Recht der Natur Schnellbrief Nr. 225 März/April 2021 - SDW Schutzgemeinschaft Deutscher Wald ...
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ISSN 0946-1671 Recht der Natur Schnellbrief Nr. 225 März/April 2021 IDUR im Internet: www.idur.de EuGH stärkt Individualbezug der Aus der Anfragenpraxis: Vogelschutz- und FFH-Richtlinien die Außenbereichssatzung nach § 35 Abs. 6 BauGB In einem Urteil vom 4.3.2021 auf Vorlage eines schwedischen Gerichts hat der EuGH entschie- Wegen des anhaltenden Immobilienbooms nut- den, dass die Tötungs-, Fang- und Schädigungs- zen viele Gemeinden auch rechtlich fragwürdige verbote der FFH- und Vogelschutzrichtlinien nicht Mittel, um mehr Bauland auszuweisen. Eines der nur bei schlechtem Erhaltungszustand der Art gel- einschlägigen Instrumente ist die sog. Außenbe- ten, sondern sich auch auf die einzelnen Tiere der reichssatzung. In einem hessischen Fall haben geschützten Arten beziehen. Das Urteil wird Aus- nun beharrliche Beschwerden des BUND die Auf- wirkungen auf den Artenschutz in Deutschland sichtsbehörde zur Einleitung eines Normenkon- haben. trollverfahrens veranlasst. Seite……………..………………………….........14 Seite………………………..……..…..................22 Die novellierte EU-Richtlinie zur Umweltver- Buchbesprechung träglichkeitsprüfung: Unterstützendes Ele- • Löffler, Lisa, Integrierter Schutz vor gefähr- ment für einen nachhaltigen Klimaschutz lichen Stoffen – Auswirkungen und Opera- Die Änderung der EU-UVP-Richtlinie von 2014 tionalisierung der REACH-Verordnung im betont u.a. die Herausforderung des Klimawan- Wasser – und Immissionsschutzrecht dels und erwähnt Klima ausdrücklich als Schutz- Seite…………………………….………..…....….23 gut. In der Praxis der Umweltverträglichkeitsprü- fungen ist diese Aufwertung des Klimaschutzes Veranstaltungshinweis aber noch kaum angekommen. Die Autorin ana- lysiert die Defizite und die Chancen für eine stär- • 35. Deutscher Naturschutztag kere Berücksichtigung des Themas. Motto: „STADT-LAND-FLUSS – welche Seite……………..…………….………….………16 Natur wollen wir?“ Zeit und Ort: 31.5. - 2.6.2021, Wiesbaden Aus der Anfragenpraxis: Seite…………………………….…..………....….24 Sind Windkraftanlagen schlecht für das (Grund-)Wasser? In eigener Sache Zunehmend wird in Auseinandersetzungen um • Einladung zur Jahresmitgliederversamm- Windenergieanlagen das Argument des Gewäs- lung 2021 des IDUR am 28.5.2021. serschutzes, insbesondere eine mögliche Gefahr Videokonferenz, Beginn 17 Uhr für Trinkwasserbrunnen oder ein Verstoß gegen das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot, Seite…………………………….………..…....….24 thematisiert. In diesem Beitrag werden aus an- waltlicher Sicht die in Frage kommenden Kriterien und ihre Bedeutung für Klageverfahren erläutert. Seite…………………………….…………...……18
14 Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021 EuGH stärkt Individualbezug der und ersuchten sie, sowohl gegen die Abholzungs- Vogelschutz- und FFH-Richtlinien anmeldung als auch gegen die Stellungnahme der Forstverwaltung vorzugehen. Allerdings ver- Von Annika Domnick, Wetzlar stießen die genannten Maßnahmen nach Mei- nung der Behörde nicht gegen die in der schwe- - EuGH, Urteil vom 04.03.2021 – Rechts- dischen Artenschutz-VO niedergelegten Verbote, sachen C-473/19 und C-474/19 - sodass sie im Ergebnis nicht tätig wurde. In der Entscheidung vom 04. März 2021 äußerte Gegen diese Untätigkeit der Provinzverwaltung sich der EuGH zu zwei übergeordneten Fragen klagten die oben genannten Vereine beim vorle- des Artenschutzrechts: zum einen, ob die Anwen- genden Gericht. dung der artenschutzrechtlichen Verbote (des Art. 12 Abs. 1 FFH-[=Habitat-]Richtlinie) davon ab- II. Inhalt der Entscheidung hängen kann, dass die fragliche Maßnahme den Die Kammer für Land- und Umweltangelegenhei- Erhaltungszustand einer Art beeinträchtigt. Zum ten des Gerichts erster Instanz Vänersborg, anderen war zu klären, ob der strenge Schutz der Schweden, legte dem EuGH das Verfahren mit artenschutzrechtlichen Verbote der Habitat- so- den im Folgenden verkürzt dargestellten Rechts- wie der Vogelschutz-RL nicht (mehr) für Arten gilt, fragen vor: die das Richtlinienziel, also den günstigen Erhal- tungszustand, erreicht haben. 1. Auf welche Arten beziehen sich die Verbote des Art. 5 Vogelschutz-RL? I. Hintergrund der Entscheidung 2. Liegt in Fällen, in denen mit der Maßnahme offensichtlich ein anderes Ziel erreicht wer- Im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren den soll als das „absichtliche Stören/Tö- geht es in der Sache um eine Streitigkeit zwi- ten/Zerstören“ erst dann „Absicht“ vor, schen mehreren schwedischen Natur- und Um- wenn ein Risiko besteht, dass sich die Maß- weltschutzorganisationen („Föreningen Skydda nahme negativ auf den Erhaltungszustand Skogen“, „Naturskyddsföreningen i Härryda“ und der Art auswirkt? Gilt der Schutz auch für „Göteborgs Ornitologiska Föreningen“) und der solche Arten, die einen günstigen Erhal- Provinzverwaltung Västra Götaland („Länsstyrel- tungszustand erreicht haben? sen i Västra Götalands län“). Diese begann mit ei- 3. Soweit Frage 2 dahin beantwortet wird, ner Abholzungsanmeldung bei der nationalen dass ein Schaden auf einer anderen Ebene schwedischen Forstverwaltung, die ein Waldge- als der Ebene des Individuums zu beurtei- biet in der Gemeinde Härryda betraf. In diesem len ist, damit das Verbot Anwendung findet, Areal sollte ein Kahlschlag stattfinden, was einer auf welcher Ebene ist die Beurteilung dann Entfernung praktisch aller Bäume gleichkommt. vorzunehmen? Allerdings ist das betrof-fene Waldgebiet Lebens- 4. Schließt Art. 12 Abs. 1 Habitat-RL eine in- raum verschiedener Arten (Kleinspecht, Auer- nerstaatliche Praxis aus, die das Verbot erst huhn, Weidenmeise, Wintergoldhähnchen, Tan- dann anwendet, wenn die kontinuierliche nenmeise und Moor-frosch), die durch die schwe- ökologische Funktionalität des Lebens- dische Artenschutzverordnung geschützt sind. raums trotz Versorgungsmaßnahmen verlo- § 4 Abs. 1 dieser Artenschutz-VO setzt neben ren geht? Art. 5 lit. a-d der Vogelschutz-RL auch 5. Soweit die Frage 4 verneint wird, d. h., ein Art. 12 Abs. 1 Habitat-RL um. Schaden auf einer anderen Ebene als der Die nationale Forstverwaltung erließ im Zusam- des Lebensraums innerhalb des einzelnen menhang mit der Abholzung Leitlinien, die zu er- Gebiets zu beurteilen ist, damit das Verbot greifende Vorsorgemaßnahmen enthielten. Wür- Anwendung findet, auf welcher Ebene ist den diese befolgt, seien der Forstverwaltung zu- die Beurteilung dann vorzunehmen? folge keine Verstöße gegen die Artenschutz-VO zu befürchten. Problematisch ist in diesem Zu- Vorlagefrage 1: Bezugspunkt der Verbote des sammenhang jedoch, dass diese Leitlinien ledig- Art. 5 Vogelschutz-RL lich eine Empfehlung sind und somit keine recht- Das vorlegende Gericht stellte zunächst die liche Bindungswirkung entfalten. Frage, ob sich die Verbote des Art. 5 Vogel- Am 22.12.2016 sowie am 17.01.2018 kontaktier- schutz-RL nur auf die in Anhang I dieser Richtlinie ten die Natur- und Umweltschutzorganisationen genannten Arten und/oder nur auf ( irgendeier die Provinzverwaltung Västra Götaland als für Ebene) bedrohte Arten und/oder nur auf Popula- den Artenschutz zuständige Aufsichtsbehörde tionen, die längerfristig rückläufig sind, beziehen.
Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021 15 Zur Klärung dieser Frage betrachtete der EuGH delnde den Fang oder die Tötung eines Exemp- zunächst den Wortlaut der Vorschrift, demzufolge lars einer geschützten Tierart zumindest in Kauf sich Art. 5 Vogelschutz-RL auf alle unter genommen hat. Diese Definition könne auf Art. 12 Art. 1 Vogelschutz-RL fallenden Arten bezieht. I Habitat-RL insgesamt angewendet werden. Hier Das sind wiederum alle in einem der Mitglieds- könne gerade nicht der Erhaltungszustand maß- staaten der Europäischen Union heimischen Vo- geblich sein; vielmehr sei auf die Individualebene gelarten. abzustellen. In erster Linie spreche der Wortlaut der Norm für den Individualbezug: die Mitglieds- Weiterhin sei Art. 3 Vogelschutz-RL in die Argu- staaten werden verpflichtet, konkret „Exemplare“ mentation einzubeziehen; dieser enthält die allge- und „Eier“ zu schützen, nicht abstrakt zum Schutz meine Verpflichtung, einen vollständigen und der Population beizutragen. Außerdem sei die wirksamen Schutz der wildlebenden Vogelarten Frage nach dem Erhaltungszustand der Popula- zu schaffen. Auch bei dieser Norm wird der Bezug tion, auf den der erste Teil der Frage Bezug zu Art. 1 Vogelschutz-RL hergestellt, was dafür nimmt, erst im Rahmen der Ausnahmeerteilung spreche, bei Art. 5 Vogelschutz-RL denselben nach Art. 16 Habitat-RL zu stellen. Würde die An- Maßstab anzulegen. Auch sei die Erhaltung von wendbarkeit der Verbote des Art. 12 I a-c Habitat- Zugvogelarten als gemeinschaftliches Erbe ein RL vom Erhaltungszustand der Art abhängig ge- wichtiges Argument für den weitreichenden macht, würde dadurch die in Art. 16 Habitat-RL Schutz möglichst vieler Arten. vorgesehene Prüfung umgangen. Das würde wie- Weder in systematischer, noch in teleologischer derum Art. 16 Habitat-RL seiner Wirksamkeit be- Hinsicht, so der EuGH, sei eine Beschränkung rauben, was ihn insgesamt obsolet machen des Schutzumfangs auf Vogelarten, die einer der würde. drei in der Frage genannten Kategorien unterfal- Somit sei nicht lediglich auf einen schlechten Er- len, vertretbar. Insbesondere sei bezüglich der haltungszustand der Art abzustellen, vielmehr dritten “Kategorie“ (längerfristig rückläufige Popu- entfalteten die Schutzbestimmungen auch für sol- lation) anzumerken, dass die Frage des Erhal- che Arten Wirkung, die bereits den angestrebten tungszustands, die die Einschätzung des Popula- günstigen Erhaltungszustand erreicht haben. Das tionszustandes betrifft, erst auf der nachfolgen- sei gerade auch vor dem Hintergrund logisch, den Ebene der Ausnahmeregelungen des Art. 9 dass sonst wieder eine Verschlechterung des Er- Vogelschutz-RL gestellt werden dürfe. haltungszustands eintreten könnte, die einen ver- Somit stehe eine staatliche Praxis, die diese Kri- besserten Schutz wieder nötig machen würde. terien zugrunde legt, Art. 5 I Vogelschutz-RL ent- Ein solches „Hin und Her“ könne nicht erwünscht gegen. sein. Vorlagefrage 2: Absichtsbegriff und Schutz- Vorlagefrage 3: Ebene, auf der der negative umfang bei Art. 12 Abs. 1 Habitat-RL Erhaltungszustand vorliegen muss An dieser Stelle weist das Gericht darauf hin, Die dritte Vorlagefrage bezog sich auf die Ebene, dass § 4 der schwedischen Artenschutzverord- auf der sich der Schaden (negativer Erhaltungs- nung nicht zwischen dem in Art. 5 Vogelschutz- zustand) hätte auswirken müssen. Da jedoch be- RL verwendeten und dem Art. 12 I Habitat-RL zu- reits bei der Beantwortung der zweiten Vorlage- grundeliegenden Absichtsbegriff unterscheidet. frage klargestellt wurde, dass maßgeblich auf das Das ist insofern von Bedeutung, als grundsätzlich Individuum abzustellen ist, bedurfte die dritte Vor- kein zwingend einheitliches Schutzniveau zwi- lagefrage keiner gesonderten Antwort. schen Vogelschutz- und Habitat-RL besteht. Al- lerdings ist eine Anordnung eines höheren Vorlagefrage 4: Auslegung „Vernichtung/Be- Schutzniveaus in den Mitgliedsstaaten laut schädigung“ bezogen auf Fortpflanzungsstät- Rechtsprechung des EuGH möglich. ten und natürliche Lebensräume Zum Absichtsbegriff selbst stellt das Gericht zu- Hier weist das Gericht zunächst darauf hin, dass nächst fest, dass dieser in seiner in der Habitat- der strenge Schutz des Art. 12 I d Habitat-RL ein RL verwendeten Form bereits durch das Urteil Verbot „jede(r) Beschädigung oder Vernichtung vom 18.05.2006 (Kommission/Spanien, C- der Fortpflanzungs- und Ruhestätten“ umfasst. 221/04) zu Caretta caretta geprägt wurde. Die- Somit spreche der Wortlaut des Art. 12 I d Habi- sem Urteil entsprechend liegt Absicht im Sinne tat-RL klar gegen eine Beschränkung des Verbots des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Habitat-RL dann vor, auf absichtliche Handlungen. Es bestehe zudem wenn nachgewiesen werden kann, dass der Han- keine Abhängigkeit vom Erhaltungszustand der Art. Weiterhin bezieht das Gericht Teile des
16 Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021 Schlussantrags der Generalanwältin mit ein und Die novellierte EU-Richtlinie zur Umweltver- macht sich diese zu eigen: für die Wirkung des träglichkeitsprüfung: Unterstützendes Ele- Verbots seien Stabilität und Größe einer Popula- ment für einen nachhaltigen Klimaschutz tion gerade nicht maßgeblich. Von Annika Schyschka, Salzburg Zudem sei auch hier, ebenso wie im Rahmen von Vorlagefrage 2, auf die Individualebene und ge- Der Klimawandel ist eines der größten Herausfor- rade nicht auf den Erhaltungszustand abzustel- derungen des 21. Jahrhunderts und erfährt auch len, da dessen Einbeziehung auf dieser Ebene in der EU einen immer höheren Stellenwert. In der die Prüfung der Ausnahmemöglichkeiten des Art. europäischen Umwelt- und Klimapolitik gilt v.a. 16 Habitat-RL aushebeln würde. das Vorsorgeprinzip als wesentliche Leitlinie, die Somit sei eine derartige innerstaatliche Praxis, die sich in der Vielzahl an Rechtsvorschriften, harten auf den Verlust der kontinuierlichen ökologischen (verpflichtenden) Instrumenten sowie „weichen Funktionalität des Lebensraums abstellt, von Ansätzen“ widerspiegelt. Durch ambitionierte Art. 16 Habitat-RL ausgeschlossen. Ziele erreichte die EU auf internationaler Ebene eine Vorreiterrolle im Kampf gegen den Klima- Vorlagefrage 5: Anwendungsumfang des Ver- wandel und ist bis heute die ehrgeizigste Klimaak- bots teurin. Nichtsdestotrotz steht auch Europa im Kampf gegen den Klimawandel vor noch nie da- Die fünfte Vorlagefrage bezog sich auf den An- gewesenen Herausforderungen. Eine Analyse wendungsumfang des Verbots aus Art. 12 I Habi- der Europäischen Umweltagentur (EUA) aus dem tat-RL. Da dieser durch das Gericht schon bei der Jahr 2019 offenbart, dass die EU ihre langfristigen Beantwortung der Vorlagefrage 4 festgelegt um-weltrelevanten Ziele unter den derzeitigen wurde (jedes Gebiet sei individuell zu betrachten), Voraussetzungen verfehlen wird. Die EUA fordert konnte eine umfassende Beschäftigung mit der deshalb einerseits einen Paradigmenwechsel, auf Frage dahinstehen. der anderen Seite legt sie dar, dass der Klima- wandel gleichzeitig ein großes Potenzial birgt. Um III. Fazit dieser Herausforderung zu begegnen, sind für die Im Ergebnis wird durch das Urteil des EuGH der zukünftige politische Vorgehensweise weiterhin Individualbezug der Vogelschutz- und der Habi- auch die klassischen bzw. etablierten Instrumente tat-RL verfestigt und ausgeweitet. Diese Auswei- der Umweltpolitik von wesentlicher Bedeutung. tung ist gleichzeitig eine Absage an die abwä- Eines dieser umweltvorsorgenden Instrumente ist gende Populationsbetrachtung, die insbesondere die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Die die Generalanwältin Kokott in ihrem Schlussan- entsprechende Richtlinie (RL) wurde von der EU trag als praxistauglichen Kompromiss vorge- am 16. April 2014 novelliert und zielte u.a. sowohl schlagen hatte. auf eine Qualitätsverbesserung in der vorsorgen- den Umweltwirksamkeit als auch auf die ver- Mögliche Konsequenzen sind insbesondere be- stärkte Aufnahme des Klimawandels in die UVP- züglich der Einteilung in „planungsrelevante Ar- Verfahren ab. Die RL musste bis 2017 in nationa- ten“ und „sonstige Arten“ (Allerweltsarten) zu er- les Recht umgesetzt werden. warten, die das BVerwG mit seinem Beschluss 9 B 25/17 eingeführt hat. Eine solche Unterschei- 1. Das Vorsorgeprinzip dung ist mit diesem Verständnis von Art. 5 Vogel- schutz-RL nicht zu vereinbaren. Das aus dem Umweltrecht entstandene Vorsor- geprinzip wurde 1992 in den primärrechtlichen Auch die sogenannte „gute fachliche Praxis“, auf Vertrag von Maastricht aufgenommen und ist seit- die insbesondere in der Land- und Forstwirtschaft dem eine wesentliche Leitlinie der EU- abgestellt wird, könnte nunmehr auf den Prüf- Umweltpolitik. Das Prinzip der Vorsorge zählt in stand gestellt werden. der europäischen Handlungsweise zu einem all- Welche tatsächlichen Konsequenzen das Urteil gemeingültigen Grundsatz und soll bei Risikofäl- des EuGH noch nach sich ziehen wird, bleibt al- len die Gesundheit von Mensch, Umwelt, Fauna lerdings abzuwarten. und Flora sowie die Umwelt mittels präventiver Maßnahmen schützen. Ausschlaggebend ist v.a. ein Grund zur Besorgnis, obwohl zugleich eine unsichere bzw. unvollständige wissenschaftliche Datengrundlage vorliegt. Auch über die EU hin- aus, international wie national, ist das Vorsorge- prinzip ein wesentliches Element geworden.
Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021 17 2. Die Umweltverträglichkeitsprüfung geprüft werden, fehlt es nach Ansicht einiger Ex- perten an einer vorsorgeorientierten Auslegung Basierend auf dem Vorsorgeprinzip ist die EU ein der Fachgesetze. Wie hoch diese tatsächlich ist, entscheidender Treiber für nationale Umweltpoli- ist v.a. auch länderabhängig. Beispielsweise exis- tik geworden. Ein lang etabliertes, umweltvorsor- tieren in Österreich strengere Lärmgrenzwerte als gendes Instrument ist die „Richtlinie 2014/52/EU in Deutschland, wodurch in den beiden Ländern über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei be- unabhängig von einer UVP unterschiedlich vor- stimmten öffentlichen und privaten Projekten“. Es sorglich gehandelt wird. handelt sich hier um ein gesondertes Umweltver- fahrensrecht, das auf eine hohe und wirksame Im Rahmen der Arbeit konnten jedoch auch Mög- Umweltvorsorge abzielt. Im Gegenteil zur Strate- lichkeiten für eine verbesserte Umweltvorsorge im gischen Umweltprüfung (SUP) untersucht die Rahmen der UVP-Praxis identifiziert werden. UVP die Umweltauswirkungen für ein konkretes Damit ein standardmäßig gleiches Umweltschutz- Vorhaben. Nach einer im Rahmen meiner Master- niveau bei allen UVP-pflichtigen Vorhaben er- arbeit durchgeführten Analyse konnte festgestellt reicht wird, sind die Findung von Kriterien für eine werden, dass die UVP-RL das Vorsorgeprinzip in methodische Bewertung vorstellbar. Die Kriterien jedem Fall widerspiegelt. Um die tatsächliche Um- sollten querschnittsorientiert und losgelöst von welt-wirksamkeit, die insbesondere durch die No- denen in den Fachgesetzen sein. Außerdem vellierung erhöht werden sollte, in der Praxis zu sollte der Bewertungsmaßstab klare Ziele für ei- untersuchen, wurden im Rahmen von mehreren nen vorsorgenden Umweltschutz enthalten. Denn qualitativen Interviews Experten aus Deutschland wenn es gelingt, einheitliche Prüfschemata anzu- und Österreich befragt, die mit der praktischen wenden, kann die UVP in eine klare Richtung – Handhabung der UVP vertraut sind. hin zu einer vorsorgenden Umweltwirksamkeit – Es stellte sich in der Durchführung ein unter- geleitet werden. schiedlich vorsorglicher Umgang heraus. Grund- Solch ein weicher Ansatz einer methodischen Be- sätzlich wird das Ziel einer hohen Umweltvor- wertung von Schutzgütern anhand von Kriterien sorge aufgrund der querschnittsorientierten Aus- könnte für alle Beteiligten des UVP-Verfahrens richtung und der hohen Standards in den UVP- entlastend wirken und eine hohe und wirksame Verfahren erreicht. Eine Differenz zeigte sich je- Umweltvorsorge unabhängig vom Antragssteller, doch in der Effektivität einer um-weltvorsorgen- der Größe des Vorhabens und den Fachgesetzen den Wirksamkeit. Diese steht häufig in unmittel- gewährleisten. barer Abhängigkeit vom Antragsteller, der Größe des Projektes und den Fachgesetzen. Bekundet 3. Schutzgut Klima der Antragsteller ein hohes Interesse am Umwelt- schutz, ist er von vorneherein eher bereit, Antwor- Obwohl die EU nach Analyse der EUA ihre um- ten zu sensiblen Themen zu liefern, und geht ggf. weltrelevanten Ziele verfehlen wird, ist sich die auch über die Mindestregelungen im UVP-Gesetz Union des dringenden Handlungsbedarfs be- hinaus. Eine Tendenz ließ sich auch bei der wusst und handlungswillig. Neben der Notwen- Größe von UVP-pflichtigen Vorhaben feststellen. digkeit, den Europäischen Grünen Deal weiter zu Je größer ein Projekt, desto sorgfältiger und um- stärken, die Zielsetzungen zu erhöhen sowie fangreicher wird gearbeitet. Eine Rolle spielt hier neue, innovative Ansätze einzufügen, wurde im v.a. auch die Öffentlichkeit einschl. medialer Be- Rahmen der Arbeit die verstärkte Aufnahme des richterstattung, weil diese einen sanften Druck auf Klimawandels in die novellierte UVP-Richtlinie den Antragsteller ausüben kann. Bei kleineren untersucht. Es wurde die Frage aufgeworfen, ob UVP-pflichtigen Vorhaben versucht der Antrag- die UVP ein unterstützendes Element für einen steller tendenziell häufiger, eine UVP zu vermei- nachhaltigen Klimaschutz ist. den. Bei der Durchführung einer UVP ist die Be- Zwar wurde der Klimawandel bereits vor der No- reitschaft für zusätzliche Maßnahmen deutlich ge- vellierung in der RL mitbedacht, allerdings wird er ringer und die Ausführung wird auf ein Mindest- auch jetzt noch wenig in der Praxis der UVP- maß reduziert. Dies führt wiederum nicht nur zu Verfahren berücksichtigt. Die Gründe liegen in einem Qualitätsdefizit, sondern dabei ist auch der erster Linie in der fehlenden Begriffsauslegung, Mehrwert für die Umwelt in Relation zu dem ho- einem fehlenden Bewusstsein des Antragstellers hen Aufwand nicht erkennbar. und in der Prognoseunsicherheit. Jedoch auch Eine hemmende Wirkung für den umweltvorsor- wenn der Klimawandel in den UVP-Verfahren genden Mehrwert geht ebenfalls von den Fachge- stärker berücksichtigt würde, ist der reelle Beitrag setzen aus. Obwohl in den UVP-Verfahren die zum Klimaschutz durch die UVP nur bedingt ge- fachgesetzlichen Vorschriften und Regelungen geben. Dies liegt daran, dass Klimaschutz auf die
18 Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021 Minderung von Treibhausgasen abzielt, sodass diese Technologie nicht frei von Angriffspunkten. sich klimaschützende Maßnahmen in erster Linie In nicht wenigen Fällen wird um die Genehmigung bei verbesserten technischen Innovationen zur bzw. die Genehmigungsfähigkeit von Windener- Energieeinsparung sowie beim Erhalt und der gieanlagen (WEA) heftig gestritten. Die Motiva- Aufforstung natürlicher Kohlenstoffsenken kon- tion für den Angriff auf Genehmigungen oder die kretisieren. Zudem ist die UVP ein sog. Verfah- Verhinderung von Genehmigungslagen kann da- rensrecht, das weder harte Genehmigungskrite- bei ganz unterschiedlicher Natur sein. Je nach rien enthält noch rechtliche Konsequenzen für Einzelfall kann die Kritik an Vorhaben inhaltlich eine Genehmigung nach sich zieht. Obwohl auch durchaus gerechtfertigt sein. Sie kann aber auch die novellierte Fassung der UVP nicht nennens- genauso gut nur Ausdruck der Abneigung gegen- wert zu einem verbesserten Klimaschutz beiträgt, über der Windkraftnutzung allgemein sein, ohne liegt das Potenzial bei Anpassungsmöglichkeiten dass es belastbare Argumente für eine Freihal- an den Klimawandel. Durch Arbeitspapiere bzw. tung von Flächen vor WEA gibt. Auch den IDUR Checklisten, ähnlich dem Umsetzungs-Ansatz erreichen aus den Reihen seiner Mitgliedsver- beim Vorsorgeprinzip, könnten Leitlinien festge- bände immer wieder Anfragen zur Genehmi- legt werden, die standardisiert eine Orientie- gungsfähigkeit von WEA, mal in unterstützen- rungshilfe zur Berücksichtigung des Klimawan- dem, mal in abwehrendem Sinne. dels leisten. Jüngst erhielt der IDUR eine Anfrage zur Rele- vanz der Vorschriften von Wasserschutzgebieten 4. Zusammenfassung zum Zweck des Trinkwasserschutzes und der Insgesamt brachte die novellierte UVP-RL keine Vorschriften über die wasserrechtlichen Bewirt- wesentlichen Veränderungen mit sich. Eine ange- schaftungsziele bei der Planung von WEA- strebte Qualitätsverbesserung der vorsorgenden Vorrangflächen bzw. im Rahmen von immissions- Umweltwirksamkeit und die verstärkte Aufnahme schutzrechtlichen Genehmigungsverfahren für des Klimawandels haben bislang wenig bis keine WEA. Diese Anfrage bietet Anlass, das Verhältnis aufwertenden Auswirkungen in der Verwaltungs- von Windenergieanlagenzulassung zum Wasser- praxis. Die tatsächliche Umweltvorsorge ist zwar schutz etwas näher zu beleuchtet. möglich, allerdings stark von verschiedenen Fak- Die Errichtung und der Betrieb einer WEA als im- toren abhängig. Um deshalb eine standardmäßig missionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige hohe Wirksamkeit für alle UVP-pflichtigen Vorha- Anlage darf nur zugelassen werden, wenn die Ge- ben zu gewährleisten, ist weiterhin Optimierungs- nehmigungsvoraussetzungen des § 6 BImSchG bedarf gegeben. erfüllt sind. Wenn ein entsprechender Antrag ge- Nichtsdestotrotz hat sich die UVP als Vorsorgein- stellt wurde für ein Vorhaben, bei dem nämlich si- strument seit jeher kontinuierlich weiterentwickelt chergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG und spielt auch in der zukünftigen Entwicklung der und einer auf Grund des § 7 BImSchG erlassenen europäischen Umwelt- und Klimapolitik eine wich- Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt tige Rolle. Durch weitere Optimierungen kann die werden und andere öffentlich-rechtliche Vor- UVP in der Zukunft auch einen Beitrag zum Errei- schriften und Belange des Arbeitsschutzes der chen der ambitionierten, umweltrelevanten Ziele Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht ent- leisten, damit die EU den dringenden Paradig- gegenstehen, besteht nach § 6 Abs. 1 BImSchG menwechsel schafft. allerdings auch zugleich ein Anspruch auf Ertei- lung der Genehmigung. Zu dem Kreis der ande- ren öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die dem Bau und Betrieb von WEA entgegenstehen kön- Aus der Anfragenpraxis: nen, zählen alle nicht immissionsschutzrechtli- Sind Windkraftanlagen schlecht für das chen Vorschriften, also auch die Vorschriften über (Grund-)Wasser? Wasserschutzgebiete und auch die Bestimmun- Von RA Tobias Kroll, Frankfurt a.M. gen über die wasserrechtlichen Bewirtschaf- tungsziele. Das bedeutet im Klartext also, dass Windkraftanlagen sind aktuell der modernste vom rechtlichen Ansatz her auch die Vorschriften Zankapfel der Energiegewinnung, nicht nur in der des Wasserrechts einer WEA-Genehmigung Bevölkerung, sondern auch zwischen Umwelt- Probleme bereiten oder diese auch unmöglich schützern. Allein unter dem Gesichtspunkt des machen können. Ob das Wasserrecht für die Klimaschutzes gibt es zwar nichts, was man der WEA-Genehmigung tatsächlich zum Problem o- Nutzung der Windenergie entgegenhalten kann. der, anders ausgedrückt, der Bau und Betrieb von Unter anderen Gesichtspunkten ist aber auch WEA Gewässern schadet, ist aber eine Frage des konkreten Einzelfalls.
Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021 19 Die Beantwortung dieser Frage im Einzelfall der damit vorgenommenen Bodenveränderung. hängt einerseits von den Wirkungen von WEA ab Dabei können einzelne Auswirkungen in ihrer In- und andererseits von den Gegebenheiten im Be- tensität mit der Zeit abflauen, etwa hinsichtlich der reich der Anlagenstandorte und von der an die Mobilisierung und Auswaschung von Schadstof- Gegebenheiten anknüpfenden rechtlichen Einstu- fen. Dafür, dass darüber hinaus allein wegen der fung und den ggfs. dwaraus folgenden Restriktio- Existenz eines Turmbauwerkes Auswirkungen nen. auf umliegende Oberflächengewässer (etwa in Folge von Verschattung) auftreten können, hat Wirkungen von WEA der Autor bislang keinerlei Anhaltspunkte. Trotz- dem mag es gesondert gelagerte Einzelfälle ge- Die Wirkungen von WEA können unterschieden ben, in denen derartiges nicht auszuschließen ist. werden in baubedingte, anlagenbedingte und be- triebsbedingte Auswirkungen. Von besonderer Betriebsbedingte Auswirkungen von WEA auf das Relevanz in wasserrechtlicher Hinsicht sind vor Grundwasser dürften mit Ausnahme eines Unfalls allem die baubedingten Wirkfaktoren. mit Freisetzung von wassergefährdenden Stof- fen, die für den Betrieb einer WEA je nach Anla- Zu den baubedingten Auswirkungen bei WEA ge- gentyp erforderlich sein können, nicht zu erwarten hören, wie bei jeder Bautätigkeit, insbesondere sein. Dafür, dass aus der Rotorbewegung resul- Veränderungen der vorhandenen Bodenstruktur tierende Verschattungs- oder Discoeffekte Aus- durch Bodenaushub, Bodenverlagerung und Bo- wirkungen auf die wasserrechtlich relevante Qua- denüberdeckung bzw. Versiegelung einschließ- lität von umliegenden Oberflächengewässern ha- lich der Veränderung der vorhandenen Vegeta- ben könnte, hat der Autor bislang ebenfalls kei- tion am jeweiligen Standort und zwar sowohl für nerlei Anhaltspunkte. Das schließt indes nicht die dauerhafte als auch für die vorübergehende aus, dass es im Einzelfall gleichwohl ein Wir- Inanspruchnahme von Flächen. Mit der Verände- kungsgefüge geben könnte. rung der Bodenstruktur und der Vegetation gehen notwendigerweise Veränderungen bei den Bo- Gegebenheiten am Anlagenstandort denfunktionen einher. So dürfte die Bodenbear- beitung regelmäßig zu Änderungen der Filterwir- Welche Auswirkungen sich im Einzelfall bemerk- kung des vorhandenen Bodens führen, so dass bar machen, hängt nicht nur von der jeweiligen etwa Luftschadstoffe, die auf den bearbeiteten auslösenden Tätigkeit bzw. Maßnahme ab, son- Flächen deponieren, nicht mehr vom Bodensub- dern insbesondere auch davon, welche Gege- strat und/oder der vormals aufstockenden Vege- benheiten am Anlagenstandort vorherrschen. So tation aufgenommen bzw. zurückgehalten wer- liegt es etwa mit Blick auf Quellschüttungen oder den können. Auch können etwa im Boden vorhan- Oberflächengewässer auf der Hand, dass diese dene und vormals zurückgehaltene Schadstoffe nur beeinträchtigt werden können, wenn solche durch verschiedene physikalische und chemische am Anlagenstandort oder in der Wirkweite der Prozesse erstmals entstehen, mobilisiert oder Auswirkungen überhaupt vorhanden sind. In der ausgewaschen werden. Darüber hinaus ist im Be- überwiegenden Mehrzahl der Fälle, dürften diese reich der Bodenbearbeitung mit Veränderung der Schutzgüter nicht betroffen sein. Anders sieht es Versickerungsfähigkeit von Niederschlagswasser hingegen mit dem Grundwasser aus. Als Grund- zu rechnen. Im Einzelfall kann es durch diese Tä- wasser definiert § 3 Nr. 3 WHG das unterirdische tigkeiten auch zu unmittelbaren Veränderungen Wasser in der Sättigungszone, das in unmittelba- von Quellschüttungen oder von Oberflächenge- rer Berührung mit dem Boden oder dem Unter- wässern kommen. Und schließlich besteht bei grund steht. Da Wasser im Boden der Schwer- Bauarbeiten immer die Möglichkeit des Eintrages kraft folgend in immer tiefere Schichten versickert, von Schadstoffen durch unsachgemäßen Einsatz ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Ver- von oder Unfällen an und mit Baustellenfahrzeu- änderungen des Bodens dazu führen, dass Nie- gen und -geräten. Wie weit diese Auswirkungen derschlagswasser an einem Anlagenstandort räumlich reichen und welche Qualität diese Aus- auch in das Grundwasser gelangt. Das kann nur wirkungen auf vornehmlich das Grundwasser, in den Fällen anders sein, in dem die Schichten- aber auch Oberflächengewässer haben, hängt folge im Boden dazu führt, dass Niederschlags- maßgeblich von den Gegebenheiten am Anlagen- wasser nicht in das Grundwasser gelangen kann, standort ab (siehe unten). sondern als Hang- oder Schichtenwasser unmit- telbar in ein Fließgewässer geleitet wird, etwa Die anlagenbedingten Auswirkungen setzen die wenn es tonige Sperrschichten gibt. In diesem zuvor beschriebenen baubedingten Auswirkun- Fall wären unter besonderen Umständen auch gen im Grunde fort, zumindest für die Dauer der Auswirkungen für das jeweilige Fließgewässer Existenz des Vorhandenseins der Anlagen und denkbar. Mit Blick auf das an einem Standort in
20 Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021 das Grundwasser versickernde Niederschlags- nach der Rechtsprechung des Bundesverwal- wasser hängt es wiederum von den geologischen tungsgerichts, dass ein Grundwasserschaden nur Verhältnissen im Untergrund des Anlagenstan- dann „nicht zu besorgen“ ist, wenn keine auch dortes ab, ob nachteilige Auswirkungen für das noch so wenig naheliegende Wahrscheinlichkeit Grundwasser zu besorgen sein können. So gibt hierfür besteht. Das ist ein sehr strenger Maßstab, es Standorte, an denen das unterirdischen Was- der deutlich über den allgemeinen Wahrschein- ser in der sog. Sättigungszone hoch ansteht. In lichkeitsmaßstab des Ordnungsrechts hinaus- diesen Fällen kann die Schwächung der das geht. Er umfasst aber nicht jede denkbare, theo- Grundwasser überlagernden Bodenschichten retische Möglichkeit, die nie völlig ausgeschlos- dazu führen, dass luftgetragene Schadstoffe oder sen werden kann. Allein die Möglichkeit einer un- im Boden vorhandene und durch die Bodenverän- sachgemäßen Handhabung oder eines uner- derung mobilisierte Schadstoffe leichter oder in kennbaren Materialfehlers, d.h. die Möglichkeit ei- höherer Konzentration in das Grundwasser ge- nes menschlichen oder technischen Versagens, langen können. Vergleichbares gilt für Fälle, in die bzw. das theoretisch an jedem beliebigen Ort denen das Grundwasser zwar relativ tief ansteht, dazu führen kann, dass wassergefährdende die überdeckenden Bodenschichten aber durch Stoffe in das Grundwasser gelangen, reichen als sehr wasserdurchlässige Gesteinsschichten ge- Grundlage für die Annahme einer Besorgnis nicht prägt sind. Die Beschaffenheit des Untergrundes aus. Sie haben auch nach der Rechtsprechung spielt auch eine Rolle für die Frage, wie weit sich des Bundesverwaltungsgerichts als „reine Mög- ein Schadstoffeintrag räumlich ausweitet. In ei- lichkeiten“ grundsätzlich außer Betracht zu blei- nem dichten, engporigen Untergrund verbreiten ben. Letztlich ist es eine Frage des Einzelfalles, sich Schadstoffe wesentlich langsamer und damit wo die Grenze zwischen Wahrscheinlichkeit und auch räumlich deutlich weniger weit, als in einem bloßer Möglichkeit liegt, die auch davon abhängt, großporigen bzw. sog. klüftigen oder karstigen welches Schutzgut auf dem Spiel steht und wie Untergrund, in dem das Wasser relativ leicht bis groß das drohende Schadensausmaß ist. Ist die ungehindert fließen kann. Der Effekt des Eintra- Gefahr für das Grundwasser im Schadensfall be- ges von Schadstoffen in das Grundwasser durch sonders groß, kann das im Einzelfall dazu führen, Veränderung des Bodens dürfte darüber hinaus dass das Verlangen der Unwahrscheinlichkeit ei- an vegetationsstarken oder Wald-Standorten re- nes Schadenseintritts der Unmöglichkeit doch gelmäßig stärker sein als an Standorten, die ver- nahe- oder sogar gleichkommt. Bei der Beurtei- gleichsweise vegetationsarm sind. Denn hier fällt lung, welcher „Unwahrscheinlichkeitsmaßstab“ neben der Beeinträchtigung des Filtereffektes des anzuwenden ist und ob aufgrund dieses Maß- Bodens auch der Filtereffekt der Vegetation ins stabs eine Besorgnis besteht, sind alle Umstände Gewicht. Und natürlich spielt die Vorbelastung abzuwägen, aus denen sich ein Anlass zur Sorge des Bodens mit Schadstoffen bzw. die sog. geo- ergeben kann, wie u.a. die Wahrscheinlichkeit gene chemische Bodenbeschaffenheit eine Rolle des Gelangens von verunreinigtem Grundwasser für die Frage, ob und in welcher Stärke Schad- in Wasserentnahmestellen für Menschen. Kön- stoffe mobilisiert werden können. nen allerdings die nachteiligen Wirkungen durch die Anordnung von Inhalts- und Nebenbestim- Rechtliche Einstufung und Restriktionen ört- mungen vermieden oder ausgeglichen werden licher Gegebenheiten können, ist auch dies in die Prüfung miteinzube- ziehen. Zu berücksichtigen ist auch, ob das jewei- Ob diese Auswirkungen von WEA auf den Boden lige Vorhaben, das eine Besorgnis hervorrufen und damit auch auf Gewässer standortbezogen könnte, seinerseits dem Wohl der Allgemeinheit zu einem Problem für die Genehmigungsfähigkeit dient. für WEA werden, hängt schließlich und nicht zu- letzt von der rechtlichen Einstufung betroffener Entsprechendes gilt für Trinkwasser, das als Mi- Landflächen bzw. Gewässerkörper und von der neral-, Quell- oder Tafelwasser genutzt werden Nutzung des betroffenen Grundwassers ab. darf und für das ergänzend die Qualitätsanforde- rungen der Mineral- und Tafelwasser-Verordnung In den Fällen, in denen das von den Auswirkun- gelten. Ebenso ist eine Beeinträchtigung von gen einer WEA betroffene Grundwasser in vom Wasser, das aus Heilquellen gefördert wird, inso- Menschen zugelassener Weise als Trinkwasser fern auszuschließen, dass der jeweilige Zweck genutzt wird, muss ausgeschlossen werden kön- der Förderung von Heilwasser gefährdet wird. nen, dass die Auswirkungen zu einer Verfehlung der Vorgaben der Trinkwasserverordnung führen In vielen Fällen wird die Trinkwassergewinnung können. Das ist regelmäßig nur dann der Fall, insbesondere öffentlicher Wasserversorger durch wenn Grundwasserverunreinigungen nicht zu be- die Ausweisung von Wasserschutzgebieten flan- sorgen sind. Der sog. Besorgnisgrundsatz besagt
Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021 21 kiert, jedenfalls soweit es das Wohl der Allge- (GWK) finden, soll ein guter ökologischer und meinheit erfordert, § 51 WHG. Mit dem durch chemischer Zustand für OWK und ein guter men- Rechtsverordnung (bisweilen auch durch vorläu- genmäßiger und chemischer Zustand für GWK er- figen Anordnung) verfügten Schutz einer Fläche reicht werden - bei letzteren ist auch ein evtl. ne- als Wasserschutzgebiet sind besondere Anforde- gativer Trend der Schadstoffbelastung umzukeh- rungen für die Landnutzung in diesen Gebieten ren. Die WRRL hat für die Abgrenzung, Bewer- verbunden. In der Regel ist ein Wasserschutzge- tung (Einstufung) und Bewirtschaftung von Ge- biet für die Trinkwassergewinnung in drei Zonen wässerkörpern ein komplexes Regelungssystem gegliedert, wobei zwischen dem Fassungsbe- geschaffen, das an dieser Stelle nur sehr verein- reich (des oder der BrunnenBrunnen) = Zone I, facht und verkürzt erläutert werden kann. Aus- dem engeren Schutzgebiet = Zone II und dem gangspunkt für die Feststellung einer Verschlech- weiteren Schutzgebiet = Zone III unterschieden terung eines Wasserkörpers ist der Ist-Zustand. wird; die Zone III wird dabei bisweilen noch in ei- Ausgangspunkt für die Prüfung des Verbesse- nen Bereich A und B unterteilt. In der Zone I sind rungsgebotes ist der binnen einer bestimmten grundsätzlich alle Handlungen und Tätigkeiten, Frist zu erreichende Zielzustand. Dabei ist zu- die zu einer Beeinträchtigung des Grundwassers nächst nicht auf einen punktuellen Zustand abzu- führen können, verboten. An die Zone I schließt stellen, sondern grundsätzlich auf die Einstufung sich die Zone II an, die bis zur sog. 50-Tage-Linie des jeweiligen Wasserkörpers insgesamt. Die reicht. Von dieser Linie benötigt das Grundwasser Einstufung eines Wasserkörpers richtet sich nach etwa 50 Tage bis zum Eintreffen an der Fas- einer Vielzahl von Kriterien und Grenzwerten, die sungsanlage. Damit soll sichergestellt werden, an repräsentativen Überwachungsmessstellen dass Trinkwasser vor pathogenen Keimen und erhoben werden. Nach jüngster Rechtsprechung Verunreinigungen geschützt ist. Dementspre- des EuGH gilt allerdings, dass eine Zustandsver- chend sind nach der jeweiligen Wasserschutzge- änderung an einer einzelnen dieser Überwa- bietsverordnung auch in diesem Bereich alle Tä- chungsmessstellen, die allein für sich betrachtet tigkeiten und Handlungen verboten, die zu einer eine negative Änderung der Einstufung des Was- Beeinträchtigung des Grundwassers führen kön- serkörpers nach sich ziehen würde, zumindest als nen. Die Zone III umfasst jenseits der 50-Tage- Verschlechterung zu werten ist. Mit Blick auf die Linie das gesamte Einzugsgebiet des geschütz- Relevanz des Baus und Betriebs von WEA auf ten Trinkwasservorkommens. Damit soll ein OWK und GWK ist allerdings zu beachten, dass Schutz vor mittel- und langfristigen, oftmals nicht ein einzelner WEA-Standort in der Regel nur zu unmittelbar absehbaren Beeinträchtigungen, ins- Veränderungen der Bodenbeschaffenheit und - besondere durch chemische Stoffe, die nicht ab- funktionen auf einer Fläche von wenigen 1.000 gebaut werden können, gewährleistet werden. m², dauerhaft von max. 2.000 m² führt. GWK ha- Für die Zone III wird regelmäßig ein Genehmi- ben aber eine vielfache Größe, die in wenigen gungsvorbehalt für Tätigkeiten und Handlungen Fällen im zweistelligen Bereich, oft im dreistelli- verfügt. Damit soll sichergestellt werden, dass gen Bereich und bisweilen auch im vierstelligen auch in dieser Zone keine Landnutzung erfolgt, km²-Bereich liegen. Entsprechend sind auch die nicht vorher einer behördlichen Prüfung auf OWK abgrenzt, bei denen Veränderungen im ge- Relevanz für den Schutz des Trinkwassers unter- samten Einzugsbereich in den Blick zu nehmen zogen worden ist. Für die WEA-Nutzung kommt sind. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass danach allenfalls ein Standort in der Schutzzone die Auswirkungen von WEA für die Einstufung III in Betracht, wobei natürlich der Genehmi- von Wasserkörpern in der Regel kaum bedeut- gungsvorbehalt zu beachten ist und erfüllt werden sam sein dürften. Hinzukommt, dass das Bundes- kann. Entsprechendes gilt für ausgewiesene Heil- verwaltungsgericht mit Blick auf die Beachtung quellenschutzgebiete und die mit der Schutzge- der Bewirtschaftungsziele nicht auf den Besorg- bietsausweisung getroffenen Regelungen. nisgrundsatz abstellt, sondern auf den weniger strengen allgemeinen ordnungsrechtlichen Wahr- Über diese speziellen Regelungen zum Trink- und scheinlichkeitsmaßstab. Heilwasserschutz hinaus sind auch die allgemei- nen Regelungen über die wasserrechtlichen Be- Trotzdem ist es aus spezifischen verfahrensrecht- wirtschaftungsziele, das sog. Verschlechterungs- lichen Gründen der WRRL angezeigt, auch im im- verbot und das Verbesserungsgebot grundsätz- missionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfah- lich beachtlich. Mit diesen beiden Bewirtschaf- ren für WEA zu prüfen, ob es Auswirkungen auf tungszielen, die aus der Wasserrahmenrichtlinie die Bewirtschaftungsziele für OWK und GWK gibt (WRRL) herrühren und sich im nationalen Recht bzw. geben kann. Wie weitgehend bzw. tief diese in § 27 WHG für Oberflächenwasserkörper Prüfung vorzunehmen ist, hängt letztlich davon (OWK) und in § 47 WHG für Grundwasserkörper
22 Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021 ab, welche Gefahren/Risiken aus den geologi- Voraussetzung für den rechtmäßigen Erlass ei- schen/hydrologischen Bedingungen am WEA- ner Außenbereichssatzung ist nach § 35 Abs. 6 Standort und dessen Umgebung, aus der partielle Satz 1 BauGB, dass ein bebauter, nicht überwie- Änderung der Bodennutzung durch WEA für Was- gend landwirtschaftlich geprägter Bereich vor- serkörper und dem Gefahrenpotential in Havarie- liegt, in dem bereits Wohnbebauung mit einigem fällen sowie etwaig nahegelegene Messstellen Gewicht vorhanden ist. Bebaut in diesem Sinne nach WRRL zu besorgen sind. ist ein Bereich, wenn und soweit bereits eine vor- handene Bebauung dazu führt, dass der Außen- Fazit bereich seine Funktion, als Freiraum oder als Flä- che für privilegiert zulässige Vorhaben zu dienen, WEA haben in aller Regel jedenfalls kleinräumig nicht mehr oder nur noch mit wesentlichen Ein- Auswirkungen auf das Grundwasser und manch- schränkungen erfüllen kann (BVerwG, Urteil vom mal vielleicht sogar auf Oberflächenwasserkör- 13.07.2006, Az. 4 C 2/05). per. Ob diese Auswirkungen zu einem Hindernis für eine Zulassungsentscheidung werden kön- Der Begriff „landwirtschaftlich“ bezieht sich in die- nen, hängt einerseits von den geologischen und sem Kontext nicht nur auf Vorhaben im Sinne des hydrologischen Verhältnissen an den vorgesehe- § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, sondern auch auf das nen Anlagenstandorten und dem Wirkungsgefüge landwirtschaftsbezogene und -gebundene Woh- der vorhandenen Grundwasserleiter und den nen. Bei der Frage nach der überwiegenden land- Oberflächengewässern ab und andererseits von wirtschaftlichen Prägung ist auf das Verhältnis der der rechtlichen Schutzwürdigkeit des jeweiligen verschiedenen Arten von Nutzungen auf der Flä- Wasservorkommens. Bei betroffener Trinkwas- che insgesamt abzustellen. Eine Wohnbebauung sernutzung bzw. bei betroffenen Wasser- bzw. mit einigem Gewicht liegt also in der Regel dann Heilquellenschutzgebieten könnte es durchaus vor, wenn mehrere nicht landwirtschaftliche kritisch werden für einen WEA-Standort. Mit Blick Wohngebäude vorhanden sind. auf die wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele, Im vorliegenden Fall lag die Situation insgesamt ist eine kritische Situation zwar nicht per se aus- anders; die alte Ziegelei umfasste lediglich ein zuschließen, aber wohl doch eher unwahrschein- einziges restauriertes Wohngebäude, angesiedelt lich. Eine ordentliche Prüfung sollte aber gleich- in einer vom Flächennutzungsplan als landwirt- wohl erfolgen. schaftliche Fläche ausgewiesenen Umgebung. Zudem war der regionale Raumordnungsplan zu berücksichtigen, der die in Rede stehende Fläche Aus der Anfragenpraxis: unter anderem als Vorbehaltsgebiet für Grund- die Außenbereichssatzung nach wasserschutz und besonderen Klimaschutz so- § 35 Abs. 6 BauGB wie als Vorranggebiet für vorbeugenden Hoch- wasserschutz und regionalen Grünzug vorsah. Von Annika Domnick, Wetzlar Außerdem lag ein kleiner Teil der Fläche in einem Naturschutzgebiet. All diese Punkte waren auch Die Bebauung des Gemeindegebiets wird grund- bei der Aufstellung der Außenbereichssatzung zu sätzlich auf kommunaler Ebene durch Flächen- berücksichtigen. nutzungs- und Bebauungspläne geregelt. Dabei legt der Bebauungsplan die Nutzungsmöglichkei- Im Zuge des Erlasses der Außenbereichssatzung ten im Innenbereich fest; der Außenbereich ist wurde eine Aufstellungsbeschlussvorlage über gem. § 35 BauGB grundsätzlich von Bebauungen die Lagerhalle sowie zwei Wohnhäuser in die freizuhalten. Um von diesen Plänen abweichende Stadtverordnetenversammlung der betroffenen Vorhaben möglich zu machen, kann die Ge- Gemeinde eingebracht. In diesem Zusammen- meinde gem. § 35 Abs. 6 BauGB eine sog. „Au- hang fertigte der Hessische Städte- und Gemein- ßenbereichssatzung“ erlassen. debund (HSGB) ein Gutachten an, in dem Beden- ken bezüglich der städtebaulichen Entwicklung Um die Rechtmäßigkeit einer solchen Außenbe- der Gegend geäußert wurden. Trotzdem nahm reichssatzung ging es im vorliegend besproche- die Stadtverordnetenversammlung den Aufstel- nen Fall: Ausgangspunkt des Verfahrens war ein lungsbeschluss an und ermöglichte so den Fort- Bauantrag, durch den auf einem im Außenbereich gang des Verfahrens. liegenden Grundstück eine alte Ziegelei um eine Lagerhalle und mehrere Wohnhäuser ergänzt Der nächste Verfahrensschritt war die frühzeitige werden sollte. Da der Bauantrag jedoch abge- Öffentlichkeitsbeteiligung, woraufhin verschie- lehnt wurde, sollte eine Außenbereichssatzung dene Stellen ihre Bedenken anmeldeten: Zu- für das betroffene Gebiet erlassen werden. nächst gaben einige Naturschutzverbände (na- mentlich BVNH, BUND Hessen, DGWV, HGON,
Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021 23 NABU und SDW) gemeinsam eine Stellung- § 47 VwGO zu stellen, mit dem Ziel, die Rechtmä- nahme ab, in der sie der geplanten Satzung wi- ßigkeit der Außenbereichssatzung nach dersprachen und auf die Gefahr der Entstehung § 35 VI BauGB zu überprüfen. einer Splittersiedlung hinwiesen. Auch die Untere Zwar bleibt das Ergebnis des Normenkontrollver- Naturschutzbehörde wies auf eine nicht steuer- fahrens abzuwarten, doch ist allein die Überprü- bare Abfolge möglicher Baumaßnahmen und die fung der Satzung durch die Aufsichtsbehörde, an- daraus resultierende Gefahr von Strukturverän- gestoßen durch eine Petition, ein großer Erfolg für derungen in der Landschaft hin. Ebenso zweifelte die Naturschützer*innen. der Magistrat die Zulässigkeit der Außenbereichs- satzung an, empfahl der Stadtverordnetenver- sammlung jedoch entgegen dieser Einschätzung, den Entwurf anzunehmen und das Verfahren Buchbesprechung dadurch weiterzuführen. Löffler, Lisa, Integrierter Schutz vor gefährli- Im Gegensatz zu den kritischen Äußerungen gab chen Stoffen – Auswirkungen und Operationa- das Dezernat „Raumordnung und Landespla- lisierung der REACH-Verordnung im Wasser – nung“ des zuständigen Regierungspräsidiums und Immissionsschutzrecht; Nomos, Baden- (RP) an, das Vorhaben entspreche den oben ge- Baden, 2020, 89,- Euro nannten Voraussetzungen des § 35 Abs. 6 BauGB. Die 2018 abgeschlossene Münsteraner Disserta- Nach leichten Veränderungen wurde der Entwurf tion befasst sich mit der überaus komplexen Ma- der Außenbereichssatzung erneut ausgelegt. Da- terie des Chemikalienrechts und dem Verhältnis raufhin legten die oben genannten Naturschutz- zum Wasser- und Immissionsschutzrecht. Viele in verbände ein weiteres Mal Widerspruch ein, da der modernen Industriegesellschaft auftretende sie die Voraussetzungen des § 35 VI BauGB wei- Umweltprobleme werden durch gefährliche terhin als nicht gegeben ansahen. Auch der Stoffe, insbesondere organische Chemikalien HSGB erstellte ein weiteres Gutachten, das die im und Schwermetalle verursacht. Sie belasten die ersten Gutachten geäußerten Bedenken bestä- Umweltmedien Wasser, Luft und Boden, verän- tigte und präzisierte. dern ihre stoffliche Zusammensetzung und kön- nen durch ihre Absorption Änderungen der Funk- Der Magistrat, dessen Bedenken ausgeräumt zu tionsabläufe im menschlichen Körper und in Öko- sein schienen, empfahl den Stadtverordneten, die systemen hervorrufen. Die Ursachen für die auf- Äußerungen des HSGB und des RP-Dezernats tretenden Umweltprobleme liegen zum einen in Raumordnung und Landesplanung außen vor zu Wissenslücken hinsichtlich gefährlicher Stoffe, ih- lassen und die Außenbereichssatzung zu be- rer Eigenschaften und Wirkungen, zum anderen schließen. Im Ergebnis folgte die Stadtverordne- aber auch in rechtlichen Mangeln, etwa in wir- tenversammlung diesem Vorschlag. kungslosen Regelungskonzepten und Inkohären- Um die nach eigenen Einschätzungen rechtswid- zen zwischen verschiedenen Regelungsberei- rige Außenbereichssatzung nicht unüberprüft ste- chen. Diese Arbeit analysiert zu diesem Zweck, hen zu lassen, entschloss sich der BUND Mitte ob und wie sich die REACH-VO (europäische März 2020 zu einem weiteren Vorgehen: Zu- Chemikalienverordnung für Registrierung, Bewer- nächst wurde beim Petitionsausschuss des Hes- tung, Zulassung und Beschreibung chemischer sischen Landtages eine Petition mit dem Ziel ein- Stoffe) auf das sektorale Umweltfachrecht - in Ge- gereicht, dass die Verwaltung die (aus der Sicht stalt des Wasser- und Immissionsschutzrechts des BUND rechtswidrige) Außenbereichssatzung auswirkt und inwiefern die Regelungsbereiche ei- aufheben möge. Ein ähnlicher Antrag ging beim nen kohärenten und effektiven Schutz von zuständigen RP ein, das im Rahmen der Rechts- Mensch und Umwelt vor gefährlichen Stoffen ge- aufsicht den Beschluss aufheben sollte. währleisten. Systematisch werden die einzelnen Regelungsbereiche analysiert und fundiert die un- In der ersten Märzwoche 2021 konnte dann end- zureichende Koordination herausgearbeitet. lich ein großer Erfolg verbucht werden: Das Hes- sische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Ver- Sodann wird die Notwendigkeit der Koordinierung kehr und Wohnen bestätigte die bau- und natur- des Wasserrechts und des Immissionsschutz- schutzrechtlichen Bedenken bezüglich der Recht- rechts auf der einen Seite und der REACH-VO auf mäßigkeit der Außenbereichssatzung. Ebendiese der anderen Seite dargestellt. Ziel müsse es sein, Bedenken nahm das Regierungspräsidium zum dass durch die Verzahnung der Regelungsregime Anlass, einen Normenkontrollantrag nach der Eintrag von Schadstoffen umfassend mini- miert und so ein hohes Schutzniveau für Mensch
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