Verfassungsprobleme des italienischen Par-teienrechts

Die Seite wird erstellt Volker Dorn
 
WEITER LESEN
MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2                    Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts                        Aufsätze

Verfassungsprobleme des italienischen Par- Heute wird nach der herrschenden Lehre dem Be-
teienrechts                                griff „demokratische Methode“ auch ein Gebot der
                                                                                   6
                                                                         innerparteilichen Demokratie entnommen . Dies
                                                                         liegt zum einen an der Veränderung des ursprüngli-
     Edoardo Caterina1
                                                                         chen politischen Kontextes, der eine evolutive Aus-
                                                                         legung zulässt7, und zum anderen an einer an diesen
1. Verfassungsrechtliche Grundzüge des italieni-                         Verfassungswandel angepassten, stärker am Wort-
schen Parteienrechts                                                     laut der Vorschrift orientierten Interpretation, der
                                                                         nicht (wie Art. 21 GG) die Parteien, sondern die
Artikel 49, der Parteienartikel der italienischen Ver-                   Staatsbürger zum Anknüpfungspunkt der Regelung
fassung (Costituzione – abgekürzt Cost.), ist ein ver-                   macht. Dass die Mitwirkung der Bürger an der „Aus-
fassungshermeneutisches Rätsel. Er lautet: „Alle                         richtung der Staatspolitik“ auf demokratische Weise
Staatsbürger haben das Recht, sich frei in Parteien                      erfolgen muss, bedeutet nach heute vorherrschendem
zu organisieren, um in demokratischer Weise an der                       Verständnis zwangsläufig, dass sich die Bürger de-
Ausrichtung der Staatspolitik mitzuwirken“2. Zahllos                     mokratisch in Parteien organisieren und, auf diese
sind die Seiten, die über die Auslegung dieser zwei-                     Weise gruppiert, demokratisch um die Durchsetzung
deutigen Formulierung geschrieben wurden. Gestrit-                       ihrer politischen Vorstellungen konkurrieren müs-
ten wurde im Kern um die Bedeutung der Worte                             sen.
„con metodo democratico“ („in demokratischer Wei-
se“; wörtlich: „mit demokratischer Methode“). Zu-                        Zum Verständnis des Art. 49 Cost. hat der italieni-
sammengefasst stehen sich zwei Meinungen gegen-                          sche Verfassungsgerichtshof (Corte costituzionale)
über. Der einen Ansicht nach bezieht sich die „de-                       nie klärend Stellung genommen. Tatsächlich hat sich
mokratische Methode“ nur auf den Wettbewerb un-                          der Verfassungsgerichtshof ohnehin kaum mit politi-
ter den Parteien und soll als bloßes Verbot der Ge-                      schen Parteien und Parteienrecht befasst. Aus deut-
walt in der Politik verstanden werden3. Nach anderer                     scher Perspektive mag dieses Schweigen überra-
Ansicht findet dieses Demokratiegebot auch auf die                       schen. Die Gründe dafür liegen hauptsächlich in der
innere Ordnung der politischen Parteien Anwen-                           unterschiedlichen Struktur der Verfassungsgerichts-
dung, ähnlich wie bei Art. 21 I 3 GG4.                                   barkeit. Erstens dürfen in Italien die politischen Par-
                                                                         teien nicht im Rahmen des Organstreitverfahrens
Die Entstehungsgeschichte des Art. 49 zeigt5, dass                       („conflitto di attribuzione tra poteri dello Stato“ –
diese in der interpretationsoffenen Formulierung an-                     vgl. Art. 134 Cost.) klagen, da sie, wie der Verfas-
gelegte Zweideutigkeit schon von den italienischen                       sungsgerichtshof ausgeführt hat, nicht als Staatsge-
Verfassungsvätern und -müttern bemerkt wurde und                         walten („poteri dello Stato“) zu betrachten seien,
trotzdem ungelöst blieb. Vor allem die Furcht der                        sondern als „Organisationen der Zivilgesellschaft“8.
linken Parteien (Kommunisten und Sozialisten) vor                        Zweitens kennt das italienische System weder die In-
einer staatlichen Kontrolle ihrer Tätigkeiten führte                     dividualverfassungsbeschwerde noch die abstrakte
zu einem informellen Übereinkommen, nach dem
Art. 49 Cost. nicht als verfassungsrechtliche Grund-                     6
                                                                             Siehe vor allem die Referate und Diskussionen auf der Ta-
lage eines italienischen Parteiengesetzes dienen                             gung der Vereinigung der italienischen Verfassungsrechtler
durfte.                                                                      vom 17. und 18. Oktober 2008: Associazione Italiana dei
                                                                             Costituzionalisti, Annuario 2008. Partiti politici e società
1
    Dr. Edoardo Caterina ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der           civile a sessant’anni dall’entrata in vigore della Costituzione,
    Università degli studi di Macerata.                                      2009. Unter den neueren monographischen Studien, die diese
2
                                                                             Auslegung des Art. 49 Cost. unterstützen, sind folgende zu er-
    „Tutti i cittadini hanno diritto di associarsi liberamente in            wähnen: F. Scuto, La democrazia interna dei partiti: profili
    partiti per concorrere con metodo democratico a determinare              costituzionali di una transizione, 2018; L. Gori, Le elezioni
    la politica nazionale“.                                                  primarie nell'ordinamento costituzionale, 2018.
3
    So z.B.: A. Predieri, I partiti politici, in: Calamandrei/Levi,      7
                                                                             So z.B. A. Ruggeri, Note minime in tema di democrazia inter-
    Commentario sistematico alla Costituzione italiana, 1950,                na ai partiti politici, in: Rivista AIC 2010, online abrufbar un-
    S. 171 ff.                                                               ter https://www.rivistaaic.it/images/rivista/pdf/RUGGERI%20
4
    Vgl. z.B.: V. Crisafulli, I partiti nella Costituzione, in: Studi        per%20Segovia%20pdf.pdf (letzter Abruf 20.07.2021).
    per il ventesimo anniversario dell’Assemblea costituente,            8
                                                                             Vgl. Corte costituzionale, ordinanza n. 79 del 2006; ordinanza
    Bd. 2, 1969, S 107 ff.                                                   n. 120 del 2009; ordinanza n. 196 del 2020. S. dazu: P. Ridola,
5
    P. Ridola, Partiti politici, Enc. Dir., XXXII (1982), S. 66 ff.          La legittimazione dei partiti politici nel conflitto di attribuzione
    (109 ff.); E. Caterina, Die Ursprünge des Art. 21 GG: die                fra poteri dello Stato: organamento dei soggetti del pluralismo
    Idee der Parteiregulierung in Verfassungsdebatten der Nach-              o razionalizzazione dei principi costituzionali del processo
    kriegszeit, in: MIP 2019, 60 ff. (72 f.).                                politico?, in: Giurisprudenza costituzionale 2006 (1), S. 668 ff.

doi:10.24338/mip-2021125-133                                                                                                                125
Aufsätze                       Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts                    MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2

Normenkontrolle. Drittens ist die Wahlprüfung ge-                        ben. Aus Art. 49 Cost. ableitbar ist der Status der äu-
mäß Art. 66 Cost. ausschließlich dem Parlament                           ßeren sowie der inneren Freiheit der Parteien, der –
überlassen9. Es bleibt nur die Möglichkeit einer kon-                    jedenfalls der herrschenden Auslegung des Begriffs
kreten Normenkontrolle („controllo incidentale“),                        der „demokratischen Methode“ folgend – auch ein
bei der viertens und letztens aber der Verfassungsge-                    Gebot innerparteilicher Demokratie umfasst; den
richtshof die Verfassungsmäßigkeit nur von Geset-                        Status der Gleichheit gewinnt man aus Art. 49 Cost.
zen und Akten mit Gesetzeskraft (decreti legislativi,                    in Verbindung mit Art. 3 Cost. (Gleichheitsgrund-
decreti legge) prüfen darf: Daher fehlt ohne ein Par-                    satz); der Status der Öffentlichkeit kann als funktio-
teiengesetz der Stoff für eine Verfassungsrechtspre-                     nal für die innere Demokratie bzw. Freiheit angese-
chung über die politischen Parteien.                                     hen werden und steht in logischem Zusammenhang
                                                                         mit den öffentlichen Aufgaben, die den Parteien ver-
Die italienische Verfassung enthält, anders als das
                                                                         fassungsrechtlich zugewiesen sind.
deutsche Grundgesetz, kein allgemeines Parteiver-
bot. Häufig wird daraus gefolgert, dass Italien keine
                                                                         2. Gesetzliche Regulierung der politischen Parteien
streitbare Demokratie (oder in italienischer Termino-
logie: „geschützte Demokratie“ – democrazia pro-                         Auch wenn ein italienisches „organisches“ Parteien-
tetta) sei. Das ist so aber nicht ganz korrekt: In den                   gesetz fehlt, sind die Parteien in Italien von unter-
„Übergangs- und Schlussbestimmungen“ (Disposi-                           schiedlichen Vorschriften teilweise reguliert, die in
zioni transitorie e finali – abgekürzt disp. trans.) der                 einer zersplitterten Gesetzgebung zu finden sind.
Costituzione wird „die Neubildung der aufgelösten                        Das Gesetzesdekret Nr. 149/2013 (decreto legge n.
faschistischen Partei“ (XII disp.trans.) verboten.                       149 del 2013 – abgekürzt GD Nr. 149/2013) stellt
Zwar ist die Bestimmung von den Verfassungsvätern                        die wichtigste Rechtsgrundlage dar. Damit hat der
und -müttern eher als symbolische Abkehr von der                         Gesetzgeber die direkte staatliche Parteienfinanzie-
Vergangenheit denn als normatives Gebot konzipiert                       rung abgeschafft und den Parteiensatzungen die Ein-
worden. Nichtsdestoweniger hat das sogenannte                            haltung minimaler demokratischer Grundsätze aufer-
Scelba-Gesetz (legge n. 645 del 1952) die Über-                          legt12. Überblicksartig lassen sich die Inhalte des Ge-
gangsbestimmung streng umgesetzt und ein Partei-                         setzesdekretes wie folgt zusammenfassen: Parteien
verbotsverfahren auf einfachgesetzlicher Ebene aus-                      werden verpflichtet, eine Satzung mit bestimmten
gestaltet. Im Unterschied zu Deutschland liegt dieses                    Inhalten zu haben und ihre Rechenschaftsberichte zu
Parteiverbotsverfahren in Italien aber nicht in der                      veröffentlichen. Eine unabhängige Verwaltungsbe-
Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs. Es wäre                       hörde, die Commissione di garanzia degli statuti e
sogar möglich, dass die Regierung einfach durch ein                      per la trasparenza e il controllo dei rendiconti dei
Gesetzesdekret die „neo-faschistische“ Partei auf-                       partiti politici (abgekürzt CRP)13, prüft, ob die Sat-
löst10. Die Hürden für ein Verbot der Neubildung der                     zungen den gesetzlichen Verpflichtungen entspre-
aufgelösten faschistischen Partei sind also deutlich                     chen. Nur Parteien, deren Satzungen die gesetzlichen
niedriger, so dass jedenfalls unter diesem Gesichts-                     Voraussetzungen erfüllen, werden von der CRP in
punkt die italienische Demokratie als noch „streitba-                    das „Register der politischen Parteien“ eingetragen
rer“ als die Deutsche bezeichnet werden kann.                            und haben Anspruch auf die indirekte staatliche Par-
Abgesehen von diesen Besonderheiten der italieni-                        teienfinanzierung. Das GD Nr. 149/2013 hat darüber
schen Verfassungsordnung entsprechen die für die                         hinaus die Transparenzpflichten der Parteien deut-
Parteien geltenden Verfassungsprinzipien allerdings                      lich gestärkt und eine Obergrenze für Spenden von
im Wesentlichen denen in Deutschland und lassen                          100.000 Euro pro Jahr und Spender eingeführt.
sich mit der berühmten Statuslehre von Konrad Hes-                       Das GD Nr. 149/2013 kann jedoch nicht als ein „ech-
se11 auch im italienischen Kontext sehr gut beschrei-                    tes“ Parteiengesetz angesehen werden. In Bezug auf
9
     „Jede Kammer befindet über die Zulassungsberechtigung ih-           12
                                                                              Vgl. dazu in deutscher Sprache: A. De Petris, Wieder am Ziel
     rer Mitglieder und über die nachträglich eingetretenen Gründe            vorbei? Aktueller Stand und neue Entwicklungen der Partei-
     der Nichtwählbarkeit und Unvereinbarkeit“. Es sei daran erin-            enfinanzierung in Italien, in: MIP 2015, S. 101. Allgemein
     nert, dass in Deutschland die Wahlprüfung dem BVerfG die                 über die neue Parteienfinanzierung in Italien siehe: G. Tarli
     Gelegenheit gegeben hat, wichtige Urteile zum Parteienrecht              Barbieri, F. Biondi, Il finanziamento della politica, 2016.
     zu fällen. Vgl. z.B.: BVerfGE 89, 243.                              13
10
                                                                              Es handelt sich um eine Kommission, die aus 5 Mitgliedern
     Vgl. Art. 3, legge n. 645 del 1952.                                      besteht, von denen 3 Richter des Rechnungshofes (Corte dei
11
     Vgl. K. Hesse, Die verfassungsrechtliche Stellung der politi-            conti), 1 Richter des Kassationsgerichtshofes (Corte suprema
     schen Parteien im modernen Staat (Bericht), in: VVDStRL                  di cassazione) und 1 Richter des Consiglio di Stato (Obersten
     1959, S. 11 ff.                                                          Verwaltungsgerichts) sind.

126                                                                                                 doi:10.24338/mip-2021125-133
MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2                     Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts                 Aufsätze

die innerparteiliche Demokratie enthält es keine                          nen Seite wurden die Pflichten der Parteien erhöht,
zwingenden Vorschriften, die unmittelbar Einfluss                         während auf der anderen Seite die Anreize zur
auf die innere Ordnung der Parteien nehmen könn-                          Durchsetzung dieser Pflichten beseitigt wurden. An-
ten. Erstens, weil nur die Parteien, die die indirekte                    dererseits war dieser Widerspruch in gewisser Weise
öffentliche Finanzierung in Anspruch nehmen wollen,                       notwendig: Wenn der Gesetzgeber sich für ein Fi-
die gesetzlichen Anforderungen an ihre Satzungen                          nanzierungssystem entscheidet, das auf privaten Bei-
erfüllen müssen. Die MoVimento 5 Stelle (abgekürzt                        trägen beruht, kann er nicht umhin, sich um eine
M5S), die öffentliche Gelder programmatisch ab-                           größtmögliche Transparenz dieser Beiträge zu bemü-
lehnt, ist eine „nicht registrierte Partei“ und ihre Sat-                 hen, auch wenn er weniger Instrumente zur Verfü-
zung unterliegt nicht der Kontrolle durch die CRP                         gung hat, um die Parteien zur Transparenz zu bewe-
(sie ist jedoch verpflichtet, ihren jährlichen Rechen-                    gen. Das grundsätzliche Problem des GD Nr.
schaftsbericht einzureichen). Zweitens sind die Ge-                       149/2013 besteht vielmehr in dem mangelhaften
setzesvorschriften über Parteisatzungen sehr vage und                     Aufsichtssystem und den zahlreichen Schlupflö-
laufen im Wesentlichen darauf hinaus, dass über die                       chern, die ebenso viele „Fluchtwege“ aus den Trans-
bloße Verpflichtung zur Regelung bestimmter Fragen                        parenzanforderungen bieten.
hinaus der Satzungsautonomie der Parteien kaum wei-
                                                                          Insbesondere hat der Gesetzgeber es bei Erlass des
tergehende inhaltliche Vorgaben gemacht werden.
                                                                          GD versäumt, auch die zahlreichen partei- und poli-
So müssen die Parteien etwa in ihren Satzungen „die
                                                                          tiknahen Stiftungen und Vereinigungen den für Par-
Häufigkeit der nationalen oder allgemeinen Partei-
                                                                          teien geltenden Transparenzanforderungen zu unter-
tage“ (Art. 3, Abs. II) festlegen, es gibt aber keinen
                                                                          werfen. In der Folge war ein Trend zur Vermehrung
Höchstzeitraum zwischen den Parteitagen wie im
                                                                          solcher Einrichtungen (Think-tanks, Stiftungen usw.)
deutschen Parteiengesetz (vgl. § 9 Abs. 1 PartG). Die
                                                                          zu verzeichnen, wobei das Gesamtergebnis die
Parteien müssen zwar auch „die Verfahren für die
                                                                          Schaffung einer großen Anzahl „politischer Sonder-
Auswahl der Kandidaten für die Wahl der Mitglieder
                                                                          vermögen“ war, die keiner Transparenzpflicht unter-
des Parlaments“ (ebd.) bestimmen: Ob das Auswahl-
                                                                          lagen und an die Bedürfnisse einzelner Politiker oder
verfahren als Mitgliederabstimmung, als Beschluss ei-
                                                                          innerparteilicher Gruppierungen gebunden waren.
ner Delegiertenversammlung, als Entscheidung einer
                                                                          Zwischen 2015 und 2017 gab es mindestens 108 sol-
Einzelperson oder als Schönheitswettbewerb ausge-
                                                                          cher „Nebenorgane“ von Parteien; 90 % von ihnen
staltet wird, bleibt aber der Parteisatzung überlassen.
                                                                          haben nie über die Herkunft ihrer Mittel Rechen-
Schließlich ist zweifelhaft, ob eine „Top-Down“-
                                                                          schaft gegeben und nur in 6 Fällen wurden die Na-
Kontrolle von Parteisatzungen wirklich sicherstellt,
                                                                          men von (einigen) Geldgebern offengelegt. Hier sind
dass demokratische Standards auch in der Praxis tat-
                                                                          echte „black boxes“ entstanden, die nicht nur die Fi-
sächlich eingehalten werden: Diese Form der Kon-
                                                                          nanzierungsquellen völlig undurchsichtig machten,
trolle innerparteilicher Demokratie nährt die Be-
                                                                          sondern auch zur Schwächung und Zersplitterung
fürchtung, dass sich Parteien ermutigt sehen, ledig-
                                                                          des Parteiensystems beitrugen. Und hierin liegt das
lich gut formulierte Satzungen zu erstellen.
                                                                          eigentliche Paradoxon: Ein Gesetz, das darauf ab-
Aber nicht nur für die Fragen innerparteilicher De-                       zielte, „den Bürgern eine zentrale Rolle bei der Fi-
mokratie, auch darüber hinaus leidet die normative                        nanzierung der Parteien zu geben“15 und somit die
Kraft des GD Nr. 149/2013 unter einem allgemeinen                         Parteien selbst zu stärken, indem es sie besser in der
„strukturellen Mangel“. Es fehlt an einem starken re-                     Zivilgesellschaft verwurzelt, hatte den gegenteiligen
gulatorischen Hebel, mit Hilfe dessen das Recht die                       Effekt, die Parteien weiter zu schwächen und ihren
Wirklichkeit gestalten könnte. Dieser wäre durch                          Mitgliedern jegliche mögliche Kontrolle über die
eine ins Gewicht fallende öffentliche Finanzierung                        Parteifinanzen zu entziehen. Eine erste bittere Lehre,
gegeben, deren Fehlen hat aber zu einem System ge-                        die aus den Folgewirkungen des GD Nr. 149/2013
führt, das die Einhaltung der gesetzlich auferlegten                      gezogen werden kann, ist, dass eine vollständige Un-
Verpflichtungen nicht effektiv gewährleisten kann.                        durchsichtigkeit einer schlecht gestalteten Transpa-
Unter diesem Blickwinkel ist der Standpunkt derje-                        renz vorzuziehen ist.
nigen, die das GD Nr. 149/2013 als widersprüchli-
                                                                          Der Gesetzgeber hat versucht, die eben aufgezeigten
che Operation betrachten14, nicht falsch: Auf der ei-
                                                                          Probleme zu beheben. Das GD Nr. 149/2013 wurde
14
     So: F. Biondi, Il finanziamento dei partiti italiani: dall’intro-
                                                                          durch das Gesetz Nr. 3/2019 (legge n. 3 del 2019)
     duzione del finanziamento pubblico alla sua abolizione, in:          geändert, das sich insbesondere mit dem Thema po-
     Tarli Barbieri/Biondi (Hrsg.), Il finanziamento della politica,
                                                                          15
     2016, S. 50 ff.                                                           So steht es in der Präambel des GD Nr. 149/2013.

doi:10.24338/mip-2021125-133                                                                                                         127
Aufsätze                        Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts                       MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2

litische Stiftungen und Parallelaktionen befasst16.                       tenkammer war, grundsätzlich kein Statut. Aber diese
Die Lösung ist einfach: Wer einer Partei besonders                        „innere Gesetzlosigkeit“ sollte der „Nicht-Partei“ bald
nahesteht oder Parallelaktionen durchführt, unter-                        zum Verhängnis werden. Diese internet-assembled
liegt den gleichen Transparenzpflichten wie Partei-                       Partei, die weder eine klare Weltanschauung noch
en. Jede Vereinigung oder jede Stiftung, a) deren                         starke assoziative Bindungen hatte, war bald mit un-
Vorstand durch Beschlüsse einer Partei auch nur                           zähligen internen Unstimmigkeiten und Spaltungen
teilweise bestimmt wird oder b) deren Vorstand Po-                        konfrontiert, die auch in Gerichtsverfahren ausgetra-
litiker oder ehemalige Politiker angehören17 oder c)                      gen wurden. Und ohne eine innere rechtliche Ord-
die Leistungen zugunsten einer Partei oder eines Po-                      nung müsste ein staatliches Gericht im Streitfall aus-
litikers im Wert von mindestens 5.000 € pro Jahr er-                      schließlich nach staatlichem Recht entscheiden. Wie
bringt, unterliegt daher den Transparenzpflichten                         unschwer zu erahnen war und ist, waren es vor allem
(und damit auch der Pflicht zur Veröffentlichung der                      Parteiausschlussverfahren (dazu a. und c.) und die
Namen der Spender). Diese Neuerungen sind zwar                            Kandidatenaufstellung für die Wahlen (dazu b.), die
zu begrüßen, werden aber wohl auf dem Papier blei-                        die meisten Kontroversen auslösten20.
ben, bis die CRP in die Lage versetzt wird, effektiv
                                                                          a. Neapel. Der erste Fall stammt aus dem Jahr 2016,
zu arbeiten. Transparenz ist nicht kostenlos zu ha-
                                                                          als es kurz vor der Auswahl der M5S-Kandidaten für
ben, aber der Gesetzgeber hat lediglich die Transpa-
                                                                          die Kommunalwahlen in Neapel zu Massenaussch-
renzanforderungen erhöht, ohne der Aufsichtsbehör-
                                                                          lüssen aus der Partei kam21. Diejenigen, die „pau-
de zur Durchsetzung auch Ressourcen und Personal
                                                                          schal“ ausgeschlossen wurden, waren Mitglieder ei-
zur Verfügung zu stellen. Die CRP verfügt über kein
                                                                          nes lokalen innerparteilichen Flügels, die sich in ei-
eigenes Budget und hat nur sehr wenig Personal (im
                                                                          ner Facebook-Gruppe versammelt hatten, um einen
Januar 2019 beschäftigte sie nur sechs Personen!).
                                                                          alternativen Bürgermeisterkandidaten zu unterstüt-
Auch beschränkt sich die Kontrolle der Rechen-
                                                                          zen. Die wesentlichen Regeln zur inneren Ordnung
schaftsberichte auf eine lediglich formale Überprü-
                                                                          der M5S waren damals sowohl in dem „Nicht-
fung der Ausgabenbelege, was auch seitens der
                                                                          Statut“ als auch in dem Regolamento enthalten. Das
GRECO schon moniert wurde18. In Ermangelung
                                                                          „Nicht-Statut“ war der Sache nach ein bloßes pro-
von Untersuchungsbefugnissen der CRP kommt es
                                                                          grammatisches Dokument, das nur sehr wenige Hin-
für die Frage, ob das Gesetz Nr. 3/2019 für mehr
                                                                          weise auf die innere Organisation gab. Das Regola-
Transparenz sorgen kann, darauf an, dass die „Politi-
                                                                          mento hingegen enthielt detailliertere Regelungen
knahen Stiftungen“ selbst aktiv „hervortreten“ und
                                                                          über Rechte und Pflichten der Mitglieder, Befugnis-
ihre Rechenschaftsberichte der CRP vorlegen.
                                                                          19
                                                                               Zur internen Organisation der M5S vor 2016 siehe: F. Tron-
3. Die Leiden der jungen Fünf-Sterne-Bewegung:                                 coni (Hrsg.), Beppe Grillo’s Five Star Movement: Organisa-
Ein richterlicher Weg zur innerparteilichen Demo-                              tion, Communication and Ideology, 2015; S. Ceccanti, S.
                                                                               Curreri, I partiti antisistema nell’esperienza italiana: il MoVi-
kratie?                                                                        mento 5 Stelle come partito personale autoescluso, in: Diritto
Als die M5S gegründet wurde, bezeichnete sie sich                              pubblico comparato e europeo 2015 (3), S. 799 ff.; A. Cossiri,
                                                                               Il “territorio” nell’autoregolamentazione dei partiti politici.
als „Nicht-Partei“ (non partito) und sogar als „Nicht-                         Un’analisi in prospettiva costituzionalistica, in: Le Regioni
Verein“ (non associazione) mit einem „Nicht-Statut“                            2014 (3), S. 359 ff.
(non statuto)19. Die M5S hatte 2013, als sie bei den                      20
                                                                               Allgemein zu dieser Rechtsprechung siehe: G. Grasso, Il con-
Wahlen die stimmenstärkste Partei in der Abgeordne-                            trollo giurisdizionale della democrazia nei partiti: le più re-
16
                                                                               centi tendenze nella lente del MoVimento 5 Stelle, in: Diritti
     Vgl. Artikel 5 Absatz 4 GD Nr. 149/2013 (geändert durch                   Comparati 2019 (3), S. 57, online abrufbar unter https://www.-
     Absatz 20 des Gesetzes Nr. 3/2019).                                       diritticomparati.it/wp-content/uploads/2019/12/003-Grasso.pdf
17
     Und zwar laut Gesetz: „Mitglieder von Organen politischer Par-            (letzter Abruf 20.07.2021); N. Pignatelli, La giustiziabilità
     teien oder Bewegungen oder Personen, die in den letzten zehn              degli atti dei partiti politici tra autonomia privata ed effettività
     Jahren Mitglieder des nationalen oder europäischen Parla-                 della tutela giurisdizionale: un modello costituzionale, in:
     ments oder regionaler oder lokaler gewählter Versammlungen                Rivista del Gruppo di Pisa 2019 (2), S. 84, online abrufbar
     sind oder waren oder die in den letzten zehn Jahren aufgrund              unter https://www.gruppodipisa.it/images/rivista/pdf/Nicola_
     ihrer Mitgliedschaft in politischen Parteien oder Bewegungen              Pignatelli_-_La_giustiziabilita_degli_atti_dei_partiti_politici.pdf
     Regierungsämter auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene             (letzter Abruf 20.07.2021).
     oder institutionelle Ämter innehaben oder innehatten“.               21
                                                                               S. dazu: E. Caterina, Il giudice civile e l’ordinamento interno
18
     GRECO, Third Evaluation Round – Evaluation Report on                      dei partiti politici: alcune considerazioni sulle recenti ordinan-
     Italy. Transparency of Party Funding, vom 23.03.2012, online              ze dei tribunali di Napoli e di Roma, in: Osservatorio sulle
     abrufbar unter: https://rm.coe.int/CoERMPublicCommonSear                  Fonti 2016 (3), online abrufbar unter https://www.osservatori
     chServices/DisplayDCTMContent?documentId=0900001680                       osullefonti.it/mobile-note-e-commenti/note-e-commenti-n-3-20
     6c6956 (letzter Abruf 20.07.2021).                                        16/1031-oss-3-2016-caterina/file (letzter Abruf 20.07.2021).

128                                                                                                    doi:10.24338/mip-2021125-133
MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2                   Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts       Aufsätze

se der Mitgliederversammlung, Ausschlussgründe                          Eine Woche später erklärte Beppe Grillo die Ab-
und Disziplinarverfahren, wurde aber 2014 in völlig                     stimmung für ungültig und schloss die Gewinnerin,
einseitiger Weise durch den „politischen Leiter“                        Marika Cassimatis, vom Wahlkampf aus. Der Mit-
(capo politico) der M5S verabschiedet. Gerade darin                     gliederversammlung wurde eine neue Abstimmung
zeigte sich die Abnormität der Macht des „politi-                       vorgeschlagen: Sie sollte wählen, ob die M5S mit
schen Leiters“ (damals Beppe Grillo). Es war tat-                       dem anderen Kandidaten (der offensichtlich vom
sächlich der „politische Leiter“, der das Disziplinar-                  „politischen Leiter“ bevorzugt wurde) an den Kom-
verfahren einleitete und in erster Instanz über den                     munalwahlen teilnehmen sollte, oder gar nicht. Die
Ausschluss von Mitgliedern aus der Bewegung                             Mitglieder stimmten für die Aufstellung des anderen
selbstständig entschied.                                                Kandidaten. Am 10. April hat das Gericht von Ge-
                                                                        nua in einem von Frau Cassimatis angestrengten
Das Gericht von Neapel, sah das „Nicht-Statut“ als
                                                                        Verfahren die oben genannten Beschlüsse der M5S
die eigentliche Satzung der M5S an, stellte aber fest,
                                                                        ausgesetzt. Das Gericht beanstandete eine Nichtbe-
dass darin keine von den im Zivilgesetzbuch für „an-
                                                                        achtung der internen Parteiregeln, denn obwohl da-
erkannte Vereine“ vorgesehenen Regeln abweichen-
                                                                        nach dem „politischen Leiter“ „eine besonders
den Bestimmungen enthalten waren. Folglich hielt
                                                                        durchdringende Rolle der Führung und des Impul-
es die Artikel 21 und 24 des Zivilgesetzbuches 22 für
                                                                        ses“ zukomme, könne diese Macht „in der spezifi-
anwendbar, die der Mitgliederversammlung die Ent-
                                                                        schen Frage der Auswahl der Kandidaten nicht im
scheidung über Ausschlussmaßnahmen bzw. Sat-
                                                                        ‚Recht zum letzten Wort‘ identifiziert“ werden. Nur
zungsänderungen zuschreiben. Daraus wiederum
                                                                        die zuständige territoriale Versammlung hätte die
folgte, dass das nicht von einer Mitgliederversamm-
                                                                        Abstimmung annullieren können, da die internen Re-
lung verabschiedete Regolamento nicht „als Rechts-
                                                                        geln der M5S kein Vetorecht des „politischen Lei-
quelle verstanden werden konnte, die geeignet war,
                                                                        ters“ vorsahen.
die Regeln der Satzung zu ändern“. In letzter Konse-
quenz war dies gleichbedeutend mit einer Nichtig-                       c. Sardinien. Der letzte – spektakuläre – Fall hat in
keitserklärung des ganzen Regolamento der Partei,                       Sardinien in diesem Jahr stattgefunden. Carla Cuccu,
was auch zur Nichtigkeit der Ausschlussentschei-                        eine Regionalabgeordnete (consigliera regionale)
dungen führte. Wenige Monate nach dem Beschluss                         der M5S-Fraktion, wurde aus der Partei wegen ihrer
des Gerichts von Neapel, im September 2016, wurde                       „heterodoxen“ politischen Stellungnahmen ausge-
innerhalb der M5S eine Änderung des „Nicht-Sta-                         schlossen. Gegen die Parteiausschlussentscheidung
tuts“ und des Regolamento in die Wege geleitet, die                     erhob Cuccu Klage vor dem Landgericht (Tribunale
nach den Absichten der Verfasser die schwerwiegen-                      ordinario) Cagliari. Im Rahmen des einstweiligen
den und zahlreichen Probleme, die durch die jüngste                     Rechtsschutzes gab das Gericht dem Antrag der Klä-
Rechtsprechung entstanden waren, „beheben“ sollte.                      gerin statt und setzte den Parteiausschluss aus. Es
Nach der Änderung verweist das „Nicht-Statut“ aus-                      hielt die von dem innerparteilich vorgesehenen „Ga-
drücklich auf die Bestimmungen des Regolamento                          rantieausschuss“ (Comitato di garanzia) erlassene
und wird durch dieses für alle geregelten Gegen-                        Ausschlussentscheidung für unbegründet, weil sie
standsbereiche ergänzt. Im Gegenzug erfuhr auch                         sich lediglich im Allgemeinen auf erhebliche Verstö-
das Regolamento wichtige Änderungen.                                    ße gegen die Grundsätze der M5S stützte, ohne je-
                                                                        doch zu spezifizieren, worin das Verhalten bestand,
b. Genua. Im März 2017 wählten die Mitglieder der
                                                                        und weil der von der Ausschlussentscheidung Be-
genuesischen M5S durch eine Online-Abstimmung
                                                                        troffenen kein rechtliches Gehör gewährt worden
(die sogenannte „Comunarie“) den Bürgermeister-
                                                                        war. Nach diesem Beschluss ist das bis dahin Unvor-
kandidaten für die Kommunalwahlen in Genua23.
                                                                        stellbare geschehen: Am 17.2.2021 wurde die Sat-
22
     Art. 21 II ZGB: „Zur Änderung der Gründungsurkunde und             zung der M5S geändert – selbstverständlich durch
     der Satzung ist, wenn diese nichts anderes bestimmen, die An-      eine Online-Abstimmung. Die wichtigste Neuerung
     wesenheit von mindestens drei Viertel der Mitglieder und die       bestand in der Abschaffung der Figur des „politi-
     Zustimmung der Mehrheit der Anwesenden erforderlich“. Art.
     24 III ZGB: „Der Ausschluss eines Mitglieds kann von der           schen Leiters“ (nach dem Rücktritt von Luigi Di
     Mitgliederversammlung nur aus schwerwiegenden Gründen              Maio) und deren Ersatz durch einen Vorstand von
     beschlossen werden; das Mitglied kann dagegen innerhalb            fünf Mitgliedern. Eine Woche später, stellte das sar-
     von sechs Monaten ab dem Tag der Zustellung des Beschlus-          dische Gericht in dem in der Sache parallel laufen-
     ses das Gericht anrufen“.
23
                                                                        den Hauptsacheverfahren fest, dass in jenem „Inter-
     S. dazu: G. Grasso, La cifra democratica del MoVimento 5           regnum“ der Thron leer geblieben war. „Der Verein“
     Stelle alla prova dell’art. 49 della Costituzione, in: Quaderni
     costituzionali 2017 (3), S. 616 ff.                                sei ohne legitimierten gesetzlichen Vertreter gewe-

doi:10.24338/mip-2021125-133                                                                                             129
Aufsätze                 Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts                     MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2

sen. Daher wurde durch gerichtliche Verfügung ein                  tragen können als das Zivilgesetzbuch. Das Recht
Prozesspfleger ernannt, der vorläufig die M5S zu                   auf eine innerparteiliche Opposition24 hätte die Ent-
vertreten hatte. Dieser auf den ersten Blick unbedeu-              scheidung im neapolitanischen Fall ohne Weiteres
tende verfahrenstechnische Zwischenfall hatte in                   getragen; im genuesischen Fall hätte die Idee einer
Wirklichkeit erhebliche Folgen. Die M5S hatte argu-                Parteistruktur, die – nach deutschem Verständnis –
mentiert, dass der alte „politische Leiter“ bis zur Er-            eine Willensbildung „von unten nach oben“ gewähr-
nennung des neuen Vorstandes im Amt blieb. Der                     leistet und nicht umgekehrt25, ausschlaggebend sein
Gerichtsbeschluss machte aber deutlich, dass der po-               müssen. Stattdessen haben die untersuchten Ent-
litische Führer der M5S (Vito Crimi) sein Amt miss-                scheidungen implizit eingeräumt, dass eine Partei
bräuchlich ausübte. Für die Öffentlichkeit sah es so               den Grundsatz der innerparteilichen Demokratie
aus, als sei ein neuer Parteisekretär per Gerichtsbe-              nicht respektieren muss, wenn ihr Statut dies erlaubt.
schluss ernannt worden, auch wenn dies rechtlich                   Diese angesichts der verfassungsrechtlichen Vorga-
natürlich nicht der Fall ist.                                      ben unhaltbare „zivilrechtliche Reduktion“ der poli-
                                                                   tischen Partei ist aber nicht in erster Linie und aus-
Wie ist diese Rechtsprechung, die gerade in groben
                                                                   schließlich den Gerichten anzulasten, sondern sie ist
Zügen beschrieben wurde, insgesamt zu bewerten?
                                                                   vor allem auf das Fehlen eines echten Parteiengeset-
Zweifellos haben diese Gerichtverfahren den positi-
                                                                   zes zurückzuführen, das allen Rechtsanwendern und
ven Effekt gehabt, die M5S zu drängen, sich klare
                                                                   damit auch den Richtern einen eindeutigen und hin-
interne Regeln zu geben und sie zu achten. Was frü-
                                                                   reichend ausdifferenzierten Bezugsrahmen für das
her die absolute Herrschaft eines Einzelnen (Beppe
                                                                   Recht der politischen Parteien bieten würde.
Grillo) war, hat allmähliche eine Verrechtlichung er-
fahren, vor allem dank dieser richterlichen Interven-
                                                                   4. Das große Experiment: Die Abschaffung der di-
tionen. Das Vorhandensein eines schriftlichen Re-
                                                                   rekten staatlichen Parteienfinanzierung
gelwerks erfüllt zweifellos eine wesentliche Garan-
tiefunktion für die einzelnen Parteimitglieder und                 Das GD Nr. 149/2013 war ein Wendepunkt in der
gehört daher zu den Mindeststandards der innerpar-                 italienischen Verfassungsgeschichte: Nach fast 40
teilichen Demokratie. Ein erster Befund ist also, dass             Jahren staatlicher Finanzierung wurde die Entschei-
es den italienischen Gerichten zum Teil gelungen ist,              dung getroffen, zu einem Modell der Parteienfinan-
die M5S zu „zähmen“, indem sie einen Mindeststan-                  zierung zurückzukehren, das hauptsächlich auf pri-
dard an innerparteilicher Demokratie durchgesetzt                  vaten Beiträgen basiert. Dies war der vielleicht größ-
haben. Ein zweiter Punkt, der zu kritisieren ist, ist              te Kehraus mit dem „Besen der Anti-Politik“26. Die
die teilweise Verkennung der einschlägigen gericht-                direkte staatliche Parteienfinanzierung wurde durch
lichen Prüfungsmaßstäbe. Bei der Entscheidung der                  eine indirekte staatliche Finanzierung ersetzt, die
Rechtsstreitigkeiten wurde ausschließlich auf Refe-                hauptsächlich aus der steuerlichen Absetzbarkeit von
renzvorschriften des italienischen Zivilgesetzbuches               Parteispenden und dem sog. „2 Promille“-Mechanis-
zurückgegriffen, ohne die verfassungsrechtlichen                   mus besteht. Kurz gesagt, beruht das neue System
Grundsätze direkt oder indirekt durch eine verfas-                 ausschließlich auf den Präferenzen, die die Steuer-
sungskonforme Interpretation der zivilrechtlichen                  zahler in ihren Steuererklärungen angeben (können).
Normen anzuwenden. Die Gerichte zogen es immer                     In der Steuererklärung gibt der einzelne Steuerzahler
vor, sich hinter den Bestimmungen des Zivilgesetz-                 jedes Jahr an, welcher Partei er 2 Promille der ge-
buches zu verstecken und die Parteien wie andere                   zahlten Steuern zuwenden möchte. Wenn keine Par-
„nicht anerkannte Vereine“ (associazioni non rico-                 tei angegeben wird, verbleiben „die 2 Promille“
nosciute) zu behandeln. Diese Haltung, die eine ein-               beim Staat. Daneben können Parteispenden bis zu
deutige (aber politisch offenbar heikle) rechtliche                30.000 Euro in Höhe von 26% vom der Steuer abge-
Einordnung der politischen Parteien zu vermeiden                   setzt werden.
sucht, ist zwar verständlich, jedoch nicht akzeptabel.             2017 war das erste Jahr, in dem Parteien nach dem
Ein Rückgriff unmittelbar auf die Verfassung zur                   Ende der Übergangsfrist nicht mehr von der direkten
Klärung von Rechtsfragen scheint ein größeres Pro-                 staatlichen Finanzierung profitieren konnten. Der
blem für die Gerichte zu sein, als sich auf eine
                                                                   24
Handvoll Paragraphen zu berufen, die der faschisti-                     S. dazu: D. Th. Tsatsos, Ein Recht auf innerparteiliche Oppo-
                                                                        sition?, in: Bernhardt u.a. (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsord-
sche Gesetzgeber von 1942 für ganz andere Vereini-                      nung, 1983, S. 997 ff.
gungen als politische Parteien konzipiert hat. In den              25
                                                                        BVerfGE 2, 1, 40.
hier betrachteten Fällen hätte das demokratische                   26
                                                                        So G. Sartori, Ingegneria costituzionale comparata, 2013,
Prinzip viel mehr zur Klärung der Rechtsfragen bei-                     S. 161: „ramazza dell’antipolitica“.

130                                                                                            doi:10.24338/mip-2021125-133
MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2                   Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts                       Aufsätze

Übergang war besonders traumatisch in einem Par-                        mille“-Zuwendungen den Parteien bleibt, sind die
teiensystem, das bis dahin zu drei Vierteln von öf-                     Beiträge der gewählten Vertreter (sog. „Parteisteu-
fentlichen Zuschüssen abhängig war. Nach Angaben                        ern“ oder „Mandatsträgerabgaben“). 2017 lag der
des Rechnungshofs (Corte dei conti) konnten die                         Anteil der Spenden von Abgeordneten an ihre Par-
Parteien vor 2012 mit einer jährlichen direkten staat-                  teien zwischen minimal 66 % und maximal 99,8 %
lichen Finanzierung von rund 190 Millionen Euro                         der Spenden, die von Parteien mit Parlamentsvertre-
rechnen27. Im Jahr 2019 belief sich die indirekte                       tung insgesamt eingenommen wurden31. So machen
staatliche Förderung durch den „2 Promille“-Mecha-                      die Beiträge von gewählten Vertretern nun etwa 40
nismus auf rund 18 Millionen Euro. Noch geringer                        % der Parteieinnahmen aus.
sind die Vorteile aus Steuerbegünstigungen: Das Mi-
                                                                        Zugleich ist die Finanzierung der Parlamentsfraktio-
nistero dell’Economia e delle Finanze schätzt in sei-
                                                                        nen unverändert geblieben: Zählt man die Beiträge
nem Jahresbericht über Steuerausgaben (2020)28 de-
                                                                        zusammen, die an die Fraktionen sowohl in der Ab-
ren eigentliche finanzielle Auswirkungen auf 6,4
                                                                        geordnetenkammer als auch im Senat gezahlt wer-
Mio. Euro pro Jahr. Zwischen 2013 und 2019 wur-
                                                                        den, beläuft sie sich auf rund 53 Millionen Euro pro
den in den Einkommensteuererklärungen Spenden
                                                                        Jahr, fast das Dreifache des Betrags, den die Parteien
an politische Parteien in Höhe von durchschnittlich
                                                                        durch die „2 Promille“-Regelung erhalten. Die natür-
ca. 21,254 Mio. € pro Jahr erfasst. Auffallend ist die
                                                                        liche Folge dieser Situation ist eine Bedeutungsstei-
Höhe der durchschnittlich deklarierten Parteispende:
                                                                        gerung der Fraktionen im politischen Leben und die
2019 waren es gut 2.600 Euro. Diese Zahl zeigt
                                                                        Übernahme bestimmter Aktivitäten durch sie, die
deutlich, wie weit wir von einem idealen Modell der
                                                                        traditionell von den Parteien organisiert wurden32.
privaten Finanzierung, das sich aus vielen kleinen
Spenden zusammensetzt, entfernt sind. Dieser hohe                       Dieses Parteienfinanzierungssystem ist aus verfas-
Betrag ist wahrscheinlich auch darauf zurückzufüh-                      sungsrechtlicher Sicht, gelinde gesagt, höchst zwei-
ren, dass viele der erfassten Spenden in Wirklichkeit                   felhaft. Selbst der Rechnungshof hat festgestellt:
nichts anderes sind als „Parteisteuern“, die von ge-                    „Parteien, deren Anhänger ein höheres Einkommen
wählten Vertretern gezahlt werden (zum Vergleich:                       haben, scheinen angesichts der [hohen] Wertgrenze
in Frankreich betrug 2016 die in den Steuererklärun-                    für die Absetzbarkeit von Spenden und des 2 Promil-
gen erfasste durchschnittliche Spende 275 Euro29).                      le-Mechanismus im Vorteil zu sein“33. Julia Cagé,
                                                                        eine französische Wirtschaftswissenschaftlerin,
Die drastische Kürzung der öffentlichen Mittel und
                                                                        nannte es nichts weniger als ein „Verbrechen“ und
der Mangel an privater Finanzierung haben zu einem
                                                                        hat es anschaulich wie folgt beschrieben: „Italien hat
Rückgang der Parteieinnahmen geführt, die sich laut
                                                                        mit dem 2-Promille-System eine Art Doppelstimme
einer Studie zu den eingereichten Rechenschaftsbe-
                                                                        erfunden. Jeder Bürger stimmt zweimal ab. Das erste
richten im Jahr 2018 auf nur 39,6 Millionen Euro
                                                                        Mal an der Wahlurne: eine Person, eine Stimme.
beliefen30. Zahlen, die nicht nur nicht im Entferntes-
ten mit den Parteifinanzen in anderen Ländern, son-                     31
dern nicht einmal mit den Mitteln vergleichbar sind,                         Openpolis, Partiti in crisi. Analisi dei bilanci delle forze poli-
                                                                             tiche tra 2013 e 2017, online abrufbar unter https://www.open
die nur wenige Jahre zuvor in Italien zur Verfügung                          polis.it/wp-content/uploads/2018/07/Partiti-in-crisi-2018.pdf
standen. Die Hauptressource, die neben den „2 Pro-                           (letzter Abruf 20.07.2021).
                                                                        32
                                                                             In Italien gibt es wie in Deutschland ein Verbot der Übertra-
27
     Corte dei conti – Collegio di controllo sulle spese elettorali,         gung von Mitteln von Fraktionen an Parteien (vgl. Art. 15 IV
     Referto ai presidenti delle Camere sui consuntivi delle spese e         Regolamento Camera und Art. 16 II Regolamento Senato). Es
     sui relativi finanziamenti riguardanti le formazioni politiche          gab aber Parallelaktionen von Fraktionen zugunsten von Par-
     che hanno sostenuto la campagna per le elezioni della Camera            teien. Aus den Rechenschaftsberichten der Fraktionen geht
     dei deputati e del Senato della Repubblica del 13-14 aprile             insbesondere hervor, dass die „Kommunikationsausgaben“ in
     2008, Deliberazione CCSE 9/2009, S. 180.                                den letzten Jahren stetig gestiegen sind. Vgl. Openpolis, Partiti
28
                                                                             deboli, democrazia fragile, online abrufbar unter https://www.
     Commissione per le spese fiscali - Ministero dell’Economia e            openpolis.it/esercizi/come-si-finanziano-oggi-i-partiti/ (letzter
     delle Finanze, Rapporto annuale sulle spese fiscali 2020, on-           Abruf 20.07.2021).
     line abrufbar unter https://www.mef.gov.it/documenti-alle          33
     gati/2021/Rapporto-spese-fiscali-nov-2020.pdf (letzter Abruf            Corte dei conti – Collegio di controllo sulle spese elettorali,
     20.07.2021).                                                            Referto ai Presidenti dei Consigli regionali delle regioni La-
29
                                                                             zio, Lombardia e Molise sui consuntivi delle spese e le relati-
     Vgl. J. Cagé, Il prezzo della democrazia, 2020, S. 126 ff. Ori-         ve fonti di finanziamento riguardanti le formazioni politiche
     ginalausgabe: Le prix de la démocratie, 2018.                           presenti alle elezioni per il rinnovo dei Consigli regionali del
30
     Openpolis, Partiti deboli, democrazia fragile, online abrufbar          Lazio e della Lombardia del 4 marzo 2018, e del Molise in
     unter https://www.openpolis.it/esercizi/come-si-finanziano-og           data 22 aprile 2018 - Deliberazione 9 CCSE Pol-Reg 2018 -
     gi-i-partiti/ (letzter Abruf 20.07.2021).                               11 Settembre 2019, S. 45.

doi:10.24338/mip-2021125-133                                                                                                              131
Aufsätze                        Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts                     MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2

Und das zweite Mal auf dem Formular der Steuerer-                         lich, da sie eine erhebliche Anhebung der Abzugs-
klärung: ein Euro, eine Stimme“34. Der Verstoß gegen                      grenze zugunsten derjenigen natürlichen Personen
das Prinzip der Chancengleichheit ist eindeutig: Der                      zur Folge hat, die hinter der juristischen Person ste-
Staat nutzt seine Ressourcen, um Parteien auf der                         hen37.
Grundlage des Reichtums ihrer Anhänger zu begüns-
                                                                          Schließlich ist zu betonen, dass das derzeitige Sys-
tigen. Die Rechtsprechung des deutschen BVerfG ist
                                                                          tem der öffentlichen Finanzierung von Parteien die
in dieser Hinsicht auch aufschlussreich: „Der Ge-
                                                                          Chancengleichheit auch unter einem anderen Ge-
setzgeber (...) darf die vorgegebenen Unterschiede
                                                                          sichtspunkt beeinträchtigt. Tatsächlich sind nicht nur
nicht durch eine steuerliche Regelung verschärfen,
                                                                          die Parteien mit den wohlhabendsten Anhängern im
die einen Teil der Bürger in gleichheitswidriger
                                                                          Vorteil, sondern auch diejenigen, die bereits im Par-
Weise bevorzugt“35. Bezogen auf die „2 Promille“-
                                                                          lament vertreten sind. Wie gezeigt, beziehen italieni-
Regelung zeigt die folgende Tabelle, dass die Partei
                                                                          sche Parteien heute einen bedeutenden Teil ihrer
mit den reichsten Anhängern proportional fast dop-
                                                                          Ressourcen aus „Parteisteuern“ und verlassen sich
pelt so viel bekommt wie die „ärmste“ Partei.
                                                                          bei vielen Aktivitäten auf die Strukturen der Fraktio-
Tabelle: Ungleichheit bei Zuteilung der „2 Promille“-                     nen. Nicht übersehen werden darf dabei, dass die
Parteienfinanzierung im Jahr 2019                                         Vertretung durch mindestens einen Abgeordneten
                              2-Promille- Zuschüsse Euro pro              die im GD Nr. 149/2013 festgelegte Voraussetzung
Partei                                                                    für Parteien ist, um von der „2 Promille“-Regelung
                              Optionen    (€)       Option
Südtiroler Volkspartei           16.178      313.429         19,37
                                                                          profitieren zu können.
Forza Italia                     35.462       623.076        17,57        5. Ausblick
Più Europa                       51.243       809.273        15,79
                                                                          Der oben beschriebene Gesamtrahmen ist noch lange
Partito Democratico             572.686      8.437.932       14,73        nicht konsolidiert und es ist nicht schwer, künftige
Fratelli d’Italia                93.815      1.168.061       12,45        Entwicklungen sowohl in der Gesetzgebung als auch
Lega - Padania                   63.689       753.093        11,82        in der Rechtsprechung vorherzusehen. Die übliche
Sinistra Italiana                42.636       499.257        11,70        Unbeweglichkeit des Gesetzgebers kollidiert mit zwei
                                                                          Bedürfnissen, die von den Parteien zunehmend wahr-
Lega - Salvini                  274.512      3.091.083       11,26
                                                                          genommen werden. Erstens scheint man sich insbe-
Rifondazione comunista           52.061       535.889        10,29        sondere nach der „M5S-Rechtsprechung“ bewusst
Quelle: MEF                                                               geworden zu sein, dass ein Parteiengesetz nicht
                                                                          zwangsläufig einen Eingriff in die Parteiautonomie
Bei den Steuerabzügen ist der Gesetzgeber gefor-
                                                                          darstellt, sondern auch eine Garantie für die Freiheit
dert, Abzugsgrenzen festzulegen, die sich an den
                                                                          der Parteien selbst sein kann38. Zweitens besteht ein
Möglichkeiten des durchschnittlichen Steuerzahlers
                                                                          praktischer Bedarf an mehr öffentlichen Mitteln,
orientieren. In einer über mehr als 30 Jahre (1958-
                                                                          auch wenn bisher keine Partei es gewagt hat, eine
1992) entwickelten Rechtsprechung hat das BVerfG
                                                                          Rückkehr zur staatlichen direkten Finanzierung öf-
dies für die deutsche Rechtslage eindeutig festge-
                                                                          fentlich vorzuschlagen39. In diesem Zusammenhang
stellt36. Aus dieser Perspektive ist die derzeitige Aus-
                                                                          könnte ein wichtiger Impuls für den Gesetzgeber
gestaltung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Par-
                                                                          vom Verfassungsgerichtshof ausgehen, der, wie
teispenden in Italien verfassungsrechtlich unhaltbar.
                                                                          oben bereits erwähnt, bisher der große Abwesende
Insbesondere erscheint die Höchstgrenze für abzugs-
                                                                          im italienischen Parteienrecht war. Vor allem die
fähige Spenden, die auf 30.000 € festgelegt wurde,
                                                                          neue Parteienfinanzierung eignet sich gut für eine In-
zu hoch zu sein. Zum Vergleich: In Deutschland be-
trägt der maximal zulässige Abzug 825 €, wobei er
                                                                          37
in Italien 7800 € (26 % von 30.000 €) erreicht, also                           Deshalb hat das BVerfG in Deutschland ähnliche Regelungen
                                                                               für verfassungswidrig erklärt: BVerfGE 85, 264, 314.
fast das Zehnfache (in einem Land, in dem das                             38
Durchschnittseinkommen niedriger ist). Die auch für                            So: P. Ignazi, I pericoli dell’ingerenza dei giudici nella vita
                                                                               interna dei partiti, in: Domani, 09.05.2021.
juristische Personen vorgesehene Abzugsmöglich-                           39
                                                                               Dieser Bedarf wurde auch in einer Debatte im Senat am 12.
keit ist darüber hinaus verfassungsrechtlich bedenk-                           Dezember 2019 deutlich (die Debatte betraf Open, die Stif-
34
     J. Cagé, Il prezzo della democrazia, 2020, S. 115.                        tung des ehemaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi). Vgl.
35
                                                                               Senato della Repubblica, Resoconto stenografico – Assem-
     BVerfGE 73, 40, 71, siehe auch E 8, 51; 85, 264, 297.                     blea, 12.12. 2019, online abrufbar unter: http://www.senato.it/
36
     Vgl. F. Boyken, Die neue Parteienfinanzierung, 1998, S. 56 ff.;           service/PDF/PDFServer/BGT/1135445.pdf (letzter Abruf
     72 ff.; 158 ff.; 197 ff.; 248 ff.; 324 ff.                                20.07.2021).

132                                                                                                   doi:10.24338/mip-2021125-133
MIP 2021 | 27. Jhrg. | Heft 2                    Caterina – Verfassungsprobleme des italienischen Parteienrechts   Aufsätze

tervention der Verfassungsrichter. So könnte eine
Partei beispielsweise die Verteilung der Beträge aus
dem „2 Promille“-System anfechten und ein Verwal-
tungsgericht überzeugen, das GD Nr. 149/2013 dem
Verfassungsgerichtshof zur Prüfung vorzulegen. Auf
diese Weise stünde der Wege zum Verfassungsge-
richtshof offen. Sollte der Verfassungsgerichtshof
das System der indirekten öffentlichen Finanzierung
für verfassungswidrig erklären, wäre ein ähnlicher
Dominoeffekt wie 1966 in Deutschland nach dem
ersten Parteienfinanzierungsurteil nicht ausgeschlos-
sen.
Mit Blick auf die innerparteiliche Demokratie und
insbesondere die Kandidatenaufstellung kann die
jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs
Nr. 48/2021 als wichtiger Durchbruch bezeichnet
werden. Mit diesem Urteil ließ der Verfassungsge-
richtshof die Möglichkeit einer gerichtlichen Über-
prüfung im Bereich des Wahlvorbereitungsverfah-
rens für Parlamentswahlen zu40. Dies war zuvor
durch die Rechtsprechung des Kassationsgerichts-
hofs ausgeschlossen worden, der Art. 66 Cost. (siehe
oben) dahingehend ausgelegt hatte, dass die Über-
prüfung von Wahlfehlern im Bereich der Wahlvor-
bereitung allein dem Parlament vorbehalten ist41.
Diese neue Rechtsprechung eröffnet einen gerichtli-
chen Schutz in der Vorwahlphase, der sich auch auf
die Kandidatenaufstellung innerhalb der Partei aus-
wirken könnte. Dies ist jedoch derzeit nur eine theo-
retische Möglichkeit, da das Verfahren zur Auswahl
der Kandidaten nicht gesetzlich geregelt ist und im
Ermessen der Parteien liegt. Die Zukunft wird zei-
gen, ob diese theoretische Möglichkeit auch tatsäch-
lich zu einer Weiterentwicklung des italienischen
Parteienrechts führen wird.

40
     Siehe: L. Trucco, Diritti politici fondamentali: la Corte spinge
     per ampliare ulteriormente la tutela (a margine della sent. n.
     48 del 2021), in: Consulta online 2021 (1), S. 283, online ab-
     rufbar unter: https://www.giurcost.org/studi/trucco18.pdf
     (letzter Abruf 20.07.2021).
41
     Cassazione civile, Sezioni unite, 8.04.2008, Entscheidungen
     Nr. 9151 u. 9152. Vgl. dazu: G. Tarli Barbieri, La legislazio-
     ne elettorale nell’ordinamento italiano, 2018, S. 61 ff.

doi:10.24338/mip-2021125-133                                                                                          133
Sie können auch lesen