VERWALTUNGSGERICHT KOBLENZ - BESCHLUSS

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2 L 772/22.KO

                                                   Veröffentlichungsfassung!

         VERWALTUNGSGERICHT
              KOBLENZ
                             BESCHLUSS

In dem Verwaltungsrechtsstreit

***

wegen       Abbruch Beförderungsrunde 2020/2021
            hier: Antrag nach § 123 VwGO

hat die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Koblenz aufgrund der Beratung vom
5. September 2022, an der teilgenommen haben

       Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Holly
       Richter am Verwaltungsgericht Dr. Dawirs
       Richter Wolf
-2-

beschlossen:

        Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung
        verpflichtet, das mit Schreiben vom 12.07.2022 abgebrochene, die
        Beförderungsrunde 2020 in der Beförderungsliste „A***“ betreffende
        Stellenbesetzungsverfahren unter Einbeziehung der Antragstellerin
        fortzusetzen.

        Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

        Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

                                      Gründe

Der Antrag der Antragstellerin,

       die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
       das mit Schreiben vom 12.07.2022 abgebrochene, die Beförderungsrunde
       2020 in der Beförderungsliste „A***“ betreffende Stellenbesetzungsverfahren
       unter Einbeziehung der Antragstellerin fortzusetzen,

hat Erfolg.

Der nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – statthafte
Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Antragstellerin ihrer
Obliegenheit zur zeitnahen Geltendmachung ihrer Rechte nachgekommen.
Hiernach ist der Bewerber gehalten, binnen eines Monats nach Zugang der
Abbruchmitteilung um Rechtsschutz nachzusuchen. Andernfalls darf der Dienstherr
darauf vertrauen, dass der Bewerber die Abbruchentscheidung nicht mehr angreift
(vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 2016 – 2 VR 2.15 –, juris Rn. 13 und vom
10. Dezember 2018 – 2 VR 4.18 –, juris Rn. 10). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.
Die Antragstellerin hat gegen die Abbruchmitteilung vom 12. Juli 2022 am 19. Juli
2022 Widerspruch erhoben und am 10. August 2022 den vorliegenden
Eilrechtsschutzantrag gestellt.

Der Antrag ist auch begründet. Die Antragstellerin hat sowohl das Bestehen eines

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Anordnungsgrundes (1.) als auch das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs (2.)
gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung glaubhaft
gemacht.

1. Der Antragstellerin steht ein Anordnungsgrund zur Seite. Rügt ein Bewerber, sein
grundrechtsgleicher      Bewerbungsverfahrensanspruchs          sei         durch      den
rechtswidrigen     Abbruch   des   Stellenbesetzungsverfahrens        verletzt,     besteht
regelmäßig – und auch hier – ein Anordnungsgrund. Effektiver Rechtsschutz im
Sinne des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG – gegen den unberechtigten Abbruch
eines Stellenbesetzungsverfahrens kann nur im Wege des einstweiligen
Rechtsschutzes erlangt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2014 – 2 A
3.13 –, juris Rn. 22; BayVGH, Beschluss vom 8. Juli 2011 – 3 CE 11.859 –, juris
Rn. 22). Der Anordnungsgrund für einen Antrag nach § 123 VwGO ergibt sich daher
aus dem Inhalt des Rechtsschutzbegehrens, das auf eine sofortige Verpflichtung
des Dienstherrn gerichtet ist und daher bereits aus strukturellen Gründen nur im
Wege des Eilrechtsschutzes verwirklicht werden kann.

2. Die Antragstellerin hat darüber hinaus auch einen Anspruch auf Fortsetzung des
abgebrochenen Stellenbesetzungsverfahrens. Der in verfahrensrechtlicher Hinsicht
nicht zu beanstandende Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens hält einer
inhaltlichen Überprüfung nicht stand.

Die gemeinhin unter dem Begriff „Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens"
zusammengefassten Fallgruppen unterliegen im Hinblick auf einen Anspruch der
Bewerber auf Fortsetzung des Verfahrens nicht allesamt den gleichen rechtlichen
Anforderungen und Maßgaben. Der Dienstherr unterliegt bei der Entscheidung über
den Abbruch unterschiedlichen rechtlichen Bindungen, je nachdem, ob die konkrete
Stelle – auf der Grundlage eines neuen Auswahlverfahrens – weiter besetzt werden
soll oder nicht.

Soll die konkrete Stelle nach dem Abbruch nicht mehr besetzt werden, ist der
Dienstherr auch, wenn er das Stellenbesetzungsverfahren bereits begonnen hatte,
keinen      strengeren       Bindungen    unterworfen     als         bei         sonstigen
personalwirtschaftlichen Entscheidungen, ob und welche Ämter geschaffen oder
wie Dienstposten zugeschnitten werden sollen. Eine solche Entscheidung unterfällt

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dem weiten Organisationsermessen des Dienstherrn, das dem Anwendungsbereich
des Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagert ist. Die gerichtliche Kontrolle ist daher insoweit
regelmäßig auf die Prüfung beschränkt, ob die Abbruchentscheidung willkürlich
oder rechtsmissbräuchlich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2018
– 2 VR 4.18 –, juris Rn. 17; OVG NRW, Beschluss vom 25. Januar 2022 – 1 B
1729/21 –, juris Rn. 22).

Von diesen, zur endgültigen Beendigung des Auswahlverfahrens führenden
Abbruchfällen, sind diejenigen Fälle zu unterscheiden, in denen der Dienstherr
unbeschadet der getroffenen Abbruchentscheidung die Stelle weiterhin vergeben
will, er hierfür aber ein neues Auswahlverfahren für erforderlich hält. In jenen Fällen
ist Art. 33 Abs. 2 GG Prüfungsmaßstab. Denn ein Abbruch solcher Art betrifft
- anders als die oben genannten Fälle - nicht die der Organisationsgewalt des
Dienstherrn vorbehaltene Entscheidung darüber, ob und welche Ämter er schaffen
und wie er seine Dienstposten zuschneiden will. Die Stelle soll vielmehr unverändert
bestehen bleiben und auch besetzt werden. Die Entscheidung, das in Gang
gesetzte Auswahlverfahren abzubrechen, bezieht sich insofern nicht auf Zuschnitt
und Gestaltung des Amtes, sondern auf die organisatorische Ausgestaltung von
dessen Vergabe, die als wesentliche Weichenstellung für die nachfolgende
Auswahlentscheidung bereits selbst den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG
Rechnung tragen muss. Deswegen bedarf es - bezogen auf diese Fallgruppe - für
die Abbruchentscheidung eines sachlichen Grundes, der den Vorgaben des Art. 33
Abs. 2 GG genügt (vgl. OVG RP, Beschluss vom 25. März 2019 – 2 B
10139/19.OVG –, juris Rn. 21 ff. m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 5. Februar
2018 – 1 B 1146/17 –, juris Rn. 10 f. m.w.N.).

Maßgeblich ist insoweit allein die Situation im Zeitpunkt des Abbruchs und allein
diejenige Begründung, die der Dienstherr seiner Abbruchentscheidung zugrunde
legt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Januar 2022 – 1 B 1729/21 –, juris Rn. 26
ff.; VG Schleswig, Beschluss vom 20. August 2020 – 12 B 35/20 –, juris Rn. 24
m.w.N.).

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Der   vorliegende   Fall    ist   der   erstgenannten   Variante   zuzuordnen.   Die
Antragsgegnerin hat im Abbruchvermerk vom 11. Juli 2022 und der an die
Antragstellerin gerichteten Abbruchmitteilung vom 12. Juli 2022 unzweifelhaft zum
Ausdruck gebracht, dass das hier in Rede stehende Stellenbesetzungsverfahren
abgebrochen wird und die betroffenen Stellen endgültig nicht mehr vergeben
werden. Dieser Annahme widerstreitende Anhaltspunkte dafür, dass die
Antragsgegnerin beabsichtigt, die betroffenen Stellen in einer der zukünftigen
Beförderungsrunden erneut auszuschreiben und damit gleichsam zusätzlich zu
vergeben, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Die von der Antragstellerin
aufgeworfene Frage, ob die in der Abbruchmitteilung aufgeführte Begründung die
Abbruchentscheidung trägt, betrifft die Rechtmäßigkeit der Abbruchentscheidung.
An der Tatsache, dass die Antragsgegnerin sich für die endgültige Nichtvergabe der
Stellen entschieden hat, ändert dies indes nichts.

Der demnach durchzuführenden Willkür- und Missbrauchskontrolle hält die
Abbruchentscheidung der Antragsgegnerin nicht stand. Die Antragsgegnerin führt
zur Begründung des Abbruchs des Stellenbesetzungsverfahrens an, das bisherige
Auswahlverfahren zu der Beförderungsrunde 2020/2021 könne nicht mehr auf
Grundlage der dienstlichen Beurteilungen für den Beurteilungszeitraum vom
01.09.2017 bis 31.08.2019 fortgesetzt werden. Diese Beurteilungen seien nicht
mehr hinreichend aktuell, da seit Mitte Juni 2022 die dienstlichen Beurteilungen der
betreffenden Beamten für den Beurteilungszeitraum vom 01.09.2019 bis
31.08.2021 eröffnet worden seien. Der Antragsgegnerin ist dabei zuzugeben, dass
die fehlende Aktualität der dem Leistungsvergleich zugrundeliegenden dienstlichen
Beurteilungen den Abbruch eines Auswahlverfahrens grundsätzlich rechtfertigen
kann (vgl. Beschluss der Kammer vom 27. Juni 2022, 2 L 474/22.KO, n.v., S. 4 des
Beschlussabdrucks; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 26. Januar 2016 – 12 L
2173/15 –, juris Rn. 23).

Dabei ist jedoch zu sehen, dass es sich hierbei um einen aus dem in Art. 33 Abs. 2
GG verankerten Leistungsprinzip abgeleiteten Abbruchgrund handelt, der
grundsätzlich darauf abzielt, die Stelle auf Grundlage eines neuen, den
Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG gerechten werdenden Auswahlverfahrens
weiterhin zu besetzen. Der Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens allein aus
Gründen    der fehlenden Aktualität der dienstlichen          Beurteilungen   besitzt

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demgegenüber keinen personalwirtschaftlichen Charakter und wurzelt nicht in der
Organisationsgewalt des Dienstherrn, sondern dient allein dem Zweck, ein den
Anforderungen           des   Art.     33    Abs.      2     GG      nicht     genügendes
Stellenbesetzungsverfahren nicht fortzuführen. Er besitzt damit eine andere
Stoßrichtung als der endgültige Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens. Der
endgültige Abbruch fußt auf dem Organisationsermessen des Dienstherrn, das dem
Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagert ist (vgl. OVG RP, Beschluss
vom 25. März 2019 – 2 B 10139/19.OVG –, juris Rn. 27). Um den endgültigen
Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens nicht als willkürlich erscheinen zu
lassen,   ist     der     Dienstherr    demnach     gehalten,      von    seinem         weiten
Organisationsermessen          unter    Heranziehung       personalwirtschaftlicher       oder
organisationsrechtlicher Erwägungen Gebrauch zu machen.

Daran fehlt es hier. Der Abbruchvermerk und die Abbruchmitteilung an die
Antragstellerin     enthalten        keine   Ausführungen         dazu,      aus     welchen
personalwirtschaftlichen      bzw.     organisationsrechtlichen     Gründen        von    einer
Besetzung der Stellen der Beförderungsliste „A***“ endgültig abgesehen wird.
Vielmehr enthält die Abbruchmitteilung ebenso wie der Abbruchvermerk allein die
Feststellung, dass das Stellenbesetzungsverfahren, gleichsam einer zwingenden
Schlussfolgerung aus der fehlenden Aktualität der dienstlichen Beurteilungen,
endgültig abzubrechen sei. Es obliegt der Antragsgegnerin als Dienstherrin, die
Gründe für ihre Abbruchentscheidung in einer gerichtlich nachvollziehbaren Art und
Weise in der Abbruchentscheidung zu dokumentieren. Ob diese die wahren
Beweggründe des Dienstherrn wiedergibt, ist ebenso ohne Belang wie die Frage,
ob sich der Abbruch durch einen anderen Sachgrund rechtfertigen ließe (vgl. OVG
NRW, Beschluss vom 25. Januar 2022 – 1 B 1729/21 –, juris Rn. 26). Da es
vorliegend an einer tragfähigen Begründung für den endgültigen Abbruch fehlt und
es infolge dessen nicht überprüfbar ist, ob der endgültige Abbruch auf einer dem
Organisationsermessen der Antragsgegnerin zuzuordnenden Entscheidung beruht,
stellt er sich als willkürlich dar. Unbeschadet der Tatsache, dass es insoweit allein
auf die in der Abbruchentscheidung angeführten Gründe ankommt, hat die
Antragsgegnerin auch in ihrer Antragserwiderung keine personalorganisatorischen
Gründe für den endgültigen Abbruch angeführt, sondern lediglich geltend gemacht,
sie sei „rechtlich gehalten“ gewesen, diese Entscheidung zu treffen.

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Die Entscheidung zur Kostentragung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2
Gerichtskostengesetz.   Eine   den   grundsätzlich   vorläufigen   Charakter   des
Eilverfahrens berücksichtigende Halbierung des Streitwerts kommt hier nicht in
Betracht, da der Antrag hier auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist.

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                            Rechtsmittelbelehrung

Gegen diese Entscheidung steht den Beteiligten und den sonst von der Entschei-
dung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
zu.

Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Koblenz, Deinhardpassage 1,
56068 Koblenz, schriftlich, nach Maßgabe des § 55a VwGO als elektronisches
Dokument oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. Die
Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist
schriftlich oder nach Maßgabe des § 55a VwGO als elektronisches Dokument bei
dem Beschwerdegericht eingeht. In den Fällen des § 55d VwGO ist ein
elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO zu übermitteln.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung
zu begründen. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit der Beschwerde vor-
gelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz,
Deinhardpassage 1, 56068 Koblenz, schriftlich oder nach Maßgabe des § 55a
VwGO als elektronisches Dokument einzureichen. In den Fällen des § 55d VwGO
ist ein elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO zu übermitteln.
Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die
Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen
Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die
dargelegten Gründe.

Die Einlegung und die Begründung der Beschwerde müssen durch einen Rechts-
anwalt oder eine sonstige nach Maßgabe des § 67 VwGO vertretungsbefugte
Person oder Organisation erfolgen.

In Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen ist die Beschwerde nicht
gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 € nicht übersteigt.

gez. Holly                       gez. Dr. Dawirs                       gez. Wolf
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