Russland auf Partnersuche im Osten: US-Sanktionen verfehlen ihr Ziel - Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik eV

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DGAPkompakt                                                                                             Nr. 13 / Juli 2018

Russland auf Partnersuche im Osten:
US-Sanktionen verfehlen ihr Ziel
Josef Braml

Eine Annäherung zwischen den USA und Russland wird weiter auf sich warten las-
sen. Innenpolitisch viel zu nützlich sind für beide Seiten die gegenseitigen Drohge-
bärden: Putin kann von der schlechten wirtschaftlichen Lage im Land ablenken und
Trump bei den anstehenden Kongresswahlen Stärke zeigen. Im Windschatten der
westlichen Sanktionen gegen Russland sucht China neue Partner. Ein Interessenaus-
gleich zwischen Trump und Putin ist schon deshalb notwendig, um Chinas raumgrei-
fende Aktivitäten einzudämmen.

Sonderermittlungen gegen Trump                                 Einmischung Russlands bei der Wahl 2016 stattgefunden
Die Gleichzeitigkeit aktueller Ereignisse könnte nicht         hat“, räumte Trump ein, um dann noch hinzuzufügen:
brisanter sein: Während US-Präsident Donald Trump             „Es könnten auch andere Leute gewesen sein. Es gibt viele
sich auf das Gipfeltreffen mit dem russischen Machthaber       Leute da draußen.“ Mit dieser vagen Andeutung eröffnete
Wladimir Putin am 16. Juli in Helsinki freut und weiter-       sich Trump weitere rhetorische Auswege und gab nicht
hin Moskaus Einflussnahme auf die US-Präsidentschafts-         zuletzt auch den Verschwörungstheorien seiner Anhän-
wahlen abstreitet, klagt Robert Mueller, der seit Mitte Mai    ger erneut Nahrung.3
2017 in der sogenannten Russland-Affäre ermittelt, zwölf          Ende Mai 2018 verlangte Trump sogar, dass das Justiz-
russische Geheimdienstmitarbeiter an. Der Sonderermitt-        ministerium untersucht, ob der Geheimdienst, nament-
ler hält es für erwiesen, dass sich Russlands Agenten mit      lich das Federal Bureau of Investigation (FBI), oder das
Hackerangriffen bei Trumps Wahl zum US-Präsidenten             Ministerium selbst sein Wahlkampfteam „aus politischen
eingemischt haben.1                                            Gründen infiltriert oder überwacht“ hätten. Schnell
   Ebenso geht der US-Geheimdienst davon aus, dass rus-        war bei Trumps Anhängern von einer Verschwörung
sische Militärs hinter der Einflussnahme auf die US-Prä-       die Rede4 – eine Verschwörungstheorie, die er selbst für
sidentschaftswahlen stecken. Damit hat Trump auch den          richtig hält.5 Für den Fall, dass man versuchen sollte, den
Einschätzungen seines Geheimdienstes widersprochen,            Präsidenten des Amtes zu entheben, drohten Trumps pub-
den er verächtlich als „deep state“, als unkontrollierten      lizistische Scharfmacher bereits unverhohlen mit Gewalt
Staat im Staate, bezeichnet, der ihm, dem rechtmäßig           und prophezeiten einen Bürgerkrieg.6
gewählten Volkstribun, das Handwerk legen wolle, weil
er zum Wohle seiner Bewegung gegen das Washingtoner
Establishment und die Bürokratie vorgehe.2                    Amtsenthebungsverfahren wenig
   Als Donald Trump in Helsinki sogar auf internationa-       wahrscheinlich
lem Parkett seinen Geheimdiensten misstraute und dem          Sollte der langjährige (2001 bis 2013) FBI-Direktor
ehemaligen russischen Geheimdienstmann Putin mehr             Mueller bei seinen aktuellen Sonderermittlungen indes
Glauben schenkte, war die Empörung in Washington so
groß, dass er etwas zurückrudern musste. „Ich akzeptiere
die Schlussfolgerung unserer Geheimdienste, dass eine
Russland auf Partnersuche im Osten: US-Sanktionen verfehlen ihr Ziel 2

stichhaltige Beweise vorlegen können, die belegen, dass        „Russland mach dich bereit!“ drohte Donald Trump und
Trumps Wahlkampfteam und der US-Präsident von den            prahlte mit seinem Waffenarsenal vor den Luftangriffen
russischen Aktivitäten gewusst oder sogar wissentlich mit    gegen das mit Russland verbündete Syrien im April 2018.
russischen Agenten zusammengearbeitet haben, müssten         Nachdem der amerikanische Präsident dann auch noch
auch die Abgeordneten und Senatoren im Kongress ernst-       über den Kurznachrichtendienst Twitter meldete, dass die
haft ein Amtsenthebungsverfahren erwägen.                    Beziehungen zu Russland schlechter seien als zu Zeiten
   Doch das Impeachment eines Präsidenten ist keine          des Kalten Krieges, waren die Medien alarmiert.9
juristische Zwangsläufigkeit, sondern ein politisches Vor-      Der „Kalte Krieg“ wurde auch bereitwillig von deut-
gehen.7 Ausschlaggebend für die Kongressabgeordneten,        schen Veteranen dieser Zeit in diversen Talkshows
die mit einer einfachen Mehrheit des Abgeordnetenhau-        diskutiert. Zumal auch die russische Seite mitgespielt
ses ein solches Verfahren einläuten, ebenso wie für die      und Washington gewarnt hatte, dass sie zurückschlagen
Senatoren, die mit einer Zweidrittelmehrheit der Anwe-       werde. Doch nach der anfänglichen Drohung Russlands,
senden in der zweiten Kammer des Kongresses die Amts-        auch amerikanische Stellungen anzugreifen, die auf
enthebung beschließen könnten, ist deren politisches         Syrien feuern, ruderte der russische UN-Botschafter
Kalkül. Die entscheidende Frage der Volksvertreter lautet:   Wassili Nebensja später wieder zurück: Sollten bei Bom-
Schadet diese außergewöhnliche Zwangsmaßnahme                bardierungen russische Truppen getroffen werden, so
gegen einen amtierenden Präsidenten und Oberbefehls-         der Gesandte Moskaus einschränkend, würde Russland
haber, zumal in unsicheren geopolitischen Zeiten, der        militärisch aktiv werden. Bei der Planung und Durchfüh-
eigenen politischen Karriere? Oder in politische Sprach-     rung der Luftschläge gegen syrische Regierungstruppen
hülsen der Abgeordneten und Senatoren übersetzt: Wäre        konnte man im Weißen Haus den logischen Schluss
ein Amtsenthebungsverfahren im nationalen Interesse,         ziehen: Solange russische Soldaten nicht betroffen sind
im Sinne der Wähler?                                         und amerikanische Streitkräfte keinen unmittelbaren
   Vor allem die republikanischen Abgeordneten und           Regimewechsel in der Region anstreben, können sie in
Senatoren haben mit Blick auf die unsichere Weltlage         Syrien tun, was sie wollen.10
und die anstehenden Kongresswahlen im November im               Insofern waren die martialischen Drohungen beider
politischen Alltagsgeschäft bislang wenig Courage ge-        Seiten eher ein Ablenkungsmanöver – hüben wie drü-
zeigt, ihrem Präsidenten wirklich in die Hand zu greifen.    ben. Haben die Präsidenten beider Staaten doch auch
Sie haben sogar in der Handelspolitik darauf verzichtet,     ein innenpolitisches Interesse daran, Stärke zu beweisen.
die eigenen Machtbefugnisse im System der sogenann-          Die Drohgebärden nützen sowohl Putin als auch Trump:
ten Checks and Balances, der konkurrierenden und sich        Mit Blick auf ihren Machterhalt geht es ihnen in erster
damit gegenseitig kontrollierenden politischen Gewalten,     Linie um die Gunst des eigenen Volkes. Zwar hatte Trump
zu wahren.                                                   explizit angekündigt, die beiden großen Verbündeten
                                                             des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zur Verant-
                                                             wortung zu ziehen, neben dem Iran also auch Russland.11
Russland-Sanktionen des Kongresses                           Doch Moskau hatte er in den Augen seiner Landsleute
Es war daher umso bemerkenswerter, dass der Kongress         ohnehin schon empfindlich getroffen, indem er die Wirt-
in der Frage der Sanktionen gegen Russland machtbe-          schaftssanktionen scharf machte, die ihm vom Kongress
wusst den Präsidenten an die Kandare nahm. Trump             abgenötigt wurden.
musste – auch mit Blick auf die Sonderermittlungen
gegen ihn – sogar davon absehen, die Sanktionen des
Kongresses mit seinem Veto zu verhindern, weil er oh-        Unbeabsichtigte Konsequenzen der
nehin von beiden Legislativ-Kammern mit jeweils einer        Sanktionen
Zweidrittelmehrheit überstimmt worden wäre.8                 Die Sanktionen haben jedoch bislang nicht dazu beige-
   Um diese Niederlage zu kaschieren und um hin-             tragen, das außenpolitische Verhalten des Kreml-Führers
sichtlich der Sonderermittlungen seinen Unterstützern        im Sinne westlicher Strategen zu verändern. Im Gegen-
glaubhaft zu versichern, dass er nicht, wie seine Heraus-    teil: Dank der westlichen Sanktionen kann der russische
forderin Hillary Clinton bereits im Wahlkampf behauptet      Präsident Putin von der Schwäche seiner Regierung im
hatte, „Putins Marionette“ sei, hat Trump seitdem keine      sozialen und wirtschaftlichen Bereich durch eine anti-
Gelegenheit ausgelassen, auch dem russischen Machtha-        westliche Propaganda ablenken.12
ber öffentlichkeitswirksam die Stirn zu bieten.                 Die unbefriedigten Grundbedürfnisse seiner Be-
                                                             völkerung nach sozialer und ökonomischer Sicherheit

                                                                                                DGAPkompakt / Nr. 13 / Juli 2018
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werden durch Konsum einer bewährten Massendroge             transportiert werden soll. Im Vergleich zum russischen
überkompensiert: Nationalismus, der durch Abgrenzung        Erdgas käme Amerikas Flüssiggas (Liquefied Natural
von äußeren Feinden geschaffen wird. Der sogenannte         Gas, LNG), das mit Schiffen und in den Häfen über noch
Westen muss als Sündenbock für das eigene Reformver-        zu finanzierende Terminals transportiert werden müsste,
sagen und Missstände herhalten. Putin kann die Sank-        viel teurer – wenn man wirklich marktwirtschaftliche
tionen westlicher Staaten instrumentalisieren, um den       Prinzipien bei der Entscheidungsfindung zugrunde legt.
eigenen Machterhalt zu sichern: Die Androhung weiterer         Und auch das geopolitische Argument, wonach Europa
Wirtschaftssanktionen ermöglicht es ihm umso mehr, im       für seine Sicherheit auch bei seiner Energieversorgung
eigenen Land ein patriotisches Wir-Gefühl, eine Wagen-      einen höheren Preis (an die Schutzmacht USA) zu zahlen
burgmentalität zu schaffen.13                               habe, ist kurzsichtig. Deutschland kaufe sein Erdgas für
                                                            Milliarden Euro von Russland, verlasse sich jedoch als
                                                            Trittbrettfahrer auf die Schutzmacht USA, die Deutsch-
Die Öl-Waffe                                                land vor allem vor russischer Aggression bewahre, lautete
Viel stärker als die Sanktionen haben zwischenzeitlich      Trumps vehemente Kritik beim jüngsten NATO-Gipfel in
die niedrigen Ölpreise den Machtapparat in Moskau in die    Brüssel.16
Bredouille gebracht. Denn die Stabilität des russischen        Diese Sicht ist vergangenheitsorientiert und dabei auch
Regimes hängt wesentlich von den Einnahmen aus den          noch geschichtsvergessen. So versuchte etwa auch NATO-
Energieexporten ab. Sollten die verkauften Mengen an        Generalsekretär Jens Stoltenberg mäßigend auf Trump
Öl und Gas oder der dafür veranschlagte Preis über einen    einzuwirken, mit dem Verweis, dass selbst während des
längeren Zeitraum spürbar sinken, wäre Putins autokrati-    Kalten Krieges Russland immer ein verlässlicher Ener-
sche Herrschaft gefährdet.                                  gielieferant des Westens war. Und auf längere, geostra-
   Auch Washington ist nicht verborgen geblieben, dass      tegische Sicht bleiben für die USA und seine westlichen
die russische Führung große Schwierigkeiten hat, ihre       Verbündeten nicht Russland, der Gegenspieler aus längst
Politik und Wirtschaft vom Ressourcenfluch zu befrei-       vergangenen Zeiten des Kalten Krieges, im Zentrum
en. Zwar sind noch üppige Reserven vorhanden, doch          der Sicherheitsüberlegungen, sondern die aufstrebende
angesichts der Korruption bei der staatlich dominierten     Macht China.
Rohstoffausbeutung besteht die Gefahr, dass eine zerfal-
lende russische Autokratie die USA und Europa vor noch
größere Herausforderungen stellen wird als die aktuell in   Eindämmung Chinas
der Ukraine-Krise zur Schau gestellte Energiepotenz des     Insbesondere Amerikas Hauptrivale China, dessen wirt-
Kreml-Führers.14                                            schaftliche Entwicklung und militärische Aufrüstung von
   Des Weiteren befürchten US-Sicherheitsexperten, etwa     Energieimporten abhängen, ist sehr daran interessiert,
von der Brookings Institution,15 schon seit Längerem,       die Energielieferanten und Lieferwege zu diversifizieren.
dass Sanktionen im Energiebereich den USA selbst scha-      Da Chinas Energieversorgung aus Afrika und dem Mitt-
den – unmittelbar und auf lange Sicht: Sie bestärken Pu-    leren Osten vielerorts (unter anderem auch an der Straße
tin darin, seine nach Asien gerichtete Diversifizierungs-   von Malakka, einer Meerenge in Südostasien, und an der
strategie mit noch größerer Dringlichkeit zu forcieren.     Straße von Hormus, deren Sperrung umfangreiche Öl-
Die russische Führung wird versuchen, ihre Kundschaft       Lieferungen aus dem Mittleren Osten verhindern würde)
auszuweiten. Neben Europa sollen nach den Plänen des        durch die USA blockiert werden kann, ist das Reich der
Kremls künftig auch energiebedürftige asiatische Länder,    Mitte um Alternativen bemüht (vgl. Abb. 1).
allen voran China, mit russischen Rohstoffen versorgt          Daher kommt es nicht von ungefähr, dass der 2013 ge-
und damit Einnahmen und Regime dauerhaft gesichert          wählte chinesische Staatspräsident Xi Jinping seinen ers-
werden.                                                     ten Auslandsbesuch dem russischen Machthaber Putin ab-
                                                            stattete, um die Wirtschaftsbeziehungen zu verbessern.17
                                                            Die Strategie des vom Kreml gelenkten Pipelinekonzerns
Der Preis der Pax Americana                                 Transneft ist schon seit geraumer Zeit nach Asien gerich-
Insofern haben amerikanische Verhandlungsführer             tet, um die Pazifik-Region, insbesondere China, Südkorea
denkbar schlechte wirtschaftliche und geopolitische Ar-     und Japan mit Öl zu beliefern. Über die Eastern Siberia-
gumente gegen Deutschland wegen seiner „Nord Stream         Pacific Ocean oil pipeline (ESPO-Pipeline) bezieht China
2“-Pläne, wonach noch mehr russisches Erdgas aus den        mittlerweile schon mehr Öl aus Russland als Deutschland.
Feldern Sibiriens über St. Petersburg bis nach Greifswald   Bereits im Februar 2014 präsentierte Transneft Pläne, in

                                                                                               DGAPkompakt / Nr. 13 / Juli 2018
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              Abb. 1: Geopolitische Rivalität mit China

                                                    RUSSLAND                                                                                 RUSSLAND

                        KASACHSTAN                                            MONGOLEI

                   Aralsee
                                                                                                                                          Japanisches
                                                                                                                                             Meer
                                                                                                                              DVR KOREA                  JAPAN
 Kaspisches
   Meer                                                                                                                                   REP.
                                                                                                                             Gelbes      KOREA
                                                                                                                              Meer
                                                                                        CHINA
                      AFGHANISTAN
                                                                                                                                           Ost-
RAK             IRAN                                                                                                                   chinesisches
               Straße von                                                                                                                  Meer
               Hormus            PAKISTAN                     NEPAL
                                                                                                                              TAIWAN

                                                      INDIEN
                                                                        BANGLA-
                     OMAN                                                DESCH
von                                                                                                  LAOS
                              Arabisches                                   MYANMAR
                                 Meer                                    Golf von
                                                                                                   THAI- VIETNAM                          Luzón
                                                                                                   LAND
   JEMEN                                                                 Bengalen
                                                                                                       KAM-                                   PHILIPPINEN
                                                                                  Andamanen          BODSCHA
                                                                                     (ind.)
SOMALIA                                                                                                                            Palawan
                                                                SRI LANKA                                Südchinesisches                          Mindanao
                                                                                  Nikobaren                   Meer
                                                                                     (ind.)
                                          Malediven                                                           MALAYSIA                      P a z i fi s c h e r
               Äquator                                                               Malakka-Str.                                              Ozean
                                                                                                                             Borneo
                                                                                                          SINGAPUR
                                                                                                     Sumatra                             Sulawesi
              Seychellen                                                                                                                 (Celebes)
                                                                                                             INDONESIEN
                                                                                              Sunda-Str.                                                                Neuguinea
                                                                                                                      Java     Bali
Komoren
  (frz.)                                                                                                    Lombok-Str.                             OST-TIMOR

GASKAR
                                             Indischer Ozean                                                                                 Timorsee

              Réunion
               (frz.)

                                                                                                                                       AUSTRALIEN

                              Seehandelsrouten und Seehäfen
                              (Die Strichbreite repräsentiert
                              die Wichtigkeit der Route)

              Besonders verwundbar sind Chinas Energietransporte in der Meerenge von Malakka – in erster Linie durch Singapur, das mit den USA verbündet ist.
              Daher erwarten amerikanische Sicherheitsexperten, dass China versuchen wird, sich die beiden anderen Seewege zum Indischen Ozean zu sichern: Die
              Lombok-Straße – eine Meerenge zwischen den indonesischen Inseln Bali und Lombok – verbindet die Javasee mit dem Indischen Ozean und ist damit
              eine der bedeutendsten Seehandelsrouten Ostasiens. Die zwischen Sumatra und Java verlaufende Sunda-Straße ist neben der Straße von Malakka die
              wichtigste Verbindung vom Indischen Ozean zum Südchinesischen Meer. Australien ist für die USA ein wichtiger Partner, weil von seiner Küste aus die für
              Chinas Energieimporte wichtigen Seewege durch den Inselstaat Indonesien besser kontrolliert werden können.

                                                                                                                                  DGAPkompakt / Nr. 13 / Juli 2018
Russland auf Partnersuche im Osten: US-Sanktionen verfehlen ihr Ziel 5

den nächsten sechs Jahren knapp zehn Milliarden Dollar     unilateralen Aufkündigung des Nukleardeals mit dem
zu investieren, um die Kapazität der ESPO-Pipeline zu      Iran werden die USA voraussichtlich Präventivschläge ge-
verdoppeln.                                                gen den Iran durchführen. Damit wollen Trump und seine
   Die Ausweitung der Pipeline-Kapazitäten ist nötig, um   Berater nicht nur Irans Nuklearoption verhindern und
die auf 25 Jahre angelegte 270 Milliarden Dollar umfas-    Regionalmachtambitionen begegnen, sondern auch China
sende Vereinbarung zwischen dem russischen Öl-Gigan-       einen Strich durch seine geopolitische Rechnung machen.
ten Rosneft und der China National Petroleum Corpo-            Militärschläge würden Instabilität fördern in einer
ration (CNP) umzusetzen. Auch der staatlich gelenkte
                           18                              Region, die weit weg von den USA ist. Ein Krieg würde es
Energiekonzern Gazprom plant schon seit Längerem, eine     dem Rivalen China erschweren, dringend benötigte Roh-
Pipeline nach China zu bauen.                              stoffe aus dieser Region zu beziehen und weiteren Einfluss
   Die Sanktionsdrohungen des Westens in der Ukra-         zu gewinnen.
ine-Krise haben schließlich den über ein Jahrzehnt in          China wäre umso mehr auf russisches Öl und Gas an-
der Preisfrage uneinigen russischen und chinesischen       gewiesen, das Russland wegen der Instabilität im Nahen
Handelsführern zum Vertragsabschluss verholfen, den        und Mittleren Osten dann auch noch zu höheren Preisen
der russische Präsident bei seinem China-Besuch im Mai     verkaufen könnte.
2014 als „epochal event“19 feierte. Nach dem „biggest          Deshalb würde Russland außer verbalen Protesten we-
contract“20, den Gazprom laut Aussage seines Chefs Alexej nig dagegen einwenden: Weil die Machthaber in Moskau
Miller je eingegangen ist, wird Russland von 2018 an über  dringend auf höhere Energiepreise angewiesen sind, um
30 Jahre jährlich 38 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach     Russlands von Öl- und Gasexporten abhängige Wirtschaft
China liefern. 21                                          und damit das politische System zu stabilisieren.
   Die immensen Investitionen in Pipelines und andere In-      Im Kreml ist man fest davon überzeugt, dass der Un-
frastruktur kann insbesondere China aufbringen. Zumal      tergang der Sowjetunion – laut Aussage des russischen
das Reich der Mitte seit der von den USA verursachten      Präsidenten Wladimir Putin die größte geopolitische
Wirtschafts- und Finanzkrise 2007/2008 damit begonnen      Katastrophe des 20. Jahrhunderts – weniger durch das
hat, sich von der Interdependenz mit den USA zu lösen,     Rüstungswettrennen und die wirtschaftliche Schwäche,
indem es über seine „Seidenstraßeninitiative“ (One Belt,   sondern hauptsächlich durch die – von Saudi-Arabien
One Road) weltweit alternative Exportmärkte erschließt,    verursachten – niedrigen Ölpreise befördert wurde.
zunehmend Währungsreserven aus der sogenannten                 Es wäre demnach von iranischer Seite naiv zu erwar-
Dollar-Falle nimmt und die eigene Währung behutsam         ten, dass der Architekt eines weiterhin von Öleinnahmen
internationalisiert.                                       abhängigen „Neu-Russland“ Washington in den Arm
   Auch Moskau hat ein schon seit Längerem bekundetes      fallen würde, wenn die USA nach der Aufkündigung des
Interesse, den Dollar als einzige Weltleitwährung abzulö-  Nukleardeals mit Präventivschlägen gegen das iranische
sen, um ein multipolares Währungssystem zu etablieren.     Regime vorgingen.
China und Russland könnten dazu beitragen, indem sie           Zumal heute das sunnitische Saudi-Arabien umso mehr
ihre Handelsgeschäfte über ihre Währungen (zunächst in     daran interessiert ist, seinem schiitischen Erzfeind Iran
Form von Swaps)22 abwickeln.                               den Garaus zu machen und dementsprechend auch Russ-
   Die durch westliche Sanktionsdrohungen in der           land finanzielle Anreize geben wird, damit der Kreml bei
Ukraine-Krise forcierte Annäherung Russlands und           einem Waffengang gegen den Iran stillhält.
Chinas kann also nicht im Interesse der USA sein, zumal        Dafür spricht auch das neue Kriegskabinett in Wa-
die langfristig angelegten Pläne Moskaus und Pekings       shington: Donald Trumps neuer Sicherheitsberater John
darauf hindeuten, dass neben Nordkorea auch westlich       Bolton, der mit seinem Besuch in Moskau den Gipfel zwi-
orientierte Staaten wie Japan und Südkorea durch Ener-     schen Trump und Putin in Helsinki vorbereitet hat, fordert
gielieferungen noch stärker wirtschaftlich eingebunden     schon seit Längerem: „To Stop Iran’s Bomb, Bomb Iran”24
werden sollen. Ohnehin sehen US-Strategen mit Sorge,
                23                                        – um die iranische Atombombe zu verhindern, muss man
dass Japan und Südkorea wirtschaftlich bereits mehr mit    den Iran bombardieren. Trumps neuer Außenminister
China verflochten sind als mit den USA.                    Mike Pompeo ist, anders als sein Vorgänger Rex Tillerson,
                                                           in der Iran-Frage ebenso ein Hardliner.
                                                               Schließlich hat man aus dem Nordkorea-Konflikt eine
Konfrontation mit dem Iran                                 Lehre gezogen:25 Wenn man zu lange wartet, gibt es keine
Die Weltmacht USA wird diesen möglichen globalen           Handlungsalternativen mehr. Bei nüchterner Betrachtung
Kräfteverschiebungen nicht tatenlos zusehen. Nach der      ist der „Nuklearzug“ in Nordkorea abgefahren. Trump

                                                                                               DGAPkompakt / Nr. 13 / Juli 2018
Russland auf Partnersuche im Osten: US-Sanktionen verfehlen ihr Ziel 6

kann das nordkoreanische Regime nur noch eindämmen              Das alternative Szenario wäre für Trump viel gefähr-
und nicht mehr seine Nuklearkapazitäten mit Präven-        licher: Im Regelfall verlieren US-Präsidenten bei den
tivschlägen beseitigen. Im Wissen um ihre eigene mili-     ersten Zwischenwahlen. Sollten die Mehrheiten beider
tärische Stärke und die Verwundbarkeit amerikanischer      Kammern des Kongresses an die Demokraten gehen und
Truppen in der Region kann die nordkoreanische Führung Sonderermittler Mueller Belastendes gegen ihn ans Tages-
der Weltmacht die Stirn bieten. Wenn man die jüngste       licht bringen, müsste Trump mit einem Amtsenthebungs-
Geschichte sieht, etwa Trumps unilaterale Aufkündigung     verfahren rechnen.
des Nukleardeals mit dem Iran, hat Pjöngjang ohnehin
keinen Anreiz, mit Washington wirklich ernsthaft darü-
ber zu verhandeln, seine Nuklearwaffen aufzugeben.         Schlussfolgerungen für die deutsche Politik
   Anders sieht die Lage mit Blick auf das iranische Re-   und Wirtschaft
gime aus: Die USA könnten nachdem sie nun den Nukle-       Politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger in
ardeal mit dem Iran aufgekündigt haben, alsbald weitere    Deutschland und Europa sollten sich darauf einstellen
Konsequenzen folgen lassen. Sollten Trump und seine        .. dass entgegen der hierzulande gehegten Hoffnungen
Sicherheitsberater zu der Einschätzung kommen, dass der        Trump nicht so schnell seines Amtes enthoben wird.
Iran Atombomben baut, werden sie schnell reagieren und     . . dass Trump die Sanktionen gegen den Iran weiter ver-
Präventivschläge gegen den Iran durchführen.                   schärfen wird – und auch mit Härte gegen Firmen ande-
   Darüber hinaus gibt es auch innenpolitische Gründe          rer Staaten vorgehen wird, die mit dem Iran weiterhin
für eine militärische Option: Der damit verursachte            Geschäfte betreiben wollen.
Preis-Effekt würde auch von US-Shale-Gas-Produzenten       .. dass notfalls militärische Präventivschläge gegen den
begrüßt, die wegen hoher Produktionskosten und drü-            Iran unter anderem auch verhindern können, dass Chi-
ckender Finanzierungslasten bereits in ihrer Existenz          na einmal mehr Nutznießer westlicher Sanktionen ist.
bedroht sind.26 Merklich höhere Ölpreise würden zwar ei-   .. dass die Abgeordneten und Senatoren im amerikani-
nerseits viele amerikanische Konsumenten belasten. Doch        schen Kongress ihre Sanktionen gegen Russland in
bewahren sie andererseits die heimische Energieindustrie       dem Maße lockern werden, in dem die angeschlagene
vor Konkursen und deren unmittelbaren und gravieren-           Weltmacht USA die „Regionalmacht“28 Russland be-
den Auswirkungen auf das amerikanische Finanz- und             nötigt, um die andere, aufsteigende Großmacht China
Wirtschaftssystem.   27                                        einzudämmen.
   Der amtierende US-Präsident hat schließlich noch ei-
nen weiteren innenpolitischen Grund für ein militärisches
Vorgehen: die anstehenden Kongresswahlen im Novem-
ber. Im Fall gezielter Luftschläge gegen den Iran kann
er mit dem „rally around the flag“-Effekt rechnen – also
damit, dass sich im Krisenfall seine Landsleute auch bei   Dr. Josef Braml ist USA-Experte der Deutschen Gesell-
Wahlen patriotisch hinter ihrem Präsidenten und Oberbe-    schaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Autor des Buches
fehlshaber stellen.                                       „Trumps Amerika – Auf Kosten der Freiheit“.

                                                                                               DGAPkompakt / Nr. 13 / Juli 2018
Russland auf Partnersuche im Osten: US-Sanktionen verfehlen ihr Ziel 7

   Anmerkungen
 1 Amber Phillips, Mueller’s indictment of 12             syria-missile-chemical.html> (abgerufen am         21 Bridges, China, Russia clinch natural gas supply
   Russians lands at a really awkward moment for          14.7.2018).                                           pact, 22.5.2014,  (abgerufen am                      Russlands neue Außen- und Sicherheitspolitik:      23 Am 24. August 2011 informierte der damalige
   14.7.2018).                                            Präsident Wladimir Putin verabschiedet sich von       russische Präsident Dmitri Medwedew die
 2 Isobel Thompson, Trump’s fear of a deep state          der liberalen Weltordnung, DGAPkompakt Nr.            erstaunten Journalisten über die Ergebnisse
   coup has become full-blown hysteria, in: Vanity        12, Juli 2018, S. 2,         13 Ausführlicher: Josef Braml, In der Sanktionsspi-      reas: „Wir haben unsere ausführenden Organe
   (abgerufen am 14.7.2018).                              rale, in: Handelsblatt, 12.2.2015, S. 48.             angewiesen, eine Kommission einzurichten, um
 3 Donald Trump zitiert in: Ashley Parker, Robert      14 So auch die Einschätzung von Joseph S. Nye, A         den spezifischen Rahmen für eine bilaterale
   Costa und Felicia Sonmez, Trump says he                Western strategy for a declining Russia, in: Pro-     Zusammenarbeit beim Gastransit durch die
   accepts U.S. intelligence on Russian interfe-          ject Syndicate, 3.9.2014,  (abgerufen am             Times, 20.5.2014, S. A1,  (abgerufen        24 John R. Bolton, To Stop Iran’s Bomb, Bomb Iran,
 5 Julie Pace, Trump acknowledges for first time          am 14.7.2018).                                        in: New York Times, 26.3.2015,  (abgerufen am               11.7.2018,               Was sind die Motive von Donald Trump?, Tages-
   Krieg führen“, in: Frankfurter Allgemeine              (abgerufen am 14.7.2018).                             spiegel, 26.5.2018,  (abgerufen am             An Eastern partnership in the making? European 26 In erster Linie sind Produzenten gefährdet, die
   14.7.2018).                                            Union Institute for Security Studies (EUISS),         nicht eigenes Kapital investieren, sondern sich
 7 Ausführlicher: Josef Braml, Das Politische System      Chaillot Paper No. 140, Dezember 2016,  (abgerufen             Forderungsausfälle nicht das Finanzsystem von
 8 Matt Flegenheimer und David E. Sanger,                 am 14.7.2018). Ausführlicher zu dieser Frage ein      Einzelstaaten oder gar wieder das US-Finanzsys-
   Congress reaches deal on Russia sanctions,             Literaturbericht von Hannes Adomeit, Russland         tem insgesamt gefährden. Die Bank für Internati-
   setting up tough choice for Trump, in: New             und China – auf dem Weg zur strategischen Part-       onalen Zahlungsausgleich schätzte bereits 2015,
   York Times, 22.7.2017,               sparks rift with Transneft, in: Financial Times,      2,5 Billionen Dollar im Jahr 2014. Die meisten
   (abgerufen am 14.7.2018).                              20.2.2014,  (abge-          Fracking-Industrie gemacht. Dietrich Domanski,
   Heather Stewart und Martin Chulov, Syria:              rufen am 14.7.2018).                                  Jonathan Kearns, Marco Jacopo Lombardi und
   US-Russia tensions build as Moscow hits back        19 Jane Perlez, China and Russia reach 30-year gas       Hyun Song Shin, Oil and Debt, Bank for Interna-
   at Trump’s Twitter threat, Guardian, 11.4.2018,        deal, in: New York Times, 21.5.2014,  (abgerufen am 14.7.2018).                 am 14.7.2018).                                     28 So schon Trumps Vorgänger Barack Obama, der
10 Neil MacFarquhar, In Moscow, a sense of             20 Alexey Miller, Russia and China signed the            diesen doch etwas abwertenden Begriff benutzte,
   relief after a limited Syria attack, in: New           biggest contract in the entire history of Gazprom,    um seinen russlandfeindlichen Kritikern im Kon-
   York Times, 14.4.2018,
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