Vertrauensbasis in Gefahr: Aufrüsten im Westbalkan - ETH ...
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CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 282, April 2021 Vertrauensbasis in Gefahr: Aufrüsten im Westbalkan Im Westbalkan wird in den letzten Jahren verstärkt aufgerüstet. Die oft von nationalistischer Begleitrhetorik getätigten Waffenkäufe gefährden das fragile Vertrauen in einer Region, in der Konflikte nach wie vor ungelöst sind. Eine Schlüsselrolle kommt dabei Serbien zu, das im Zuge von Rüstungskäufen auch seine Beziehungen zu Russland und China ausgebaut hat. Von Andrej Marković und Jeronim Perović Seit dem Ende der Jugoslawienkriege vor gut zwei Jahrzehnten haben sich die Bezie- hungen unter den ehemals verfeindeten Nachfolgestaaten stark verbessert. Doch ungelöste Konflikte belasten die Friedens- ordnung weiterhin. Das Verhältnis zwi- schen Kroatien und Serbien bleibt ange- spannt. In Bosnien-Herzegowina können sich die politischen Eliten der konstitutiven Völker weiterhin nicht auf die Ausgestal- tung ihres Staates verständigen. Und schliesslich anerkennt Belgrad die 2008 er- klärte Unabhängigkeit seiner ehemaligen Provinz Kosovo weiterhin nicht an. Offen ist insbesondere, wie die Zukunft der serbi- schen Bevölkerung in Kosovo aussehen soll. All diese Spannungen sind auch das Resul- tat des in der Region vorherrschenden Po- Der serbische Präsident Aleksandar Vucic besucht die Kadetten einer Militärakademie in Belgrad am litikstils. Mangels echter Erfolge beim 14. September 2019. Marko Djurica / Reuters Aufbau rechtsstaatlicher Institutionen und der Schaffung von Wohlstand setzen Eli- ten zum Machterhalt immer wieder auf die nationalistische Karte. Die Bevölkerung Serbien ein Partnerschaftsabkommen un- feindseliger Rhetorik begleitet wird. In der kennt diese Strategie und glaubt mehrheit- terzeichnet hat. Ferner leisten rund 3500 jüngsten Vergangenheit sind die Militär- lich nicht an einen neuen Krieg. Kon- internationale Friedenstruppen unter der ausgaben teilweise stark angestiegen. Bei flikthemmend wirkt sich auch die militäri- Leitung der NATO im Kosovo Dienst, der Beschaffung von Grossgerät haben sich sche Präsenz des Westens aus. Der ehemals während in Bosnien-Herzegowina nach Kroatien und Serbien hervorgetan. Diese jugoslawische Raum liegt tief im Einzugs- wie vor ein kleines Kontingent einer von Entwicklung gefährdet das Vertrauen in bereich des Nordatlantikpakts. Slowenien, der EU geführten Militärmission operiert einer Region, die noch immer unter den Kroatien, Montenegro und seit 2020 auch – beide mit Schweizer Beteiligung. Nachwirkungen der Kriege der 1990er- Nordmakedonien sind Mitglieder der Jahre leidet. Daran haben westliche Staa- NATO. Bosnien-Herzegowina und Koso- Zugleich steht die Region verstärkt im ten wenig Interesse. Die aktuelle Situation vo streben die Mitgliedschaft an, während Zeichen eines neuen Rüstens, das von oft gereicht nämlich auch Russland und China © 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich 1
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 282, April 2021 zum Vorteil, die nach Verbündeten in der Die Staaten des Westbalkans Region suchen. Zu ihrem sicherheitspoliti- schen Schlüsselpartner ist Serbien gewor- den, dem sie Rüstungsgüter und Technolo- gien anbieten. Streitkräftereformen Nach dem Ende der jugoslawischen Zer- fallskriege begann der Umbau der Streit- kräfte der neuen Staaten. An die Stelle einer unbezahlbar gewordenen Landesverteidi- gung sollte die Mitwirkung in einem Sys- tem der kollektiven Sicherheit treten. Wehr- pflichtigenarmeen wurden zu stark verklei- nerten professionellen Streitkräften umge- formt, die mobil und flexibel einsetzbar sein sollten. Das 1995 im Kontext des Dayton- Vertrags ausgehandelte Abkommen über die subregionale Rüstungskontrolle nivel- lierte die ungleichen Verhältnisse zwischen den jugoslawischen Nachfolgestaaten bei den Kampfmitteln. Diese Entwicklungen beschränkten die Offensivfähigkeiten mas- siv. Die Abrüstung, die Anbindung an die NATO und nicht zuletzt das von Reform- regierungen geteilte Ziel einer europäischen Integration trugen zur Vertrauensbildung in der Region bei. Ein Krieg gegen die Nach- barländer erschien zunehmend unwahr- scheinlich. Als Konsequenz veralteten auch die Streitkräfte zusehends, denn angesichts Kroatien Gleichwohl sollte die Bedeutung der der klammen Haushaltslage liessen sich Diese neue Dynamik nahm ihren Anfang jüngsten Rüstungsimporte nicht über- grössere Modernisierungen nicht rechtferti- in Kroatien. 2015 wurde bekannt, dass Za- schätzt werden. Der Haushalt setzt der gen. Die Berufsarmeen entwickelten sich zu greb von den USA M270-Raketenwerfer Entwicklung der kroatischen Streitkräfte bloss mässig attraktiven Arbeitgeberinnen, mit einer Reichweite von über 300 Kilo- weiterhin enge Grenzen. Immer wieder denen es bis heute schwerfällt, ihren Sollbe- metern erbeten hatte. Dies führte zu Span- werden Beschaffungspläne revidiert. So stand zu halten. nungen zwischen Kroatien und Serbien. wurde jüngst der geplante Erwerb von Beide warfen sich gegenseitig die Destabi- zwölf neuen Mehrzweckflugzeugen, mit Aufgebaut wurden vor allem Einheiten, die lisierung der Region vor. Kroatiens Ersu- dem die selbst für den Luftpolizeieinsatz an Auslandseinsätzen teilnehmen sollten. chen hat Washington bis heute nicht ent- nur bedingt einsatzfähige kleine MiG- Dies galt insbesondere für Länder, die sprochen. Seit 2015 bezog das Land aus 21-Flotte ersetzt werden soll, zum wieder- möglichst rasch der NATO beizutreten Deutschland und den USA indes ge- holten Male verschoben – zu gross wirken suchten. Den Beistand der Allianz galt es brauchte Rüstungsgüter zu verbilligten die Ausgaben angesichts der Corona-Krise mit der Missionsmitwirkung zu erkaufen. Konditionen, unter anderem zwölf Panzer- und zweier Erdbeben, die Kroatien 2020 Das Bündnis wurde zum regional domi- haubitzen 2000 sowie 16 Kiowa-Warrior- trafen. nierenden sicherheitspolitischen Partner. Angriffshubschrauber. Der Kauf von Brad- Vom Wissens- und Materialtransfer und ley-Schützenpanzer in Brigadestärke samt Serbien der Unterstützung bei Abrüstung, Ausbil- weit über eintausend panzerbrechender Auch im Falle Serbiens fallen in den letzten dung und der Organisation regionaler Ko- Raketen steht ebenfalls an. Jahren die Rüstungsimporte im Rahmen operationen profitierten auch diejenigen, grosser Erhöhungen des Militärbudgets die nicht oder noch nicht in die NATO Damit wurde der Aspekt der Landesvertei- auf. Hatte das Land seit dem Zusammen- aufgenommen wurden. digung wieder stärker gewichtet, nachdem bruch Jugoslawiens praktisch keine grösse- in der Vergangenheit das Ausrüsten für ren Anschaffungen getätigt, hat es seit 2016 Mitte des vergangenen Jahrzehnts setzten Auslandsmissionen im Fokus gestanden über eine Milliarde US-Dollar für die Mo- neue Entwicklungen ein. Einerseits zog hatte. Dass sich das angeschaffte Grossge- dernisierung seiner Streitkräfte ausgege- das Wirtschaftswachstum an, was die rät für den mechanisierten Kampf in der ben. Gekauft wurden unter anderem Trans- Haushaltslage entspannte und höhere In- Tiefebene des kroatisch-serbischen Grenz- porthubschrauber des europäischen vestitionen in die Modernisierung der Ar- gebiets eignet, wurde insbesondere in Ser- Herstellers Airbus und aus Russland (sowie meen erlaubte. Andererseits orientierten bien registriert. Tatsächlich beschreibt die vier Mi-35-Angriffshubschrauber), eine sich die Streitkräfte im Nachgang der rus- kroatische Strategie der nationalen Sicher- Batterie russischer Pantsir-Flugabwehrsys- sischen Einnahme der Krim 2014 verstärkt heit von 2017 das Nachbarland kaum ver- teme, französische Mistral-Luftabwehrra- auf die Möglichkeit eines konventionellen hüllt als Bedrohung für die Sicherheit und keten und sechs bewaffnete CH-92A- Kriegs. das Ansehen Kroatiens. Drohnen aus China. Der Kauf eines © 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich 2
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 282, April 2021 bisch dominierte Entität Republika Srpska Die Streitkräfte im Westbalkan in den letzten Jahren ihre Polizei mit Hilfe Verteidigungshaushalt Personal Panzer Artillerie/MLRS* Kampf- Russlands und Serbiens aufgerüstet. Im 2020 (in Mio. USD) (>122 mm) flugzeuge Konfliktfall dürfte die Einsatzfähigkeit der SERBIEN 1 036 28 500 212 208 30 multiethnischen Berufsarmee hingegen K R OAT I E N 970 15 200 75 67 12 fraglich sein. Auch weil die von Bosnien- Herzegowina angestrebte NATO-Integra- B O S N I E N - H E RZ E G OW I N A 174 9 200 45 124 0 tion aufgrund der Opposition aus der Re- NORDMAKEDONIEN 165 6 100 31 73 0 publika Srpska nur langsam vorankommt, MONTENEGRO 97 2 100 0 30 0 geben die jüngsten Aufrüstungen in Serbi- KO S OVO 75 2 500 0 0 0 en, aber auch in Kroatien den bosniaki- * Mehrfachraketenwerfersysteme Quellen: IISS, The Military Balance 2021; balkansec.net; eigene Recherchen. schen politischen Eliten zu denken. Beide Staaten zählen den Schutz «ihrer» Co-Na- tionalen in Bosnien zu ihren offiziellen na- tionalen Zielen. An Spannungen reich ist zudem das ser- chinesischen Luftabwehrsystems mittlerer gering. Einsätze wie jener in Afghanistan bisch-kosovarische Verhältnis. Dass Koso- Reichweite (FK-3) wurde anscheinend oder das Wirken gegen den Islamischen vo den Aufbau eigener Streitkräfte an- ebenfalls vereinbart. Aus Russland und Staat gelten zudem als kostspielige Unter- strebt, bezeichnet die serbische Regierung Belarus kamen zu Vorteilskonditionen nehmen, die Serbien zum Ziel für Terroris- als erstrangige Sicherheitsbedrohung. Auf zehn gebrauchte MiG-29 und Moskau ver- mus werden lassen könnten. Mögliche das Wirken der kosovarischen Sonderpoli- schenkte 30 Panzer vom Typ T-72B1MS Spannungen mit Russland oder China zei im vorwiegend serbisch besiedelten sowie gepanzerte Fahrzeuge. Der traditio- schrecken ebenfalls ab. Dennoch unterhält Nordkosovo reagierte Belgrad wiederholt nelle Rüstungslieferant versucht so, seine Serbien weitreichende sicherheitspolitische mit militärischen Drohgebärden. Bedeutung für Serbien zu wahren. Schliess- Beziehungen zu westlichen Ländern. Serbi- lich setzt Serbien auch auf die einheimische en hat mit der NATO ein individuelles Rüstet also Serbien für den Konfliktfall? Rüstungsindustrie, die unter anderem ge- Partnerschaftsabkommen vereinbart und Die hauptsächlichen Gründe für die Ent- panzerte Fahrzeuge, moderne Artillerie stellt der Balkan Battlegroup der EU Trup- wicklungen dürften in innenpolitisch rele- und Lenkwaffen fertigen und sich auslän- pen zur Verfügung. In der Ausbildung wird vanten Konstellationen zu verorten sein. dische Partner suchen soll. Bislang finan- vorwiegend mit NATO-Mitgliedsländern Die bisherigen Rüstungsanstrengungen zierten die Vereinigten Arabischen Emira- zusammengearbeitet, ebenso bei Friedens- sind in der Gesamtheit nach wie vor zu un- ten die Entwicklung einer Lenkrakete, missionen. bedeutend, dass sie die Kräfteverhältnisse während mit China die Zusammenarbeit umstossen und damit die sicherheitspoliti- bei bewaffneten Drohnen vereinbart wurde. Die jüngsten Rüstungskäufe können nicht sche Ordnung grundsätzlich herausfordern über den massiven Kaderabfluss bei der Ar- könnten. Die serbische Armee benutzt Die diversen Bezugsquellen entsprechen mee hinwegtäuschen. Diese kann auch auch weiterhin veraltetes Material. Aber der serbischen Aussenpolitik, die eine Mit- nach wiederholten Lohnerhöhungen keine selbst punktuelle Modernisierungen stellen gliedschaft in der EU anstrebt, aber zu- attraktiven Arbeitsbedingungen bieten. Als für die Regierung einen Erfolg dar, kommt gleich Beziehungen zu Russland und Chi- Folge droht den Luftstreitkräften die Ver- doch der Armee traditionell ein hohes An- na priorisiert. Serbien ist Beobachterstaat greisung, während das Heer nicht auf Soll- sehen zu. Folgerichtig werden Neubeschaf- bei der von Russland dominierten Organi- stärke kommt. So verfügt es längst nicht fungen spektakulär inszeniert von nieman- sation des Vertrags über kollektive Sicher- über das Personal, um alle Panzer zu beset- dem anders als dem Präsidenten Aleksandar heit; das russische Katastrophenschutzmi- zen. Unlängst intensivierte sich die seit Jah- Vucic selbst, unter dem sich Serbien zu ei- nisterium ist an einer Basis im südserbischen ren geführte Diskussion über eine Wieder- nem faktischen Ein-Parteien-Regime ent- Nis beteiligt. Mit China unterhält Belgrad einführung der Wehrpflicht. Mit Wehr- wickelte. eine strategische Partnerschaft und hat in pflichtigen soll das Berufsmilitär ergänzt der jüngeren Vergangenheit auch die si- und Reserveverbände aufgebaut werden. Die regimetreuen Massenmedien verweben cherheitspolitischen Beziehungen vertieft. Überdies will Serbien auch in naher Zu- seine Auftritte an Militärübungen zu einem kunft Rüstungsgüter einkaufen: Neben Teil der dominanten Erzählung vom nim- Der Beitritt zur NATO wird hingegen weiteren Drohnen geht es um Mittel zur mermüden Präsidenten, der ein zu Grunde nicht beabsichtigt. Im Zuge der sich anbah- elektronischen Kriegsführung. Im Ge- gewirtschaftetes Serbien im Alleingang nenden, von westlichen Ländern unter- spräch ist das russische System Krasucha. zum Wiederaufstieg führe. Dass die Ar- stützten Unabhängigkeit Kosovos erklärte In diesem Zusammenhang verwiesen ser- meepolitik in den vergangenen Jahren in- das serbische Parlament 2007 die militäri- bische Offizielle ausdrücklich auf den Krieg transparenter geworden ist, dürfte ebenfalls sche Neutralität. Gegen einen Beitritt zur um Bergkarabach im Herbst 2020, in dem propagandistischen Kalkülen entspringen. NATO sprechen sich im Land ebenfalls Drohnen für den Sieg Aserbaidschans über Da keine Entwicklungsprogramme veröf- grosse Umfragemehrheiten aus. Die Hal- Armenien eine wichtige Rolle spielten. fentlicht werden, muss sich die Führung des tung der Bevölkerung gründet nicht nur in Landes auch nicht an solchen messen las- der Erinnerung an das NATO-Bombarde- Konfliktzonen und -potenzial sen. Überhaupt wird die Streitkräfteent- ment im Kosovokrieg 1999. Im von NATO- Auch nach zwanzig Jahren Frieden bleiben wicklung von Kadern aus der Rüstungsin- Mitgliedern umgebenen Serbien erscheint im Westbalkan Konfliktanlässe denkbar. dustrie bestimmt. So gesehen erstaunt es vielen der Nutzen eines Beitritts schlicht als So hat in Bosnien-Herzegowina die ser- nicht, wenn sich Projekte wiederholt weni- © 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich 3
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 282, April 2021 ger an tatsächlichen Bedürfnissen denn an versucht das Regime auch innenpolitisch en wenigstens ansatzweise zu umgehen der Förderung der einheimischen Industrie den Revanchismus wenigstens symbolisch und neue Ansprechpartnerinnen und orientieren. Diese ist wegen ihrer millio- zu befriedigen. Auch die Drohungen gegen -partner zu gewinnen. Dies zumal in Ge- nenschweren Exporte und Tausenden an Kosovo sind Teil von Vucics Spektakelpoli- meinden Alltagsprobleme oft relevanter Beschäftigten gerade in peripheren Lan- tik. Boulevardmedien schreiben regelmä- sind als die grossen Fragen der Nation. desteilen ein bedeutender wirtschaftlicher ssig einen Krieg in der Region herbei, da- Auch sollten auswärtige Partner davon ab- und sozialer Faktor, den der Staat fördert. mit der Präsident als um den Frieden, aber sehen, mit Rüstungslieferungen zu Ver- Und sie dient Angehörigen der Elite zur auch um die Streitkräfte besorgter Landes- schiebungen der Kräfteverhältnisse beizu- persönlichen Bereicherung. vater auftreten kann. Gleichwohl bleibt tragen, die schlimmstenfalls zu einer diese Art von Kommunikation nicht ohne Aufrüstungsspirale führen könnten. Serbien zwischen West und Ost? Folgen, denn sie erschwert es, die serbi- An bewaffneten Konflikten in der Region schen Absichten einzuschätzen und trägt China und Russland werden im Westbal- hat Belgrad kein Interesse. Für das Aufer- zu Verunsicherungen in der Region bei. kan präsent bleiben. Das muss kein Scha- stehungsnarrativ der Regierung weit wich- den sein, denn die Region kann auf Ener- tiger als das Militär ist die Wirtschaft. Im Herausforderungen und Ausblick gieimporte aus Russland und wirtschaftli- armen Land sind Jobs für Vucic neben sei- Zwar bleiben auch nach den neuesten Auf- che Beziehungen zu China schwer nen klientelistischen und autoritären Tech- rüstungen in der Region die Offensivfähig- verzichten. Gerade Belgrad sollte sich aber niken der beste Garant für kommende keiten der Streitkräfte im Westbalkan li- bewusster werden, dass sicherheitspoliti- Wahlsiege. Weil aber der europäische mitiert und schöpfen die weiterhin gültigen sche Kooperationen nicht nur innenpoli- Markt der für Serbien wesentliche Wirt- Rüstungskontrollobergrenzen bei Weitem tisch verwertbare Erfolge darstellen. Durch schaftsraum bleibt, ist das Land trotz sei- nicht aus. Doch die feindselige Rhetorik die sich verschärfende Konkurrenz unter verfestigt den Blick auf den den Grossmächten droht Serbiens allseiti- Die Staaten in der Region Andern als Gegner. Dies schafft ge Beziehungspflege zu Komplikationen Potenzial für ethno-nationale zu führen. müssen aufhören, Waffen Mobilisierung. Wenngleich die rhetorisch gegeneinander Erneuerung der Streitkräfte ein Die Frage nach der Zukunft Serbiens stellt legitimes Anliegen ist, könnten sich auch grundsätzlich. Die letzten Jahre in Stellung zu bringen. Offensivkapazitäten mittelfris- sahen eine zunehmende Einschränkung tig derart zunehmen, dass sie als des demokratischen Parteienwettbewerbs ner weit entwickelten Beziehungen zu echte Bedrohung wahrgenommen werden und die reihenweise Aushöhlung rechts- Russland und China für westlichen Druck und das mühsam über Jahre aufgebaute staatlicher Institutionen. Findet hier kein empfänglich. Der russischen Basis in Nis Vertrauen wieder untergraben. Kurswechsel statt, droht jeder Machtwech- wurde nach Kritik aus den USA und der sel in Serbien ungeordnet zu verlaufen. EU der diplomatische Sonderstatus ver- Die Staaten in der Region müssen zumin- Dies wiederum würde die ohnehin schon wehrt. Im Sommer 2020 sagte Belgrad dest damit aufhören, Waffen rhetorisch ge- bedrohte Stabilität im Westbalkan zusätz- auch die Beteiligung serbischer Truppen an geneinander in Stellung zu bringen. Dies lich gefährden. Militärübungen in Belarus ab. Im vom wirft aber die grundsätzliche Frage auf, wie Sanktionselend der Neunziger regelrecht der politische Betrieb im Westbalkan zum traumatisierten Land kann sich keine Re- Abschied von nationalistischen Provokati- gierung einen echten Konfrontationskurs onen finden kann. Hier wäre die Unter- zu den Westmächten leisten. stützung der EU gefordert, die ein nahelie- gendes Interesse an der Stabilität der Für mehr zu Perspektiven Euro-Atlantischer Umso stärker setzt der serbische Präsident Region hat, aber deren Gestaltungskraft Sicherheit, siehe CSS Themenseite. auf Symbolpolitik. Der heute als Reformer dadurch eingeschränkt wird, dass die Bei- auftretende Vucic hatte seine politische trittsperspektive für die ausserhalb der Karriere in grossserbisch eingestellten Mi- Union verbliebenen Länder in weite Ferne Andrej Marković ist Assistent am Lehrstuhl für lieus begonnen, die bis heute Teil seiner gerückt ist. Osteuropäische Geschichte an der Universität heterogenen Wählerschaft geblieben sind. Zürich und Mitglied des Center for Eastern Ihnen zuliebe lässt er das Verteidigungsmi- Einen alternativen Anreiz zum Wandel European Studies (CEES). nisterium verurteilte Kriegsverbrecher könnten bis zur Vollmitgliedschaft Brü- würdigen und die ihm ergebenen Massen- ckenangebote darstellen, die auf dem brei- Jeronim Perović ist Professor an der Universität medien die Partnerschaft zu China und teren Zugang zum Gemeinsamen Markt Zürich und Leiter des CEES. Russland überbetonen. Letzteres wird oft und zu Fördermitteln beruhen könnten. als an den Westen adressiert verstanden, als Bei Letzteren sollte allerdings verstärkt Diese Analyse entstand im Rahmen einer Teil einer auf Vorteile bedachten Schaukel- auch die lokale Ebene direkt einbezogen strategischen Kooperation zwischen dem CSS politik. Mit der rhetorischen Verbrüderung werden, um bestehende Klientelhierarchi- und dem CEES. Die CSS Analysen zur Sicherheitspolitik werden herausgegeben vom Zuletzt erschienene CSS-Analysen: Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich. Das CSS ist ein Kompetenz- Mediation mit religiösen Akteuren in Israel-Palästina Nr. 281 zentrum für schweizerische und internationale Sicherheitspolitik. Jeden Jemen als Spielball der Regionalmächte Nr. 280 Monat erscheinen zwei Analysen auf Deutsch, Französisch und Englisch. GSVP-Missionen: Begrenzte Wirkung auf Reformen Nr. 279 Digitale Desinformation: Erkenntnisse aus der Ukraine Nr. 278 Herausgeber: Benno Zogg Südostasien: Brennpunkt der Grossmachtrivalität Nr. 277 Lektorat: Julian Kamasa China und die nukleare Rüstungskontrolle Nr. 276 Layout und Grafiken: Miriam Dahinden-Ganzoni Feedback und Kommentare: analysen@sipo.gess.ethz.ch © 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich Weitere Ausgaben und Abonnement: www.css.ethz.ch/cssanalysen ISSN: 2296-0236; DOI: 10.3929/ethz-b-000476289 4
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