Warum Baden unter Napoleon nicht Königreich wurde

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Warum Baden unter Napoleon nicht Königreich wurde
                          Von Karlhans Grueninger, Freiburg i. Br.
            Erstveröffentlicht: Badische Heimat 34 (1954) S. 275 - 284

Der Sonderfriede, den Preußen im Jahre 1795       von Wien aus als „Judas am Reiche“ bezeich-
zu Basel mit Frankreich schloß, war der Stein,    net wurde.
welcher die Lawine ins Rollen brachte, die
                                                  „Als freier deutscher Fürst“ hat sich der badi-
schließlich elf Jahre später das Heilige Römi-
                                                  sche Markgraf Karl Friedrich gegen die franzö-
sche Reich Deutscher Nation in den Abgrund
                                                  sische Gewaltpolitik gewehrt, solange es nur
riß.
                                                  möglich war, ohne die völlige Vernichtung sei-
Zu den Opfern der preußischen Sonderpolitik       nes Landes auf sein Gewissen zu laden. Wenn
gehörten vor allem die süddeutschen Reichs-       trotzdem Baden aus dem Niedergang sehr ver-
stände, in erster Linie die Markgrafschaft Ba-    größert hervorging, so verdankt es dies nicht
den, der österreichische Breisgau und die         zuletzt der Persönlichkeit dieses Fürsten, dem
übrigen Angrenzer des Oberrheins. Der für         ein Friedrich der Große, Goethe und auch Na-
die preußische Außenpolitik verantwortliche       poleon I. größte Hochachtung zollten.
Staatsmann und Unterzeichner des Basler
                                                  Durch den unglücklichen Ausgang der drei Ko-
Friedens sympathisierte sogar mit einer fran-
                                                  alitionskriege war der badische Markgraf wie
zösischen Invasion in Baden, so daß sich
                                                  die übrigen süddeutschen Reichsstände auf
der preußische König, der sich als künftiger
                                                  unmittelbare Verständigung mit Frankreich an-
Friedensvermittler zwischen dem Reich und
                                                  gewiesen, umsomehr als die Entschädigun
Frankreich fühlte, nicht wundern durfte, daß er

                                                                                                    275
gen der deutschen Fürsten für ihre linksrhei-      ist. Diese Idee der Vereinigung sei so natür-
      nischen Verluste letzten Endes nicht beim          lich, daß sie eigentlich schon zur Zeit des
      Reichstag in Regensburg sondern in Paris           Kaisers Maximilian hätte verwirklicht werden
      festgesetzt wurden. Dieser schamlose Län-          müssen, auch werde sie von beiden Völkern
      derschacher auf Kosten zunächst der Kirche,        gewünscht. Vor allem, meint er, wünschten die
      dann der kleineren weltlichen Fürsten führte       Badener und Württemberger diesen Zusam-
      schließlich zu der Gestaltung der politischen      menschluß mit der Schweiz. Um einen Anfang
      Landkarte des deutschen Südens, wie sie uns        zu machen, schlägt er die Besetzung der vier
      im wesentlichen bis 1945 vertraut war.             Waldstädte — also von Waldshut, Laufenburg,
                                                         Säckingen und Rhein- felden — der Land-
      Die Jahre 1803, 1805, 1806, 1810 und 1819
                                                         grafschaft Nellenburg — d. h. des Gebietes
      sind die Marksteine der Entwicklung Badens
                                                         von Singen, Radolfzell und Stockach — und
      von der Markgrafschaft über das Kurfürsten-
                                                         des Breisgaus durch die Truppen der franzö-
      tum zum Großherzogtum im Jahre 1806 und
                                                         sischen Republik vor. Die Bevölkerung aller
      der letzten Gebietserwerbung im Jahre 1819.
                                                         dieser damals vorderösterreichischen Gebie-
      Karl Friedrich von Baden hat das Glück ge-         te solle dann ermutigt werden, den Anschluß
      habt, in den entscheidenden Jahren, insbe-         (reunion) an die Helvetische Republik, wie die
      sondere bei den so schwierigen und peinlichen      Schweiz damals hieß, zu verlangen. Diesem
      Verhandlungen in Paris, in der Person des          Ansinnen werde das französische Direktorium
      Freiherrn Sigmund Karl Johann von Reitzen-         nachkommen. In den anderen Nachbarlän-
      stein einen Vertreter der badischen Belange zu     dern solle es dann ebenso gemacht werden,
      besitzen, der in zähem, unentwegtem Ringen         vorab in Württemberg und den Reichsstädten,
      und in klarer Realpolitik auf ein Ziel zusteuer-   besonders in Ulm. Damit Preußen und Bayern
      te: Erhebung und Vergrößerung Badens zu ei-        nicht neidisch würden, was sicherlich der Fall
      nem deutschen Mittelstaat, der als Königreich      sein werde, wenn sich diese neue Helvetische
      dem Nachbarn Württemberg und auch Bayern           Republik bis zum Main erstrecken sollte und
      durchaus ebenbürtig sein sollte.                   noch die rechtsrheinische Pfalz und Ansbach
                                                         dazukämen, solle Böhmen zwischen Preußen
      Bei seinen Bemühungen, dieses Ziel zu errei-
                                                         und Bayern geteilt und so drei gleichstarke
      chen, griff Reitzenstein auf Ideen zurück, die
                                                         deutsche Mächte geschaffen werden. Frank-
      schon 1799 ein ehemaliger preußischer Di-
                                                         reich werde „nur“ Mannheim in Besitz neh-
      plomat dem Außenminister der französischen
                                                         men. (Politische Korrespondenz Karl Fried-
      Republik Talleyrand vorgetragen hatte. Der
                                                         richs von Baden 1783—1806. Bearbeitet von
      nunmehrige französiche Agent Theremin sieht
                                                         Erdmannsdörffer und Obser 1888-1915. Band
      in seinem Bericht vom 19. 3. 1799 nach sei-
                                                         VI, S. 141-145; künftig zitiert P. K. Die zitierten
      nen Nachforschungen in Karlsruhe, Stuttgart,
                                                         Schriftstücke sind meist französisch im Origi-
      Bruchsal, Heilbronn und anderen Orten folgen-
                                                         nal und im Abdruck.)
      des Bild der politischen Möglichkeiten im deut-
      schen Südwesten:                                   Reitzenstein war nicht ohne Kenntnis solcher
                                                         Gedankengänge. Am 13. 2. 1799 schrieb er an
      Allgemeine Neigung für eine Vereinigung mit
                                                         den badischen Staatsminister v. Edels- heim,
      der Schweiz, deren Bevölkerung die gleiche ist
                                                         daß man in Württemberg eifrig am Sturze der
      wie die Schwabens, da sie dieselbe Sprache
                                                         Verfassung arbeite, daß die Helvetische Re-
      spricht, die gleichen Gewohnheiten hat und
                                                         publik diese Pläne begünstige, ja sogar hoffe,
      dieselbe Religion und durch zahllose Bezie-
                                                         Schwaben mit sich zu vereinigen. Auch die
      hungen des Handels, der Nachbarschaft und
      der Verwandtschaft vermischt und verbunden         diesbezügliche Beschwerde Württem-

        Anbetung des Christkinds. Sammlung Winterhalt, Miltenberg

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bergs über diese schweizerischen Annexions-         Fünf Jahre später hören wir dann aber auch
pläne kennt Reitzenstein. (P. K. B. III, S. 159.)   von badischen Absichten auf die Schweiz und
                                                    Württemberg.
Über diese Beschwerde berichtet einen Mo-
nat später der schweizerische Gesandte in           Am 26. 9. 1804 — also im selben Monat, da
Paris Zeltner nach Bern, Talleyrand habe dem        der 1803 Kurfürst gewordene, 76jährige Karl
Württemberger erklärt, „die fraglichen Gerüch-      Friedrich von Baden in Mainz Napoleon seine
te“ seien „unbegründet“. (P. K. B. III, S. 183.)    Aufwartung machte, berichtete der badische
                                                    Geschäftsträger Freiherr Reinhard v. Gemmin-
Die Grenzen, bis zu denen die schweizerischen
                                                    gen aus Wien an den badischen Staatsminister
Einverleibungswünsche gehen, beschreibt der
                                                    Freiherrn Georg Ludwig v. Edelsheim von Ge-
fürstenbergische Regierungspräsident v. Kleist
                                                    rüchten über neue Territorialveränderungen.
an den badischen Staatsminister von Edels-
                                                    Baden hatte ja inzwischen durch den Reichs-
heim am 8. 2. 1799:
                                                    deputationshauptschluß     die   rechtsrheini-
.. das helvetische Geheimnis ist Ihnen wohl         schen Gebiete der Bistümer Konstanz, Basel,
schon lange bekannt. Diese fruchtarme Re-           Speyer, Straßburg, dann die rechtsrheinische
publik, welche nun auch bald geldarm wer-           Pfalz, Ladenburg, Bretten, Heidelberg und
den muß, wünschte sehr, einige fruchtreiche         Mannheim erhalten; ferner die Herrschaften
Departements von Schwaben einverleibt zu            Lahr, das Hanauerland, 11 Abteien und sieben
haben, allenfalls bis an die Donau und Kinzig,      Reichsstädte. Nach den neuen Plänen sollte
um die neuen größeren Administrationskosten         der Kurfürst von Württemberg nach Hannover
eher bestreiten zu können. Die helvetischen         versetzt werden, Baden aber sollte Stücke von
Negociateurs in Paris sollen den Wunsch ei-         Württemberg und die Oberherrlichkeit über die
niger Mißvergnügter in Schwaben als einen           Schweiz bekommen (P. K. B. V, S. 179).
nationalen Wunsch von Schwaben geltend
                                                    Mögen diese Gerüchte der französischen Rea-
zu machen suchen. Gegen diese helvetische
                                                    litätspolitik nicht ganz entsprochen haben, so
Nego- ciation werden hoffentlich die mächtigen
                                                    steht doch fest, daß Frankreich größten Wert
Fürsten Schwabens, welche in guten Verhält-
                                                    legte auf einen ziemlich engen Zusammen-
nissen mit Frankreich stehen, die tunlichsten
                                                    schluß der von ihm abhängigen süddeutschen
Gegennegociationen anzubringen suchen.“ (P.
                                                    Mächte Bayern, Württemberg und Baden ei-
K. B. III, S. 177/78.)
                                                    nerseits und der Schweiz andererseits. Diese
Erinnert dies nicht an alte eidgenössische          französische Einstellung wird genauer präzi-
Wünsche, wie sie vor allem von Bern verfoch-        siert in dem zwischen Frankreich und den ge-
ten wurden, und die darauf abzielten, das eid-      nannten süddeutschen Staaten im Anschluß
genössische Gebiet bis über den südlichen           an den Preßburger Frieden geschlossenen Al-
Schwarzwald hinauszuschieben? Unter den             lianzvertrag vom 16. 1. beziehungsweise 21. 1.
„mächtigen Fürsten Schwaben“ versteht Klei-         1806, wo es im Artikel 11 heißt:
ser in erster Linie den Markgraf von Baden und
                                                    „Die helvetische Republik wird eingeladen
den Herzog von Württemberg. Hätte er geahnt,
                                                    werden, dem Bündnis beizutreten, in dessen
welches Schicksal seinem geliebten Fürsten-
                                                    Rechte und Pflichten sie so eintreten wird,
tum Fürstenberg gerade von diesen beiden
                                                    als ob sie unter der Zahl der abschließenden
schwäbischen Fürsten blühen sollte, wäre er
                                                    Mächte gewesen wäre“ (P. K. B. V, S. 521).
vielleicht den vermeintlichen Schweizer Aspi-
rationen nicht so ablehnend gegenübergestan-        Am Tage der Unterzeichnung des Vertrages in
den.                                                Karlsruhe, am 21. 1. 1806, weilte Napo-

                                                                                                     277
Ieon in der badischen Landeshauptstadt. Hier     bundes, B. I., S. 246).
      wurde beschlossen, daß der Kurprinz Karl, der
                                                       Doch nun war durch die geplante politische
      voraussichtliche Nachfolger Karl Friedrichs,
                                                       Heirat zwischen dem badischen Kurprinzen
      seine Verlobung mit der bayrischen Prinzes-
                                                       und der Stieftochter Napoleons eine neue
      sin Auguste, eine Verbindung, die Napoleon
                                                       Lage eingetreten, die Reitzenstein rücksichts-
      für Frankreich ungünstig schien, lösen sollte
                                                       los auszunützen gedachte. Erleichtert wurde
      und dafür die Stieftochter Napoleons, Stepha-
                                                       ihm seine Arbeit durch das Entgegenkommen
      nie Beauharnais, heiraten solle. Der badische
                                                       Napoleons der Markgräfin gegenüber, Stepha-
      Interessenvertreter Freiherr von Reitzenstein
                                                       nie zu adoptieren und zur kaiserlichen Prin-
      hoffte, Karl werde sich das Opfer seiner ech-
                                                       zessin zu erheben. Da Karl schon einen Monat
      ten Liebe zugunsten der Politik teuer bezahlen
                                                       vor der Hochzeit in Paris weilte, bearbeitete
      lassen.
                                                       ihn der Freiherr mündlich und schriftlich, um
      Es war allerdings ein schwieriges Stück Ar-      ihn zu energischer Verfechtung der badischen
      beit, Napoleon für den badischen Kurprinzen      Pläne bei seinem kaiserlichen Adoptivschwie-
      überhaupt einmal günstig zu stimmen. Napole-     gervater anzueifern. Er ging dabei weit in die
      on lehnte Karl wegen seiner guten deutschen      geschichtliche Vergangenheit zurück. So er-
      Haltung ab. Wohl hatte sich der Kurprinz mit     innerte er ihn am 6. März 1806 an die „unbe-
      seinem Großvater zu Beginn des dritten Ko-       streitbaren“ Rechte des badischen Herrscher-
      alitionskriegs in Ettlingen eingefunden, wo am   hauses auf Neuenburg und Valangin in der
      1. Oktober 1805 der Vertrag über die Stellung    heutigen Schweiz (P. K. B., V, S. 580/81). Hat-
      eines badischen Hilfskorps von 3000 Mann un-     te er im Artikel 5 eines Vorschlages zu einem
      terzeichnet wurde. Dem Verlangen Napoleons       Geheimvertrag 1796 Talleyrand aufgefordert,
      aber, der Kurprinz solle die badischen Trup-     auf den Kanton Basel einzuwirken, damit er
      pen selbst führen, setzte Karl eisernen Wider-   seine rechtsrheinischen Dörfer Bettingen und
      stand entgegen wie auch dem bescheideneren       Riehen an den badischen Markgrafen abtrete
      Wunsch, die badische Hilfstruppe in Pforzheim    (P. K., B. III, S. 72), so ist er jetzt nicht mehr so
      zu verabschieden. Kriegerische Lorbeeren         bescheiden, vielmehr verlangt er jetzt in einer
      zu erringen, bekamen die Badener in diesem       Denkschrift, die die Grundlage für Karls neu
      Feldzug keine Gelegenheit.                       zu stellende Forderungen bilden soll außer
                                                       den rechtsrheinischen Stücken der Schweiz
      Noch schroffer in ihrer Ablehnung Napoleons
                                                       noch das linksmainische Hessen, Frankfurt,
      war die Mutter des badischen Thronerben, die
                                                       Aschaffenburg und Nürnberg (P. K., B. V, S.
      Markgräfin Amalie Friederike, was übrigens
                                                       58 5). Noch im März 1806 wird in diplomati-
      Napoleon nicht hinderte, sie wegen ihrer stol-
                                                       schen Kreisen bekannt, daß Baden auf eini-
      zen Haltung zu bewundern.
                                                       ge Schweizer Kantone wie Zürich, Basel und
      Diese persönlichen Dinge zusammen mit der        Schaffhausen spekuliert (P. K., B. V. S. 587).
      augenblicklichen doch noch bescheidenen          Selbst der ordentliche badische Gesandte in
      räumlichen Größe des Landes Baden bewirk-        Paris, v. Dalberg, der spätere französische
      ten es, daß weder der badische Vertreter bei     Herzog, berichtet Anfang April 1806 an v.
      den Friedensvorverhandlungen in Brünn, Ge-       Edelsheim, daß er der Frau des allmächtigen
      heimrat Öhl, noch auch Reitzenstein selbst,      Talleyrand erklärt habe, das Fürstentum Neu-
      der aus Paris nach Wien herbeigeeilt war,        enburg und die Schweiz müßten an Baden ge-
      durchsetzen konnten, daß im Preßburger Frie-     geben werden, und daß dieses sich mit vollem
      den Karl Friedrich die Königskrone zuerkannt     Recht beklage, so schlecht belohnt worden zu
      wurde (Th. Bitterauf, Geschichte des Rhein-      sein für alle die Opfer, die es für den

280
Kaiser und seine Familie gebracht habe (P. K.,     chen Prinzessin Stephanie! d. Verf.) als Teil
B. V, S. 597/98).                                  der kaiserlichen Familie ansehen kann. Die Er-
                                                   eignisse, die sich in Deutschland noch abspie-
Alle diese Erwägungen und Forderungen fin-
                                                   len könnten, lassen es übrigens allein schon
den ihren Niederschlag in den „knappen Be-
                                                   für angezeigt halten, ob man seine Absichten
trachtungen über die Möglichkeiten, dem
                                                   nicht auf die Ergänzung der natürlichen Gren-
Hause Baden eine genügende Vergrößerung
                                                   ze der badischen Gebiete zwischen Rhein und
zu geben, um ihm die königliche Würde über-
                                                   Main wird richten sollen bis zum Fürstentum
tragen zu lassen“. Reitzenstein hat sie im April
                                                   Aschaffenburg und der Stadt Frankfurt ein-
desselben Jahres geschrieben und für den
                                                   schließlich.“ (P. K. B. V., S. 603.)
Kronprinzen bestimmt.
                                                   Es war durchaus kein Wölkenkuckucksheim,
Es heißt da: „Nur wenn man dem Kurfürsten-
                                                   das hier Herr v. Reitzenstein vor dem badi-
tum Baden die Schweiz in ihrer Gesamtheit
                                                   schen Thronfolger aufbaute. Aus seiner Tä-
hinzufügt, wird man ihm einen zum minden-
                                                   tigkeit als Landvogt von Lörrach kannte er die
sten anständigen Platz unter den Königrei-
                                                   regen Beziehungen zwischen Baden und der
chen zuweisen können, da dieser neue Staat
                                                   Schweiz sehr genau, hatte doch z. B. Basel
dann eine Bevölkerung von fast zweieinhalb
                                                   selbst oft und oft die markgräfliche Familie be-
Millionen Seelen umfassen würde. Diese Maß-
                                                   sonders in Zeiten der Not in seinen Mauern be-
nahme würde ebensosehr der Gerechtigkeit
                                                   herbergt. Noch heute erinnert der schöne Bau
wie der Politik entsprechen. Die Schweiz ist       des markgräflichen Palais in der Hebelstraße,
eine der Besitzungen, welche in den glück-         der unter Friedrich Magnus v. Baden- Durlach
lichsten Zeiten, d. h. vor sechs Jahrhunder-       errichtet wurde, an die Verbundenheit des ba-
ten den Vorfahren des Kurprinzen gehörte;          dischen Fürstenhauses mit der Schweiz. [C.
ihr glorreichster Titel ist, Städtegründer in      A. Müller. Von Basels Beziehungen zur badi-
den Jahrhunderten der Barbarei gewesen zu          schen Markgrafschaft im 17. Jahrhundert (Ba-
sein, unter anderen die Städte Bern und Frei-      dische Heimat 1950, S. 97 ff., 1951, S. 30 ff.).]
burg gegründet, die Städte Yverdun, Moudon,
Burgdorf und andere vergrößert und befestigt       Bei der Möglichkeit der unmittelbaren Ausspra-
zu haben. Eine wohltätige Politik kommt glei-      che, die Kurprinz Karl mit Napoleon hatte, war
cherweise diesem Wechsel zu Hilfe. Nach all        es Reitzenstein sehr unangenehm, daß durch
dem, was die Schweiz seit zehn Jahren mit-         Dalbergs Offenheit die badischen Sehnsüch-
gemacht hat, ist es schwer, sich zu überreden,     te in eine weitere Öffentlichkeit zu gelangen
daß sie Ruhe bekommen werde, es sei denn           drohten. Zehn Tage nach der Hochzeit Karls
unter einer erblichen Regierung, und niemals       mit Stephanie, die am 8. April 1806 in Paris mit
wird England aufhören, auf dieses Land Hoff-       großer Pracht gefeiert wurde, berichtet Reit-
nungen zu setzen auf Verwirrung und Einfluß-       zenstein dem Staatsminister v. Edelsheim ein-
nahme zum Nachteile Frankreichs. Niemals           gehend über alle Schwierigkeiten, die seinen
wird es aufhören, durch seine Sendlinge die        Bemühungen um eine Vergrößerung Badens
Parteien zu unterstützen, es sei denn, es wird     entgegenstünden.
ihm durch eine gleichartige Monarchie die Tür      Gleich, nachdem er von der Absicht gehört
versperrt. Es ist also ein wirklicher Sieg über    habe, das Herzogtum Berg, auf das Baden An-
England, den .Frankreich erringt, wenn es die      spruch erhoben hatte, an des Kaisers Schwa-
Schweiz einem Herrscherhaus verschafft, des-       ger Murat zu geben, habe er seine Augen auf
sen Anhänglichkeit ihm für immer sicher ist,       die Schweiz geworfen und an ihre Erwerbung
und das sich schon jetzt (wir stehen kurz vor      unter dem Titel eines Königreichs Helvetien
der Hochzeit des Kurprinzen mit der kaiserli-      gedacht. Die diesbezügliche

                                                                                                       281
Denkschrift, — die wir oben kennengelernt         delt, d. h. den gegenwärtigen zu geringen Um-
      haben, — habe der Kurprinz später, als er es      fang unseres Landes, die Rechtmäßigkeit un-
      für wünschenswert gehalten habe, dem Kaiser       seres Wunsches, König zu werden wie unser
      überreicht. Der Kammerherr Thiard sei, of-        Nachbar, und die Notwendigkeit einer sehr be-
      fenbar von Talleyrand in Umrissen über diese      trächtlichen Vergrößerung, um zu diesem Ziel
      Gedankengänge unterrichtet, zu Dalberg ge-        zu gelangen.“ Auf den Einwand des Kaisers,
      laufen und habe ihm gesagt, wir müßten den        daß Baden in letzter Zeit doch viel mehr erhal-
      gesunden Menschenverstand verloren haben,         ten habe als Württemberg, entgegnete Reit-
      daß wir solche übertriebenen Forderungen          zenstein mit dem Hinweis, daß Baden schon
      stellten. Herr v. Talleyrand habe mehrfach ge-    lange vor Württemberg eine glänzende Rolle
      äußert: „Nein, nicht die ganze Schweiz, das ist   in der Geschichte gespielt habe. Schließlich
      zuviel, das ist unmöglich!“                       habe er den Kaiser dazu gebracht, daß er als
      Diese Ansicht habe auch General Duroc geteilt,    erster lächelnd bemerkte, er wisse wohl, daß
      dem er, Reitzenstein, geantwortet habe, es        es die Schweiz gewesen sei, die den Vorfah-
      schicke sich für den Ruhm des Kaisers nicht,      ren des badischen Hauses gehört habe. „Das
      Mittelmäßiges von ihm für seinen Schwieger-       war genau das, worauf ich hinaus wollte.“
      sohn zu verlangen.                                Da Napoleon kein Zeichen irgendwelcher
      „Zehn bis zwölf Tage später schließlich be-       Unzufriedenheit zeigte, war Reitzenstein
      merkte ich“, schreibt Reitzenstein, „einen be-    überzeugt, der Kaiser sei mit seinen Plänen
      trächtlichen Wandel zum Besseren in der Stim-     einverstanden. Dies ermutigte ihn, darauf hin-
      mung. In den Büros des Ministeriums sprach        zuweisen, daß es nicht nur im Interesse Ba-
      man mir von einem Teil der Schweiz als einer      dens, sondern ganz Europas liege, daß die
      Sache, die sich machen ließe. Vergangenen         Schweiz in ihrer Gesamtheit an Baden falle.
      Dienstag endlich habe ich in einer Bespre-        Ohne ein Wort der Mißbilligung hörte Napole-
      chung mit Talleyrand alle die zahlreichen und     on all dies an und sagte schließlich — Diplo-
      stichhaltigen Gründe wiederholt, die meinen       mat zu Diplomat —: „Der Mensch denkt, und
      Plan unterstützen konnten. Er, Talleyrand,        Gott lenkt“, er werde sehen, was er machen
      war keineswegs abweisend und gab mir den          könne, im übrigen dürfe die königliche Würde
      Rat, für den Kurprinzen eine Privataudienz        dem Hause Baden nicht fehlen. Der Kurprinz
      zu erbitten. Dies ließ mich fast glauben, daß     solle sich den Großen Kurfürsten zum Vorbild
      der Kaiser sich ernstlich mit der Vergrößerung    nehmen, der aus kleinsten Anfängen der Be-
      Badens beschäftigen will.“ Zum Schluß bittet      gründer der preußischen Monarchie geworden
      Reitzenstein den badischen leitenden Minister,    sei. Nur vom Kurprinzen hänge es ab, damit zu
      mit niemanden über diese Schweizer Pläne zu       beginnen, in gleicher Weise eine neue Epoche
      sprechen. (P. K. b. V., S. 604.)                  in der badischen Geschichte heraufzuführen.
                                                        Man solle auf ihn vertrauen und den geeigne-
      Unermüdlich, wie er ist, hat Reitzenstein sogar   ten Moment ab- warten, wo man die Pläne, die
      erreicht, daß er Napoleon selbst seine groß-      man hege, in die Wirklichkeit umsetzen könne.
      badischen Pläne vortragen durfte. Eingehend
      und so vertraulich, daß nicht einmal der Kur-     Reitzenstein fängt den Ball ebenso diploma-
      fürst davon etwas erfahren soll, berichtete er    tisch auf, indem er antwortet, der Prinz werde
      am 7. Mai 1806 über diese Privataudienz an        mit dieser Zusicherung völlig zufrieden sein
      Edelsheim:                                        und mit dem unbegrenztesten Vertrauen dem
                                                        Augenblick entgegenharren, wo die wohlwol-
      „ ... ln meiner Audienz habe ich auf alle mög-    lenden Absichten eines Monarchen, der das
      liche Weise das wesentlichste Thema behan-

282
Schicksal Europas in den Händen halte, ver-        Berg und Cleve. Im Gegenteil, er hoffte, daß
wirklicht werden könnten.                          hierdurch die badischen Pläne bezüglich der
                                                   Schweiz gefördert und begünstigt werden. Vor
Tags darauf, so berichtete Reitzenstein wei-
                                                   kurzem war er seiner Sache ganz sicher gewe-
ter an Edelsheim über seine Verhandlungen
                                                   sen. Weit davon entfernt, die ganze Schweiz
wegen der Vergrößerung Badens und seiner
                                                   zu beanspruchen, habe man doch die italieni-
Erhebung zum Königreich, habe er alles noch
                                                   schen und französischen Teile nie ernstlich be-
einmal Talleyrand wiederholt, besonders das        gehrt, glaubt er aber, so schreibt er an Edels-
auf die Schweiz Bezügliche, indem er betont        heim am 20. Juni 1806: „wir haben genügend
habe, daß der Kaiser in keiner Weise seine         Grund, uns zu beglückwünschen, wenn es uns
dringlichen Bitten in dieser Angelegenheit zu-     gelingt, die deutsche Schweiz zu erhalten“ (P.
rückgewiesen habe und daß er nun diese Er-         K., B. V, S. 665).
öffnung als Samenkorn ansehe, das keimen
müsse und das, so schmeichle er sich, sicher-      Von den oben erwähnten Mainplänen ist über-
lich Früchte tragen werde, wenn Talleyrand         haupt nicht mehr die Rede. Aus den Verhand-
ihm seine Sorgfalt zuwenden wolle. Hierauf         lungen mit Vertretern der Frankfurter Bürger-
habe ihm Talleyrand geantwortet, der Kaiser        schaft geht hervor, daß weite Kreise in Frank-
habe nach der Audienz mit ihm gesprochen           furt die badische Oberhoheit einer etwaigen
und daß er den Plan für ausführbar halte. Voll     hessischen vorzogen (P. K. B. V, S. 433 u.
Optimismus urteilt Reitzenstein über Talley-       592/92).
rand: „Nun, ich glaube, Herrn v. Talleyrand zu     Was die Hoffnung auf Erwerbung der Schweiz
kennen, und ich weiß, es gibt niemanden, der       oder wenigstens von Teilen der Schweiz an-
weniger geneigt ist, dergleichen Zusicherun-       geht, so werden hier die Ansprüche immer
gen ohne wirkliche Grundlage zu geben, be-         mehr zurückgesteckt.
sonders nicht mir gegenüber.“ Und so schmei-
                                                   In deutscher Sprache schreibt Reitzenstein an
chelt Reitzenstein sich, daß es ihm gelingen
                                                   den Geheimen Rat, d. h. die oberste Regie-
werde, die anfänglich so verfahrene Geschich-
                                                   rungsbehörde in Karlsruhe, von der Wichtigkeit
te zu einem guten Abschluß zu bringen (P. K.
                                                   der gelungenen Erwerbung des Fürstentums
B. V, S. 631/32).
                                                   Fürstenberg, daß durch sie „zu einem ununter-
Und doch muß er noch am selben Tag das er-         brochenen Zusammenhang von Wertheim bis
ste Bedenken des kaiserlichen Kriegsministers      Buchhorn (dem späteren Fried- richshafen, d.
Clarke melden. Dieser sieht große Schwierig-       Verf.) nur noch die Landgrafschaft Nellenburg
keiten voraus, wenn er auch überzeugt ist, daß     und der Canton Schaffhausen zu wünschen
Frankreich die Sache wünscht und diese allge-      übrig bleibt“ (P. K. B. V, S. 703).
meine Billigung verdiene. Nicht ohne Unruhe        Und was die Erlangung der Königskrone be-
denke er an die schweizerische Opposition,         trifft, so ist Reitzenstein hier nüchterner Real-
die bis zum Bürgerkrieg führen könne, weshalb      politiker genug, um auf das erneute Drängen
man Umwege ein- schlagen müsse, um die Sa-         Edelsheims im Auftrag des Großherzogs (am
che vorzubereiten und gut zu führen (P. K. B. V,   17. 8. 1806) für einen Diplomaten sehr deutlich
S. 632). So dürfen wir uns nicht wundern, daß      zu erklären, das Land sei zu klein. Der Name
Reitzensteins rosige Stimmung in der zweiten       König von Baden („Roi de Bade“) sei zu selt-
Junihälfte schon etwas verflogen ist.              sam, man möge sich im Interesse des eigenen
Keineswegs beunruhigt er sich — d. h. in ge-       Ansehens gedulden, bis man wirklich ein Kö-
wöhnlicher Sprache, er beunruhigt sich sehr —      nigreich besitze, und bis sich hierzu Gelegen-
über die Teilungen von Istrien, Dalmatien,         heit durch weiteren Gebietszuwachs biete und

                                                                                                       283
vielleicht der Titel eines Königs von Helvetien    erst ad acta gelegt, dann als durchaus möglich
      oder Alemannien angenommen werden kön-             hingestellt, und nun „sagt mir Eure Majestät,
      ne. Die württembergische Königswürde habe          die Sache läßt sich anscheinend nicht arran-
      ihrem Inhaber genug Spott eingetragen (P. K.,      gieren“. Er, Karl, gebe sich keinen Illusionen
      B. V, S. 719/20).                                  hin über die Absichten bezüglich der Schweiz,
                                                         er wolle zufrieden sein, wenn der Kaiser zu
      Karl Friedrich hat sich nur ungern mit seiner
                                                         seinem Versprechen stehe, daß, wenn die-
      ihm durch den Abschluß des Rheinbundes am
                                                         ses Land einer neuen Änderung anheimfallen
      12. Juli 1806 zuteil gewordenen Würde eines
                                                         solle, es niemand anders erhalte als er. (Fr. v.
      Großherzogs von Baden abgefunden, ebenso-
                                                         Weech, Baden unter den Großherzögen Carl
      wenig wie sein Sohn Karl. Aber was tat dieser
                                                         Friedrich, Carl, Ludwig 1738-18 30, S. 38 An-
      eigentlich in der ganzen Angelegenheit, er, den
                                                         merkung.)
      die Sache als Thronerben am meisten anging?
      Obwohl er doch der Schwiegersohn Napole-           Dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung. Die
      ons war, war er zur persönlichen Einflußnah-       staatsmännischen Bemühungen v. Reitzen-
      me kaum geeignet. Seine Schwerfälligkeit und       steins sollten, soweit sie der Schaffung eines
      Verlebtheit, die Vernachlässigung seiner Frau,     Königreichs gewidmet waren, ebenso erfolg-
      die doch des Kaisers Adoptivtochter war, konn-     los bleiben, wie der Appell des Erbgroßher-
      ten Napoleon sicherlich nicht dazu begeistern,     zogs an die verwandtschaftlichen Gefühle des
      Karl zum Herrscher eines größeren Landes zu        Kaisers. Napoleon war zu sehr Realpolitiker,
      machen. Während Karl noch im Juni 1806 an          als daß er seine politischen Pläne hätte von
      seine Mutter schreibt: „Mit unseren politischen    Gefühlsmomenten beeinflussen lassen. Er
      Interessen geht es um vieles besser vorwärts       brauchte die Schweiz als wichtige Figur auf
      als im Anfang, und ich wage Ihnen vertrau-         dem Schachbrett seiner großen Politik. Er hat
      lich mitzuteilen, daß wir Hoffnung haben, die      im Ernst wohl kaum daran gedacht, die badi-
      Schweiz als Königreich zu erhalten“ (P. K., B.     schen Wünsche zu verwirklichen.
      VI, S. 312), macht er zwei Jahre später seinem
                                                         Als Großherzog hat Karl noch einmal einen
      kaiserlichen Schwiegervater klagende Vorwür-
                                                         Traum von einem Königreich gehegt. Diesmal
      fe über das Fehl- schlagen seiner Ansprüche,
                                                         hieß das Königreich — Elsaß (W. Andreas,
      die er aus seiner Heirat mit der Prinzessin Ste-
                                                         Geschichte der badischen Verwaltungsorgani-
      phanie herleitet. Reichlich zynisch erklärte er
                                                         sation und Verfassung, B. I, S. 364).
      dem Kaiser: „Ich betrachte meine Heirat als
      eine politische Angelegenheit und konnte sie
      gar nicht anders betrachten.“ Nur Nachteile
      habe er davon gehabt. Seine Schwester, die
      Kaiserin Elisabeth, betrachte sich nicht mehr
      als seine Schwester. Durch seine Ehe habe er
      sich gänzlich isoliert. Alle seine Versprechun-
      gen habe der Kaiser nicht gehalten. Weder
      Berg, noch Nürnberg, noch Frankfurt, auch
      nicht Aschaf- fenburg und Neuenburg, das Ba-
      den doch schon seit hundert Jahren gehören
      müsse, seien badisch geworden. Die Wieder-
      erlangung der Schweiz, welche ehemals sei-
      nen Vorfahren gehört habe, und die ihm am
      meisten am Herzen gelegen sei, habe man zu-

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