Vom Wärterstellwerk zum historischen Stellwerk

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Vom Wärterstellwerk zum historischen Stellwerk
Vom Wärterstellwerk
                    zum historischen Stellwerk
                                     Beat Winterberger

Das Stellwerk von 1901                             Das schweizweit einmalige Schienen­
                                                   kreuz von zwei Vollbahnlinien im spitzen
Kerzers fand seinen Anschluss ans                  Winkel von 30 Grad machte eine ent­
Bahnnetz 1876 mit der Eröffnung der                sprechende Stellwerkanlage nötig. Diese
Longitudinale, der Linie Lyss–Murten–              wurde von der Maschinenfabrik Bruchsal
Payerne–Palézieux. Einfachste Infra­               gebaut. Sie besteht aus dem vor dem Auf­
strukturbauten genügten den beschei­               nahmegebäude platzierten Befehlwerk,
denen Anfängen des Bahnbetriebs. Das               welches vom Fahrdienstleiter bedient
änderte sich schlagartig, als 1901 die             wurde, sowie dem im Stellwerkgebäude
Ligne directe von Bern nach Neuenburg              von 1901 untergebrachten eigentlichen
eröffnet wurde, kreuzten sich doch die             Stellwerk, mit dem der Stellwerkwärter
beiden Linien in Kerzers.                          die Weichen und Signale bediente.

Das 1901 erbaute und 1928 erweiterte Stellwerkgebäude. Die erhöhte Lage des Stellraums war
für die Überwachung der Gleisanlage nötig und der massiv gemauerte Sockel erlaubte die Unter-
bringung des Spannwerks.

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Vom Wärterstellwerk zum historischen Stellwerk
Für den durch ein Glockensignal ange-              auf ein bestimmtes Gleis zuverlässig
meldeten Zug forderte der Fahrdienst-              gesichert.
leiter mittels einer Kurbel am Befehl-             Ursprünglich war jeder Hebel im Stell-
werk eine Fahrstrasse an, das heisst er            raum über lange Doppeldrahtzüge mit
bestimmte, über welche Weichen und                 der dazugehörenden Weiche oder dem
Geleise der Zug in den Bahnhof geführt             entsprechenden Signal verbunden. Das
werden sollte. Drahtzüge in einem                  Stellen einer Weiche oder eines Signals
Schacht unter den Geleisen der Broye-              erfolgte durch Muskelkraft. Um ein-
tal-Linie leiteten diesen Befehl ins Stell-        wandfrei zu funktionieren, mussten
werkgebäude, wo er an der Fahrstrassen-            diese Drahtzüge, deren Länge sich je
hebelgruppe angezeigt wurde. Damit                 nach Temperatur veränderte, ständig
wusste der Stellwerkwärter, welche                 gespannt sein. Im Spannraum im Erd-
Weichenhebel er an der Hebelbank zu                geschoss des Stellwerks sorgten deshalb
bedienen hatte. Ein Verschlussapparat              Gewichte und Umlenkrollen für eine
im Befehlwerk sorgte dafür, dass keine             gleichmässige Spannung der Kabel.
feindlichen Fahrstrassen eingestellt wer-          Die heutige Stellwerkapparatur stammt
den konnten. Ebenso verhinderte die                im Wesentlichen noch von 1901. Sie
Verschlussvorrichtung unterhalb der                wurde jedoch seither in mehreren
Hebelbank, dass eine angeforderte Fahr-            Schritten an die gesteigerten Anforde-
strasse im Stellwerk falsch eingestellt            rungen angepasst. Auch haben elektri-
wurde: Nur wenn die waagrechten Fahr-              sche Antriebe weitgehend die strenge
strassenlineale und die senkrechten                Muskelarbeit der Stellwerkwärter über-
Verschlussschieber korrekt zueinander              nommen. Ursprünglich für rund 40 täg-
standen, liess sich ein Signal öffnen.             liche Zugfahrten gebaut, passierten bei
Durch diese gegenseitigen Abhängig-                der Betriebsumstellung im Herbst 2004
keiten wurde die Einfahrt eines Zuges              täglich 150 Züge den Bahnhof. Im
                                                   Expojahr 2002 waren es sogar deren
                                                   230!

                                                   Das Ende und ein Neuanfang

                                                   Anlässlich der Festivitäten zum 100-jäh-
                                                   rigen Bestehen des Stellwerks hatte die
                                                   Bevölkerung von Kerzers erstmals die
                                                   Gelegenheit, dem Stellwerkwärter bei
                                                   seiner vielseitigen und verantwortungs-
                                                   vollen Arbeit über die Schultern zu
                                                   schauen und damit das Betriebsgesche-
                                                   hen aus einer ganz neuen Perspektive
                                                   zu erleben. Das Publikum war bunt
                                                   gemischt und setzte sich aus allen Alters-
                                                   und Bevölkerungsschichten zusammen.
                                                   Nach diesem Grosserfolg reifte in mir
Die vier Streckenläutwerke.                        die Idee, mich später einmal für den

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Vom Wärterstellwerk zum historischen Stellwerk
­ rhalt­des­Stellwerkes­in­seiner­Gesamt-
 E
 heit­ und­ für­ einen­ Weiterbetrieb­ als­
 ­Museum­einzusetzen.
  Es­ entstand­ ein­ erstes­ Projekt,­ welches­
  ich­ bei­ der­ damaligen­ Generaldirektion­
  der­ SBB­ zur­ Begutachtung­ einreichte.­
  Die­ Begeisterung­ hielt­ sich­ in­ engen­
  Grenzen­ und­ gipfelte­ in­ einer­ Absage.­
  Dieser­ Bescheid­ hielt­ mich­ aber­ nicht­
  davon­ab,­weiter­an­meine­Idee­zu­glau-
  ben­–­im­Gegenteil.­Nun­galt­für­mich:­
  «Jetzt­ erst­ recht!»­ Das­Amt­ für­ Kultur-
  güter­ des­ Kantons­ Freiburg­ zeigte­ auf­
  meine­Anfrage­ hin­ sofort­ Interesse­ und­
  Verständnis.­Hier­wurde­der­grosse­Wert­
  des­ Stellwerks­ als­ kulturhistorisches­
  Objekt­ auf­ Anhieb­ erfasst.­ Die­ zustän-
  dige­Denkmalpflegerin,­Carmen­Reolon,­
  wurde­ meine­ wichtigste­ Partnerin;­ zu-
  sammen­ wurden­ wir­ zu­ einem­ schlag-
  kräftigen­Team.­Sie­knüpfte­die­nötigen­
  Kontakte­ zur­ Eidgenössischen­ Denk-            Der Rollenblock mit den acht Fahrstrassenhe-
  malpflege,­ welche­ das­ Stellwerk­ 2003­        beln. Der Pfeil im zweiten Feld von links zeigt
  unter­den­Schutz­des­Bundes­stellte.­Ein­        an, dass die dazugehörende Fahrstrasse zur
  erstes,­wichtiges­Etappenziel­war­damit­         Einstellung freigegeben ist; der Befehl erfolgt
  erreicht.                                        durch Kurbeldrehung des Fahrdienstleiters.
  Der­ Ausbau­ der­ S-Bahn­ Bern­ mit­             Die übrigen Hebel sind in der Grundstellung
 dem­ Flügelzugkonzept­ auf­ der­ Achse­           (Pfeilfeld mit roter Klappe abgedeckt).
 Bern–Kerzers–Murten­ beziehungsweise­
 Neuen­burg­ machte­ umfassende­ Infra-            sierte­ Version­ der­ heutigen­ Publikums-
 strukturumbauten­ in­ Kerzers­ nötig.­ Ein­       anlagen­ und­ den­ Standort­ des­ neuen,­
  Umbau­ der­ altehrwürdigen­ Bruchsal-            elektronischen­ Stellwerkes­ zu­ reali-
  anlage­kam­von­Anfang­an­nicht­mehr­in­          sieren.­ Dank­ des­ Amts­ für­ Kulturgüter­
  Frage.­Der­gesamte­Umbau­wurde­durch­            gelang­ es­ auch,­ das­ gesamte­ Bahnhof-
  die­ BLS­ im­ Auftrag­ der­ SBB­ geplant­        ensemble­ ins­ Inventar­ der­ Regional-
  und­ ausgeführt.­ Ein­ Glücksfall­ für­ uns.­    bahnhöfe von nationaler Bedeutung­auf-
  Wir­ erhielten­ so­ sehr­ früh­ Einsicht­ in­    zunehmen.­ Dadurch­ blieb­ das­ noch­
 die­ Planung­ und­ konnten­ unsere­ Wün-          aus­ der­ Gründungszeit­ der­ Broyetal-­
 sche­ und­ Anregungen­ direkt­ einbrin-           Linie­stammende­Ensemble­gröss­tenteils­
gen.­ Damit­ stiessen­ wir­ beim­ Projekt-         erhalten.­ Vom­ ursprünglich­ geplanten­
leiter­ und­ den­ Planern­ verständlicher-         Facelifting­im­Rahmen­des­schweizweit­
weise­ nicht­ immer­ nur­ auf­ Gegenliebe.­        zur­Anwendung­kommenden­Programms­
Es­ brauchte­ viel­ Überzeugungsarbeit,­           RV­ 05­ wurden­ in­ Kerzers­ nur­ gerade­
Verhandlungsgeschick­ und­ beiderseits­            die­ Beleuchtungskandelaber­ und­ das­
­grosse­Geduld,­um­die­schliesslich­reali-         Wartehäuschen­ aus­ Glas­ verwirklicht.­

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Vom Wärterstellwerk zum historischen Stellwerk
Rechts des Rollenblocks befindet sich die Hebelbank mit den Signal- und Weichenhebeln, darunter
das mechanische Verschlussregister.

Diese beiden Elemente fügen sich trotz             Das Denkmal
moderner Architektur harmonisch ins
Ganze ein.                                         Die Teilnahme an den europäischen
                                                   Denkmaltagen 2004, mehrere Liveinter-
                                                   views am Radio, ein TV-Beitrag in
Mit 103 Jahren in den Ruhestand                    Schweiz aktuell sowie eine Diplomfach-
                                                   arbeit in Denkmalpflege des ETH-
In der Nacht vom 6. auf den 7. Okto-               Architekturstudenten Christian Hanus
ber 2004 erfolgte die von langer Hand              förderten das Interesse an unserem Pro-
sorgfältig geplante Betriebsumstellung.            jekt und halfen zusammen mit der uner-
Nach 103 Jahren treuer Pflichterfüllung            müdlichen Unterstützung des Amtes für
gingen das mechanische Befehl- und das             Kulturgüter des Kantons Freiburg mit,
Stellwerk in den wohlverdienten Ruhe-              das gesteckte hohe Ziel zu erreichen.
stand und machten einer elektronischen             Im September 2004 wurde die seit 1998
Anlage der neusten Generation Platz.               bestehende Projektgruppe Pro Stellwerk
Für das in Kerzers stationierte Personal           Kerzers aufgelöst und im Beisein von
ging damit eine Epoche endgültig zu                30 Interessierten der Verein Stellwerk
Ende. Heute wird die Betriebsführung               Kerzers gegründet.
des Bahnhofs Kerzers von Bern Bümpliz              Nun galt es, die Eigentumsverhältnisse
Nord aus ferngesteuert und überwacht.              und allfällige finanzielle Beteiligungen

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mit SBB und BLS zu klären. Zwei über­           aber auch an die Weitsicht und den Pio­
aus intensive Jahre mit unzähligen              niergeist der Ingenieure der damali­
Gesprächen, Sitzungen Korresponden­             gen Zeit. All ihnen gilt unser Dank und
zen, Telefonaten, Ortsterminen und              unsere ganze Anerkennung!
einer Volksabstimmung in Kerzers                Das historische Stellwerk Kerzers ist in
waren nötig, bis alles gütlich geregelt         seiner Art einzigartig in der Schweiz. Es
war. Am 24. Juli 2007 erfolgte dann die         kann auf Anfrage von Gruppen besucht
langersehnte Vertragsunterzeichnung.            und besichtigt werden. Dabei sind immer
Die Gemeinde Kerzers ist neue Besit­            noch sämtliche Manipulationen ausführ­
zerin und der Verein Stellwerk Kerzers          bar, welche es früher für einen geordne­
erhielt über eine schriftliche Vereinba­        ten und sicheren Betriebsablauf brauchte.
rung das Betreiber­ und Nutzungsrecht.          Dies ermöglicht auch dem Laien, die auf
Die Bilanz der ersten sechs Vereinsjahre        den ersten Blick komplizierten mecha­
ist überaus positiv: Der Verein zählt           nischen Vorgänge und Abläufe in ihrer
bereits über 100 Mitglieder. In über            Gesamtheit zu erfassen und zu begrei­
190 Führungen besuchten mehr als                fen.
2900 Personen das historische Stell­            Informationen unter www.stellwerk­
werk, und in über 2200 Stunden Fron­            kerzers.ch
dienst wurden die nötigen Revisions­,
Unterhalts­ und Sanierungsarbeiten er­
bracht.                                         Beat Winterberger ist Gründer und Präsident des Vereins
                                                Stellwerk Kerzers.
So lebt unser Stellwerk weiter und wird
auch nachfolgenden Generationen Zeug­
nis ablegen von längst vergangenen
Zeiten, von einer überaus faszinierenden        Literatur:
Epoche, als die Eisenbahn noch Eisen­           Alain Robiolio/François Guex: Das Stellwerk im
bahn war. Und es erinnert an die Gene­          Bahnhof Kerzers, in: Patrimoine fribourgeois/Freiburger
                                                Kulturgüter, 15/2003.
rationen von Eisenbahnern, welche treu          Christian Hanus: Geschichte der Eisenbahnsicherungs­
und pflichtbewusst ihren Job machten,           technik, Zürich 2007.

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