User Experience und Experience Design - Konzepte und Herausforderungen

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User Experience und Experience Design –
Konzepte und Herausforderungen

                                Marc Hassenzahl                Kai Eckoldt                          Meinald T. Thielsch
                                Folkwang Hochschule            Folkwang Hochschule                  Universität Münster
                                Fachbereich Gestaltung         Fachbereich Gestaltung               Psychologisches Institut 1
                                Universitätsstrasse 12         Universitätsstrasse 12               Fliednerstr. 21
                                45141 Essen                    45141 Essen                          48149 Münster
                                marc.hassenzahl@folkwang-      kai.eckoldt@stud.uni-duisburg-       thielsch@uni-muenster.de
                                hochschule.de                  essen.de                             http://www.meinald.de

Abstract
In der Mensch-Technik Interaktion wird      Erlebnisse gezielt zu schaffen (oder         Keywords
"User Experience" (Nutzungserleben) oft     zumindest zu ermöglichen). Im Zent-
                                                                                         User Experience, Erleben, Experience
recht eng als eine vom Produkt ausge-       rum steht also das zu gestaltende Er-
                                                                                         Design
löste Bewertung des Benutzers verstan-      lebnis und nicht mehr das Produkt.
den. Den Begriffen „Erleben“ und "Er-       Dadurch ergibt sich eine Reihe von
lebnis" wird diese Sichtweise nicht ge-     Herausforderungen an "experience
recht, geht es doch dabei vielmehr um       design" und Gestalter. Zwei davon,
die Verknüpfung von Handeln, Fühlen,        nämlich die Kluft zwischen Bedürfnis
und Denken (in der Interaktion mit einem    und Produkt und die Rolle des zukünf-
Produkt) zu einem Ganzen. "Experience       tigen Benutzers, werden diskutiert.
Design" setzt sich nun zum Ziel,

                                            sche, ökologische) betont (siehe Schu-       sowohl in der Praxis als auch in der
1.0   Einleitung                            bert & Klein, 2006).                         Wissenschaft der Mensch-Technik-
    Was macht glücklicher: ein Konzert                                                   Interaktion breit akzeptiert (z.B. Law et
                                            Postmaterialistisches Konsumieren ist
des Lieblingsstars (Wert 60€) oder ein                                                   al., 2009).
                                            schon seit einiger Zeit ein Thema (z.B.
neues, cooles T-Shirt (Wert 60€)?           Hirschman & Holbrook, 1982). In letz-        Allerdings scheint es vom grundlegen-
Ersteres! wie van Boven und Gilovich        ter Zeit haben Pine und Gilmore              den Verstehen von Nutzungserleben zu
(2003) in mehreren, groß angelegten         (1999) in ihrem Buch "The Experience         seinem gezielten Gestalten noch ein
Studien zeigen konnten. Das Konzert ist     Economy" den Übergang von einer              weiter Weg. Ziel des vorliegenden Bei-
ein Erlebnis. Man kauft es mit der Inten-   güter- und serviceorientierten zu einer      trags ist es, einen Überblick aktueller
tion, es zu konsumieren, zu durchleben.     erlebensorientierten Ökonomie gefor-         Konzepte der "user experience" zu ge-
Das T-Shirt hingegen ist ein greifbarer     dert. Bei letzterem zahlen Kunden für        ben und exemplarisch zwei Herausfor-
Besitz, ein "Produkt". Man kann es tra-     die Gefühle bei dem Konsumerlebnis           derungen beim Übergang zum gezielten
gen (oder in den Schrank hängen). Er-       (sowie entsprechender Erinnerungen)          Gestalten von Erlebnissen (d.h. "expe-
lebnisse, so zeigen die Studien, machen     und nicht mehr für ein greifbares Gut.       rience design") zu diskutieren.
nicht nur insgesamt glücklicher als Pro-    Natürlich gibt es eine Reihe von Pro-
dukte, sie erscheinen den "Käufern"         duktkategorien und Wirtschaftszweige,        2.0    Was impliziert "Erleben"?
(zumindest im Nachhinein) auch als die      die scheinbar ganz selbstverständlich             Für einige im Bereich Mensch-
bessere Investition.                        erlebensorientiert sind. Beispiele sind      Computer-Interaktion ist "user experien-
Erlebnisse werden also im Vergleich zu      die Nahrungs-, Sport- oder Tourismus-        ce" nichts anderes als ein Synonym für
Produkten als wertvoller und freudvoller    industrie. Interaktive Produkte, beson-      Gebrauchstauglichkeit (vgl. z.B. die Kri-
beurteilt. Hier offenbart sich eine post-   ders wenn es dabei um Arbeitsmittel          tik von Wright & Blythe, 2007). Dies wird
materialistische Haltung, die dem mate-     geht, erschienen da zunächst als we-         dem Begriff des "Erlebens" nicht ge-
riellen Besitz insgesamt weniger Bedeu-     niger selbstverständlich. Dies hat sich      recht, denn Erleben hat einige zentrale
tung zuweist und dafür den Wunsch           in den letzten zehn Jahren entschei-         Eigenschaften, die von einem traditionel-
nach Erfüllung immaterieller, übergeord-    dend verändert. Erleben ist – zumin-         len Verständnis der Gebrauchstauglich-
neter Werte (z.B. emanzipative, ästheti-    dest als Begriff – in Form der "user         keit nur bedingt berücksichtigt werden.
                                            experience" (des Nutzungserleben)            Zunächst sind Erlebnisse per Definition

                                                                                                                                 233
subjektiv. Sie spielen sich "im Kopf" der         schreibung. Sie weisen auf einige                      Quelle und zentraler Aspekt des positi-
Benutzer ab, die damit zum eigentlichen           wichtige, grundlegende Aspekte des                     ven Erlebens.
Qualitätsmaßstab werden. Gebrauchs-               Erlebens hin. Allerdings umgehen sie
tauglichkeit wurde lange und wird auch            meist die Frage nach den Inhalten des
                                                                                                         4.0   Vom Produkt zum Erleben
heute noch als etwas Objektives ver-              Erlebens. Sie sprechen zwar von
standen. Es geht eben eher um die Effi-           "needs", "desires" und "emotions",                          Das Klären der persönlichen Bedeu-
zienz an sich als um ein Effizienzerleben         ohne allerdings zu detaillieren, welche                tung bestimmter Produktattribute – und
(was sich auch trotz objektiv niedriger           Bedürfnisse und Emotionen das sind.                    letztlich des ganzen Produkts – durch
Effizienz einstellen kann, da objektive           Allerdings spielen genau dies für das                  das Verbinden mit zugrundeliegenden
Merkmale und subjektives Erleben nur              Gestalten natürlich eine zentrale Rolle.               Bedürfnissen ist nicht neu. Mittel-Zweck-
lose gekoppelt sind). Erleben ist also ein                                                               Ketten (Reynolds & Olson, 2001) und
                                                  Inhaltsorientierten Ansätze (z.B. Jor-                 die Technik des "laddering" stellen,
psychologisches Phänomen, allerdings
                                                  dan, 2000; Hassenzahl et al., 2000;                    meist ausgehend vom konkreten Attri-
eben nicht im Sinne eines spezifischen
                                                  Gaver & Martin, 2000) fokussieren                      but, eine solche Verbindung her.
psychologischen Prozesses, sondern als
                                                  meist auf grundlegende psychologi-
die unteilbare Repräsentation gerade                                                                          Im Rahmen der Mensch-Technik-
                                                  sche Bedürfnisse. Sie gehen allesamt
bewusster Prozesse und Inhalte.                                                                          Interaktion ist diese Sichtweise aller-
                                                  davon aus, dass die Erfüllung solcher
McCarthy und Wright (2004) benennen               Bedürfnisse zu positiven Erleben und                   dings noch wenig verbreitet (eine Aus-
vier unterscheidbare "Fäden" der Erle-            Wohlbefinden führt. Kürzlich hat Has-                  nahme bildet das sogenannte "value-
bens: das Sinnliche, dass Emotionale,             senzahl (2008) in einer kleinen Studie                 centred design", z.B. Cockton, 2004). So
das Räumlich-zeitliche und das "Zu-               zu positiven Erlebnissen mit Techno-                   wird die Evaluation interaktiver Produkte
sammengesetzte". Die ersten beiden                logie einen klaren Zusammenhang                        fast ausschließlich produktorientiert be-
betonen die Zentralität der Sinne und             zwischen grundlegenden Bedürfnissen                    trieben (beispielsweise durch das Beur-
des Fühlens; die letzten beiden betonen           nach Autonomie, Kompetenz und Ver-                     teilen konkreter oder abstrakter Pro-
die Unteilbarkeit eines Erlebnisses und           bundenheit (Selbstbestimmtheitstheo-                   duktattribute) statt erlebensorientiert.
ganz besonders seine Dynamik (z.B.                rie, Ryan & Deci, 2000) und positiven                  Methoden, die eher auf das emotionale
Karapanos et al., 2009). Natürlich sind           Emotionen demonstriert. Eine unveröf-                  Erleben als Konsequenz der Produkt-
die Sinne und das Fühlen untrennbar               fentlichte Replikation mit mehr als 500                nutzung (z.B. Desmet, 2003) als auf die
verknüpft mit Denken und Handeln. Er-             Teilnehmern zeigt vergleichbare Er-                    Produkte selbst fokussieren sind hier ein
leben kann also als eine Art innerer              gebnisse mit den Bedürfnissen nach                     wichtiger Schritt. Prinzipiell sollte sich
Kommentar verstanden werden – ein                 Bedeutung, Verbundenheit, Kompe-                       "user experience" also bei der Evaluati-
kontinuierlicher Strom aus Denken,                tenz, Stimulation, Popularität und Si-                 on deutlich stärker auf die entstehenden
Handeln, Fühlen und Bewerten. Wird                cherheit. Positive Erlebnisse mit Tech-                Erlebnisse und ihre Merkmale konzent-
dieses Erleben zu einer in sich ge-               nologie sind, ebenso wie generelle                     rieren, als auf spezifische Attribute der
schlossenen, bedeutungsvollen Episode             Erlebnisse (Sheldon et al., 2001), ge-                 Produkte (Hassenzahl, 2008).
zusammengefasst, entsteht ein Erlebnis            kennzeichnet durch die Erfüllung eines
(vgl. Forlizzi & Battarbee, 2004). Solche         dieser Bedürfnisse. Ein Mobiltelefon,                  5.0   Vom Verstehen zum Gestalten
Erlebnisse geben unseren Handlungen               beispielsweise, macht uns unabhän-
Bedeutung, sie werden erinnert, kom-              gig, verbindet uns mit unseren Lieb-                        Im Rahmen der Evaluation, d.h.
                                                                                                         dem "Messen" von Bedürfnisbefriedi-
muniziert und wirken motivierend (oder            sten, demonstriert Stil oder kann Le-
abschreckend). Und natürlich können               ben retten. Es sind entsprechende                      gung, und dem "Verstehen" interaktiver
                                                                                                         Produkte, ist ein Modell, das positive
interaktive Produkte eine Rolle in diesen         Erlebnisse, die ein Produkt bedeu-
Erlebnissen spielen: als Auslöser oder            tungsvoll erscheinen lassen, es attrak-                Gefühle mit der Befriedigung universel-
Verstärker des Erlebens.                          tiv machen und Bindung erzeugen.                       ler Bedürfnisse verbindet und nachträg-
                                                                                                         lich den Zusammenhang zwischen ge-
                                                  Dementsprechend liegt es also nahe
                                                  beispielsweise von Kompetenz-, Sti-                    nerellen Bedürfnissen und spezifischen
3.0   Von der Struktur zum Inhalt                                                                        Attributen klärt, hilfreich. Im Rahmen der
                                                  mulations- oder Verbundenheitserleb-
     Erlebnisse sind komplex und Model-           nissen zu sprechen. Die Befriedigung                   Gestaltung, dem "experience design",
le, wie das von McCarthy und Wright               dieser Bedürfnisse ist sozusagen die                   ergeben sich hier allerdings Herausfor-
(2004), sind erste Ansätze für ihre Be-

234                    Brau H., Diefenbach S., Hassenzahl M., Kohler K., Koller F., Peissner M., Petrovic K., Thielsch M., Ullrich D., Zimmermann D. (Hrsg.)
                                                                                                                               Usability Professionals 2009
derungen, die von den verfügbaren Mo-            ner Hausschuhe, die warm werden,             gestalterische Prinzipien wie "So ein-
dellen nur bedingt adressiert werden.            sobald der Partner die Schuhe eben-          fach/effizient wie möglich" oder "Clever"
                                                 falls trägt, und die mit Sensoren, Vibra-    ansetzt. Die Haltung beeinflusst dabei
Zwei dieser Herausforderungen seien im
                                                 tion und Licht ausgestattet sind, so         nicht nur welche Informationen aus der
Folgenden diskutiert.
                                                 dass mit "Fußgesten" verschiedenen           Analyse letztendlich verwendet werden,
                                                 Emotionen kommuniziert und dann              sondern die ganze Art und Weise der
5.1   Kluft zwischen Bedürfnis und
      Gestaltung                                 vom empfangenden Schuh durch Vib-            Transformation.
                                                 ration oder Licht angezeigt werden
     Forschung zum Thema "Intime oder            können.                                      5.2   Tun, was der Kunde will?
romantische Kommunikation" im Bereich
der Mensch-Computer-Interaktion ver-             Gestalterisch könnten VIO und Com-                "Experience Design" versteht sich
deutlicht die große Kluft zwischen uni-          Slipper nicht unterschiedlicher sein.        als menschzentrierte Gestaltung. Aller-
versellen Bedürfnissen und konkreten             Dabei basieren sie aber auf einem            dings muss man sich als Gestalter der
Gestaltungslösungen. "Verbundenheit",            ähnlichen Verständnis von Erleben            Frage stellen, ob menschzentriert be-
das Gefühl, anderen Menschen nahe zu             und Bedürfnisbefriedigung und auf            deutet, alles zu machen, was Mensch
sein, ist ein zentrales soziales Bedürfnis       einem ähnlichen Satz grundlegender           will oder inwiefern der Gestalter nicht
(Ryan & Deci, 2000; Reiss & Haver-               Anforderungen an Verbundenheitser-           eher versuchen sollte, Einfluss auf das
camp, 1998). Natürlich kann man mit-             lebnisse. Allerdings macht es eben           Menschsein an sich zu nehmen. Die
einander telefonieren, aber der Wunsch           einen Unterschied, ob nach Möglich-          gängige Vorstellung benutzerzentrierter
nach "Verbundenheit" impliziert Dinge,           keiten für romantische Kommunikation         Gestaltung versteht den Gestalter als
die durch ein Telefonat nicht befriedigt         im Rahmen von "desktop computing"            einen "Übersetzer" der Ergebnisse aus
werden können, wie z.B. der Wunsch               oder im heimischen Wohnzimmer ge-            Nutzungskontextanalysen in möglichst
nach einem (kontinuierlichen) Präsenz-           sucht wird. Spezifische Merkmale des         passende Produkte. Der Benutzer wird
gefühl und dem Bedarf nach wiederhol-            Kontextes und der in diesem Kontext          dabei als "Experte" verstanden, der am
tem, emotionalem Ausdruck (z.B. Kaye             verfügbaren bzw. anwendbaren Tech-           besten weiß, was er braucht und
et al., 2005). Verbundenheitserlebnisse          nologien spielen eine entscheidende          wünscht. Der Gestalter nimmt also eine
haben also ihre ganz eigenen Anforde-            Rolle. Die Aufgabe des Gestalters ist        "dienende Rolle" gegenüber dem Benut-
rungen, und interaktive Produkte können          es also, universelle Bedürfnisse in          zer ein.
diese Anforderungen mehr oder weniger            einem spezifischen Kontext zu befrie-        "Experience Design" betont zwar auch
gut abdecken.                                    digen – sozusagen Bedürfnisse zu             die Notwendigkeit der empirischen Ana-
                                                 kontextualisieren, zu "situieren", um so     lyse, allerdings ist seine Haltung eher
Vergleicht man allerdings konkrete, ex-          Erlebnisse gezielt zu erzeugen.
perimentelle Produkte aus diesem Be-                                                          eine präskriptive, d.h. vorgebende oder
reich, fällt sofort die hohe Variabilität auf.   Die Brücke zwischen Bedürfnis und            sogar vorschreibende. Dies kann bedeu-
Kaye und Kollegen (2005), beispielswei-          Kontext spannt weit und ist zerbrech-        ten, dass der Gestalter sogar gegen
se, gestalteten eine kleine Schaltfläche         lich. Generelle ästhetische Prinzipien       etablierte Prinzipien der benutzerzent-
in der Task-Leiste von Windows, das              des Gestalters, d.h. seine "gestalteri-      rierten Gestaltung handelt. Er stellt sich
"virtual intimate object" (VIO). Die In-         sche Haltung", werden dabei zu einer         über den Benutzer, in dem er mit seinen
struktion ist einfach: Denkt man an den          wichtigen Stütze. Im Rahmen der              Produkten bewusst Handlungsmöglich-
geliebten Menschen, soll man diesen              Mensch-Technik-Interaktion wird diese        keiten ausschließt oder einschränkt, um
Schaltfläche klicken. Sie wird dann beim         Haltung kaum beachtet. Man nimmt             so ein bestimmte Erlebnis zu erzeugen.
Partner rot eingefärbt, verblasst aber mit       an, dass Gestaltungsprobleme auf der         Gaver und Kollegen (2004) demonstrie-
der Zeit. Der Partner hat die gleiche            Basis einer Analyse des Nutzungskon-         ren das an ihrem Drift Table. Der Drift
Funktionalität zur Verfügung. Kaye ar-           textes (im "experience design" des           Table ist ein Couchtisch, mit einem
gumentiert, dass diese einfache Anwen-           Bedürfnisses und seiner Kontextuali-         Guckloch in der Mitte. Schaut man durch
dung alle notwendigen Merkmale für               sierung) eindeutig zu lösen sind. Ge-        das Loch, sieht man einen Bildschirm,
eine emotionale, intime Kommunikation            stalterische Haltung wird als zu subjek-     der Luftaufnahmen von Großbritannien
hat. Im Gegensatz dazu stehen Entwür-            tiv erlebt. Dabei wird auch für die tradi-   zeigt. Man beginnt seine Reise über
fe wie die ComSlipper (Chen et al.,              tionelle Usability recht schnell deutlich,   dem eigenen Wohnort und kann dann
2006), zwei Paar miteinander verbunde-           dass all die Analyseergebnisse nicht         durch Druck auf den Tisch mit einer ma-
                                                 unbedingt helfen, solange man nicht

                                                                                                                                235
ximalen Geschwindigkeit von 50 km/h in             Schritt abzukürzen und einfach die                     her eher im Sinne psychologischer
alle Himmelsrichtungen "reisen". Natür-            ganze Musiksammlung mitzunehmen.                       Ratschläge verstanden und gestaltet
lich kann man sich die "nützliche" Funk-           Allerdings entsteht dann ein Auswahl-                  werden. Der Gestalter hofft auf die Ein-
tion vorstellen, bestimmte Orte direkt             problem in der sozialen Situation, das                 sicht, das Verstehen des Benutzers. Ob
anzuspringen (eine Funktion, die von               dem eigentlichen Erlebnis im Wege                      dies gelingt oder nicht ist eine Frage von
Benutzern durchaus gewünscht wurde).               steht.                                                 empirischer Evaluation und Exploration.
Allerdings ginge dabei das Gefühl für
                                                   In einem weiteren aktuellen Kurs zum
Entfernungen und damit auch das Rei-
                                                   "experience design" am Fachbereich                     6.0   Schluss
segefühl verloren. Gaver verweigert also
                                                   Gestaltung der Folkwang Hochschule                          "User experience" und "experience
Funktionalität, um den Benutzer in ein,
                                                   haben sich Studierende mit dem The-                    design" ist eine etwas andere Art über
aus Sicht des Gestalters erstrebenswer-
                                                   ma Sehnsucht beschäftigt. In diesem                    Produkte und ihre Gestaltung nachzu-
tes, Erlebnis zu "zwingen".
                                                   Rahmen entwickelten Bernhard Meyer,                    denken. Allerdings ist es vom Verstehen
Ein anderes Beispiel ist ein mp3-Player-           Benedikt Neuhäuser und Sergej Nej-                     und Messen zum Gestalten ein weiter
konzept, das Anna Maria Kuperski, Nora             man ein "Erinnerungsarmband", eine                     Weg. Zwei Herausforderungen haben
Helms und Simon Pfarr, Studierende der             kleine, am Handgelenk zu tragende                      wir in vorliegendem Beitrag diskutiert.
Folkwang Hochschule, für die Philips               Kamera, die Fotos macht und diese                      Zum einen müssen systematische Wege
Creative Challenge entwickelt haben                gleichzeitig per GPS "verortet". Anders                gefunden werden, allgemeines Wissen
(siehe http://tinyurl.com/klggbd). Ziel            als bei bereits existierenden Produk-                  über Emotionen, Bedürfnisse, Erlebnis-
dieses Players ist ein gemeinsames                 ten, kann man sich hier allerdings kei-                se mit dem spezifischen Kontext der
Musikerlebnis. Dazu wird vor einem                 ne google map mit Bildern verzieren.                   durch die Gestaltung adressierten Hand-
Treffen mit Freunden Lieblingsmusik auf            Vielmehr sieht das Konzept vor, dass                   lungen oder Produkte in Verbindung zu
den Player geladen. Der Player spielt              die gemachten Bilder nur angeschaut                    bringen. Letztendlich ist es die Aufgabe
diese nur ab, wenn sich ein anderer                werden können, wenn man sich am                        des Gestalters, Bedürfnisse zu kontex-
Player in der Nähe befindet. In diesem             Ort ihrer Entstehung befindet. Dieses                  tualisieren.
Fall wird die kombinierte Playlist aller           Produkt bricht mit der "Nützlichkeit",
vorhandenen Player abgespielt. Nach                um seine Benutzer dazu zu "zwingen",                   Dabei muss aus unserer Sicht mehr
intensiver Auseinandersetzung mit dem              Orte, mit denen Erlebnisse, die als                    Wert auf das explizite Formulieren zu-
zu gestaltenden Erlebnis, wurde schnell            dokumentationswürdig erachtet wur-                     grundeliegender gestalterischer Prinzi-
deutlich, dass Einschränkungen der                 den, verbunden sind, wieder aufzusu-                   pien gelegt werden. Gestaltungsprinzi-
Funktionalität entweder kritisch für das           chen. Zugrunde liegt die Idee, dass die                pien sind immer normativ. Sie sind mehr
Konzept sind oder zumindest das Poten-             Kombination von früherer Erinnerung                    oder weniger willkürliche Setzungen des
tial zur Verstärkung des Erlebnisses               mit dem realen Ort zu einem Erlebnis                   Gestalters, die aber das Gestaltungser-
haben. Die Tatsache, dass der Player               führt, das sich vom normalen Konsum                    gebnis stark beeinflussen. Daher sollten
Musik nur dann abspielt, wenn ein ande-            von Fotografien unterscheidet.                         sie gut überlegt sein. Trotzdem darf aber
rer Player in unmittelbarer Nähe ist, ist                                                                 nicht die Frage nach "richtigen" oder
                                                   Diese Beispiele konfrontieren Benutzer                 "falschen" Prinzipien im Vordergrund
eine solche kritische Entscheidung, Sie
                                                   mit der "Utopie" des Gestalters. Sie                   stehen, sondern eher die Frage, ob
schränkt allerdings die "Nützlichkeit" ein.
                                                   verweigern sich dem oberflächlichen                    Prinzipien in einem Entwurf auch strin-
Auch haben sich die Studierenden ge-
                                                   Nachgeben, der Anbiederung an Be-                      gent angewendet werden und inwiefern
gen ein Display zur Anzeige des aktuel-
                                                   nutzerwünsche, um so ein noch bes-                     sie nützlich, d.h., generativ und inspirie-
len Titels entschieden, da die Frage
                                                   seres Erlebnis zu erzeugen. Die Her-                   rend sind.
"Was läuft da gerade?" ein hohes Poten-
                                                   ausforderung für den Gestalter besteht
tial zur Verstärkung des sozialen Erleb-                                                                  Anhand einer Reihe von Beispielen ha-
                                                   darin sich seiner Utopie bewusst zu
nisses hat. Ein weiteres Beispiel wäre                                                                    ben wir gezeigt, dass es notwendig sein
                                                   werden und diese klar zu definieren
die Einschränkung des Speicherplatzes.                                                                    kann, die Nützlichkeit eines Produktes
                                                   und zu verargumentieren. Auch muss
Tatsächlich funktioniert das Konzept nur,                                                                 zu beschneiden, um spezifische Erleb-
                                                   der Gestalter das richtige Maß an Kon-
wenn der Benutzer sich die Mühe                                                                           nisse zu erzeugen. Dieses "utopische"
                                                   trolle finden. Er kann zwar den Benut-
macht, für das geplante Treffen ange-                                                                     Vorgehen ist im Bereich der Gestaltung
                                                   zer bei der Nutzung in ein „Erlebnis“
messene Musik auszuwählen. Bei 100                                                                        eigentlich nichts Neues. Allerdings ist
                                                   zwingen. Die Nutzung selbst kann er
GB wäre die Versuchung groß, diesen                                                                       Design im kommerziellen Kontext immer
                                                   nicht erzwingen. Produkte sollten da-

236                     Brau H., Diefenbach S., Hassenzahl M., Kohler K., Koller F., Peissner M., Petrovic K., Thielsch M., Ullrich D., Zimmermann D. (Hrsg.)
                                                                                                                                Usability Professionals 2009
wieder mit den sogenannten "Anforde-              C. Wright (Eds.), Funology: From Usability      Karapanos, E., Zimmerman, J., Forlizzi, J., &
rungen der Kunden" konfrontiert. Utopi-           to Enjoyment (pp. 111-124). Dordrecht:          Martens, J.-B. (2009): User experience over
sches, normatives Gestalten wird so –             Kluwer.                                         time: an initial framework. In Proceedings of
                                                                                                  the CHI 09 Conference on Human Factors in
außerhalb des universitären Rahmens –             Djajadiningrat, J. P., Overbeeke, C. J., &
                                                                                                  Computing Systems (pp. 729-738). New
ein schwieriges Unterfangen. Hier sollte          Wensveen, S. A. G. (2000): Augmenting
                                                                                                  York: ACM.
man auf der Ebene der Entscheider die             Fun and Beauty: A Pamphlet. In Proceed-
Überzeugung überdenken, dass jeder                ings of DARE 2000: Designing Augmented          Kaye, J., Levitt, M. K., Nevins, J., Golden, J.,
                                                  Reality Environments. (pp. 131-134). New        & Schmidt, V. (2005): Communicating inti-
Wunsch des Kunden erfüllt werden
                                                  York: ACM.                                      macy one bit at a time. In Proceedings of the
muss. Vielmehr ist es die Aufgabe des
                                                                                                  CHI 05 Conference on Human Factors in
Herstellers und damit auch der Gestal-            Forlizzi, J. & Battarbee, K. (2004): Under-
                                                                                                  Computing Systems. Extended abstracts (pp.
ter, Erlebnisse zu ermöglichen, die so            standing experience in interactive systems.
                                                                                                  1529-1532). New York: ACM.
vom Kunden eben noch nicht erlebt                 In Proceedings of the 2004 conference on
                                                  Designing interactive systems (DIS 04):         Law, E., Roto, V., Hassenzahl, M., Ver-
wurden. Dazu ist Psychologie und ein
                                                  processes, practices, methods, and tech-        meeren, A., & Kort, J. (2009): Understanding,
fundiertes, empirisch gestütztes Ver-             niques ( New York: ACM.                         scoping and defi-ning User eXperience: A
ständnis des Nutzungskontextes not-                                                               survey approach. In Proceedings of the CHI
wendig. Falsch ist es, Kundenwünsche              Gaver, W. W., Bowers, J., Boucher, A.,
                                                                                                  09 Conference on Human Factors in Comput-
                                                  Gellerson, H., Pennington, S., Schmidt, A.
ohne weitere Transformation in Gestal-                                                            ing Systems. (pp. 719-728). New York: ACM.
                                                  et al. (2004): The drift table: designing for
tung zu übertragen.
                                                  ludic engagement. In Proceedings of the         McCarthy, J. & Wright, P. C. (2004): Technol-
"User experience" und "experience de-             CHI 04 Conference on Human Factors in           ogy as Experience. Cambridge, USA: MIT
sign" haben das Potential für Innovation          Computing Systems. Extended abstracts           Press.
                                                  (pp. 885-900).
und humanere, postmaterialistische                                                                Pine, J. & Gilmore, J. (1999): The Experience
Produkte. Welche Bedürfnisse, wie be-             Gaver, W. W. & Martin, H. (2000). Alterna-      Economy. Boston: Harvard Business School
friedigt werden können, welche Prinzi-            tives. Explo-ring Information Appliances        Press.
pien, Prozesse und Methoden dabei zur             through Conceptual Design Proposals. In
                                                                                                  Reiss, S. & Havercamp, S. M. (1998): Toward
                                                  T.Turner & G. Szwillus (Eds.), Proceedings
Anwendung kommen sollen, ist noch                                                                 a comprehensive assessment of fundamental
                                                  of the CHI 2000 Conference on Human
eine offene, aber stimulierende, interes-                                                         motivation: Factor structure of the Reiss Pro-
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sante und herausfordernde Frage.                                                                  files. Psychological Assessment, 10, 97-106.
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