Ungleiche Fortschritte, Widersprüche und Lost in Translation
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Hintergrundinformationen www.asienhaus.de 6│2015 31 .03.2015 66 Ungleiche Fortschritte, Widersprüche und Lost in Translation Eine Bilanz für Süd-, Ost- und Südostasien 20 Jahre nach der Weltfrauenkonferenz in Peking von Christa Wichterich Die 59. Sitzung der Frauenrechtskommission den Themen Armut, Gewalt sowie sexuelle (CSW - Commission on the Status of Women), und reproduktive Rechte wesentlich prägten. die Anfang März in New York stattfand, sollte 20 Jahre nach der berühmten Seitdem war zivilgesellschaftliche Partizipati- 4.Weltfrauenkonferenz in Peking Bilanz zie- on an Regierungsentscheidungen immer wie- hen, ob und was die 189 Regierungen von der hart umkämpft. In New York beklagten dem damals Beschlossenen umgesetzt haben. Frauen-NGOs erschwerte Arbeitsbedingun- Gefeiert wurden die signifikanten Gleichstel- gen durch die neoliberale Globalisierung und lungsfortschritte in vielen Ländern, die durch zunehmend autoritäre Regimes mit den die Aktionsplattform von Peking – ein Mei- Schlagwörtern „shrinking spaces, shrinking lenstein für Frauenrechte - angestoßen wur- finances“: weniger demokratische Spielräu- den. Doch zu der Feierstimmung gesellte sich me bei gleichzeitig schrumpfenden Mitteln. gleich Frust. Es war ein Affront für die 1100 vertretenen NGOs, dass gleich zu Beginn eine inhaltlich äußerst magere „Abschlusserklä- Widersprüchliche Bilanzen rung“ verabschiedet wurde, die vor dem Tref- fen ohne Konsultation zivilgesellschaftlicher Solche Widersprüche dominierten die gesam- Organisation zustande gekommen war. Diese te Peking+20-Bilanz. Was ist aus den Gleich- Ausgrenzungsstrategie der Regierungen erin- heitsversprechungen der Regierungen ge- nerte wieder einmal an die Tiraden der chi- worden? Die Region Süd-, Ost- und Süd- nesischen Regierung von 1995, um NGO- ostasien steht weltweit paradigmatisch dafür, Aktivitäten zu behindern. Damals wurde das dass Gleichstellung kein kontinuierlicher Pro- NGO-Forum nach Huairou, 60 km außerhalb zess ist, der im Tandem mit Modernisierung von Peking, verbannt, Demonstrationen wa- und Wirtschaftswachstum auftritt. Es gibt ein ren verboten. Trotz aller Überwachung konn- ständiges Wechselbad von Fortschritten, te die chinesische Führung jedoch nicht ver- Stillstand und auch Rückschritten. Von offizi- hindern, dass Frauenbewegungen und NGOs eller Seite ist die Rede von einem „unfinished damals die Aktionsplattform mit dem Frauen- business“, so als wäre alles nur eine Frage rechts- und Empowermentansatz und mit der Zeit. Doch zivilgesellschaftliche Organisa 1
tionen sprechen von einem stärkeren Back- Wirtschaftliches Empowerment – lash gegen Frauenrechte als je zuvor durch Power für wen? neokonservative Kräfte und religiöse Funda- mentalismen. In der Wirtschaft waren die Gleichstellungs- fortschritte im Jahrzehnt vor und nach der Trotz der weltweit höchsten Wachstumsra- Peking-Konferenz am größten. Beispiel Er- ten hat sich Geschlechtergleichheit in der Re- werbsarbeit: Frauenbeschäftigung wuchs gion sehr ungleich und ungleichzeitig entwi- damals schneller als die von Männern, der ckelt. Das lässt sich an den drei prioritären Gender-Gap in der Erwerbslosigkeit verrin- Handlungsfeldern zeigen, die die Region Asi- gerte sich. Mehr Frauen wurden Familiener- en und Pazifik für die Umsetzung ausgewählt nährerinnen, während die männliche Ernäh- hatte: politische Partizipation von Frauen, rerrolle erodierte. Obwohl Frauen stets ökonomisches Empowerment und die Besei- überwiegend ungeschützt, flexibel und gering tigung von Gewalt gegen Frauen und Mäd- entlohnt arbeiteten, galten sie deshalb zu- chen. nächst als die Gewinnerinnen der Globalisie- rung. Seit 2005 aber kam es zu einem Still- stand, und durch die Krise von 2008/9 teils sogar – trotz Wachstum - zu einer Umkehr der Fortschritte. Frauen finden sich eher als Männer in dem riesigen informellen Sektor der Region wie- der – in Indien 93% der Ökonomie – und zu- dem mit geringerem Einkommen als Männer. Überall bewegen Frauen sich zwischen einem „klebrigen Boden“, wie die ILO die prekären und informellen Erwerbstätigkeiten ohne Women in Nepal. ©Stephan Bachenheimer Aufstiegschancen nennt, und der gläsernen Decke. Weiterhin besteht ein Lohngefälle Die Region hat mehr Regierungschefinnen als zwischen den Geschlechtern wie auch zwi- irgendeine andere Region der Welt. Dagegen schen migrantischer und einheimischer Be- liegt die Anzahl von Frauen in Parlamenten in völkerung. Asien mit 18,9 % unter dem weltweiten Durchschnitt von 22,2 Prozent. Osttimor ist Unisono mit Weltbank und IMF sehen Regie- das einzige Land der Region, wo der Frauen- rungen und UN-Organisationen die größten anteil mit 38 % über der „kritischen Chancen für wirtschaftliches Frauenem- se“ von einem Drittel liegt. In Indonesien powerment im neoliberalen Wachstumspa- wurde Fortschritte auf der lokalen Ebene radigma mit Bildung als Humankapitalma- verbucht, während der Frauenanteil im Par- nagement, finanzieller Inklusion durch lament von 18 auf 16% zurückging. Frühere Mikrokredite, Kleinunternehmertum und feministische Glaubenssätze, z.B. dass Frauen kommerzieller Landwirtschaft. Tatsächlich ist friedliebender, weniger machtorientiert und die Bildungsbilanz in der Region Asiens sehr weniger korrupt als Männer seien, ernten positiv: Parität in der Grundschulbildung, nun müdes Lächeln. Außerdem wurde teil- beinahe Gleichstellung in der Sekundärphase. weise beklagt, dass vielleicht mehr Frauen in Dagegen verweisen NGOs und Wissenschaft- der Politik, aber weniger in Frauenbewegun- lerinnen darauf, dass Geschlechterungleich- gen zu finden seien. Es mangelt an einer heit in der Exportproduktion die zentrale Kommunikation zwischen den Parlamenten Grundlage für die Wirtschaftswunder in Ost- und den Aktivistinnen. und Südostasien war. 2
Die katastrophalen Unfälle in der Textilin- dafür den Weg: so erlaubt ein Abkommen dustrie in Bangladesch zeigen, wie der Kon- zwischen Japan und den Philippinen „Unter- kurrenzdruck in einen Unterbietungswettbe- haltungskünstlerinnen“, sprich: Sexarbeite- werb übersetzt wird, statt dass sich Produkti- rinnen, einen mehrjährigen Arbeitsaufenthalt. vitätssteigerungen in höhere Löhne und ver- besserte Arbeitsbedingungen niederschlagen. In den Exportindustrien Südchinas haben die Geschlechts-basierte Gewalt und Arbeiter_innen Lohnerhöhungen erkämpft, Rechte als Spielball aber insgesamt sinkt die Frauenbeschäfti- gung, weibliche Erwerbslosigkeit nimmt zu, Es war leichter Gesetze zu Gewalt gegen es fehlt an staatlichen Arbeitsbeschaffungs- Frauen durchzusetzen als wirtschaftliche und maßnahmen für Frauen. Landrechte. So wurden in vielen Ländern Ge- setze gegen häusliche Gewalt, zum Schutz NGOs wie das Women’s Action Network in Sri vor Frauenhandel verabschiedet oder wie z.B. Lanka und das Alliance für Moslem Action in Indien zu Vergewaltigung, vorgeburtlicher Network kritisieren die wachstumsorientier- Geschlechtsbestimmung und Abtreibung ten Entwicklungsstrategien von Industrialisie- weiblicher Föten oder in China zu Frauenraub rung, Urbanisierung, Infrastrukturentwick- und Zwangsverheiratung. Aber gesellschaftli- lung und Ressourcenextraktivismus. Die Ver- ches Bewusstsein lässt sich nicht per Gesetz nachlässigung ländlicher Entwicklung und oder UN-Erklärungen verändern. Die vietna- kleinbäuerlicher Existenzsicherung wie auch mesische Regierung stellt unumwunden fest, die Privatisierung von Land und Wasser hat- dass Gewalt gegen Frauen in der Familie im- ten aus ihrer Sicht die zunehmende Migrati- mer noch ein ernstes Problem ist und von on vom Land in die Städte, aber auch in an- großen Teilen der Bevölkerung – auch Frauen dere Regionen und Länder zur Folge. – als normal und als Privatangelegenheit be- trachtet wird. UN Women: Change Must Happen / Empowerment is Vital, Photo: Asia Migrant Center, Hong Kong Migration ist für die Region ein zentrales Thema, das vor 20 Jahren bei der Peking- Konferenz noch eher am Rande stand. Frauen UN Women: Woman of Achievement - Amelia de Jesus migrierten vor allem als Hausangestellte, - Timor-Leste Sorge- und Sexarbeiterinnen und sonstige Dienstleisterinnen, Männer als Bau- und In China zeigt dies die Brandmarkung derje- Plantagenarbeiter und von den Philippinen nigen, die mit Ende 20 noch nicht verheiratet als Seeleute. Freihandelsabkommen ebneten sind, als „left over“-Frauen. Genau während 3
des Wachstumswunders reagierte das chine- Fragmentierte Bewegungen, starke sische Patriarchat so auf die Selbständigkeit Kämpfe von Frauen, die – ob freiwillig oder nicht - nicht den konfuzianischen Familiennormen Die Vielfalt feministischer, teils widersprüch- unterworfen sind. licher Positionen wächst. Frauenbewegungen sind fragmentiert, häufig sind viele Frauen- Ein wichtiger Seismograph für das Geschlech- gruppen aktiv, aber ihre Professionalisierung terverhältnis sind die sexuellen und repro- und technische Orientierung wirken entpoli- duktiven Rechte von Frauen und LGBTI- tisierend. Von der feministischen Politik der Personen. Auf den Philippinen wurden diese Empörung ist nur noch wenig zu spüren. Viele Rechte zum Spielball zwischen Kirche und Po- NGOs nehmen ihren Regierungen gleichstel- litik mit den Folgen: zu wenig Sexualaufklä- lungspolitische Aufgaben ab. Die chinesi- rung, reproduktive Gesundheitsmaßnahmen, schen Frauen-NGOs sagen unumwunden, und zu wenig sexuelle Selbstbestimmung. Die dass die Regierung sie dafür zulässt, ihre Auf- Folge ist, dass die Müttersterblichkeit 2011 gaben definiert und dafür finanziert. Das be- höher lag als 1990, Schwangerschaften von deutet auch, dass zivilgesellschaftliche Kräfte Teenagern nehmen zu. Nach fünfzehnjähriger in die Umsetzung der Pekinger Aktionsplatt- Debatte verabschiedete das philippinische form involviert sind bzw. ihnen Verantwor- Parlament im April 2014 endlich ein Gesetz tung dafür übertragen wird. zu “Responsible Parenthood and Reproducti- ve Health”. Es sieht universellen Zugang zu Der weltweit skandalisierte Vergewaltigungs- Kontrazeptiva und zu Sexualerziehung vor – fall in New Delhi hatte zur Folge, dass über ein Ziel, das für arme Frauen noch in weiter indische Frauenbewegungen hinaus eine Ferne ist. breite Anti-Gewalt-Kampagne in der indi- schen Gesellschaft zustande kam. Die CSW Neben dem katholischen Fundamentalismus 2013 trug dem mit der progressivsten Ab- vertreten auch andere religiöse Fundamenta- schlusserklärung der vergangenen 20 Jahre lismen – Hindu-Fundamentalismus in Indien, Rechnung. buddhistische Chauvinisten in Sri Lanka und Myanmar, Islamisten – anti-emanzipatorische Vernetzungen zwischen der nationalen und und familien- und mutterschaftsidealisieren- internationalen Ebene haben jedoch auch de Positionen. Bei der asiatischen Bilanzkon- Kämpfe für Rechte und Ressourcen gestärkt. ferenz zu Peking+20 beschwerten sich indo- Die Hausangestellten organisierten sich im nesische Aktivistinnen bitter über den Roll- vergangenen Jahrzehnt transnational und er- back ihrer Regierung, die die Begrifflichkeit kämpften 2011 bei der ILO die Konvention von sexuellen Rechte, sexueller Orientierung, 189 für „decent work“ in Privathaushalten. Geschlechteridentität und unterschiedlichen Allerdings haben erst 17 Ländern – darunter Familienformen ablehnte. In malaysische Re- die Philippinen als einziges asiatisches Land – gierung verbot 2011 die Organisierung der die Konvention ratifiziert. 2009 hielt Via mehrmals veranstalteten Fiesta Feminista. Campesina ihre Jahresversammlung in Indo- Die Verurteilung des Oppositionspolitikers nesien ab und inspirierte viele Frauen im Anwar Ibrahim in Malaysia zu einer Haftstra- landwirtschaftlichen Bereich für Nahrungs- fe wegen Homosexualität zeigt, wie Sexuali- souveränität politisch aktiv zu werden. 2012 tät politisiert und zum Spielball in politischen erhob SAFA (South Asian Feminist Alliance for Machtkämpfen gemacht wird. Economic, Social and Cultural Rights) erst- mals für informelle und unbezahlte Arbeit die Forderung: „Alle Frauen arbeiten, alle Frauen haben ein Recht auf soziale Sicherheit“. Seit- dem kämpfen sie vor allem für einen „social 4
protection floor“ für „Bäuer_innen und alle CSW-Sitzung, dass sie gemeinsam mit UN- Menschen, die auf dem Land arbeiten“. Diese WOMEN, der UN-Frauenrechtsorganisation, Bemühungen müssen noch mit den Kämpfen am 26.September in New York den „Global gegen Land grabbing und Ressourcenextrak- Summit of Women“ ausrichten wird, die offi- tivismus in der Region koordiniert werden. zielle Gedenkveranstaltung für die Pekinger Weltfrauenkonferenz, inklusive einer Eröff- Textilarbeiter_Innen in Kambodscha streiken nungsrede durch Xi Jiping über Geschlech- seit 2013 immer wieder gegen überlange Ar- tergleichheit und Frauen-Empowerment. beitszeiten, miese Bezahlung und gesund- heitsschädliche Arbeitsbedingungen. Sie for- dern einen Mindestlohn von 177 US Dollar pro Monat. Polizei und Armee schlugen die Streiks mit Billigung der kambodschanischen Textilfabrikanten gewaltsam nieder: 4 star- ben, 40 wurden verletzt. Zwar erhöhte die Über die Autorin: Christa Wichterich, Publi- Regierung den Mindestlohn inzwischen auf zistin, Soziologin, Dozentin am Zentrum für 128 Dollar, doch nun behauptet sie, dass Auf- Geschlechterforschung der Uni Basel, aktiv traggeber sich wegen der Streiks und der hö- bei WIDE+ (Women in Development Europe), heren Löhne zurückziehen. war 1995 bei der Weltfrauenkonferenz in Peking dabei und verfolgt seitdem die Um- setzungsprozesse. Lost in Translation Impressum: Zwar sind Frauen präsenter im öffentlichen Leben, in der Erwerbsarbeit und in politi- Stiftung Asienhaus │ Hohenzollernring 52 │ schen Agenden. Aber trotz aller politischen 50672 Köln │www.asienhaus.de Rhetorik und Versprechen fehlt es immer asienhaus@asienhaus.de noch entscheidend an politischem Willen und Finanzen, vor allem an Mitteln für Frauenor- Nachweis Fotos: ganisationen. Die viel beklagte Implementie- Equal? rungslücke klafft weit auf. „Lost in Translati- ©Stephan Bachenheimer/World Bank SB- on“ bedeutet, dass Rhetorik sich nicht Reali- NP01 täten übersetzt, dass frauenfreundliche Ge- www.flickr.com/photos/worldbank/6080628 setze sich nicht in Maßnahmen und in struk- 851/, sellschaftlichen Bewusstsein niederschlagen, dass universell konzipierte Menschenrechte UN Women: Change must happen: nicht in die unterschiedlichen Kulturen über- https://www.flickr.com/photos/unwomenasi tragen werden und die Aktionsplattform apacific/7681299576/in/set- nicht in lokale Kontexte. Es bleibt bei vielen 72157628537979819 Widersprüchen, Ungleichheiten und Un- >creativecommons.org/licenses/by-nc- gleichzeitigkeiten. nd/2.0/legalcode< Dazu gehört auch, dass sich die chinesische UN Women: Woman of Achievement - Ame- Regierung unerwartet auch in New York er- lia de Jesus - Timor-Leste neut ins Zentrum der Aufmerksamkeit brach- www.flickr.com/photos/unwomen/14360350 te: unmittelbar vor Beginn der CSW-Sitzung 424/in/photolist- hatte sie fünf Feministinnen inhaftiert. Unbe- >creativecommons.org/licenses/by-nc- kümmert davon verkündete sie während der nd/2.0/legalcode< 5
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