Recht der Natur Schnellbrief Nr. 225 März/April 2021 - SDW Schutzgemeinschaft Deutscher Wald ...

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ISSN 0946-1671

       Recht der Natur
         Schnellbrief Nr. 225
          März/April 2021

                                IDUR im Internet: www.idur.de

      EuGH stärkt Individualbezug der                            Aus der Anfragenpraxis:
      Vogelschutz- und FFH-Richtlinien                       die Außenbereichssatzung nach
                                                                   § 35 Abs. 6 BauGB
In einem Urteil vom 4.3.2021 auf Vorlage eines
schwedischen Gerichts hat der EuGH entschie-          Wegen des anhaltenden Immobilienbooms nut-
den, dass die Tötungs-, Fang- und Schädigungs-        zen viele Gemeinden auch rechtlich fragwürdige
verbote der FFH- und Vogelschutzrichtlinien nicht     Mittel, um mehr Bauland auszuweisen. Eines der
nur bei schlechtem Erhaltungszustand der Art gel-     einschlägigen Instrumente ist die sog. Außenbe-
ten, sondern sich auch auf die einzelnen Tiere der    reichssatzung. In einem hessischen Fall haben
geschützten Arten beziehen. Das Urteil wird Aus-      nun beharrliche Beschwerden des BUND die Auf-
wirkungen auf den Artenschutz in Deutschland          sichtsbehörde zur Einleitung eines Normenkon-
haben.                                                trollverfahrens veranlasst.
Seite……………..………………………….........14                     Seite………………………..……..…..................22

 Die novellierte EU-Richtlinie zur Umweltver-                        Buchbesprechung
 träglichkeitsprüfung: Unterstützendes Ele-
                                                        •   Löffler, Lisa, Integrierter Schutz vor gefähr-
  ment für einen nachhaltigen Klimaschutz
                                                            lichen Stoffen – Auswirkungen und Opera-
Die Änderung der EU-UVP-Richtlinie von 2014                 tionalisierung der REACH-Verordnung im
betont u.a. die Herausforderung des Klimawan-               Wasser – und Immissionsschutzrecht
dels und erwähnt Klima ausdrücklich als Schutz-       Seite…………………………….………..…....….23
gut. In der Praxis der Umweltverträglichkeitsprü-
fungen ist diese Aufwertung des Klimaschutzes
                                                                  Veranstaltungshinweis
aber noch kaum angekommen. Die Autorin ana-
lysiert die Defizite und die Chancen für eine stär-     •   35. Deutscher Naturschutztag
kere Berücksichtigung des Themas.                           Motto: „STADT-LAND-FLUSS – welche
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                                                            Zeit und Ort: 31.5. - 2.6.2021, Wiesbaden
          Aus der Anfragenpraxis:                     Seite…………………………….…..………....….24
   Sind Windkraftanlagen schlecht für das
             (Grund-)Wasser?                                          In eigener Sache
Zunehmend wird in Auseinandersetzungen um               •   Einladung zur Jahresmitgliederversamm-
Windenergieanlagen das Argument des Gewäs-                  lung 2021 des IDUR am 28.5.2021.
serschutzes, insbesondere eine mögliche Gefahr              Videokonferenz, Beginn 17 Uhr
für Trinkwasserbrunnen oder ein Verstoß gegen
das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot,         Seite…………………………….………..…....….24
thematisiert. In diesem Beitrag werden aus an-
waltlicher Sicht die in Frage kommenden Kriterien
und ihre Bedeutung für Klageverfahren erläutert.
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       EuGH stärkt Individualbezug der                und ersuchten sie, sowohl gegen die Abholzungs-
       Vogelschutz- und FFH-Richtlinien               anmeldung als auch gegen die Stellungnahme
                                                      der Forstverwaltung vorzugehen. Allerdings ver-
          Von Annika Domnick, Wetzlar                 stießen die genannten Maßnahmen nach Mei-
                                                      nung der Behörde nicht gegen die in der schwe-
     - EuGH, Urteil vom 04.03.2021 – Rechts-          dischen Artenschutz-VO niedergelegten Verbote,
         sachen C-473/19 und C-474/19 -               sodass sie im Ergebnis nicht tätig wurde.
In der Entscheidung vom 04. März 2021 äußerte         Gegen diese Untätigkeit der Provinzverwaltung
sich der EuGH zu zwei übergeordneten Fragen           klagten die oben genannten Vereine beim vorle-
des Artenschutzrechts: zum einen, ob die Anwen-       genden Gericht.
dung der artenschutzrechtlichen Verbote (des Art.
12 Abs. 1 FFH-[=Habitat-]Richtlinie) davon ab-        II. Inhalt der Entscheidung
hängen kann, dass die fragliche Maßnahme den          Die Kammer für Land- und Umweltangelegenhei-
Erhaltungszustand einer Art beeinträchtigt. Zum       ten des Gerichts erster Instanz Vänersborg,
anderen war zu klären, ob der strenge Schutz der      Schweden, legte dem EuGH das Verfahren mit
artenschutzrechtlichen Verbote der Habitat- so-       den im Folgenden verkürzt dargestellten Rechts-
wie der Vogelschutz-RL nicht (mehr) für Arten gilt,   fragen vor:
die das Richtlinienziel, also den günstigen Erhal-
tungszustand, erreicht haben.                            1. Auf welche Arten beziehen sich die Verbote
                                                            des Art. 5 Vogelschutz-RL?
I. Hintergrund der Entscheidung                          2. Liegt in Fällen, in denen mit der Maßnahme
                                                            offensichtlich ein anderes Ziel erreicht wer-
Im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren                 den soll als das „absichtliche Stören/Tö-
geht es in der Sache um eine Streitigkeit zwi-              ten/Zerstören“ erst dann „Absicht“ vor,
schen mehreren schwedischen Natur- und Um-                  wenn ein Risiko besteht, dass sich die Maß-
weltschutzorganisationen („Föreningen Skydda                nahme negativ auf den Erhaltungszustand
Skogen“, „Naturskyddsföreningen i Härryda“ und              der Art auswirkt? Gilt der Schutz auch für
„Göteborgs Ornitologiska Föreningen“) und der               solche Arten, die einen günstigen Erhal-
Provinzverwaltung Västra Götaland („Länsstyrel-             tungszustand erreicht haben?
sen i Västra Götalands län“). Diese begann mit ei-       3. Soweit Frage 2 dahin beantwortet wird,
ner Abholzungsanmeldung bei der nationalen                  dass ein Schaden auf einer anderen Ebene
schwedischen Forstverwaltung, die ein Waldge-               als der Ebene des Individuums zu beurtei-
biet in der Gemeinde Härryda betraf. In diesem              len ist, damit das Verbot Anwendung findet,
Areal sollte ein Kahlschlag stattfinden, was einer          auf welcher Ebene ist die Beurteilung dann
Entfernung praktisch aller Bäume gleichkommt.               vorzunehmen?
Allerdings ist das betrof-fene Waldgebiet Lebens-        4. Schließt Art. 12 Abs. 1 Habitat-RL eine in-
raum verschiedener Arten (Kleinspecht, Auer-                nerstaatliche Praxis aus, die das Verbot erst
huhn, Weidenmeise, Wintergoldhähnchen, Tan-                 dann anwendet, wenn die kontinuierliche
nenmeise und Moor-frosch), die durch die schwe-             ökologische Funktionalität des Lebens-
dische Artenschutzverordnung geschützt sind.                raums trotz Versorgungsmaßnahmen verlo-
§ 4 Abs. 1 dieser Artenschutz-VO setzt neben                ren geht?
Art. 5 lit. a-d der Vogelschutz-RL auch
                                                         5. Soweit die Frage 4 verneint wird, d. h., ein
Art. 12 Abs. 1 Habitat-RL um.
                                                            Schaden auf einer anderen Ebene als der
Die nationale Forstverwaltung erließ im Zusam-              des Lebensraums innerhalb des einzelnen
menhang mit der Abholzung Leitlinien, die zu er-            Gebiets zu beurteilen ist, damit das Verbot
greifende Vorsorgemaßnahmen enthielten. Wür-                Anwendung findet, auf welcher Ebene ist
den diese befolgt, seien der Forstverwaltung zu-            die Beurteilung dann vorzunehmen?
folge keine Verstöße gegen die Artenschutz-VO
zu befürchten. Problematisch ist in diesem Zu-        Vorlagefrage 1: Bezugspunkt der Verbote des
sammenhang jedoch, dass diese Leitlinien ledig-       Art. 5 Vogelschutz-RL
lich eine Empfehlung sind und somit keine recht-
                                                      Das vorlegende Gericht stellte zunächst die
liche Bindungswirkung entfalten.
                                                      Frage, ob sich die Verbote des Art. 5 Vogel-
Am 22.12.2016 sowie am 17.01.2018 kontaktier-         schutz-RL nur auf die in Anhang I dieser Richtlinie
ten die Natur- und Umweltschutzorganisationen         genannten Arten und/oder nur auf ( irgendeier
die Provinzverwaltung Västra Götaland als für         Ebene) bedrohte Arten und/oder nur auf Popula-
den Artenschutz zuständige Aufsichtsbehörde           tionen, die längerfristig rückläufig sind, beziehen.
Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021                          15

Zur Klärung dieser Frage betrachtete der EuGH          delnde den Fang oder die Tötung eines Exemp-
zunächst den Wortlaut der Vorschrift, demzufolge       lars einer geschützten Tierart zumindest in Kauf
sich Art. 5 Vogelschutz-RL auf alle unter              genommen hat. Diese Definition könne auf Art. 12
Art. 1 Vogelschutz-RL fallenden Arten bezieht.         I Habitat-RL insgesamt angewendet werden. Hier
Das sind wiederum alle in einem der Mitglieds-         könne gerade nicht der Erhaltungszustand maß-
staaten der Europäischen Union heimischen Vo-          geblich sein; vielmehr sei auf die Individualebene
gelarten.                                              abzustellen. In erster Linie spreche der Wortlaut
                                                       der Norm für den Individualbezug: die Mitglieds-
Weiterhin sei Art. 3 Vogelschutz-RL in die Argu-
                                                       staaten werden verpflichtet, konkret „Exemplare“
mentation einzubeziehen; dieser enthält die allge-
                                                       und „Eier“ zu schützen, nicht abstrakt zum Schutz
meine Verpflichtung, einen vollständigen und
                                                       der Population beizutragen. Außerdem sei die
wirksamen Schutz der wildlebenden Vogelarten
                                                       Frage nach dem Erhaltungszustand der Popula-
zu schaffen. Auch bei dieser Norm wird der Bezug
                                                       tion, auf den der erste Teil der Frage Bezug
zu Art. 1 Vogelschutz-RL hergestellt, was dafür
                                                       nimmt, erst im Rahmen der Ausnahmeerteilung
spreche, bei Art. 5 Vogelschutz-RL denselben
                                                       nach Art. 16 Habitat-RL zu stellen. Würde die An-
Maßstab anzulegen. Auch sei die Erhaltung von
                                                       wendbarkeit der Verbote des Art. 12 I a-c Habitat-
Zugvogelarten als gemeinschaftliches Erbe ein
                                                       RL vom Erhaltungszustand der Art abhängig ge-
wichtiges Argument für den weitreichenden
                                                       macht, würde dadurch die in Art. 16 Habitat-RL
Schutz möglichst vieler Arten.
                                                       vorgesehene Prüfung umgangen. Das würde wie-
Weder in systematischer, noch in teleologischer        derum Art. 16 Habitat-RL seiner Wirksamkeit be-
Hinsicht, so der EuGH, sei eine Beschränkung           rauben, was ihn insgesamt obsolet machen
des Schutzumfangs auf Vogelarten, die einer der        würde.
drei in der Frage genannten Kategorien unterfal-
                                                       Somit sei nicht lediglich auf einen schlechten Er-
len, vertretbar. Insbesondere sei bezüglich der
                                                       haltungszustand der Art abzustellen, vielmehr
dritten “Kategorie“ (längerfristig rückläufige Popu-
                                                       entfalteten die Schutzbestimmungen auch für sol-
lation) anzumerken, dass die Frage des Erhal-
                                                       che Arten Wirkung, die bereits den angestrebten
tungszustands, die die Einschätzung des Popula-
                                                       günstigen Erhaltungszustand erreicht haben. Das
tionszustandes betrifft, erst auf der nachfolgen-
                                                       sei gerade auch vor dem Hintergrund logisch,
den Ebene der Ausnahmeregelungen des Art. 9
                                                       dass sonst wieder eine Verschlechterung des Er-
Vogelschutz-RL gestellt werden dürfe.
                                                       haltungszustands eintreten könnte, die einen ver-
Somit stehe eine staatliche Praxis, die diese Kri-     besserten Schutz wieder nötig machen würde.
terien zugrunde legt, Art. 5 I Vogelschutz-RL ent-     Ein solches „Hin und Her“ könne nicht erwünscht
gegen.                                                 sein.

Vorlagefrage 2: Absichtsbegriff und Schutz-            Vorlagefrage 3: Ebene, auf der der negative
umfang bei Art. 12 Abs. 1 Habitat-RL                   Erhaltungszustand vorliegen muss
An dieser Stelle weist das Gericht darauf hin,         Die dritte Vorlagefrage bezog sich auf die Ebene,
dass § 4 der schwedischen Artenschutzverord-           auf der sich der Schaden (negativer Erhaltungs-
nung nicht zwischen dem in Art. 5 Vogelschutz-         zustand) hätte auswirken müssen. Da jedoch be-
RL verwendeten und dem Art. 12 I Habitat-RL zu-        reits bei der Beantwortung der zweiten Vorlage-
grundeliegenden Absichtsbegriff unterscheidet.         frage klargestellt wurde, dass maßgeblich auf das
Das ist insofern von Bedeutung, als grundsätzlich      Individuum abzustellen ist, bedurfte die dritte Vor-
kein zwingend einheitliches Schutzniveau zwi-          lagefrage keiner gesonderten Antwort.
schen Vogelschutz- und Habitat-RL besteht. Al-
lerdings ist eine Anordnung eines höheren              Vorlagefrage 4: Auslegung „Vernichtung/Be-
Schutzniveaus in den Mitgliedsstaaten laut             schädigung“ bezogen auf Fortpflanzungsstät-
Rechtsprechung des EuGH möglich.                       ten und natürliche Lebensräume
Zum Absichtsbegriff selbst stellt das Gericht zu-      Hier weist das Gericht zunächst darauf hin, dass
nächst fest, dass dieser in seiner in der Habitat-     der strenge Schutz des Art. 12 I d Habitat-RL ein
RL verwendeten Form bereits durch das Urteil           Verbot „jede(r) Beschädigung oder Vernichtung
vom 18.05.2006 (Kommission/Spanien, C-                 der Fortpflanzungs- und Ruhestätten“ umfasst.
221/04) zu Caretta caretta geprägt wurde. Die-         Somit spreche der Wortlaut des Art. 12 I d Habi-
sem Urteil entsprechend liegt Absicht im Sinne         tat-RL klar gegen eine Beschränkung des Verbots
des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Habitat-RL dann vor,      auf absichtliche Handlungen. Es bestehe zudem
wenn nachgewiesen werden kann, dass der Han-           keine Abhängigkeit vom Erhaltungszustand der
                                                       Art. Weiterhin bezieht das Gericht Teile des
16                           Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021

Schlussantrags der Generalanwältin mit ein und          Die novellierte EU-Richtlinie zur Umweltver-
macht sich diese zu eigen: für die Wirkung des          träglichkeitsprüfung: Unterstützendes Ele-
Verbots seien Stabilität und Größe einer Popula-         ment für einen nachhaltigen Klimaschutz
tion gerade nicht maßgeblich.
                                                               Von Annika Schyschka, Salzburg
Zudem sei auch hier, ebenso wie im Rahmen von
Vorlagefrage 2, auf die Individualebene und ge-        Der Klimawandel ist eines der größten Herausfor-
rade nicht auf den Erhaltungszustand abzustel-         derungen des 21. Jahrhunderts und erfährt auch
len, da dessen Einbeziehung auf dieser Ebene           in der EU einen immer höheren Stellenwert. In der
die Prüfung der Ausnahmemöglichkeiten des Art.         europäischen Umwelt- und Klimapolitik gilt v.a.
16 Habitat-RL aushebeln würde.                         das Vorsorgeprinzip als wesentliche Leitlinie, die
Somit sei eine derartige innerstaatliche Praxis, die   sich in der Vielzahl an Rechtsvorschriften, harten
auf den Verlust der kontinuierlichen ökologischen      (verpflichtenden) Instrumenten sowie „weichen
Funktionalität des Lebensraums abstellt, von           Ansätzen“ widerspiegelt. Durch ambitionierte
Art. 16 Habitat-RL ausgeschlossen.                     Ziele erreichte die EU auf internationaler Ebene
                                                       eine Vorreiterrolle im Kampf gegen den Klima-
Vorlagefrage 5: Anwendungsumfang des Ver-              wandel und ist bis heute die ehrgeizigste Klimaak-
bots                                                   teurin. Nichtsdestotrotz steht auch Europa im
                                                       Kampf gegen den Klimawandel vor noch nie da-
Die fünfte Vorlagefrage bezog sich auf den An-         gewesenen Herausforderungen. Eine Analyse
wendungsumfang des Verbots aus Art. 12 I Habi-         der Europäischen Umweltagentur (EUA) aus dem
tat-RL. Da dieser durch das Gericht schon bei der      Jahr 2019 offenbart, dass die EU ihre langfristigen
Beantwortung der Vorlagefrage 4 festgelegt             um-weltrelevanten Ziele unter den derzeitigen
wurde (jedes Gebiet sei individuell zu betrachten),    Voraussetzungen verfehlen wird. Die EUA fordert
konnte eine umfassende Beschäftigung mit der           deshalb einerseits einen Paradigmenwechsel, auf
Frage dahinstehen.                                     der anderen Seite legt sie dar, dass der Klima-
                                                       wandel gleichzeitig ein großes Potenzial birgt. Um
III. Fazit                                             dieser Herausforderung zu begegnen, sind für die
Im Ergebnis wird durch das Urteil des EuGH der         zukünftige politische Vorgehensweise weiterhin
Individualbezug der Vogelschutz- und der Habi-         auch die klassischen bzw. etablierten Instrumente
tat-RL verfestigt und ausgeweitet. Diese Auswei-       der Umweltpolitik von wesentlicher Bedeutung.
tung ist gleichzeitig eine Absage an die abwä-         Eines dieser umweltvorsorgenden Instrumente ist
gende Populationsbetrachtung, die insbesondere         die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Die
die Generalanwältin Kokott in ihrem Schlussan-         entsprechende Richtlinie (RL) wurde von der EU
trag als praxistauglichen Kompromiss vorge-            am 16. April 2014 novelliert und zielte u.a. sowohl
schlagen hatte.                                        auf eine Qualitätsverbesserung in der vorsorgen-
                                                       den Umweltwirksamkeit als auch auf die ver-
Mögliche Konsequenzen sind insbesondere be-            stärkte Aufnahme des Klimawandels in die UVP-
züglich der Einteilung in „planungsrelevante Ar-       Verfahren ab. Die RL musste bis 2017 in nationa-
ten“ und „sonstige Arten“ (Allerweltsarten) zu er-     les Recht umgesetzt werden.
warten, die das BVerwG mit seinem Beschluss 9
B 25/17 eingeführt hat. Eine solche Unterschei-        1. Das Vorsorgeprinzip
dung ist mit diesem Verständnis von Art. 5 Vogel-
schutz-RL nicht zu vereinbaren.                        Das aus dem Umweltrecht entstandene Vorsor-
                                                       geprinzip wurde 1992 in den primärrechtlichen
Auch die sogenannte „gute fachliche Praxis“, auf       Vertrag von Maastricht aufgenommen und ist seit-
die insbesondere in der Land- und Forstwirtschaft      dem eine wesentliche Leitlinie der EU-
abgestellt wird, könnte nunmehr auf den Prüf-          Umweltpolitik. Das Prinzip der Vorsorge zählt in
stand gestellt werden.                                 der europäischen Handlungsweise zu einem all-
Welche tatsächlichen Konsequenzen das Urteil           gemeingültigen Grundsatz und soll bei Risikofäl-
des EuGH noch nach sich ziehen wird, bleibt al-        len die Gesundheit von Mensch, Umwelt, Fauna
lerdings abzuwarten.                                   und Flora sowie die Umwelt mittels präventiver
                                                       Maßnahmen schützen. Ausschlaggebend ist v.a.
                                                       ein Grund zur Besorgnis, obwohl zugleich eine
                                                       unsichere bzw. unvollständige wissenschaftliche
                                                       Datengrundlage vorliegt. Auch über die EU hin-
                                                       aus, international wie national, ist das Vorsorge-
                                                       prinzip ein wesentliches Element geworden.
Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021                         17

2. Die Umweltverträglichkeitsprüfung                  geprüft werden, fehlt es nach Ansicht einiger Ex-
                                                      perten an einer vorsorgeorientierten Auslegung
Basierend auf dem Vorsorgeprinzip ist die EU ein
                                                      der Fachgesetze. Wie hoch diese tatsächlich ist,
entscheidender Treiber für nationale Umweltpoli-
                                                      ist v.a. auch länderabhängig. Beispielsweise exis-
tik geworden. Ein lang etabliertes, umweltvorsor-
                                                      tieren in Österreich strengere Lärmgrenzwerte als
gendes Instrument ist die „Richtlinie 2014/52/EU
                                                      in Deutschland, wodurch in den beiden Ländern
über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei be-
                                                      unabhängig von einer UVP unterschiedlich vor-
stimmten öffentlichen und privaten Projekten“. Es
                                                      sorglich gehandelt wird.
handelt sich hier um ein gesondertes Umweltver-
fahrensrecht, das auf eine hohe und wirksame          Im Rahmen der Arbeit konnten jedoch auch Mög-
Umweltvorsorge abzielt. Im Gegenteil zur Strate-      lichkeiten für eine verbesserte Umweltvorsorge im
gischen Umweltprüfung (SUP) untersucht die            Rahmen der UVP-Praxis identifiziert werden.
UVP die Umweltauswirkungen für ein konkretes
                                                      Damit ein standardmäßig gleiches Umweltschutz-
Vorhaben. Nach einer im Rahmen meiner Master-
                                                      niveau bei allen UVP-pflichtigen Vorhaben er-
arbeit durchgeführten Analyse konnte festgestellt
                                                      reicht wird, sind die Findung von Kriterien für eine
werden, dass die UVP-RL das Vorsorgeprinzip in
                                                      methodische Bewertung vorstellbar. Die Kriterien
jedem Fall widerspiegelt. Um die tatsächliche Um-
                                                      sollten querschnittsorientiert und losgelöst von
welt-wirksamkeit, die insbesondere durch die No-
                                                      denen in den Fachgesetzen sein. Außerdem
vellierung erhöht werden sollte, in der Praxis zu
                                                      sollte der Bewertungsmaßstab klare Ziele für ei-
untersuchen, wurden im Rahmen von mehreren
                                                      nen vorsorgenden Umweltschutz enthalten. Denn
qualitativen Interviews Experten aus Deutschland
                                                      wenn es gelingt, einheitliche Prüfschemata anzu-
und Österreich befragt, die mit der praktischen
                                                      wenden, kann die UVP in eine klare Richtung –
Handhabung der UVP vertraut sind.
                                                      hin zu einer vorsorgenden Umweltwirksamkeit –
Es stellte sich in der Durchführung ein unter-        geleitet werden.
schiedlich vorsorglicher Umgang heraus. Grund-
                                                      Solch ein weicher Ansatz einer methodischen Be-
sätzlich wird das Ziel einer hohen Umweltvor-
                                                      wertung von Schutzgütern anhand von Kriterien
sorge aufgrund der querschnittsorientierten Aus-
                                                      könnte für alle Beteiligten des UVP-Verfahrens
richtung und der hohen Standards in den UVP-
                                                      entlastend wirken und eine hohe und wirksame
Verfahren erreicht. Eine Differenz zeigte sich je-
                                                      Umweltvorsorge unabhängig vom Antragssteller,
doch in der Effektivität einer um-weltvorsorgen-
                                                      der Größe des Vorhabens und den Fachgesetzen
den Wirksamkeit. Diese steht häufig in unmittel-
                                                      gewährleisten.
barer Abhängigkeit vom Antragsteller, der Größe
des Projektes und den Fachgesetzen. Bekundet
                                                      3. Schutzgut Klima
der Antragsteller ein hohes Interesse am Umwelt-
schutz, ist er von vorneherein eher bereit, Antwor-   Obwohl die EU nach Analyse der EUA ihre um-
ten zu sensiblen Themen zu liefern, und geht ggf.     weltrelevanten Ziele verfehlen wird, ist sich die
auch über die Mindestregelungen im UVP-Gesetz         Union des dringenden Handlungsbedarfs be-
hinaus. Eine Tendenz ließ sich auch bei der           wusst und handlungswillig. Neben der Notwen-
Größe von UVP-pflichtigen Vorhaben feststellen.       digkeit, den Europäischen Grünen Deal weiter zu
Je größer ein Projekt, desto sorgfältiger und um-     stärken, die Zielsetzungen zu erhöhen sowie
fangreicher wird gearbeitet. Eine Rolle spielt hier   neue, innovative Ansätze einzufügen, wurde im
v.a. auch die Öffentlichkeit einschl. medialer Be-    Rahmen der Arbeit die verstärkte Aufnahme des
richterstattung, weil diese einen sanften Druck auf   Klimawandels in die novellierte UVP-Richtlinie
den Antragsteller ausüben kann. Bei kleineren         untersucht. Es wurde die Frage aufgeworfen, ob
UVP-pflichtigen Vorhaben versucht der Antrag-         die UVP ein unterstützendes Element für einen
steller tendenziell häufiger, eine UVP zu vermei-     nachhaltigen Klimaschutz ist.
den. Bei der Durchführung einer UVP ist die Be-       Zwar wurde der Klimawandel bereits vor der No-
reitschaft für zusätzliche Maßnahmen deutlich ge-     vellierung in der RL mitbedacht, allerdings wird er
ringer und die Ausführung wird auf ein Mindest-       auch jetzt noch wenig in der Praxis der UVP-
maß reduziert. Dies führt wiederum nicht nur zu       Verfahren berücksichtigt. Die Gründe liegen in
einem Qualitätsdefizit, sondern dabei ist auch der    erster Linie in der fehlenden Begriffsauslegung,
Mehrwert für die Umwelt in Relation zu dem ho-        einem fehlenden Bewusstsein des Antragstellers
hen Aufwand nicht erkennbar.                          und in der Prognoseunsicherheit. Jedoch auch
Eine hemmende Wirkung für den umweltvorsor-           wenn der Klimawandel in den UVP-Verfahren
genden Mehrwert geht ebenfalls von den Fachge-        stärker berücksichtigt würde, ist der reelle Beitrag
setzen aus. Obwohl in den UVP-Verfahren die           zum Klimaschutz durch die UVP nur bedingt ge-
fachgesetzlichen Vorschriften und Regelungen          geben. Dies liegt daran, dass Klimaschutz auf die
18                           Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021

Minderung von Treibhausgasen abzielt, sodass          diese Technologie nicht frei von Angriffspunkten.
sich klimaschützende Maßnahmen in erster Linie        In nicht wenigen Fällen wird um die Genehmigung
bei verbesserten technischen Innovationen zur         bzw. die Genehmigungsfähigkeit von Windener-
Energieeinsparung sowie beim Erhalt und der           gieanlagen (WEA) heftig gestritten. Die Motiva-
Aufforstung natürlicher Kohlenstoffsenken kon-        tion für den Angriff auf Genehmigungen oder die
kretisieren. Zudem ist die UVP ein sog. Verfah-       Verhinderung von Genehmigungslagen kann da-
rensrecht, das weder harte Genehmigungskrite-         bei ganz unterschiedlicher Natur sein. Je nach
rien enthält noch rechtliche Konsequenzen für         Einzelfall kann die Kritik an Vorhaben inhaltlich
eine Genehmigung nach sich zieht. Obwohl auch         durchaus gerechtfertigt sein. Sie kann aber auch
die novellierte Fassung der UVP nicht nennens-        genauso gut nur Ausdruck der Abneigung gegen-
wert zu einem verbesserten Klimaschutz beiträgt,      über der Windkraftnutzung allgemein sein, ohne
liegt das Potenzial bei Anpassungsmöglichkeiten       dass es belastbare Argumente für eine Freihal-
an den Klimawandel. Durch Arbeitspapiere bzw.         tung von Flächen vor WEA gibt. Auch den IDUR
Checklisten, ähnlich dem Umsetzungs-Ansatz            erreichen aus den Reihen seiner Mitgliedsver-
beim Vorsorgeprinzip, könnten Leitlinien festge-      bände immer wieder Anfragen zur Genehmi-
legt werden, die standardisiert eine Orientie-        gungsfähigkeit von WEA, mal in unterstützen-
rungshilfe zur Berücksichtigung des Klimawan-         dem, mal in abwehrendem Sinne.
dels leisten.
                                                      Jüngst erhielt der IDUR eine Anfrage zur Rele-
                                                      vanz der Vorschriften von Wasserschutzgebieten
4. Zusammenfassung
                                                      zum Zweck des Trinkwasserschutzes und der
Insgesamt brachte die novellierte UVP-RL keine        Vorschriften über die wasserrechtlichen Bewirt-
wesentlichen Veränderungen mit sich. Eine ange-       schaftungsziele bei der Planung von WEA-
strebte Qualitätsverbesserung der vorsorgenden        Vorrangflächen bzw. im Rahmen von immissions-
Umweltwirksamkeit und die verstärkte Aufnahme         schutzrechtlichen Genehmigungsverfahren für
des Klimawandels haben bislang wenig bis keine        WEA. Diese Anfrage bietet Anlass, das Verhältnis
aufwertenden Auswirkungen in der Verwaltungs-         von Windenergieanlagenzulassung zum Wasser-
praxis. Die tatsächliche Umweltvorsorge ist zwar      schutz etwas näher zu beleuchtet.
möglich, allerdings stark von verschiedenen Fak-
                                                      Die Errichtung und der Betrieb einer WEA als im-
toren abhängig. Um deshalb eine standardmäßig
                                                      missionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige
hohe Wirksamkeit für alle UVP-pflichtigen Vorha-
                                                      Anlage darf nur zugelassen werden, wenn die Ge-
ben zu gewährleisten, ist weiterhin Optimierungs-
                                                      nehmigungsvoraussetzungen des § 6 BImSchG
bedarf gegeben.
                                                      erfüllt sind. Wenn ein entsprechender Antrag ge-
Nichtsdestotrotz hat sich die UVP als Vorsorgein-     stellt wurde für ein Vorhaben, bei dem nämlich si-
strument seit jeher kontinuierlich weiterentwickelt   chergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG
und spielt auch in der zukünftigen Entwicklung der    und einer auf Grund des § 7 BImSchG erlassenen
europäischen Umwelt- und Klimapolitik eine wich-      Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt
tige Rolle. Durch weitere Optimierungen kann die      werden und andere öffentlich-rechtliche Vor-
UVP in der Zukunft auch einen Beitrag zum Errei-      schriften und Belange des Arbeitsschutzes der
chen der ambitionierten, umweltrelevanten Ziele       Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht ent-
leisten, damit die EU den dringenden Paradig-         gegenstehen, besteht nach § 6 Abs. 1 BImSchG
menwechsel schafft.                                   allerdings auch zugleich ein Anspruch auf Ertei-
                                                      lung der Genehmigung. Zu dem Kreis der ande-
                                                      ren öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die dem
                                                      Bau und Betrieb von WEA entgegenstehen kön-
            Aus der Anfragenpraxis:                   nen, zählen alle nicht immissionsschutzrechtli-
     Sind Windkraftanlagen schlecht für das           chen Vorschriften, also auch die Vorschriften über
               (Grund-)Wasser?                        Wasserschutzgebiete und auch die Bestimmun-
        Von RA Tobias Kroll, Frankfurt a.M.           gen über die wasserrechtlichen Bewirtschaf-
                                                      tungsziele. Das bedeutet im Klartext also, dass
Windkraftanlagen sind aktuell der modernste           vom rechtlichen Ansatz her auch die Vorschriften
Zankapfel der Energiegewinnung, nicht nur in der      des Wasserrechts einer WEA-Genehmigung
Bevölkerung, sondern auch zwischen Umwelt-            Probleme bereiten oder diese auch unmöglich
schützern. Allein unter dem Gesichtspunkt des         machen können. Ob das Wasserrecht für die
Klimaschutzes gibt es zwar nichts, was man der        WEA-Genehmigung tatsächlich zum Problem o-
Nutzung der Windenergie entgegenhalten kann.          der, anders ausgedrückt, der Bau und Betrieb von
Unter anderen Gesichtspunkten ist aber auch           WEA Gewässern schadet, ist aber eine Frage des
                                                      konkreten Einzelfalls.
Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021                         19

Die Beantwortung dieser Frage im Einzelfall         der damit vorgenommenen Bodenveränderung.
hängt einerseits von den Wirkungen von WEA ab       Dabei können einzelne Auswirkungen in ihrer In-
und andererseits von den Gegebenheiten im Be-       tensität mit der Zeit abflauen, etwa hinsichtlich der
reich der Anlagenstandorte und von der an die       Mobilisierung und Auswaschung von Schadstof-
Gegebenheiten anknüpfenden rechtlichen Einstu-      fen. Dafür, dass darüber hinaus allein wegen der
fung und den ggfs. dwaraus folgenden Restriktio-    Existenz eines Turmbauwerkes Auswirkungen
nen.                                                auf umliegende Oberflächengewässer (etwa in
                                                    Folge von Verschattung) auftreten können, hat
Wirkungen von WEA                                   der Autor bislang keinerlei Anhaltspunkte. Trotz-
                                                    dem mag es gesondert gelagerte Einzelfälle ge-
Die Wirkungen von WEA können unterschieden
                                                    ben, in denen derartiges nicht auszuschließen ist.
werden in baubedingte, anlagenbedingte und be-
triebsbedingte Auswirkungen. Von besonderer         Betriebsbedingte Auswirkungen von WEA auf das
Relevanz in wasserrechtlicher Hinsicht sind vor     Grundwasser dürften mit Ausnahme eines Unfalls
allem die baubedingten Wirkfaktoren.                mit Freisetzung von wassergefährdenden Stof-
                                                    fen, die für den Betrieb einer WEA je nach Anla-
Zu den baubedingten Auswirkungen bei WEA ge-
                                                    gentyp erforderlich sein können, nicht zu erwarten
hören, wie bei jeder Bautätigkeit, insbesondere
                                                    sein. Dafür, dass aus der Rotorbewegung resul-
Veränderungen der vorhandenen Bodenstruktur
                                                    tierende Verschattungs- oder Discoeffekte Aus-
durch Bodenaushub, Bodenverlagerung und Bo-
                                                    wirkungen auf die wasserrechtlich relevante Qua-
denüberdeckung bzw. Versiegelung einschließ-
                                                    lität von umliegenden Oberflächengewässern ha-
lich der Veränderung der vorhandenen Vegeta-
                                                    ben könnte, hat der Autor bislang ebenfalls kei-
tion am jeweiligen Standort und zwar sowohl für
                                                    nerlei Anhaltspunkte. Das schließt indes nicht
die dauerhafte als auch für die vorübergehende
                                                    aus, dass es im Einzelfall gleichwohl ein Wir-
Inanspruchnahme von Flächen. Mit der Verände-
                                                    kungsgefüge geben könnte.
rung der Bodenstruktur und der Vegetation gehen
notwendigerweise Veränderungen bei den Bo-
                                                    Gegebenheiten am Anlagenstandort
denfunktionen einher. So dürfte die Bodenbear-
beitung regelmäßig zu Änderungen der Filterwir-     Welche Auswirkungen sich im Einzelfall bemerk-
kung des vorhandenen Bodens führen, so dass         bar machen, hängt nicht nur von der jeweiligen
etwa Luftschadstoffe, die auf den bearbeiteten      auslösenden Tätigkeit bzw. Maßnahme ab, son-
Flächen deponieren, nicht mehr vom Bodensub-        dern insbesondere auch davon, welche Gege-
strat und/oder der vormals aufstockenden Vege-      benheiten am Anlagenstandort vorherrschen. So
tation aufgenommen bzw. zurückgehalten wer-         liegt es etwa mit Blick auf Quellschüttungen oder
den können. Auch können etwa im Boden vorhan-       Oberflächengewässer auf der Hand, dass diese
dene und vormals zurückgehaltene Schadstoffe        nur beeinträchtigt werden können, wenn solche
durch verschiedene physikalische und chemische      am Anlagenstandort oder in der Wirkweite der
Prozesse erstmals entstehen, mobilisiert oder       Auswirkungen überhaupt vorhanden sind. In der
ausgewaschen werden. Darüber hinaus ist im Be-      überwiegenden Mehrzahl der Fälle, dürften diese
reich der Bodenbearbeitung mit Veränderung der      Schutzgüter nicht betroffen sein. Anders sieht es
Versickerungsfähigkeit von Niederschlagswasser      hingegen mit dem Grundwasser aus. Als Grund-
zu rechnen. Im Einzelfall kann es durch diese Tä-   wasser definiert § 3 Nr. 3 WHG das unterirdische
tigkeiten auch zu unmittelbaren Veränderungen       Wasser in der Sättigungszone, das in unmittelba-
von Quellschüttungen oder von Oberflächenge-        rer Berührung mit dem Boden oder dem Unter-
wässern kommen. Und schließlich besteht bei         grund steht. Da Wasser im Boden der Schwer-
Bauarbeiten immer die Möglichkeit des Eintrages     kraft folgend in immer tiefere Schichten versickert,
von Schadstoffen durch unsachgemäßen Einsatz        ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Ver-
von oder Unfällen an und mit Baustellenfahrzeu-     änderungen des Bodens dazu führen, dass Nie-
gen und -geräten. Wie weit diese Auswirkungen       derschlagswasser an einem Anlagenstandort
räumlich reichen und welche Qualität diese Aus-     auch in das Grundwasser gelangt. Das kann nur
wirkungen auf vornehmlich das Grundwasser,          in den Fällen anders sein, in dem die Schichten-
aber auch Oberflächengewässer haben, hängt          folge im Boden dazu führt, dass Niederschlags-
maßgeblich von den Gegebenheiten am Anlagen-        wasser nicht in das Grundwasser gelangen kann,
standort ab (siehe unten).                          sondern als Hang- oder Schichtenwasser unmit-
                                                    telbar in ein Fließgewässer geleitet wird, etwa
Die anlagenbedingten Auswirkungen setzen die
                                                    wenn es tonige Sperrschichten gibt. In diesem
zuvor beschriebenen baubedingten Auswirkun-
                                                    Fall wären unter besonderen Umständen auch
gen im Grunde fort, zumindest für die Dauer der
                                                    Auswirkungen für das jeweilige Fließgewässer
Existenz des Vorhandenseins der Anlagen und
                                                    denkbar. Mit Blick auf das an einem Standort in
20                           Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021

das Grundwasser versickernde Niederschlags-           nach der Rechtsprechung des Bundesverwal-
wasser hängt es wiederum von den geologischen         tungsgerichts, dass ein Grundwasserschaden nur
Verhältnissen im Untergrund des Anlagenstan-          dann „nicht zu besorgen“ ist, wenn keine auch
dortes ab, ob nachteilige Auswirkungen für das        noch so wenig naheliegende Wahrscheinlichkeit
Grundwasser zu besorgen sein können. So gibt          hierfür besteht. Das ist ein sehr strenger Maßstab,
es Standorte, an denen das unterirdischen Was-        der deutlich über den allgemeinen Wahrschein-
ser in der sog. Sättigungszone hoch ansteht. In       lichkeitsmaßstab des Ordnungsrechts hinaus-
diesen Fällen kann die Schwächung der das             geht. Er umfasst aber nicht jede denkbare, theo-
Grundwasser überlagernden Bodenschichten              retische Möglichkeit, die nie völlig ausgeschlos-
dazu führen, dass luftgetragene Schadstoffe oder      sen werden kann. Allein die Möglichkeit einer un-
im Boden vorhandene und durch die Bodenverän-         sachgemäßen Handhabung oder eines uner-
derung mobilisierte Schadstoffe leichter oder in      kennbaren Materialfehlers, d.h. die Möglichkeit ei-
höherer Konzentration in das Grundwasser ge-          nes menschlichen oder technischen Versagens,
langen können. Vergleichbares gilt für Fälle, in      die bzw. das theoretisch an jedem beliebigen Ort
denen das Grundwasser zwar relativ tief ansteht,      dazu führen kann, dass wassergefährdende
die überdeckenden Bodenschichten aber durch           Stoffe in das Grundwasser gelangen, reichen als
sehr wasserdurchlässige Gesteinsschichten ge-         Grundlage für die Annahme einer Besorgnis nicht
prägt sind. Die Beschaffenheit des Untergrundes       aus. Sie haben auch nach der Rechtsprechung
spielt auch eine Rolle für die Frage, wie weit sich   des Bundesverwaltungsgerichts als „reine Mög-
ein Schadstoffeintrag räumlich ausweitet. In ei-      lichkeiten“ grundsätzlich außer Betracht zu blei-
nem dichten, engporigen Untergrund verbreiten         ben. Letztlich ist es eine Frage des Einzelfalles,
sich Schadstoffe wesentlich langsamer und damit       wo die Grenze zwischen Wahrscheinlichkeit und
auch räumlich deutlich weniger weit, als in einem     bloßer Möglichkeit liegt, die auch davon abhängt,
großporigen bzw. sog. klüftigen oder karstigen        welches Schutzgut auf dem Spiel steht und wie
Untergrund, in dem das Wasser relativ leicht bis      groß das drohende Schadensausmaß ist. Ist die
ungehindert fließen kann. Der Effekt des Eintra-      Gefahr für das Grundwasser im Schadensfall be-
ges von Schadstoffen in das Grundwasser durch         sonders groß, kann das im Einzelfall dazu führen,
Veränderung des Bodens dürfte darüber hinaus          dass das Verlangen der Unwahrscheinlichkeit ei-
an vegetationsstarken oder Wald-Standorten re-        nes Schadenseintritts der Unmöglichkeit doch
gelmäßig stärker sein als an Standorten, die ver-     nahe- oder sogar gleichkommt. Bei der Beurtei-
gleichsweise vegetationsarm sind. Denn hier fällt     lung, welcher „Unwahrscheinlichkeitsmaßstab“
neben der Beeinträchtigung des Filtereffektes des     anzuwenden ist und ob aufgrund dieses Maß-
Bodens auch der Filtereffekt der Vegetation ins       stabs eine Besorgnis besteht, sind alle Umstände
Gewicht. Und natürlich spielt die Vorbelastung        abzuwägen, aus denen sich ein Anlass zur Sorge
des Bodens mit Schadstoffen bzw. die sog. geo-        ergeben kann, wie u.a. die Wahrscheinlichkeit
gene chemische Bodenbeschaffenheit eine Rolle         des Gelangens von verunreinigtem Grundwasser
für die Frage, ob und in welcher Stärke Schad-        in Wasserentnahmestellen für Menschen. Kön-
stoffe mobilisiert werden können.                     nen allerdings die nachteiligen Wirkungen durch
                                                      die Anordnung von Inhalts- und Nebenbestim-
Rechtliche Einstufung und Restriktionen ört-          mungen vermieden oder ausgeglichen werden
licher Gegebenheiten                                  können, ist auch dies in die Prüfung miteinzube-
                                                      ziehen. Zu berücksichtigen ist auch, ob das jewei-
Ob diese Auswirkungen von WEA auf den Boden
                                                      lige Vorhaben, das eine Besorgnis hervorrufen
und damit auch auf Gewässer standortbezogen
                                                      könnte, seinerseits dem Wohl der Allgemeinheit
zu einem Problem für die Genehmigungsfähigkeit
                                                      dient.
für WEA werden, hängt schließlich und nicht zu-
letzt von der rechtlichen Einstufung betroffener      Entsprechendes gilt für Trinkwasser, das als Mi-
Landflächen bzw. Gewässerkörper und von der           neral-, Quell- oder Tafelwasser genutzt werden
Nutzung des betroffenen Grundwassers ab.              darf und für das ergänzend die Qualitätsanforde-
                                                      rungen der Mineral- und Tafelwasser-Verordnung
In den Fällen, in denen das von den Auswirkun-
                                                      gelten. Ebenso ist eine Beeinträchtigung von
gen einer WEA betroffene Grundwasser in vom
                                                      Wasser, das aus Heilquellen gefördert wird, inso-
Menschen zugelassener Weise als Trinkwasser
                                                      fern auszuschließen, dass der jeweilige Zweck
genutzt wird, muss ausgeschlossen werden kön-
                                                      der Förderung von Heilwasser gefährdet wird.
nen, dass die Auswirkungen zu einer Verfehlung
der Vorgaben der Trinkwasserverordnung führen         In vielen Fällen wird die Trinkwassergewinnung
können. Das ist regelmäßig nur dann der Fall,         insbesondere öffentlicher Wasserversorger durch
wenn Grundwasserverunreinigungen nicht zu be-         die Ausweisung von Wasserschutzgebieten flan-
sorgen sind. Der sog. Besorgnisgrundsatz besagt
Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021                         21

kiert, jedenfalls soweit es das Wohl der Allge-       (GWK) finden, soll ein guter ökologischer und
meinheit erfordert, § 51 WHG. Mit dem durch           chemischer Zustand für OWK und ein guter men-
Rechtsverordnung (bisweilen auch durch vorläu-        genmäßiger und chemischer Zustand für GWK er-
figen Anordnung) verfügten Schutz einer Fläche        reicht werden - bei letzteren ist auch ein evtl. ne-
als Wasserschutzgebiet sind besondere Anforde-        gativer Trend der Schadstoffbelastung umzukeh-
rungen für die Landnutzung in diesen Gebieten         ren. Die WRRL hat für die Abgrenzung, Bewer-
verbunden. In der Regel ist ein Wasserschutzge-       tung (Einstufung) und Bewirtschaftung von Ge-
biet für die Trinkwassergewinnung in drei Zonen       wässerkörpern ein komplexes Regelungssystem
gegliedert, wobei zwischen dem Fassungsbe-            geschaffen, das an dieser Stelle nur sehr verein-
reich (des oder der BrunnenBrunnen) = Zone I,         facht und verkürzt erläutert werden kann. Aus-
dem engeren Schutzgebiet = Zone II und dem            gangspunkt für die Feststellung einer Verschlech-
weiteren Schutzgebiet = Zone III unterschieden        terung eines Wasserkörpers ist der Ist-Zustand.
wird; die Zone III wird dabei bisweilen noch in ei-   Ausgangspunkt für die Prüfung des Verbesse-
nen Bereich A und B unterteilt. In der Zone I sind    rungsgebotes ist der binnen einer bestimmten
grundsätzlich alle Handlungen und Tätigkeiten,        Frist zu erreichende Zielzustand. Dabei ist zu-
die zu einer Beeinträchtigung des Grundwassers        nächst nicht auf einen punktuellen Zustand abzu-
führen können, verboten. An die Zone I schließt       stellen, sondern grundsätzlich auf die Einstufung
sich die Zone II an, die bis zur sog. 50-Tage-Linie   des jeweiligen Wasserkörpers insgesamt. Die
reicht. Von dieser Linie benötigt das Grundwasser     Einstufung eines Wasserkörpers richtet sich nach
etwa 50 Tage bis zum Eintreffen an der Fas-           einer Vielzahl von Kriterien und Grenzwerten, die
sungsanlage. Damit soll sichergestellt werden,        an repräsentativen Überwachungsmessstellen
dass Trinkwasser vor pathogenen Keimen und            erhoben werden. Nach jüngster Rechtsprechung
Verunreinigungen geschützt ist. Dementspre-           des EuGH gilt allerdings, dass eine Zustandsver-
chend sind nach der jeweiligen Wasserschutzge-        änderung an einer einzelnen dieser Überwa-
bietsverordnung auch in diesem Bereich alle Tä-       chungsmessstellen, die allein für sich betrachtet
tigkeiten und Handlungen verboten, die zu einer       eine negative Änderung der Einstufung des Was-
Beeinträchtigung des Grundwassers führen kön-         serkörpers nach sich ziehen würde, zumindest als
nen. Die Zone III umfasst jenseits der 50-Tage-       Verschlechterung zu werten ist. Mit Blick auf die
Linie das gesamte Einzugsgebiet des geschütz-         Relevanz des Baus und Betriebs von WEA auf
ten Trinkwasservorkommens. Damit soll ein             OWK und GWK ist allerdings zu beachten, dass
Schutz vor mittel- und langfristigen, oftmals nicht   ein einzelner WEA-Standort in der Regel nur zu
unmittelbar absehbaren Beeinträchtigungen, ins-       Veränderungen der Bodenbeschaffenheit und -
besondere durch chemische Stoffe, die nicht ab-       funktionen auf einer Fläche von wenigen 1.000
gebaut werden können, gewährleistet werden.           m², dauerhaft von max. 2.000 m² führt. GWK ha-
Für die Zone III wird regelmäßig ein Genehmi-         ben aber eine vielfache Größe, die in wenigen
gungsvorbehalt für Tätigkeiten und Handlungen         Fällen im zweistelligen Bereich, oft im dreistelli-
verfügt. Damit soll sichergestellt werden, dass       gen Bereich und bisweilen auch im vierstelligen
auch in dieser Zone keine Landnutzung erfolgt,        km²-Bereich liegen. Entsprechend sind auch
die nicht vorher einer behördlichen Prüfung auf       OWK abgrenzt, bei denen Veränderungen im ge-
Relevanz für den Schutz des Trinkwassers unter-       samten Einzugsbereich in den Blick zu nehmen
zogen worden ist. Für die WEA-Nutzung kommt           sind. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass
danach allenfalls ein Standort in der Schutzzone      die Auswirkungen von WEA für die Einstufung
III in Betracht, wobei natürlich der Genehmi-         von Wasserkörpern in der Regel kaum bedeut-
gungsvorbehalt zu beachten ist und erfüllt werden     sam sein dürften. Hinzukommt, dass das Bundes-
kann. Entsprechendes gilt für ausgewiesene Heil-      verwaltungsgericht mit Blick auf die Beachtung
quellenschutzgebiete und die mit der Schutzge-        der Bewirtschaftungsziele nicht auf den Besorg-
bietsausweisung getroffenen Regelungen.               nisgrundsatz abstellt, sondern auf den weniger
                                                      strengen allgemeinen ordnungsrechtlichen Wahr-
Über diese speziellen Regelungen zum Trink- und
                                                      scheinlichkeitsmaßstab.
Heilwasserschutz hinaus sind auch die allgemei-
nen Regelungen über die wasserrechtlichen Be-         Trotzdem ist es aus spezifischen verfahrensrecht-
wirtschaftungsziele, das sog. Verschlechterungs-      lichen Gründen der WRRL angezeigt, auch im im-
verbot und das Verbesserungsgebot grundsätz-          missionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfah-
lich beachtlich. Mit diesen beiden Bewirtschaf-       ren für WEA zu prüfen, ob es Auswirkungen auf
tungszielen, die aus der Wasserrahmenrichtlinie       die Bewirtschaftungsziele für OWK und GWK gibt
(WRRL) herrühren und sich im nationalen Recht         bzw. geben kann. Wie weitgehend bzw. tief diese
in § 27 WHG für Oberflächenwasserkörper               Prüfung vorzunehmen ist, hängt letztlich davon
(OWK) und in § 47 WHG für Grundwasserkörper
22                           Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021

ab, welche Gefahren/Risiken aus den geologi-          Voraussetzung für den rechtmäßigen Erlass ei-
schen/hydrologischen Bedingungen am WEA-              ner Außenbereichssatzung ist nach § 35 Abs. 6
Standort und dessen Umgebung, aus der partielle       Satz 1 BauGB, dass ein bebauter, nicht überwie-
Änderung der Bodennutzung durch WEA für Was-          gend landwirtschaftlich geprägter Bereich vor-
serkörper und dem Gefahrenpotential in Havarie-       liegt, in dem bereits Wohnbebauung mit einigem
fällen sowie etwaig nahegelegene Messstellen          Gewicht vorhanden ist. Bebaut in diesem Sinne
nach WRRL zu besorgen sind.                           ist ein Bereich, wenn und soweit bereits eine vor-
                                                      handene Bebauung dazu führt, dass der Außen-
Fazit                                                 bereich seine Funktion, als Freiraum oder als Flä-
                                                      che für privilegiert zulässige Vorhaben zu dienen,
WEA haben in aller Regel jedenfalls kleinräumig
                                                      nicht mehr oder nur noch mit wesentlichen Ein-
Auswirkungen auf das Grundwasser und manch-
                                                      schränkungen erfüllen kann (BVerwG, Urteil vom
mal vielleicht sogar auf Oberflächenwasserkör-
                                                      13.07.2006, Az. 4 C 2/05).
per. Ob diese Auswirkungen zu einem Hindernis
für eine Zulassungsentscheidung werden kön-           Der Begriff „landwirtschaftlich“ bezieht sich in die-
nen, hängt einerseits von den geologischen und        sem Kontext nicht nur auf Vorhaben im Sinne des
hydrologischen Verhältnissen an den vorgesehe-        § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, sondern auch auf das
nen Anlagenstandorten und dem Wirkungsgefüge          landwirtschaftsbezogene und -gebundene Woh-
der vorhandenen Grundwasserleiter und den             nen. Bei der Frage nach der überwiegenden land-
Oberflächengewässern ab und andererseits von          wirtschaftlichen Prägung ist auf das Verhältnis der
der rechtlichen Schutzwürdigkeit des jeweiligen       verschiedenen Arten von Nutzungen auf der Flä-
Wasservorkommens. Bei betroffener Trinkwas-           che insgesamt abzustellen. Eine Wohnbebauung
sernutzung bzw. bei betroffenen Wasser- bzw.          mit einigem Gewicht liegt also in der Regel dann
Heilquellenschutzgebieten könnte es durchaus          vor, wenn mehrere nicht landwirtschaftliche
kritisch werden für einen WEA-Standort. Mit Blick     Wohngebäude vorhanden sind.
auf die wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele,
                                                      Im vorliegenden Fall lag die Situation insgesamt
ist eine kritische Situation zwar nicht per se aus-
                                                      anders; die alte Ziegelei umfasste lediglich ein
zuschließen, aber wohl doch eher unwahrschein-
                                                      einziges restauriertes Wohngebäude, angesiedelt
lich. Eine ordentliche Prüfung sollte aber gleich-
                                                      in einer vom Flächennutzungsplan als landwirt-
wohl erfolgen.
                                                      schaftliche Fläche ausgewiesenen Umgebung.
                                                      Zudem war der regionale Raumordnungsplan zu
                                                      berücksichtigen, der die in Rede stehende Fläche
            Aus der Anfragenpraxis:                   unter anderem als Vorbehaltsgebiet für Grund-
        die Außenbereichssatzung nach                 wasserschutz und besonderen Klimaschutz so-
              § 35 Abs. 6 BauGB                       wie als Vorranggebiet für vorbeugenden Hoch-
                                                      wasserschutz und regionalen Grünzug vorsah.
           Von Annika Domnick, Wetzlar                Außerdem lag ein kleiner Teil der Fläche in einem
                                                      Naturschutzgebiet. All diese Punkte waren auch
Die Bebauung des Gemeindegebiets wird grund-          bei der Aufstellung der Außenbereichssatzung zu
sätzlich auf kommunaler Ebene durch Flächen-          berücksichtigen.
nutzungs- und Bebauungspläne geregelt. Dabei
legt der Bebauungsplan die Nutzungsmöglichkei-        Im Zuge des Erlasses der Außenbereichssatzung
ten im Innenbereich fest; der Außenbereich ist        wurde eine Aufstellungsbeschlussvorlage über
gem. § 35 BauGB grundsätzlich von Bebauungen          die Lagerhalle sowie zwei Wohnhäuser in die
freizuhalten. Um von diesen Plänen abweichende        Stadtverordnetenversammlung der betroffenen
Vorhaben möglich zu machen, kann die Ge-              Gemeinde eingebracht. In diesem Zusammen-
meinde gem. § 35 Abs. 6 BauGB eine sog. „Au-          hang fertigte der Hessische Städte- und Gemein-
ßenbereichssatzung“ erlassen.                         debund (HSGB) ein Gutachten an, in dem Beden-
                                                      ken bezüglich der städtebaulichen Entwicklung
Um die Rechtmäßigkeit einer solchen Außenbe-          der Gegend geäußert wurden. Trotzdem nahm
reichssatzung ging es im vorliegend besproche-        die Stadtverordnetenversammlung den Aufstel-
nen Fall: Ausgangspunkt des Verfahrens war ein        lungsbeschluss an und ermöglichte so den Fort-
Bauantrag, durch den auf einem im Außenbereich        gang des Verfahrens.
liegenden Grundstück eine alte Ziegelei um eine
Lagerhalle und mehrere Wohnhäuser ergänzt             Der nächste Verfahrensschritt war die frühzeitige
werden sollte. Da der Bauantrag jedoch abge-          Öffentlichkeitsbeteiligung, woraufhin verschie-
lehnt wurde, sollte eine Außenbereichssatzung         dene Stellen ihre Bedenken anmeldeten: Zu-
für das betroffene Gebiet erlassen werden.            nächst gaben einige Naturschutzverbände (na-
                                                      mentlich BVNH, BUND Hessen, DGWV, HGON,
Recht der Natur-Schnellbrief 225 – März/April 2021                       23

NABU und SDW) gemeinsam eine Stellung-              § 47 VwGO zu stellen, mit dem Ziel, die Rechtmä-
nahme ab, in der sie der geplanten Satzung wi-      ßigkeit   der  Außenbereichssatzung         nach
dersprachen und auf die Gefahr der Entstehung       § 35 VI BauGB zu überprüfen.
einer Splittersiedlung hinwiesen. Auch die Untere
                                                    Zwar bleibt das Ergebnis des Normenkontrollver-
Naturschutzbehörde wies auf eine nicht steuer-
                                                    fahrens abzuwarten, doch ist allein die Überprü-
bare Abfolge möglicher Baumaßnahmen und die
                                                    fung der Satzung durch die Aufsichtsbehörde, an-
daraus resultierende Gefahr von Strukturverän-
                                                    gestoßen durch eine Petition, ein großer Erfolg für
derungen in der Landschaft hin. Ebenso zweifelte
                                                    die Naturschützer*innen.
der Magistrat die Zulässigkeit der Außenbereichs-
satzung an, empfahl der Stadtverordnetenver-
sammlung jedoch entgegen dieser Einschätzung,
den Entwurf anzunehmen und das Verfahren                           Buchbesprechung
dadurch weiterzuführen.
                                                    Löffler, Lisa, Integrierter Schutz vor gefährli-
Im Gegensatz zu den kritischen Äußerungen gab       chen Stoffen – Auswirkungen und Operationa-
das Dezernat „Raumordnung und Landespla-            lisierung der REACH-Verordnung im Wasser –
nung“ des zuständigen Regierungspräsidiums          und Immissionsschutzrecht; Nomos, Baden-
(RP) an, das Vorhaben entspreche den oben ge-       Baden, 2020, 89,- Euro
nannten Voraussetzungen des § 35 Abs. 6
BauGB.                                              Die 2018 abgeschlossene Münsteraner Disserta-
Nach leichten Veränderungen wurde der Entwurf       tion befasst sich mit der überaus komplexen Ma-
der Außenbereichssatzung erneut ausgelegt. Da-      terie des Chemikalienrechts und dem Verhältnis
raufhin legten die oben genannten Naturschutz-      zum Wasser- und Immissionsschutzrecht. Viele in
verbände ein weiteres Mal Widerspruch ein, da       der modernen Industriegesellschaft auftretende
sie die Voraussetzungen des § 35 VI BauGB wei-      Umweltprobleme werden durch gefährliche
terhin als nicht gegeben ansahen. Auch der          Stoffe, insbesondere organische Chemikalien
HSGB erstellte ein weiteres Gutachten, das die im   und Schwermetalle verursacht. Sie belasten die
ersten Gutachten geäußerten Bedenken bestä-         Umweltmedien Wasser, Luft und Boden, verän-
tigte und präzisierte.                              dern ihre stoffliche Zusammensetzung und kön-
                                                    nen durch ihre Absorption Änderungen der Funk-
Der Magistrat, dessen Bedenken ausgeräumt zu        tionsabläufe im menschlichen Körper und in Öko-
sein schienen, empfahl den Stadtverordneten, die    systemen hervorrufen. Die Ursachen für die auf-
Äußerungen des HSGB und des RP-Dezernats            tretenden Umweltprobleme liegen zum einen in
Raumordnung und Landesplanung außen vor zu          Wissenslücken hinsichtlich gefährlicher Stoffe, ih-
lassen und die Außenbereichssatzung zu be-          rer Eigenschaften und Wirkungen, zum anderen
schließen. Im Ergebnis folgte die Stadtverordne-    aber auch in rechtlichen Mangeln, etwa in wir-
tenversammlung diesem Vorschlag.                    kungslosen Regelungskonzepten und Inkohären-
Um die nach eigenen Einschätzungen rechtswid-       zen zwischen verschiedenen Regelungsberei-
rige Außenbereichssatzung nicht unüberprüft ste-    chen. Diese Arbeit analysiert zu diesem Zweck,
hen zu lassen, entschloss sich der BUND Mitte       ob und wie sich die REACH-VO (europäische
März 2020 zu einem weiteren Vorgehen: Zu-           Chemikalienverordnung für Registrierung, Bewer-
nächst wurde beim Petitionsausschuss des Hes-       tung, Zulassung und Beschreibung chemischer
sischen Landtages eine Petition mit dem Ziel ein-   Stoffe) auf das sektorale Umweltfachrecht - in Ge-
gereicht, dass die Verwaltung die (aus der Sicht    stalt des Wasser- und Immissionsschutzrechts
des BUND rechtswidrige) Außenbereichssatzung        auswirkt und inwiefern die Regelungsbereiche ei-
aufheben möge. Ein ähnlicher Antrag ging beim       nen kohärenten und effektiven Schutz von
zuständigen RP ein, das im Rahmen der Rechts-       Mensch und Umwelt vor gefährlichen Stoffen ge-
aufsicht den Beschluss aufheben sollte.             währleisten. Systematisch werden die einzelnen
                                                    Regelungsbereiche analysiert und fundiert die un-
In der ersten Märzwoche 2021 konnte dann end-       zureichende Koordination herausgearbeitet.
lich ein großer Erfolg verbucht werden: Das Hes-
sische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Ver-    Sodann wird die Notwendigkeit der Koordinierung
kehr und Wohnen bestätigte die bau- und natur-      des Wasserrechts und des Immissionsschutz-
schutzrechtlichen Bedenken bezüglich der Recht-     rechts auf der einen Seite und der REACH-VO auf
mäßigkeit der Außenbereichssatzung. Ebendiese       der anderen Seite dargestellt. Ziel müsse es sein,
Bedenken nahm das Regierungspräsidium zum           dass durch die Verzahnung der Regelungsregime
Anlass, einen Normenkontrollantrag nach             der Eintrag von Schadstoffen umfassend mini-
                                                    miert und so ein hohes Schutzniveau für Mensch
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