runde stand unter dem Motto »Miteinander dann, wenn auch Architektur und Städtebau der Generationen von vorneherein die Bedürfnisse aller Gene- im Quartier«. rationen berücksichtigen. Diese Dokumentation präsentiert beispielhafte Daraus wird klar: Funktionierende Nachbar- Projekte aus unserem Bundesland. Sie zeigen, schaften entstehen nicht zufällig. Was aber worauf es bei lebenswerten Quartiere ankommt, sind ihre Voraussetzungen? Wer initiiert und welche Potenziale Alt- und Neubauten bieten, trägt sie? Welche Ideen fördern das Zusam- welchen Beitrag Freiräume leisten. Ich danke menleben im Sinne von Gemeinschaft und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Inklusion? Und welche baulichen Maßnahmen Wettbewerbs und allen Andern, die sich um unterstützen diese Ideen? gute Lösungen des Miteinanders der Genera- tionen bemühen. Um Antworten und gute, übertragbare Konzepte zu finden, hat das Hessische Ich wünsche eine anregende Lektüre. Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen in Kooperation mit der Archi- Tarek Al-Wazir tekten- und Stadtplanerkammer Hessen, Hessischer Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr der Landesarbeitsgemeinschaft Soziale und Wohnen
INNOVATIO N UND GE ME INS INN IM WOHNU NGS BAU 2. HESSISCHER PREIS FÜR INNOVATION UND GEMEINSINN IM WOHNUNGSBAU Miteinander der Generationen im Quartier Lebenswerte Quartiere für alle Innovation und Gemeinsinn werden Generationen ausgezeichnet Quartiersentwicklungen und Wohnungsbauten Nach dem 1. Hessischen Preis für Innovation müssen einer alternden und vielfältigeren Be- und Gemeinsinn im Wohnungsbau im Jahr völkerung, neuen Lebensentwürfen und dem 2018, setzt der vom Land Hessen im Sommer Bedürfnis nach Nachbarschaft, nach Gemein- 2020 zum zweiten Mal ausgelobte Wettbewerb schaft und Inklusion gerecht werden. Sie sollen hier thematisch an. Gesucht wurden Ideen adäquate Wohnformen und eine hohe Lebens- und Konzepte für ein zukunftsweisendes und qualität innerhalb und außerhalb der Gebäude attraktives Zusammenleben von Menschen bieten und dadurch auch in Zukunft attraktiv unterschiedlichen Alters, mit unterschiedlichen bleiben. Lebensstilen und unterschiedlicher Herkunft, mit und ohne Behinderungen. Zudem sollten 2 Dies wird vielfach als Zielvorstellung und An- die Ideen der Weiterentwicklung und Umge- spruch für künftige Quartiere, aber auch in be- staltung von Wohnquartieren auf andere Orte stehenden Quartieren oder Wohnsiedlungen und Projekte übertragbar sein. formuliert. Dabei geht es nicht nur um urbane Viertel oder Siedlungen, auch gewachsene Im Idealfall wird durch die Umsetzung der vor Ortskerne im ländlichen Raum sind Quartiere, geschlagenen Maßnahmen die Durchmischung in denen Innovation im Wohnungsbau gefragt von Quartieren erhöht, z. B. durch unterschied- sind. liche Wohnformen, aber auch das soziale Mit- einander belebt, wie durch attraktive Service- Angebote und nicht zuletzt das Wohnumfeld Gestaltung von Lebensqualität in für Alle attraktiver gestaltet. Angesichts der Quartieren aktuellen Herausforderungen durch die Corona- Pandemie haben insbesondere Qualitäten Bei der Anpassung von bestehenden Quartie- im Freiraum erheblichen Einfluss auf Lebens- ren an die sich wandelnden Anforderungen qualität und das soziale Zusammenleben im der Bewohner*innen werden innovative An Quartier. sätze häufig von diesen selbst in Zusammen- arbeit mit weiteren engagierten Akteuren Viele alte Menschen wollen und sollen so entwickelt. In neu entstehenden Quartieren lange wie möglich im gewohnten häuslichen hingegen bilden sich Nachbarschaften, Wohn- Umfeld bleiben können. Das gelingt erfah- umfeld- und Lebensqualität erst langsam her- rungsgemäß besser, wenn die gegenseitige aus. Einige Gebäude sind u.U. schon bezogen, Unterstützung von Generationen und gesell- der Freiraum ist noch nicht endgültig gestaltet, schaftlichen Gruppen Zeit hatte zu entstehen erste Initiativen von Bewohner*innen, die die und zu wachsen oder aber das Engagement Gemeinschaft und das Zusammenleben der der Bewohner*innen gebündelt wird. Generationen in einem attraktiven Umfeld im Blick haben, entstehen gerade.
I N N OVATI ON U N D G EM EI N SI N N I M WOH N U N G SB AU Betrachtungsebene bei der Ausschreibung des Preises war somit immer das Quartier bzw. die Nachbarschaft, nicht ein Einzelgebäude. Wichtig war dem Auslober, dass die Ideen und vorgeschlagenen Maßnahmen innovativ sind, modellhaften Charakter haben und umsetzbar sind, z. B. durch private oder gemeinnützige Träger wie auch von Wohnungsbaugesellschaften und privaten Unternehmen. Von Bedeutung war darüber hinaus, auf welche Art und Weise die vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt werden sollen, z. B. durch ungewöhnliche Konstellation und Art der Zusammenarbeit von Akteuren, welche Instrumente, Verfahren, Finanzierungsmodelle und Trägerschaften dabei eine Rolle spielen werden. Welche Maßnahmen sind denkbar? 3 Im Quartier sollen unterschied Die Qualitäten des Freiraums Die gegenseitige Unterstützung liche Formen des Zusammen werden erhöht, das Wohnumfeld von Generationen und gesell- lebens angeboten werden. für Alle attraktiver und die Bedürf- schaftlichen Gruppen sowie ein Bauformen und Bauweisen von nisse der Bewohnerschaft berück- am Gemeinwesen orientiertes Gebäuden erlauben variable sichtigt. Dies fördert den sozialen Leben werden gestärkt. Das Enga- Wohnformen und vielgestaltige Zusammenhalt im Quartier. gement der Bewohner*innen wird Nutzflächen. gebündelt und alten Menschen Möglich wird dies z. B. durch ermöglicht, so lange wie möglich Dies kann z. B. erreicht werden im gewohnten häuslichen Umfeld Generationengerechte und durch zu bleiben. klimatisch vorteilhafte Ge- Gemeinschaftlich nutzbare staltung von Freiräumen mit Fördern kann man dies z. B. durch Räume, Werkstätten und Aufenthalts- und Kommunika- Begegnungsorte, tionsmöglichkeiten Neue attraktive Serviceange- bote, Pflege- und Assistenz- Coworking-Flächen, Flächen Schaffung von Wegebezie konzepte und innovative für Kunst und Kultur, Freizeit hungen und Erhöhung der Versorgungsmodelle u.v.m. Durchlässigkeit von Grund stücken Digitale Angebote und Teil- Räume für Pflege und Betreu- habe ung Ermöglichung gemeinschaft- lichen Gärtnerns Das Teilen von Raum und Barrierefreie und altersgerech- Ressourcen te Umgestaltungen, Integration Integration alternativer Mobilität von Universal Design Angebote für eine generati onengerechte Mobilität
INNOVATIO N UND GE ME INS INN IM WOHNU NGS BAU Die eingereichten Bewerbungen wurden anhand folgender Kriterien bewertet: Förderung bzw. Unterstützung von Mehrgenerationen-Wohnen und vielfältigen Wohnformen im Quartier Altersgerechtem und selbstbestimmtem Leben und Wohnen im Quartier Netzwerken und Gemeinsinn im Quartier Partizipatorische Planungsprozesse Quartiers- und Freiraumqualitäten im weiten Sinne Modellcharakter und Innovationsgrad Umsetzbarkeit und Übertragbarkeit der quartiersbezogenen Vorhaben, z. B. durch private oder gemeinnützige Träger, Wohnungsbauunternehmen Teilnahmebedingungen, Preisgeld und Auszeichnungsverfahren Die vorgeschlagenen Ideen und Maßnahmen durften noch nicht umgesetzt und mussten für einen Ort in Hessen geplant sein mit dem Ziel, ihre Wirkung in einem oder mehreren bestehenden oder derzeit entstehenden Wohnquartieren oder Wohnsiedlungen zu entfalten. Bei neu entstehenden Quartieren war die Verfügbar- 4 keit der Liegenschaft Voraussetzung. Beiträge konnten bis zum 2. Oktober 2020 sowohl von Trägern, Vereinen, Verbänden, Bürger*innen bzw. Projektinitiativen, von kirchlichen Organisationen sowie von Kom- munen eingereicht werden. Preisgeld und Auszeichnungsverfahren Der Preis ist mit 75.000 Euro Preisgeld ausgestattet. Tag der Auslobung: 06. August 2020 Damit möchte das Land die weitere Ausarbeitung und Konkretisierung der Ideen und vorgeschlagenen Abgabe der Wettbewerbsbeiträge (Stufe 1): Maßnahmen unterstützen und so zu deren späterer 02. Oktober 2020 Verwirklichung im Quartier beitragen. Abgabe der Vertiefung der nominierten Beiträge Das Wettbewerbsverfahren war zweistufig aufge- (Stufe 2): 27. Januar 2021 baut. In einer ersten Stufe bewarben sich die Teil nehmer*innen anhand eines kurzen Konzeptsteck- Zwei Nominierte haben ihre Beiträge auf Empfehlung briefs. der Jury nach der ersten Wettbewerbsphase freiwillig In einer ersten Jurysitzung im Dezember 2020 zusammengefasst, denn beide Einreichungen kamen wurden neun Wettbewerbsbeiträge für die zweite aus der gleichen Kommune und verfolgten inhalt- Phase nominiert, in der die Wettbewerbsbeiträge lich vergleichbare Ziele. Daher lagen der Jury in der und insbesondere die vorgeschlagenen Maßnah- zweiten Wettbewerbsphase insgesamt acht Beiträge men, die aus Sicht der Einreichenden Priorität haben, zur Prüfung vor. Aus diesen Beiträgen wurden in der detaillierter dargestellt wurden. zweiten Jurysitzung am 23. Februar 2021 die Preis träger ausgewählt.
INNOVATIO N UND GE ME INS INN IM WOHNU NGS BAU WIE ES GELINGEN KANN, ZUKUNFTSWEISENDE QUARTIERE ZU ENTWICKELN Gespräch mit Prof. Dr. Constanze A. Petrow und Dr. Robert Kaltenbrunner Geführt haben das Interview die für die Redaktion der vorliegenden Publikation Verantwortlichen Andrea Schwappach und Benjamin Pfeifer. PFEIFER: Wo mehrere Häuser gleichzeitig ent nur in Teilbereichen ein Quartier, denn hier leben stehen oder ein Stadtviertel umgebaut wird, größtenteils Menschen ähnlichen Alters und Her- fällt der Begriff des Quartiers. Was ist eigent kunft. Im Frankfurter Stadtteil Bornheim dagegen lich ein Quartier? bevölkern gleichermaßen junge und ältere Men- schen die Straßen und treffen sich auf ein Schwätz- PETROW: Tatsächlich ist zu beobachten, dass die chen. Das hat sicher auch mit der hessischen Kultur Immobilienbranche versucht, mit dem Quartiers- und Mentalität zu tun. Für die Lebensqualität in begriff ein Qualitätslabel zu etablieren. Doch einem Quartier ist die Mischung der Leute und die Frage bleibt, was ein Quartier ausmacht und eine gewachsene Identität ganz wichtig. Durch warum dieser Begriff inflationär benutzt wird. Es den Fall der Mauer und den Umbruch verloren 6 gab eine Zeit, da wurde alles als Park bezeichnet, die Quartiere in Berlin-Mitte ihre Identität. Die bis hin zum Gewerbepark. Das hat sicher etwas Gebäude wurden saniert, kleine Läden schlossen damit zu tun, dass bestimmte Begriffe positiv und gleichzeitig hat sich die Bevölkerung fast kom- besetzt sind. Als ich vor zwölf Jahren von Berlin- plett ausgetauscht. Dadurch hat der Stadtteil sein Mitte nach Bornheim Mitte in Frankfurt am Main Herz verloren. Ein Quartier braucht ein Herz, eine gezogen bin, habe ich mir den Kopf zerbrochen, Lebensader, einen Ort, wo alle hingehen, sich — warum das eine ein Quartier ist und das andere treffen, wo es Angebote des täglichen Bedarfs und nicht. Berlin-Mitte ist nach meiner Auffassung Gastronomie gibt – wo Leben auf der Straße ist! PFEIFER: Würden Sie sagen, dass das Quartier eine genuin städtische Einheit ist? PETROW: Ich würde vielleicht sogar so weit gehen, dass es etwas mit Großstadt zu tun hat, doch findet sich Urbanität sicher auch in Kleinstädten. Zumindest braucht es eine bestimmte Dichte: in der Bevölkerung wie auch in der Bebauung.
I N N OVATI ON U N D G EM EI N SI N N I M WOH N U N G SB AU PFEIFER: Herr Kaltenbrunner, Sie beschäftigen sich in KALTENBRUNNER: Ja, doch fehlen mir noch Zwischen- 7 Ihrem Buch »Die Stadt der Zukunft« intensiv mit den schritte. Ich würde sagen, dass das Quartier so etwas Qualitäten von Quartieren. Können Sie Frau Petrow wie das grundsätzliche Ordnungsmodul des städtischen zustimmen, was den Begriff des Quartiers betrifft? Lebens ist. Es ist sowohl baulich-räumliche Einheit wie soziales Feld, in dem Menschen interagieren. Und da KALTENBRUNNER: Ja, die Wahrnehmungen von Frau spielen dann Nachbarschaften, Bekanntschaften und Petrow teile ich. Allerdings ist das mit den Begriffsdefi- Freundschaften als Formen sozialer Verbindlichkeit nitionen so eine Sache. Ob nun Quartier, Kiez und auch eine Rolle. Neue Wohnformen und nachbarschaftliche Höfe: Jedes größere Neubaugebiet im innerstädtischen Zusammenhänge setzen oft einen gewissen Grad an Kontext wird so tituliert. Das weckt bildreiche Assozia- Homogenität voraus – im Kontext gewünschter sozialer tionen und unterstützt die Vermarktung. Allerdings bleibt Mischung also ein Spannungsfeld und eine gewisse innere auch in der Fachliteratur unklar, was ein Quartier ist. Es Ambivalenz. Wenn Sie Nachbarn in Ihrem Haus haben, gibt den berühmten amerikanischen Stadtforscher George die ähnlich leben und denen sie sich verbunden fühlen, Galster, der mit seiner Aussage den Nagel auf den Kopf würden Sie wahrscheinlich denen den Schlüssel geben getroffen hat, »dass das Quartier ohne jeden Zweifel eine oder die Katze versorgen lassen, wenn Sie in den Urlaub sozial-räumliche Organisationsform sei, die größer als fahren, und nicht dem Tätowierten, der drei Kampf- ein Haushalt, aber kleiner als eine Stadt ausfalle.« Und hunde in der Wohnung hält. Ich würde am Ende auch dann sagt er, dass der Konsens genau da aufhöre. Also dazu kommen, dass soziale Mischung wichtig ist, aber wissenschaftlich ist es mitnichten klar, was ein Quartier vor platten Aussagen oder Prämissen, die man einfach so ist. Doch der Begriff setzt positive Bindungskräfte frei: unterstellt, warnen. Manches muss man hinterfragen. sowohl in der Fachszene als auch bei Bewohnern. PFEIFER: Wenn es also schwer ist, den Begriff des PETROW: Soziale Mischung ist ja erst einmal nur ein Begriff. Quartiers territorial zu fassen – »mehr als ein Haus Wo beginnt sie überhaupt oder wo endet sie? Was ich für halt, aber kleiner als das Stadtviertel« – ist es eine entscheidend halte, ist die Altersmischung, die das Leben in Frage der sozialen Mischungen, so wie Frau Petrow einem Quartier durch bestimmte Tagesrhythmen und Akti- es beschrieben hat? vitäten im öffentlichen Raum prägt. Vermutlich würden sich nicht einmal Stadtsoziologen darauf festlegen wollen, wann eine soziale Mischung als gelungen zu bezeichnen ist.
INNOVATIO N UND GE ME INS INN IM WOHNU NGS BAU KALTENBRUNNER: Entscheidend für die Qualität eines aufeinander in hintereinander liegenden Höfen gelebt. Quartiers ist die Mesoebene, zwischen der Mikroebene Vielleicht ist das Thema der Höfe schon damals in die des individuellen Wohnens und der Makroebene von Städte gekommen und wird immer wieder neu interpretiert. Städten oder ganzen Gesellschaften. Auf dieser Meso 8 ebene geschieht das, was für das Gelingen von Stadtleben SCHWAPPACH: Was würden Sie sagen: Wie kann gute von entscheidender Bedeutung ist. Stadtentwicklung und die Schaffung lebenswerter Stadtteile heute gelingen? SCHWAPPACH: Bezug nehmend auf den Begriff der Höfe: Ist das eine Typologie, die aus der dörflichen PETROW: Seit sich die Stadt- und Architekturkritikerin Struktur landwirtschaftlicher Höfe stammt und über Jane Jacobs in den 1960er Jahren für den Erhalt und tragen wird auf urbane Wohnformen? Und ist nicht die behutsame Erneuerung vorhandener Stadtstrukturen vielleicht der gesellschaftliche Zusammenhalt einer eingesetzt hat, wissen wir, unter welchen Bedingungen ein Dorfgemeinschaft vergleichbar mit dem Idealbild Stadtviertel gut funktioniert. Dass eine Generation von eines Quartiers? Planern und Architekten zwischenzeitlich vergessen hat, wie das geht, glaube ich nicht. Dennoch scheinen beim KALTENBRUNNER: Ich glaube, das geht in die Richtung. Blick auf Quartiere, die in den letzten Jahren entstanden Da passt auch der dritte Begriff Kiez dazu, wo man sich sind, einige grundlegende Qualitätsmerkmale abhanden zumindest vom Sehen kennt und auf vieles Bekanntes gekommen zu sein, wie räumliche Überdimensionierun- stößt, ohne dass es gleich familiär ist oder diese Verbind- gen und leblose Erdgeschosszonen zeigen. Auch viele lichkeiten gibt. Ich glaube, dass das auch entscheidend ist Landschaftsarchitekten definieren Urbanität rein formal: für ein gelingendes Stadtleben. Die Sehnsucht nach Höfen Urban sei viel Beton, wenn überhaupt Bäume, dann im bildet sich auch in den größeren Wohnungsbauprojekten Raster gepflanzte, versiegelte Böden, harte Kanten. Diese in Berlin ab. Allerdings läuft man schnell Gefahr, »Gated extrem formalen Vorstellungen von Urbanität basieren Communities« zu bauen. Hier wird die Sehnsucht be- auf fragwürdigen planerischen Leitbildern, doch dienen dient, unter seinesgleichen zu sein. Das Dörfliche, das sie nicht den Menschen, die dort leben und sich aufhal- hätte man dann gern im bildungsbürgerlichen Kontext, ten. Es reicht also nicht, einen modisch-minimalistischen wo finanzielle Sorgen weniger eine Rolle spielen und die Park zu bauen und die Leute kommen so oder so, weil Sicherheit und Geborgenheit der Kinder gewährleistet ist. öffentliches Grün vielerorts Mangelware ist. Wenn sich Planer und Beteiligte den Fragen stellten, was so ein Ort PETROW: Ich bin nicht davon überzeugt, dass die Höfe bieten und leisten könnte, wären unsere Parks und öffent- vom Dorf kommen. In der Gründerzeit hat man eng lichen Räume sicher vielschichtiger und lebendiger.
I N N OVATI ON U N D G EM EI N SI N N I M WOH N U N G SB AU KALTENBRUNNER: Zur Ehrenrettung der Planer und im chen Erfahrungshorizont, Milieu und Nutzungsverhalten Hinblick auf die Bauherrn und weitere Entscheider: Bei abzuleiten, sondern die Menschen in den Blick zu neh- der ganzen Diskussion sind die ökonomischen Zusam- men, für die Wohnungen, Parks und Infrastruktur gebaut menhänge nicht außer Acht zu lassen. Auch fehlt Neu- werden. So kann etwa eine flexibel nutzbare Erdgeschoss- bauprojekten oft noch die Patina und das lebensweltliche zone ein »Surplus« für das Gemeinwohl sein, statt als Flair. Die Neuheit und Sterilität müssten kontrastiert »cash cow« die Renditeerwartungen der Investoren zu werden durch ein vielfältiges, ein buntes und vielleicht erfüllen. Und auch wenn geschwungene Wege durch auch ein widersprüchliches Alltagsleben, das mit der Zeit einen Park oder eine Grünfläche toll aussehen in der kommt. Wenn man sich Bilder aus der Erbauungszeit des Plangrafik, wollen Menschen in ihrem Alltag zumeist den gründerzeitlichen Berlins mit den breiten Straßenachsen kürzesten Weg nehmen, und wenn der über eine wunder- oder auch der heute pittoresken Hufeisensiedlung von bare Rasenfläche führt, bilden sich Trampelpfade, die viel Bruno Taut anschaut, dann fragt man sich, ob man da ausgeprägter sind als die festgelegten Wege. wohnen wollte. Doch nach 20 Jahren, wenn die Bäume größer werden und sich das Leben eingeschliffen hat, PETROW: Deshalb ist es auch nicht die alles verändern- erscheinen die meisten dieser Gebiete anders als zu ihrer de, heilsbringende Lösung, privaten Investoren und Entstehungszeit. Wenn man ehrlich ist, muss man allen Projektentwicklern die Gestaltung öffentlicher Räume, Neubaugebieten eine Wachstumszeit zubilligen. Es zeigt Parks und Gebäude zu übertragen. Private haben aus sich also, dass die Kritik von Jane Jacobs immer noch wirtschaftlichen Gesichtspunkten kein Interesse daran, gilt: Es braucht Zeit, damit Nachbarschaften entstehen dass ihre Flächen intensiv genutzt werden. Deshalb ge- und sich Stadtleben entfalten kann. Der Stadtsoziologe hören öffentliche Freiräume, so wie Schulen und andere Hartmut Häußermann hat mal gesagt, dass Urbanität Gemeinwohleinrichtungen, in die öffentliche Hand! nicht das Ergebnis bewusster planerischer Entscheidun- gen sei, sondern das Ergebnis einer Entwicklung, an der PFEIFER: Damit sind wir beim Thema der Freiraum eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Akteure und Initiati- gestaltung. Was ist eigentlich öffentlicher, was halb 9 ven mit ihren jeweiligen Interessen beteiligt sind. Urbane öffentlicher und was privater Raum? Was macht einen Orte entstehen also in einem vielschichtigen Prozess und, gelungenen öffentlichen Raum aus? spitz formuliert, behindert Planung solche Prozesse eher, als sie zu befördern. Als Architekt und Planer glaubt man PETROW: Da gibt es kein allgemein gültiges Rezept. immer, eine wichtige Rolle bei der Gestaltung unserer Grundsätzlich würde ich sagen, geht es nicht alleinig um Umwelt zu spielen, doch sollte man auch Demut an den öffentliche Räume, sondern um unterschiedliche Öffent- Tag legen und die eigenen Einflussmöglichkeiten nicht lichkeitsgrade, die für das Quartier und die dort lebenden überschätzen. Planer müssen ein Gespür dafür entwi- Menschen wichtig sind. Zum Halböffentlichen würde ich ckeln, was die zukünftigen Nutzer sich wünschen und auch das Gemeinschaftliche zählen, wie beispielsweise brauchen und müssen die Investoren davon überzeugen, Community Gardening. Auf der Quartiersebene ist es dies unabhängig von deren Vorstellungen umzusetzen. Es wichtig Orte zu schaffen, die zum Bleiben einladen. Das geht also nicht darum, alles vom eigenen gesellschaftli- klingt simpel, vielleicht die Hälfte der Freiräume in den Städten lässt diese Qualität jedoch vermissen und ist nicht oder nur schlecht gestaltet. Keiner nutzt lieblos hingestellte Bänke an einer Straßenkreuzung. Sicher ist es eine Frage des Budgets und der Ausstattung der kommu- nalen Grünflächenämter. Wenn eine beliebte, stark ge- nutzte und dadurch völlig »überweidete« Grünfläche wie das Frankfurter Mainufer alle Ressourcen bindet, bleibt nichts übrig für andere Freiräume in den Quartieren. Was ermöglicht also eine Gestaltung, die auf die inhärenten Qualitäten eines Ortes und auf die gesamte Bandbreite der Nutzer- und Altersgruppen eingeht? Gibt es Schatten- plätze? Gibt es gute Sitzmöglichkeiten? In welchem räum- lichen Verhältnis stehen die Kinderspielmöglichkeiten zu den Aufenthaltsmöglichkeiten der Eltern? Diese Art der Alltagsqualitäten, die für die Menschen wichtig sind, doch
INNOVATIO N UND GE ME INS INN IM WOHNU NGS BAU mit deren Beantwortung Planer nur selten Wettbewerbe PETROW: Meiner Meinung nach sind wir nicht mehr auf gewinnen – die müssen zurück in die Wahrnehmung der der Ebene des Wünschenswerten, sondern der Notwen- Entscheidungsträger! digkeit angekommen. Der Klimawandel veranlasst uns, Stadt anders zu denken. Zur Klimaanpassung müssen wir PFEIFER: Sind gelungene Stadt- und Freiräume also sie tatsächlich massiv begrünen. An erster Stelle stehen jene, die ungezwungene Begegnungen ermögli Bäume, die ohnehin zum Stadtbild gehören, zur räum- chen? lichen Wirkung beitragen und Schatten spenden. Wenn man die Fassaden und Dächer begrünt, ist das gut und KALTENBRUNNER: Aktive Begegnung ist vielleicht schon zu nützlich, doch nicht vergleichbar mit der Wirkung von viel der Erwartung. Der einfache Aufenthalt als Komple- Bäumen. Wir merken es, wenn wir im Hochsommer an mentär zur Wohnung oder zum Büro, das Draußensein, Orten entlanggehen, wo mangels Schatten die Hitze steht. das Sehen und Gesehen werden oder beobachten und Die Städte müssen in den kommenden Jahren viel mehr teilhaben können, ohne dass ich mich aktiv einbringen ins Grün-Budget investieren. Selbstverständlich kann das oder mit jemandem reden muss, sind elementare Quali- auch durch Begrünung von Gebäuden passieren. Doch im täten öffentlicher Räume. Wesentlichen geht es um Dazu noch zwei Bemer- die Orte, die Menschen kungen: Einerseits gibt nutzen können. Es geht es die Modeerscheinung Nach meiner Meinung sind wir nicht nur darum den einen steinerner Plätze, die keine nicht mehr auf der Ebene der großen Park, sondern kostspielige und aufwändi- Pocket-Parks in die Quar- ge Pflege nach sich ziehen, Bedürfnisse, sondern der Not- tiere zu bringen, also durch und andererseits rangieren wendigkeit angekommen. Der viele kleine Orte das Grün die Grünflächenämter auf struktureller Ebene 10 in der Hierarchie immer Klimawandel veranlasst uns, in die Stadt einzuweben. hinter dem Tief- und Stadt anders zu denken. Zur Selbstverständlich gehört Hochbau und leiden unter das Thema auch in die In- dieser untergeordneten Klimaanpassung müssen wir sie nenstädte, wo das Zusam- Rolle. Wenn einem ganzen tatsächlich massiv begrünen. menspiel von Grün und Berufszweig nicht die ange- Stein neu zu verhandeln Constanze A. Petrow messene Bedeutung zuge- ist. Ohne neues Geld und sprochen wird, dann fehlen nachhaltige Investitionen hier auch die kreativen und wird das nicht gelingen. fähigen Köpfe, die für ihre Aufgaben brennen. Da gibt es also Wechselwirkungen KALTENBRUNNER: Noch pathetischer könnte man sagen: zwischen dem Anspruch an die Gestaltung und der mög- Man könnte die Dialektik von Stadt und Land neu defi- lichen Umsetzung. Eine Stadtverwaltung muss sich als nieren. Ich weiß nicht, ob es neues Geld braucht, sondern Anwalt des Gemeinwohls sehen: Es geht darum, inner- vielleicht eine Umschichtung vorhandener Gelder. Bei halb der Stadt vielerlei Räume zur Verfügung zu stellen. der Frage der Klimaanpassung ist das Grün unverzicht- Wie ein öffentlicher Raum genutzt wird, ist eng damit bar. Doch ich sehe es als Bestandteil jedweder Form verknüpft, wie er empfunden wird. Um Orte für die von Stadtentwicklung. Fassadenbegrünung mag da eher Öffentlichkeit attraktiv zu machen, braucht es mehr als ein Modehype sein, der in subtropischen Städten wie eine formal-ästhetische Planung, denn auf zugigen oder Singapur seine Berechtigung hat. In anderen Klimazonen, kunstvoll drapierten Plätzen wird das kaum passieren. wie hier in Deutschland erscheint es mir eher fragwürdig, da die baukonstruktiven Voraussetzungen und auch die PFEIFER: Das Deutsche Architekturmuseum zeigt Pflegeintensität viel höher sind. Doch das Wichtige sind aktuell eine Ausstellung über das städtische Grün. geschützte Plätze und Mikro-Pocket-Parks im Umfeld Es geht um vertikale Gärten, Fassadenbegrünung, der Wohnungen. Angesichts der Klimawende ist es eine grüne Dachterrassen und mehr. Die Stadt soll grün Frage der Notwendigkeit innerstädtisches bzw. urbanes werden. Hilft dieser Ansatz, das Klima in unseren Wohnen attraktiv zu gestalten, um den urban sprawl – Städten zu verbessern? die Zersiedelung unserer Landschaften – aufzuhalten!
I N N OVATI ON U N D G EM EI N SI N N I M WOH N U N G SB AU PFEIFER: Herr Kaltenbrunner, in Ihrem Buch beziehen land, als Autobauer-Nation, ist die Frage der Mobilität Sie sich auf den dänischen Architekten und Stadt mit irrationalen Gefühlen verbunden, wie schon die planer Jan Gehl, der konkrete Vorschläge für das Diskussion um ein Tempolimit auf den Autobahnen zeigt. Zusammenleben der Generationen entwickelt hat. Aber ich denke auch, man muss über die gerechte Nutzung Wie kann das im Quartier gelingen? der Stadträume reden. Selbst in Städten wie Kopenhagen, wo es einen starken Fahrradverkehr gibt, sind die überwie- KALTENBRUNNER: Jan Gehl ist ein wichtiger Protagonist genden Flächenanteile dem Auto vorbehalten. Und dann – etwas mehr Consultant als Planer, doch als solcher muss man sehen, dass die parkenden Autos das ganz große extrem wichtig. Seinen Ansatz, den er mit dem Motto Problem sind, mehr noch als der fließende Verkehr. Sie »Leben zwischen Häusern« umschreibt, mit großzü- verbrauchen städtische Flächen, die für Wohnen, Grün und gigen Gehwegen und einer Orientierung am Fahrrad, andere Nutzungen zur Verfügung stehen müssten. Insofern verdient unbedingt Unterstützung. Es gibt kein Gesetz, bin ich sehr dankbar für die Pop-up-Fahrradwege, die in dass Eingänge oder Treppenhäuser reine Funktionsräume der Pandemiezeit geschaffen wurden, weil auf ihnen sein müssen, in denen mittlerweile so viele sich niemand begeg- Fahrradfahrer unter- nen möchte. Gleiches wegs sind, dass man gilt für den potenziell zu bestimmten Zeiten öffentlichen Raum – als Zwanzigster an sei es der erweiterte der Ampel steht und Bürgersteig bzw. Vor- erst in der nächsten garten, der Innenhof Grünphase über die oder die Abstands- Kreuzung kommt. flächen zwischen den Ich glaube auch, dass Gebäuden – der nicht die Mobilitätsfrage 11 exklusiv den Bewoh- entscheidend ist, aber nern vorbehalten sein auch die gerechte muss. Die von Jan Verteilung der Räume. Gehl geprägte Formel Doch welche Räume »8/80« steht symbo- und Wege sind damit lisch für eine Planung, gemeint? Das Mobili- die sich gleichermaßen tätsbedürfnis der Klein- an jungen und alten familie, wo der Mann Menschen, eben von acht bis 80 Jahren, ausrichtet. der Ernährer der Familie und der berufliche Pendelverkehr vom Haus zur Arbeit entscheidend war, ist überholt. Heu- PETROW: Eigentlich haben wir das wirklich entscheidende te gilt es, das feinmaschige Netz von Wegen innerhalb der Thema noch gar nicht angepackt, nämlich die Mobili- Stadt so zu nutzen, dass alle Menschen – zu Fuß, mit dem tätswende. Wenn wir generationsübergreifendes Wohnen Fahrrad und dem Auto – sicher, bequem und effizient von im Quartier wollen, dann geht es um eine Verteilungs A nach B kommen. gerechtigkeit von Räumen. Und darum, dass alte Men- schen mit einer ganz anderen Geschwindigkeit genauso PETROW: Wir waren vorhin bei der Privatisierung des sicher im Quartier leben wie junge Menschen und nicht öffentlichen Raumes. Christa Müller, die Frontfrau des permanent um Autos herum laufen müssen. Diese Do- Urban Gardenings in Deutschland, hat mal gesagt: Sein minanz des Autos muss aufhören und der Straßenraum Auto im öffentlichen Raum abzustellen, das ist Privati- allen zur Verfügung gestellt werden. Man sollte also sierung des öffentlichen Raums. Diese Aussage würde in intelligent prüfen, wo Räume für welche Geschwindig- der breiten Bevölkerung auf Unverständnis stoßen, doch keiten entstehen. genauso ist es. Insofern bin ich froh, dass Mobilitätswende und Klimawandel jetzt hier ankommen, sodass wir in eine KALTENBRUNNER: Ich stimme Ihnen völlig zu. Wenn man neue Phase der Stadtentwicklung eintreten, ohne die Stadt einen Hebel für eine veränderte Stadtwirklichkeit sucht, neu zu bauen, sondern indem wir die bestehende Stadt um- liegt er in der Mobilitätsfrage. Aber gerade in Deutsch- bauen und umdeuten.
INNOVATIO N UND GE ME INS INN IM WOHNU NGS BAU PFEIFER: Die Pariser Bürgermeisterin Anne auf die Spitze und sind Vorreiter in Deutschland. Hidalgo geht bei der Verkehrswende voran: Ein deutsches Kopenhagen. Die Rezepte sind Jedes Jahr sollen zwei Prozent der Stellplätze ja alle da. Wenn also eine Stadt, im Sinne des in der Stadt wegfallen. Wie sehen Sie diese Gemeinwesens, Gesundheit und Lebensqualität Initiative, was sind erfolgsversprechende Maß an erste Stelle rückt und alle politischen, wirt- nahmen der Politik? schaftlichen und sozialen Entscheidungen danach ausrichtet. Frankfurt könnte das, anders als Berlin, PETROW: Wir wissen ja eigentlich alle, dass das seiner Größe nach sein. Anwohnerparken viel zu billig ist. Berlin ist sogar Spitzenreiter mit 30 Euro. Dafür kann man ein PFEIFER: Zum Abschluss unseres Gesprächs ganzes Jahr in seiner Nachbarschaft parken. Es habe ich noch zwei Fragen. Erstens: Was bleibt gibt Berechnungen, wie teuer es ist, einen Park- von Corona und wie verändert die Pandemie platz im öffentlichen Raum zu finanzieren. Das in Zukunft unsere Stadtentwicklung? Zweitens: macht die öffentliche Hand. Die wichtigste Stell- Stellen Sie sich vor, wir schreiben das Jahr schraube sollte also sein, das erst mal unattraktiver 2035 – Wie sieht das gelungene Stadtquartier zu machen, die Kosten neu zu verteilen und das aus? Geld von den Verursachern zu holen. PETROW: Ich würde behaupten, erst durch die Pan- KALTENBRUNNER: Ich glaube, man muss einfach demie haben viele Leute verstanden, was das Woh- mal Ross und Reiter benennen. Kostenlose Park- nen in einem Quartier wirklich bedeutet. Natürlich plätze im öffentlichen Raum sind eine Art der gibt es große Unterschiede zwischen denen, die Subvention. Aber es ist natürlich schwierig, eine ein Auto oder ein Fahrrad haben. Dann gibt es die Subvention, die gefühlt immer schon gewährt Alten, die überhaupt nicht mehr rauskommen. Die wurde, auf einmal wegzunehmen. Deswegen habe Wahrnehmung, ob das eigene Quartier Lebens- 12 ich viel Sympathie für den Pariser Ansatz, die Stell- qualität hat oder nur der Ort ist, wo ich ständig flächen pro Jahr um zwei Prozent zu reduzieren. rein- und rausfahre, weil ich immer nur auf Achse Die Politik wäre aber gut beraten, dafür dann etwas bin, aber hier kaum lebe, hat sich geschärft. Es anzubieten, was in der kollektiven Wahrnehmung hat zudem bewirkt, dass die Mobilität in der Stadt als etwas Besseres gilt. Das würde die Akzeptanz anders bewertet wird – Stichwort Pop-up-Rad- fördern. wege – wie auch generell die Qualität und Erreich- barkeit von Grün- und Freiräumen. Wir sollten PETROW: Ich warte eigentlich immer darauf, dass die Herausforderungen der Pandemie als Chance eine deutsche Stadt mal sagt: Wir treiben es jetzt begreifen und noch mehr daraus machen!
I N N OVATI ON U N D G EM EI N SI N N I M WOH N U N G SB AU KALTENBRUNNER: Ich glaube mit den Lockdowns und für die Stadtverwaltung. Ich habe allerdings hat die Stadtgesellschaft gelernt, wie wichtig keine Vorliebe für die suggestiven Bilder, die mit der Freiraum ist, der öffentliche Raum und das einer Superschnellbahn, Hochhäusern und viel Grün. Als Komplementär zur Wohnung, die unter Stadtgrün eine idealisierte Zukunft zeichnen. Das Homeoffice-Bedingungen, Kindererziehung und empfinde ich als naiv-schönmalerische Vorstellung Alltagsbewältigung an die Grenzen gekommen des Urbanen. Ich denke eher, dass die Stadt auch ist. Das ist lehrreich. Ich glaube nicht, dass alle in zwanzig, dreißig Jahren ähnlich aussehen wird unsere Bestrebungen zur Stadtentwicklung, die in wie heute und sich die Lebensumstände nicht den letzten Jahren entwickelt wurden, jetzt obsolet großartig ändern werden. Viele der technischen sind. Es wird auch ein retardierendes Element in Voraussetzungen, auch bei der Digitalisierung, der Stadtgesellschaft geben und Begegnungen wer- sind im räumlichen Sinne eher unsichtbar und ver- den – sobald das unter hygienischen oder sonstigen ändern die Urbanität nicht von Grund auf. Nach Gegebenheiten möglich ist – wieder aufleben. Ich wie vor glaube ich, dass unsere wichtigste Aufgabe glaube auch, dass die Städte bei uns einfach besser ein guter Umgang mit dem Bestand ist. Das knüpft dastehen als in anderen Weltregionen. Weil wir an den Einstieg unseres Gesprächs an, dass Neu- doch viele gute Ansätze haben. Aber auffällig ist bauviertel viel überzeugender werden, wenn sie – und das baut eine Brücke zum Zukunftsthema – angebunden sind an ältere, bereits funktionierende dass die Digitalisierung eine wahnsinnige Verän- Strukturen – wir also im Sinne der Fortschreibung derung der Gesellschaft in sich birgt. Man sollte der Geschichte anbauen, weiterbauen und weiter- aufpassen, dass die Weichen richtig gestellt werden. entwickeln. Statt Tabula rasa braucht es meiner Ich glaube, dass viele der Tools entscheidend sein Meinung nach »Authentizitätsanker«, denn das können: im partizipativen Sinne, für die Verkehrs- freie Feld ist nicht immer die beste Voraussetzung, lenkung, als Hilfsmittel für die Stadtentwicklung um alles richtig und gut zu machen. 13 Dr. Constanze A. Petrow ist Landschaftsarchitektin, Professorin für Freiraumplanung und Gesellschaft sowie Co-Leiterin des Studienbereichs »Landschaftsarchitektur« der Hoch- schule Geisenheim. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bauhaus- Universität Weimar und der TU Darmstadt sowie Gastdozentin an der Virginia Tech in Alexandria/Washington D.C. Sie forscht und publiziert zu den soziokulturellen Dimensionen der Land- schaftsarchitektur, der sozialen Leistungsfähigkeit städtischer Freiräume, den Anforderungen an die Freiraumentwicklung vor dem Hintergrund des gesell- schaftlichen Wandels sowie zum Thema Freiraumgestaltung und kollektive Erinnerung. Sie ist Mitglied im Städtebaubeirat der Stadt Frankfurt am Main und im Beirat für Stadtgestaltung der Stadt Marburg. Dr. Robert Kaltenbrunner ist gelernter Architekt und Stadtplaner und war von 1990 bis 1999 bei der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr in Berlin als Projekt- gruppenleiter für städtebauliche Großvorhaben tätig. Seit 2000 leitet er die Abteilung »Bau- und Wohnungswesen« im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR in Bonn und Berlin), die an der Schnittstelle zwischen Politik, Forschung und Praxis agiert. Er ist u.a. Mitherausgeber der Zeitschrift »Informationen zur Raumentwicklung« und Mitglied im Wissenschaftlichen Kuratorium von »Forum Stadt« der Stadt Esslingen und hat zahlreiche Beiträge zu verschiedenen urbanistischen Themen veröffentlicht.
INNOVATIO N UND GE ME INS INN IM WOHNU NGS BAU VERNETZUNG UND NACHBARSCHAFTEN VON BEGINN AN »Konsortiale Quartiersentwicklung« am Beispiel des Prinz Eugen Parks in München 14
I N N OVATI ON U N D G EM EI N SI N N I M WOH N U N G SB AU Quartier Die ehemalige Prinz-Eugen-Kaserne in Mün- Der Siegerentwurf sah deshalb vor, kompakte chens 13. Stadtbezirk Bogenhausen wurde Baufeldcluster mit unterschiedlichen Gebäude- von der Landeshauptstadt München 2005 typologien – von der Teppichsiedlung bis zum erworben. Auf dem 30 Hektar großen Gelände 7-geschossigen Turmhaus – mitten ins Grün zu entsteht seit 2017 ein neues Stadtquartier mit setzen. etwa 1.800 Wohnungen für ca. 4.500 Bewoh- ner*innen und der dazugehörigen sozialen Fünf Baufelder mit 570 Wohneinheiten wurden Infrastruktur mit Grundschule und Kinderta- als ökologische Mustersiedlung in Holzbau- geseinrichtungen sowie Dienstleistungsein- weise errichtet, derzeit Deutschlands größte richtungen. Die Baumaßnahmen mit Park- Holzbausiedlung. gestaltung werden voraussichtlich Ende 2021 abgeschlossen sein. Gemäß des wohnungspolitischen Handlungs programms »Wohnen in München VI« wurden Als Grundlage der Planung diente der die Grundstücke nach der »Münchner Mi- erste Preis des städtebaulichen und land- schung« an städtische Wohnungsbaugesell- schaftsplanerischen Ideenwettbewerbes, den schaften (35 %), private Investoren (9 %) und GSP Architekten aus München mit Rainer bestandhaltende Wohnungsunternehmen Schmidt Landschaftsarchitekten, ebenfalls aus (12 %) sowie Baugemeinschaften (14 %) und München, für sich entschieden. Auf dem unge- Genossenschaften (23 %) vergeben. Sie er- nutzten Gelände hatte sich bereits ein Biotop stellen einen Mix aus Eigentums- (23 %) und entwickelt mit großem alten Baumbestand. Mietwohnungen (77 %), davon 50 % gefördert. 15
INNOVATIO N UND GE ME INS INN IM WOHNU NGS BAU Akteure Landeshauptstadt München Im Sinne des Stadtentwicklungskonzeptes beispielsweise die Grundstücke nicht zum »Perspektive München«, mit seinen Leitlinien Höchstpreis, sondern in Rahmen einer Kon- zur wirtschaftlichen, sozialen, räumlichen und zeptvergabe, in der sie von den Bauherren in ökologischen Entwicklung der Stadt, sind im ihren Bewerbungen unter anderem Angebote Prinz Eugen Park neue und innovative Ansätze an das Quartier und Mobilitätsbausteine ver- im Siedlungs- und Wohnungsbau umgesetzt langte. Diese einzelnen Bausteine konnten in worden. Diese betreffen nicht nur bauliche der Folge durch das Konsortium der Bauherren und planerische, sondern insbesondere auch abgestimmt und zu schlüssigen Quartierskon- soziale Zielsetzungen mit Schwerpunkt Nach- zepten weiterentwickelt werden. Durch die barschaftsbildung. Vergabe von 40 % der Grundstücke an Wohn- projekte – selbstorganisierte Baugemeinschaf- Die Stadt München hat durch planerische ten und Genossenschaftsprojekte, die von den Voraussetzungen, definierte Rahmenbedingun- späteren Bewohner*innen mitgeplant und ent- gen und Anreize Grundlagen geschaffen, die wickelt werden – konnten knapp die Hälfte der es den Bauherren ermöglichten, Zielsetzungen späteren Quartiersbewohner*innen frühzeitig mitzutragen und umzusetzen. So vergab sie miteingebunden und beteiligt werden. 16 Information, Vernetzung und Austausch sind die Grundlage für Engagement. Natalie Schaller
I N N OVATI ON U N D G EM EI N SI N N I M WOH N U N G SB AU Bauherren Alle 21 Bauherren des Quartiers haben sich auf freiwilliger Basis zusammengeschlossen. Das Konsortium der Bauherren fungiert in der Realisierungsphase als Bindeglied zwischen den Zielsetzungen der Stadtplanung und den Wünschen und Anforderungen der späteren Bewohner*innen. Ihre Zielsetzungen zur Entwicklung eines lebendigen, lebenswerten Quartiers haben sie in einer »Charta der Quartiersvernetzung« zu- sammengefasst, hier ein Auszug: einem der Arbeitskreise, bei der Quartierszei- Bedarfsgerechte Quartierskonzepte tung »Prinzenpost« oder bei der Organisation Abgestimmte Konzepte, beispielsweise für und Durchführung von Stadtteilfesten. Sie Raumnutzung und Mobilität durch Austausch bieten Kurse oder nachbarschaftliche Aktivitä- der Bauherren mit Politik und Verwaltung sowie ten in einem der Gemeinschaftsräume an oder frühzeitige Beteiligung der zukünftigen engagieren sich als Mitglieder der Quartiers- Bewohner*innen. genossenschaft oder im Quartiersrat. Raum für Gemeinschaft Herstellung von Räumlichkeiten für eine Nachbarschaft mitgestalten kleinteilige soziale, kulturelle und kommerzi 17 elle Infrastruktur, die den zukünftigen Bewoh Information ner*innen und weiteren Interessierten zur Nutzung offensteht. Die Grundlage für Beteiligung bildet Infor- mation. Zunächst wurde eine Website www. Nachbarschaft mitgestalten prinzeugenpark.de und ein Newsletter einge- Frühzeitiges Kennenlernen und Vernetzen richtet, welche alle notwendigen Informationen der neuen Nachbar*innen sowie Förderung für die (zukünftige) Bewohnerschaft bündeln. der Eigeninitiative und Selbstorganisation der Das schwarze Brett des Quartiers bildet die Bewohner*innen bis hin zur Unterstützung des Plattform www.nebenan.de, die für den Prinz Aufbaus einer Quartiersorganisation. Eugen Park bereits vor Bezug genutzt werden konnte. Die Arbeit des Konsortiums, das für die Inte- ressen der neuen Quartiersbewohner*innen eintritt und diese frühzeitig miteinbezog, hatte Mitmachen schließlich einen entscheidenden Anteil daran, dass diese gemeinsamen Ziele auf privater Vernetzung und Austausch sind wiederum die Ebene umgesetzt und realisiert werden konnten. Grundlage für Engagement. Bereits ein Jahr vor Bezug der ersten Häuser wurde das erste Vernetzungstreffen organisiert, Umfragen Bewohner*innen erstellt, Arbeitsgruppen initiiert, Ideen und Anregungen aufgenommen und zum Enga- Letzen Endes sind es jedoch die Bewohner*in- gement motiviert. Für später hinzukommende nen selbst, die das Quartiersleben prägen und Bewohner*innen wurden Willkommensflyer die Chance genutzt haben, ihr Quartier und gestaltet, die über die Besonderheiten und ihre Nachbarschaft mitzugestalten. Viele enga- Mitgestaltungsmöglichkeiten informieren so- gieren sich für das Quartiersleben und bringen wie zu regelmäßigen Informationsterminen für sich in vielfältiger Weise ein, beispielsweise in Neubewohner*innen einladen.
INNOVATIO N UND GE ME INS INN IM WOHNU NGS BAU Selbstorganisation Quartierszentrale finden sich die Büro- und Serviceräume der GeQo eG, ein Bewohner*in- Als wesentliches Element der Selbstorgani- nencafé sowie die Mobilitätszentrale des sation wurde ein Quartiersrat eingerichtet. Er Quartiers. besteht aus gewählten Bewohner*innen aus jedem Bauprojekt sowie aus Vertreter*innen der Arbeitskreise und der Quartiersgenossen- Raum für Gemeinschaft schaft GeQo eG. Er versteht sich als Infor- mationsschnittstelle, Meinungsplattform und Über das Quartier verteilt gibt es bzw. wird bietet den Bewohnenden die Möglichkeit, sich es eine Vielzahl von Gemeinschaftsräumen über ihre Ideen und Anliegen auszutauschen. geben, die teilweise den Hausgemeinschaften, Er vertritt die Interessen und Positionen der zum Großteil jedoch für das ganze Quartier Bewohnerschaft des gesamten Quartiers auch und die Nachbarschaft zur Verfügung stehen. nach außen. Sie können über die Website für private Feiern, Kindergeburtstage, für Kurse, Seminare und Veranstaltungen und vor allem für nachbar- Quartierszentrale und schaftliche Aktivitäten gebucht werden. Es gibt -genossenschaft unterschiedlich große Räume für verschiedene Zwecke – von der Nachbarschaftsküche, dem Die Arbeit des Konsortiums war von Beginn an Musikübungsraum bis hin zur Kreativwerk- ausgelegt auf die langfristige Einrichtung eines statt. Zudem werden Coworking Spaces und Quartiersmanagements, welches idealerweise Gästeapartments angeboten. Die unterschied- durch die Bewohner*innen des Quartiers selbst lichen Größen und Nutzungsmöglichkeiten der getragen wird. Aus dem Arbeitskreis Quartiers- Räume wurden im Vorfeld durch die Bauherren organisation heraus wurde die Quartiersge- abgestimmt. Hierbei wurden Wünsche und 18 nossenschaft GeQo eG gegründet, die heute Anregungen der Bewohner*innen aufgenom- das Management übernommen hat. Sie ist men. Eine in die Website integrierte Buchungs- die erste Anlaufstelle für alle Bewohner*innen plattform und ein gemeinsames elektronisches im Quartier. Die Genossenschaft pflegt die Schließsystem erleichtern die Raumverwaltung Website www.prinzeugenpark.de, vermittelt und Zugänglichkeit. Dienstleistungen und bietet Verleihgegen- stände, verwaltet die Gemeinschaftsräume und Kursangebote im Quartier, fördert die Vernet- Mobilitätskonzept zung und den Austausch der Nachbar*innen, veranstaltet Feste und nachbarschaftliche Aus den vielen einzelnen Mobilitätsbausteinen, Aktivitäten, betreibt das Nachbarschaftscafé welche die Bauherren in ihrer Grundstücksbe- und die Mobilitätszentrale. werbung angeboten hatten, wurde in Abstim- mung mit der Stadt ein stimmiges Gesamtkon- Die Finanzierung des Quartiersmanagements zept entwickelt und umgesetzt. Wesentliches ist ein Beispiel für die konsortiale Zusammen- Ziel des Konzeptes ist eine Verbesserung der arbeit. Es wird getragen durch einen Zuschuss Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum mit der Stadt für bewohnerbezogene Quartiers- Vorrang für Fußgänger und Zweiräder. Die arbeit, eine freiwillige monatliche Verwaltungs- effiziente und flexible Nutzung des Parkrau- pauschale der Eigentümer und die Genossen- mes in den Tiefgaragen macht Stellplätze im schaftsbeiträge der Bewohner*innen. Straßenraum entbehrlich. Durch kurze Wege im Quartier, eine gute Nahversorgung und Er- Im Herbst 2020 wurde die Quartierszentrale reichbarkeit von Kinderbetreuungs- und Kultur eröffnet, das Herzstück des Quartiers. Sie ist einrichtungen fällt es leicht, auf den eigenen zentraler Anlauf- und Servicepunkt für die PKW zu verzichten, insbesondere dann, wenn vielfältigen Belange der Wohnbevölkerung. gut verfügbare Carsharing- und attraktive Zugleich soll sie ein Ort der niederschwelligen Alternativangebote zur Verfügung stehen. Im Begegnung und Vernetzung werden. In der Prinz Eugen Park wird langfristig eine breite
I N N OVATI ON U N D G EM EI N SI N N I M WOH N U N G SB AU Palette an Mobilitätsmitteln angeboten, wie zum Ziel gesetzt hatten, ist noch nicht zu 100 % E-Bikes und Lastenräder, Fahrradanhänger und abgeschlossen oder befindet sich in einer Carsharing-PKWs. Ergänzt wird das Angebot Pilotphase. In vielen Fällen wurde Neuland durch eine Fahrradwerkstatt, die sich auch um betreten, insbesondere was Koordination und die Wartung der Leihräder kümmert. Die Quar- Abstimmung anbelangt, wie auch technische tiersgenossenschaft kümmert sich langfristig Umsetzung und rechtliche Regelungen. um die Aufrechterhaltung des Mobilitätsange- 19 bots im Quartier. Eine Quartiersentwicklung ist ein langer Pro- zess – von der ersten Idee bis zur Belebung durch die Bewohner*innen. Es ist nicht selbst- Konsortiale Entwicklung verständlich, dass Zielsetzungen, die in der Phase der städtebaulichen Planung getroffen Die stattbau münchen GmbH wurde vom Kon- wurden, in der baulichen Umsetzung durch die sortium der Bauherren mit der Koordination verschiedenen Bauherren weitergetragen und und Umsetzung der gemeinsamen Zielsetzun- umgesetzt wie auch in der Wohnphase durch gen beauftragt. Bewohner*innen anerkannt und wertgeschätzt werden. Der Auftrag endete im Juli 2020. Die Quar- tiersgenossenschaft GeQo eG führt nun die Im Prinz Eugen Park ist dies in einem konsortia- Quartierentwicklung auf der Ebene der Bewoh- len Prozess in besonderer Weise gelungen. ner*innen fort. Einiges, was sich die Bauherren Natalie Schaller Studium der Architektur an der TU München. Seit 2014 geschäftsfüh rende Gesellschafterin der stattbau münchen GmbH, die im Auftrag der Stadt München die »mitbauzentrale münchen« – Beratungsstelle für gemeinschaftsorientiertes Wohnen – betreibt. Für das Konsortium Prinz Eugen Park koordinierte die stattbau die Quartiersentwicklung des neuen Stadtviertels. Schwerpunktmäßige Themenfelder sind gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung, Wohnprojekte, Mobilitäts konzepte und Nachbarschaftsentwicklung in Quartieren.
INNOVATIO N UND GE ME INS INN IM WOHNU NGS BAU NACHBARSCHAFTSHILFE WEITER ENTWICKELT – DIE »SORGENDE GEMEINSCHAFT« IM LÄNDLICHEN GILLENFELD »Wohnen und Leben im Florinshof« Gillenfeld ist eine Gemeinde mit rund 1.500 Einwoh- gliedern möglichst lange das Wohnen in vertrauter nern im Landkreis Vulkaneifel in Rheinland-Pfalz. Der Umgebung zu ermöglichen und das Miteinander zu Anteil älterer Menschen steigt dort wie vielerorts seit stärken. Genossenschaften sind per se nicht rendite- Jahren, auch stehen immer mehr Gebäude im Ort orientiert, Überschüsse kommen wieder der Gemein- leer und die Versorgung der Bevölkerung verschlech- schaft zugute, es besteht lebenslanges Wohnrecht. tert sich. Im Jahr 2009 wurde eine Befragung der Ideell geht es auch um Eigenverantwortung und die Bürger*innen durchgeführt, in der viele Menschen gegenseitige Unterstützung der Mitglieder der Ge- den Wunsch äußerten, im Ort auch alt werden zu nossenschaft und der Bürger*innen in Gillenfeld. 20 können. Allerdings seien sie dann zunehmend auf Hilfe und pflegerische Unterstützung angewiesen. Unmittelbar im Ortskern wurden schließlich die bei- den Gebäude des »Florinshofs« auf einer ehemaligen Parallel verfolgt die Gemeinde seit einigen Jahren Brachfläche errichtet. Benachbart liegt das kleine eine Strategie der Innenentwicklung und rief dazu Backhaus aus Naturstein, das in die Gestaltung eines eine eigene Arbeitsgruppe ins Leben. Aus dieser kleinen öffentlichen Platzes, der als Treffpunkt dient, Arbeitsgruppe heraus, die aus Teilen des Gemein- integriert wurde. Rückwärtig geht der Blick auf die alte derats besteht, wurde 2014 die »Genossenschaft Feuerwache und eine Minigolfanlage. Bäckerei, Metz- am Pulvermaar – Eine sorgende Gemeinschaft eG« gerei, Supermarkt, Friseur, Arzt, Zahnarzt und Apothe- gegründet. Ziel der Genossenschaft ist es, ihren Mit- ke sind in wenigen Minuten fußläufig erreichbar. Das Gebäudeensemble geht auf einen Landeswett- bewerb im Jahr 2014 in der Reihe »Mehr Mitte bitte« zurück, die das Ziel verfolgt, innerörtliche Wohn- und Lebensräume zu erhalten bzw. wiederherzustellen und gleichzeitig das attraktive Ortsbild, welches zu einem guten Lebensumfeld für die Menschen bei- trägt, zu bewahren. Der Siegerentwurf sah insgesamt zwölf barrierefreie 1- und 2-Zimmerwohnungen und eine 3-Zimmer- wohnung zwischen 50 qm und 85 qm sowie einen Gemeinschaftsraum vor. Die Wohnungen haben ge- schützte Loggien, die vom Nachbargebäude abge- wandt angeordnet wurden. Die Erschließungsflächen im Gebäude konnten gering gehalten werden, so dass anteilig großzügigere Wohnflächen entstan-
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