VERSORGUNGS BERICHT 2021 - Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg - Kassenzahnärztliche ...
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VERSORGUNGS BERICHT 2021 Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg 04 Daten und Fakten – Stadtkreise 1
INHALT Editorial 4 Teil II Vertragszahnärzteschaft: Blick nach innen 22 Teil I Zahnmedizinische Versorgung Zahnärzt*innen in Anstellung 24 in Baden-Württemberg 6 Porträt Antonia Hoffmann 25 Überblick 8 Zielgruppe Zahnärztinnen 26 Vertragszahnärztlicher Versorgungsatlas 9 Porträt Dr. Olga Weber 27 In Zahlen 10 Die Versorgenden von morgen 28 Sechs Jahre nach der Einführung von fach- gleichen MVZ – eine dynamische Entwicklung 12 Teil III Daten und Fakten 30 Einsatz für die Bevölkerung: Zahnärzteschaft in der Corona-Pandemie 14 Gliederung 32 Ergebnisse der Befragung zur Versorgung Erläuterungen 33 im ländlichen Raum: Wirtschaftlich gut aufgestellt, Kooperationen vorstellbar 16 Stadt- und Landkreise 34 Zahnärztliche Versorgung für pflegebe- Impressum 78 dürftige Menschen und Menschen mit Behinderung 20 3
EDITORIAL In den Medien ist vielfach von einem Strukturwandel die Rede, der die wohnortnahe medizinische Versor- gung bedrohe. Bislang steht dabei zumeist der Bereich der haus- und fachärztlichen Medizin, insbesondere im ländlichen Raum, im Fokus der Aufmerksamkeit. Schlagworte wie „Überalterung“ und „Nachwuchssorgen“ werden damit in Verbindung gebracht. In strukturschwachen Regionen droht die Versorgung immer weiter auszudünnen, weil für frei werdende Praxen keine Nachfolger*innen gefunden werden können oder auch weil junge Mediziner*innen andere Konzepte der Lebens- und Arbeitsplanung verfolgen und häufig die Verein- barkeit von Familie und Beruf einen größeren Stellenwert hat. Die Sicherung der flächendeckenden medizini- schen Versorgung der Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg ist daher ein zentrales Thema auf allen politischen Ebenen. Auch wenn die vertragszahnärztliche Versorgung in eine kompetente Niederlassungsberatung in den vier Baden-Württemberg bis heute flächendeckend auf Bezirksdirektionen der KZV BW, die jungen Zahn- hohem Niveau gesichert ist, gilt es, die strukturellen ärzt*innen wichtige Hilfestellung beim Schritt in die Entwicklungen in diesem Bereich aufmerksam zu Selbstständigkeit – auch als Abwehrstrategie gegen- analysieren und antizipativ steuernd zu begleiten, um über finanzinvestorengetragene MZV – gibt. Ziel ist langfristig den Versorgungsauftrag sicherstellen zu es, Hürden für eine selbstständige Tätigkeit auch im können. Der Versorgungsbericht der Kassenzahnärzt- ländlichen Raum abzubauen und – anstelle einer direk- lichen Vereinigung Baden-Württemberg (KZV BW) hat tiven Bedarfsplanung – Niederlassungen mit einer zum Ziel, die aktuelle Lage sowie die sich abzeich- Vielzahl positiver Anreize zu fördern. Allerdings hat nenden Entwicklungen im vertragszahnärztlichen dazu auch die Politik ihren Beitrag zu leisten, damit Bereich transparent zu machen. die nach wie vor weit verbreitete Bereitschaft zur Niederlassung nicht durch überbordende Bürokratie Derzeit befinden wir uns in einer Phase der Umstruk- erstickt wird. turierung des Versorgungsgeschehens. Während der Gesetzgeber fortlaufend neue Versorgungsformen Berufsbild wie Medizinische Versorgungszentren oder selektiv- Klar ist: Der Strukturwandel innerhalb der Zahnärzte- vertragliche Regelungsbereiche ermöglicht und schaft und bei den Praxisstrukturen geht weiter und zusätzliche Steuerungsinstrumente für die vertrags- hat Auswirkungen auf die bisherige Versorgungsland- zahnärztliche Selbstverwaltung schafft, ändert sich die schaft. Neben die Einzelpraxis treten in zunehmen- vertragszahnärztliche Versorgungslage und es stellen dem Maße andere, kooperative Praxisformen. Diese sich Herausforderungen mit Blick auf die Zukunft – entsprechen dem vielfach vorhandenen Wunsch nach wenngleich hier Unterschiede zum allgemeinmedizini- Teilzeitmodellen im Sinne einer besseren Vereinbar- schen Bereich bestehen. Es ist eine gemeinschaftliche keit von Beruf, Privatleben und Familie, aber auch Aufgabe für die KZV BW, für die gesetzlichen Kran- nach geteilter betriebswirtschaftlicher Verantwortung kenkassen sowie für die Politik auf den verschiedenen und geteiltem Risiko sowie einer leichteren fachlichen Ebenen, in enger partnerschaftlicher Kooperation für Bedingungen im Rahmen der Berufsausübung zu sorgen, die zur heutigen gesellschaftlichen Realität, zu den Versorgungsnotwendigkeiten, aber auch zu den Bedürfnissen künftiger Generationen von Zahn- ärzt*innen passen. So können entstehende Probleme frühzeitig erkannt und gelöst werden. Die KZV BW hat sich des wichtigen Themas der Ver- sorgung bereits seit Jahren intensiv angenommen, analysiert die Herausforderungen, um frühzeitig einer drohenden Unterversorgung entgegen wirken zu »Gerade auch in Krisenzeiten übernimmt die können und gegebenenfalls vor Ort passgenaue Ver- Selbstverwaltung der Vertragszahnärzteschaft sorgungskonzepte zu ermöglichen. Zentral dabei ist Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger und stellt eine Versorgung auf hohem Niveau sicher.« 4 Editorial Dr. Ute Maier, Vorsitzende des Vorstandes
»Die nach wie vor weitverbreitete Bereitschaft »Die KZV BW hat sich des wichtigen Themas zur Niederlassung innerhalb des zahnärztlichen der Versorgung bereits seit Jahren intensiv an- Berufsstands darf nicht durch überbordende genommen, analysiert die Herausforderungen, Bürokratie erstickt werden.« um frühzeitig einer drohenden Unterversorgung Dipl.-Volkswirt Christoph Besters, Stellv. Vorsitzender entgegen wirken zu können und gegebenenfalls des Vorstandes vor Ort passgenaue Versorgungskonzepte zu ermöglichen.« Ass. Jur. Christian Finster, Stellv. Vorsitzender des Vorstandes Spezialisierung. Dies ist bei der Analyse der derzei- schaften wurde seit März 2020 einiges geleistet und tigen Situation und der Entwicklung zukunftsfähiger in kurzer Zeit auf die Beine gestellt – und das unter Versorgungskonzepte zu berücksichtigen. Gleichzeitig völlig veränderten Rahmenbedingungen; obwohl gehört zur Gewährleistung wohnortnaher Versorgung es - anders als bei den meisten Akteuren im Gesund- auch eine leistungsfähige Infrastruktur im ländlichen heitswesen - für den vertragszahnärztlichen Bereich Raum, die diesen nicht nur als Arbeitsort, sondern keinen Schutzschirm gab. auch als Wohnort attraktiv macht. Daher widmet sich dieser Versorgungsbericht auch der Analyse der Die Patient*innen konnten und können in der Pandemie unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten und der darauf vertrauen, dass das Risiko, sich in einer Zahn- besonderen Situation im ländlichen Raum. arztpraxis zu infizieren, äußerst gering ist. Dies be- stätigte nicht zuletzt die Weltgesundheitsorganisation Beteiligung den deutschen Zahnärzt*innen bereits im vergan- Es hängt mit dem Selbstverständnis der Zahnärzt*innen genen Sommer – denn diese sind und waren schon als Angehörige eines freien Berufs zusammen, Ver- immer Hygieneprofis. Auch nach einer Statistik der antwortung für das Versorgungsgeschehen in der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Bevölkerung zu übernehmen. Die Strukturen der ver- Wohlfahrtspflege (BGW) für 2020 war die Zahnmedizin tragszahnärztlichen Selbstverwaltung tragen dieser der medizinische Bereich mit den wenigsten Infektionen. Überzeugung Rechnung. Für die KZV BW bedeutet gelebte Selbstverwaltung eine starke Beteiligung der Diese Sicherheit für die Patient*innen und das hohe Mitglieder. Die KZV BW geht neue Wege, um die über Niveau der Versorgung hierzulande bestätigen die 8000 Vertragszahnärzt*innen in Baden-Württemberg erfolgreiche Arbeit der vertragszahnärztlichen Selbst- mit deren Erfahrungen aus dem Praxisalltag gezielt verwaltung und den hohen Einsatz der Zahnärzt*innen in Analyse- und Entscheidungsprozesse einzubinden. in Baden-Württemberg – und sie sind Ansporn für die Doch was sind die Faktoren, die aus Sicht der Zahn- KZV BW, weiterhin alles dafür zu tun, dass die Ver- ärzt*innen derzeit für oder gegen eine Niederlassung sicherten im Land flächendeckend gute Versorgungs- sprechen und wo liegen die Stärken und Schwächen strukturen vorfinden, die ihrer individuellen Situation des ländlichen Raums als Praxisstandort? Die KZV BW gerecht werden. hat ihre Mitglieder mittels der neu entwickelten Betei- ligungsApp zu diesem Themenkomplex befragt und Eine aufschlussreiche, interessante Lektüre wünschen dadurch ein Stimmungsbild mit wichtigen Erkennt- nissen für die Versorgung eingeholt. Die Ergebnisse dieser Befragung stellen wir in diesem Bericht vor. Dr. Ute Maier Ass. Jur. Dipl.-Volkswirt Auswirkungen der Corona-Pandemie Vorsitzende Christian Finster Christoph Besters Gerade in Zeiten von Lockdown und Corona-Pan- des Vorstandes Stellv. Vorsitzender Stellv. Vorsitzender des Vorstandes des Vorstandes demie zeigen, sich die offensichtlichen Stärken der ambulanten Versorgung durch freiberuflich tätige Zahnärzt*innen als Unternehmer*innen. Von der Zahnärzteschaft und den sie vertretenden Körper- Editorial 5
ÜBERBLICK Der vertragszahnärztliche Versorgungsatlas zeigt kompakt und übersichtlich, wie sich die Versorgungslage in jedem einzelnen Stadt- und Landkreis in Baden-Württemberg aktuell darstellt. Dabei sind teilweise große regionale Abweichungen feststellbar, die in einer urbanen oder eher ländlichen Prägung, aber auch in anderen Faktoren begründet sind. Dennoch gilt für das gesamte Land: Die zahnmedizinische Versorgung ist flächendeckend gesichert. Es gibt keinen Stadt- oder Landkreis, der unterversorgt oder akut von Unterver- sorgung bedroht ist. Der Blick auf die regionalen Versorgungsgrade zeigt Die größten Abweichungen im Vergleich zum Ver- ähnlich wie in den Vorjahren Höchstwerte in den sorgungsbericht 2020 sind in folgenden Stadt- grenznahen Gebieten im Süden Baden-Württembergs. und Landkreisen zu verzeichnen: Einen Anstieg Verhältnismäßig hoch ist der jeweilige Versorgungs- um 4,2 Prozentpunkte auf nunmehr 88,8 Prozent grad auch im Norden des Landes zwischen der verzeichnet der Landkreis Sigmaringen. Im Neckar- Metropolregion Rhein-Neckar und dem Neckar- Odenwald-Kreis verbesserte sich der Versorgungs- Odenwald-Kreis. Ebenfalls hohe Versorgungsgrade grad um 3,7 Prozentpunkte auf aktuell 108 Prozent. liegen in den meisten kreisfreien Städten sowie in Bemerkenswert ist, dass es sich hierbei um zwei Land- großen Teilen der Region Stuttgart vor. Die landes- kreise mit ländlicher Prägung handelt. Dazu kommt in weit niedrigsten Werte finden sich – wie auch in den der Stadt Heidelberg ein Anstieg um 4,9 Prozentpunkte Vorjahren – im Nordschwarzwald. Auch hier ist die auf einen Wert von 111,5 Prozent. örtliche Situation jedoch weit von der Feststellung einer Unterversorgung entfernt. Die übrigen Landkreise Das größte Minus liegt im Landkreis Waldshut vor, in allen vier Regierungsbezirken weisen eine stabile der nach 128,3 Prozent im Vorjahr nun einen Versor- Situation mit einem Versorgungsgrad zwischen 81 gungsgrad von 119,3 Prozent aufweist – damit gehört und 100 Prozent auf. der Kreis nach wie vor zu den am besten versorgten Landkreisen in Baden-Württemberg. Ein Minus von Insgesamt vier Stadt- und Landkreise in Baden- 6,7 Prozentpunkten verzeichnet der Main-Tauber-Kreis Württemberg liegen mit ihrem jeweiligen Versorgungs- mit 95,1 Prozent. Im Kreis Ludwigsburg sank der Ver- grad über 120 Prozent. Der höchste Wert und gegen- sorgungsgrad um 6,4 Prozentpunkte auf einen Wert über dem Vorjahr praktisch unverändert besteht weiter- von nunmehr 92 Prozent. hin im Stadtkreis Baden-Baden mit aktuell 133,7 Pro- zent vor (2020: 134,1 Prozent). Ähnlich gut versorgt ist Alle Versorgungszahlen der Stadt- und Landkreise, der Landkreis Konstanz mit 131,9 Prozent (im Vorjahr die absoluten Zahnarztzahlen für jede einzelne Kom- 133,1 Prozent). Ein leichtes Plus gab es jeweils im mune im Land sowie weitere Daten zur Alters- und Stadtkreis Ulm (125 Prozent gegenüber 124,6 Prozent) Geschlechterstruktur der Vertragszahnärzteschaft sowie im Bodenseekreis (123,6 Prozent gegenüber finden Sie im Abschnitt „Daten und Fakten“ auf den 122,6 Prozent). Die niedrigsten Werte liegen im Enzkreis Seiten 30–77. mit 66,8 Prozent (minus 1,4 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr) sowie im Landkreis Freudenstadt mit 67,5 Prozent (im Vorjahr: 73,3 Prozent) vor. Auch der Landkreis Calw weist einen Versorgungsgrad von unter 80 Prozent aus (74,3 Prozent gegenüber 75,7 Prozent im vergangenen Jahr). 8 01 Zahnmedizinische Versorgung in Baden-Württemberg – Überblick
VERTRAGSZAHNÄRZTLICHER VERSORGUNGSATLAS VERSORGUNGSGRAD 60–80 % 81–100 % 101–120 % TBB 121–140 % MA MOS HD 1 Rhein-Neckar-Kreis HD1 2 Heilbronn, Land HN2 KÜN 3 Karlsruhe, Land 4 Enzkreis KA3 HN SHA 5 Alb-Donau-Kreis 6 Breisgau- KA Hochschwarzwald PF 4 LB RA PF WN AA S BAD CW BB GP HDH ES FDS TÜ OG RT UL 5 UL BL RW EM BC VS SIG FR TUT FR 6 RV KN FN LÖ WT Quelle: KZV BW, 2021 01 Zahnmedizinische Versorgung in Baden-Württemberg – Vertragszahnärztlicher Versorgungsatlas 9
IN ZAHLEN Kompakt und auf einen Blick finden Sie hier zentrale Kennzahlen zur vertragszahnärztlichen Versorgung in Baden-Württemberg. Diese ermöglichen einen schnellen Überblick und werden in den ausführlichen Darstel- lungen auf den folgenden Seiten inhaltlich eingeordnet. 1366 17 1366 Einwohner*innen kommen in Baden- Landesweit stehen 17 Zahnarztpraxen für Württemberg auf eine*n Vertragszahnärzt*in. das Netzwerk der Schwerpunktpraxen zur Im Vergleich zu 2020 hat sich das Verhältnis Verfügung, damit auch für Covid-19-Infizierte bzw. weiter verbessert. in Quarantäne befindliche Patient*innen flächen- deckend eine zahnmedizinische Notfallversorgung zur Verfügung steht. 8113 6 411 971 8113 Vertragszahnärzt*innen stellen eine flächendeckende zahnmedizinische Versorgung Insgesamt wurden im Jahr 2020 in Baden-Württemberg der Bevölkerung sicher. 6 411 971 gesetzlich Versicherte von den Vertrags- zahnärzt*innen behandelt. 1942 2222 1942 Studierende waren im Wintersemester 2020/21 an den Universitäten in Baden-Württemberg 2222 Zahnärzt*innen arbeiten als Angestellte für das Fach Zahnmedizin eingeschrieben. Über zwei in einer Zahnarztpraxis. Der stetig wachsende Drittel davon sind Frauen – in wenigen Jahren werden Anteil der Zahnärzt*innen in einem Anstellungs- die Zahnärztinnen insgesamt gegenüber ihren männ- verhältnis ist Ausdruck eines sich verändernden lichen Kollegen in der Mehrheit sein. Berufsbilds – eine Entwicklung, die die KZV BW aktiv begleitet. 10 01 Zahnmedizinische Versorgung in Baden-Württemberg – In Zahlen
3986 20 472 453 3986 Einzelpraxen bilden das Rückgrat der Die Corona-Pandemie hat zu einem deutlichen Rück- vertragszahnärztlichen Versorgung in Baden- gang der Behandlungen geführt. Im vergangenen Württemberg. Die Einzelpraxis ist die mit Abstand Jahr fanden insgesamt 20 472 453 Behandlungs- häufigste Praxisform. sitzungen statt. Dies sind über eine Million Behand- lungssitzungen weniger als im Vorjahr. 1044 1044 zahnärztliche Assistent*innen arbeiten derzeit in Baden-Württemberg. 690 davon sind in Ausbildungs- bzw. Vorbereitungsassistenz, die sich an das zahnmedizinische Studium und die Approbation anschließt. Dazu kommen Entlastungs- und Weiter- bildungsassistent*innen. 01 Zahnmedizinische Versorgung in Baden-Württemberg – In Zahlen 11
SECHS JAHRE NACH DER EINFÜHRUNG VON FACHGLEICHEN MVZ – EINE DYNAMISCHE ENTWICKLUNG Das Jahr 2015 stellt eine Zäsur in der Historie des Vertragszahnarztrechts dar. Mit der Einführung von fach- gleichen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) schuf der Gesetzgeber die Voraussetzungen für große Praxiseinheiten bzw. Zahnarztketten und öffnete gleichzeitig die Tür für fachfremde Finanzinvestoren. Sechs Jahre später stellt sich diese Entwicklung, auch aufgrund der anhaltenden Corona-Krise und ihrer Begleit- erscheinungen, immer noch als sehr dynamisch dar. Das vergangene Jahr war ein außergewöhnliches – Ebene liegen. Die Stichworte, die in diesem Zusammen- dies lässt sich auch an der Zahl der zugelassenen hang zu nennen sind und die jedem*r Praxisinhaber*in zahnärztlichen MVZ deutlich erkennen. Aktuell (Stand: vertraut vorkommen dürften, lauten: Personal und 01.04.2021) sind 177 (Vorjahr: 165) MVZ in Baden- Personalführung. Es ist kein Geheimnis, dass der Württemberg zugelassen. Nach den deutlichen Zu- Mangel an geeigneten Praxismitarbeiter*innen eine wächsen der vorangegangenen Jahre (+32 im Jahr der größten Herausforderungen der heutigen Zeit 2019, +53 im Jahr 2018) stellt der nominale Zuwachs darstellt. Und hiervon betroffen sind ausnahmslos alle im Krisenjahr 2020 mit gerade einmal zwölf neu Zahnarztpraxen, von der kleinen Einzelpraxis auf dem hinzugekommenen MVZ einen regelrechten Einbruch Land bis hin zu investorengetragenen MVZ-Zahnarzt- dar. Zwar liegt der reale Zuwachs der im Referenz- ketten mit Standorten in großen Ballungszentren. zeitraum neuzugelassenen MVZ bei 22, jedoch wurden gleichzeitig auch zehn MVZ geschlossen. Bei den MVZ lässt sich dieses Phänomen auch an der Nun sind Beendigungen von MVZ grundsätzlich nichts Anzahl der dort tätigen Zahnärzt*innen klar erkennen: Ungewöhnliches und kamen in der Vergangenheit Von den 177 MVZ in Baden-Württemberg sind in 81 auch schon regelmäßig vor – allerdings noch nie in lediglich zwei Zahnärzt*innen tätig, was der gesetz- dem zuletzt festgestellten Umfang. lich vorgeschriebenen Mindestgröße entspricht. MVZ- Standorten, die unter diese Grenze fallen und die Entwicklung der Praxisformen Zulassungsvoraussetzungen damit nicht mehr erfüllen, muss nach den Vorgaben des Gesetzgebers die ver- tragszahnärztliche Zulassung entzogen werden. Somit 4500 stellt sich die Situation in Baden-Württemberg derzeit so 4000 dar, dass sich knapp die Hälfte aller MVZ unmittelbar 3500 an der Schwelle zur Entziehung der Zulassung be- 3000 findet. MVZ-Standorte mit einer großen Zahl an 2500 tätigen Zahnärzt*innen sind dementsprechend auch 4218 4163 eher die Ausnahme: In ganz Baden-Württemberg 4093 4032 3986 2000 1500 gibt es lediglich einen MVZ-Standort, an dem mehr als zehn Zahnärzt*innen ihrem Beruf nachgehen. Die 1000 Regel sind dagegen kleinere Praxiseinheiten mit bis 958 500 929 906 880 877 165 177 133 zu vier tätigen Zahnärzt*innen (insgesamt 141 der 177 80 55 0 2017 2018 2019 2020 2021 Standorte). Diese Größe entspricht übrigens auch der maximal zulässigen Anzahl von angestellten Zahn- Einzelpraxis BAG/ÜBAG MVZ ärzt*innen in einer Einzelpraxis, welche neben dem*r Praxisinhaber*in bis zu vier weitere Zahnärzt*innen Vordergründig könnte die Corona-Krise als Grund für beschäftigen darf. die wenigen Neugründungen und vergleichsweise vielen Beendigungen von MVZ angesehen werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die berechtigte Frage, Allerdings gibt es deutliche Hinweise darauf, dass die warum dann überhaupt eine so große Anzahl von eigentlichen Hintergründe auf einer gänzlich anderen MVZ gegründet wurde, wenn der eigentliche Vorteil 12 01 Zahnmedizinische Versorgung in Baden-Württemberg – Sechs Jahre nach der Einführung von fachgleichen MVZ
eines MVZ gegenüber einer Einzelpraxis, nämlich von überregionalen Praxisverbünden eine große He- die Möglichkeit zur unbegrenzten Anstellung von rausforderung darstellen, die einige der betroffenen Zahnärzt*innen, nicht genutzt wird und die meisten MVZ-Gründer vielleicht unterschätzt hatten. Hierunter MVZ sogar weit hinter den personellen Möglichkeiten befanden sich übrigens nicht nur Einzelzahnärzt*in- einer Einzelpraxis bleiben. Die Antwort hierauf ist viel- nen, die sich das Rüstzeug für das Management von schichtig: Teilweise hängt dies auch damit zusammen, Großunternehmen in ihrer begrenzten Freizeit aneig- dass ein sehr großer Teil der MVZ in Baden-Würt- nen müssen, sondern auch Finanzinvestoren. temberg Teil einer Kettenstruktur ist (insgesamt 114 der 177 Standorte). Und bei mehreren Standorten macht Letztere stellen derzeit 43 der insgesamt 177 MVZ- die Gründung eines MVZ durchaus Sinn, da eine Standorte in Baden-Württemberg, womit seit dem Einzelpraxis maximal zwei zusätzliche Standorte als letzten Jahr nominal lediglich zwei neue Standorte Zweigpraxis betreiben darf, während mit einer MVZ- der sogenannten i-MVZ hinzugekommen sind. Real Trägergesellschaft unbegrenzt viele Standorte als betrug der Zuwachs bei den investorengetragenen- Zweigpraxis gegründet werden können. Ein weiterer MVZ vier neue Standorte, zwei Standorte wurden Grund könnte auch darin zu sehen sein, dass Einzel- beendet. Einer der Gründe für das abflauende praxen die Möglichkeit zur Anstellung von bis zu vier Wachstum ist die seit Mai 2019 eingeführte Quote, angestellten Zahnärzt*innen erst seit der Änderung die den krankenhausgetragenen MVZ der Investoren des Bundesmantelvertrags-Zahnärzte im Jahr 2019 nur einen festgelegten Anteil an der vertragszahnärzt- zur Verfügung steht. Bis dahin war die Gründung lichen Versorgung zugesteht, der wiederum abhängig eines MVZ immer dann unumgänglich, wenn ein*e ist von der jeweils bestehenden Versorgungslage Zahnärzt*in mehr als das damalige Limit von zwei an- innerhalb eines Planungsbereichs. gestellten Zahnärzt*innen beschäftigen wollte. Aufgrund der immer noch andauernden Corona-Krise Betrachtet man die MVZ, welche innerhalb des letzten und der hiermit im Zusammenhang stehenden Kon- Jahres beendet wurden, stellt man fest, dass fast alle junkturprogramme der Zentralbanken ist derzeit nur Teil einer Kettenstruktur waren, wobei es sich mehr- schwer einzuschätzen, ob die aktuelle Entwicklung in heitlich sogar um überregionale Verbundstrukturen, Bezug auf die Gründung von MVZ anhält oder sich teilweise mit Filialen in mehreren Bundesländern, möglicherweise noch in eine andere Richtung bewegt. handelte. Der sicherlich prominenteste Fall war die Die KZV BW wird das Geschehen im Zulassungsbereich Insolvenz der Zahnarztkette von Dr. Z mit bundesweit weiterhin im Auge behalten. über 20 Standorten. Mit anderen von Schließungen betroffenen MVZ-Ketten hatte Dr. Z gemeinsam, dass diese in der Anfangsphase der fachgleichen MVZ ab dem Jahr 2015 teilweise sehr schnell gewachsen waren – möglicherweise zu schnell. Nachvollziehbar ist, dass der Betrieb und vor allem die Personalführung 01 Zahnmedizinische Versorgung in Baden-Württemberg – Sechs Jahre nach der Einführung von fachgleichen MVZ 13
EINSATZ FÜR DIE BEVÖLKERUNG: ZAHNÄRZTESCHAFT IN DER CORONA-PANDEMIE Die Sicherstellung der zahnmedizinischen Versorgung war im vergangenen Jahr gerade vor dem Hinter- grund der Corona-Pandemie von zentraler Bedeutung. Die KZV BW hat diesen Auftrag sehr ernst genommen und schnell ein landesweites Netz mit Schwerpunktpraxen und Corona-Ambulanzen für COVID-19-Erkrankte geschaffen und darüber hinaus einen Sicherstellungsdienst mit über 600 Praxen eingerichtet. Damit war die zahnmedizinische Versorgung jederzeit in ganz Baden-Württemberg und für alle Teile der Bevölkerung sicher- gestellt, selbst wenn einzelne Praxen wegen Quarantäne- oder Infektionsfällen ausgefallen sind. Durch dieses schnell und erfolgreich von der KZV BW Vorsorgeuntersuchungen im 2. Quartal, auf die Beine gestellte Netz an Sicherstellungs- und Rückgang gegenüber 2019 Schwerpunktpraxen konnten Versorgungslücken effektiv vermieden werden. Wo kurzfristig Behandlungsbedarf 2 500 000 bestand, konnte auch kurzfristig behandelt werden. 2 000 000 1 500 000 Hinsichtlich einer lückenlosen zahnärztlichen Ver- 1 000 000 1 984 585 sorgung war es von zentraler Bedeutung, die Praxen 1 619 987 500 000 geöffnet zu halten und für COVID-19-Patient*innen 0 entsprechende Anlaufstellen zu schaffen. Es ging 2019 2020 darum, dass Versicherte notwendige Behandlungen nicht absagen oder auf unbestimmte Zeit verschieben Insgesamt sank die Anzahl der vertragszahnärzt- würden, was wiederum erhebliche negative Folgen lichen Behandlungssitzungen im letzten Jahr um gut für die Mundgesundheit als auch für die Allgemein- 5,5 Prozent gegenüber 2019. Durch Zeitungsanzeigen gesundheit mit sich bringen kann. Versorgungslücken und -artikel in der zweiten Jahreshälfte 2020 wirkte bestanden seit Beginn der Corona-Pandemie in Ba- die Zahnärzteschaft der Verunsicherung der Versi- den-Württemberg also nie bezüglich der Verfügbar- cherten entgegen, damit nicht langjährige Behand- keit von Zahnarztpraxen, in manchen Fällen jedoch lungserfolge durch eine Unterbrechung der Therapie in der individuellen Behandlungsgeschichte. Im Jahr zunichte gemacht würden. 2020 wurden insgesamt 6,5 Prozent weniger Vor- sorgeuntersuchungen (BEMA-Nr. 01) im Vergleich zum Auch in anderen Bereichen zeigte die Zahnärzteschaft Vorjahr durchgeführt. Besonders deutlich wurde diese in Baden-Württemberg trotz schwierigster Rahmenbe- Entwicklung im zweiten Quartal mit einem Rückgang dingungen während der Pandemie großes Verantwor- von 18,37 Prozent gegenüber dem entsprechenden tungsbewusstsein. Vorjahresquartal. So waren die Vertragszahnärzt*innen auf Grundlage der Coronavirus-Testverordnung bundesweit in das Testgeschehen eingebunden. Neben Testungen des eigenen Praxispersonals zur Vermeidung von Infek- tionen konnten nach einer Beauftragung durch den öffentlichen Gesundheitsdienst auch Testungen von Patient*innen durchgeführt werden. 14 01 Zahnmedizinische Versorgung in Baden-Württemberg – Einsatz für die Bevölkerung
Hat Corona langfristige Auswirkungen auf die monatlichen Auszahlungstermine im Jahr 2020 vor, Versorgungslandschaft? um die wirtschaftlichen Auswirkungen für die Praxen Nach über einem Jahr der Pandemie lässt sich als wenigstens bis zu einem gewissen Grad abfedern zu Zwischenbilanz festhalten, dass die flächendecken- können. Zusätzlich wurde Anfang 2021 auf Bundes- den Versorgungsstrukturen durch die Krise bis zum ebene zwischen der Kassenzahnärztlichen Bundes- jetzigen Zeitpunkt nicht substanziell geschwächt vereinigung (KZBV) und dem GKV-Spitzenverband wurden. Regionale Verschiebungen gab es, jedoch eine einmalige Hygienepauschale in Höhe von 275 weitgehend in der Größenordnung der Vorjahre vor Mio. Euro für die Zahnarztpraxen vereinbart, von der Ausbruch der Pandemie – diese sind überblicksweise gut 35 Mio. Euro nach Baden-Württemberg fließen im Versorgungsatlas auf den Seiten 8/9 dargestellt. werden. Überdies müssen für die Jahre 2021 und Praxisschließungen im großen Umfang waren und 2022 keine Ausgabenvolumina vereinbart werden. sind nicht feststellbar. Gleichwohl stellten die corona- Für eine abschließende Bewertung der Folgen der bedingten Umsatzrückgänge viele Praxen vor spür- Corona-Pandemie auf die zahnmedizinische Versor- bare wirtschaftliche Probleme, die dadurch noch gungslandschaft in Baden-Württemberg ist es daher verschärft wurden, dass dem vertragszahnärztlichen noch zu früh. Bereich im Gegensatz zu den Haus- und Fachärzt*innen ein echter Schutzschirm vonseiten der Politik vor- enthalten wurde. Gewährt wurden lediglich zinslose Kredite, die jedoch vollständig zurückgezahlt werden müssen. Unabhängig hiervon zog die KZV BW die 01 Zahnmedizinische Versorgung in Baden-Württemberg – Einsatz für die Bevölkerung 15
ERGEBNISSE DER BEFRAGUNG ZUR VERSORGUNG IM LÄNDLICHEN RAUM: WIRTSCHAFTLICH GUT AUFGESTELLT, KOOPERATIONEN VORSTELLBAR Geht es um die zahnärztliche Versorgung der gesetzlich versicherten Menschen im ländlichen Raum, so ist man schnell mit der Sorge einer drohenden Unterversorgung konfrontiert. Als Ursache hierfür wird oftmals Personal- mangel angeführt und die fehlende Bereitschaft der nachfolgenden Zahnärztegeneration, sich im ländlichen Raum niederzulassen. Befragt man die Zahnärzt*innen, so ergibt sich ein differenziertes Bild. Die erste Befragung, die die KZV BW mit der Betei- Einschätzung der wirtschaftlichen Situation länd- ligungsApp unter allen Vertragszahnärzt*innen in licher Zahnarztpraxen Baden-Württemberg im Mai 2021 durchführte, hatte Insgesamt wird die wirtschaftliche Situation von genau diese Zielrichtung: Wie sieht die Zahnärzte- Zahnarztpraxen auf dem Land in allen Altersgruppen schaft die wirtschaftliche Situation von Praxen im überwiegend als sehr gut bis gut eingeschätzt. ländlichen Raum und welche Herausforderungen sind in ihren Augen zu meistern? Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Situation von ländlichen Zahnarztpraxen ein? An der Befragung teilgenommen haben insgesamt 539 Zahnärzt*innen. Mit 69,6 Prozent sind die Männer 60 hierbei stärker vertreten als die Frauen mit 30,4 Pro- zent. Die Altersgruppe zwischen 51 und 60 Jahren ist 50 mit 34,5 Prozent am stärksten vertreten, die Alters- 40 gruppe zwischen 26 und 30 Jahren mit 5,8 Prozent 30 53,1 48,7 48,3 45,8 am wenigsten. 44 20 29,6 27,6 25,2 22,6 21,7 6,5 19,9 10 19,8 19,4 18,4 5,3 5,2 20 Ortswechsel: Vom städtischen Raum in den 9,7 8,2 0 ländlichen Alters- Alters- Alters- Alters- Alters- gruppe gruppe gruppe gruppe gruppe Befragt nach einem denkbaren Ortwechsel in den 26–30 31–40 41–50 51–60 61–70 ländlichen Raum zeigt sich, dass die Frauen etwas Sehr gut und gut Gut Mittel Schlecht mobiler sind und eher für einen Wechsel auf das Land zu gewinnen wären als Männer (Verhältnis 19,5 Prozent Frauen zu 12,5 Prozent Männer). Die Altersgruppe zwi- Auffällig ist, dass gerade die 31- bis 40-jährigen, die schen 26 und 30 ist am mobilsten, d. h., dass diejenigen sich also gerade niedergelassen haben oder dies Zahnärzt*innen, die künftig über eine Niederlassung eventuell planen, die wirtschaftliche Situation auf dem nachdenken, mit 29 Prozent eine hohe Bereitschaft Land zu drei Viertel als sehr gut/gut ansehen. haben, sich im ländlichen Raum niederzulassen. Käme für Sie ein Ortswechsel in den ländlichen Raum (Praxisstandort) infrage? 60 50 40 30 55,8 54,5 51,8 20 31,7 30,8 28,7 10 19,5 14,7 12,5 0 Frauen Männer Gesamt Ja Nein Praxis liegt bereits im ländlichen Raum 16 01 Zahnmedizinische Versorgung in Baden-Württemberg – Ergebnisse der Befragung zur Versorgung im ländlichen Raum
Worin liegen Ihrer Einschätzung nach die größten Die größten Nachteile des Lebens im ländlichen Herausforderungen von ländlichen Zahnarztpraxen? Raum Schlechte Anbindungen im öffentlichen Nahverkehr 90 bei größeren zu überwindenden Distanzen sind für 80 die meisten der Befragten der größte Nachteil, im ländlichen Gebiet ansässig zu sein. 70 60 Kulturelle Angebote spielen bei den ganz jungen und 50 den Befragten ab 61 Jahren eine größere Rolle, als für 78,3 40 77,6 75,6 74,2 die mittleren Jahrgänge. 70,4 70,2 67,7 67,7 60,5 61,7 30 20 Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kommt vor 35,5 32,1 31,3 30,1 27,4 26,3 26,3 26,1 22,6 20,9 10 allem bei den Zahnärzt*innen zwischen 31 und 40 0 Jahren zum Tragen. Alters- Alters- Alters- Alters- Alters- gruppe gruppe gruppe gruppe gruppe 26–30 31–40 41–50 51–60 61–70 Nachteile (Gesamt) Fehlendes Praxispersonal Fehlende zahnärztliche Kooperationspartner*innen 15,4 % Schwierige Ver- einbarkeit von Fehlende Praxis- Fehlende PKV-Patient*innen 59,6 % 45,5 % Familie und Beruf nachfolger*innen Schlechteres kulturelles Angebot Größte Herausforderungen von ländlichen Praxen Das fehlende Praxispersonal ist für alle Altersgruppen Schlechtere Einkaufsmöglich- ein Thema, jedoch lässt sich aus der absteigenden keiten Prozentzahl lesen, dass dies für jüngere ein größeres 29,7 % Schlechteres Problem darstellt als für ältere. Dass das Thema „Feh- ÖPNV-System 61 % lende Praxisnachfolge*innen“ gerade für die älteren Zahnärzt*innen eine Rolle spielt, ist nachvollziehbar. Generell größere Distanzen Auffällig ist jedoch, dass auch fast 70 Prozent der jüngeren dieses Problem bereits benennen. 01 Zahnmedizinische Versorgung in Baden-Württemberg – Ergebnisse der Befragung zur Versorgung im ländlichen Raum 17
Kooperationen zur besseren Bewältigung der Frauen sind mit über 50 Prozent zu Kooperationen und Bürokratie Praxiszusammenschlüssen eher bereit als Männer mit nur Die größte Kooperationsbereitschaft besteht in der knapp 40 Prozent. Für Männer ist eine Kooperation eher Altersgruppe 26–30 Jahre (51,6 Prozent), nur 6,5 Pro- eine Option in einer Notsituation (29,3 Prozent). zent schließen in dieser Gruppe eine Kooperation grundsätzlich aus. Mit 17,1 Prozent sind die Zahnärzt*in- 60 nen zwischen 61 und 70 Jahren diejenigen, die am 50 häufigsten eine Kooperation kategorisch ausschließen. 40 30 52,4 Wären Sie bereit, sich zur besseren Bewältigung 43,6 39,8 20 der Bürokratie und zur Schaffung von Synergien mit 29,8 27,8 24,4 10 16,9 17,3 anderen Zahnärzt*innen zusammenzuschließen? 15,9 13,9 11,7 7,3 0 Männlich Weiblich Gesamt 60 50 Machen wir bereits Ja, auf jeden Fall 40 Ja, aber nur als Notlösung Nein, auf keinen Fall 30 51,6 (Auswertung nach Geschlecht) 43,4 48 41,9 39,1 20 33,9 32,3 29 22,4 26 6,5 10 17,1 17,1 14,8 15,6 14,5 12,9 12,2 11,5 10,2 Outsourcen von Aufgaben der Praxisverwaltung 0 Alters- Alters- Alters- Alters- Alters- Das Outsourcen von Aufgaben der Praxisverwaltung ist gruppe gruppe gruppe gruppe gruppe insbesondere für die Gruppe der Berufseinsteiger*innen 26–30 31–40 41–50 51–60 61–70 bis 30 Jahre eine gute Option (51,6 Prozent). Dagegen Machen wir bereits Ja, auf jeden Fall ist die Ablehnung bei der Altersgruppe ab 61 Jahren Ja, aber nur als Notlösung Nein, auf keinen Fall am Größten. Insgesamt kommt ein Outsourcen für 21,2 Prozent gar nicht infrage, für 35,8 Prozent ledig- (Auswertung nach Altersgruppen) lich als Notlösung. Wären Sie bereit, Aufgaben der Praxisverwaltung 60 outzusourcen? 50 Altersgruppe 26–30 40 Altersgruppe 31–40 30 51,6 20 Altersgruppe 41–50 38,1 36,5 35,8 34,3 33,6 32,3 28,9 27,8 26,7 29 24,2 21,4 22,6 20,9 16,3 Altersgruppe 51–60 21,2 10 17,1 14,8 16,9 15,1 16 19,7 0 Altersgruppe 61–70 Nein, Ja, aber nur Ja, Machen wir auf keinen Fall als Notlösung auf jeden Fall bereits Gesamt 18 01 Zahnmedizinische Versorgung in Baden-Württemberg – Ergebnisse der Befragung zur Versorgung im ländlichen Raum
Zahnärztliches Personal (Angestellte Zahn- Zahnmedizinische Fachangestellte (ZFA) ärzt*innen und Assistent*innen) Insgesamt zeigt sich hinsichtlich der Situation bei Befragt nach der derzeitigen Situation in Bezug auf den Zahnmedizinischen Fachangestellten eine eher zahnärztliches Personal (Angestellte Zahnärzt*innen negative Einschätzung: Rund 34 Prozent betrachten und Assistent*innen) zeigen sich deutliche Unterschie- die Lage als sehr gut oder gut, 35 Prozent als aus- de zwischen dem ländlichen und dem städtischen reichend und knapp 31 Prozent als schlecht. Die Bereich. Nur gut ein Drittel der Befragten im länd- Unterschiede zwischen dem städtischen und dem lichen Raum sieht die Situation als sehr gut oder gut ländlichen Bereich sind hier geringer als bei der an, während knapp 33 Prozent diese als ausreichend Frage nach dem zahnärztlichen Personal. betrachten und knapp 32 Prozent als schlecht. Wie stellt sich Ihre derzeitige Situation in Bezug auf Wie stellt sich Ihre derzeitige Situation in Bezug auf zahnärztliches Personal (Angestellte Zahnärzt*innen Zahnmedizinische Fachangestellte (ZFA) dar? und Assistent*innen) dar? 60 60 50 50 40 40 30 30 20 20 39,1 33,7 35,3 33,3 33,2 31,7 32,9 31,7 30,6 29,9 32 22,9 28 23,2 25 21,7 19,5 10 10 18,9 15,2 13,7 12,4 11,7 14 10,4 0 0 Ländlich Städtisch Gesamt Ländlich Städtisch Gesamt Sehr gut Gut Ausreichend Schlecht Sehr gut Gut Ausreichend Schlecht 01 Zahnmedizinische Versorgung in Baden-Württemberg – Ergebnisse der Befragung zur Versorgung im ländlichen Raum 19
ZAHNÄRZTLICHE VERSORGUNG FÜR PFLEGE- BEDÜRFTIGE MENSCHEN UND MENSCHEN MIT BEHINDERUNG Die Zahl der älteren Menschen nimmt in Deutschland und auch in Baden-Württemberg weiter zu. Damit steigt auch die Zahl der pflegebedürftigen Menschen. Wie bereits bei der Jugendzahnpflege umgesetzt, muss mit der fortschreitenden Alterung der Gesellschaft auch die Mundgesundheit dieser Menschen stärker in den Fokus gerückt werden. Die Rolle der Pflege in der Versorgung und dabei ins- In Baden-Württemberg hat die Anzahl der Koopera- besondere die häusliche Pflege muss gestärkt werden. tionsverträge zwischen Vertragszahnärzt*innen und Zur Verbesserung der Mundgesundheit werden des- stationären Pflegeeinrichtungen in den letzten Jahren halb zukünftig noch mehr Zahnärzt*innen als bisher deutlich und stetig zugenommen. Trotz der Corona- benötigt, die die vulnerablen Patient*innen vor Ort Pandemie ist auch zwischen April 2020 und April 2021 versorgen. Zu überlegen sind niederschwellige Hol- ein Anstieg von etwa fünf Prozent auf aktuell 688 Ver- und Bringdienste. Das Thema muss aber auch ver- träge zu verzeichnen. stärkt Eingang in die universitäre zahnmedizinische Ausbildung finden. Entwicklung Kooperationsverträge in Baden-Württemberg Die Politik hat die Entwicklung des demografischen Wandels durch verschiedene Gesetze in den letzten 800 Jahren aufgegriffen. Die in den letzten Jahren ein- 700 geführten neuen Leistungen für Pflegebedürftige und 600 Menschen mit Behinderungen, wie zum Beispiel eine 500 zweite Zahnsteinentfernung, eine Mundgesundheits- 400 aufklärung sowie die Erstellung eines Mundgesund- 657 688 300 heitsplans für die bessere zahnärztliche Versorgung 504 200 385 werden immer stärker in Anspruch genommen: die 315 252 100 Fallzahlen stiegen im Jahr 2019 von Quartal zu Quar- 150 tal. Im Jahr 2020 war pandemiebedingt zunächst ein 0 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 deutlicher Rückgang der Fallzahlen zu verzeichnen, da der Zugang zu diesen Patientengruppen zeitwei- se erschwert war. Ab der zweiten Jahreshälfte 2020 Die Verbesserung der Behandlung von Menschen mit wurden die Behandlungsleistungen wieder auf dem Behinderungen hat in Baden-Württemberg zudem seit Vorjahresniveau in Anspruch genommen. Das ist ein vielen Jahren ebenfalls einen hohen Stellenwert. Die positives Zeichen, da diese Leistungen sehr wichtig KZV BW und die AOK BW haben hier seit 2007 durch sind, um den Erhalt der eigenen gesunden Zähne bis eine zusätzliche, immer wieder angepasste Verein- ins hohe Alter oder eine Versorgung mit Zahnersatz barung zur besseren Versorgung von Patient*innen für alle Menschen mit Pflegebedarf und Menschen mit mit schweren körperlichen bzw. geistigen Einschrän- Behinderungen im Land zu gewährleisten. kungen und multiplen Vorerkrankungen eine Vorreiter- rolle eingenommen. Auch mit anderen gesetzlichen Krankenkassen ist die KZV BW diesbezüglich in einem regen und guten Austausch mit dem Ziel, dieses The- ma weiterzuverfolgen und zu einer flächendeckenden verbesserten Versorgung beizutragen. 20 01 Zahnmedizinische Versorgung in Baden-Württemberg – Zahnärztliche Versorgung für pflegebedürftige Menschen
Verbesserungen bei der Parodontitis-Therapie Da bei diesen Patient*innen nicht immer eine syste- Weitere Verbesserungen für die vulnerablen Gruppen matische PAR-Behandlung durchgeführt werden kann, gibt es im Zusammenhang mit der neuen PAR-Richtli- wurde für sie ein bürokratiearmer Zugang zur Paro- nie, die am 1. Juli 2021 in Kraft getreten ist. Aufgrund dontitis-Behandlung geschaffen, bei dem auch das des Vorstoßes der vertragszahnärztlichen Selbstver- Antrags- und Genehmigungsverfahren entfällt. waltung konnten im Gemeinsamen Bundesausschuss entsprechende Regelungen konsentiert werden. Die Behandlungsstrecke ist so gestaltet, dass die Be- Neben der systematischen PAR-Behandlung besteht lastung der Behandlung deutlich gemindert wird. Nach damit eine niedrigschwellige Behandlungsalternative der Behandlung erhalten die Versicherten zudem eine für Patient*innen, gezielte strukturierte Nachsorge über zwei Jahre. · bei denen die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung der Mundhygiene nicht oder nur eingeschränkt gegeben ist · die einer Behandlung in Allgemeinnarkose bedürfen · bei denen die Kooperationsfähigkeit nicht oder nur eingeschränkt gegeben ist. 01 Zahnmedizinische Versorgung in Baden-Württemberg – Zahnärztliche Versorgung für pflegebedürftige Menschen 21
Vertragszahn- ärzteschaft: Blick nach innen
ZAHNÄRZT*INNEN IN ANSTELLUNG Auch im vergangenen Jahr hat die Zahl der Zahnärzt*innen, die als Angestellte in einer Praxis tätig sind, weiter zugenommen. Mit derzeit 2222 von insgesamt 8113 Vertragszahnärzt*innen in Baden-Württemberg arbeitet mittlerweile über ein Viertel des gesamten Berufsstands in Anstellung. Dazu kommen 72 weitere, die zusätzlich zu ihrer selbstständigen Tätigkeit noch ein Anstellungsverhältnis haben. Die Arbeit als angestellte Zahnärztin oder angestellter Zahnarzt ist somit weit mehr als ein kurzfristiger Trend, vielmehr ist ihr Beitrag aus der Versorgungslandschaft längst nicht mehr wegzudenken. Im Vergleich der letzten vier Jahre ist ein stetiger An- Selbstständig oder angestellt (m/w) stieg bei den Angestelltenzahlen feststellbar – allein seit 2018 um etwa 30 Prozent. 18 % 9% Anstieg der Anstellungsverhältnisse 2200 2000 25 % 1800 48 % 1600 1463 1400 1345 1223 1200 1082 Niederge- Nieder- Angestellt (w) Angestellt (m) 1000 lassen (m) gelassen (w) 800 600 Darüber hinaus zeigt sich, dass die Arbeit in Anstel- 400 721 759 lung großenteils ein Modell für die erste Zeit des 625 685 200 Berufslebens ist. Von den insgesamt 1201 Zahnärzt*innen 0 unter 35 Jahren arbeiten 907 und damit über 75 Pro- 2018 2019 2020 2021 zent als Angestellte. Zwischen 36 und 45 Jahren sind es noch knapp 30 Prozent, in den höheren Altersgrup- Männer Frauen pen zusammengenommen nur noch rund 13 Prozent. Für die Sicherstellung der Versorgung in den nächsten Dieser Anstieg betrifft sowohl Zahnärztinnen als Jahren und Jahrzehnten wird es insofern maßgeblich auch Zahnärzte, wobei Frauen deutlich häufiger ein darauf ankommen, die Tätigkeit als niedergelassene*r Anstellungsverhältnis wählen. So sind etwa 42 Pro- Zahnärzt*in attraktiv zu halten und mit kompetenter zent aller Zahnärztinnen angestellt, dagegen aber Beratung und guten Rahmenbedingungen für Exis- nur 16 Prozent der Zahnärzte. tenzgründungen den Schritt in die Selbstständigkeit zu fördern. Für die KZV BW ist die Schaffung positiver Anreize für die Niederlassung und die aktive Unter- stützung der Vertragszahnärzt*innen auf diesem Weg ein zentraler Schwerpunkt ihrer Arbeit. 24 02 Vertragszahnärzteschaft: Blick nach innen – Zahnärzt*innen in Anstellung
PORTRÄT ANTONIA HOFFMANN »Bei einem Praktikum in einer Zahnarztpraxis habe ich meine Leidenschaft für die Zahnmedizin entdeckt. Mein Vater, auch Zahnarzt, ist da sicherlich ein Vor- bild für mich. Am meisten gefällt mir der Kontakt mit meinen Patient*innen. Das Feedback von Patient*in- nen, die beispielsweise mit Schmerzen kommen und dann schmerzfrei wieder gehen – das gibt mir am Ende des Tages große Zufriedenheit. Ich habe meine Assistenzzeit zum 1. April 2021 angefangen. Ich möchte auf jeden Fall erst mal im Angestelltenverhältnis bleiben. Ich fühle mich in der jetzigen Praxis mit dem Team sehr wohl. Hier noch eine Weile zu arbeiten, gefiele mir gut. Eine Niederlassung kann ich mir später mit einer Kollegin oder einem Kollegen gut vorstellen. Denn in einer Gemeinschaftspraxis ist die Familienplanung besser realisierbar.« Bildrechte: Karl-Heinz Kuball Antonia Hoffmann (27) Zahnärztin in Assistenzzeit in der Praxis von ZA Christoph Kleindienst in Empfingen 02 Vertragszahnärzteschaft: Blick nach innen – Porträt 25
ZIELGRUPPE ZAHNÄRZTINNEN 3476 Zahnärztinnen und 4637 Zahnärzte kümmern sich tagtäglich um die Zahn- und Mundgesundheit der Versicherten und sorgen für eine flächendeckend stabile zahnmedizinische Versorgung in Baden-Württemberg. Die Entwicklung der zurückliegenden Jahre mit dem stetig wachsenden Frauenanteil im ehemals männlich dominierten Berufsstand setzt sich auch im Jahr 2021 fort. Der aktuelle Stand entspricht einem Verhältnis von 43 Prozent Frauen und 57 Prozent Männern. In den ersten Stadt- und Landkreisen ist das Verhältnis bereits ausgeglichen beziehungsweise hat sich hin zu einer Mehrheit der Zahnärztinnen gewandelt. Geschlechterverhältnis innerhalb der Für die Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden- Zahnärzteschaft Württemberg ist dieser Wandel der Geschlechterstruk- turen eine Tatsache, auf die es professionspolitisch zu reagieren gilt. Insbesondere während der Corona- Pandemie hat sich deutlich gezeigt, dass Frauen mit anderen Problemen konfrontiert sind als ihre männ- 43 % lichen Kollegen. Gerade die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die generell schon eine Herausforderung darstellt, gestaltete sich in Pandemie-Zeiten noch deutlich komplizierter. Einer Umfrage der KZV BW zu- 57 % folge befanden sich insbesondere die Zahnärztinnen in einem permanenten Spannungsfeld zwischen der zahnärztlichen Versorgung und der Kinderbetreuung – Zahnärzte Zahnärztinnen in vielen Fällen konnten keine zufriedenstellenden Lösungen gefunden werden. Dies war für Frauen ein Diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren viel größeres Problem als für Männer. weiter fortschreiben, was sich einerseits in den jüngeren Altersgruppen im Berufsstand und – deutlicher noch – Die KZV BW widmet sich daher verstärkt den Interessen bei den Studierenden im Fach Zahnmedizin abzeichnet. der Zahnärztinnen und den Herausforderungen für Auf Seite 28 sind die aktuellen Zahlen der Hochschulen Zahnärztinnen. Regelmäßig erscheinen zwei News- in Baden-Württemberg dargestellt, aus denen hervor- letter, die sich mit gerade für Zahnärztinnen relevanten geht, dass zuletzt gut drei Viertel der Studierenden Themen befassen. Während der Newsletter „Alles weiblich waren. unter einen Hut“ das Thema Praxisalltag und Familie in den Fokus nimmt, greift der Newsletter „Zahn & Zu- Altersstruktur der Zahnärzteschaft (m/w) kunft“ wichtige Fragestellungen rund um das Thema Anstellung auf. Auch sind Veranstaltungen in Planung, 437 die sich vornehmlich an die Zielgruppe Frauen richten. bis 35 764 Hier soll neben fachlichen Informationen und Schulungen 863 36–45 der Netzwerkgedanke im Vordergrund stehen. Die 1019 1172 spezifischen Informationsangebote für Zahnärztinnen 46–55 923 verfolgen das Ziel, diese im Berufsalltag passgenau zu 56–60 981 unterstützen und dienen somit nicht zuletzt einer lang- 398 fristigen Sicherung der Versorgungsstrukturen im Land. 628 61–65 229 556 über 65 143 0 300 600 900 1200 1500 männlich weiblich 26 02 Vertragszahnärzteschaft: Blick nach innen – Zielgruppe Zahnärztinnen
PORTRÄT DR. OLGA WEBER »Ich habe in St. Petersburg Humanmedizin und später in Kasachstan an der Universität in Almaty Zahnmedizin studiert. Zuvor habe ich mit 15 Jahren schon eine Ausbildung zur Krankenschwester ge- macht. Mit Anfang 30 bin ich nach Deutschland gekommen. Innerhalb von zehn Jahren habe ich dann die Gleichwertigkeitsprüfung gemacht, Kinder großgezogen, eine neue Sprache gelernt – das war schon schwierig, aber ich möchte die Zeit und die interkulturellen Erfahrungen nicht missen. Wichtig ist dabei, dass man das macht, was einem Spaß macht und man zuversichtlich ist. Niedergelassen bin ich seit 2010, zusammen mit einem anderen Kollegen. In meinem Team haben wir acht Mitarbeiterinnen, zwei Auszubildende und eine weitere angestellte Zahnärztin. Das Schöne an meinem Beruf ist, dass ich Menschen helfen kann. Grundsätzlich verstehen wir unsere Praxis als Familienpraxis, das heißt, wir machen alles von Kinderbehandlung bis Implanto- logie. Die Behandlung von Angstpatient*innen unter Hypnose ist einer meiner Schwerpunkte. Das macht Bildrechte: Walter Tübingen den Praxisalltag sehr abwechslungsreich!« Dr. Olga Weber (50) Niedergelassene Zahnärztin in einer Praxisgemeinschaft in Tübingen 02 Vertragszahnärzteschaft: Blick nach innen – Porträt 27
DIE VERSORGENDEN VON MORGEN Eine gesicherte zahnmedizinische Versorgung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird maßgeblich davon abhängen, wie attraktiv der Beruf der/des Zahnärzt*in wahrgenommen wird und wie viele junge Menschen diesen Weg wählen. Neben der Entscheidung für ein zahnmedizinisches Studium ist es aber auch von Bedeutung, wie groß die Bereitschaft unter den künftigen Generationen von Zahnärzt*innen ist, sich in eigener Praxis niederzulassen und auf diese Weise einen Anteil an der Versorgung der Bevölkerung zu leisten. Eine vorausschauende Analyse der Versorgungslandschaft durch die Selbstverwaltung ist der Schlüssel, um dauerhaft stabile Strukturen zu gewährleisten. Gleichzeitig kann auch die Politik die notwendigen infrastruk- turellen Rahmenbedingungen schaffen. Zahnmedizinisches Studium Erstsemester Zahnmedizin in Betrachtet man die aktuellen Zahlen aus den Hoch- Baden-Württemberg schulen, erfreut sich das zahnärztliche Berufsfeld nach wie vor großer Beliebtheit. Dem aktuellen Jahrbuch 250 der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) 200 zufolge gab es 2019 die bislang höchsten Zahlen 150 sowohl bei den Neuimmatrikulierten für das Studium 163 der Zahnmedizin, als auch bei den Approbationen. 100 91 Bundesweit gab es in diesem letzten Jahr der Auswer- 50 67 54 46 56 tung 2191 Neuimmatrikulierte und 2463 Approbationen. 0 25 18 Sommer- Sommer- Sommer- Winter- semester semester semester semester Auch im Land steigt die Anzahl der Studierenden im 2018 2019 2020 2020/21 Fachbereich Zahnmedizin kontinuierlich. Waren im Männer Frauen Sommersemester 2018 noch gut 1800 junge Menschen an den Hochschulen in Baden-Württemberg in diesem Fach eingeschrieben, so stieg diese Zahl bis zum Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Zahnmedizin Wintersemester 2020/21 auf knapp 1950. weiterhin ein beliebtes Berufsfeld ist und sich der Berufsstand derzeit keine Sorgen um ausreichend Studierende Zahnmedizin in Baden Württemberg Nachwuchs machen muss. Gleichwohl ist bei der Bereitstellung einer bedarfsgerechten Anzahl an Studienplätzen seitens der Landespolitik auch darauf zu achten, dass es aufgrund zusätzlicher Versorgungs- 2500 bedarfe etwa bei Pflegebedürftigen sowie einer sin- 2000 kenden durchschnittlichen Wochenarbeitszeit künftig 1500 1216 auch mehr Zahnärzt*innen braucht, um die Versor- 1205 1306 1172 1000 gung auf gleichbleibendem Niveau sicherzustellen. 500 635 655 664 636 0 Vertragszahnärztliche Existenzgründungen Sommer- Sommer- Sommer- Winter- Ein weiterer Faktor, der für die Sicherstellung einer flä- semester semester semester semester 2018 2019 2020 2020/21 chendeckenden, wohnortnahen Versorgung von großer Bedeutung ist, betrifft die Niederlassungsbereitschaft Männer Frauen innerhalb der Zahnärzteschaft. Eine Niederlassung in Beim Blick auf das erste Fachsemester zeigte sich eigener Praxis ist für die große Mehrheit der Berufs- zuletzt ebenfalls ein deutlicher Anstieg auf insgesamt einsteiger*innen nach wie vor das Ziel. Eine forsa-Um- 219 Studierende, wobei knapp drei Viertel davon frage der KZV BW im Jahr 2019 unter 400 angestell- weiblich waren. ten Zahnärzt*innen ergab, dass bei der Gruppe bis 28 02 Vertragszahnärzteschaft: Blick nach innen – Die Versorgenden von morgen
35 Jahre mehr als drei Viertel der Befragten plant, sich Anzahl Gründer*innen nach einem überschaubaren Zeitraum in Anstellung selbständig zu machen. Die Zahlen der Existenzgrün- 120 dungen bei personengebundenen Praxen wie Einzel- 100 praxis oder Berufsausübungsgemeinschaft bewegen 80 sich in den letzten drei Jahren auf gleichbleibendem Niveau. Nicht berücksichtigt sind in dieser Auswertung 60 119 114 105 Praxen, die eine Gesellschaft als Inhaber haben. 40 23 16 20 10 Entwicklung Existenzgründungen 0 1 1 0 2018 2019 2020 150 1 Gründer*innen 2 Gründer*innen 125 3 oder mehr Gründer*innen 100 129 75 Die Grundlagen für eine dauerhafte Sicherstellung 130 130 50 der Versorgung sind somit vorhanden. Die bestehen- 87 76 73 8 25 49 den Veränderungsprozesse werden von der KZV 44 10 34 8 0 BW aktiv begleitet. Auch die Politik hat jedoch eine 2018 2019 2020 Bringschuld, insbesondere beim Abbau von zu hohen Bürokratielasten, die in der Lage sind, den Gründer- Neugründung Übernahme geist zu bremsen. Konkrete Vorschläge dazu werden Sonstige Gesamt seitens der vertragszahnärztlichen Selbstverwaltung regelmäßig formuliert. Zu beobachten ist jedoch ein Trend hin zu mehr Kooperationen. 02 Vertragszahnärzteschaft: Blick nach innen – Die Versorgenden von morgen 29
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