Verfassungsprobleme des italienischen Par-teienrechts
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MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2 Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts Aufsätze Verfassungsprobleme des italienischen Par- Heute wird nach der herrschenden Lehre dem Be- teienrechts griff „demokratische Methode“ auch ein Gebot der 6 innerparteilichen Demokratie entnommen . Dies liegt zum einen an der Veränderung des ursprüngli- Edoardo Caterina1 chen politischen Kontextes, der eine evolutive Aus- legung zulässt7, und zum anderen an einer an diesen 1. Verfassungsrechtliche Grundzüge des italieni- Verfassungswandel angepassten, stärker am Wort- schen Parteienrechts laut der Vorschrift orientierten Interpretation, der nicht (wie Art. 21 GG) die Parteien, sondern die Artikel 49, der Parteienartikel der italienischen Ver- Staatsbürger zum Anknüpfungspunkt der Regelung fassung (Costituzione – abgekürzt Cost.), ist ein ver- macht. Dass die Mitwirkung der Bürger an der „Aus- fassungshermeneutisches Rätsel. Er lautet: „Alle richtung der Staatspolitik“ auf demokratische Weise Staatsbürger haben das Recht, sich frei in Parteien erfolgen muss, bedeutet nach heute vorherrschendem zu organisieren, um in demokratischer Weise an der Verständnis zwangsläufig, dass sich die Bürger de- Ausrichtung der Staatspolitik mitzuwirken“2. Zahllos mokratisch in Parteien organisieren und, auf diese sind die Seiten, die über die Auslegung dieser zwei- Weise gruppiert, demokratisch um die Durchsetzung deutigen Formulierung geschrieben wurden. Gestrit- ihrer politischen Vorstellungen konkurrieren müs- ten wurde im Kern um die Bedeutung der Worte sen. „con metodo democratico“ („in demokratischer Wei- se“; wörtlich: „mit demokratischer Methode“). Zu- Zum Verständnis des Art. 49 Cost. hat der italieni- sammengefasst stehen sich zwei Meinungen gegen- sche Verfassungsgerichtshof (Corte costituzionale) über. Der einen Ansicht nach bezieht sich die „de- nie klärend Stellung genommen. Tatsächlich hat sich mokratische Methode“ nur auf den Wettbewerb un- der Verfassungsgerichtshof ohnehin kaum mit politi- ter den Parteien und soll als bloßes Verbot der Ge- schen Parteien und Parteienrecht befasst. Aus deut- walt in der Politik verstanden werden3. Nach anderer scher Perspektive mag dieses Schweigen überra- Ansicht findet dieses Demokratiegebot auch auf die schen. Die Gründe dafür liegen hauptsächlich in der innere Ordnung der politischen Parteien Anwen- unterschiedlichen Struktur der Verfassungsgerichts- dung, ähnlich wie bei Art. 21 I 3 GG4. barkeit. Erstens dürfen in Italien die politischen Par- teien nicht im Rahmen des Organstreitverfahrens Die Entstehungsgeschichte des Art. 49 zeigt5, dass („conflitto di attribuzione tra poteri dello Stato“ – diese in der interpretationsoffenen Formulierung an- vgl. Art. 134 Cost.) klagen, da sie, wie der Verfas- gelegte Zweideutigkeit schon von den italienischen sungsgerichtshof ausgeführt hat, nicht als Staatsge- Verfassungsvätern und -müttern bemerkt wurde und walten („poteri dello Stato“) zu betrachten seien, trotzdem ungelöst blieb. Vor allem die Furcht der sondern als „Organisationen der Zivilgesellschaft“8. linken Parteien (Kommunisten und Sozialisten) vor Zweitens kennt das italienische System weder die In- einer staatlichen Kontrolle ihrer Tätigkeiten führte dividualverfassungsbeschwerde noch die abstrakte zu einem informellen Übereinkommen, nach dem Art. 49 Cost. nicht als verfassungsrechtliche Grund- 6 Siehe vor allem die Referate und Diskussionen auf der Ta- lage eines italienischen Parteiengesetzes dienen gung der Vereinigung der italienischen Verfassungsrechtler durfte. vom 17. und 18. Oktober 2008: Associazione Italiana dei Costituzionalisti, Annuario 2008. Partiti politici e società 1 Dr. Edoardo Caterina ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der civile a sessant’anni dall’entrata in vigore della Costituzione, Università degli studi di Macerata. 2009. Unter den neueren monographischen Studien, die diese 2 Auslegung des Art. 49 Cost. unterstützen, sind folgende zu er- „Tutti i cittadini hanno diritto di associarsi liberamente in wähnen: F. Scuto, La democrazia interna dei partiti: profili partiti per concorrere con metodo democratico a determinare costituzionali di una transizione, 2018; L. Gori, Le elezioni la politica nazionale“. primarie nell'ordinamento costituzionale, 2018. 3 So z.B.: A. Predieri, I partiti politici, in: Calamandrei/Levi, 7 So z.B. A. Ruggeri, Note minime in tema di democrazia inter- Commentario sistematico alla Costituzione italiana, 1950, na ai partiti politici, in: Rivista AIC 2010, online abrufbar un- S. 171 ff. ter https://www.rivistaaic.it/images/rivista/pdf/RUGGERI%20 4 Vgl. z.B.: V. Crisafulli, I partiti nella Costituzione, in: Studi per%20Segovia%20pdf.pdf (letzter Abruf 20.07.2021). per il ventesimo anniversario dell’Assemblea costituente, 8 Vgl. Corte costituzionale, ordinanza n. 79 del 2006; ordinanza Bd. 2, 1969, S 107 ff. n. 120 del 2009; ordinanza n. 196 del 2020. S. dazu: P. Ridola, 5 P. Ridola, Partiti politici, Enc. Dir., XXXII (1982), S. 66 ff. La legittimazione dei partiti politici nel conflitto di attribuzione (109 ff.); E. Caterina, Die Ursprünge des Art. 21 GG: die fra poteri dello Stato: organamento dei soggetti del pluralismo Idee der Parteiregulierung in Verfassungsdebatten der Nach- o razionalizzazione dei principi costituzionali del processo kriegszeit, in: MIP 2019, 60 ff. (72 f.). politico?, in: Giurisprudenza costituzionale 2006 (1), S. 668 ff. doi:10.24338/mip-2021125-133 125
Aufsätze Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2 Normenkontrolle. Drittens ist die Wahlprüfung ge- ben. Aus Art. 49 Cost. ableitbar ist der Status der äu- mäß Art. 66 Cost. ausschließlich dem Parlament ßeren sowie der inneren Freiheit der Parteien, der – überlassen9. Es bleibt nur die Möglichkeit einer kon- jedenfalls der herrschenden Auslegung des Begriffs kreten Normenkontrolle („controllo incidentale“), der „demokratischen Methode“ folgend – auch ein bei der viertens und letztens aber der Verfassungsge- Gebot innerparteilicher Demokratie umfasst; den richtshof die Verfassungsmäßigkeit nur von Geset- Status der Gleichheit gewinnt man aus Art. 49 Cost. zen und Akten mit Gesetzeskraft (decreti legislativi, in Verbindung mit Art. 3 Cost. (Gleichheitsgrund- decreti legge) prüfen darf: Daher fehlt ohne ein Par- satz); der Status der Öffentlichkeit kann als funktio- teiengesetz der Stoff für eine Verfassungsrechtspre- nal für die innere Demokratie bzw. Freiheit angese- chung über die politischen Parteien. hen werden und steht in logischem Zusammenhang mit den öffentlichen Aufgaben, die den Parteien ver- Die italienische Verfassung enthält, anders als das fassungsrechtlich zugewiesen sind. deutsche Grundgesetz, kein allgemeines Parteiver- bot. Häufig wird daraus gefolgert, dass Italien keine 2. Gesetzliche Regulierung der politischen Parteien streitbare Demokratie (oder in italienischer Termino- logie: „geschützte Demokratie“ – democrazia pro- Auch wenn ein italienisches „organisches“ Parteien- tetta) sei. Das ist so aber nicht ganz korrekt: In den gesetz fehlt, sind die Parteien in Italien von unter- „Übergangs- und Schlussbestimmungen“ (Disposi- schiedlichen Vorschriften teilweise reguliert, die in zioni transitorie e finali – abgekürzt disp. trans.) der einer zersplitterten Gesetzgebung zu finden sind. Costituzione wird „die Neubildung der aufgelösten Das Gesetzesdekret Nr. 149/2013 (decreto legge n. faschistischen Partei“ (XII disp.trans.) verboten. 149 del 2013 – abgekürzt GD Nr. 149/2013) stellt Zwar ist die Bestimmung von den Verfassungsvätern die wichtigste Rechtsgrundlage dar. Damit hat der und -müttern eher als symbolische Abkehr von der Gesetzgeber die direkte staatliche Parteienfinanzie- Vergangenheit denn als normatives Gebot konzipiert rung abgeschafft und den Parteiensatzungen die Ein- worden. Nichtsdestoweniger hat das sogenannte haltung minimaler demokratischer Grundsätze aufer- Scelba-Gesetz (legge n. 645 del 1952) die Über- legt12. Überblicksartig lassen sich die Inhalte des Ge- gangsbestimmung streng umgesetzt und ein Partei- setzesdekretes wie folgt zusammenfassen: Parteien verbotsverfahren auf einfachgesetzlicher Ebene aus- werden verpflichtet, eine Satzung mit bestimmten gestaltet. Im Unterschied zu Deutschland liegt dieses Inhalten zu haben und ihre Rechenschaftsberichte zu Parteiverbotsverfahren in Italien aber nicht in der veröffentlichen. Eine unabhängige Verwaltungsbe- Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs. Es wäre hörde, die Commissione di garanzia degli statuti e sogar möglich, dass die Regierung einfach durch ein per la trasparenza e il controllo dei rendiconti dei Gesetzesdekret die „neo-faschistische“ Partei auf- partiti politici (abgekürzt CRP)13, prüft, ob die Sat- löst10. Die Hürden für ein Verbot der Neubildung der zungen den gesetzlichen Verpflichtungen entspre- aufgelösten faschistischen Partei sind also deutlich chen. Nur Parteien, deren Satzungen die gesetzlichen niedriger, so dass jedenfalls unter diesem Gesichts- Voraussetzungen erfüllen, werden von der CRP in punkt die italienische Demokratie als noch „streitba- das „Register der politischen Parteien“ eingetragen rer“ als die Deutsche bezeichnet werden kann. und haben Anspruch auf die indirekte staatliche Par- Abgesehen von diesen Besonderheiten der italieni- teienfinanzierung. Das GD Nr. 149/2013 hat darüber schen Verfassungsordnung entsprechen die für die hinaus die Transparenzpflichten der Parteien deut- Parteien geltenden Verfassungsprinzipien allerdings lich gestärkt und eine Obergrenze für Spenden von im Wesentlichen denen in Deutschland und lassen 100.000 Euro pro Jahr und Spender eingeführt. sich mit der berühmten Statuslehre von Konrad Hes- Das GD Nr. 149/2013 kann jedoch nicht als ein „ech- se11 auch im italienischen Kontext sehr gut beschrei- tes“ Parteiengesetz angesehen werden. In Bezug auf 9 „Jede Kammer befindet über die Zulassungsberechtigung ih- 12 Vgl. dazu in deutscher Sprache: A. De Petris, Wieder am Ziel rer Mitglieder und über die nachträglich eingetretenen Gründe vorbei? Aktueller Stand und neue Entwicklungen der Partei- der Nichtwählbarkeit und Unvereinbarkeit“. Es sei daran erin- enfinanzierung in Italien, in: MIP 2015, S. 101. Allgemein nert, dass in Deutschland die Wahlprüfung dem BVerfG die über die neue Parteienfinanzierung in Italien siehe: G. Tarli Gelegenheit gegeben hat, wichtige Urteile zum Parteienrecht Barbieri, F. Biondi, Il finanziamento della politica, 2016. zu fällen. Vgl. z.B.: BVerfGE 89, 243. 13 10 Es handelt sich um eine Kommission, die aus 5 Mitgliedern Vgl. Art. 3, legge n. 645 del 1952. besteht, von denen 3 Richter des Rechnungshofes (Corte dei 11 Vgl. K. Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politi- conti), 1 Richter des Kassationsgerichtshofes (Corte suprema schen Parteien im modernen Staat (Bericht), in: VVDStRL di cassazione) und 1 Richter des Consiglio di Stato (Obersten 1959, S. 11 ff. Verwaltungsgerichts) sind. 126 doi:10.24338/mip-2021125-133
MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2 Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts Aufsätze die innerparteiliche Demokratie enthält es keine nen Seite wurden die Pflichten der Parteien erhöht, zwingenden Vorschriften, die unmittelbar Einfluss während auf der anderen Seite die Anreize zur auf die innere Ordnung der Parteien nehmen könn- Durchsetzung dieser Pflichten beseitigt wurden. An- ten. Erstens, weil nur die Parteien, die die indirekte dererseits war dieser Widerspruch in gewisser Weise öffentliche Finanzierung in Anspruch nehmen wollen, notwendig: Wenn der Gesetzgeber sich für ein Fi- die gesetzlichen Anforderungen an ihre Satzungen nanzierungssystem entscheidet, das auf privaten Bei- erfüllen müssen. Die MoVimento 5 Stelle (abgekürzt trägen beruht, kann er nicht umhin, sich um eine M5S), die öffentliche Gelder programmatisch ab- größtmögliche Transparenz dieser Beiträge zu bemü- lehnt, ist eine „nicht registrierte Partei“ und ihre Sat- hen, auch wenn er weniger Instrumente zur Verfü- zung unterliegt nicht der Kontrolle durch die CRP gung hat, um die Parteien zur Transparenz zu bewe- (sie ist jedoch verpflichtet, ihren jährlichen Rechen- gen. Das grundsätzliche Problem des GD Nr. schaftsbericht einzureichen). Zweitens sind die Ge- 149/2013 besteht vielmehr in dem mangelhaften setzesvorschriften über Parteisatzungen sehr vage und Aufsichtssystem und den zahlreichen Schlupflö- laufen im Wesentlichen darauf hinaus, dass über die chern, die ebenso viele „Fluchtwege“ aus den Trans- bloße Verpflichtung zur Regelung bestimmter Fragen parenzanforderungen bieten. hinaus der Satzungsautonomie der Parteien kaum wei- Insbesondere hat der Gesetzgeber es bei Erlass des tergehende inhaltliche Vorgaben gemacht werden. GD versäumt, auch die zahlreichen partei- und poli- So müssen die Parteien etwa in ihren Satzungen „die tiknahen Stiftungen und Vereinigungen den für Par- Häufigkeit der nationalen oder allgemeinen Partei- teien geltenden Transparenzanforderungen zu unter- tage“ (Art. 3, Abs. II) festlegen, es gibt aber keinen werfen. In der Folge war ein Trend zur Vermehrung Höchstzeitraum zwischen den Parteitagen wie im solcher Einrichtungen (Think-tanks, Stiftungen usw.) deutschen Parteiengesetz (vgl. § 9 Abs. 1 PartG). Die zu verzeichnen, wobei das Gesamtergebnis die Parteien müssen zwar auch „die Verfahren für die Schaffung einer großen Anzahl „politischer Sonder- Auswahl der Kandidaten für die Wahl der Mitglieder vermögen“ war, die keiner Transparenzpflicht unter- des Parlaments“ (ebd.) bestimmen: Ob das Auswahl- lagen und an die Bedürfnisse einzelner Politiker oder verfahren als Mitgliederabstimmung, als Beschluss ei- innerparteilicher Gruppierungen gebunden waren. ner Delegiertenversammlung, als Entscheidung einer Zwischen 2015 und 2017 gab es mindestens 108 sol- Einzelperson oder als Schönheitswettbewerb ausge- cher „Nebenorgane“ von Parteien; 90 % von ihnen staltet wird, bleibt aber der Parteisatzung überlassen. haben nie über die Herkunft ihrer Mittel Rechen- Schließlich ist zweifelhaft, ob eine „Top-Down“- schaft gegeben und nur in 6 Fällen wurden die Na- Kontrolle von Parteisatzungen wirklich sicherstellt, men von (einigen) Geldgebern offengelegt. Hier sind dass demokratische Standards auch in der Praxis tat- echte „black boxes“ entstanden, die nicht nur die Fi- sächlich eingehalten werden: Diese Form der Kon- nanzierungsquellen völlig undurchsichtig machten, trolle innerparteilicher Demokratie nährt die Be- sondern auch zur Schwächung und Zersplitterung fürchtung, dass sich Parteien ermutigt sehen, ledig- des Parteiensystems beitrugen. Und hierin liegt das lich gut formulierte Satzungen zu erstellen. eigentliche Paradoxon: Ein Gesetz, das darauf ab- Aber nicht nur für die Fragen innerparteilicher De- zielte, „den Bürgern eine zentrale Rolle bei der Fi- mokratie, auch darüber hinaus leidet die normative nanzierung der Parteien zu geben“15 und somit die Kraft des GD Nr. 149/2013 unter einem allgemeinen Parteien selbst zu stärken, indem es sie besser in der „strukturellen Mangel“. Es fehlt an einem starken re- Zivilgesellschaft verwurzelt, hatte den gegenteiligen gulatorischen Hebel, mit Hilfe dessen das Recht die Effekt, die Parteien weiter zu schwächen und ihren Wirklichkeit gestalten könnte. Dieser wäre durch Mitgliedern jegliche mögliche Kontrolle über die eine ins Gewicht fallende öffentliche Finanzierung Parteifinanzen zu entziehen. Eine erste bittere Lehre, gegeben, deren Fehlen hat aber zu einem System ge- die aus den Folgewirkungen des GD Nr. 149/2013 führt, das die Einhaltung der gesetzlich auferlegten gezogen werden kann, ist, dass eine vollständige Un- Verpflichtungen nicht effektiv gewährleisten kann. durchsichtigkeit einer schlecht gestalteten Transpa- Unter diesem Blickwinkel ist der Standpunkt derje- renz vorzuziehen ist. nigen, die das GD Nr. 149/2013 als widersprüchli- Der Gesetzgeber hat versucht, die eben aufgezeigten che Operation betrachten14, nicht falsch: Auf der ei- Probleme zu beheben. Das GD Nr. 149/2013 wurde 14 So: F. Biondi, Il finanziamento dei partiti italiani: dall’intro- durch das Gesetz Nr. 3/2019 (legge n. 3 del 2019) duzione del finanziamento pubblico alla sua abolizione, in: geändert, das sich insbesondere mit dem Thema po- Tarli Barbieri/Biondi (Hrsg.), Il finanziamento della politica, 15 2016, S. 50 ff. So steht es in der Präambel des GD Nr. 149/2013. doi:10.24338/mip-2021125-133 127
Aufsätze Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2 litische Stiftungen und Parallelaktionen befasst16. tenkammer war, grundsätzlich kein Statut. Aber diese Die Lösung ist einfach: Wer einer Partei besonders „innere Gesetzlosigkeit“ sollte der „Nicht-Partei“ bald nahesteht oder Parallelaktionen durchführt, unter- zum Verhängnis werden. Diese internet-assembled liegt den gleichen Transparenzpflichten wie Partei- Partei, die weder eine klare Weltanschauung noch en. Jede Vereinigung oder jede Stiftung, a) deren starke assoziative Bindungen hatte, war bald mit un- Vorstand durch Beschlüsse einer Partei auch nur zähligen internen Unstimmigkeiten und Spaltungen teilweise bestimmt wird oder b) deren Vorstand Po- konfrontiert, die auch in Gerichtsverfahren ausgetra- litiker oder ehemalige Politiker angehören17 oder c) gen wurden. Und ohne eine innere rechtliche Ord- die Leistungen zugunsten einer Partei oder eines Po- nung müsste ein staatliches Gericht im Streitfall aus- litikers im Wert von mindestens 5.000 € pro Jahr er- schließlich nach staatlichem Recht entscheiden. Wie bringt, unterliegt daher den Transparenzpflichten unschwer zu erahnen war und ist, waren es vor allem (und damit auch der Pflicht zur Veröffentlichung der Parteiausschlussverfahren (dazu a. und c.) und die Namen der Spender). Diese Neuerungen sind zwar Kandidatenaufstellung für die Wahlen (dazu b.), die zu begrüßen, werden aber wohl auf dem Papier blei- die meisten Kontroversen auslösten20. ben, bis die CRP in die Lage versetzt wird, effektiv a. Neapel. Der erste Fall stammt aus dem Jahr 2016, zu arbeiten. Transparenz ist nicht kostenlos zu ha- als es kurz vor der Auswahl der M5S-Kandidaten für ben, aber der Gesetzgeber hat lediglich die Transpa- die Kommunalwahlen in Neapel zu Massenaussch- renzanforderungen erhöht, ohne der Aufsichtsbehör- lüssen aus der Partei kam21. Diejenigen, die „pau- de zur Durchsetzung auch Ressourcen und Personal schal“ ausgeschlossen wurden, waren Mitglieder ei- zur Verfügung zu stellen. Die CRP verfügt über kein nes lokalen innerparteilichen Flügels, die sich in ei- eigenes Budget und hat nur sehr wenig Personal (im ner Facebook-Gruppe versammelt hatten, um einen Januar 2019 beschäftigte sie nur sechs Personen!). alternativen Bürgermeisterkandidaten zu unterstüt- Auch beschränkt sich die Kontrolle der Rechen- zen. Die wesentlichen Regeln zur inneren Ordnung schaftsberichte auf eine lediglich formale Überprü- der M5S waren damals sowohl in dem „Nicht- fung der Ausgabenbelege, was auch seitens der Statut“ als auch in dem Regolamento enthalten. Das GRECO schon moniert wurde18. In Ermangelung „Nicht-Statut“ war der Sache nach ein bloßes pro- von Untersuchungsbefugnissen der CRP kommt es grammatisches Dokument, das nur sehr wenige Hin- für die Frage, ob das Gesetz Nr. 3/2019 für mehr weise auf die innere Organisation gab. Das Regola- Transparenz sorgen kann, darauf an, dass die „Politi- mento hingegen enthielt detailliertere Regelungen knahen Stiftungen“ selbst aktiv „hervortreten“ und über Rechte und Pflichten der Mitglieder, Befugnis- ihre Rechenschaftsberichte der CRP vorlegen. 19 Zur internen Organisation der M5S vor 2016 siehe: F. Tron- 3. Die Leiden der jungen Fünf-Sterne-Bewegung: coni (Hrsg.), Beppe Grillo’s Five Star Movement: Organisa- Ein richterlicher Weg zur innerparteilichen Demo- tion, Communication and Ideology, 2015; S. Ceccanti, S. Curreri, I partiti antisistema nell’esperienza italiana: il MoVi- kratie? mento 5 Stelle come partito personale autoescluso, in: Diritto Als die M5S gegründet wurde, bezeichnete sie sich pubblico comparato e europeo 2015 (3), S. 799 ff.; A. Cossiri, Il “territorio” nell’autoregolamentazione dei partiti politici. als „Nicht-Partei“ (non partito) und sogar als „Nicht- Un’analisi in prospettiva costituzionalistica, in: Le Regioni Verein“ (non associazione) mit einem „Nicht-Statut“ 2014 (3), S. 359 ff. (non statuto)19. Die M5S hatte 2013, als sie bei den 20 Allgemein zu dieser Rechtsprechung siehe: G. Grasso, Il con- Wahlen die stimmenstärkste Partei in der Abgeordne- trollo giurisdizionale della democrazia nei partiti: le più re- 16 centi tendenze nella lente del MoVimento 5 Stelle, in: Diritti Vgl. Artikel 5 Absatz 4 GD Nr. 149/2013 (geändert durch Comparati 2019 (3), S. 57, online abrufbar unter https://www.- Absatz 20 des Gesetzes Nr. 3/2019). diritticomparati.it/wp-content/uploads/2019/12/003-Grasso.pdf 17 Und zwar laut Gesetz: „Mitglieder von Organen politischer Par- (letzter Abruf 20.07.2021); N. Pignatelli, La giustiziabilità teien oder Bewegungen oder Personen, die in den letzten zehn degli atti dei partiti politici tra autonomia privata ed effettività Jahren Mitglieder des nationalen oder europäischen Parla- della tutela giurisdizionale: un modello costituzionale, in: ments oder regionaler oder lokaler gewählter Versammlungen Rivista del Gruppo di Pisa 2019 (2), S. 84, online abrufbar sind oder waren oder die in den letzten zehn Jahren aufgrund unter https://www.gruppodipisa.it/images/rivista/pdf/Nicola_ ihrer Mitgliedschaft in politischen Parteien oder Bewegungen Pignatelli_-_La_giustiziabilita_degli_atti_dei_partiti_politici.pdf Regierungsämter auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene (letzter Abruf 20.07.2021). oder institutionelle Ämter innehaben oder innehatten“. 21 S. dazu: E. Caterina, Il giudice civile e l’ordinamento interno 18 GRECO, Third Evaluation Round – Evaluation Report on dei partiti politici: alcune considerazioni sulle recenti ordinan- Italy. Transparency of Party Funding, vom 23.03.2012, online ze dei tribunali di Napoli e di Roma, in: Osservatorio sulle abrufbar unter: https://rm.coe.int/CoERMPublicCommonSear Fonti 2016 (3), online abrufbar unter https://www.osservatori chServices/DisplayDCTMContent?documentId=0900001680 osullefonti.it/mobile-note-e-commenti/note-e-commenti-n-3-20 6c6956 (letzter Abruf 20.07.2021). 16/1031-oss-3-2016-caterina/file (letzter Abruf 20.07.2021). 128 doi:10.24338/mip-2021125-133
MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2 Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts Aufsätze se der Mitgliederversammlung, Ausschlussgründe Eine Woche später erklärte Beppe Grillo die Ab- und Disziplinarverfahren, wurde aber 2014 in völlig stimmung für ungültig und schloss die Gewinnerin, einseitiger Weise durch den „politischen Leiter“ Marika Cassimatis, vom Wahlkampf aus. Der Mit- (capo politico) der M5S verabschiedet. Gerade darin gliederversammlung wurde eine neue Abstimmung zeigte sich die Abnormität der Macht des „politi- vorgeschlagen: Sie sollte wählen, ob die M5S mit schen Leiters“ (damals Beppe Grillo). Es war tat- dem anderen Kandidaten (der offensichtlich vom sächlich der „politische Leiter“, der das Disziplinar- „politischen Leiter“ bevorzugt wurde) an den Kom- verfahren einleitete und in erster Instanz über den munalwahlen teilnehmen sollte, oder gar nicht. Die Ausschluss von Mitgliedern aus der Bewegung Mitglieder stimmten für die Aufstellung des anderen selbstständig entschied. Kandidaten. Am 10. April hat das Gericht von Ge- nua in einem von Frau Cassimatis angestrengten Das Gericht von Neapel, sah das „Nicht-Statut“ als Verfahren die oben genannten Beschlüsse der M5S die eigentliche Satzung der M5S an, stellte aber fest, ausgesetzt. Das Gericht beanstandete eine Nichtbe- dass darin keine von den im Zivilgesetzbuch für „an- achtung der internen Parteiregeln, denn obwohl da- erkannte Vereine“ vorgesehenen Regeln abweichen- nach dem „politischen Leiter“ „eine besonders den Bestimmungen enthalten waren. Folglich hielt durchdringende Rolle der Führung und des Impul- es die Artikel 21 und 24 des Zivilgesetzbuches 22 für ses“ zukomme, könne diese Macht „in der spezifi- anwendbar, die der Mitgliederversammlung die Ent- schen Frage der Auswahl der Kandidaten nicht im scheidung über Ausschlussmaßnahmen bzw. Sat- ‚Recht zum letzten Wort‘ identifiziert“ werden. Nur zungsänderungen zuschreiben. Daraus wiederum die zuständige territoriale Versammlung hätte die folgte, dass das nicht von einer Mitgliederversamm- Abstimmung annullieren können, da die internen Re- lung verabschiedete Regolamento nicht „als Rechts- geln der M5S kein Vetorecht des „politischen Lei- quelle verstanden werden konnte, die geeignet war, ters“ vorsahen. die Regeln der Satzung zu ändern“. In letzter Konse- quenz war dies gleichbedeutend mit einer Nichtig- c. Sardinien. Der letzte – spektakuläre – Fall hat in keitserklärung des ganzen Regolamento der Partei, Sardinien in diesem Jahr stattgefunden. Carla Cuccu, was auch zur Nichtigkeit der Ausschlussentschei- eine Regionalabgeordnete (consigliera regionale) dungen führte. Wenige Monate nach dem Beschluss der M5S-Fraktion, wurde aus der Partei wegen ihrer des Gerichts von Neapel, im September 2016, wurde „heterodoxen“ politischen Stellungnahmen ausge- innerhalb der M5S eine Änderung des „Nicht-Sta- schlossen. Gegen die Parteiausschlussentscheidung tuts“ und des Regolamento in die Wege geleitet, die erhob Cuccu Klage vor dem Landgericht (Tribunale nach den Absichten der Verfasser die schwerwiegen- ordinario) Cagliari. Im Rahmen des einstweiligen den und zahlreichen Probleme, die durch die jüngste Rechtsschutzes gab das Gericht dem Antrag der Klä- Rechtsprechung entstanden waren, „beheben“ sollte. gerin statt und setzte den Parteiausschluss aus. Es Nach der Änderung verweist das „Nicht-Statut“ aus- hielt die von dem innerparteilich vorgesehenen „Ga- drücklich auf die Bestimmungen des Regolamento rantieausschuss“ (Comitato di garanzia) erlassene und wird durch dieses für alle geregelten Gegen- Ausschlussentscheidung für unbegründet, weil sie standsbereiche ergänzt. Im Gegenzug erfuhr auch sich lediglich im Allgemeinen auf erhebliche Verstö- das Regolamento wichtige Änderungen. ße gegen die Grundsätze der M5S stützte, ohne je- doch zu spezifizieren, worin das Verhalten bestand, b. Genua. Im März 2017 wählten die Mitglieder der und weil der von der Ausschlussentscheidung Be- genuesischen M5S durch eine Online-Abstimmung troffenen kein rechtliches Gehör gewährt worden (die sogenannte „Comunarie“) den Bürgermeister- war. Nach diesem Beschluss ist das bis dahin Unvor- kandidaten für die Kommunalwahlen in Genua23. stellbare geschehen: Am 17.2.2021 wurde die Sat- 22 Art. 21 II ZGB: „Zur Änderung der Gründungsurkunde und zung der M5S geändert – selbstverständlich durch der Satzung ist, wenn diese nichts anderes bestimmen, die An- eine Online-Abstimmung. Die wichtigste Neuerung wesenheit von mindestens drei Viertel der Mitglieder und die bestand in der Abschaffung der Figur des „politi- Zustimmung der Mehrheit der Anwesenden erforderlich“. Art. 24 III ZGB: „Der Ausschluss eines Mitglieds kann von der schen Leiters“ (nach dem Rücktritt von Luigi Di Mitgliederversammlung nur aus schwerwiegenden Gründen Maio) und deren Ersatz durch einen Vorstand von beschlossen werden; das Mitglied kann dagegen innerhalb fünf Mitgliedern. Eine Woche später, stellte das sar- von sechs Monaten ab dem Tag der Zustellung des Beschlus- dische Gericht in dem in der Sache parallel laufen- ses das Gericht anrufen“. 23 den Hauptsacheverfahren fest, dass in jenem „Inter- S. dazu: G. Grasso, La cifra democratica del MoVimento 5 regnum“ der Thron leer geblieben war. „Der Verein“ Stelle alla prova dell’art. 49 della Costituzione, in: Quaderni costituzionali 2017 (3), S. 616 ff. sei ohne legitimierten gesetzlichen Vertreter gewe- doi:10.24338/mip-2021125-133 129
Aufsätze Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2 sen. Daher wurde durch gerichtliche Verfügung ein tragen können als das Zivilgesetzbuch. Das Recht Prozesspfleger ernannt, der vorläufig die M5S zu auf eine innerparteiliche Opposition24 hätte die Ent- vertreten hatte. Dieser auf den ersten Blick unbedeu- scheidung im neapolitanischen Fall ohne Weiteres tende verfahrenstechnische Zwischenfall hatte in getragen; im genuesischen Fall hätte die Idee einer Wirklichkeit erhebliche Folgen. Die M5S hatte argu- Parteistruktur, die – nach deutschem Verständnis – mentiert, dass der alte „politische Leiter“ bis zur Er- eine Willensbildung „von unten nach oben“ gewähr- nennung des neuen Vorstandes im Amt blieb. Der leistet und nicht umgekehrt25, ausschlaggebend sein Gerichtsbeschluss machte aber deutlich, dass der po- müssen. Stattdessen haben die untersuchten Ent- litische Führer der M5S (Vito Crimi) sein Amt miss- scheidungen implizit eingeräumt, dass eine Partei bräuchlich ausübte. Für die Öffentlichkeit sah es so den Grundsatz der innerparteilichen Demokratie aus, als sei ein neuer Parteisekretär per Gerichtsbe- nicht respektieren muss, wenn ihr Statut dies erlaubt. schluss ernannt worden, auch wenn dies rechtlich Diese angesichts der verfassungsrechtlichen Vorga- natürlich nicht der Fall ist. ben unhaltbare „zivilrechtliche Reduktion“ der poli- tischen Partei ist aber nicht in erster Linie und aus- Wie ist diese Rechtsprechung, die gerade in groben schließlich den Gerichten anzulasten, sondern sie ist Zügen beschrieben wurde, insgesamt zu bewerten? vor allem auf das Fehlen eines echten Parteiengeset- Zweifellos haben diese Gerichtverfahren den positi- zes zurückzuführen, das allen Rechtsanwendern und ven Effekt gehabt, die M5S zu drängen, sich klare damit auch den Richtern einen eindeutigen und hin- interne Regeln zu geben und sie zu achten. Was frü- reichend ausdifferenzierten Bezugsrahmen für das her die absolute Herrschaft eines Einzelnen (Beppe Recht der politischen Parteien bieten würde. Grillo) war, hat allmähliche eine Verrechtlichung er- fahren, vor allem dank dieser richterlichen Interven- 4. Das große Experiment: Die Abschaffung der di- tionen. Das Vorhandensein eines schriftlichen Re- rekten staatlichen Parteienfinanzierung gelwerks erfüllt zweifellos eine wesentliche Garan- tiefunktion für die einzelnen Parteimitglieder und Das GD Nr. 149/2013 war ein Wendepunkt in der gehört daher zu den Mindeststandards der innerpar- italienischen Verfassungsgeschichte: Nach fast 40 teilichen Demokratie. Ein erster Befund ist also, dass Jahren staatlicher Finanzierung wurde die Entschei- es den italienischen Gerichten zum Teil gelungen ist, dung getroffen, zu einem Modell der Parteienfinan- die M5S zu „zähmen“, indem sie einen Mindeststan- zierung zurückzukehren, das hauptsächlich auf pri- dard an innerparteilicher Demokratie durchgesetzt vaten Beiträgen basiert. Dies war der vielleicht größ- haben. Ein zweiter Punkt, der zu kritisieren ist, ist te Kehraus mit dem „Besen der Anti-Politik“26. Die die teilweise Verkennung der einschlägigen gericht- direkte staatliche Parteienfinanzierung wurde durch lichen Prüfungsmaßstäbe. Bei der Entscheidung der eine indirekte staatliche Finanzierung ersetzt, die Rechtsstreitigkeiten wurde ausschließlich auf Refe- hauptsächlich aus der steuerlichen Absetzbarkeit von renzvorschriften des italienischen Zivilgesetzbuches Parteispenden und dem sog. „2 Promille“-Mechanis- zurückgegriffen, ohne die verfassungsrechtlichen mus besteht. Kurz gesagt, beruht das neue System Grundsätze direkt oder indirekt durch eine verfas- ausschließlich auf den Präferenzen, die die Steuer- sungskonforme Interpretation der zivilrechtlichen zahler in ihren Steuererklärungen angeben (können). Normen anzuwenden. Die Gerichte zogen es immer In der Steuererklärung gibt der einzelne Steuerzahler vor, sich hinter den Bestimmungen des Zivilgesetz- jedes Jahr an, welcher Partei er 2 Promille der ge- buches zu verstecken und die Parteien wie andere zahlten Steuern zuwenden möchte. Wenn keine Par- „nicht anerkannte Vereine“ (associazioni non rico- tei angegeben wird, verbleiben „die 2 Promille“ nosciute) zu behandeln. Diese Haltung, die eine ein- beim Staat. Daneben können Parteispenden bis zu deutige (aber politisch offenbar heikle) rechtliche 30.000 Euro in Höhe von 26% vom der Steuer abge- Einordnung der politischen Parteien zu vermeiden setzt werden. sucht, ist zwar verständlich, jedoch nicht akzeptabel. 2017 war das erste Jahr, in dem Parteien nach dem Ein Rückgriff unmittelbar auf die Verfassung zur Ende der Übergangsfrist nicht mehr von der direkten Klärung von Rechtsfragen scheint ein größeres Pro- staatlichen Finanzierung profitieren konnten. Der blem für die Gerichte zu sein, als sich auf eine 24 Handvoll Paragraphen zu berufen, die der faschisti- S. dazu: D. Th. Tsatsos, Ein Recht auf innerparteiliche Oppo- sition?, in: Bernhardt u.a. (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsord- sche Gesetzgeber von 1942 für ganz andere Vereini- nung, 1983, S. 997 ff. gungen als politische Parteien konzipiert hat. In den 25 BVerfGE 2, 1, 40. hier betrachteten Fällen hätte das demokratische 26 So G. Sartori, Ingegneria costituzionale comparata, 2013, Prinzip viel mehr zur Klärung der Rechtsfragen bei- S. 161: „ramazza dell’antipolitica“. 130 doi:10.24338/mip-2021125-133
MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2 Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts Aufsätze Übergang war besonders traumatisch in einem Par- mille“-Zuwendungen den Parteien bleibt, sind die teiensystem, das bis dahin zu drei Vierteln von öf- Beiträge der gewählten Vertreter (sog. „Parteisteu- fentlichen Zuschüssen abhängig war. Nach Angaben ern“ oder „Mandatsträgerabgaben“). 2017 lag der des Rechnungshofs (Corte dei conti) konnten die Anteil der Spenden von Abgeordneten an ihre Par- Parteien vor 2012 mit einer jährlichen direkten staat- teien zwischen minimal 66 % und maximal 99,8 % lichen Finanzierung von rund 190 Millionen Euro der Spenden, die von Parteien mit Parlamentsvertre- rechnen27. Im Jahr 2019 belief sich die indirekte tung insgesamt eingenommen wurden31. So machen staatliche Förderung durch den „2 Promille“-Mecha- die Beiträge von gewählten Vertretern nun etwa 40 nismus auf rund 18 Millionen Euro. Noch geringer % der Parteieinnahmen aus. sind die Vorteile aus Steuerbegünstigungen: Das Mi- Zugleich ist die Finanzierung der Parlamentsfraktio- nistero dell’Economia e delle Finanze schätzt in sei- nen unverändert geblieben: Zählt man die Beiträge nem Jahresbericht über Steuerausgaben (2020)28 de- zusammen, die an die Fraktionen sowohl in der Ab- ren eigentliche finanzielle Auswirkungen auf 6,4 geordnetenkammer als auch im Senat gezahlt wer- Mio. Euro pro Jahr. Zwischen 2013 und 2019 wur- den, beläuft sie sich auf rund 53 Millionen Euro pro den in den Einkommensteuererklärungen Spenden Jahr, fast das Dreifache des Betrags, den die Parteien an politische Parteien in Höhe von durchschnittlich durch die „2 Promille“-Regelung erhalten. Die natür- ca. 21,254 Mio. € pro Jahr erfasst. Auffallend ist die liche Folge dieser Situation ist eine Bedeutungsstei- Höhe der durchschnittlich deklarierten Parteispende: gerung der Fraktionen im politischen Leben und die 2019 waren es gut 2.600 Euro. Diese Zahl zeigt Übernahme bestimmter Aktivitäten durch sie, die deutlich, wie weit wir von einem idealen Modell der traditionell von den Parteien organisiert wurden32. privaten Finanzierung, das sich aus vielen kleinen Spenden zusammensetzt, entfernt sind. Dieser hohe Dieses Parteienfinanzierungssystem ist aus verfas- Betrag ist wahrscheinlich auch darauf zurückzufüh- sungsrechtlicher Sicht, gelinde gesagt, höchst zwei- ren, dass viele der erfassten Spenden in Wirklichkeit felhaft. Selbst der Rechnungshof hat festgestellt: nichts anderes sind als „Parteisteuern“, die von ge- „Parteien, deren Anhänger ein höheres Einkommen wählten Vertretern gezahlt werden (zum Vergleich: haben, scheinen angesichts der [hohen] Wertgrenze in Frankreich betrug 2016 die in den Steuererklärun- für die Absetzbarkeit von Spenden und des 2 Promil- gen erfasste durchschnittliche Spende 275 Euro29). le-Mechanismus im Vorteil zu sein“33. Julia Cagé, eine französische Wirtschaftswissenschaftlerin, Die drastische Kürzung der öffentlichen Mittel und nannte es nichts weniger als ein „Verbrechen“ und der Mangel an privater Finanzierung haben zu einem hat es anschaulich wie folgt beschrieben: „Italien hat Rückgang der Parteieinnahmen geführt, die sich laut mit dem 2-Promille-System eine Art Doppelstimme einer Studie zu den eingereichten Rechenschaftsbe- erfunden. Jeder Bürger stimmt zweimal ab. Das erste richten im Jahr 2018 auf nur 39,6 Millionen Euro Mal an der Wahlurne: eine Person, eine Stimme. beliefen30. Zahlen, die nicht nur nicht im Entferntes- ten mit den Parteifinanzen in anderen Ländern, son- 31 dern nicht einmal mit den Mitteln vergleichbar sind, Openpolis, Partiti in crisi. Analisi dei bilanci delle forze poli- tiche tra 2013 e 2017, online abrufbar unter https://www.open die nur wenige Jahre zuvor in Italien zur Verfügung polis.it/wp-content/uploads/2018/07/Partiti-in-crisi-2018.pdf standen. Die Hauptressource, die neben den „2 Pro- (letzter Abruf 20.07.2021). 32 In Italien gibt es wie in Deutschland ein Verbot der Übertra- 27 Corte dei conti – Collegio di controllo sulle spese elettorali, gung von Mitteln von Fraktionen an Parteien (vgl. Art. 15 IV Referto ai presidenti delle Camere sui consuntivi delle spese e Regolamento Camera und Art. 16 II Regolamento Senato). Es sui relativi finanziamenti riguardanti le formazioni politiche gab aber Parallelaktionen von Fraktionen zugunsten von Par- che hanno sostenuto la campagna per le elezioni della Camera teien. Aus den Rechenschaftsberichten der Fraktionen geht dei deputati e del Senato della Repubblica del 13-14 aprile insbesondere hervor, dass die „Kommunikationsausgaben“ in 2008, Deliberazione CCSE 9/2009, S. 180. den letzten Jahren stetig gestiegen sind. Vgl. Openpolis, Partiti 28 deboli, democrazia fragile, online abrufbar unter https://www. Commissione per le spese fiscali - Ministero dell’Economia e openpolis.it/esercizi/come-si-finanziano-oggi-i-partiti/ (letzter delle Finanze, Rapporto annuale sulle spese fiscali 2020, on- Abruf 20.07.2021). line abrufbar unter https://www.mef.gov.it/documenti-alle 33 gati/2021/Rapporto-spese-fiscali-nov-2020.pdf (letzter Abruf Corte dei conti – Collegio di controllo sulle spese elettorali, 20.07.2021). Referto ai Presidenti dei Consigli regionali delle regioni La- 29 zio, Lombardia e Molise sui consuntivi delle spese e le relati- Vgl. J. Cagé, Il prezzo della democrazia, 2020, S. 126 ff. Ori- ve fonti di finanziamento riguardanti le formazioni politiche ginalausgabe: Le prix de la démocratie, 2018. presenti alle elezioni per il rinnovo dei Consigli regionali del 30 Openpolis, Partiti deboli, democrazia fragile, online abrufbar Lazio e della Lombardia del 4 marzo 2018, e del Molise in unter https://www.openpolis.it/esercizi/come-si-finanziano-og data 22 aprile 2018 - Deliberazione 9 CCSE Pol-Reg 2018 - gi-i-partiti/ (letzter Abruf 20.07.2021). 11 Settembre 2019, S. 45. doi:10.24338/mip-2021125-133 131
Aufsätze Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2 Und das zweite Mal auf dem Formular der Steuerer- lich, da sie eine erhebliche Anhebung der Abzugs- klärung: ein Euro, eine Stimme“34. Der Verstoß gegen grenze zugunsten derjenigen natürlichen Personen das Prinzip der Chancengleichheit ist eindeutig: Der zur Folge hat, die hinter der juristischen Person ste- Staat nutzt seine Ressourcen, um Parteien auf der hen37. Grundlage des Reichtums ihrer Anhänger zu begüns- Schließlich ist zu betonen, dass das derzeitige Sys- tigen. Die Rechtsprechung des deutschen BVerfG ist tem der öffentlichen Finanzierung von Parteien die in dieser Hinsicht auch aufschlussreich: „Der Ge- Chancengleichheit auch unter einem anderen Ge- setzgeber (...) darf die vorgegebenen Unterschiede sichtspunkt beeinträchtigt. Tatsächlich sind nicht nur nicht durch eine steuerliche Regelung verschärfen, die Parteien mit den wohlhabendsten Anhängern im die einen Teil der Bürger in gleichheitswidriger Vorteil, sondern auch diejenigen, die bereits im Par- Weise bevorzugt“35. Bezogen auf die „2 Promille“- lament vertreten sind. Wie gezeigt, beziehen italieni- Regelung zeigt die folgende Tabelle, dass die Partei sche Parteien heute einen bedeutenden Teil ihrer mit den reichsten Anhängern proportional fast dop- Ressourcen aus „Parteisteuern“ und verlassen sich pelt so viel bekommt wie die „ärmste“ Partei. bei vielen Aktivitäten auf die Strukturen der Fraktio- Tabelle: Ungleichheit bei Zuteilung der „2 Promille“- nen. Nicht übersehen werden darf dabei, dass die Parteienfinanzierung im Jahr 2019 Vertretung durch mindestens einen Abgeordneten 2-Promille- Zuschüsse Euro pro die im GD Nr. 149/2013 festgelegte Voraussetzung Partei für Parteien ist, um von der „2 Promille“-Regelung Optionen (€) Option Südtiroler Volkspartei 16.178 313.429 19,37 profitieren zu können. Forza Italia 35.462 623.076 17,57 5. Ausblick Più Europa 51.243 809.273 15,79 Der oben beschriebene Gesamtrahmen ist noch lange Partito Democratico 572.686 8.437.932 14,73 nicht konsolidiert und es ist nicht schwer, künftige Fratelli d’Italia 93.815 1.168.061 12,45 Entwicklungen sowohl in der Gesetzgebung als auch Lega - Padania 63.689 753.093 11,82 in der Rechtsprechung vorherzusehen. Die übliche Sinistra Italiana 42.636 499.257 11,70 Unbeweglichkeit des Gesetzgebers kollidiert mit zwei Bedürfnissen, die von den Parteien zunehmend wahr- Lega - Salvini 274.512 3.091.083 11,26 genommen werden. Erstens scheint man sich insbe- Rifondazione comunista 52.061 535.889 10,29 sondere nach der „M5S-Rechtsprechung“ bewusst Quelle: MEF geworden zu sein, dass ein Parteiengesetz nicht zwangsläufig einen Eingriff in die Parteiautonomie Bei den Steuerabzügen ist der Gesetzgeber gefor- darstellt, sondern auch eine Garantie für die Freiheit dert, Abzugsgrenzen festzulegen, die sich an den der Parteien selbst sein kann38. Zweitens besteht ein Möglichkeiten des durchschnittlichen Steuerzahlers praktischer Bedarf an mehr öffentlichen Mitteln, orientieren. In einer über mehr als 30 Jahre (1958- auch wenn bisher keine Partei es gewagt hat, eine 1992) entwickelten Rechtsprechung hat das BVerfG Rückkehr zur staatlichen direkten Finanzierung öf- dies für die deutsche Rechtslage eindeutig festge- fentlich vorzuschlagen39. In diesem Zusammenhang stellt36. Aus dieser Perspektive ist die derzeitige Aus- könnte ein wichtiger Impuls für den Gesetzgeber gestaltung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Par- vom Verfassungsgerichtshof ausgehen, der, wie teispenden in Italien verfassungsrechtlich unhaltbar. oben bereits erwähnt, bisher der große Abwesende Insbesondere erscheint die Höchstgrenze für abzugs- im italienischen Parteienrecht war. Vor allem die fähige Spenden, die auf 30.000 € festgelegt wurde, neue Parteienfinanzierung eignet sich gut für eine In- zu hoch zu sein. Zum Vergleich: In Deutschland be- trägt der maximal zulässige Abzug 825 €, wobei er 37 in Italien 7800 € (26 % von 30.000 €) erreicht, also Deshalb hat das BVerfG in Deutschland ähnliche Regelungen für verfassungswidrig erklärt: BVerfGE 85, 264, 314. fast das Zehnfache (in einem Land, in dem das 38 Durchschnittseinkommen niedriger ist). Die auch für So: P. Ignazi, I pericoli dell’ingerenza dei giudici nella vita interna dei partiti, in: Domani, 09.05.2021. juristische Personen vorgesehene Abzugsmöglich- 39 Dieser Bedarf wurde auch in einer Debatte im Senat am 12. keit ist darüber hinaus verfassungsrechtlich bedenk- Dezember 2019 deutlich (die Debatte betraf Open, die Stif- 34 J. Cagé, Il prezzo della democrazia, 2020, S. 115. tung des ehemaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi). Vgl. 35 Senato della Repubblica, Resoconto stenografico – Assem- BVerfGE 73, 40, 71, siehe auch E 8, 51; 85, 264, 297. blea, 12.12. 2019, online abrufbar unter: http://www.senato.it/ 36 Vgl. F. Boyken, Die neue Parteienfinanzierung, 1998, S. 56 ff.; service/PDF/PDFServer/BGT/1135445.pdf (letzter Abruf 72 ff.; 158 ff.; 197 ff.; 248 ff.; 324 ff. 20.07.2021). 132 doi:10.24338/mip-2021125-133
MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2 Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts Aufsätze tervention der Verfassungsrichter. So könnte eine Partei beispielsweise die Verteilung der Beträge aus dem „2 Promille“-System anfechten und ein Verwal- tungsgericht überzeugen, das GD Nr. 149/2013 dem Verfassungsgerichtshof zur Prüfung vorzulegen. Auf diese Weise stünde der Wege zum Verfassungsge- richtshof offen. Sollte der Verfassungsgerichtshof das System der indirekten öffentlichen Finanzierung für verfassungswidrig erklären, wäre ein ähnlicher Dominoeffekt wie 1966 in Deutschland nach dem ersten Parteienfinanzierungsurteil nicht ausgeschlos- sen. Mit Blick auf die innerparteiliche Demokratie und insbesondere die Kandidatenaufstellung kann die jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Nr. 48/2021 als wichtiger Durchbruch bezeichnet werden. Mit diesem Urteil ließ der Verfassungsge- richtshof die Möglichkeit einer gerichtlichen Über- prüfung im Bereich des Wahlvorbereitungsverfah- rens für Parlamentswahlen zu40. Dies war zuvor durch die Rechtsprechung des Kassationsgerichts- hofs ausgeschlossen worden, der Art. 66 Cost. (siehe oben) dahingehend ausgelegt hatte, dass die Über- prüfung von Wahlfehlern im Bereich der Wahlvor- bereitung allein dem Parlament vorbehalten ist41. Diese neue Rechtsprechung eröffnet einen gerichtli- chen Schutz in der Vorwahlphase, der sich auch auf die Kandidatenaufstellung innerhalb der Partei aus- wirken könnte. Dies ist jedoch derzeit nur eine theo- retische Möglichkeit, da das Verfahren zur Auswahl der Kandidaten nicht gesetzlich geregelt ist und im Ermessen der Parteien liegt. Die Zukunft wird zei- gen, ob diese theoretische Möglichkeit auch tatsäch- lich zu einer Weiterentwicklung des italienischen Parteienrechts führen wird. 40 Siehe: L. Trucco, Diritti politici fondamentali: la Corte spinge per ampliare ulteriormente la tutela (a margine della sent. n. 48 del 2021), in: Consulta online 2021 (1), S. 283, online ab- rufbar unter: https://www.giurcost.org/studi/trucco18.pdf (letzter Abruf 20.07.2021). 41 Cassazione civile, Sezioni unite, 8.04.2008, Entscheidungen Nr. 9151 u. 9152. Vgl. dazu: G. Tarli Barbieri, La legislazio- ne elettorale nell’ordinamento italiano, 2018, S. 61 ff. doi:10.24338/mip-2021125-133 133
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