Vertrauensbasis in Gefahr: Aufrüsten im Westbalkan - ETH ...

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Vertrauensbasis in Gefahr: Aufrüsten im Westbalkan - ETH ...
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik
Nr. 282, April 2021

Vertrauensbasis in Gefahr:
Aufrüsten im Westbalkan
Im Westbalkan wird in den letzten Jahren verstärkt aufgerüstet. Die
oft von nationalistischer Begleitrhetorik getätigten Waffenkäufe
gefährden das fragile Vertrauen in einer Region, in der Konflikte nach
wie vor ungelöst sind. Eine Schlüsselrolle kommt dabei Serbien zu, das
im Zuge von Rüstungskäufen auch seine Beziehungen zu Russland
und China ausgebaut hat.

Von Andrej Marković und
Jeronim Perović

Seit dem Ende der Jugoslawienkriege vor
gut zwei Jahrzehnten haben sich die Bezie-
hungen unter den ehemals verfeindeten
Nachfolgestaaten stark verbessert. Doch
ungelöste Konflikte belasten die Friedens-
ordnung weiterhin. Das Verhältnis zwi-
schen Kroatien und Serbien bleibt ange-
spannt. In Bosnien-Herzegowina können
sich die politischen Eliten der konstitutiven
Völker weiterhin nicht auf die Ausgestal-
tung ihres Staates verständigen. Und
schliesslich anerkennt Belgrad die 2008 er-
klärte Unabhängigkeit seiner ehemaligen
Provinz Kosovo weiterhin nicht an. Offen
ist insbesondere, wie die Zukunft der serbi-
schen Bevölkerung in Kosovo aussehen soll.

All diese Spannungen sind auch das Resul-
tat des in der Region vorherrschenden Po-               Der serbische Präsident Aleksandar Vucic besucht die Kadetten einer Militärakademie in Belgrad am
litikstils. Mangels echter Erfolge beim                 14. September 2019. Marko Djurica / Reuters
Aufbau rechtsstaatlicher Institutionen und
der Schaffung von Wohlstand setzen Eli-
ten zum Machterhalt immer wieder auf die
nationalistische Karte. Die Bevölkerung                 Serbien ein Partnerschaftsabkommen un-              feindseliger Rhetorik begleitet wird. In der
kennt diese Strategie und glaubt mehrheit-              terzeichnet hat. Ferner leisten rund 3500           jüngsten Vergangenheit sind die Militär-
lich nicht an einen neuen Krieg. Kon-                   internationale Friedenstruppen unter der            ausgaben teilweise stark angestiegen. Bei
flikthemmend wirkt sich auch die militäri-              Leitung der NATO im Kosovo Dienst,                  der Beschaffung von Grossgerät haben sich
sche Präsenz des Westens aus. Der ehemals               während in Bosnien-Herzegowina nach                 Kroatien und Serbien hervorgetan. Diese
jugoslawische Raum liegt tief im Einzugs-               wie vor ein kleines Kontingent einer von            Entwicklung gefährdet das Vertrauen in
bereich des Nordatlantikpakts. Slowenien,               der EU geführten Militärmission operiert            einer Region, die noch immer unter den
Kroatien, Montenegro und seit 2020 auch                 – beide mit Schweizer Beteiligung.                  Nachwirkungen der Kriege der 1990er-
Nordmakedonien sind Mitglieder der                                                                          Jahre leidet. Daran haben westliche Staa-
NATO. Bosnien-Herzegowina und Koso-                     Zugleich steht die Region verstärkt im              ten wenig Interesse. Die aktuelle Situation
vo streben die Mitgliedschaft an, während               Zeichen eines neuen Rüstens, das von oft            gereicht nämlich auch Russland und China

© 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich                                                                                                       1
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CSS Analysen zur Sicherheitspolitik                                                                                              Nr. 282, April 2021

zum Vorteil, die nach Verbündeten in der
                                                          Die Staaten des Westbalkans
Region suchen. Zu ihrem sicherheitspoliti-
schen Schlüsselpartner ist Serbien gewor-
den, dem sie Rüstungsgüter und Technolo-
gien anbieten.

Streitkräftereformen
Nach dem Ende der jugoslawischen Zer-
fallskriege begann der Umbau der Streit-
kräfte der neuen Staaten. An die Stelle einer
unbezahlbar gewordenen Landesverteidi-
gung sollte die Mitwirkung in einem Sys-
tem der kollektiven Sicherheit treten. Wehr-
pflichtigenarmeen wurden zu stark verklei-
nerten professionellen Streitkräften umge-
formt, die mobil und flexibel einsetzbar sein
sollten. Das 1995 im Kontext des Dayton-
Vertrags ausgehandelte Abkommen über
die subregionale Rüstungskontrolle nivel-
lierte die ungleichen Verhältnisse zwischen
den jugoslawischen Nachfolgestaaten bei
den Kampfmitteln. Diese Entwicklungen
beschränkten die Offensivfähigkeiten mas-
siv. Die Abrüstung, die Anbindung an die
NATO und nicht zuletzt das von Reform-
regierungen geteilte Ziel einer europäischen
Integration trugen zur Vertrauensbildung in
der Region bei. Ein Krieg gegen die Nach-
barländer erschien zunehmend unwahr-
scheinlich. Als Konsequenz veralteten auch
die Streitkräfte zusehends, denn angesichts             Kroatien                                       Gleichwohl sollte die Bedeutung der
der klammen Haushaltslage liessen sich                  Diese neue Dynamik nahm ihren Anfang           jüngsten Rüstungsimporte nicht über-
grössere Modernisierungen nicht rechtferti-             in Kroatien. 2015 wurde bekannt, dass Za-      schätzt werden. Der Haushalt setzt der
gen. Die Berufsarmeen entwickelten sich zu              greb von den USA M270-Raketenwerfer            Entwicklung der kroatischen Streitkräfte
bloss mässig attraktiven Arbeitgeberinnen,              mit einer Reichweite von über 300 Kilo-        weiterhin enge Grenzen. Immer wieder
denen es bis heute schwerfällt, ihren Sollbe-           metern erbeten hatte. Dies führte zu Span-     werden Beschaffungspläne revidiert. So
stand zu halten.                                        nungen zwischen Kroatien und Serbien.          wurde jüngst der geplante Erwerb von
                                                        Beide warfen sich gegenseitig die Destabi-     zwölf neuen Mehrzweckflugzeugen, mit
Aufgebaut wurden vor allem Einheiten, die               lisierung der Region vor. Kroatiens Ersu-      dem die selbst für den Luftpolizeieinsatz
an Auslandseinsätzen teilnehmen sollten.                chen hat Washington bis heute nicht ent-       nur bedingt einsatzfähige kleine MiG-
Dies galt insbesondere für Länder, die                  sprochen. Seit 2015 bezog das Land aus         21-Flotte ersetzt werden soll, zum wieder-
möglichst rasch der NATO beizutreten                    Deutschland und den USA indes ge-              holten Male verschoben – zu gross wirken
suchten. Den Beistand der Allianz galt es               brauchte Rüstungsgüter zu verbilligten         die Ausgaben angesichts der Corona-Krise
mit der Missionsmitwirkung zu erkaufen.                 Konditionen, unter anderem zwölf Panzer-       und zweier Erdbeben, die Kroatien 2020
Das Bündnis wurde zum regional domi-                    haubitzen 2000 sowie 16 Kiowa-Warrior-         trafen.
nierenden sicherheitspolitischen Partner.               Angriffshubschrauber. Der Kauf von Brad-
Vom Wissens- und Materialtransfer und                   ley-Schützenpanzer in Brigadestärke samt       Serbien
der Unterstützung bei Abrüstung, Ausbil-                weit über eintausend panzerbrechender          Auch im Falle Serbiens fallen in den letzten
dung und der Organisation regionaler Ko-                Raketen steht ebenfalls an.                    Jahren die Rüstungsimporte im Rahmen
operationen profitierten auch diejenigen,                                                              grosser Erhöhungen des Militärbudgets
die nicht oder noch nicht in die NATO                   Damit wurde der Aspekt der Landesvertei-       auf. Hatte das Land seit dem Zusammen-
aufgenommen wurden.                                     digung wieder stärker gewichtet, nachdem       bruch Jugoslawiens praktisch keine grösse-
                                                        in der Vergangenheit das Ausrüsten für         ren Anschaffungen getätigt, hat es seit 2016
Mitte des vergangenen Jahrzehnts setzten                Auslandsmissionen im Fokus gestanden           über eine Milliarde US-Dollar für die Mo-
neue Entwicklungen ein. Einerseits zog                  hatte. Dass sich das angeschaffte Grossge-     dernisierung seiner Streitkräfte ausgege-
das Wirtschaftswachstum an, was die                     rät für den mechanisierten Kampf in der        ben. Gekauft wurden unter anderem Trans-
Haushaltslage entspannte und höhere In-                 Tiefebene des kroatisch-serbischen Grenz-      porthubschrauber      des      europäischen
vestitionen in die Modernisierung der Ar-               gebiets eignet, wurde insbesondere in Ser-     Herstellers Airbus und aus Russland (sowie
meen erlaubte. Andererseits orientierten                bien registriert. Tatsächlich beschreibt die   vier Mi-35-Angriffshubschrauber), eine
sich die Streitkräfte im Nachgang der rus-              kroatische Strategie der nationalen Sicher-    Batterie russischer Pantsir-Flugabwehrsys-
sischen Einnahme der Krim 2014 verstärkt                heit von 2017 das Nachbarland kaum ver-        teme, französische Mistral-Luftabwehrra-
auf die Möglichkeit eines konventionellen               hüllt als Bedrohung für die Sicherheit und     keten und sechs bewaffnete CH-92A-
Kriegs.                                                 das Ansehen Kroatiens.                         Drohnen aus China. Der Kauf eines

© 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich                                                                                              2
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik                                                                                                                      Nr. 282, April 2021

                                                                                                                               bisch dominierte Entität Republika Srpska
  Die Streitkräfte im Westbalkan
                                                                                                                               in den letzten Jahren ihre Polizei mit Hilfe
                            Verteidigungshaushalt      Personal         Panzer      Artillerie/MLRS*              Kampf-       Russlands und Serbiens aufgerüstet. Im
                                2020 (in Mio. USD)                                        (>122 mm)            flugzeuge       Konfliktfall dürfte die Einsatzfähigkeit der
  SERBIEN                                   1 036         28 500            212                     208                 30     multiethnischen Berufsarmee hingegen
  K R OAT I E N                               970         15 200              75                     67                 12     fraglich sein. Auch weil die von Bosnien-
                                                                                                                               Herzegowina angestrebte NATO-Integra-
  B O S N I E N - H E RZ E G OW I N A         174          9 200              45                    124                   0
                                                                                                                               tion aufgrund der Opposition aus der Re-
  NORDMAKEDONIEN                              165          6 100              31                     73                   0    publika Srpska nur langsam vorankommt,
  MONTENEGRO                                   97          2 100               0                     30                   0    geben die jüngsten Aufrüstungen in Serbi-
  KO S OVO                                     75          2 500               0                       0                  0    en, aber auch in Kroatien den bosniaki-
  * Mehrfachraketenwerfersysteme                Quellen: IISS, The Military Balance 2021; balkansec.net; eigene Recherchen.
                                                                                                                               schen politischen Eliten zu denken. Beide
                                                                                                                               Staaten zählen den Schutz «ihrer» Co-Na-
                                                                                                                               tionalen in Bosnien zu ihren offiziellen na-
                                                                                                                               tionalen Zielen.

                                                                                                                               An Spannungen reich ist zudem das ser-
chinesischen Luftabwehrsystems mittlerer                      gering. Einsätze wie jener in Afghanistan                        bisch-kosovarische Verhältnis. Dass Koso-
Reichweite (FK-3) wurde anscheinend                           oder das Wirken gegen den Islamischen                            vo den Aufbau eigener Streitkräfte an-
ebenfalls vereinbart. Aus Russland und                        Staat gelten zudem als kostspielige Unter-                       strebt, bezeichnet die serbische Regierung
Belarus kamen zu Vorteilskonditionen                          nehmen, die Serbien zum Ziel für Terroris-                       als erstrangige Sicherheitsbedrohung. Auf
zehn gebrauchte MiG-29 und Moskau ver-                        mus werden lassen könnten. Mögliche                              das Wirken der kosovarischen Sonderpoli-
schenkte 30 Panzer vom Typ T-72B1MS                           Spannungen mit Russland oder China                               zei im vorwiegend serbisch besiedelten
sowie gepanzerte Fahrzeuge. Der traditio-                     schrecken ebenfalls ab. Dennoch unterhält                        Nordkosovo reagierte Belgrad wiederholt
nelle Rüstungslieferant versucht so, seine                    Serbien weitreichende sicherheitspolitische                      mit militärischen Drohgebärden.
Bedeutung für Serbien zu wahren. Schliess-                    Beziehungen zu westlichen Ländern. Serbi-
lich setzt Serbien auch auf die einheimische                  en hat mit der NATO ein individuelles                            Rüstet also Serbien für den Konfliktfall?
Rüstungsindustrie, die unter anderem ge-                      Partnerschaftsabkommen vereinbart und                            Die hauptsächlichen Gründe für die Ent-
panzerte Fahrzeuge, moderne Artillerie                        stellt der Balkan Battlegroup der EU Trup-                       wicklungen dürften in innenpolitisch rele-
und Lenkwaffen fertigen und sich auslän-                      pen zur Verfügung. In der Ausbildung wird                        vanten Konstellationen zu verorten sein.
dische Partner suchen soll. Bislang finan-                    vorwiegend mit NATO-Mitgliedsländern                             Die bisherigen Rüstungsanstrengungen
zierten die Vereinigten Arabischen Emira-                     zusammengearbeitet, ebenso bei Friedens-                         sind in der Gesamtheit nach wie vor zu un-
ten die Entwicklung einer Lenkrakete,                         missionen.                                                       bedeutend, dass sie die Kräfteverhältnisse
während mit China die Zusammenarbeit                                                                                           umstossen und damit die sicherheitspoliti-
bei bewaffneten Drohnen vereinbart wurde.                     Die jüngsten Rüstungskäufe können nicht                          sche Ordnung grundsätzlich herausfordern
                                                              über den massiven Kaderabfluss bei der Ar-                       könnten. Die serbische Armee benutzt
Die diversen Bezugsquellen entsprechen                        mee hinwegtäuschen. Diese kann auch                              auch weiterhin veraltetes Material. Aber
der serbischen Aussenpolitik, die eine Mit-                   nach wiederholten Lohnerhöhungen keine                           selbst punktuelle Modernisierungen stellen
gliedschaft in der EU anstrebt, aber zu-                      attraktiven Arbeitsbedingungen bieten. Als                       für die Regierung einen Erfolg dar, kommt
gleich Beziehungen zu Russland und Chi-                       Folge droht den Luftstreitkräften die Ver-                       doch der Armee traditionell ein hohes An-
na priorisiert. Serbien ist Beobachterstaat                   greisung, während das Heer nicht auf Soll-                       sehen zu. Folgerichtig werden Neubeschaf-
bei der von Russland dominierten Organi-                      stärke kommt. So verfügt es längst nicht                         fungen spektakulär inszeniert von nieman-
sation des Vertrags über kollektive Sicher-                   über das Personal, um alle Panzer zu beset-                      dem anders als dem Präsidenten Aleksandar
heit; das russische Katastrophenschutzmi-                     zen. Unlängst intensivierte sich die seit Jah-                   Vucic selbst, unter dem sich Serbien zu ei-
nisterium ist an einer Basis im südserbischen                 ren geführte Diskussion über eine Wieder-                        nem faktischen Ein-Parteien-Regime ent-
Nis beteiligt. Mit China unterhält Belgrad                    einführung der Wehrpflicht. Mit Wehr-                            wickelte.
eine strategische Partnerschaft und hat in                    pflichtigen soll das Berufsmilitär ergänzt
der jüngeren Vergangenheit auch die si-                       und Reserveverbände aufgebaut werden.                            Die regimetreuen Massenmedien verweben
cherheitspolitischen Beziehungen vertieft.                    Überdies will Serbien auch in naher Zu-                          seine Auftritte an Militärübungen zu einem
                                                              kunft Rüstungsgüter einkaufen: Neben                             Teil der dominanten Erzählung vom nim-
Der Beitritt zur NATO wird hingegen                           weiteren Drohnen geht es um Mittel zur                           mermüden Präsidenten, der ein zu Grunde
nicht beabsichtigt. Im Zuge der sich anbah-                   elektronischen Kriegsführung. Im Ge-                             gewirtschaftetes Serbien im Alleingang
nenden, von westlichen Ländern unter-                         spräch ist das russische System Krasucha.                        zum Wiederaufstieg führe. Dass die Ar-
stützten Unabhängigkeit Kosovos erklärte                      In diesem Zusammenhang verwiesen ser-                            meepolitik in den vergangenen Jahren in-
das serbische Parlament 2007 die militäri-                    bische Offizielle ausdrücklich auf den Krieg                     transparenter geworden ist, dürfte ebenfalls
sche Neutralität. Gegen einen Beitritt zur                    um Bergkarabach im Herbst 2020, in dem                           propagandistischen Kalkülen entspringen.
NATO sprechen sich im Land ebenfalls                          Drohnen für den Sieg Aserbaidschans über                         Da keine Entwicklungsprogramme veröf-
grosse Umfragemehrheiten aus. Die Hal-                        Armenien eine wichtige Rolle spielten.                           fentlicht werden, muss sich die Führung des
tung der Bevölkerung gründet nicht nur in                                                                                      Landes auch nicht an solchen messen las-
der Erinnerung an das NATO-Bombarde-                          Konfliktzonen und -potenzial                                     sen. Überhaupt wird die Streitkräfteent-
ment im Kosovokrieg 1999. Im von NATO-                        Auch nach zwanzig Jahren Frieden bleiben                         wicklung von Kadern aus der Rüstungsin-
Mitgliedern umgebenen Serbien erscheint                       im Westbalkan Konfliktanlässe denkbar.                           dustrie bestimmt. So gesehen erstaunt es
vielen der Nutzen eines Beitritts schlicht als                So hat in Bosnien-Herzegowina die ser-                           nicht, wenn sich Projekte wiederholt weni-

© 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich                                                                                                                      3
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik                                                                                                     Nr. 282, April 2021

ger an tatsächlichen Bedürfnissen denn an            versucht das Regime auch innenpolitisch             en wenigstens ansatzweise zu umgehen
der Förderung der einheimischen Industrie            den Revanchismus wenigstens symbolisch              und neue Ansprechpartnerinnen und
orientieren. Diese ist wegen ihrer millio-           zu befriedigen. Auch die Drohungen gegen            -partner zu gewinnen. Dies zumal in Ge-
nenschweren Exporte und Tausenden an                 Kosovo sind Teil von Vucics Spektakelpoli-          meinden Alltagsprobleme oft relevanter
Beschäftigten gerade in peripheren Lan-              tik. Boulevardmedien schreiben regelmä-             sind als die grossen Fragen der Nation.
desteilen ein bedeutender wirtschaftlicher           ssig einen Krieg in der Region herbei, da-          Auch sollten auswärtige Partner davon ab-
und sozialer Faktor, den der Staat fördert.          mit der Präsident als um den Frieden, aber          sehen, mit Rüstungslieferungen zu Ver-
Und sie dient Angehörigen der Elite zur              auch um die Streitkräfte besorgter Landes-          schiebungen der Kräfteverhältnisse beizu-
persönlichen Bereicherung.                           vater auftreten kann. Gleichwohl bleibt             tragen, die schlimmstenfalls zu einer
                                                     diese Art von Kommunikation nicht ohne              Aufrüstungsspirale führen könnten.
Serbien zwischen West und Ost?                       Folgen, denn sie erschwert es, die serbi-
An bewaffneten Konflikten in der Region              schen Absichten einzuschätzen und trägt             China und Russland werden im Westbal-
hat Belgrad kein Interesse. Für das Aufer-           zu Verunsicherungen in der Region bei.              kan präsent bleiben. Das muss kein Scha-
stehungsnarrativ der Regierung weit wich-                                                                den sein, denn die Region kann auf Ener-
tiger als das Militär ist die Wirtschaft. Im         Herausforderungen und Ausblick                      gieimporte aus Russland und wirtschaftli-
armen Land sind Jobs für Vucic neben sei-            Zwar bleiben auch nach den neuesten Auf-            che Beziehungen zu China schwer
nen klientelistischen und autoritären Tech-          rüstungen in der Region die Offensivfähig-          verzichten. Gerade Belgrad sollte sich aber
niken der beste Garant für kommende                  keiten der Streitkräfte im Westbalkan li-           bewusster werden, dass sicherheitspoliti-
Wahlsiege. Weil aber der europäische                 mitiert und schöpfen die weiterhin gültigen         sche Kooperationen nicht nur innenpoli-
Markt der für Serbien wesentliche Wirt-              Rüstungskontrollobergrenzen bei Weitem              tisch verwertbare Erfolge darstellen. Durch
schaftsraum bleibt, ist das Land trotz sei-          nicht aus. Doch die feindselige Rhetorik            die sich verschärfende Konkurrenz unter
                                                                verfestigt den Blick auf den             den Grossmächten droht Serbiens allseiti-
Die Staaten in der Region                                       Andern als Gegner. Dies schafft          ge Beziehungspflege zu Komplikationen
                                                                Potenzial für ethno-nationale            zu führen.
müssen aufhören, Waffen                                         Mobilisierung. Wenngleich die
rhetorisch gegeneinander                                        Erneuerung der Streitkräfte ein          Die Frage nach der Zukunft Serbiens stellt
                                                                legitimes Anliegen ist, könnten          sich auch grundsätzlich. Die letzten Jahre
in Stellung zu bringen.                                         Offensivkapazitäten mittelfris-          sahen eine zunehmende Einschränkung
                                                                tig derart zunehmen, dass sie als        des demokratischen Parteienwettbewerbs
ner weit entwickelten Beziehungen zu                 echte Bedrohung wahrgenommen werden                 und die reihenweise Aushöhlung rechts-
Russland und China für westlichen Druck              und das mühsam über Jahre aufgebaute                staatlicher Institutionen. Findet hier kein
empfänglich. Der russischen Basis in Nis             Vertrauen wieder untergraben.                       Kurswechsel statt, droht jeder Machtwech-
wurde nach Kritik aus den USA und der                                                                    sel in Serbien ungeordnet zu verlaufen.
EU der diplomatische Sonderstatus ver-               Die Staaten in der Region müssen zumin-             Dies wiederum würde die ohnehin schon
wehrt. Im Sommer 2020 sagte Belgrad                  dest damit aufhören, Waffen rhetorisch ge-          bedrohte Stabilität im Westbalkan zusätz-
auch die Beteiligung serbischer Truppen an           geneinander in Stellung zu bringen. Dies            lich gefährden.
Militärübungen in Belarus ab. Im vom                 wirft aber die grundsätzliche Frage auf, wie
Sanktionselend der Neunziger regelrecht              der politische Betrieb im Westbalkan zum
traumatisierten Land kann sich keine Re-             Abschied von nationalistischen Provokati-
gierung einen echten Konfrontationskurs              onen finden kann. Hier wäre die Unter-
zu den Westmächten leisten.                          stützung der EU gefordert, die ein nahelie-
                                                     gendes Interesse an der Stabilität der                Für mehr zu Perspektiven Euro-Atlantischer
Umso stärker setzt der serbische Präsident           Region hat, aber deren Gestaltungskraft               Sicherheit, siehe CSS Themenseite.
auf Symbolpolitik. Der heute als Reformer            dadurch eingeschränkt wird, dass die Bei-
auftretende Vucic hatte seine politische             trittsperspektive für die ausserhalb der
Karriere in grossserbisch eingestellten Mi-          Union verbliebenen Länder in weite Ferne            Andrej Marković ist Assistent am Lehrstuhl für
lieus begonnen, die bis heute Teil seiner            gerückt ist.                                        Osteuropäische Geschichte an der Universität
heterogenen Wählerschaft geblieben sind.                                                                 Zürich und Mitglied des Center for Eastern
Ihnen zuliebe lässt er das Verteidigungsmi-          Einen alternativen Anreiz zum Wandel                European Studies (CEES).
nisterium verurteilte Kriegsverbrecher               könnten bis zur Vollmitgliedschaft Brü-
würdigen und die ihm ergebenen Massen-               ckenangebote darstellen, die auf dem brei-          Jeronim Perović ist Professor an der Universität
medien die Partnerschaft zu China und                teren Zugang zum Gemeinsamen Markt                  Zürich und Leiter des CEES.
Russland überbetonen. Letzteres wird oft             und zu Fördermitteln beruhen könnten.
als an den Westen adressiert verstanden, als         Bei Letzteren sollte allerdings verstärkt           Diese Analyse entstand im Rahmen einer
Teil einer auf Vorteile bedachten Schaukel-          auch die lokale Ebene direkt einbezogen             strategischen Kooperation zwischen dem CSS
politik. Mit der rhetorischen Verbrüderung           werden, um bestehende Klientelhierarchi-            und dem CEES.

Die CSS Analysen zur Sicherheitspolitik werden herausgegeben vom               Zuletzt erschienene CSS-Analysen:
Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich. Das CSS ist ein Kompetenz-
                                                                               Mediation mit religiösen Akteuren in Israel-Palästina Nr. 281
zentrum für schweizerische und internationale Sicherheitspolitik. Jeden
                                                                               Jemen als Spielball der Regionalmächte Nr. 280
Monat erscheinen zwei Analysen auf Deutsch, Französisch und Englisch.
                                                                               GSVP-Missionen: Begrenzte Wirkung auf Reformen Nr. 279
                                                                               Digitale Desinformation: Erkenntnisse aus der Ukraine Nr. 278
Herausgeber: Benno Zogg
                                                                               Südostasien: Brennpunkt der Grossmachtrivalität Nr. 277
Lektorat: Julian Kamasa
                                                                               China und die nukleare Rüstungskontrolle Nr. 276
Layout und Grafiken: Miriam Dahinden-Ganzoni

Feedback und Kommentare: analysen@sipo.gess.ethz.ch                            © 2021 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich
Weitere Ausgaben und Abonnement: www.css.ethz.ch/cssanalysen                   ISSN: 2296-0236; DOI: 10.3929/ethz-b-000476289                              4
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