Verkehrssicherungspflichten des Bauherrn und Haftung f r Drittsch den aus 823 Abs.1 BGB

Die Seite wird erstellt Noelle Heise
 
WEITER LESEN
Verkehrssicherungspflichten des Bauherrn und Haftung für Drittschäden . . .                          BauR 12/2002

Rechtsanwalt Stefan Müller, Leipzig [*]

Verkehrssicherungspflichten des Bauherrn und Haftung
für Drittschäden aus § 823 Abs.1 BGB
Ein Urteil der 4. Zivilkammer des LG Leipzig        BGB. Sie erbringen … wie auch die 4. Zivil-
[1] gibt Anlaß, auf die Haftung des Bauherrn        kammer des LG Leipzig unter I der Gründe
für Drittschäden bei Verletzung von Verkehrs-       zutreffend ausführt … ihre Leistungen viel-
sicherungspflichten gemäß § 823 Abs.1 BGB           mehr selbständig und unabhängig von Wei-
näher einzugehen. Der Entscheidung liegt ein        sungen des Bauherrn, wie sie es nach eige-
klassischer Drittschadensfall zugrunde: Ein         ner Sachkunde und Erfahrung für zweckmä-
Bauherr ließ durch eine von ihm beauftragte         ßig und erforderlich halten [4]. Daran ändert
Baufirma eine Regenwasserleitung verlegen,          sich auch dann nichts, wenn sich der Bau-
die über mehrere Fremdgrundstücke führte.           herr vorbehält, dem beauftragten Statiker,
Die Bauüberwachung wurde einem Architek-            Bauunternehmer oder Architekten Weisun-
ten übertragen. Die Grundstücke wurden auf          gen zu erteilen [5].
Grundlage bestehender Pachtverträge vom
Kläger landwirtschaftlich genutzt. Nach Ab-         Damit ist der Tatbestand des § 823 Abs.1
schluß der Bauarbeiten kam es auf dem               BGB in Schadensersatzprozessen gegen den
Pachtland zu Überschwemmungen, deren Ur-            Bauherrn von zentraler Bedeutung. Eine Haf-
sache der Kläger in einer Zerstörung von            tung nach § 823 Abs.1 BGB setzt ein eigenes
Dränageanlagen durch die bauausführende             pflichtwidriges und schuldhaftes Verhalten
Firma sah. Er beanspruchte daher vom Bau-           des Anspruchgegners voraus. Das Vorliegen
herrn Ersatz der entstandenen Substanz-             dieser Tatbestandsvoraussetzungen hat der
und Ernteausfallschäden. In Ermangelung             Geschädigte im Haftungsprozeß nicht nur
vertraglicher Ansprüche nahm die erkennen-          schlüssig darzulegen. Im Bestreitensfalle trifft
de Kammer zum Bestehen einer Deliktshaf-            ihn auch … sofern nicht ausnahmsweise eine
tung aus § 823 Abs.1 BGB Stellung. Zu Recht         Beweislastumkehr eingreift … die entspre-
wurde vorliegend eine Verletzung von Ver-           chende Beweislast. Im Bauprozeß wird häufig
kehrssicherungspflichten des beklagten Bau-         versucht, dem Bauherrn die Verletzung einer
herrn abgelehnt.                                    Verkehrssicherungspflicht nachzuweisen, da
                                                    hier bei erfolgreicher Beweisführung neben
                                                    dem objektiven Pflichtverstoß regelmäßig
I. Keine Bauherrenhaftung aus § 831 BGB             auch ein Verschulden des Bauherrn indiziert
Wird einem Bauherrn eine deliktische Verant-        wird oder prima facie feststeht [6]. Inhalt und
wortung für das Verhalten von ihm beauftrag-        Umfang dieser Verkehrssicherungspflicht gilt
ter Personen nach §§ 823 ff. BGB vorgewor-
fen, sind zwei Anspruchsgrundlagen [2]              [*] Der Verfasser ist Doktorand bei Herrn Prof. Dr. Burkhard Boemke
streng auseinanderzuhalten: § 831 Abs.1             (Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht, Universi-
                                                    tät Leipzig).
BGB und § 823 Abs.1 BGB.                            [1] LG Leipzig v. 10. 7. 2001 … 4 O 10382/00 …, NJW-RR 2002, 952 f.
                                                    [2] Vgl. zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit Stree, in: Schönke/
Nach § 831 Abs.1 BGB haftet der Geschäfts-          Schröder, 25. Aufl. 1997, § 13 Rdnr. 43 ff.
                                                    [3] Anders als § 278 BGB (Haftung für Erfüllungsgehilfen) begründet
herr für eigenes vermutetes Verschulden und         § 831 BGB keine Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn für fremdes
zwar ohne Rücksicht darauf, ob die von ihm          Verschulden. Diese Vorschrift statuiert vielmehr eine Haftung für
                                                    sein eigenes schuldhaftes Fehlverhalten, die unsorgfältige Auswahl
ausgewählten, überwachten resp. geleiteten          resp. mangelnde Beaufsichtigung der Verrichtungsgehilfen (vgl.
                                                    Jauernig/Teichmann, 8. Aufl. 1997, § 831 Rdnr.1). Daher setzt der
Hilfspersonen,    die   Verrichtungsgehilfen,       Tatbestand des § 831 BGB ein Verschulden des Verrichtungsgehil-
schuldhaft gehandelt haben [3]. Eine Haftung        fen auch nicht voraus.
                                                    [4] Vgl. BGH v. 30.10.1959 … VI ZR 156/58 …, VersR 1960, 134, 136;
des Bauherrn aus § 831 Abs.1 BGB für                BGH v. 25.11.1964 … V ZR 185/62 …, VersR 1965, 185, 186 = BGHZ
Pflichtverletzungen von Statikern, Bauhand-         42, 374, 375; OLG Hamm v. 29. 9.1995 … 9 U 48/95 …, NJW-RR
                                                    1996, 1362 (3 a) der Gründe); Ingenstau/Korbion, 14. Aufl. 2001,
werkern und Architekten ist nicht von prakti-       § 10 VOB/B Rdnr.101; Locher, Das private Baurecht, 6. Aufl. 1996,
                                                    § 45 1 a) bb) Rdnr. 442.
scher Relevanz. Denn die mit der Baupla-            [5] Vgl. BGH v. 24. 6.1953 … VI ZR 322/52 …, VersR 1953, 358, 359.
nung, Bauausführung und Bauüberwachung              [6] Vgl. dazu Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht,
beauftragten Personen gelten nicht als Ver-         Band 1, 2. Aufl. 1991, § 823 Abs.1 Rdnr.11 f.; Ingenstau/Korbion (o.
                                                    Fußn. 4), § 10 VOB/B Rdnr.111; MünchKomm.-Mertens, Band 5,
richtungsgehilfen des Bauherrn i. S. von § 831      3. Aufl. 1997, § 823 Rdnr. 61.

                                                                                                                  1789
BauR 12/2002                                                                                               MÜLLER

es nachfolgend näher zu umreißen (II. bis IV.).     Ursache in einer nicht sachgemäßen und ge-
Schließlich bietet das Urteil des LG Leipzig        fährlichen Bauausführung liegt [10].
noch Gelegenheit, kurz auf ein weiteres mate-
riell-rechtliches Problem einzugehen: den               Beispiel: [11]
Anspruch des Besitzers auf Geldersatz für er-
littene Sachsubstanzschäden (V.).                       Bei der Feier des Richtfestes stürzt ein Gast in
                                                        einen nicht abgedeckten Schacht, der für die
                                                        Kellertreppe vorgesehen ist. Der Bauherr hätte
II. Baumaßnahmen als haftungs-                          hier im Rahmen der ihm obliegenden Verkehrs-
    begründende Gefahrenquellen                         sicherungspflicht Sicherungsmaßnahmen er-
                                                        greifen und den offenen Schacht abdecken
Es entspricht allgemeiner Ansicht, daß jeder-           müssen, da die Gefahr des Hineinfallens von
mann gehalten ist, im (Rechts-)Verkehr im               Baustellenbesuchern in einen nicht abgedeck-
Rahmen des Zumutbaren Rücksicht auf an-                 ten Schacht für einen Bauherrn im Rahmen des
dere zu nehmen und Gefährdungen von                     Vorhersehbaren liegt. Für die vorliegende Ver-
Rechten und Rechtsgütern Dritter möglichst              letzung dieser Verkehrssicherungspflicht haftet
auszuschließen. Denjenigen, der eine Gefah-             er dem geschädigten Gast nach § 823 Abs.1
                                                        BGB.
renquelle eröffnet resp. unterhält, trifft daher
die Rechtspflicht, diejenigen Vorkehrungen
zu treffen, die den Sicherheitserwartungen          Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungs-
                                                    pflicht lassen sich nicht allgemeingültig defi-
des jeweiligen Verkehrskreises entsprechen
und im Rahmen des wirtschaftlich Zumutba-           nieren. Die entsprechenden Anforderungen
                                                    an den Bauherrn werden neben den Beson-
ren geeignet sind, Gefahren von Dritten abzu-
wenden, die bei bestimmungsgemäßen oder             derheiten des Einzelfalles im wesentlichen
                                                    von drei Umständen beeinflußt:
bei nicht ganz fernliegendem bestimmungs-
widrigen Umgang mit der Gefahrenquelle
                                                    1. Vertrauensgrundsatz
drohen [7].
                                                    Bei der Konkretisierung von Verkehrssiche-
Mit der Veranlassung von Baumaßnahmen               rungspflichten ist darauf abzustellen, was ein
schafft und unterhält der Bauherr eine Gefah-       verständiger und umsichtiger, in vernünftigen
renquelle und ist daher Adressat der be-            Grenzen vorsichtiger Mensch für ausrei-
schriebenen Verkehrssicherungspflicht. So-          chend halten darf, um andere vor Schäden
weit über dieses Ergebnis in Rechtsprechung         zu bewahren [12]. Ein absoluter Schutz kann
[8] und Lehre [9] noch weitestgehend Einig-         zwar von keinem verlangt werden [13]. Aus
keit besteht, wird regelmäßig heftig über den       Sicht des Pflichtigen (Bauherr) ist aber stets
Umfang der im konkreten Einzelfall geltenden        zu prüfen, ob er mit der jeweiligen Gefahr und
Verkehrssicherungspflicht gestritten. In die-       deren Realisierung durch den konkret einge-
sem Zusammenhang ist streng zu differenzie-
ren, ob der Bauherr die Baumaßnahmen in             [7] Vgl. BGH v. 21. 2.1978 … VI ZR 202/76 …, NJW 1978, 1629; BGH
Eigenregie durchführt (III.) oder ob er sich        v. 11.12.1984 … VI ZR 218/83 …, NJW 1985, 1076 f.; Ingenstau/Kor-
                                                    bion (o. Fußn. 4), § 10 VOB/B Rdnr.100; Medicus, Bürgerliches
… wie in dem vom LG Leipzig entschiedenen           Recht, 17. Aufl. 1996, § 25 III Rdnr. 654; Palandt/Thomas, 61. Aufl.
Fall … der Hilfe Dritter bedient (IV.).             2002, § 823 Rdnr. 58.
                                                    [8] Vgl. BGH v. 22.12.1953 … V ZR 175/52 …, BB 1954, 175; BGH v.
                                                    21.1.1958 … VI ZR 306/56 …, NJW 1958, 627, 629; OLG München v.
                                                    25. 5.1994 … 1 U 5787/93 …, NJW-RR 1994, 1241; OLG Hamm v.
III. Baumaßnahmen in Eigenregie                     29. 9.1995 … 9 U 48/95 …, NJW-RR 1996, 1362 (3 a) der Gründe); LG
                                                    Leipzig v. 10. 7. 2001 … 4 O 10382/00 …, NJW-RR 2002, 952, 953 (I
                                                    der Gründe).
Ein Bauherr, der die von ihm veranlaßten            [9] Vgl. Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB-Komm., 2002, § 4
Baumaßnahmen in eigener Regie durchführt,           VOB/B Rdnr. 66; Kullmann, in: FS für Korbion, 1986, S. 235 (unter I
                                                    1); Werner/Pastor, Der Bauprozeß, 9. Aufl. 1999, Rdnr.1852.
ist eher in der Lage, vom Bauvorhaben aus-          [10] Vgl. OLG Hamm v. 29. 9.1995 … 9 U 48/95 …, NJW-RR 1996,
gehende Gefahren für Dritte zu erkennen und         1362 (3 a) der Gründe); Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen (o.
                                                    Fußn. 9), § 4 VOB/B Rdnr. 66; Locher (o. Fußn. 4), § 45 1 a) aa)
zu verhindern, als ein Bauherr, der Baumaß-         Rdnr. 441; Werner/Pastor (o. Fußn. 9), Rdnr.1852.
nahmen unter fremder Regie durchführen              [11] In Anlehnung an BGH v. 2.11.1982 … VI ZR 32/81 …, BauR 1983,
                                                    387, 388.
läßt. Ihn trifft daher in vollem Umfang die         [12] Vgl. BGH v. 20. 9.1994 … VI ZR 162/93 …, NJW 1994, 3348 (II 2
Pflicht, dafür Sorge zu tragen, daß Dritte (z. B.   der Gründe); Jauernig/Teichmann (o. Fußn. 3), § 823 Rdnr. 36; Kuss,
                                                    2. Aufl. 1997, § 4 VOB/B Rdnr. 75.
Nachbarn) aber auch auf der Baustelle tätige        [13] Vgl. BGH v. 13. 7.1989 … III ZR 122/88 …, BGHZ 108, 273, 274 f.
Personen keinen Schaden erleiden, dessen            (3 a) der Gründe); Kuss (o. Fußn.12), § 4 VOB/B Rdnr. 76.

1790
Verkehrssicherungspflichten des Bauherrn und Haftung für Drittschäden . . .                        BauR 12/2002

tretenen Schaden rechnen mußte oder ob er           weils geltenden Verkehrssicherungspflicht zu
darauf vertrauen durfte, daß die entsprechen-       konkretisieren [19].
de Gefahr nicht von der beherrschten Gefah-
renquelle ausgeht resp. sich nicht in dem ein-      Es bleibt festzuhalten, daß ein in Eigenregie
getretenen Schaden realisiert (sog. Vertrau-        tätiger Bauherr im Regelfall verpflichtet ist,
ensgrundsatz) [14].                                 die Realisierung typischer Gefahren, die von
                                                    der Baustelle und den konkreten Baumaß-
2. Sach- und Fachkunde                              nahmen ausgehen können, im Rahmen des
                                                    Zumutbaren und Erforderlichen zu vermei-
Aus der Geltung des Vertrauensgrundsatzes
                                                    den, indem er insbesondere die Sicherheits-
ergibt sich zugleich, daß Inhalt und Umfang
                                                    anforderungen der einschlägigen DIN-Nor-
der Verkehrssicherungspflichten von der Er-
                                                    m(en) erfüllt.
kennbarkeit der Gefahr und damit auch von
der Sach- und Fachkunde des jeweils in An-              Beispiel:
spruch genommenen Bauherren und des je-
weils geschädigten Anspruchstellers abhän-              Bei der Verlegung einer Regenwasserleitung in
gen [15]. Ein kundiger Bauherr wird von sei-            Ackerböden besteht typischerweise die Gefahr,
nem Bauvorhaben ausgehende Gefahren                     daß ein bestehendes Dränagesystem durch die
eher vorhersehen und damit auch verhindern              Erdarbeiten in Mitleidenschaft gezogen wird
können, als ein Laie. Mit steigenden Kennt-             und damit die entsprechend geschädigten Flä-
nissen erhöhen sich damit die Anforderungen             chen überschwemmt werden können. Den in
an die jeweils vom Bauherrn einzuhaltenden              Eigenregie tätigen Bauherrn trifft damit gegen-
                                                        über dem Eigentümer resp. Nutzern der betrof-
Sicherungsmaßnahmen [16]. Auf der ande-
                                                        fenen Ackerflächen die Verkehrssicherungs-
ren Seite sind Inhalt und Umfang der Ver-               pflicht, sich vor Beginn der Erdarbeiten über
kehrssicherungspflicht auch von der Sach-               die Lage und den Verlauf des Dränagesystems
und Fachkompetenz des von der „Gefahren-                (etwa durch Einsichtnahme in bestehende Me-
quelle Baustelle“ betroffenen Personenkrei-             liorations- resp. Dränagepläne) zu vergewis-
ses abhängig [17]. Ein Bauherr kann erwar-              sern. Sofern keine entsprechenden Pläne vom
ten, daß sich Personen, die mit der von ihm             Eigentümer resp. Nutzer der Flächen vorgelegt
eröffneten und unterhaltenen Gefahrenquelle             werden (können), ist die Lage des Dränagesy-
in Berührung kommen, ihrer Sach- und Fach-              stems vom Bauherrn selbst zu erkunden [20].
kunde folgend verhalten und daher eher auf
mögliche Gefahrenquellen des Bauvorha-              IV. Baumaßnahmen in Fremdregie
bens reagieren, nämlich diesen ausweichen,          Fraglich ist, ob der Bauherr von seinen Ver-
als dies bei unkundigen Personen der Fall ist.      kehrssicherungspflichten teilweise befreit
                                                    werden kann, wenn er … wie in dem vom LG
3. Regeln der Technik/Sonstige Vorschriften         Leipzig entschiedenen Fall … die Bauausfüh-
Schließlich sind die für den jeweils betroffe-      rung und Bauüberwachung nicht selbst vor-
nen Verkehrskreis geltenden anerkannten             nimmt, sondern Dritten überträgt.
Regeln der Technik aber auch sonstige Vor-
schriften (insbesondere Unfallverhütungsvor-        [14] Vgl. Jauernig/Teichmann (o. Fußn. 2), § 823 Rdnr. 36; Medicus
schriften der Bauberufsgenossenschaften)            (o. Fußn. 7), § 25 II 6 Rdnr. 652; MünchKomm.-Mertens (o. Fußn. 6),
                                                    § 823 Rdnr. 216.
für die Bestimmung der Verkehrssicherungs-          [15] Vgl. dazu auch BGH v. 26. 5.1998 … VI ZR 183/97 …, NJW 1998,
pflicht des Bauherrn von Bedeutung [18]. So         2436 (Ls. 1); MünchKomm.-Mertens (o. Fußn. 6), § 823 Rdnr. 217.
spiegeln die Empfehlungen des „Deutschen            [16] Vgl. dazu Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen (o. Fußn. 9), § 4
                                                    VOB/B Rdnr. 66; Kuss (o. Fußn.12), § 4 VOB/B Rdnr. 80; Locher,
Instituts für Normung e. V.“, die sog. DIN-Nor-     HOAI-Komm., 7. Aufl. 1996, § 15 Rdnr. 212.
men, den Stand der im jeweiligen Verkehrs-          [17] Vgl. zur Erkennbarkeit der Gefahr auf Betroffenenseite BGH v.
                                                    28.10.1986 … VI ZR 254/85 …, BauR 1987, 116, 118 (II 2 b) bb) der
kreis geltenden allgemein anerkannten Re-           Gründe).
geln der Technik wider. Mithin kann nach der        [18] Vgl. BGH v. 30.1. 2001 … VI ZR 49/00 …, BauR 2001, 968; Inge-
                                                    nstau/Korbion (o. Fußn. 4), § 10 VOB/B Rdnr.106 m. w. N.
Verkehrsanschauung die Einhaltung der in            [19] Vgl. BGH v. 1. 3.1988 … VI ZR 190/87 …, NJW 1988, 2267, 2268
diesen Normen an die Bauherrenseite gerich-         (II 1 b) der Gründe); BGH v. 12.11.1996 … VI ZR 270/95 …, BauR
                                                    1997, 148, 150 (II 1 b) aa) der Gründe).
teten Sicherheitsanforderungen erwartet wer-        [20] Entsprechend ist auch in DIN 18 300 (Erdarbeiten) unter
den. Die DIN-Normen sind damit in besonde-          Nr. 3.1.4 (Ausführung) geregelt: „Wenn die Lage vorhandener (...)
                                                    Dräne (...) vor Ausführung der Arbeiten nicht angegeben werden
rer Weise dazu geeignet, den Umfang der je-         kann, ist diese zu erkunden.“

                                                                                                               1791
BauR 12/2002                                                                                               MÜLLER

1. Grundsatz: Keine Befreiung von der             zu fordernden Überwachungsmaßnahmen
   Verkehrssicherungspflicht                      hängt wesentlich von der Gefahrgeneigtheit
                                                  der jeweiligen Baumaßnahme ab [27]. Eine
In Übereinstimmung mit der vorherrschenden
                                                  Haftung des Bauherrn aus Vernachlässigung
Ansicht in Rechtsprechung [21] und Lehre
                                                  seiner Verkehrssicherungspflichten gemäß
[22] geht auch die 4. Zivilkammer des LG
                                                  § 823 Abs.1 BGB kommt in diesen Fällen im-
Leipzig unter I der Gründe davon aus, daß ein
                                                  mer dann in Betracht, wenn der Bauherr trotz
Bauherr selbst dann nicht von den ihm oblie-
                                                  berechtigter Zweifel an der Erfüllung der Si-
genden Verkehrssicherungspflichten befreit
                                                  cherheitsanforderungen durch die beauf-
wird, wenn er die Bauplanung, Bauausfüh-
                                                  tragte Baufirma nicht die hier erforderlichen
rung und Bauüberwachung zuverlässigen
                                                  und zumutbaren Maßnahmen einleitet (z. B.
und fachkundigen Personen überträgt. Dem
                                                  Aufforderung an die Baufirma, tätig zu wer-
ist uneingeschränkt zuzustimmen. Denn Ver-
                                                  den oder Schadens- resp. Gefahrbeseitigung
anlasser der Baumaßnahmen und damit der
                                                  durch den Bauherren selbst) [28].
Gefahrenquelle bleibt auch hier der Bauherr.
Er kann sich nicht dadurch einseitig aus dem
                                                  b) Bauüberwachung durch Dritte
nach § 823 Abs.1 BGB begründeten gesetzli-
                                                     (Architekten)
chen Schuldverhältnis entziehen, indem er
Planung, Ausführung oder Überwachung des          Überträgt der Bauherr nicht nur die Bauaus-
Bauvorhabens in die Hände Dritter legt. Die       führung, sondern auch deren Überwachung
einseitige Auswechslung des Schuldners ist        jeweils einem als zuverlässig und sachkundig
im Rahmen der §§ 823 ff. BGB nicht vorgese-       geltenden Dritten, dann ist er von der ihm ob-
hen. Mithin käme ein vollständiges Erlöschen      liegenden Überwachungspflicht weitgehend
der Verkehrssicherungspflichten nur dann in       befreit [29].
Betracht, wenn eine Rechtsnorm deren Über-
tragung zuläßt [23]. Eine Übertragungsmög-        Dem Bauherrn auch in diesem Fall eine
lichkeit für die Erfüllung von Verkehrssiche-     Pflicht zur Überwachung des mit der Bauaus-
rungspflichten des Bauherrn durch Dritte ist      führung beauftragten Dritten aufzuerlegen,
gesetzlich nicht vorgesehen. Mithin bleibt der    würde ihn übermäßig belasten. Die Pflicht zur
Bauherr auch bei einer Übertragung von            (stichprobenartigen) Bauüberwachung geht
Bauplanung, Bauausführung oder Bauüber-           auf den mit der Bauüberwachung beauftrag-
wachung auf Dritte weiterhin Adressat von
Verkehrssicherungspflichten, deren Inhalt         [21] Vgl. RG v. 19. 2.1931 … VI 386/30 …, RGZ 132, 51, 59; BGH v.
und Umfang nachfolgend (unter IV. 2.) kon-        11. 5.1976 … VI ZR 210/73 …, VersR 1976, 954, 955 (B II 1 der Grün-
                                                  de) m. w. N.; OLG Hamm v. 29. 9.1995 … 9 U 48/95 …, NJW-RR 1996,
kretisiert wird.                                  1362 (3 c) der Gründe).
                                                  [22] Vgl. Ingenstau/Korbion (o. Fußn. 4), § 10 VOB/B Rdnr.105; Lo-
                                                  cher (o. Fußn. 4), § 45 1 a) bb) Rdnr. 442; Kuss (o. Fußn.12), § 4 VOB/
                                                  B Rdnr. 79; abweichend Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen (o.
2. Inhalt und Umfang der Verkehrs-                Fußn. 9), § 4 VOB/B Rdnr. 66, die bei einem unkundigen Bauherrn
                                                  eine Pflichtbefreiung befürworten.
   sicherungspflicht                              [23] In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß ein voll-
                                                  ständiges Erlöschen der Verkehrssicherungspflicht z. B. in den sog.
a) Bauausführung durch Dritte                     „Streufällen“ zu bejahen ist, wenn der Pflichtige in Anwendung der
                                                  geltenden Ortssatzung die Ausführung der Streupflicht auf einen
   (Bauunternehmer)                               Dritten übertragen hat. Vgl. BGH v. 24. 4.1972 … III ZR 137/70 …, NJW
                                                  1972, 1321, 1322.
Soweit der Bauherr eine als zuverlässig und       [24] Vgl. BGH v. 9. 3.1982 … VI ZR 220/80 …, BauR 1982, 399, 400 (II
sachkundig geltende Baufirma mit der Bau-         1 der Gründe); unzutreffend daher Werner/Pastor (o. Fußn. 9),
                                                  Rdnr.1853, die davon ausgehen, daß der Bauherr hier von seiner
ausführung beauftragt, wird die ihm als Bau-      Verkehrssicherungspflicht „befreit“ wird.
herr obliegende Verkehrssicherungspflicht         [25] Teilweise wird diesbezüglich von „sekundären Verkehrssiche-
                                                  rungspflichten“ gesprochen. Vgl. etwa Kuss (o. Fußn.12), § 4 VOB/B
(s.o. unter III.) eingeschränkt [24]. Sie bein-   Rdnr. 79.
haltet nunmehr eine bloße Überwachungs-           [26] Vgl. Kullmann (o. Fußn. 9), S. 235, 238 (unter I 3); Medicus (o.
                                                  Fußn. 7), § 25 IV 1 Rdnr. 656.
pflicht [25].                                     [27] Vgl. dazu auch Locher (o. Fußn.16), § 15 Rdnr. 210.
                                                  [28] Vgl. Kuss (o. Fußn.12), § 4 VOB/B Rdnr. 79; Werner/Pastor (o.
                                                  Fußn. 9), Rdnr.1854.
Grundsätzlich muß sich daher der Bauherr in       [29] Vgl. BGH v. 30.10.1959 … VI ZR 156/58 …, VersR 1960, 134;
angemessenen Abständen stichprobenartig           BGH v. 11. 5.1976 … VI ZR 210/73 …, VersR 1976, 954, 955 (B II 1 der
                                                  Gründe); BGH v. 9. 3.1982 … VI ZR 220/80 …, BauR 1982, 399, 400 (II
davon überzeugen, daß die beauftragte Bau-        1 der Gründe); OLG München v. 25. 5.1994 … 1 U 5787/93 …, NJW-
firma die von ihm übernommene Verkehrssi-         RR 1994, 1241; OLG Hamm v. 29. 9.1995 … 9 U 48/95 …, NJW-RR
                                                  1996, 1362 (3 c) der Gründe); Kullmann (o. Fußn. 9), S. 235, 236 f.
cherungspflicht erfüllt [26]. Der Umfang der      m. w. N.

1792
Verkehrssicherungspflichten des Bauherrn und Haftung für Drittschäden . . .                             BauR 12/2002

ten Dritten (also regelmäßig auf einen Archi-        Zum ersatzfähigen Schaden i. S. von § 823
tekten) über [30]. Eine Pflicht zum eigenen          BGB i. V. m. §§ 249 ff. BGB zählen nicht nur die
Handeln des Bauherrn besteht auch hier nur           entgangenen Nutzungen (Ernteausfallschä-
dann, wenn er Gefahren erkannt hat oder be-          den) [39]. Der Besitzer kann auch seine
rechtigten Anlaß zu Zweifeln an der ord-             Mehraufwendungen zur Beseitigung der Be-
nungsgemäßen Bauausführung resp. Bau-                sitzstörungsfolgen geltend machen [40]. In
überwachung hatte oder haben mußte [31].             dem vom LG Leipzig entschiedenen Fall sind
                                                     insoweit die Kosten für die Reparatur der zer-
Gemessen an diesen Grundsätzen hat das               störten Dränage und Auflockerung des ver-
LG Leipzig völlig zu Recht eine Verletzung der       dichteten Bodens in Betracht zu ziehen.
Verkehrssicherungspflicht des beklagten
Bauherrn abgelehnt. Denn dieser hatte unbe-          Soweit diese Substanzschäden geltend ge-
stritten als zuverlässig bekannte Fachleute          macht werden, entstehen Konkurrenzproble-
mit der Bauausführung und -überwachung               me. Es konkurrieren Schadensersatzansprü-
beauftragt [32]. Bis zum Abschluß der Erdar-         che des besitzenden Pächters mit inhaltsglei-
beiten gab es für ihn keinen Anlaß, an einer         chen Ansprüchen des Eigentümers [41].
ordnungsgemäßen Erfüllung des mit beiden             Würde man dem klagenden Besitzer in dieser
Aufgabenbereichen (Bauausführung und                 Fallkonstellation einen Wertersatzanspruch
Bauüberwachung) verbundenen Pflichtenka-             zusprechen, dann könnte dies zu einer Be-
nons zu zweifeln. Erst nach Beendigung der           nachteiligung des beklagten Bauherrn füh-
Erdarbeiten wurde bekannt, daß die Dränage           ren, wenn der Kläger das Geld nicht zur Be-
möglicherweise beschädigt wurde. Der be-             seitigung der eingetretenen Substanzschä-
klagte Bauherr hat, wie die erkennende Zivil-        den verwendet. Der Bauherr sähe sich man-
kammer des LG Leipzig (unter I der Gründe)
zutreffend ausführt, auch die ihm insoweit ob-
                                                     [30] Vgl. BGH v. 10. 3.1977 … VII ZR 278/75 …, BauR 1977, 428, 431 f.
liegenden Bauherrenpflichten erfüllt. Er leitete     (III 3 b) bb) der Gründe); Löffelmann/Fleischmann, Architektenrecht,
                                                     3. Aufl. 1995, Kap. 4 B I 4 e) bb) Rdnr. 408.
die notwendigen Maßnahmen zur Erfor-
                                                     [31] Vgl. BGH v. 9. 3.1982 … VI ZR 220/80 …, BauR 1982, 399, 400 (II
schung der Schadensursache ein und for-              2 der Gründe); OLG München v. 25. 5.1994 … 1 U 5787/93 …, NJW-
                                                     RR 1994, 1241; Ingenstau/Korbion (o. Fußn. 4), § 10 VOB/B
derte vorsorglich die von ihm mit den Erdar-         Rdnr.105; Kullmann (o. Fußn. 9), S. 235, 238 (unter I 3 a)) m. w. N.;
beiten beauftragte Baufirma zur Beseitigung          Kuss (o. Fußn.12), § 4 VOB/B Rdnr. 79 f.
                                                     [32] An dieser Stelle sei angemerkt, daß der Kläger die von Beklag-
möglicher Mängel auf.                                tenseite behauptete Sach- und Fachkunde der bauausführenden
                                                     Firma und des (ebenfalls beklagten) Architekten nicht angezweifelt
                                                     hat. Bei substantiiertem Bestreiten läge es am beklagten Bauherrn,
                                                     die behauptete Zuverlässigkeit und Fachkunde zu beweisen. Dieser
V. Zahlungsanspruch des Besitzers als                Darlegungs- und Beweislast könnte er etwa durch den Vortrag und
                                                     Beweis des Vorliegens einer langandauernden erfolgreichen Zu-
   Ersatz für Substanzschäden                        sammenarbeit dieser Personen mit ihm (aber auch mit anderen Auf-
                                                     traggebern) genügen.
Der Sachverhalt, der dem Urteil des LG Leip-         [33] Zu denken ist vorliegend an die Kosten für den Ersatz der zer-
zig zugrunde liegt, enthält letztlich ein weite-     störten Dränageleitung und für die Wiederaufbereitung (Auflocke-
                                                     rung) des infolge der Überschwemmung verdichteten Ackerbodens.
res materiell-rechtliches Problem: den Wer-          [34] Insoweit kommt es vorliegend auf die Frage, ob auch der nicht-
tersatzanspruch des Besitzers für erlittene          berechtigte Besitzer Schadensersatzansprüche aus § 823 BGB gel-
                                                     tend machen kann (vgl. dazu BGH v. 21. 2.1979 … VIII ZR 124/78 …,
Substanzschäden [33].                                BGHZ 73, 355, 362; Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl. 1999, § 9 V
                                                     1, S. 88 f.), nicht an.
                                                     [35] Vgl. § 585 Abs.1 Satz 1, Abs. 2 BGB i. V. m. § 581 Abs.1 Satz 1
Als Pächter war der Kläger berechtigter Be-          BGB.
sitzer der von den streitgegenständlichen            [36] Vgl. dazu Palandt/Bassenge (o. Fußn. 7), § 862 Rdnr. 4…6.
                                                     [37] Zum Besitz (des Mieters resp. Pächters) als „sonstiges Recht“
Erdarbeiten berührten Ackerflächen [34]. Ihm         i. S. von § 823 Abs.1 BGB: RG v. 25.10.1917 … VI 367/17 …, RGZ 91,
wurde für die Dauer des Pachtverhältnisses           60, 65 f.; BGH v. 26. 3.1974 … VI ZR 103/72 …, BGHZ 62, 243, 248;
                                                     Baur/Stürner (o. Fußn. 34), § 9 V 1 a), S. 88; Haas, BB 1986, 1446,
der Gebrauch und das Recht, diese Flächen            1448 (unter III 4); Medicus (o. Fußn. 7), Rdnr. 607.
landwirtschaftlich zu nutzen, übertragen [35].       [38] Zum Charakter von § 858 BGB als Schutzgesetz i. S. von § 823
                                                     Abs. 2 BGB: BGH v. 7. 3.1956 … V ZR 106/54 …, BGHZ 20, 169, 171;
Wird durch eine (teilweise) Zerstörung der           BGH v. 7. 5.1991 … VI ZR 259/90 …, BGHZ 114, 305, 313 f.; Baur/Stür-
                                                     ner (o. Fußn. 34), § 9 V 1 c), S. 89; Wieser, JuS 1970, 557, 559 f. (unter
Dränage diese Nutzung (teilweise) beein-             II 2).
trächtigt, liegt eine sonstige Besitzstörung i. S.   [39] Vgl. dazu MünchKomm.-Mertens (o. Fußn. 6), § 823 Rdnr.145 f.
von § 858 Abs.1 Alt. 2 BGB vor [36], die den         [40] Vgl. Baur/Stürner (o. Fußn. 34), § 9 V 1 c), S. 89 m. w. N.
                                                     [41] Eine Anspruchskonkurrenz besteht aber auch mit inhaltsglei-
Pächter der Flächen zum Schadensersatz               chen Ansprüchen sonstiger dinglich Berechtigter. Zu denken ist ins-
gemäß § 823 Abs.1 BGB [37] resp. §§ 823              besondere an Hypotheken- resp. Grundschuldgläubiger. Die nach-
                                                     folgenden Ausführungen gelten daher für derartige Fallkonstellatio-
Abs. 2, 858 Abs.1 Alt. 2 BGB [38] berechtigt.        nen entsprechend.

                                                                                                                      1793
BauR 12/2002                                                                                                  MÜLLER

gels entgegenstehender Rechtskraftwirkung          Es bestünde die bereits oben geschilderte
weiterhin möglichen Schadensersatzverlan-          Gefahr, daß er den erlangten Geldbetrag für
gen des Eigentümers ausgesetzt.                    andere Zwecke verwendet und der Schädi-
                                                   ger auch weiterhin vom Eigentümer in An-
Zur Beseitigung dieser Konkurrenzsituation         spruch genommen werden kann. Deshalb
kommen vier Lösungswege in Betracht:               kann auch dieser Lösungsansatz nicht über-
                                                   zeugen.
1. Vorrang des Eigentümers
                                                   3. Eigentümer und Pächter als
Zunächst ist denkbar, den Anspruch auf Wie-
                                                      Gesamtgläubiger (§ 428 BGB)
derherstellung der Sache allein dem Eigen-
tümer einzuräumen und die Ansprüche des            Eine andere Möglichkeit besteht darin, zwi-
Besitzers auf den Ersatz seines Nutzungsaus-       schen Besitzer und Eigentümer eine Gesamt-
fallschadens zu beschränken. Soweit die Be-        gläubigerschaft i. S. von § 428 BGB anzuneh-
teiligten lediglich um Wertersatzansprüche         men. Danach kann der Schädiger frei wählen,
streiten, wäre diese Sichtweise in der Tat vor-    an welchen Gläubiger er Schadensersatz lei-
zuziehen. Denn die Sachsubstanz ist allein         stet. Würde etwa der Eigentümer eine Geld-,
dem Eigentümer der Sache zugewiesen [42].          der Besitzer aber eine Naturalentschädigung
Allerdings widerspricht diese Sichtweise re-       verlangen, hätte der Schädiger ein Wahlrecht
gelmäßig den wohlverstandenen Interessen           zwischen beiden Schadensersatzformen.
des besitzenden Mieters oder Pächters. Zieht       Dies hätte zur Folge, daß er insoweit die
man den vom LG Leipzig entschiedenen Fall          grundsätzlich jedem Geschädigten zustehen-
heran, wird deutlich, daß der Pächter auch         de Ersetzungsbefugnis nach § 249 Satz 2
künftig ein Interesse an einer landwirtschaftli-   BGB faktisch umgehen könnte [46]. Somit ist
chen Nutzung der von ihm gepachteten und           auch diese Vorgehensweise abzulehnen.
beeinträchtigten Flächen hat. Hinsichtlich der
derzeit und künftig gepachteten Flächen wird       4. Entsprechende Anwendung von
es ihm daher regelmäßig weniger auf die               § 1281 BGB
Realisierung bloßer Wertersatzansprüche an-
                                                   Schließlich kommt eine entsprechende An-
kommen. Würde man hier Ersatzansprüche
                                                   wendung von § 1281 BGB in Betracht. Da-
für entstandene Substanzschäden allein dem
                                                   nach wäre der Schädiger verpflichtet, an Be-
Eigentümer zuweisen, bliebe dem Besitzer
                                                   sitzer und Eigentümer gemeinsam zu zahlen
die ihm zustehende Sachnutzung auch künf-
                                                   [47]. Der Schuldner (Bauherr) kann bei dieser
tig vorenthalten, wenn der Eigentümer den er-
                                                   Lösungsvariante mit befreiender Wirkung nur
haltenen Wertersatz nicht zur Reparatur der
                                                   an beide dinglich Berechtigten gemeinsam
(Pacht-)Sache verwendet. Dieses Vorgehen
                                                   leisten. Eine vom Besitzer oder Eigentümer
widerspräche Sinn und Zweck des delikti-
                                                   erhobene Schadensersatzklage wäre dem-
schen Besitzschutzes, eine bestimmte Nut-
                                                   entsprechend nur dann erfolgreich, wenn
zung der Sache zu ermöglichen [43], und ist
                                                   entweder Zahlung an beide gemeinsam oder
daher abzulehnen [44].
                                                   aber Hinterlegung des geschuldeten Werter-
                                                   satzes für Besitzer und Eigentümer beantragt
2. Vorrang des Pächters                            wird (§ 1281 Satz 1, 2 BGB). Eine zweckfrem-
Zu erwägen ist daneben … zumindest bei             de Verwendung der gezahlten Wiederherstel-
Fortbestehen des Besitzrechtes … ein Vorrang       lungskosten durch den Zahlungsempfänger
des Ersatzanspruches des Besitzers gegen-          ist hier faktisch ausgeschlossen. Die Verwen-
über dem Eigentümer. Dafür könnte spre-
chen, daß der Eigentümer auch bei Heraus-          [42] Vgl. dazu auch Braun, JURA 2000, 582, 583 (unter II 1 b));
                                                   Flume, Das Rechtsgeschäft, Band II, 3. Aufl. 1979, § 42/4 e, S. 740 ff.
gabeansprüchen dem Besitzrecht den Vor-            [43] Vgl. v. BGH 4.11.1997 … VI ZR 348/96 …, BauR 1998, 144, 147
rang einräumen muß (vgl. § 986 Abs.1 Satz 2        (II 4 a) bb) der Gründe).
BGB). Allerdings ist hier zu beachten, daß der     [44] Unzutreffend daher LG Köln v. 1.12.1976 … 13 S 240/76 …, NJW
                                                   1977, 810, 811.
Besitzer den nach § 249 Satz 2 BGB zur Her-        [45] Vgl. Palandt/Heinrichs (o. Fußn. 7), § 249 Rdnr. 4 m. w. N.
stellung erforderlichen und vom Schädiger          [46] Vgl. dazu Köhler, JuS 1977, 652, 654.
gezahlten Geldbetrag nicht zur Beseitigung         [47] Vgl. Baur/Stürner (o. Fußn. 34), § 9 V 1 c), S. 89; Braun (o.
                                                   Fußn. 42), 582, 583 (unter II 1 b) cc)); Medicus (o. Fußn. 7), Rdnr. 609;
der Substanzschäden verwenden muß [45].            ders., Schuldrecht II, 9. Aufl. 1999, § 140 I 1 Rdnr. 806.

1794
Strukturwandel im Lebensmitteleinzelhandel                                                    BauR 12/2002

dung des Geldbetrages ist allein im Innenver-     2. Überträgt er die Bauausführung einer als
hältnis zwischen Eigentümer und Besitzer zu          zuverlässig und sachkundig geltenden
regeln. Daneben verhindert eine entspre-             Fachfirma, dann beschränkt sich seine
chende Anwendung von § 1281 BGB eine                 Verkehrssicherungspflicht auf eine bloße
Umgehung des Gläubigerwahlrechtes aus                Pflicht zur (stichprobenartigen) Bauüber-
§ 249 Satz 2 BGB. Diese Ansicht führt damit          wachung.
zu interessengerechten Ergebnissen. Ihr ist
daher zu folgen.
                                                  3. Wird ein als zuverlässig und sachkundig
Soweit in dem vom LG Leipzig entschiedenen           bekannter Dritter (Architekt) mit der Bau-
Fall vom klagenden Landpächter beantragt             überwachung beauftragt, dann geht die
wurde, Wertersatz für Substanzschäden al-            Überwachungspflicht auf den Dritten (Ar-
lein an ihn zu zahlen, war die Klage auch ent-       chitekten) über. Der Bauherr ist hier nur
sprechend § 1281 BGB unbegründet. Die er-            dann zum Handeln verpflichtet, wenn er
kennende Kammer brauchte freilich auf diese          selbst Gefahren erkannt hat oder berech-
Problematik nicht näher eingehen, da sie be-         tigte Zweifel an der ordnungsgemäßen
reits (zu Recht) das Bestehen von Schadens-          Bauausführung resp. Bauüberwachung
ersatzansprüchen (aus § 823 Abs.1 BGB)               hatte oder haben mußte.
dem Grunde nach abgelehnt hat.
                                                  4. Begehrt ein Besitzer (Mieter/Pächter)
VI. Ergebnisse
                                                     Wertersatz für Substanzschäden, dann
1. Mit der Veranlassung von Baumaßnahmen             kann er entsprechend § 1281 BGB nur
   schafft der Bauherr eine Gefahrenquelle           Leistung an sich und den Eigentümer ge-
   für die er verkehrssicherungspflichtig i. S.      meinsam oder aber Hinterlegung des
   von § 823 BGB ist.                                Geldbetrages für beide verlangen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr. Bernhard Haaß, Berlin

Strukturwandel im Lebensmitteleinzelhandel
Sachverständigenkommission des Bundesbauministeriums empfiehlt für Nahversorgung
bis 900 m2 Verkaufsfläche
Die Beschränkung der außerhalb von Son-           1. Großflächigkeit als eigenständiges
der- oder Kerngebieten höchstzulässigen              Tatbestandsmerkmal
Verkaufsfläche auf die „magische Zahl“ [1]
                                                  Im Urteil vom 22. 5.1987 hatte das Bundes-
von 700 m2 ist in Bewegung geraten. Nach-
                                                  verwaltungsgericht entschieden, daß die
dem schon einige oberverwaltungsgerichtli-
                                                  „Großflächigkeit“ ein eigenständiges Tatbe-
che Urteile Zweifel an der Zeitgemäßheit die-
                                                  standsmerkmal im Rahmen von § 11 Abs. 3
ser Schwelle äußerten oder diese sogar an-
                                                  Satz 1 Nr. 2 und 4 BauNVO bilde, und zur Ab-
hoben, hat der Bundesbauminister nunmehr
                                                  grenzung auf eine Verkaufsfläche von etwa
den Bericht der Sachverständigenkommissi-
                                                  700 m2 abgestellt [3]. Diese Rechtsprechung
on zum Strukturwandel des Lebensmittelein-
                                                  erforderte zum einen, diesen gesetzlich nicht
zelhandels vom 30. 4. 2002 im Bundesbau-
                                                  vorgegebenen Begriff zu definieren [4], was
blatt 9/2002 bekanntgegeben. Die hochran-
gig besetzte Kommission [2] schlägt keine         [1] Büchner, NVwZ 1999, 345, 346.
˜nderungen der BauNVO vor, die Behörden           [2] Vertreten waren das Bau- und das Wirtschaftsministerium des
sollen aber für den Lebensmitteleinzelhandel      Bundes, die Landesregierungen NRW, Bayern, Sachsen, die beiden
                                                  kommunalen Spitzenverbände, die DIHK, die beiden großen Einzel-
künftig Verkaufsflächen bis 900 m2 regelmä-       handelsverbände HDE und BAG, der BVL, zwei Landeseinzelhan-
                                                  delsverbände und Vertreter großer Lebensmittelhandelsfirmen.
ßig zulassen und darüber hinaus bis etwa          [3] BVerwGE 77, 317 = BauR 1987, 528 = NVwZ 1987, 1074 = BRS
1500 m2 Verkaufsfläche typisierende Prüfun-       47 Nr. 56. Zum früheren Streit Jahn, NVwZ 1987, 1053.
gen der städtebaulichen Auswirkungen eines        [4] Vgl. BVerwG, BauR 1990, 56 = NVwZ 1990, 1071; VG Frankfurt
                                                  am Main, NVwZ-RR 2000, 584. Auch die Einzelhandelserlasse der
Vorhabens akzeptieren.                            Länder bemühen sich um Definitionen.

                                                                                                         1795
Sie können auch lesen