Unendliche Geschichten - Spiegel
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Szene aus „Mission: Impossible – Rogue Nation“*
Unendliche Geschichten
Kino Die erfolgreichsten Filme des Jahres sind Fortsetzungen wie
„Jurassic World“. Hollywood macht aus alten Stoffen immer neue Blockbuster.
Nun kommt die fünfte „Mission: Impossible“-Folge in die Kinos.
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Kultur
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it 53 Jahren ist man vielleicht et- über ihre Kunden wissen. Und sie sind fest Jahre zuvor genügend Fahrzeuge für
was zu alt, um aus vollem Lauf entschlossen, nicht nur ihre eigene, son- die Dreharbeiten bereitstellen können“,
auf den Flügel eines startenden dern auch die Zukunft der Zuschauer zu schreibt die „Neue Zürcher Zeitung“. „Ganz
Flugzeugs zu springen. Doch Tom Cruise, verplanen. nach dem Motto: Was du übermorgen willst
Star des Actionfilms „Mission: Impossible – Dabei geht es um weit mehr als um verkaufen, muss gestern schon in Holly-
Rogue Nation“, hetzt als Agent Ethan die zwei, drei Stunden, die Menschen im wood gefahren worden sein.“
Hunt schon seit fast 20 Jahren durch die Kinosaal sitzen. Es geht um die Video- Inzwischen werden die Starttermine von
Weltgeschichte. Wenn es nach Hollywood spiele, die nach Hollywood-Blockbustern Filmen und die Markteinführungen von
ginge, würde er nie damit aufhören. entstehen, und um die Bücher, auf denen Autos koordiniert. In beiden Fällen han-
Die Kinoserie, die 1996 begann, umfasst diese Filme basieren. Und es geht um den delt es sich um neue Modelle bekannter
bisher vier Filme, die zusammen über zwei materiellen Lebensstil eines Milliarden- Marken, es entsteht ein mächtiger Syner-
Milliarden Dollar einspielten. Im fünften publikums. gieeffekt. Wohl jetzt schon machen sich
Teil „Rogue Nation“ („Schurkenstaat“), Die amerikanische Website brandchan- Mercedes-Manager Gedanken über den
der diese Woche in die Kinos kommt, jagt nel.com, die sich mit Markenentwicklung neuen SUV, den sie in drei Jahren im
Cruise internationale Waffenhändler von beschäftigt, hat ermittelt, dass in der Ko- nächsten „Jurassic“-Film der Öffentlich-
Weißrussland über Marokko bis nach Lon- mödie „Ted 2“ mit Mark Wahlberg, die keit präsentieren könnten.
don. Die Branche rechnet fest damit, dass Ende Juni ins Kino kam, Product-Place- Hollywood entwickelt sich mehr und
Cruise die Erfolgsbilanz der Serie fortset- ment für mehr als 60 Produkte gemacht mehr zu einer Art Planwirtschaft. Die Stu-
zen wird. wurde. Hollywood will bestimmen, wel- diobosse stellen Sollzahlen auf, die er-
2015 dürfte als Rekordjahr in die Ge- chen Kaffee die Menschen rund um den reicht werden müssen, sie reduzieren den
schichte Hollywoods eingehen. Über 800 Globus trinken, welches Fast Food sie einzelnen Zuschauer auf eine kleine Ziffer
Millionen Tickets wurden allein an den in einer riesigen Rechnung.
nordamerikanischen Kinokassen bislang Tatsächlich kehrt Hollywood mit dieser
verkauft, nie waren die Einnahmen höher. Strategie zu seinen Anfängen zurück.
Seit den Siebzigerjahren ist Kino immer Schon in den Zwanziger- und Dreißiger-
beliebter geworden. Hollywoodfilme fin- jahren setzten die Studios auf Fortsetzun-
den auf dem dortigen Markt heute rund gen. Die Komiker Stan Laurel und Oliver
30 Prozent mehr Zuschauer als 1985. Hardy standen zwischen 1927 und 1951
Die erfolgreichste Produktion des Jahres über hundertmal zusammen vor der Ka-
1985 in Nordamerika erzählte eine Zeit- mera, darunter in 23 Langfilmen. Mickey
reise-Geschichte und hieß „Zurück in die Rooney stellte von 1937 bis 1946 in 15 Fil-
Zukunft“. Unter den zehn größten Kassen- men den Serienhelden Andy Hardy da.
hits waren damals schon drei Fortsetzun- Doch die Konkurrenz durch das Fern-
gen, darunter „Rambo II“ und „Rocky IV“, sehen, das seit den Fünfzigerjahren massiv
beide mit Sylvester Stallone. Im Jahr 2015 auf Serienformate setzte, zwang Holly-
sind bislang sechs der Top-Ten-Titel zweite, wood zum Umdenken. Einzigartig sollten
dritte, vierte oder siebte Teile von Serien. Filme fortan sein, Events wie das Drei-
Weltweit spielte das Dinosaurier-Spek- Stunden-Spektakel „Cleopatra“ mit Eli-
takel „Jurassic World“ bislang über 1,5 Mil- zabeth Taylor (1963). Es kostete damals
FOTOS: DAVID JAMES / 2015 PARAMOUNT PICTURES (L.); ANDREAS RENTZ / GETTY IMAGES FOR PARAMOUNT PICTURES INTERNATIONAL (R.)
liarden Dollar ein, ebenso der Actionfilm 31 Millionen Dollar – das entspräche heute
„Fast & Furious 7“. Das Superhelden-Epos rund 240 Millionen.
„Avengers: Age of Ultron“ kommt auf Noch in den Siebzigerjahren stellte Hol-
1,4 Milliarden. lywood kaum Fortsetzungen her. Erst in
Hollywood verdient immer mehr Geld den Achtzigern wurden von erfolgreichen
mit immer weniger Filmen, die immer häu- Filmen wie „Star Wars“, „Rambo“ oder
figer Fortsetzungen sind. Über hundert „Beverly Hills Cop“ weitere Teile gedreht.
sogenannte Sequels sind für die kommen- Filmstar Cruise* Doch damals quetschten die Produzenten
den fünf Jahre in Planung, darunter in ers- Ewiger Weltenretter ihre Stoffe noch so lange aus, bis sie keinen
ter Linie Filme mit populären Helden wie Saft mehr gaben. Heute versuchen sie, gan-
Batman, Spider-Man, James Bond oder essen und welche Autos sie fahren – jetzt ze Bäume zu pflanzen, die immer mehr
dem Terminator. und in den kommenden Jahren. Ableger hervorbringen.
Inzwischen kämpfen die großen Holly- Als der Regisseur Michael Bay in sei- Jedes Filmprojekt, das in Hollywood die
woodstudios erbittert um möglichst güns- nem Film „Transformers“ (2007) einem Runde macht, wird von Anfang an darauf-
tige Starttermine für ihre Blockbuster. War- Chevrolet Camaro eine große Nebenrolle hin überprüft, ob es sich fortsetzen lässt
ner Bros. hat seine Staffeln bis 2020 durch- gab, war das die beste Werbung für dieses und zu einem sogenannten Franchise taugt.
geplant – obwohl von einigen Filmen nicht Modell, obwohl es erst 2009 auf den Markt Die Produzenten suchen nach unendlichen
mal die Titel feststehen. kam. Heute weiß in Hollywood jeder, wie Geschichten.
„Niemand weiß nichts“ ist die Quintes- wirksam Product-Placement auf der Lein- Die acht Verfilmungen der „Harry Pot-
senz des Buchs „Das Hollywood-Ge- wand sein kann. Viele große Autoherstel- ter“-Romane von J. K. Rowling spielten ins-
schäft“, das der Drehbuchautor William ler buhlen um die Gunst von Hollywoods gesamt 7,7 Milliarden Dollar ein. Nun wird
Goldman („Butch Cassidy and the Sun- Produzenten. ein 2001 erschienenes Buch der britischen
dance Kid“) 1983 veröffentlichte. Jeder „Wer ein Auto zum Marktstart filmge- Autorin adaptiert, „Phantastische Wesen
Film, so meinte er, sei ein extrem riskantes recht in Szene setzen will, muss bereits & wo sie zu finden sind“. Das Werk hat
Spiel mit ungewissem Ausgang. 60 Seiten. Warner Bros. will daraus gleich
Heute geben die Studiobosse viele Mil- * Links: mit Rebecca Ferguson; oben: am 23. Juli bei der
drei Filme entwickeln.
lionen Dollar für die Marktforschung aus, Weltpremiere von „Mission: Impossible – Rogue Nation“ Drehbuchautoren brauchen in Holly-
damit sich das ändert. Sie möchten alles in Wien. wood inzwischen ähnliche Fähigkeiten wie
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Pizzabäcker, sie müssen aus sehr wenig Video: Tom Cruise über „Mission: Es geht inzwischen nicht mehr darum,
Teig ziemlich viel Pizza herstellen. Und Impossible – Rogue Nation“ einen Film zu machen, sondern darum, ein
am Ende bekommt der Zuschauer eine Universum zu erschaffen. Der zurzeit
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dünne Geschichte vorgesetzt – wie bei der oder in der App DER SPIEGEL
wichtigste Player im Hollywood-Geschäft
ebenfalls dreiteiligen Verfilmung von ist der Comic-Konzern Marvel, der unzäh-
J. R. R. Tolkiens Fantasyroman „Der Hob- gar nicht gab, wird in naher Zukunft mehr lige Heftreihen über Superhelden auf den
bit“ (2012 bis 2014). Einnahmen generieren als Nordamerika. Markt gebracht hat und diese nun nach
Statt eigene, neue Marken zu kreieren Einzelne Blockbuster können bereits und nach verfilmt.
wie einst die „Star Wars“-Serie, setzen die mehrere Milliarden Dollar einspielen. Aber Dabei ergeben sich zahllose neue erzäh-
Produzenten auf Bestsellerverfilmungen sie kosten eben auch um die 200 Millionen lerische und ökonomische Möglichkeiten.
wie „Fifty Shades of Grey“ oder Comic- Dollar, und mitunter muss für das Marketing Die Protagonisten verschiedener Heftrei-
Adaptionen. Hollywood ist mittlerweile das noch einmal die gleiche Summe aufgebracht hen können auf der Leinwand zusammen-
größte Recycling-Unternehmen der Welt. werden. Die Studios gehen ein hohes Risiko geführt werden, aus Heldenteams wie den
Produzenten und Studiobosse haben ein; erleidet eines ihrer Großprojekte Schiff- „Avengers“ lassen sich einzelne Figuren
Angst, Originalstoffe anzupacken, und bruch, bricht sofort ihr Börsenkurs ein. auskoppeln, um ihnen eine eigene Film-
klammern sich an Bewährtes. Denn noch Investoren und Aktionäre müssen von serie zu widmen.
nie gab es in Hollywood so viel zu gewin- den Perspektiven eines Unternehmens über- Zuletzt wurde Hollywood häufig vorge-
nen – und so viel zu verlieren. zeugt werden. Aus diesem Grund treten worfen, langweilige und altmodische Filme
1975 lag das Durchschnittsbudget eines Studiobosse wie Kevin Tsujihara von War- herzustellen. Fernsehserien wie „House of
Hollywoodfilms bei gut drei Millionen Dol- ners Bros. oder Kevin Feige von Marvel Cards“ oder „True Detective“, so die Be-
lar; heute kosten sie das 20- bis 30-Fache. regelmäßig vor ihre Geldgeber und erzäh- hauptung, seien dagegen die Zukunft des
Damals beliefen sich die Gesamteinnah- len ihnen, welche Filme sie mittel- und Erzählens, weil sie komplexere Figuren
men der amerikanischen Filmindustrie auf langfristig herstellen wollen. und raffiniertere Plots böten.
dem heimischen Markt auf knapp 900 Mil- Dann nennen sie Titel, die jedem sofort Doch Hollywood hat auch deswegen
lionen Dollar, derzeit sind es pro Jahr etwas sagen: „Batman vs. Superman“, überlebt, weil es immer wieder von seinen
mehr als 30 Milliarden. „Avatar 2“ oder „Avengers: Infinity War“. Feinden gelernt hat, weil es sowohl den
Hollywood hat sich für seine Filme immer Wie viele Schlachten werden in einem „In- Angriff des Fernsehens nach dem Zweiten
mehr Märkte erschlossen, im Home-Video- finity War“, einem ewigen Krieg, wohl Weltkrieg als auch den Siegeszug der
Geschäft sind die Umsätze schon lange höher geschlagen? Sicher genug, um in Florida Videokassette in den Achtzigern zum ei-
als an der Kinokasse. China, ein Markt, den einen Themenpark zu bauen, der den Krie- genen Vorteil wenden und in noch mehr
es für Hollywood in den Achtzigern noch gern ein Denkmal setzt. Einnahmen ummünzen konnte.
Tatsächlich funktionieren Kino-Fran-
chises oft ähnlich wie TV-Serien: Sie be-
gleiten die Figuren über einen langen
Zeitraum, dringen möglichst tief in ihr
Leben ein, lassen Erzählfäden am Ende
eines Films liegen und nehmen sie in der
Fortsetzung wieder auf. Der Blockbuster
„Captain America: The Return of the First
Avenger“, der ins Kino kam, kann es an
Komplexität mit der TV-Serie „Homeland“
aufnehmen. Doch das ist die Ausnahme.
Die meisten Blockbuster kranken noch
daran, dass die Regisseure ihr Publikum
unterschätzen und es mit spektakulären
Bildern überwältigen wollen. Sie unterwer-
Szene aus „Jurassic World“ fen sich einem absurden Überbietungswett-
bewerb. Pappsatt soll der Zuschauer nach
dem Abspann aus dem Kino wanken.
Blockbuster in Serie Die erfolgreichsten Kinofilme in den USA In „Mission: Impossible – Rogue Nation“
FOTO: ILM / UNIVERSAL PICTURES / AMBLIN ENTERTAINMENT / PICTURE ALLIANCE / AP
gibt es eine Sequenz, die von einem Mord-
Originäre Kinoproduktion Adaption einer Vorlage fürs Kino Fortsetzung eines erfolgreichen Kinofilms
anschlag in der Wiener Oper erzählt (dem
Umsatz der Top Ten
Schauplatz der Weltpremiere in der ver-
1984 1,3 Mrd. $ 2000 1,9 Mrd. $ 2014 2,7 Mrd. $
gangenen Woche). Die Geschichte fängt
Beverly Hills Cop Der Grinch American Sniper spannend an, doch dann tauchen mehr
Ghostbusters Cast Away – Verschollen Die Tribute von Panem III und mehr Killer auf. Muss das wirklich
Quelle: Box Office Mojo
Indiana Jones – Tempel des Todes Mission: Impossible II Guardians of the Galaxy sein? Es geht doch nur darum, den öster-
Gremlins – Kleine Monster Gladiator The Return of the First Avenger reichischen Bundeskanzler zu erschießen.
Irgendwann bekommt der Regisseur
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112 DER SPIEGEL 32 / 2015
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