VERKEHRSSICHERHEITSREPORT 2021 - Mobilität im Alter
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VERKEHRSSICHERHEITSREPORT 2021 Mobilität im Alter Unfallgeschehen Faktor Mensch Technik Senioren sind im Straßen- Leistungsdefizite im Fahrerassistenzsysteme verkehr als Fußgänger Alter lassen sich durch sind ein wichtiger und Radfahrer zahlreiche Maßnahmen Beitrag zur Erhöhung besonders gefährdet kompensieren der Verkehrssicherheit
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Editorial Lebenslange sichere Mobilität darf keine Utopie sein D ie Zahlen sollten zu denken geben: In der Europäischen Union (EU) entfielen laut der aktuellsten Statistik der EU-Kommission knapp 30 Prozent aller Verkehrstoten auf die viele Jahre vergehen, im Be- stand also immer noch vie- le Fahrzeuge ohne oder mit Altersgruppe 65+. Dabei machten Senioren nahezu die Hälfte nur wenigen Assistenzsys- aller bei Verkehrsunfällen getöteten Fußgänger und Radfahrer temen unterwegs sind. aus. Damit sticht die Gruppe der ungeschützten Verkehrsteil- nehmer bei den Senioren besonders hervor. Ein wesentlicher Doch stehen Senioren Faktor ist hierbei die höhere Vulnerabilität mit zunehmen- solchen Systemen über- dem Alter – also das höhere Risiko, bei identischen Unfallbe- haupt aufgeschlossen ge- lastungen schwerere oder tödliche Verletzungen zu erleiden, als genüber? Um hierzu ein jüngere Menschen es haben. Stimmungsbild zu bekom- men, hat das Markt- und Auch wenn es zwischen einzelnen Mitgliedstaaten der EU Meinungsforschungsunter- Jann Fehlauer, Geschäftsführer der Unterschiede gibt: Grundsätzlich haben ältere Verkehrsteil- nehmen forsa im Auftrag DEKRA Automobil GmbH nehmer auf den Straßen ein erhöhtes Unfallrisiko. Dies gilt von D EKRA eine repräsen- nicht nur für die EU, sondern auch für weite Teile dieser Welt. tative Befragung unter rund Es b esteht also dringender Handlungsbedarf, zumal der Anteil 2.000 zufällig ausgewählten deutschen Autofahrern in allen der Senioren unter allen Verkehrsteilnehmern angesichts der Altersklassen durchgeführt. Zwei von vielen aufschlussreichen demografischen Entwicklung weiter zunehmen wird. Ergebnissen dieser Befragung: Dass es Assistenzsysteme zur Unterstützung des Fahrers gibt, finden circa drei Viertel aller Ansatzpunkte gibt es zur Genüge, wie der vorliegende Report befragten Frauen und Männer ab 65 Jahren sehr gut oder gut. an vielen Beispielen aufzeigt. Und das insbesondere im The- Der Großteil dieser Altersgruppe verfügt dabei über Fahrzeuge, menfeld Mensch, aber auch in Sachen Infrastruktur und im Be- in denen einzelne Assistenzsysteme verbaut sind. reich der Fahrzeugtechnik. In diesem Zusammenhang beschäf- tigen wir uns unter anderem auch mit der Frage, inwieweit die Welche Maßnahme auch immer ergriffen wird, um die Zahl Ausstattung von Fahrzeugen mit Assistenz-, Informations- und der bei Verkehrsunfällen schwer oder tödlich verletzten Seni- Komfortsystemen die Verkehrssicherheit der Altersgruppe 65+ oren zu senken: Entscheidend kommt es darauf an, dass pri- erhöhen kann. K lare Antwort: Dieses Potenzial ist sehr hoch. mär bei den komplexen Verkehrssituationen angesetzt wird. Hightech im Fahrzeug kann dabei helfen, altersbedingte Defi- Gleichzeitig sind alle Akteure aufgefordert, hierzu ihren Bei- zite oder Fehlverhalten in einem gewissen Rahmen zu kompen- trag zu leisten. DEKRA engagiert sich in diesem Punkt bereits sieren, und schafft so ein zusätzliches Gefühl der Sicherheit. seit vielen Jahren auf vielfältige Weise. Den seit 2008 jährlich erscheinenden DEKRA Verkehrssicherheitsreport sehen wir Deshalb ist es umso begrüßenswerter, dass die von der EU- ebenfalls als Beitrag dazu, für eine noch sicherere Mobilität Kommission im März 2019 verabschiedete General Safety Re- auf den Straßen zu sorgen. Auch mit dem neuesten Report gulation ab 2022 in mehreren Phasen verschiedene sicherheits- will DEKRA w ieder Denkanstöße liefern und Ratgeber sein relevante Fahrerassistenzsysteme für neue Kraftfahrzeuge auf für Politik, Verkehrs- und Infrastrukturexperten, Herstel- Europas Straßen verbindlich vorschreibt. Zu bedenken ist da- ler, wissenschaftliche Institutionen sowie Verbände und alle bei allerdings, dass bis zu einer hohen Marktdurchdringung Verkehrsteilnehmer. 3
Inhalt Editorial 3 Lebenslange sichere Mobilität darf keine Utopie sein Jann Fehlauer, Geschäftsführer der DEKRA Automobil GmbH Grußwort 5 Sichere Mobilität: Jeder trägt Verantwortung, alle machen mit Andreas Scheuer (MdB), Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur Einleitung 6 Möglichst langer Mobilitätserhalt Weltweit werden die Menschen immer älter. Prognosen zufolge könnte im Jahr 2050 jeder vierte Mensch in Europa oder Nordamerika 65 Jahre oder älter sein. Dabei werden die Senioren immer mobiler und nehmen teilweise bis ins hohe Alter auf unterschiedlichste Weise aktiv am Straßenverkehr teil. Unfallgeschehen 10 Stark erhöhtes Risiko als Fußgänger und Radfahrer Das Verkehrsunfallgeschehen wird von einer Vielzahl unterschiedlichster Faktoren beeinflusst. Um Maßnah men zur Erhöhung der Verkehrssicherheit abzuleiten, ist daher eine sehr differenzierte Herangehensweise gefragt, die ebendiese Faktoren und deren Zusammenspiel betrachtet. Unfallbeispiele 24 Markante Unfallbeispiele im Detail Sechs ausgewählte Fälle Faktor Mensch 30 Risikopotenziale effizient minimieren Eventuelle Leistungseinbußen im Alter lassen sich kompensieren, indem man beispielsweise risikoreiche Verkehrssituationen meidet oder der Fahrstil defensiver wird. Auch spezifische Fahrtrainings oder beglei tete Rückmeldefahrten können zu einer sicheren Fahrweise beitragen. Technik 48 Mit Hightech Fehler kompensieren Für mehr Verkehrssicherheit von Senioren befürworten viele Experten den Einsatz und die Weiterentwicklung von Assistenzsystemen. Denn diese Systeme können – neben zahlreichen weiteren Ausstattungsmerkmalen respektive Fahrzeugkonfigurationen – altersbedingte Defizite ausgleichen. Infrastruktur 58 Hoher Optimierungsbedarf in vielerlei Hinsicht Neben fahrzeugspezifischen Sicherheitselementen und dem Faktor Mensch spielt zur Erhöhung der Verkehrssicherheit von Senioren – ob als Kraftfahrer, Fußgänger oder Radfahrer – auch die Straßeninfra struktur eine entscheidende Rolle. Fazit 64 Sichere Mobilität im Alter ist gesellschaftliche Verpflichtung Für mehr Verkehrssicherheit von Senioren ist auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene eine proaktive Strategie erforderlich, die alle Arten der Fortbewegung umfasst. Ansprechpartner 66 Noch Fragen? Ansprechpartner und Literaturverweise für den DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2021 Soweit im DEKRA Verkehrssicherheitsreport von „Verkehrsteilnehmer“, „Fußgänger“, „Radfahrer“ etc. die Rede ist, wurde aus Gründen der besseren Lesbarkeit jeweils nur die männliche Form verwendet. Gemeint sind – wenn nicht explizit anders angegeben – immer alle G eschlechter. Wenn nicht explizit anders angegeben, sind unter „Fahrräder“ und „Radfahrer“ immer Pedelecs und Pedelecfahrer (bis 25 km/h) eingeschlossen. Das Web-Portal w ww.dekra-roadsafety.com Seit 2008 veröffentlicht DEKRA jährlich den Europäischen täten rund um das Thema Verkehrssicherheit. Die Verknüpfung Verkehrssicherheitsreport in gedruckter Form in mehreren vom gedruckten Report zum Web-Portal können Sie auf Ihrem Sprachen. Zeitgleich mit der Veröffentlichung des DEKRA Tablet oder Smartphone direkt über die an den entsprechenden Verkehrssicherheitsreports 2016 ging das Web-Portal Stellen eingedruckten QR-Codes herstellen. www.dekra-roadsafety.com online. Hier finden Scannen Sie die Codes mit einem gängigen QR-Code-Reader Sie alle bisher erschienenen Reports seit 2008 ab, und Sie werden direkt zu den entsprechenden sowie weitergehende Inhalte, beispielsweise in Inhalten weitergeleitet. Speziell optimiert sind die Form von Bewegtbildern oder interaktiven Gra QR-Codes auf den integrierten Reader in der kosten fiken. Zum anderen beschäftigt sich das Portal losen und werbefreien DEKRA Mobil App, die Sie auch mit weiteren Themen und DEKRA Aktivi mit dem Code hier rechts herunterladen können. IMPRESSUM DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2021 – Mobilität im Alter Herausgeber: Konzeption/ Realisation: Bildnachweis: Adobe Stock – stock.adobe.com: Thomas Aumann 60, Andrey Bandurenko 6, Alessandro DEKRA Automobil GmbH Koordination/ EuroTransportMedia Biascioli 1/68, Daxiao Productions 41, jamstockfoto 39, Peter Maszlen 43, methaphum 58, tawatchai1990 Handwerkstraße 15 Redaktion: Verlags- und V eranstaltungs-GmbH Wolfgang Sigloch 1/68, v_sot 21; Antonio Avenoso 11; Marit van den Berg Photography 55; Valentin Brandes: 5; cifal Madrid 70565 Stuttgart Corporate Publishing Tel. +49.7 11.78 61-0 Handwerkstraße 15 61; DEKRA 62; Cyril Entzmann/Divergence 18; FIA 9; Stephan Floss Fotografie 16; Ford 54; Fabio Frustaci/ Redaktion: Fax +49.7 11.78 61-22 40 Matthias Gaul 70565 Stuttgart EIDON 52; Getty Images/iStock.com: ablokhin 12, batuhan toker 34, Bobex-73 3, Anna Bryukhanova 10, www.dekra.de www.etm.de dusanpetkovic 30, Silvia Jansen 64, Jay Lazarin 44, Rich Legg 15, metamorworks 48, Nastasic 8, RYosha Layout: Mai 2021 Florence Frieser Geschäftsbereichsleitung: 53, SolStock 47, Toa55 50, vm 5; Hardy Holte 42; Imago Images: Design Pics 36, JOKER 45, Jonas Walzberg Andreas Techel 59; Instytut T ransportu Samochodowego 44; Thomas Kueppers 3, 19 (2); Paulo Maria/ACP 46; Juan Carlos Verantwortlich für den Projektleitung: Herausgeber: Stephan Heigl Annika Zuske Geschäftsführer: Oliver Trost Ayago Merchan 33; Herby Sachs 59; Max Töpper 35; VTNZ 22. 4
Grußwort Sichere Mobilität: Jeder trägt Verantwortung, alle machen mit M it dem Auto zu den Enkeln, auf dem Pedelec in die Na tur oder mit dem Rollator zum Einkaufen: Im Alter selbst bestimmt mobil sein ist Lebensqualität. Allerdings sind ältere gewiesen. Damit ältere Menschen von den anderen Verkehrsteilnehmern noch Verkehrsteilnehmer besonders gefährdet. Das Risiko, schwer stärker beachtet werden, oder sogar tödlich verletzt zu werden, ist für sie sehr viel höher haben wir die Aktion „Ich als bei Jüngeren. So waren etwa im Jahr 2020 über die Hälfte fühl’ mich jung. Ich brau der tödlich verunglückten Radfahrenden und Fußgänger min che nur länger“ ins Leben destens 65 Jahre alt. Eine Rolle spielt dabei, dass sich im Alter gerufen. Dabei wird mit kognitive und motorische Fähigkeiten und Fertigkeiten verän humorvollen Botschaften dern. Außerdem sind Seniorinnen und Senioren anfälliger für zu mehr Rücksichtnahme Verletzungen. auf Ältere aufgerufen. Wir wollen, dass ältere Menschen möglichst lange, sicher Mit diesen und vielen Andreas Scheuer MdB, Bundesminister für und gesund am Straßenverkehr teilnehmen können. Deshalb anderen Maßnahmen wol Verkehr und digitale Infrastruktur sind sie eine wichtige Zielgruppe unserer umfangreichen Ver len wir die Zahl der im kehrssicherheitsarbeit. Mit Präventionsmaßnahmen werden sie Straßenverkehr verletzten informiert, aufgeklärt und sensibilisiert. Beim Umsetzen helfen oder getöteten Seniorinnen und Senioren weiter reduzieren. uns langjährige Partner wie der Deutsche Verkehrssicherheits So kommen wir auch der Vision Zero näher – also dem Ziel, rat (DVR) oder die Deutsche Verkehrswacht (DVW). die Anzahl der Verkehrstoten mittelfristig auf null zu senken. Dafür brauchen wir viele Mitstreiter, die Verantwortung über Eines der Programme ist zum Beispiel „Mobil bleiben, aber nehmen. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Teamleistung ge sicher!“ der DVW. An Verkehrssicherheitstagen geht es dabei fragt. D eshalb verfolgen wir einen umfassenden Ansatz nach nicht nur um Beratung, sondern auch um konkretes Erleben. dem Motto „ Sichere Mobilität, alle machen mit“. Das heißt: Schätze ich Gefahrensituationen richtig ein und reagiere im Alle für Verkehrssicherheit relevanten Akteure sollen ihre Notfall schnell genug? Wie wirkt es sich aus, wenn ich über Anstrengungen bündeln und sich selbst zu Maßnahmen ver müdet bin oder unter Medikamenteneinfluss stehe? Mit Simu pflichten. Das reicht vom Bund über die Länder bis hin zu den lationen und Reaktionsübungen kann das getestet und so das Kommunen. Wir haben deshalb alle an einen Tisch geholt und Bewusstsein geschärft werden. Die eigene Leistungsfähigkeit den „Pakt für Verkehrssicherheit“ geschmiedet. Er ist der stra noch besser einschätzen zu lernen, ist auch das Ziel der DVR- tegische Rahmen, der gemeinsame Ziele und Handlungsfelder Seminare „sicher mobil“. Seniorinnen und Senioren setzen sich festlegt. Länder und kommunale Spitzenverbände haben sich dabei mit typischen altersbedingten Gefahrensituationen im verpflichtet, diese Strategie umzusetzen. Weitere Unterstützer Straßenverkehr auseinander, befassen sich mit neuen Regeln so können sich dem Pakt gern anschließen. wie den körperlichen und kognitiven Voraussetzungen. Und für ein sicheres Unterwegssein gibt es praktische Tipps von Exper Zu tun gibt es noch genug, um die Sicherheit im Straßenver ten. Die „sicher mobil“-Seminare sind ein Baustein der von uns kehr weiter zu erhöhen. Gemeinsam werden wir es schaffen. unterstützten Kampagne „Sichere Mobilität im Alter“. Kraftfah Auf DEKRA ist dabei Verlass: Wie dieser Verkehrssicherheitsre rer der Generation 65+ werden hierbei auf freiwillige Übungs port zeigt, leistet das Unternehmen einen wertvollen Beitrag für angebote, Trainingsmaßnahmen und Gesundheitschecks hin mehr Sicherheit auf unseren Straßen. Herzlichen Dank dafür! 5
Einleitung Möglichst langer Mobilitätserhalt Weltweit werden die Menschen immer älter. Prognosen zufolge könnte zum Beispiel im Jahr 2050 jeder vierte Mensch in Europa oder Nordamerika 65 Jahre oder älter sein. Dabei werden die Senioren immer mobiler und nehmen teilweise bis ins hohe Alter auf unterschiedlichste Weise aktiv am Straßenverkehr teil. Damit verbunden ist aber ein im Vergleich zu jüngeren Menschen deutlich erhöhtes Unfallrisiko. Um dieses zu minimieren und dennoch gleichzeitig die Mobilität älterer Menschen im Sinne gesellschaftlicher Teilhabe zu erhalten, gibt es unterschiedliche Handlungsfelder. D ie Daten und Fakten der von den Vereinten Nationen veröffentlichten „World Populati- on Prospects 2019“ unterstreichen nicht nur, dass chen – von 143 Millionen im Jahr 2019 auf 426 Millionen im Jahr 2050. Die durchschnittliche Le- benserwartung, die weltweit von 64,2 Jahren im die Weltbevölkerung immer weiter wächst – von Jahr 1990 auf 72,6 Jahre im Jahr 2019 gestiegen ist, 7,7 Milliarden Menschen im Jahr 2019 auf mög- soll 2050 rund 77 Jahre betragen. licherweise 9,7 Milliarden im Jahr 2050 und auf 10,9 Milliarden im Jahr 2100 –, sondern sie sind HÖHERES VERLETZUNGSRISIKO auch ein unmissverständlicher Hinweis auf die VON SENIOREN zunehmende Alterung der Gesellschaft. War 2019 weltweit jeder elfte Mensch über 65 Jahre alt, soll Die Alterung der Bevölkerung hat auch die Zunah- es demnach 2050 jeder sechste sein (Schaubild 1). me älterer Verkehrsteilnehmer zur Folge, wie unter Zu den Regionen, in denen sich der Anteil der anderem der von der EU-Kommission im Dezem- über 65-Jährigen zwischen 2019 und 2050 vor- ber 2015 veröffentlichte Report „ElderSafe – Risks aussichtlich verdoppeln wird, gehören Nordafri- and countermeasures for road traffic of elderly in ka und Westasien, Zentral- und Süd- Europe“ konstatierte. Somit würde aber asien, Ost- und Südostasien sowie auch eine größere Zahl an Senioren, Lateinamerika und die Karibik. etwa aufgrund von möglichen In Europa und Nordamerika Funktionseinschränkungen könnte 2050 sogar bereits jeder vierte Einwohner ALTERSGRUPPE oder Gebrechlichkeit, Ge- fahr laufen, in Verkehrs- 65+ WÄCHST 65 Jahre oder älter sein. unfälle verwickelt zu sein Weltweit wird sich die oder sie selbst zu verursa- Zahl der Menschen, die chen. Die Dynamik dieser 80 Jahre oder älter sind, voraussichtlich verdreifa- PROZENTUAL AM Entwicklung wird an einer Schätzung deutlich, die der STÄRKSTEN 6
European Transport Safety Council (ETSC) im Knochenbrüche aus – gegenüber 27 Prozent bei al- Jahr 2008 im Hinblick auf die Auswirkungen ei- len Unfallopfern im Straßenverkehr. nes erhöhten Anteils älterer Menschen an der Be- völkerung auf die Zahl der Verkehrstoten bis 2050 In Bezug auf die nach einem Verkehrsunfall von vorgenommen hat. Im „Road Safety PIN Flash 9“ Senioren betroffenen Körperregionen haben Un- wurde auf Basis der Zahlen von 2006 angenom- fallforscher von DEKRA mehrere Jahrgänge der men, dass im Jahr 2050 jeder dritte Verkehrs- German-In-Depth-Accident-Study-Datenbank tote in der Europäischen Union 65 Jahre oder äl- GIDAS analysiert. Dabei zeigte sich, dass Fuß- ter sein könnte. Schaut man sich die Zahlen von gänger prozentual mehr Verletzungen im Bereich 2018 an – rund 29 Prozent aller Verkehrstoten in der unteren Extremitäten und des Kopfes erleiden der EU waren Senioren –, so war dieser Anteil be- reits nahezu erreicht, gut 30 Jahre früher als noch 1 2008 geschätzt. Anteil der Altersgruppe 65+ an der Bevölkerung Tatsache ist: Ältere Menschen haben im Ver- gleich zu jüngeren Verkehrsteilnehmern ein über- proportionales Verletzungsrisiko. Dies hängt zunächst einmal mit dem natürlichen Alterungs- 2020 prozess und der daraus resultierenden verminder- Anteil in Prozent ten Knochenfestigkeit und neuromuskulären Kraft 25 – 30 zusammen. Das wiederum bedingt ein deutlich hö- 20 – 24 heres Risiko, bei gleichem Unfallgeschehen schwe- 15 –19 10 –14 rere Verletzungen zu erleiden, als dies bei jüngeren 5–9 1953 1957 1961 1965 1969 1973 1977 1981 1985 1989 1993 1997 2001 2005 2009 2013 Menschen der Fall ist, oder im schlimmsten Fall 1– 4 keine Daten sogar den Verletzungen zu erliegen. Ein im Jahr 2000 in Großbritannien veröffentlichter Aufsatz zur Sicherheit älterer Verkehrsteilnehmer veran- schaulichte dies unter anderem an einem Mortali- tätsindex für verschiedene Altersgruppen. Ausge- 2050 hend von einem für die Altersgruppe zwischen 20 Anteil in Prozent und 50 Jahren auf 1,0 festgesetzten Wert, stieg die- 35 – 40 ser auf 1,75 im Alter von 60 Jahren, auf 2,6 im Alter 30 – 34 von 70 Jahren und auf 5 bis 6 für Personen im Alter 25 – 29 20 – 24 von 80 Jahren oder mehr. 15 –19 10 –14 Interessant sind in diesem Zusammenhang auch 5–9 1– 4 zwischen den Jahren 2005 und 2008 gesammelte keine Daten Zahlen der EU-Injury Database (Schaubild 2), die Quelle: United Nations Department of Economical and Social Affairs sich unverändert auch in den „Traffic Safety Basic Facts 2018: The Elderly“ der EU-Kommission wie- 2 derfinden: Danach wurden 43 Prozent aller älte- Unterschiedliche Verletzungsgrade ren Unfallopfer im Straßenverkehr ins Kranken- Nach einem Verkehrsunfall mit Verletzungen ins Krankenhaus eingelieferte Personen haus eingeliefert – verglichen mit nur 32 Prozent nach Altersgruppe und Art der Verkehrsteilnahme aller Unfallopfer im Straßenverkehr. Ob nach ei- 60 nem Unfall ein Krankenhausaufenthalt erforder- Alle Altersgruppen Senioren (65+) 50 lich war, unterschied sich auch je nach Art der 40 Verkehrsteilnahme. Die größte Differenz war bei In Prozent der Anzahl der verletzten Pkw-Insassen zu beob- 30 achten: Der Prozentsatz betrug bei älteren Perso- 20 nen knapp 50 im Vergleich zu knapp 25 bei allen 10 nach einem Verkehrsunfall ins Krankenhaus ein- 0 gelieferten Pkw-Insassen. 42 Prozent aller verlet- Fußgänger Motorrad- Durchschnittlicher Radfahrer Pkw- Andere Art der fahrer Wert Insassen Verkehrsteilnahme zungsbedingten Krankenhausaufenthalte nach ei- nem Verkehrsunfall machten bei älteren Menschen Quelle: EU Injury Database 7
Einleitung als Pkw-Fahrer. Dies ist dar- PROAKTIVE STRATEGIE in begründet, dass die Fuß- gänger prinzipiell an den MASSNAHMEN ERFORDERLICH unteren Extremitäten zu- erst getroffen werden und NICHT AUF DIE Um die Sicherheit von Seni- oren im Straßenverkehr bis dann mit ihrem Kopf ent- weder direkt mit dem Fahr- LANGE BANK ins hohe Alter zu gewähr- leisten, hat die EU-Kommis- zeug kollidieren oder auf sion in ihrem bereits erwähn- der Fahrbahnoberfläche auf- prallen. Bei den Pkw-Fahrern SCHIEBEN ten „ElderSafe“-Report einen umfangreichen Aktionsplan prä- ist dagegen neben den Extremitä- sentiert. Ein besonderer Fokus sollte ten und dem Kopf hauptsächlich die dabei auf folgende Risikofaktoren gelegt Region Thorax betroffen. Bei der Einstufung der werden: Verletzlichkeit, Krankheiten und Funkti- Verletzungen nach der international angewandten onseinschränkungen, Medikamenteneinnahme, in- Abbreviated Injury Scale (AIS) – die Skala reicht nerstädtische Straßen sowie Senioren als Fußgänger. von AIS 0 für „unverletzt“ bis AIS 6 für „maxi- Erforderlich, so heißt es in dem Report, sei eine pro- mal“ (= nicht behandelbar) –, fällt auf, dass Seni- aktive Strategie auf nationaler, regionaler und loka- oren als Fußgänger prozentual schwerere Verlet- ler Ebene mit den unterschiedlichsten Maßnahmen, zungen erleiden als 18- bis 64-jährige Fußgänger. unter anderem in Sachen Infrastruktur, Fahrsicher- Dies gilt für den Verletzungsgrad AIS 3 (= schwer) heitstrainings beziehungsweise Rückmeldefahrten insbesondere für den Kopf und die unteren Ext- sowie Fahrzeugtechnologien. Kognitive Verände- remitäten, für den Verletzungsgrad AIS 4 (= sehr rungen betreffen mit schwer) vor allem für Thorax und Abdomen und Stichwort Technologien: Es steht außer Fra- zunehmendem Alter unter für den Verletzungsgrad AIS 5 (= kritisch) für ge, dass Fahrerassistenzsysteme ein hohes Potenzi- anderem Verschlechte- Hals und Thorax. Auch bei den verletzten älte- al haben, Unfälle, etwa aufgrund von Fehlverhalten rungen in der Geschwin- ren Pkw-Fahrern stechen einzelne Werte hervor, als häufigster Ursache, entweder ganz zu vermeiden digkeit bei der Informa- so zum Beispiel für den Verletzungsgrad AIS 3 für oder zumindest die Unfallfolgen zu mindern. Und tionsverarbeitung, womit Kopf und Thorax. wie eine von DEKRA beauftragte Befragung zeigt, verlangsamte Reaktions- zeiten einhergehen 8
Jean Todt Sondergesandter für Straßenverkehrssicherheit des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, FIA-Präsident Sichere Straßen sind entscheidend für eine lebenswerte Umwelt Mit dem Jahr 2021 beginnt zugleich das hen neue Formen der Mobilität, was im- wurden angepasst und überwunden; die zweite Jahrzehnt der Verkehrssicherheit. mer häufiger dazu führt, dass viele ver- Politik ihrerseits reagierte mit umfassenden Alle Interessengruppen werden bei diesem schiedene Verkehrsteilnehmer gemeinsam Maßnahmen. Gleichzeitig bahnt sich eine Anlass aufgefordert, sich erneut zu dem auf den Straßen unterwegs sind. Sichere neue Herangehensweise an sichere Mo- Ziel zu bekennen, die Zahl der Schwerver- Straßen sind entscheidend für eine lebens- bilität ihren Weg – eine Gelegenheit, die letzten und Toten im Straßenverkehr um werte Umwelt. Wenn die Straßen nicht si- Grundpfeiler zu prüfen, auf die wir so lan- 50 Prozent zu senken und bis 2030 siche- cher sind, werden alle Bemühungen zur ge gebaut haben, und die Fundamente zu re, bezahlbare und nachhaltige Verkehrs- Förderung nachhaltiger Fortbewegungsmit- überholen, auf denen sie gründen. systeme für alle Menschen anzubieten. tel unterlaufen. Dies bedeutet, dass eine Das Konzept der Mobilität im Alter rückt Um diese Vision in die Realität umsetzen geeignete Infrastruktur für gefährdete Ver- eine Nutzergruppe in den Fokus, die häufig zu können, muss Sicherheit als ein derart kehrsteilnehmer wie Kinder, Menschen mit übersehen wird. Die Berücksichtigung der grundlegender und nicht verhandelbarer Behinderungen und ältere Menschen ge- besonderen Bedürfnisse älterer Menschen Wert angesehen werden, dass sie zu ei- schaffen werden muss. trägt dazu bei, dass der Wert von Sicher- nem festen Bestandteil unseres Straßenver- 2020 war ein ungewöhnliches Jahr, und heit auch bei den Schwächsten ankommt. kehrssystems wird. doch hat es unsere Art, zu leben, zu ar- Wie können wir uns auch im höheren Alter Die Städte wachsen, die Bevölkerung beiten und uns fortzubewegen, verändert sicher fortbewegen, wenn unsere Fähigkei- altert – vor allem in den am stärksten ent- und zu einer Beschleunigung einiger Mo- ten zum Autofahren, Fahrradfahren oder wickelten Ländern – und die Sorgen über bilitätstrends beigetragen, die in Ansät- Zufußgehen nachlassen? Staus und Luftverschmutzung rücken im- zen bereits vorhanden waren: Wenn uns Ich danke DEKRA für die Erstellung die- mer mehr in den Fokus der politischen Par- diese Pandemie eines gezeigt hat, dann, ses Berichts und die Hervorhebung der Tat- teien, die die Menschen deshalb dazu er- dass Veränderung möglich ist. Kultur- und sache, dass der „Wert“ von sicherer Mo- muntern, mehr zu Fuß zu gehen und mit Verhaltensmuster, deren Veränderung uns bilität steigt, wenn alle Nutzergruppen dem Fahrrad zu fahren. Zugleich entste- so schwierig, beinahe unmöglich erschien, Berücksichtigung finden. sind gerade auch Senioren gegenüber elektronischen teln – muss daher vor allem auf dem Faktor Mensch Helfern sehr aufgeschlossen – darauf wird ausführ- liegen. Die langfristig wirkenden Maßnahmen dürfen lich im Kapitel Technik dieses Reports eingegangen. dabei aber nicht auf die lange Bank geschoben werden. Zu bedenken ist freilich, dass eine hohe Marktdurch- dringung von Fahrzeugen mit Assistenzsystemen viel Zeit erfordert. Zur Verdeutlichung: Würde ein neues Assistenz- Die Fakten in Kürze system mit sofortiger Wirkung in allen in der EU • In Europa und Nordamerika als Fußgänger wie auch als neu zugelassenen Pkw verbaut werden, bräuchte es wird 2050 voraussichtlich bereits Pkw-Fahrer im Vergleich zu über elf Jahre, bis die Hälfte des Pkw-Bestands mit jeder vierte Einwohner 65 Jahre 18- bis 64-Jährigen prozentual diesem System ausgestattet ist. Da aber zwischen oder ä lter sein. schwerere Verletzungen erleiden. Marktreife eines Systems und Einbauvorschrift et • Bereits heute ist in der EU im • Für mehr Verkehrssicherheit liche Jahre des Evaluations- und Gesetzgebungspro- Durchschnitt nahezu jeder dritte von Senioren ist auf nationaler, zesses vergehen, ist mit rund 20 Jahren zu rechnen, Verkehrstote 65 Jahre oder älter. regionaler und lokaler Ebene bis die Hälfte der Pkw-Fahrer ein solches System im • Der natürliche Alterungspro eine p roaktive Strategie erfor Fahrzeug hat. zess des Menschen bedingt für derlich, die alle Arten der Fort Senioren ein deutlich höheres bewegung umfasst. Soll also die Verkehrssicherheit speziell auch von Risiko, bei gleichem Unfallge • Der Erhalt einer sicheren in schehen schwerere Verletzungen dividuellen Mobilität auch im Senioren möglichst schnell verbessert werden, um zu erleiden, als dies bei jüngeren Alter ist eine gesellschaftli dazu beizutragen, dass die Mobilität möglichst lan- Menschen der Fall ist. che Verpflichtung, die weiterer ge erhalten bleibt, können daher Maßnahmen im • Bei der Einstufung der Verletzun nstrengungen in den Berei A Bereich der baulichen Infrastruktur und bei den gen nach der international an chen Infrastruktur, Technik und Fahrzeugen nur begleitend sein. Der Fokus – das un- gewandten Abbreviated Injury insbesondere beim Menschen terstreicht dieser Report in den nachfolgenden Kapi- Scale (AIS) fällt auf, dass Senioren selbst bedarf. 9
Unfallgeschehen Stark erhöhtes Risiko als Fußgänger und Radfahrer Das Verkehrsunfallgeschehen wird von einer Vielzahl unterschiedlichster Faktoren beeinflusst. Um Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit abzuleiten, ist daher eine sehr differenzierte Herangehensweise gefragt, die ebendiese Faktoren und deren Zusammenspiel betrachtet. Mit der Analyse des Unfallgeschehens älterer Menschen in verschiede- nen Regionen der Welt soll in diesem Kapitel versucht werden, altersspezifische Risiken zu ermitteln, um daraus in den folgenden Kapiteln Lösungsansätze für den Erhalt einer sicheren Mobilität auch im Alter zu entwickeln. V erfügbare Infrastruktur, Bevölkerungszusam- mensetzung, finanzielle Mittel, Einstellung der Menschen zur Sicherheit generell und der Verkehrs- vergessen werden darf der Hintergrund der Ver- kehrsteilnahme: Dient sie dem täglichen Weg zur Arbeit und zurück, dem Einkauf, dem Transport sicherheit im Besonderen: In Sachen Straßenver- von Waren und Gütern auf kurzer oder langer Stre- kehr sind global wie auch in einzelnen Ländern und cke oder rein der Freizeitgestaltung? Regionen teilweise markante Unterschiede zu er- kennen. Im ländlichen Raum unterscheidet sich der Ebenfalls betrachtet werden muss in diesem Ge- Straßenverkehr zum Beispiel wesentlich von dem samtkontext das Alter der Verkehrsteilnehmer. Im in urbanen Gebieten. Im direkten Städtevergleich Laufe der Jahre ändern sich die Lebensumstände spielen Faktoren, wie die Verfügbarkeit eines öf- und die Mobilitätsanforderungen. Mit zunehmen- fentlichen Personennahverkehrs, das Radwegenetz der Lebenserfahrung ändert sich die Einstellung zu oder auch die Topografie, jeweils eine entscheiden- Risikoakzeptanz und riskantem Verhalten ebenso de Rolle. Einen Unterschied macht es auch, welche wie die Fähigkeit, kritische Situationen vorherzu Verkehrsmittel betrachtet werden. Für die Erhö- sehen. Aber auch die Grenzen des physisch und hung der Sicherheit von Radfahrern bedarf es an- psychisch Möglichen verschieben sich. Mit dem derer Konzepte als für die Erhöhung der Sicherheit Ziel, die Verkehrssicherheit für alle zu erhöhen, von Pkw-Insassen. Gleichzeitig dürfen die für eine gleichzeitig aber auch die individuellen Ansprüche Verkehrsteilnehmerart eingeführten Maßnahmen an die eigene Mobilität in jeder Altersgruppe zu er- nicht die Sicherheit anderer beeinträchtigen. Nicht füllen, sind hier sehr differenzierte Betrachtungen 10
und genaue Analysen notwendig. Ein Vergleich des Unfallgeschehens unterschiedlicher Altersgruppen ist dabei geeignet, die verschiedenen – oder auch identischen – Schwachpunkte bei der Verkehrsteil- Antonio Avenoso nahme zu identifizieren. Executive Director, European Transport Safety Council (ETSC) Der Blick auf die absoluten Zahlen hilft allerdings bei der Fokussierung auf das Alter der am Straßen- „Altersgerecht“ sollte nicht nur die Wohnung sein verkehr Teilnehmenden nur bedingt. So fehlen in Angesichts der zahlreichen Heraus- che Gründe: die mit dem Alter zu- den meisten Ländern belastbare altersbezogene Da- forderungen, vor die Luftverschmut- nehmende Fragilität des Körpers, ten zur Verkehrsleistung, also zu den zurückgeleg- zung und Lärmbelästigung, Verkehrs- der nachlassende Gleichgewichts- ten Strecken in unterschiedlichen Fortbewegungs- sicherheit, Klimawandel und unsere sinn, die Einnahme von Medika- arten, zur im Straßenverkehr zugebrachten Zeit bewegungsarme Lebensweise die menten und die generelle Abnah- öffentliche Gesundheit stellen, ist es me der Reaktionsgeschwindigkeit. oder auch zur Häufigkeit der Nutzung von inner- zu begrüßen, dass in den letzten Zu vermuten steht auch, dass sich örtlichen oder außerörtlichen Straßen sowie Auto- Jahren in Europa das Bestreben zu- das Verkehrsverhalten durch die re- bahnen. Der Anteil der jeweiligen Altersgruppe an genommen hat, die Fortbewegung lativ hohe und steigende Anzahl der Gesamtbevölkerung in Bezug auf die Häufig- zu Fuß und mit dem Fahrrad zu för- von Elektrofahrrädern ändert, die keit einer Unfallbeteiligung oder auch auf die Ver- dern. Die Covid-19-Pandemie hat zu mehr Betrieb auf den Radwegen, letzungsschwere gibt allerdings wichtige Hinweise diese Entwicklung bis zu einem ge- höheren Geschwindigkeiten und wissen Grad noch weiter beschleu- schwereren Verletzungen führt. für die Relevanz im Gesamtverkehrsgeschehen und nigt. Für die immer älter werdende Viele der Maßnahmen, die Stra- Änderungen im Langzeitverlauf. europäische Bevölkerung steht viel ßenverkehrssysteme für gefährdete auf dem Spiel. Ältere Menschen Verkehrsteilnehmer sicherer gestal- GROSSE UNTERSCHIEDE müssen aktiv bleiben, um gesund zu ten, kommen auch älteren Men- bleiben, andererseits sind sie im Ver- schen zugute. Getrennte Fahrrad- ZWISCHEN DEN KONTINENTEN kehr stärker gefährdet – besonders, spuren, eine günstigere Gestaltung wenn sie zu Fuß oder mit dem Rad von Kreuzungen, bessere Straßen- Setzt man zunächst einmal die globale Brille auf unterwegs sind. beleuchtung, niedrigere Geschwin- und nimmt die absoluten Zahlen unter die Lupe, so Aus dem Bericht des ETSC für digkeiten: Diese erprobten und fällt auf, dass nach Angaben des Institute for Health 2020 über die Fortbewegung zu bewährten Lösungen könnten das Metrics and Evaluation (IHME) der Universität Fuß und mit dem Rad geht hervor, Fahrradfahren und das Zufußgehen Washington in Seattle die Zahl der Verkehrstoten dass Menschen über 65 Jahre sowohl für jüngere wie auch für äl- 20 Prozent der Bevölkerung aus- tere Menschen sicherer machen. weltweit in den letzten Jahren insgesamt auf ei- machen, aber etwa die Hälfte aller Für ältere Menschen könnten je- nem Niveau von circa 1,25 Millionen stagniert – die tödlich endenden Fußgänger- und doch zusätzliche Vorkehrungen not- WHO geht sogar von 1,35 Millionen Verkehrstoten Fahrradunfälle auf sie entfällt. Je- wendig sein – zum Beispiel Maß- aus. Diese Stagnation betrifft mehr oder weniger des Jahr sterben in der EU 5.180 nahmen, die Stürzen beim Gehen alle Kontinente gleichermaßen. Während zumin- Fußgänger/innen und 2.160 Fahr- vorbeugen (solche Stürze werden radfahrer/innen, wobei gerade bei oft nicht als verkehrsbedingte Ver- dest bei den bis zu 49 Jahre alten Verkehrsteilneh- diesen Fortbewegungsarten von letzungen oder Todesfälle gemel- mern die Zahl der bei Unfällen Getöteten zwischen einer großen Zahl nicht gemelde- det), mehr Zeit für die Überquerung 1990 und 2019 überwiegend abgenommen hat, gab ter Todesfälle ausgegangen wird. von Kreuzungen mit Ampeln oder es in den verschiedenen Altersgruppen ab 50 Jah- Fahrradunfälle und Stürze von Fuß- sonstige Maßnahmen, die spezi- ren teilweise deutliche Steigerungen. Weltweit stieg gängern, an denen kein weiteres ell auf diese Gruppen zugeschnit- zum Beispiel die Zahl der bei Unfällen getöteten Fahrzeug beteiligt ist, gehen häufig ten sind. nicht in die Statistiken der Verlet- Nicht nur die Wohnräume älte- 65- bis 69-jährigen Verkehrsteilnehmer laut IHME zungen und Todesfälle im Straßen- rer Menschen sollten „altersgerecht“ zwischen 1990 und 2019 um über 65 Prozent von verkehr mit ein. sein – Europa muss die Welt so ge- 39.000 auf rund 65.000. Allein in Asien verdoppelte Die höhere Sterblichkeit älterer stalten, dass ältere Menschen auch sich die Zahl von 20.000 auf über 40.000. Menschen im Verkehr hat körperli- altersgerecht aktiv bleiben können. FÜR DIE ERHÖHUNG DER SICHERHEIT VON RADFAHRERN BEDARF ES ANDERER KONZEPTE ALS FÜR DIE ERHÖHUNG DER SICHERHEIT VON PKW-INSASSEN 11
Unfallgeschehen 3 Bei den über 70-Jährigen (Schaubild 3) be- Im Straßenverkehr getötete Senioren der Altersgruppe 70+ trug die Steigerungsrate weltweit über 80 Prozent 150.000 – von 82.000 auf knapp 150.000. Erneut macht Global hier Asien den Löwenanteil aus: 2019 kamen Afrika dort mit knapp 92.000 Getöteten etwa zweiein- Amerika halbmal so viele über 70-Jährige bei Straßenver- Asien 100.000 Europa kehrsunfällen ums Leben als 1990. Schaut man sich die Zahl der über 70-jährigen Verkehrstoten Getötete pro 100.000 Einwohner an (Schaubild 4), lag hier Afrika 2019 mit über 80 Getöteten weit über den 50.000 Durchschnittswerten von Asien (35), Amerika (27) oder Europa (13). Global betrug dieser Wert bei den über 70-Jährigen 32. Für andere Alters- gruppen sieht es in diesem Punkt deutlich besser 0 aus. Bei den 15- bis 49-Jährigen kamen 2019 welt- 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 weit etwa 16 Menschen pro 100.000 Einwohner Jahr bei Verkehrsunfällen ums Leben, bei den 50- bis Quelle: IHME 69-Jährigen 22. Aufschlussreich sind die Getötetenzahlen 4 auch im Hinblick auf die Art der Verkehrsteil- Im Straßenverkehr getötete Senioren der nahme: Weltweit starben 2019 etwa 55 Prozent Altersgruppe 70+ bezogen auf die Bevölkerung der im Straßenverkehr ums Leben gekommenen 100 über 70-Jährigen als Fußgänger (circa 82.500), die Global Spitze bildete hier Asien mit knapp 56.000 (= 68 Getötete pro 100.000 Einwohner 80 Afrika Prozent). Als Pkw-Insassen starben 2019 in dieser Amerika Altersgruppe weltweit etwa 44.000 Menschen, da- 60 Asien von allein in Asien knapp 19.000. Sowohl bei den Europa getöteten Radfahrern als auch den getöteten Mo- torradfahrern machte Asien mit circa 80 Prozent 40 den größten Anteil aus. 20 Die genannten Zahlen sind möglicherwei- se nicht bis ins kleinste Detail belastbar, da teil- 0 weise – wie es im Online-Tool „GBD Compare“ des IHME heißt – geschätzt. Dessen ungeachtet 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Jahr zeigen sie einen Trend auf, der sich auch bei Be- Quelle: IHME trachtung statistischer Zahlen und Erhebungen anderer Institutionen bestätigt: Senioren sind im Straßenverkehr stark gefährdet, und das nicht nur als Pkw-Insassen, sondern vor allem auch als Fußgänger und Radfahrer, wie Schaubild 5 deut- lich macht. BLICK IN EINZELNE AUSGEWÄHLTE STAATEN AUSSERHALB DER EU Laut der International Traffic Safety Data and Analysis Group (IRTAD) sank in den von ihr un- Ohne Helm erhöhen tersuchten Ländern im Zeitraum 2010 bis 2018 nicht nur ältere die Zahl der Verkehrstoten in der Altersgruppe Verkehrsteilnehmer der 18- bis 24-Jährigen um 25 Prozent und für die ihr Verletzungsrisiko 25- bis 64-Jährigen um 6,9 Prozent. Im gleichen bei einem Unfall um Zeitraum zeigte sich bei den Senioren ein gegen- ein Vielfaches läufiger Trend. So stieg die Zahl der bei Unfällen 12
5 Anteil der getöteten Senioren (65+) an allen Verkehrstoten 2018 im internationalen Vergleich (Auswahl)* Japan 4.166 / 2.386 (57 %) 894 (21,5 %) / 469 (52,4 %) 636 (15 %) / 423 (66,5 %) A S I E N 1.482 (35,5 %) / 1.059 (71,5 %) Südkorea 3.781 / 1.682 (44,5 %) 725 (19 %) / 152 (21,1 %) 207 (5,5 %) / 126 (60,9 %) 1.487 (39 %) / 842 (56,6 %) 36.560 / 6.907 (19 %) USA 22.697 (62 %) / 4.743 (21 %) 857 (2,5 %) / 141 (16 %) 6.283 (17 %) / 1.275 (20 %) A M E R I K A Kanada 1.922 / 432 (22,5%) 1.184 (61,5 %) / 256 (21,6 %) 41 (2 %) / 14 (34 %) 323 (17 %) / 115 (35,5 %) Chile 1.955 / 291 (15 %) 592 (30 %) / 47 (7,9 %) 111 (5,5 %) / 23 (20,7 %) 694 (35,5 %) / 174 (25,1 %) Deutsch- 3.275 / 1.052 (32 %) land 1.424 (43,5 %) / 410 (28,5 %) 445 (13,5 %) / 231 (52 %) 458 (14 %) / 259 (56 %) Vereinigtes 1.839 / 487 (26,5 %) Königreich 807 (44 %) / 232 (28,7 %) 100 (5,5 %) / 22 (22 %) 472 (25,5 %) / 176 (37,3 %) Frankreich 3.248 / 842 (26 %) 1.637 (50,5 %) / 458 (28 %) 175 (5,5 %) / 71 (40,5 %) 471 (14,5 %) / 236 (50 %) Italien 3.334 / 1.061 (32 %) 1.423 (42,5 %) / 448 (31,5 %) 219 (6,5 %) / 112 (51,1 %) 612 (18 %) / 364 (59,5 %) Spanien 1.806 / 496 (27,5 %) 732 (40,5 %) / 200 (27,3 %) E U R O P A 58 (3 %) / 21 (36,2 %) 386 (21,5 %) / 208 (53,9 %) Polen 2.862 / 699 (24,5 %) 1.291 (45 %) / 211 (16,3 %) 285 (10 %) / 122 (42,8 %) 803 (28 %) / 316 (39,4 %) Portugal 675 (100 %) / 226 (33,5 %) 231 (34 %) / 76 (33 %) 24 (3,5 %) / 7 (29 %) 156 (23 %) / 86 (55 %) Schweden 324 / 120 (37 %) 181 (56 %) / 71 (39,9 %) 23 (7 %) / 14 (60,9 %) Lese-Erläuterung zu den Angaben der einzelnen Länder: 34 (10,5 %) / 18 (52,9 %) Erster Balken: Österreich 409 / 121 (29,5 %) Anzahl der Verkehrstoten insgesamt/davon Senioren (prozentualer Anteil) 181 (44 %) / 49 (27 %) Weitere Balken: 41 (10 %) / 29 (70 %) Anzahl der Verkehrstoten in der jeweiligen Verkehrsteilnehmergruppe insgesamt/ 47 (11,5 %) / 25 (53 %) davon jeweils Senioren (prozentualer Anteil) Schweiz 233 / 93 (40 %) 79 (34 %) / 28 (35,5 %) 38 (16 %) / 18 (47 %) 48 (20,5 %) / 28 (58 %) Australien 1.136 / 244 (21,5 %) Verkehrstote insgesamt davon Senioren 533 (47 %) / 122 (22,7 %) O Z E A N I E N davon getötete Pkw-Insassen davon Senioren 35 (3 %) / 9 (25,7 %) 178 (15,5 %) / 60 (33,7 %) davon getötete Radfahrer davon Senioren davon getötete Fußgänger davon Senioren Neusee- 378 / 82 (22 %) land 268 (71 %) / 59 (22 %) 5 (1,5 %) / 1 (20 %) *Aus zahlreichen der hier aufgeführten Staaten lagen bei Redaktionsschluss die jüngsten verfügbaren 41 (11 %) / 17 (41,5 %) Unfallzahlen aus dem Jahr 2018 vor. Zum besseren Vergleich wurden deshalb diese Daten verwendet. Quellen: IRTAD Database, NHTSA, ONISR, Statistisches Bundesamt 13
Unfallgeschehen tödlich verletzten über 65-Jährigen um rund sie- war diese Rate in Südkorea am höchsten. Der na- ben Prozent, diejenige der über 75-Jährigen um tionale Durchschnitt lag dort bei 7,3 Verkehrstoten 4,7 Prozent (Schaubild 6). pro 100.000 Einwohner. Insgesamt machten Senio- ren 2018 in Südkorea 44,5 Prozent aller Verkehrs- Ein Grund für diese Zunahme ist der steigen- toten aus. Überproportional häufig kamen sie als de Anteil der Senioren an der Gesamtbevölkerung. Fußgänger und Fahrradfahrer ums Leben. Ferner sind die Senioren heute oftmals mobiler als in früheren Jahrzehnten und nehmen selbst bis ins Ein Bericht des International Transport Forum hohe Alter aktiv am Straßenverkehr teil. So wie- der OECD aus dem Jahr 2016 über Südkorea liefert sen Bürger im Alter von 75 Jahren und mehr im einige Begründungen, weshalb Südkorea im Ver- Jahr 2018 in 13 von 31 IRTAD-Ländern mit ver- gleich zu anderen OECD-Staaten in Bezug auf die fügbaren Daten die höchste Mortalitätsrate auf. Verkehrssicherheit so schlecht dasteht. So überque- Mit 29,7 Verkehrstoten pro 100.000 Einwohner ren offensichtlich viele Fußgänger die Fahrbahn, ohne auf den Verkehr zu achten. Wird hierbei ein Senior erfasst, hat dieser eine höhere Wahrschein- 6 Entwicklung der Zahl der Verkehrstoten nach Art der lichkeit, an den Unfallfolgen zu versterben, als ein Verkehrsteilnahme und Altersgruppen 2010 bis 2018 jüngerer Mensch. Weiteres Problem: Breite Kreu- zungen erfordern mehr Zeit zum Überqueren, was 10 das Unfallrisiko nach dem Umschalten der Ampeln Art der Verkehrsteilnahme Altersgruppen 5 Fuß- Rad- PTW* Pkw- für Fußgänger auf Rot erhöht. Da Senioren allge- gänger fahrer Insassen 0–14 15–17 18–24 25–64 mein langsamer gehen als Jüngere, sind sie hier im 0 Zu-/Abnahme in Prozent 65–74 75+ Nachteil. In Verbindung mit einem angeblich rück- -5 sichtslosen Verhalten einiger Verkehrsteilnehmer -10 sind Senioren demnach hier einem erhöhten Risi- ko ausgesetzt. Letzteres gilt auch für ein weiteres -15 asiatisches Land: Japan. Ältere Verkehrsteilneh- -20 mer sind dort ebenfalls mit Abstand die Gruppe *„powered two-wheeler“ = motorisierte Zweiräder mit dem höchsten Unfallrisiko. 2018 machten sie -25 OECD-Staaten außer Argentinien, OECD-Staaten außer 57 Prozent aller Todesfälle im Straßenverkehr aus. -30 Kanada, Kolumbien, Niederlande, Argentinien, Kanada, Die meisten im Straßenverkehr getöteten Senioren Slowenien und Ungarn Kolumbien und Slowenien -35 sterben in Japan als Fußgänger. Dies gilt nach An- Durchschnittliche Abnahme gaben des IHME außerhalb von Europa unter an- Quelle: IRTAD derem auch für Brasilien, Chile und China. 7 Verkehrstote pro 100.000 Einwohner nach Altersgruppen 21 Altersgruppe 85+ 19 80 – 84 Getötete pro 100.000 Einwohner 75 – 79 70 – 74 17 65 – 69 bis 64 15 13 11 9 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Jahr 7 Quelle: IRTAD 14
Breite Kreuzungen erfordern mehr Zeit zum Überqueren und erhöhen das Unfallrisiko für ältere Fußgänger relativ gering, aber um 86 Prozent gestiegen. Be- zogen auf die Bevölkerung, ist die Getötetenrate für Senioren ab einem Alter von 65 Jahren über all die Jahre höher als in den Altersgruppen darunter (Schaubild 7). Bei Verkehrsunfällen sterben in den USA die meisten Senioren als Pkw-Insassen. Das- selbe gilt nach Angaben des IHME außerhalb von Europa unter anderem auch für Australien, Kanada und Neuseeland. In den USA zeigen sich bei den Senioren keine besonderen Auffälligkeiten. Wie in vielen ande- SITUATION IN DER EU ren Staaten weisen Fahrer in der Altersgruppe 70+ eine höhere Unfallrate pro gefahrener Meile auf als In der Europäischen Union (EU 28) kamen im Jahr Fahrer mittleren Alters. Betrachtet man die Rate 2018 auf den Straßen 25.082 Menschen bei Ver- an tödlichen Verkehrsunfällen pro gefahrenem Ki- kehrsunfällen ums Leben. Gegenüber dem Jahr lometer, so steigt diese ab dem Alter von 70 bis 74 2008 mit 35.315 Getöteten bedeutet dies einen Jahren rapide an und ist in der Altersgruppe 85+ Rückgang um 29 Prozent. Von den 2018 ums Le- am höchsten. Für den Zeitraum von 2009 bis 2018 ben gekommenen Menschen waren 7.274 mindes- sind in den USA nach Angaben der National High- tens 65 Jahre alt, was einem Anteil von rund 29 way Traffic Safety Administration (NHTSA) für die Prozent an allen Getöteten entspricht (Schaubild 8). Altersgruppe 65+ vor allem folgende Entwicklun- Im Jahr 2008 lag dieser Anteil mit 7.397 Getöteten gen bemerkenswert: Die Zahl der tödlichen Ver- noch bei knapp 21 Prozent. Der Rückgang in abso- kehrsunfälle stieg in diesem Zeitraum um 30 Pro- luten Zahlen liegt damit in dieser Altersgruppe im zent, die Zahl der tödlich verunglückten Fußgänger betrachteten Zeitraum bei lediglich fünf Prozent, sogar um 65 Prozent (bei Männern um 74 Prozent der Anteil dieser Gruppe an allen Verkehrstoten und bei Frauen um 49 Prozent). Die Zahl der tödli- steigt deutlich an (Schaubild 9). Im Zeitraum 2010 chen Unfälle von Radfahrern ab 65 Jahren ist zwar bis 2018 sank die Zahl der Verkehrstoten in nahezu 8 9 Anteil der Verkehrstoten Entwicklung der Zahl der Verkehrstoten 34+21+2916 nach Altersgruppen 2018 nach Altersgruppen 2010 bis 2018 10 +5 % bis 24 Jahre 25 – 49 Jahre 16 % 34 % 0 Anteil in Prozent -10 -8 % -20 -30 -29 % -40 65+ Jahre -40 % 29 % 50 – 64 Jahre -43 % 21 % -50 0 – 17 18 – 24 25 – 49 50 – 64 65+ Altersgruppen Quelle: CARE Quelle: CARE 15
Unfallgeschehen allen Altersgruppen, bei den 18- bis 24-Jährigen so- gerungen beim Anteil an allen Verkehrstoten lie- gar um 43 Prozent. Dagegen kamen in der Alters- gen oberhalb der Zuwächse beim Bevölkerungs- gruppe 65+ 2018 fünf Prozent mehr Menschen bei anteil. Dies macht einen genaueren Blick in die Verkehrsunfällen ums Leben als 2010. Dies könn- Statistik erforderlich. Dabei fällt auf, dass rund 40 te eine Folge davon sein, dass die Bevölkerung, Prozent der im Straßenverkehr tödlich verunglück- EU-weit gesehen, über die Jahre immer älter wird. ten Frauen in der Altersgruppe 65+ sind. Bei den Männern liegt der Anteil bei lediglich rund 24 Pro- Im Jahr 2018 lebten in der EU (EU 28) rund 512 zent. Ursächlich hierfür sind aber eine höhere Ver- Millionen Menschen. Knapp 100 Millionen davon kehrsbeteiligung von Männern in jüngeren Jahren waren 65 Jahre oder älter, was einem Anteil von und ihre höhere Risikobereitschaft. Auffälligkeiten 20 Prozent entspricht. Im Jahr 2014 lag der An- gibt es auch bei der Art der Verkehrsteilnahme. So teil noch bei 18 Prozent (etwa 95 Millionen von gehören 47 Prozent der im Straßenverkehr getöte- knapp 508 Millionen). Der auch schon in der Ein- ten Fußgänger zur Gruppe 65+. Genaue Zahlen zur leitung beschriebene demografische Wandel hat Verteilung der Fußgänger auf die Altersgruppen damit an dieser Stelle einen Einfluss darauf, dass und die dabei zurückgelegten Wegstrecken gibt es in der Gruppe der Senioren die Zahl der Verkehrs zwar nicht, doch die Senioren dürften bei Weitem toten weniger stark zurückgeht. Insgesamt ist diese nicht die Hälfte aller Fußgänger oder Fußgänger- Gruppe aber überproportional betroffen – die Stei- Strecken repräsentieren. Prof. Dr. Walter Eichendorf Präsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) Handlungsauftrag für Politik und gesellschaftliche Akteure Mobilität ist ein entscheidender Faktor ist damit Handlungsauftrag für Politik und enerell verpflichtenden Überprüfung g für die Teilhabe am gesellschaftlichen Le- gesellschaftliche Akteure zugleich. Die der Fahreignung im Alter derzeit abzuse- ben. Personen höheren Alters sind heu- Alterung der Gesellschaft erfordert da- hen. Gleichwohl muss der Blick auf die te mobiler als noch vor 20 oder 30 Jah- bei eine Umstrukturierung und Vereinfa- Entwicklung der Unfallzahlen gerichtet ren. Individuelle Mobilität gilt mehr denn chung des infrastrukturellen Aufbaus des bleiben, denn schon heute gilt das je als wichtiger Bestandteil einer hohen Verkehrssystems. Dies zieht Verbesserun- 75. Lebensjahr hinsichtlich der Unfall Lebensqualität. gen bei der Gestaltung und dem Betrieb beteiligung und Schuldfrage als Scheide- Die Verfügung über ein eigenes Kraft- von Knotenpunkten hin zu einer reduzier- punkt in der Statistik. fahrzeug symbolisiert dabei Freiheit ten Komplexität nach sich. Ausreichende Alle Verkehrsteilnehmenden soll- und Unabhängigkeit und ist oft verbun- Räumzeiten und getrennte Ampelphasen ten gegenüber Älteren ganz besonde- den mit der Vorstellung, Reisen und Aus- können die gefühlte und faktische Sicher- re Rücksicht im Straßenverkehr zeigen. flüge durchzuführen oder einfach den heit älterer Zufußgehender erhöhen. Um Gleichzeitig können ältere Verkehrsteil- „Anschluss“ nicht zu verlieren. Auch das möglichen verzögerten Wahrnehmungs- nehmende auch selbst dazu beitragen, Fahrrad, ob mit oder ohne elektrische leistungen im Alter begegnen zu können, das Risiko zu senken, im Straßenverkehr Tretunterstützung, erfreut sich zunehmen- ist es ratsam, über eine generelle Ver- zu verunglücken. Hilfreich ist es, sich der Beliebtheit. Mit höherem Alter steigt langsamung des Verkehrsablaufs im Sin- deutlich sichtbar zu machen – bspw. mit zudem der Anteil des Zufußgehens im ne eines fehlerverzeihenden Verkehrssys- entsprechender Kleidung und Reflekto- Modal Split. tems nachzudenken. Insgesamt muss der ren. Schließlich ist auch eine gesunde So erfreulich die Zunahme der Mobili- Straßenraum künftig zugunsten eines si- Selbstreflexion ein Schlüssel für ein Mehr tät im Alter ist, so hat sie auch ihre Schat- cheren Fuß- und Radverkehrs umgestaltet an Verkehrssicherheit. Werden altersbe- tenseiten. In den vergangenen Jahren werden. Quartiere mit guter Nahversor- dingte sensorische, kognitive oder mo- war durchschnittlich ein Drittel aller im gung, sicheren und kurzen Fuß- und Rad- torische Leistungseinbußen identifiziert, Straßenverkehr Getöteten älter als wegen, attraktiven Sitzgelegenheiten und die Einfluss auf die Fahrfähigkeiten ha- 65 Jahre. Besonders dramatisch stellen ausreichend sicheren Querungsmöglich- ben, will das weitere uneingeschränkte sich die Zahlen bei den getöteten Rad- keiten erlauben es, im Alter sicher mobil Auto- oder Radfahren wohlüberlegt sein. fahrenden und Zufußgehenden dar. Hier und unabhängig zu sein. Für mehr Klarheit im Einzelfall kann hier war jeder Zweite älter als 65 Jahre. Da Ältere als Unfallverursacher in ein Gesundheitscheck, ein Fahrsicher- Älteren Menschen eine sichere Teilnah- der Unfallstatistik bisher nur eine unter heitstraining oder eine Rückmeldefahrt me am Straßenverkehr zu ermöglichen, geordnete Rolle spielen, ist von einer sorgen. 16
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