Zielscheibe GPS - Angriffe auf die Satellitennavigation - SWR

 
WEITER LESEN
SWR2 Wissen
Zielscheibe GPS – Angriffe auf die
Satellitennavigation
Von Michael Hänel

Sendung vom: Dienstag, 1. Juni 2021, 8:30 Uhr
Redaktion: Gábor Páal
Regie: Andrea Leclerque
Produktion: SWR 2021

GPS-Signale lassen sich fälschen, wie Tausende von „Spoofing“-Attacken in den
letzten Jahren beweisen. Hauptakteur: Russland. Auch im Weltraum sind GPS-
Satelliten ein mögliches Angriffsziel.

Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des
Urhebers bzw. des SWR.

SWR2 Wissen können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf
Mobilgeräten in der SWR2 App hören – oder als Podcast nachhören:
https://www.swr.de/~podcast/swr2/programm/podcast-swr2-wissen-100.xml

Die SWR2 App für Android und iOS

Hören Sie das SWR2 Programm, wann und wo Sie wollen. Jederzeit live oder zeitversetzt,
online oder offline. Alle Sendung stehen mindestens sieben Tage lang zum Nachhören
bereit. Nutzen Sie die neuen Funktionen der SWR2 App: abonnieren, offline hören, stöbern,
meistgehört, Themenbereiche, Empfehlungen, Entdeckungen …
Kostenlos herunterladen: www.swr2.de/app
MANUSKRIPT

Atmo:
Brücke, Schiff unterwegs, Stimmen

Sprecherin:
Der Tanker ATRIA unterwegs im Schwarzen Meer, kurz vor seinem Zielhafen, dem
russischen Noworossijsk. Alarm auf der Brücke. Es ist der 22. Juni 2017. Früh
morgens. Alarm auf der Brücke. Der französische Kapitän Gurvan Le Meur traut
seinen Augen nicht. Seine Satellitennavigation zeigt die Position an: 44.35 Nord und
38.00 Ost. Das kann nicht sein. Das wäre 30 Kilometer entfernt – an Land. Das GPS-
Signal ist also an diesem Morgen gefälscht.

Ansage:
Zielscheibe GPS – Angriffe auf Satellitenkommunikation. Von Michael Hänel.

Sprecherin:
Der Kapitän der ATRIA fragt per Funk andere Schiffe in der Umgebung an. Darüber
berichtet er später im Sender CNN:

O-Ton Kapitän Atria auf CNN, darüber Übersetzer:
Alle umgebenden Schiffe, das waren etwa 20, hatten die gleiche falsche
Positionsangabe.

Sprecherin:
Was tun? Alle Schiffe werden gestoppt, um Kollisionen zu vermeiden. Der Kapitän
meldet seine Beobachtung den US-Sicherheitsbehörden. Denn das
Satellitennavigationssystem GPS wird vom US-Militär betrieben. Die US-
Küstenwache dient als weitweiter Kontakt für Handelsschiffe, wenn diese Probleme
mit GPS haben. Sie antwortet Kapitän Le Meu:

Zitat:
Es gibt kein technisches Problem. GPS sendet über dem Schwarzen Meer wie
gewohnt.

Sprecherin:
In den USA wird der Fall an Professor Todd Humphreys gemeldet. Der
Raumfahrtingenieur ist arbeitet an der Universität Texas und ist einer der führenden
Experten, wenn es um mögliche Angriffe auf GPS geht.

Atmo:
Anhörung US Congress 2012

Sprecherin:
Der Fall im Schwarzen Meer überraschte ihn nicht. Bereits 2012 hatte Humphreys in
einer Anhörung des US-Kongresses auf seine Experimente hingewiesen. Mit seinen
Studenten hatte er das GPS-Signal einer Drohne gefälscht und diese so zur Landung
gezwungen.
                                                                                 2
O-Ton Todd Humphreys, darüber Übersetzung:
Es gab sogar im US-Militär Leute, aber auch Abgeordnete, die sich der Gefahr nicht
bewusst waren. Manche waren ziemlich überrascht, dass wir in der Lage waren, so
etwas mit handelsüblicher Ausrüstung und geringen Kosten zu machen. Tatsächlich
war ich einer derjenigen, die sagten, dass das möglich ist und dass das immer mehr
zum wird. Was mich aber überraschte, dass ein solcher Angriff von einem Staat
durchgeführt wird.

Atmo:
Wladimir Putin auf Rohrverlegerschiff Juni 2017

Sprecherin:
In dem Fall: Russland. Wenn das Satellitensignal bewusst gefälscht wird, sprechen
Fachleute von GPS-Spoofing. Was am Schwarzen Meer geschehen ist, war offenbar
keine versehentliche Panne. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte in diesem
Juni-Tagen 2017 offizielle Termine in der Gegend um Noworossijsk. Das russische
Fernsehen berichtet, wie er auf einem Rohrverlegungsschiff feierlich den Startschuss
zum Bau einer neuen Gasleitung durchs Schwarze Meer gibt. Offenbar sollte Putin
vor Drohnenangriffen geschützt werden. Das vermutet Todd Humphreys. Russland
selbst hat sich dazu nie geäußert.

O-Ton Todd Humphreys, darüber Übersetzung:
Wie wir herausgefunden haben, passiert das immer wieder in den russischen
Küstengewässern. Ausgeführt vom Inlandsgeheimdienst FSB und dem russischen
Sicherheitsapparat, um Präsident Putin zu schützen. Überall wo er herumreist, wird
er von einer Blase aus GPS-Spoofing geschützt.

Musikakzent

Sprecherin:
Auch für Deutschland ist eine sichere Hochseeschifffahrt von großer Bedeutung.
90% der Exporte werden über See abgewickelt. Deutsche Firmen sind auf der
Rangliste der Schiffseigner weit oben. Nur Griechen, Japaner und Chinesen besitzen
mehr Schiffe. Und auch zahlreiche Deutsche stehen als Kapitänin oder Schiffsoffizier
auf den Brücken moderner Handelsschiffe. Seit Jahren machen ihnen Cyberangriffe
auf die Kommunikation und Navigation zu schaffen. Die Verantwortlichen für deren
Aus- und Weiterbildung sind gewarnt.

Professor Pawel Ziegler leitet das Maritime Zentrum an der Hochschule Flensburg. In
seinem hochmodernen Schiffsführungssimulator werden angehende Nautiker und
Schiffsführerinnen und Schiffsführer wie in einem Flugsimulator für alle möglichen
Notfallsituationen ausgebildet.

O-Ton Pawel Ziegler:
Wir sind uns der Gefahr bewusst und wir begegnen dieser Problematik in unserer
Ausbildung, indem wir das Thema theoretisch aufarbeiten, aber auch in praktischen
Trainings, in Schiffsführungssimulatoren tatsächlich nachstellen. Wir manipulieren die
                                                                                     3
Signale genauso wie es tatsächlich auch in der Realität geschieht und trainieren
unsere Seeleute dahingehend, dass sie entsprechend reagieren und
Gegenmaßnahmen ergreifen.

Sprecherin:
Auch der Ausfall der GPS-Navigation wird geübt. Zwar stehen modernen Schiffen
vielfältige Arten von Navigationsmitteln zu Verfügung: Radar, Karten, optische
Signale. Doch die Satellitenverbindungen werden immer wichtiger. Nicht nur für die
Navigation. Auch das Flottenmanagement der einzelnen Schiffe einer Reederei wird
per Satellit abgewickelt.

O-Ton Pawel Ziegler:
Diese Identifikation ist relativ einfach, und unsere Seeleute und die Schiffsführer
wissen dann in dem Moment auch, was sie zu tun haben und welche Verfahren dann
zum Vorschein kommen, wenn das Signal manipuliert ist. Das ist sehr schwierig, das
zu identifizieren, das zu bemerken während der Fahrt. Insbesondere wenn ich keine
anderen terrestrischen Objekte zur Verfügung habe, die um mich herum direkt, die
ich direkt vor Augen habe, die mir sagen Du bist nicht mehr an der richtigen Stelle,
nicht mehr auf dem richtigen Weg, was im Küstenbereich durchaus der Fall sein
kann.

Sprecherin:
Der Fall im Schwarzen Meer ist also kein Einzelfall. Fast 10.000 nachgewiesene
GPS-Spoofing-Angriffe zählen amerikanische Datenschutz- und
Bürgerrechtsorganisation allein für die Jahre 2017 bis 2019. Falsche Positionsdaten
bekommen Schiffe aber nicht nur in der Umgebung von Russland: Messfahrten des
Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt auf einem Containerschiff von Europa
nach Korea und China bestätigen: Auch die Küsten Chinas, die Ostküsten des
Mittelmeers und größeren Häfen in Asien sind betroffen. Das lässt sich sogar von der
ISS aus nachweisen, sagt Todd Humphreys von der Universität Texas.

O-Ton Todd Humphreys, darüber Übersetzung:
Wir haben seit 2017 ein Messgerät auf der Internationalen Raumstation platziert. Und
dieser Sensor ist in der Lage, Störungen in den GPS-Funkfrequenzen rund um den
Globus zu erkennen.

Musikakzent

Sprecherin:
Dieser sogenannte FOTON Sensor wurde im Februar 2017 an der Internationalen
Raumstation angebracht, um Störungen der Satellitennavigation durch Einflüsse der
oberen Erdatmosphäre zu erforschen. Dafür scannt das Messgerät die betreffenden
Regionen. Doch wie werden die GPS-Signale manipuliert? Dazu bedienen sich die
Angreifer starker Funksender am Boden, die dem originalen GPS-Signal täuschend
ähnliche Signale senden. Viele Empfänger, auch die auf Handelsschiffen, sind
derzeit nicht in der Lage, ein gefälschtes von einem echtem Signal zu unterscheiden.
Todd Humphreys Messgerät auf der Internationalen Raumstation ist in der Lage, die
Funkquellen der GPS-Fälscher bis auf 10 km genau zu lokalisieren. Und so auch
herausfinden, wo auf der Welt die meisten Störungen auftreten.
                                                                                   4
O-Ton Todd Humphreys, darüber Übersetzung:
Und was interessant ist: Der heißeste Hotspot auf der ganzen Welt ist derzeit in
Syrien. Und so ist es nicht überraschend, dass der Staat Israel südlich von Syrien die
Auswirkungen zu spüren bekommt.

Atmo:
Ben Gurion Flughafen Tel Aviv

Sprecherin:
So geschehen im Sommer 2019 um den Ben Gurion Flughafen von Teil Aviv.
Anfliegende Maschinen konnten das gestörte GPS nicht nutzen. Die Ursachen für die
anhaltenden Störungen blieben lange ungeklärt. Roi Mit, Forschungsdirektor der
Cyberabwehrfirma Regulus in Haifa, nördlich von Tel Aviv.

O-Ton Roi Mit, darüber Übersetzung:
Es gab keine offizielle Erklärung der israelischen Regierung, was da passiert war. Es
ging zwei Monate lang, und dann plötzlich war die Störung weg. Israel hat auch die
Russen gefragt, ob das etwas mit deren militärischen Einsätzen in Syrien zu tun hat.
Das haben die bestritten. Ich denke persönlich, dass das ein Kollateralschaden des
Syrienkrieges war, weil die Russen eigentlich kein Interesse haben, Störungen in
Israel zu verursachen.

Sprecherin:
Die russischen Truppen in Syrien sind als Ursache für die Störungen der
Satellitennavigation in der Region ausgemacht worden. Die elektronische
Kriegführung der russischen Truppen in Syrien ist für alle Einsätze in der Region eine
gewaltige Herausforderung. Denn moderne westliche Kampfflugzeuge und Schiffe
funktionieren nur als Teil vernetzter Kriegführung. Und die hängt wesentlich von
Satellitennavigation, bildgebender Aufklärung und Kommunikation ab.

Atmo:
Putin landet auf Syrien Air Base Dezember 2017, Gespräch mit Assad

Sprecherin:
Dezember 2017. Der russische Luftwaffenstützpunkt Hmeimim in Syrien. Präsident
Putin besucht die russischen Truppen mit ihren zahlreichen Kampfflugzeugen,
Raketenabwehreinheiten und Bodeneinheiten. Putin wird an diesem Tag vom
syrischen Machthaber Assad begrüßt. Seit 2015 sichert Russland dessen Macht
gegen Aufständische, anfangs auch gegen den Islamischen Staat. Doch vor allem
soll der Einfluss der USA in der Region zurückgedrängt werden. Ab 2017 stehen
dafür neuartige Systeme der elektronischen Kriegführung zur Verfügung. Die
russische Militärpresse macht daraus kein Geheimnis. In Syrien werden insgesamt
200 neue Waffensysteme getestet.

Atmo:
US Cruise Missile Start

                                                                                     5
Sprecherin:
Deren Einsatz wurde 2018 bekannt, als US-Verantwortliche vermerken, dass das
russische Militär offenbar die Satellitennavigation und Kommunikation bei Einsätzen
von Cruise Missiles gestört hatten. Ob dabei tatsächlich eingesetzte Cruise Missiles
vom Weg abgebracht wurden, ist bis heute nicht bestätigt. General Raymond
Thomas ist 2018 verantwortlich für die Einsätze der US-Spezialeinheiten in der
Region: In einem Vortrag erklärt er 2018: Syrien wäre das Testfeld Nummer Eins für
die russische elektronische Kriegsführung.

O-Ton Raymond Thomas, darüber Übersetzer:
Das wirkt sich aus auf unsere eigene vernetzte Kriegsführung. Auch künftig. Nehmen
Sie Syrien. Das ist derzeit die Umgebung, wo unsere Gegner auf uns am
aggressivsten einwirken. Sie fordern uns jeden Tag heraus, legen unsere
Kommunikation lahm, schalten unsere AC 130 Präzisionsbomber aus und so weiter.
Aber wir haben in kürzester Zeit geschafft, trotzdem unsere Einsatzfähigkeit zu
sichern. All das zeigt, es ist die Spitze eines Eisbergs bzw. dessen, was uns noch
bevorstehen wird.

Atmo:
Krasucha im Einsatz (Zwezda TV)

Sprecherin:
Die eingesetzte Technik zur elektronischen Kriegführung zeigt die russische Seite
gern. So in einem Film des Senders der russischen Streitkräfte Zwezda. Eine
Kolonne schwere LKWs, tarnfarbenbemalt. Nach Kommandofahrzeugen ein
Sattelschlepper mit einer drehbaren Hinterachse. Darauf mehrere runde Antennen,
beweglich in alle Richtungen. Grün lackiert, blitzblank. Das Krasucha-4-System der
Streitkräfte zur elektronischen Kriegsführung. Reichweite angeblich 150 bis 300
Kilometer. Details sind geheim. Aufgaben sind, neben der Täuschung der
Satellitennavigation, das Abschalten von Orientierung und Kommunikation bei
gegnerischen Flugzeugen. Über die eigenen Truppen soll dabei ein elektronischer
Nebel gelegt werden, der selbst von amerikanischen Allwetter-Radarsatelliten nicht
durchdrungen werden kann. Die russischen Krasucha-Einheiten sind in Syrien
erfolgreich im Einsatz. Das bestätigt im Februar 2021 der russische
Verteidigungsminister Sergej Schoigu in Moskau.

O-Ton Sergej Schoigu 260221 (Zvezda TV), darüber Übersetzung:
Die massive Umrüstung der Truppe mit neuer Technik für die elektronische
Kampfführung erforderte, die Ausbildung zu intensivieren. Dabei wurde die
gemeinsame Nutzung von Einheiten der elektronischen Kriegsführung mit
Luftverteidigungs- und Raketenabwehrsystemen geübt. Die Systeme für die
elektronische Kriegsführung haben ihre hohe Effektivität bereits unter
Kampfbedingungen bewiesen, auch in der Arabischen Republik Syrien.

Sprecherin:
Was der russische Verteidigungsminister nicht sagt: Die Angriffe auf die US-
amerikanische Satellitennavigation sind nur ein Teil des Programms der russischen
Weltraumtruppen, einer Teilstreitkraft des russischen Militärs mit geschätzt 150.000
Soldaten. Diese verfügen auch über militärische Satelliten und über modernste
                                                                                       6
Raketen, um gegnerische Satelliten schon direkt in der Umlaufbahn anzugreifen und
auszuschalten zu können. Russland hat aus der Sowjetunion das Know-how der
Weltraumtruppen übernommen und ab 2015 massiv ausgebaut.

Atmo:
Vorbereitung und Start, PL 19 Nudol, Dezember 2020

Sprecherin:
15. Dezember 2020. Die Militärbasis Plezetsk im Nordwesten Russlands. Die
russische Anti-Satelliten-Rakete PL-19 Nudol wird zum Start gerollt. Nudol ist 10
Tonnen schwer und eine sehr schnelle Rakete. Die genauen technischen Daten sind
geheim. Ebenso die Mission der Rakete an diesem Tag. Vermutet wird: Sie soll einen
Testsatelliten in einer niedrigen Umlaufbahn treffen.

Musikakzent

Sprecherin:
Die Übungen der russischen Weltraumtruppen sind auf US--Satelliten ausgerichtet.
Bereits im Sommer 2020 hatten zwei russische Militärsatelliten Flugmanöver
durchgeführt mit dem Ziel, in die Nähe amerikanischer Spionagesatelliten zu
gelangen. Offenbar ein Test, wie in einer Umlaufbahn gegnerische Objekte
ausgespäht, gerammt oder mit Laserwaffen bekämpft werden könnten. Die
Amerikaner schätzen diese russischen Weltraummissionen als „kritische Bedrohung“
ein.

Atmo:
Werbemusik US Space Command

Sprecherin:
General James Dickinson ist der Kommandeur des US Space Command – also des
Weltraumkommandos. Nach Angaben der US-Streitkräfte soll mit dieser Einheit
„koordiniert bei Aggressionen reagiert und Operationen in und aus erdnahen
Umlaufbahnen durchgeführt werden“. Zum Beispiel, um das GPS-Navigationssystem
zu sichern. Zehn Milliarden Dollar wird das Pentagon ausgeben, allein um bei der
elektronischen Kriegsführung bis 2024 aufzuholen.

Auf einer Tagung spricht Dickinson im April 2021 über die militärischen Fähigkeiten
von Russland und China. Auch China investiert massiv in die weltraumgestützte
Rüstung.

O-Ton James Dickinson, darüber Übersetzung:
Ich gehe davon aus, dass bei uns bis zu 80% der Kommunikation im militärischen
Einsatz weltraumgestützt ist. Das heißt, man kann sagen, wir sind bei weltweiten
Operationen davon abhängig. Es gibt zahlreiche Beispiele, wo Russland und China
Systeme entwickeln, die unsere Weltraum-Fähigkeiten gefährden. Und ich werde
immer wieder gefragt, warum wir den Weltraum militarisieren. Und die Antwort – wir
tun es nicht, unsere Gegner tun es./ Wir haben allein im letzten Jahr gesehen, dass

                                                                                      7
die Russen mindestens drei Anti-Satellitentests durchgeführt haben. Wir müssen
mehr tun, um unsere Satelliten in niedrigen Umlaufbahnen zu schützen.

Musikakzent

Sprecherin:
Frage an Todd Humphreys. Wäre es dann für die Amerikaner nicht einfacher und
zielgerichteter, gegnerische, aggressive Satelliten oder Weltraumwaffenstationen in
der Umlaufbahn auszuschalten, also selbst Anti-Satelliten Angriffe zu fliegen?

O-Ton Todd Humphreys, darüber Übersetzung:
Ich bezweifle, dass die USA an einem solchen Angriff auf die Weltraumressourcen
beteiligt sein wollen. Denn die Vereinigten Staaten haben mehr Weltraumressourcen
als China, mehr Weltraumressourcen als Russland. Und wir sind diejenigen, die in
einem heißen Krieg im Weltraum am verwundbarsten sind. Ich denke also, wir
werden wahrscheinlich davon absehen, die Satelliten anderer anzugreifen oder ihre
Signale abzuschalten.

Sprecherin:
Muss der Westen dann also hinnehmen, dass die russischen und wahrscheinlich
chinesischen Einheiten den westlichen überlegen sind? In der russischen
Militärpresse wird davon berichtet, man könne die vernetzte Kriegführung der USA,
selbst deren hochmoderne F-35 Tarnkappen-Kampfflugzeuge empfindlich stören.
Sowohl die US-Streitkräfte als auch Israel fliegen Angriffe mit diesem Flugzeugtyp im
Nahen Osten. Deren Überlegenheit fußt gerade auf ihrer elektronischen Ausstattung.
Was würde passieren, wenn deren Kommunikation gestört würde? Roi Mit von der
israelischen Cyberabwehrfirma Regulus nimmt die Situation ernst, hält aber das
Risiko für überschaubar.

O-Ton Roi Mit, darüber Übersetzer:
Auch wenn GPS abgeschaltet oder gestört wird, hat das keine Auswirkung auf die
Fähigkeit Israels, die Luftwaffe oder andere Waffensysteme einzusetzen. Also gibt es
keine wirkliche Bedrohung für unsere nationale Sicherheit. Ich denke, die russischen
Streitkräfte haben viel Zeit und Ressourcen in diese Aufgabe investiert, weil es ihnen
einen Vorteil in der Kriegsführung gegenüber der gesamten NATO-Allianz
verschaffte, die GPS vielfach für verschiedene militärische Zwecke nutzt. Ich denke
also, dass der technologische Vorsprung, den die Russen in ihrer Anti-GPS-
Kriegsführung haben, nun allgemein zugänglich für alle wird. Und wir sehen auch die
schnelle Ausbreitung ähnlicher Störtechnologien in Ländern außerhalb Russlands.

Musikakzent

Sprecherin:
Die große Unbekannte ist dabei China. Amerikanische Umwelt- und
Bürgerrechtsorganisationen berichten von GPS-Spoofing Aktionen in chinesischen
Häfen im Jahr 2019. Die Folge: die Häfen waren zeitwillig „unsichtbar“ für Kontrolle
von außen. Nicht nur für die direkte Satellitennavigation. AIS heißt ein weltweit
verwendetes automatisches Identifikationssystem zur Verfolgung der Schifffahrt.

                                                                                       8
Schiffe senden im Sekundentakt über AIS-Daten u.a. über ihre Position und
Geschwindigkeit. Damit können die Reedereien ihr Flottenmanagement organisieren.
Es dient auch der automatischen Warnung vor Kollisionen und kann über das
Internet durch internationale Umweltinitiativen genutzt werden, um den
Schiffsverkehr zu beobachten. Auch dieses System war 2019 immer wieder gestört.
Doch welches Interesse sollte China daran haben? Bürgerrechtler vermuten illegale
iranische Öltransporte nach China. China und Iran haben eine langfristige
Wirtschaftspartnerschaft. Eventuell auch eine geheime Sicherheitspartnerschaft. Und
Iran ist wohl selbst in der Lage, Satellitennavigation und AIS zu fälschen. Das zeigt
Iran der Welt eindrücklich im Sommer 2019.

Atmo:
Funksprüche Stena Impero, Revolutionsgarden 2019

Übersetzung:
Wenn Sie folgen, passiert Ihnen nichts. Ich wiederhole, wenn Sie unseren
Anweisungen folgen, passiert nichts. Ändern Sie sofort Ihren Kurs.

Sprecherin:
Es ist der 20. Juli 2019, 15:00 Uhr nachmittags, klare Sicht. Und ein ganz klarer
Befehl über Funk an den Kapitän der Stena Impero, einem britischen Tanker. Der ist
unterwegs in der Straße von Hormus, der Einfahrt zum persischen Golf. Der Befehl
zur Kursänderung kommt von der Küstenwache der iranischen Revolutionsgarden.
Offenbar verletzt das 180 Meter lange Schiff gerade iranische Hoheitsgewässer.
Ohne es zu wissen. Das bedeutet höchste Gefahr. Ein britisches Kriegsschiff auf
Patrouille ist zu weit entfernt, um einzugreifen. Über Funk appellieren die Briten an
die Iraner. Ohne Erfolg.

Atmo:
Funksprüche Stena Impero, Revolutionsgarden 2019

Übersetzung:
Hier ist das britische Kriegsschiff Foxtrott 236. Sir, die Anfragen, die Sie an die Stena
Impero übermitteln, behindern und beeinträchtigen deren Durchfahrt. Sie dürfen die
Durchfahrt der Stena Impero nicht beeinträchtigen, erschweren oder behindern.

Sprecherin:
Nur Minuten später wird ein Hubschrauber eine iranische Kommandoeinheit an Bord
der Stena Impero abseilen. Das Schiff ist gekapert. Seine Besatzung wird die
nächsten Wochen als Geiseln in einem iranischen Hafen verbringen. Was war
geschehen?

Atmo:
Geräusche Brücke

Sprecherin:
Die Straße von Hormus zwischen Oman und Iran ist eine der meistbefahrenen
Schifffahrtsstraßen der Welt. Jede Stunde passiert ein Supertanker. Zahlreiche
                                                                                        9
weitere Schiffe sind unterwegs von oder zu den Häfen der Golfstaaten, Saudi-
Arabien, des Irak oder Kuwait. In der Straße von Hormus herrschen strenge Regeln.
Enge Einbahn-Fahrrinnen helfen den Schiffen, nicht unbeabsichtigt auf iranisches
Hoheitsgebiet zu gelangen.

Musikakzent

Sprecherin:
Nicht so an diesem Tag. Der britische Geheimdienst MI6 und die Sicherheitsfirma
Lloyd’s List Intelligence fanden später die Ursache heraus. Die Berichte sind geheim.

Gary Kessler ist Cybersicherheitsexperte in Florida und Autor der 2020 erschienenen
Lehrbuches über maritime Cybersicherheit. Auch für ihn ist die Irrfahrt der Stena
Impero die Folge eines GPS und AIS Spoofing-Angriffs der Iraner.

O-Ton Gary Kessler, darüber Übersetzung:
Man hat sich später die Daten angeschaut und gesehen, dass der Kurs sie in
höchste Gefahr gebracht hatte. Zuerst ging es ganz normal durch die Straße von
Hormus, genau in der Mitte, wo Schiffe bleiben sollen, und dann ganz plötzlich dreht
es nach Norden ab und beginnt, in iranische Gewässer zu fahren. Das ist dann
vielfältig diskutiert worden, und heute glaubt man, dass es eine Spoofing-Attacke
war, die das Schiff vom Kurs abgebracht hat.

Sprecherin:
Das ist die Krux. Die zivile Nutzung der Satellitennavigation benötigt ein offenes
System. Das ist angreifbar. Denn GPS ist eine Einbahnstraße, die
Navigationssatelliten senden Signale, empfangen aber keine. Damit gibt es keinen
Rückkanal, der sicherstellt, dass beim Empfänger auch wirklich das r i c h t i g e
Signal von den Satelliten ankommt. Künftig werden Anwendungen wie das Internet
der Dinge und autonomes Fahren davon abhängen. Die Firma Regulus von Roi Mit
aus Israel tüftelt genau an Satellitennavigationsgeräten, die das können, nur das
richtige Signal zu nutzen.

O-Ton Roi Mit, darüber Übersetzung:
Was wir gefunden haben, und das ist in etwa das Geheimnis unserer Technologie,
dass innerhalb des Signals mehrere Merkmale versteckt sind, die nur existieren
können, wenn das Signal aus der Umlaufbahn kommt. Sie kann von keinem
künstlichen Spoofer repliziert werden. Unsere Software scannt also all diese
ankommenden Signale nach diesen Eigenschaften und wenn sie nicht vorhanden
sind, disqualifiziert sie das falsche Signal und blockiert den Zugang. So machen wir
die GPS-Empfänger smarter, bringen sie in die Lage, zwischen echten und
gefälschten Signalen zu unterscheiden.

Sprecherin:
Noch sind das nur Ideen und Pläne. Bis solche Geräte auf allen Schiffen eingesetzt
werden, dürfte es noch Jahre dauern. Denn das Problem wurde auch verschlafen.
Dass die Satellitennavigation angegriffen werden kann, ist seit 20 Jahren bekannt.
Das sagt Professor Pawel Ziegler, Ausbilder für Seeoffiziere am Maritimen Zentrum
der Hochschule Flensburg.
                                                                                   10
O-Ton Pawel Ziegler:
Man hat sich so seit 2000, 2001 das erste Mal mit dieser Anfälligkeit richtig
beschäftigt. Im zivilen Bereich, und dazu gehört die Schifffahrt ja auch, und auch die
Luftfahrt und alle GPS-Empfänger, die wir so kennen. Dort sind die Einfallstore relativ
groß. Das ist unverschlüsselt. Das Signal. Das bereitet uns natürlich auch in der
Schifffahrt große Sorge.

Sprecherin:
Mehr als 50.000 Handelsschiffe gibt es weltweit. Davon 5.000 Containerschiffe und
7.000 Rohöltanker. Die mit einer neuen Technik auszustatten, die Cyberangriffe
verhindern könnte, wäre die Aufgabe der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation
IMO mit Sitz in London. Sie wurde geschaffen, um Sicherheit der Seefahrt
sicherzustellen. Im Grunde müsste sie eine Resolution zum Verbot von GPS-
Spoofing erlassen.

O-Ton Pawel Ziegler:
Die IMO malt sehr, sehr langsam. 2019 gab es eine Petition, einen Brandbrief von 14
einflussreichen maritimen Organisationen und Verbänden.

Sprecherin:
Der Brief war 2019 an den Chef der US-Küstenwache General Karl Schultz gesandt
worden, um bei der IMO vorstellig zu werden. Absender waren zivile Entscheider und
US-Seefahrtexperten mit klaren Forderungen, der Fälschung und Verwirrung von
Satellitennavigationssystemen ein Ende zu bereiten. Zitat:

Zitat:
Die Mitgliedsstaaten sollten Maßnahmen ergreifen, um unautorisierte Übertragungen
auf Satellitennavigations-Frequenzen zu unterbinden

Sprecherin:
Tatsächlich wurden diese Forderungen in den IMO Gremien besprochen. Sie sollen
Eingang in die aktuellen Richtlinien der Internationalen Seefahrer Organisation
finden. Irgendwann. Immerhin: Am 1. Januar 2021 trat eine Resolution gegen Cyber-
Bedrohungen in Kraft. Darin werden Reedereien gebeten, Zitat:

Zitat:
Die Cyber-Risiken hinsichtlich ihrer Betriebsabläufe an Land und an Bord zu
identifizieren und zu bewerten. Basierend auf der Risikobewertung sind geeignete
Sicherheitsmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen.

Musikakzent

Sprecherin:
Dies dürfte kaum reichen, um tatsächlich aggressive GPS-Fälschungen von China,
Russland und Iran und damit die andauernden Gefahren für die Sicherheit der
Schifffahrt zu beenden. Ob die USA irgendwann in gleicher Weise aktiv werden und
ihrerseits die russischen und chinesischen Satellitennavigationssysteme Glonass und
                                                                                 11
Baidu angreifen werden, bleibt offen. Der bereits heute andauernde elektronische
Krieg zwischen Russland, China und den USA könnte dann in einen
unberechenbaren globalen Konflikt münden.

Musikakzent

                                       *****

                                                                                   12
Sie können auch lesen