Vier Corona-Welten - Divergierende Vorstellungen von einer multiplen Krise und die Rolle der Medien - ARD-Werbung.de

 
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            578      Perspektiven
                     10-11/2020

                     Eine Typologie auf Grundlage der Weltbezugs-Theorie
                     Vier Corona-Welten – Divergierende Vorstellungen
                     von einer multiplen Krise und die Rolle der Medien
                     Von Jens Wolling*, Christina Schumann* und Dorothee Arlt**

                     Der Beitrag untersucht, welche Vorstellungen die           Leben weitestgehend herunter. Am 23. März trat ein
                     Bürgerinnen und Bürger von der Corona-Krise ha-            bundesweites Kontaktverbot in Kraft, Deutschland
                     ben und ob unterschiedliche Vorstellungen mit Un-          befand sich im sogenannten Lockdown. (1)
                     terschieden in den Personeneigenschaften, der un-
                     mittelbaren Lebenswelt, der Mediennutzung und der
                                                                                 Kurz und knapp
                     Medienbewertung einhergehen. Die Ergebnisse ba-
                     sieren auf einer repräsentativen Bevölkerungsbefra-         • Grundlage ist eine Befragung von knapp 1 500 deutschsprachigen
                     gung vom April 2020. Identifiziert werden vier Grup-          Onlinern über 18 Jahren.
                     pen in der Bevölkerung, die sich hinsichtlich ihrer         • Identifiziert wurden vier Typen: „Kritiker“ der staatlichen Corona-­
                     Vorstellungen über die staatliche Corona-Politik, die         Politik sowie drei Gruppen von „Unterstützern“.
                     gesundheitlichen und sozialen Risiken, sowie die wirt-      • Nur ein geringer Zusammenhang wurde festgestellt zwischen
                     schaftlichen Auswirkungen unterscheiden: „Kritiker“,          Informationsverhalten, Lebenssituation und Vorstellungen von der
                     „Besorgte Unterstützer“, „Optimistische Unterstützer“         Corona-Krise.
                     und „Sorglose Unterstützer“. Die Befunde zeigen,            • Das Vertrauen in die Medienberichterstattung ist in allen drei
                     dass sich die Informationsnutzung zwischen den                „Unterstützergruppen“ hoch.
                     Gruppen nur geringfügig unterscheidet. Medienwahr-          • Im Hinblick auf Corona sind fast zwei Drittel der „Kritiker“ stark
                     nehmungen und -bewertungen hingegen divergieren               themenverdrossen.
                     zumeist deutlich. Insbesondere vertrauen die drei
                     „Unterstützergruppen“ der Corona-Berichterstattung
                     stärker als die Kritiker. Bei den Kritikern hingegen ist   In dieser Zeit wurde die hohe Dynamik der Ausbrei-         Lockdown
                     die Themenverdrossenheit deutlich höher ausgeprägt.        tung des Virus immer deutlicher: Mit über 6 000            mit enormen
                                                                                Neuinfektionen in Deutschland pro Tag erreichte die        Konsequenzen
                     Corona-Chronik: Von ersten Erkrankungen zur                gesundheitliche Krise Ende März/Anfang April ihren         für Wirtschaft
                     weltweiten multiplen Krise                                 vorläufigen Höchststand. Zudem zeichneten sich             und Gesellschaft
Wenig Besorgnis zu   Anfang Januar 2020 berichteten deutsche Medien             weitreichende Folgen für Wirtschaft, Sozialsystem
 Beginn des Jahres   erstmals vom Ausbruch einer neuartigen Lungen-             und Politik ab: Um den ökonomischen Einbruch und
                     krankheit in China, die auf einen bisher unbekannten       die damit möglicherweise verbundenen sozialen
                     Corona-Virustyp zurückzuführen sei. Mitte Januar           Verwerfungen abzudämpfen, beschloss Deutschland,
                     meldete China die ersten Todesfälle. Am 25. Januar         wie auch viele andere Länder und die EU, Hilfspakete
                     wurde eine erste Infektion mit Corona in Frankreich        in Milliardenhöhe. Politisch sahen sich die Bürgerin-
                     entdeckt. Das Virus hatte Europa erreicht. Nur drei        nen und Bürger mit Einschränkungen verschiedener
                     Tage später wurde der erste Corona-Fall in Deutsch-        Grundrechte konfrontiert. Der Lockdown hatte auch
                     land bekannt. Im Februar stiegen in vielen Ländern         enorme soziale Folgen, denn Schul- und Kitaschlie-
                     die Infektionszahlen und Todesfälle drastisch. Wäh-        ßungen, Besuchsverbote in Alten- und Pflegeheimen,
                     rend Italien die ersten Städte bereits am 23. Februar      Ausgehverbote sowie Einkommensausfälle belaste-
                     abriegelte, wurde die Situation von Deutschland zu         ten das soziale Leben in Deutschland generell, aber
                     diesem Zeitpunkt noch relativ entspannt betrachtet.        sie verschärften die Situation der sozial Schwäche-
                     Zwar nahm am 27. Februar ein Krisenstab die Arbeit         ren der Gesellschaft besonders stark. Corona ent-
                     auf, doch Pläne, das öffentliche Leben lahmzulegen,        puppte sich als multiple Krise, die sowohl den Ein-
                     existierten zu dem Zeitpunkt noch nicht. Auch Ex-          zelnen als auch die Gesellschaft insgesamt betrifft
                     perten des Robert Koch-Institutes (RKI) sahen keinen       und dabei gleichzeitig das Gesundheitssystem, die
                     Grund zur Panik.                                           Wirtschaft, die Politik und das Sozialleben erschüttert.

       Mitte März:   Zwei Wochen später hatte sich die Lage vollkommen          Dieser Ausnahmezustand prägte das Leben in
   Schließung von    verändert: Am Freitag, den 13. März, verkündeten           Deutschland den gesamten April. Zwar zeigten die
 Schulen und Kitas   fast alle Bundesländer die Schließung von Kitas und        eingeleiteten Maßnahmen insbesondere hinsichtlich
                     Schulen. Am 16. März schloss Deutschland die Gren-         der gesundheitlichen Krise Wirkung: Die Anzahl der
                     zen zu den Nachbarländern und fuhr das öffentliche         Neuinfektionen nahm kontinuierlich ab. Dennoch
                                                                                dominierten das Corona-Virus und seine gesund-
                       *	TU Ilmenau.                                           heitlichen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen
                       ** Universität Bern.                                     Folgen das Leben in Deutschland.
Vier Corona-Welten – Divergierende Vorstellungen von einer multiplen Krise und die Rolle der Medien
                                                                                                                                   Media
                                                                                                                             Perspektiven   579
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  Beherrschendes     Dies spiegelte sich auch in der Medienberichterstat-       zeichnet, die Personen zur Welt und ihren Ereignis-
     Thema in den    tung wider: Im März 2020 begann die Corona-Krise           sen haben können, also etwa wie Menschen die
Nachrichtenmedien    die (Fernseh-)Nachrichten in Deutschland zu domi-          Geschehnisse in der Welt und die damit verbunde-
                     nieren. Im April 2020 standen neun der zehn Top­           nen Akteure wahrnehmen, welche Emotionen sie
                     themen in den abendlichen Hauptnachrichten in un-          diesen entgegenbringen, wie sie diese bewerten
                     mittelbarem Zusammenhang mit Corona. Andere                (Einstellungen), wie sie über diese kommunizieren
                     Themen, wie beispielsweise die Klimakrise, über die        und wie sie sich ihnen gegenüber verhalten. In die-
                     in den Monaten davor viel berichtet wurde, ver-            ser Untersuchung fokussieren wir auf drei Formen
                     schwanden nahezu vollständig von der medialen              von Weltbezügen: Wahrnehmungen, Einstellungen
                     Agenda (2). Dass einzelne herausragende Ereignisse         und Emotionen.
                     die Medienagenda über einen gewissen Zeitraum
                     dominieren, kommt immer wieder vor. Dies geschieht         Datengrundlage und methodisches Vorgehen
                     insbesondere bei plötzlich auftretenden Katastrophen­      Die empirische Grundlage für die Beantwortung der Onlinebefragung
                     ereignissen (Fukushima, Elbehochwasser) oder ter-          beiden Fragestellungen sind Paneldaten einer quan- im April 2020
                     roristischen Anschlägen (9/11). Andere Themen              titativen Befragung, die durch das Online-Access-­
                     hingegen halten sich über einen längeren Zeitraum          Panel der respondi AG (zertifiziert nach Global ISO
                     auf den vorderen Plätzen der Medienagenda, weil            26362) realisiert wurde (n=1 458 Befragte). Die quo-
                     immer wieder neue Ereignisse Anlass zur Bericht-           tierte Befragung war bevölkerungsrepräsentativ für
                     erstattung liefern (z. B. Situation der Flüchtlinge,       die deutschsprachigen Onliner über 18 Jahre in Be-
                     Syrienkrieg). Im Unterschied zu den genannten Er-          zug auf die Merkmale Alter, Geschlecht und Bildung.
                     eignissen und Themen zeichnet sich die multiple            Der Zeitraum der ersten Befragungswelle vom 16.
                     Corona-Krise aber dadurch aus, dass sie nicht nur          bis 20. April 2020 fiel in die Zeit des deutschen
                     die Medien, sondern auch das Alltagsleben der Men-         Lockdowns, zu der das öffentliche Leben in Deutsch-
                     schen beherrscht. Die Bürgerinnen und Bürger erle-         land noch weitestgehend eingefroren war. Zwar lag
                     ben die verschiedenen Teilkrisen sowohl direkt (z. B.      der Höhepunkt der ersten Infektionswelle ungefähr
                     durch die Einschränkungen des Lockdowns), als              14 Tage zurück, die Zahl der Neuinfektionen und der
                     auch indirekt durch die Medien vermittelt (z. B. durch     Todesfälle war aber weiterhin hoch. Erste Lockerun-
                     Informationen zu Infektionszahlen).                        gen der Corona-Einschränkungen standen allerdings
                                                                                an. Beispielsweise durften ab dem 20. April erste
 Luhmann: Wissen     Diese Situation eröffnet die Möglichkeit, die von          Geschäfte wieder öffnen. Die nachfolgenden Befra-
 über die Welt von   Niklas Luhmann (3) maßgeblich geprägte und in der          gungswellen wurden vier bzw. zehn Wochen später
   Medien geprägt    Kommunikationswissenschaft weit verbreitete These,         realisiert. Die hier präsentierten Ergebnisse beruhen
                     dass wir unser Wissen über die Gesellschaft und die        auf den Daten der ersten Welle im April.
                     Welt fast ausschließlich aus den Massenmedien be-
                     ziehen, einer Prüfung zu unterziehen. Denn gerade          Die Befragungsteilnehmer (49 % Männer; 51 % Frau-
                     beim Thema Corona und den damit verbundenen Teil-          en) waren im Alter zwischen 18 und 82 Jahren
                     krisen ist davon auszugehen, dass die direkten Erfah-      (Durchschnittsalter: 47 Jahre, SD=15.9). Von den
                     rungen der Menschen eine gewichtige Rolle spielen.         Befragten hatten 32 Prozent einen niedrigen (Haupt-
                     Die Vorstellungen der Bürgerinnen und Bürger von der       oder Volksschulabschluss), 32 Prozent einen mitt-
                     Corona-Krise dürften somit maßgeblich durch ein Zu-        leren (Realschulabschluss/Mittlere Reife) und 36
                     sammenspiel von direkten und indirekten Erfahrun-          Prozent einen höheren Bildungsabschluss (Abitur/
                     gen geprägt sein. Diese können vollständig, teilweise      Hochschulreife: 19 %; abgeschlossenes Studium:
                     oder auch gar nicht übereinstimmen.                        16 %).

Forschungsleitende   Vor diesem Hintergrund untersucht der Beitrag zwei         Um Gruppen mit unterschiedlichen Vorstellungen der          Vier Teilkrisen
   Fragestellungen   Fragestellungen: 1. Welche Gruppen oder Typen mit          multiplen Corona-Krise zu ermitteln, wurden in einem        identifiziert
                     spezifischen Vorstellungen der multiplen Corona-­          ersten Schritt vier Teilkrisen differenziert: Die ökono-
                     Krise lassen sich in der deutschen Bevölkerung             mische (Ö), die gesundheitliche (G), die soziale (S)
                     identifizieren? 2. Inwiefern unterscheiden sich diese      und die politische (P). In einem zweiten Schritt zogen
                     Gruppen oder Typen hinsichtlich ihrer a) sozio-demo-       wir die Theorie der Weltbezüge von Kuhlmann heran,
                     grafischen Merkmale und politischen Einstellungen,         um die Vorstellungen der Bevölkerung von diesen
                     b) ihrer Informationsnutzung, c) ihrer Wahrnehmung         vier Krisen zu erfassen. Für jede Teilkrise wurden
                     und Bewertung der Berichterstattung über Corona            drei Formen von Weltbezügen untersucht: Wahrneh-
                     sowie d) ihrer individuellen Lebenswelt? Unter Be-         mungen der Krisen [W], Einstellungen (Attitudes)
                     zugnahme auf Kuhlmanns integrative „Weltbezugs-            gegenüber dem Umgang mit den Krisen [A] und
                     theorie“ verstehen wir unter „Vorstellungen von der        Emotionen [E], die mit den Teilkrisen in Verbindung
                     Corona-Krise“ das Zusammenspiel verschiedener              gebracht werden. Insgesamt standen zwölf Indika-
                     Formen menschlicher Weltbezüge. (4) Als Weltbezüge         toren für die Konstruktion einer Typologie der Vor-
                     werden von Kuhlmann alle Beziehungsformen be-              stellungen von der multiplen Corona-Krise zur
Jens Wolling/Christina Schumann/Dorothee Arlt
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Tabelle 1
Eine Typologie auf der Grundlage unterschiedlicher Vorstellungen von der Corona-Krise
Mittelwerte (Skala von 1-5)

                                                                                                                                                          Signifikanz
                                                                              Typen                                                       F-Wert          (p)
                                                                                             Besorgte       Opti­mistische Sorglose
Indizes                          Items                                        Kritiker       Unterstützer   Unterstützer Unterstützer
                                                                              n=438          n=277          n=309         n=416
                                                                              (30,4 %)       (19,2 %)       (21,5 %)      (28,9 %)
                                 Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung
                                 von Corona schränken die Grundrechte in
                                 Deutschland stark ein [WP]                   4,2            3,2            3,3           2,9             105.4
Vier Corona-Welten – Divergierende Vorstellungen von einer multiplen Krise und die Rolle der Medien
                                                                                                                                         Media
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                      Tabelle 2
                      Gruppenunterschiede bezüglich soziodemografischer Merkmale

                                                                                 Besorgte          Optimistische    Sorglose                            Signifikanz
                                                            Kritiker             Unterstützer      Unterstützer     Unterstützer       Chi2 /F-Wert     (p)
                                                            n=438                n=277             n=309            n=416
                      Alter in Jahren (Mittelwert)          45                   49                49               46                   6.6
Jens Wolling/Christina Schumann/Dorothee Arlt
                          Media
                582       Perspektiven
                          10-11/2020

Tabelle 3
Gruppenunterschiede bezüglich verschiedener Einstellungen zur Politik

                                                                                  Besorgte           Optimistische    Sorglose                           Signifikanz
                                                                Kritiker          Unterstützer       Unterstützer     Unterstützer      Chi2 /F-Wert     (p)
                                                                n=438             n=277              n=309            n=416
politisches Interesse (1=gering; 5=stark)                       3,3               3,4                3,4              3,3                 1.0               n.s.
politische Orientierung (1=links; 7=rechts)                     3,9               3,7                3,6              3,9                 4.6
Vier Corona-Welten – Divergierende Vorstellungen von einer multiplen Krise und die Rolle der Medien
                                                                                                                                       Media
                                                                                                                                 Perspektiven   583
                                                                                                                                  10-11/2020

                         Laien, die über soziale Medien, Blogs, Webseiten           Basierend auf der Unterteilung in die vier identifi-        Wahrnehmung der
                         oder Podcasts über Corona informieren bzw. sich            zierten Teilkrisen untersuchten wir zunächst, wie die       Berichterstattung
                         öffentlich zum Thema äußern.                               Befragten den Umfang der Berichterstattung über             über die Teilkrisen
                                                                                    gesundheitliche, wirtschaftliche, soziale und politi-
   Ähnliches Muster      Bei der Nutzung journalistischer Informationsquellen       sche Aspekte der Krise wahrnehmen (vgl. Tabelle 5).
         der Nutzung     weisen die Typen ein sehr ähnliches Muster auf (vgl.       Diesbezüglich zeigt sich mit einer Ausnahme immer
      journalistischer   Tabelle 4). Der deutlichste Unterschied ist bei der        das gleiche Muster: Während besonders die „Be-
   Informationen bei     täglichen Nutzung von Informationsangeboten öffent-        sorgten“ und die „Optimistischen“ den Eindruck
          allen Typen    lich-rechtlicher Fernsehsender erkennbar, die in den       haben, dass viel über die gesundheitlichen, wirt-
                         drei „Unterstützergruppen“ merklich höher ausfällt         schaftlichen und politischen Teilkrisen berichtet wird,
                         (+15-20 %-Punkte) als bei den „Kritikern“. Aber            ist der Anteil unter den „Sorglosen“ und vor allem
                         selbst von den „Kritikern“ informieren sich rund 41        unter den „Kritiker“ deutlich geringer. Die soziale
                         Prozent täglich mittels öffentlich-rechtlicher Fern-       Krise hingegen wird von den Mitgliedern aller Grup-
                         sehsender über das Thema. Darüber hinaus erhalten          pen deutlich seltener in der Berichterstattung wahr-
                         die „Besorgten“ und die „Optimistischen“ etwas             genommen. Lediglich unter den „Optimistischen
                         häufiger Informationen über Corona durch das Pri-          Unterstützern“ ist der Eindruck etwas stärker ver-
                         vatfernsehen und regionale Tageszeitungen. Boule-          breitet, dass die Medien häufig über entsprechende
                         vardzeitungen werden etwas häufiger von den                Inhalte berichten.
                         „Gegnern“ genutzt. Bei den überregionalen Quali-
                         tätszeitungen finden sich keine Unterschiede in der        Die Wahrnehmung des Umfangs der Berichterstat-
                         Nutzungsintensität.                                        tung über die Teilkrisen sagt allerdings noch nichts
                                                                                    darüber aus, ob die verschiedenen Typen diesen
         Auch bei den    Auch bei der Nutzung nicht-journalistischer Quellen        auch für angemessen halten. Hierzu wurde in ei-
nicht-journalistischen   ist das Informationsverhalten weitestgehend homo-          nem zweiten Schritt ermittelt, ob die Befragten den
          Quellen nur    gen. Signifikante Unterschiede zwischen den Grup-          Umfang der Berichterstattung zu den Krisenaspek-
   geringe Nutzungs­     pen zeigen sich lediglich in Bezug auf die RKI-Infor-      ten als „zu gering“, „genau richtig“ oder „zu viel“
         unterschiede    mationen sowie bei der „kritischen Laienkommuni-           bewerten. Wie sich zeigt, variiert nicht nur die
                         kation“. Die tägliche Nutzung der Informationsange-        Wahrnehmung der Berichterstattungsintensität
                         bote des RKI ist unter den „Besorgten“ (23 %) und          zwischen den Gruppen, sondern auch deren Be-
                         den „Optimistischen“ (29 %) etwas stärker verbreitet       wertung.
                         als unter den „Kritikern“ (17 %) und den „Sorglosen“
                         (18 %). Bürgerinnen und Bürger, die sich online kri-       Eine Überthematisierung einzelner Krisenaspekte             „Kritiker“
                         tisch über die Corona-Politik der Bundesregierung          kritisieren primär die „Kritiker“, insbesondere hin-        beanstanden eine
                         äußern, dienen hingegen insgesamt eher den „Kriti-         sichtlich der Gesundheitskrise. 49 Prozent finden,          Überthematisierung
                         kern“ als Informationsquelle als den drei „Unterstüt-      dass zu viel über die Verbreitung von Corona berich-        von Corona
                         zergruppen“.                                               tet wird. Bezüglich der politischen und der ökonomi-
                                                                                    schen Krisen sind die „Kritiker“ gespalten. Ein gutes
                         Bei den anderen untersuchten Informationsquellen           Viertel erlebt zu viel Berichterstattung, aber unge-
                         über Corona zeigen sich keine nennenswerten Un-            fähr genauso viele vertreten die gegenteilige An-
                         terschiede zwischen den vier Gruppen: Dies gilt            sicht: 27 Prozent finden, dass die Einschränkungen
                         sowohl für Laien, die die Entscheidungen der Bun-          der Grundrechte nicht genug mediale Beachtung
                         desregierung im Großen und Ganzen unterstützen,            findet, 30 Prozent meinen, es müsse mehr über die
                         als auch für alle Fachleute, egal ob sie die Ent-          ökonomischen Folgen berichtet werden. Diese
                         scheidungen der Bundesregierung im Großen und              „Gleichverteilung“ an den Rändern (allerdings auf
                         Ganzen befürworten oder sie kritisch beurteilen.           deutlich niedrigerem Niveau) zeigen auch die an-
                         Hier lässt sich kein selektives Nutzungsverhalten          deren Corona-Typen – insbesondere hinsichtlich
                         beobachten.                                                der medialen Berücksichtigung der politischen und
                                                                                    wirtschaftlichen Krise. Insgesamt betrachtet ist die
                         Wahrnehmung und Bewertung der Berichter-                   Zufriedenheit mit der Berichterstattung über drei
                         stattung über Corona                                       der vier Krisen jedoch sehr hoch. Die Bürgerinnen
                         Alles in allem nutzen die verschiedenen Gruppen            und Bürger sind mit der Intensität der Berichter-
                         ähnliche journalistische Quellen, um Informationen         stattung, die sie zur Gesundheits-, Wirtschafts-
                         über die Corona-Krisen zu erhalten. Offen bleibt je-       und politischen Krise wahrnehmen, überwiegend
                         doch die Frage, ob sie die aus diesen Quellen erhal-       zufrieden.
                         tenen Informationen über die Corona-Krise auch in
                         ähnlicher Form wahrnehmen und bewerten. Aus                Deutlich anders sind jedoch die Befunde zur sozia-          Soziale Teilkrise
                         diesem Grund widmen wir uns im Folgenden den               len Krise: Jeweils mehr als die Hälfte der „Besorg-         nicht genug
                         Wahrnehmungen und Bewertungen der medialen                 ten“ und der „Optimistischen“ wie auch der „Kriti-          berücksichtigt
                         Berichterstattung über Corona.                             ker“ findet, dass die Berichterstattung nicht genug
Jens Wolling/Christina Schumann/Dorothee Arlt
                             Media
                  584        Perspektiven
                             10-11/2020

Tabelle 4
Gruppenunterschiede bezüglich des Informationsverhaltens über Corona

                                                                                  Besorgte         Optimistische     Sorglose                           Signifikanz
                                                                  Kritiker        Unterstützer     Unterstützer      Unterstützer      Chi2 /F-Wert     (p)
                                                                  n=438           n=277            n=309             n=416
journalistische Informationsquellen
öffentlich-rechtliche Fernsehsender (online & offline)
  mindestens einmal täglich                                       41              61               58                56
  seltener als einmal bis mehrmals pro Woche                      38              25               32                33                45.4
Vier Corona-Welten – Divergierende Vorstellungen von einer multiplen Krise und die Rolle der Medien
                                                                                                                                                              Media
                                                                                                                                                        Perspektiven          585
                                                                                                                                                         10-11/2020

 Tabelle 5
 Gruppenunterschiede bezüglich der Wahrnehmung des Umfangs der Berichterstattung
 Wahrnehmung „häufig“ oder „sehr häufig“, in %

                                                                                             Besorgte              Optimistische     Sorglose                                              Signifikanz
                                                                            Kritiker         Unterstützer          Unterstützer      Unterstützer            Chi2                          (p)
                                                                            n=438            n=277                 n=309             n=416
 gesundheitliche Krise: Verbreitung von Corona in Deutschland               73               92                    91                84                      56.0
Jens Wolling/Christina Schumann/Dorothee Arlt
                         Media
               586       Perspektiven
                         10-11/2020

Tabelle 6
Gruppenunterschiede bezüglich der Bewertung der Berichterstattung
Zustimmung, in %

                                                                                   Besorgte         Optimistische    Sorglose                           Signifikanz
                                                                Kritiker           Unterstützer     Unterstützer     Unterstützer      Chi2             (p)
                                                                n=438              n=277            n=309            n=416
Medienvertrauen (hoch)                                          51                 81               86               82                150.6
Vier Corona-Welten – Divergierende Vorstellungen von einer multiplen Krise und die Rolle der Medien
                                                                                                                                           Media
                                                                                                                                     Perspektiven   587
                                                                                                                                      10-11/2020

Tabelle 7
Gruppenunterschiede bezüglich der „objektiven“ Lebenswelt
in %

                                                                                   Besorgte          Optimistische    Sorglose                            Signifikanz
                                                                Kritiker           Unterstützer      Unterstützer     Unterstützer       Chi2             (p)
                                                                n=438              n=277             n=309            n=416
                           An Corona erkrankte Menschen
direkte Erfahrungen        im Umfeld (zumindest einer)          15                 12                13               15                 2.0              n.s.
mit dem Corona-Virus       In meiner Wohngegend gibt es
                           viele Corona-Fälle (Zustimmung)       8                 10                11                6                 5.6              n.s.
                           Auf dem Land/in einem Dorf           28                 31                29               29
Größe des Wohnorts         Kleine oder mittelgroße Stadt        40                 36                45               40                 5.9              n.s.
                           Großstadt                            33                 33                27               32
Quelle: The Relevance of Communication during Corona Crises (RCCC). Eigene Berechnung; Datenbasis: 1 458 Befragte, repräsentativ quotiert für deutschsprachige Onliner
ab 18 Jahren.

 Keine signifikanten     Bezüglich der intersubjektiv nachvollziehbare Lebens-          einen größeren Anteil von Personen, deren Situa­
       Unterschiede      welt unterscheiden sich die direkten Erfahrungen mit           tion sich ökonomisch verschlechtert und deren
     hinsichtlich der    der Pandemie zwischen den Angehörigen der ver-                 private Situation angespannter ist als zuvor. Die
        persönlichen     schiedenen Gruppen nicht signifikant (vgl. Tabelle 7).         ökonomische Trennlinie verläuft also nicht eindeu-
       Erfahrung mit     In allen Gruppen kannte zum Zeitpunkt der Befragung            tig zwischen „Kritikern“ und „Unterstützern“. Auch
              Corona     nur eine Minderheit von maximal 15 Prozent persön-             Teile der „Unterstützer“ sind von den Auswirkun-
                         lich eine an Corona erkrankte Person. Zudem gab es             gen der Krisen erheblich betroffen, während nur
                         in allen Gruppen nur wenige Personen, die in einer             bei einem kleineren Teil die Auswirkungen der
                         Wohngegend mit hohen Infektionszahlen lebten. Das              ­Krisen weitgehend spurlos vorbeiziehen.
                         heißt, in allen Gruppen war die große Mehrheit in ihrer
                         Lebenswelt nicht direkt von der Krankheit betroffen.           Auch in sozialer Hinsicht sind die „Sorglosen Unter-
                         Deutschland befand sich zum Zeitpunkt der Befra-               stützer“ im Vergleich zu allen anderen Gruppen in
                         gung mitten im Lockdown und dessen Konsequenzen                einer privilegierten Situation. Sie empfinden seltener
                         waren insbesondere in großen Städten nicht einfach             negative Veränderungen und häufiger sogar Verbes-
                         zu bewältigen. Von daher hätte man vor allem unter             serungen im Privatleben, als dies bei den Mitgliedern
                         den „Kritikern“ und den „Besorgten Unterstützern“              der anderen Gruppen der Fall ist.
                         deutlich mehr Großstadtbewohner erwarten können.
                         Tatsächlich zeigten sich aber auch hinsichtlich des            Eine direkte Bedrohung der Versorgung mit lebens-
                         Wohnorts keine nennenswerten Unterschiede zwi-                 wichtigen Gütern haben insgesamt nur wenige Leute
                         schen den vier Gruppen.                                        erlebt und zwar unabhängig davon, zu welchem Typ
                                                                                        sie gehören. Selbst in der Gruppe der „Kritiker“ er-
       Ökonomische       Unterschiede zwischen den Gruppen finden sich                  klären rund drei Viertel, dass die Versorgung gut
      Auswirkungen       hingegen bezüglich der subjektiv wahrgenomme-                  gesichert sei, in den „Unterstützergruppen“ sind
                         nen ökonomischen, sozialen, gesundheitlichen und               dies sogar jeweils über 80 Prozent. Ganz besonders
                         politischen Lebenswelt (vgl. Tabelle 8). Es fällt auf,         gut empfanden die „Sorglosen Unterstützer“ die
                         dass die „Sorglosen Unterstützer“ ihre ökonomi-                Lage. In dieser Gruppe können 90 Prozent keine
                         sche Situation schon vor der Krise als deutlich bes-           Einschränkungen erkennen.
                         ser wahrgenommen haben als die Zugehörigen der
                         anderen Gruppen. Selbst während der Krise hat                  Sehr deutliche Unterschiede zwischen den Typen              Subjektive
                         sich die wirtschaftliche Lage nur bei sehr wenigen             lassen sich bezüglich der subjektiven Wahrnehmung           Wahrnehmung der
                         dieser Gruppe nach eigener Einschätzung ver-                   der gesundheitlichen Gefahr sowie der gesundheit­           gesundheitlichen
                         schlechtert. Die privilegierten ökonomischen Le-               lichen und politischen Situation am eigenen Wohnort         Gefahr
                         bensverhältnisse zeigen sich ebenfalls im Umfeld               feststellen. Eine Bedrohung der eigenen und der Ge-
                         dieser Personengruppe. Auch dort gibt es im Ver-               sundheit nahestehender Personen sehen vor allem
                         gleich zu den anderen Gruppen deutlich weniger                 die „Besorgten“, gefolgt von den „Optimistischen“
                         Personen (30 %), die wirtschaftlichen Nachteile                und den „Sorglosen “. Die „Kritiker“ schätzen diese
                         durch die Krise erlitten haben. In schlechteren öko-           Gefahren deutlich geringer ein.
                         nomischen Verhältnissen leben offenbar vor allem
                         die „Kritiker“ und die „Besorgten“. In diesen Grup-            Bezüglich der politischen Dimension erleben vor al-
                         pen und deren Umfeld gibt es darüber hinaus auch               lem die „Kritiker“ Beschränkungen der politischen
Jens Wolling/Christina Schumann/Dorothee Arlt
                         Media
                 588     Perspektiven
                         10-11/2020

Tabelle 8
Gruppenunterschiede bezüglich der subjektiv wahrgenommenen Lebenswelt
in %

                                                                                  Besorgte         Optimistische     Sorglose                           Signifikanz
                                                                Kritiker          Unterstützer     Unterstützer      Unterstützer      Chi2             (p)
                                                                n=438             n=277            n=309             n=416
                           Wirtschaftliche Lage vor Corona
                           war gut/sehr gut                     44                45               49                60                 39.3
Vier Corona-Welten – Divergierende Vorstellungen von einer multiplen Krise und die Rolle der Medien
                                                                                                                                      Media
                                                                                                                                Perspektiven   589
                                                                                                                                 10-11/2020

                        die Frage, inwiefern Luhmanns These in diesem              über Corona, wirken sich auf die Entstehung von
                        Fall haltbar ist: Sind es wirklich die Medien, die die     unterschiedlichen Vorstellungen über die Corona-­
                        Vorstellungen der Menschen von der Corona-­                Krisen aus. Studien zum Medienvertrauen zeigen,
                        Pandemie entscheidend prägen?                              dass diese Zusammenhänge nicht auf Corona be-
                                                                                   schränkt sind. Diejenigen, die große Widersprüche
             Geringer   Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass            zwischen medialer Darstellung und eigener Mei-
    Zusammenhang        sich in der deutschen Bevölkerung vier Gruppen mit         nung und Weltsicht erleben, haben zumeist auch
            zwischen    divergierenden Vorstellungen der multiplen Corona-­        geringeres Vertrauen in die Medien. (11)
       Informations­    Krise identifizieren lassen. Es war zu vermuten, dass
verhalten, objektiver   die vier unterschiedlich erlebten Corona-Welten mit        Abschließende Aussagen hierüber sind nicht mög-             Längsschnitt­
Lebenssituation und     den medial vermittelten sowie den direkt erlebten          lich. Die Erkenntnisse aus der vorliegenden Studie          perspektive zur
  Vorstellungen von     Erfahrungen zusammenhängen. Die Ergebnisse der             wurden durch ein exploratives Vorgehen gewon-               Prüfung der
        Corona-Krise    Studie zeigen jedoch, dass sich bei den meisten In-        nen. Die Typologie unterschiedlicher Vorstellungen          Ergebnisse nötig
                        dikatoren, die sich auf die Nutzung medialer Infor-        der Corona-Krise liefert eine Basis, auf der sich
                        mationsquellen über Corona beziehen, keine oder nur        Hypothesen über die Zusammenhänge mit medial
                        relativ geringe Unterschiede zwischen den Gruppen          vermittelten und unmittelbaren Erfahrungen entwi-
                        feststellen lassen: Die Menschen erleben vier unter-       ckeln lassen. Diese gilt es durch weiterführende
                        schiedliche Corona-Welten, aber sie nutzen in ähn­         Analysen (z. B. Regressionen) und insbesondere
                        licher Intensität die gleichen medialen Informations-      durch die Berücksichtigung der Längsschnittpers-
                        quellen. Die Annahme, dass unser Bild von der Coro-        pektive mit den weiteren Wellen der Panel-Befra-
                        na-Welt maßgeblich durch unsere Zuwendung zu               gung zu testen.
                        medial vermittelten Informationen geprägt wird, lässt
                        sich anhand dieser Ergebnisse also nicht bekräftigen.      Dass die „objektive“ Lebenswelt der Menschen                Ursachen für
                        Ebenso wenig steht die „objektive“, also die inter-        und ihre Vorstellungen von der multiplen Coro-              die Entstehung
                        subjektiv nachvollziehbare Lebenswelt der Befrag-          na-Krise kaum zusammenhängen, die subjektive                unterschiedlicher
                        ten in einem erkennbaren Zusammenhang mit ihren            Lebenswelt und die Wahrnehmung und Bewertung                Weltbilder
                        Vorstellungen von den Teilkrisen. Die Unterschiede         der medialen Berichterstattung aber schon, daraus           nachgehen
                        in den Vorstellungen über die Corona-Krisen hängen         ergeben sich einige medienpraktische Implikatio-
                        kaum mit den tatsächlichen Lebensverhältnissen der         nen. Wenn Journalisten auch jene Menschen errei-
                        Menschen zusammen.                                         chen wollen, die ihre eigene Realität anders erle-
                                                                                   ben als die, die ihnen vom Journalismus gezeigt
 Wichtige Faktoren:     Die Befunde zeigen hingegen, dass die unterschied-         wird, dann kann dies vermutlich nur gelingen,
   Subjektive Wahr­     lichen Vorstellungen von der Corona-Pandemie mit           wenn sie sich noch stärker auf die unterschied­
 nehmung der Krise      der subjektiv erlebten Lebenswelt der Befragten und        lichen subjektiven Lebensrealitäten der Menschen
 und Bewertung der      der subjektiven Wahrnehmung und Bewertung der              einlassen, als dies häufig geschieht. So verstörend
  Berichterstattung     medialen Berichterstattung über Corona zusammen-           manche Realitätskonstruktionen auch sein mögen,
                        hängen: Die „Bewohner“ der vier unterschiedlich            so wichtig ist es für einen Journalismus, der die
                        erlebten Corona-Welten unterscheiden sich zum ei-          gesellschaftliche Integrationsfunktion noch nicht
                        nen hinsichtlich der subjektiven Wahrnehmung und           aufgegeben hat, den Ursachen für die Entstehung
                        Bewertung des Umfangs der Berichterstattung über           solcher Weltbilder nachzugehen und die Vielfalt der
                        die vier Teilkrisen. Zum anderen differieren sie be-       subjektiven Lebenswelten in der Berichterstattung
                        züglich des Vertrauens in die Corona-Berichterstat-        darzustellen.
                        tung, der Verdrossenheit über das Thema und der
                        Einschätzung, dass Corona andere wichtige politische       Andererseits darf diese Offenheit für Pluralität aber       Orientierung an
                        Themen von der Medienagenda verdrängt. Allerdings          nicht bedeuten, dass jedwede Realitätskonstruktion          grundlegenden
                        lassen die Gruppenunterschiede keine einheitlichen,        gleichrangig nebeneinanderstehen soll. In der aktu-         Normen
                        einfachen Muster erkennen – zum Beispiel im Sinne          ellen Diskussion – nicht nur um Corona, sondern
                        einer klaren Konfrontationslinie zwischen „Kritikern“      beispielsweise auch um den Klimawandel – wird
                        und „Unterstützern“ der Corona-Politik. Sie sind           häufig auf die besondere Bedeutung und Autorität
                        komplexer strukturiert.                                    der wissenschaftlichen Realitätskonstruktion verwie-
                                                                                   sen. Allein dies wird aber nicht genügen, um einen
                        Somit lässt sich vermuten, dass der Interpreta­            gesellschaftlichen Diskurs zu organisieren, der auf
                        tions­horizont für das, was man in den Medien an           Verständigung und nicht auf Polarisierung orientiert
                        Informationen über Corona wahrnimmt und wie                ist. Unverzichtbar ist auch die Orientierung an grund-
                        man dies bewertet, hochgradig durch das subjek-            legenden Normen, wie sie in den Menschenrechten
                        tive Erleben der Pandemie und ihrer Folgen ge-             oder auch in den Zielstellungen der Vereinten Natio-
                        prägt wird. Beides zusammen – die unmittelbar              nen hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung
                        erlebte Lebenswelt und die Wahrnehmung und                 (Sustainable Development Goals) formuliert wurden.
                        Bewertung der medial vermittelten Informationen            Dass all diese Aspekte zusammen betrachtet wer-
Jens Wolling/Christina Schumann/Dorothee Arlt
      Media
590   Perspektiven
      10-11/2020

      den müssen, darauf verweist auch die Theorie der                     ­Unterschied zwischen den Gruppen (Typen) bezüglich
      Weltbezüge, die auf die Schlüsselrolle der Kommu-                    der jeweils getesteten Beschreibungsvariable gibt.
                                                                      6)	Vgl. Tsfati, Yariv: Does Audience Skepticism of the Media
      nikation bei der Herstellung von Realitätsbildern hin-               Matter in Agenda Setting? In: Journal of Broadcasting &
      weist.                                                               Electronic Media 47, 2/2003, S. 157-176. Quelle: https://
                                                                           doi.org/10.1207/s15506878jobem4702_1 (abgerufen
                                                                           am 23.10.2020).
                                                                      7)	  Vgl. hierzu auch Kuhlmann, Christoph/Christiana
      Anmerkungen:                                                          Schumann/Jens Wolling: „Ich will davon nichts mehr
                                                                           sehen und hören!“ Exploration des Phänomens Themen-
      1)	Alle Angaben zusammengestellt aus: ARD-Faktenfinder.             verdrossenheit. In: Medien & Kommunikationswissen-
          Chronik zum Coronavirus. https://www.tagesschau.de/               schaft 62, 1/2014, S. 5-24. Quelle: https://doi.org/
          faktenfinder/hintergrund/corona-chronik-pandemie-101.             10.5771/1615-634x-2014-1-5 (abgerufen am
          html# (abgerufen am 15.10.2020).                                  23.10.2020).
      2)	Vgl. hierzu ausführlich den Beitrag von Hans-Jürgen Weiß,   8)	Vgl. Geiß, Stefan: Patterns of Relationships between
          Matthias Wagner und Torsten Maurer in diesem Heft.                Issues: An Analysis of German Prestige Newspapers.
      3)	Vgl. Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien.              In: International Journal of Public Opinion Research 23,
          Opladen 1996.                                                     3/2011, S. 265-286. Quelle: https://doi.org/10.1093/
      4)	Vgl. Kuhlmann, Christoph: Kommunikation als Weltbezug.            ijpor/edq050 (abgerufen am 23.10.2020).
          Köln 2016.                                                  9)	Vgl. Weiß/Wagner/Maurer (Anm. 2).
      5)	Jede Zeile in den Ergebnistabellen 1 bis 8 repräsentiert    10)	Vgl. Luhmann (Anm. 3).
          entweder das Ergebnis einer Varianzanalyse (F-Werte)        11)	Vgl. Jackob, Nikolaus/Tanjev Schultz/Ilka Jakobs/
          im Falle von Mittelwerten oder eines Chi-Quadrat-Tests            Marc Ziegele/Oliver Quiring/Christian Schemer: Medien-
          (Chi2) im Falle von relativen Häufigkeiten (%). Mit Hilfe         vertrauen im Zeitalter der Polarisierung. In: Media
          dieser Tests wird geprüft, ob es einen signifikanten              Perspektiven 5/2019, S. 210-220.
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