WAS HÄLT MICH (NOCH)? - St. Nikolaus Bensberg

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WAS HÄLT MICH (NOCH)? - St. Nikolaus Bensberg
WAS HÄLT MICH (NOCH)?
WAS HÄLT MICH (NOCH)? - St. Nikolaus Bensberg
INHALT                                                                                                                                   GRUßWORT
                                                                                                 IMPRESSUM                                   Liebe Interessierte an unserem Pfarrbrief,
    WAS HÄLT MICH (NOCH)?
    Grußwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3   Herausgeber                                 ich freue mich, dass Sie diesen Brief unserer Gemeinde in
    Gehen oder bleiben?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4       Katholische Pfarreiengemeinschaft ­         die Hand nehmen und lesen. Wir leben in einer Zeit des
    Zwischen Tradition und Entfremdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5               St. Nikolaus & St. Joseph,                  Wandels: Wie alle Gruppen, Vereine und Verbände unserer
    Gründe geben zu bleiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7          Pfarrgemeinderat                            Gesellschaft verzeichnen auch wir als Kirche rückläufige
    Was hält mich (noch)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9        Nikolausstraße 7                            Zahlen. Bis 2060 könnte sich in Deutschland die Zahl der
    „Ich kann nur von dem sprechen, was ich selbst erfahren habe“ . . . .14                      51429 Bergisch Gladbach                     Mitglieder der Kirchen halbieren: durch demografische
    Glaubensfragen zwischen Tür und Angel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15                 Tel. (02204) 5 24 24                        Faktoren, durch die ausbleibende Weitergabe eines leben-
    „Wir sollten wieder mutig über Gott sprechen“ . . . . . . . . . . . . . . 17                 pfarrbuero@nikolaus-und-joseph.de           digen Glaubens an die nächste Generation und durch Aus-
    „Was hält mich im kirchlichen Hauptamt?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 19                                                            tritte – so eine Prognose der Freiburger Universität, beauf-
    Aufbegehren und trotzdem bleiben! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20               Redaktion                                   tragt durch die evangelische und katholische Kirche und
    Die kfd St. Nikolaus wünscht sich Verstärkung . . . . . . . . . . . . . . 22                 Violetta Gerlach, Martina Martschin         vorgestellt im Mai 2019.
    Bei uns ist jeder willkommen! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22         Pfr. Andreas Süß, Beatrice Tomasetti                                                                          der Kirche anfangen, oder treten aus oder fangen erst gar
                                                                                                                                                Entgegen diesem Trend möchten wir in unseren Gemein-           keinen Weg mit der Kirche an. Manche empfinden die Kir-
    Familienwochenende: Auf dem Weg zu mehr Leichtigkeit?!. . . . . . 23                                                                     den in lebendigen Gottesdiensten und Begegnungen Gott
    Ein Fest für wahre Engel.... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24        Fotos und Grafiken                                                                                            che, so wie sie sie erleben, eher als ein Hindernis, Jesus zu
                                                                                                                                             als den ganz anderen immer wieder erfahrbar machen;               finden. Andere lassen sich sogar in unseren Gemeinden als
    Seniorencafé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25      Halfpoint/Fotolia: S. 12; tai111/Foto-      einen Gott, der mit uns geht, faszinierend zu entdecken ist
    Priesterkandidat Clemens Neuhoff stellt sich vor . . . . . . . . . . . . 26                  lia.de: Titelfoto; Martha Gahbauer/                                                                           Erwachsene – zum Beispiel nach einem Alpha-Kurs – tau-
                                                                                                                                             und der unsere Sehnsucht nach Unsterblichkeit in Liebe            fen. Sie haben Jesus gerade durch die Kirche gefunden. So
    Verwaltungsleitung wird wiederbesetzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26               pfarrbriefservice.de: S. 15; Frank          stillen kann. Eine aufregende Reise in eine lebendige Be-
    Was mich (noch) hält... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27       Gerlach: S. 22; Fabian Heyberg: S. 23;                                                                        ist es mir auch persönlich ergangen, da ich überzeugende
                                                                                                                                             ziehung mit Gott bieten wir Ihnen an. Es geht im Glauben          Vorbilder hatte. Von meiner Jugend an habe ich die Kirche
    Institutionen und Ansprechpartner in den Gemeinden . . . . . . . . . 28                      Ulrich Kuehn: S. 26; Foto Star Köln: S.     um die ganz persönliche Entscheidung, die jeder von uns
    Termine/Ankündigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30             26; Pexels: S. 4, 5, 6, 13, 25, 29; Heinz                                                                     als frohe Heimat und die Sakramente als Stärkung erleben
                                                                                                                                             immer wieder neu treffen muss: Glaube ich, dass Jesus             dürfen. Hier ist mir auch Jesus als Weg und Vorbild ver-
    Freud und Leid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31      Pfeil: S. 20, 21; Pixabay: S. 11, 14; Ju-   Christus, dessen Geburt wir an Weihnachten feiern, Gottes
    Adveniat-Aktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35   lia Spicker: S. 19; Stommel-Prinz: S.                                                                         traut geworden. Das war letztlich auch der Grund, warum
                                                                                                                                             Sohn ist? Dass er für mich ganz persönlich gelebt, gestor-        ich mein Studium der Betriebswirtschaftslehre beendet,
                                                                                                 8; Beatrice Tomasetti: S. 3, 17, 24, 27     ben und auferstanden ist, damit ich erlöst und das ewige          Philosophie und Theologie studiert habe und Priester ge-
                                                                                                                                             Leben bei Gott haben werde? Und möchte ich schon hier             worden bin. Diese herzliche Erfahrung, sich von Christus
    KONTAKT                                                                                      Gestaltung und Satz                         und jetzt in Beziehung mit ihm leben? Wenn ja, zeigen wir         berühren zu lassen, gebe ich gerne weiter und freue mich
    Katholische Pfarreiengemeinschaft ­St. Nikolaus & St. Joseph                                 Franziska Strecker                          Ihnen gerne, wie das geht!                                        sehr über die Bereitschaft vieler in unseren Gemeinden
    www.nikolaus-und-joseph.de
                                                                                                                                                Jesus selbst stellt seinen zwölf Jüngern, nachdem viele,       mitzugehen.
                                                                                                 Anzeigenverkauf                             die ihm zuerst gefolgt waren, nun gegangen sind, die Fra-
    Pastoralbüro, St. Nikolaus                                                                   Sie möchten eine Anzeige schalten?          ge: „Wollt auch Ihr gehen?“ Das ist auch die Frage dieses         Ihnen und Ihren Familien wünsche ich im Namen aller
    Nikolausstraße 7, 51429 Bergisch Gladbach                                                    Dann wenden Sie sich bitte an               Pfarrbriefs: Was hält mich (noch), in der Kirche Jesu Chris-      Seelsorgerinnen und Seelsorger eine Adventszeit der Vor-
    Tel. (02204) 5 24 24, E-Mail: pfarrbuero@nikolaus-und-joseph.de                              pfarrbuero@nikolaus-und-joseph.de           ti zu bleiben, der hinter der Kirche steht, die ihrerseits wie-   freude und ein gesegnetes Weihnachtsfest! Unser tägli-
    Öffnungszeiten:                                                                              KONTUREN erscheint zweimal jähr-            derum aus Menschen besteht und damit immer auch feh-              ches Leben von Gott tragen zu lassen, fasziniert.
    Mo – Mi: 9 – 11 Uhr, Mi: 16 – 19 Uhr, Fr: 12 – 14 Uhr                                        lich und wird an alle Haushalte der         lerhaft ist und immer wieder in eine Krise gerät? Aber jede
                                                                                                 Pfarreiengemeinschaft kostenlos             Krise ist ja immer auch eine Chance für eine Erneuerung
    Kontaktbüro Moitzfeld, St. Joseph                                                            verteilt.                                                                                                     Ihr
                                                                                                                                             nach dem Beispiel Jesu.
    Moitzfeld 65, 51429 Bergisch Gladbach
                                                                                                                                                Was bewegt heute Menschen, mit Jesus in der Kirche
    Tel. (02204) 8 16 28, E-Mail: pfarrbuero@nikolaus-und-joseph.de
                                                                                                                                             zu gehen oder nicht mehr mit ihm zu gehen? Viele sagen
    Öffnungszeiten:
                                                                                                                                             heute, sie wollen oder können nichts (mehr) mit dem Weg
    Di: 16 – 18 Uhr, Fr: 9 – 11 Uhr

2                                                                                                                                                                                                                                                Grußwort Pfarrbrief 2 | 19   3
WAS HÄLT MICH (NOCH)? - St. Nikolaus Bensberg
GEHEN ODER BLEIBEN?
    Von da an wandten sich viele seiner Jünger ab und gin-          zumindest pro forma – noch angehören. Sie wünschen sich
    gen hinfort nicht mehr mit ihm. Da fragte Jesus die Zwölf:      Reformen. Kirche müsse sich erneuern, um den Gläubigen
    Wollt ihr auch weggehen? (Joh 6,66f)                            wieder eine Heimat zu sein, fordern sie. Dabei suchen sie
                                                                    nach neuen Wegen. Reformbewegungen wie „Wir sind Kir-
    Wollt auch ihr gehen? Diese Frage trifft uns heute mitten       che“ oder „Maria 2.0“ sorgen für Aufsehen – innerhalb und
    ins Herz. Denn die Gläubigen laufen der Kirche davon und        auch außerhalb der katholischen Kirche. Vielen Gläubigen
    viele von denen, die bleiben, sind unzufrieden. Die Ergeb-      machen solche Ansätze Mut, um zu bleiben. Andere sehen
    nisse der Studie, die wir Ihnen auf den folgenden Seiten        darin einen Verstoß gegen die Tradition und die gottgewoll-
    vorstellen, sind in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich.       te Ordnung.

    Ein Grund für die aktuelle Lage ist: Die Kirche hat Vertrau-    Aufbruch oder Abbruch? An dieser Frage scheiden sich die
    en verspielt, gewissermaßen das Urvertrauen ihrer Kin-          Geister. Seit dem Sommer 2019 gibt es den synodalen Weg        ZWISCHEN TRADITION UND ENTFREMDUNG
                                                                    in der katholischen Kirche – ein großangelegter Dialogpro-
                                                                    zess zwischen Kirchenvertretern und Laien mit dem Ziel,        Kirche in der Krise: Allein im Jahr 2018 sind 200.000 deut-     licher Orientierung lassen sich sieben verschiedene Typen
                                                                    die gegenwärtige Krise zu meistern. Doch ist die Kirche        sche Katholiken aus der Kirche ausgetreten. Die negativen       von Kirchenmitgliedern unterscheiden. Da sind zunächst
                                                                    überhaupt noch fähig, verlorenes Vertrauen zurückzuge-         Schlagzeilen über Missbrauchsskandale und Misswirt-             einmal die „Bekennenden“, die mit 13 Prozent den spiri-
                                                                    winnen, sich aus eigener Kraft zu erneuern und zukunfts-       schaft in einzelnen Bistümern reißen nicht ab. Und bis in       tuellen Kern der Gläubigen ausmachen. Sie sind kirchen-
                                                                    fähig zu werden? Die einen sehen im synodalen Weg reine        die Gemeinden hinein ist spürbar, dass die Gläubigen auf        loyal und stehen unverrückbar zu ihrem Glauben. Ebenso
                                                                    Symbolpolitik: Es werde keine verbindlichen Beschlüsse         Distanz gehen: Viele Gotteshäuser sind nur noch an den          groß ist die Gruppe der „Kompromisslos-Beharrenden“. Sie
                                                                    geben und so letzten Endes nicht viel dabei herauskommen.      Feiertagen gut besucht. Die Bereitschaft, sich ehrenamt-        legen Wert auf Tradition und sehen sich als Bastion gegen
                                                                    Die andere Seite warnt vor einer „Homöopathisierung“ des       lich im Namen der Kirche zu engagieren, lässt insgesamt         religiöse Beliebigkeit. Etwas größer ist die Gruppe der „Ge-
                                                                    Evangeliums: Sie hält es für unzulässig, Glaubensinhalte       nach. Es mehren sich kritische Stimmen an der Basis, die        meindeverwurzelten“ (16 Prozent). In der Kirchengemein-
                                                                    zu verwässern, bis sie mehrheitsfähig sind. Dennoch: Dass      Reformen fordern.                                               de vor Ort erfahren sie Gemeinschaft und seelischen Halt.
                                                                    überhaupt diskutiert wird, ist schon ein Fortschritt.                                                                          Genauso stark vertreten sind die „religiösen Freigeister“,
                                                                                                                                   Wie es scheint, braucht es heute gute Gründe, um der Kir-       die mit religiösen Traditionen und der Amtskirche wenig im
                                                                    Wollt auch ihr gehen? Die Apostel haben sich entschieden       che die Treue zu halten. Was hält Katholiken (noch) in der      Sinn haben. Eine weitere Gruppe bilden mit 7 Prozent die
                                                                    zu bleiben. Simon Petrus erwidert Jesus: Du hast Worte         Kirche? Dieser Frage geht eine Studie im Auftrag des Erz-       „Sozial-Fokussierten“. Sie sind Anpacker und fühlen sich
                                                                    des ewigen Lebens. Das, was uns trägt und zum Bleiben          bistums München und Freising nach, die im Frühjahr 2019         der Kirche vor allem deswegen verbunden, weil sie sich
                                                                    veranlasst, ist größer als alles Störende. Und jeder hat auf   erschienen ist. Um ein Stimmungsbild der Katholiken in          für Benachteiligte und Flüchtlinge einsetzt. Wie sie haben
                                                                    die Frage, was ihn noch hält, seine eigene, ganz persönli-     ganz Deutschland zu gewinnen, hat die Medienberatungs-          auch die „Dienstleistungsorientierten“ (9 Prozent) ein eher
                                                                    che Antwort. Einige davon haben wir gesammelt, um ein          gesellschaft MDG in Zusammenarbeit mit dem Forschungs-          profanes Verhältnis zur Kirche: Letztere interessieren sich
                                                                    Stimmungsbild von dem zu vermitteln, was die Menschen          institut Sinus über 2300 Interviews in ganz Deutschland         vor allem für kirchliche Einrichtungen wie Kitas oder Schu-
                                                                    in unseren Gemeinden bewegt.                                   geführt.                                                        len.

                                                                    Wollt auch ihr gehen? Die Entscheidung ist jedem selbst        SIEBEN GRUPPEN VON GLÄUBIGEN                                    MEHR ALS EIN VIERTEL IST UNZUFRIEDEN
                                                                    überlassen. Wer geht, wendet sich ab. Wer bleibt, muss sich    Die Studie hat eine Vielzahl von Motiven zutage gefördert,      Die mit Abstand größte Gruppe stellen mit 26 Prozent die
    der. Dafür wird sie nun abgestraft. Nicht alle, die zweifeln,   tagtäglich abarbeiten an so mancher Zumutung. Zumutung         die für die Bindung an die katholische Kirche ausschlagge-      „Entfremdeten“. Sie sind Skeptiker – was nicht bedeutet,
    machen gleich einen radikalen Schnitt. Doch viele sind in-      aber auch in einem positiven Sinne: Uns wird etwas zu-ge-      bend sind. Denn wie alle Glaubensgemeinschaften ist auch        dass bei ihnen der persönliche Glaube überhaupt keine Rol-
    nerlich auf dem Absprung. Sie haben sich der Kirche ent-        mutet. Wir sind frei, das Richtige zu tun. Wir dürfen mutig    das katholische Milieu nicht in sich geschlossen, es zerfällt   le mehr spielt; er deckt sich nur nicht mit der kirchlichen
    fremdet, der sie sich einst zugehörig fühlten und der sie –     sein, etwas Neues zu wagen.                                    in unterschiedliche „Lager“. Je nach religiöser und kirch-      Lehrmeinung. Die Entfremdeten bilden ein sensibles Stör-

4   Gehen oder bleiben?                                                                                                                                                                                  Schwerpunktthema »Was hält mich (noch)?« Pfarrbrief 2 | 19   5
WAS HÄLT MICH (NOCH)? - St. Nikolaus Bensberg
feld innerhalb der Kirche. Die Zahl derer, die innerlich auf   GRÜNDE GEBEN ZU BLEIBEN
    dem Absprung sind, ist in dieser Gruppe am höchsten.
                                                                   Auf die Menschen hören, zuhören, was sie bewegt – das
    Fazit: Die Bindung der Katholiken an ihre Kirche nimmt ab –    ist die Zielsetzung einer Studie, die das Erzbistum Köln in
    ein Trend, der quer durch alle Altersgruppen und Bildungs-     Auftrag gegeben hat. Anders als in der SINUS-Studie des
    schichten zu beobachten ist. Fast die Hälfte der Katholiken    Erzbistums München geht es dabei nicht um die Erhebung
    steht der Kirche in vielen Fragen kritisch gegenüber, fühlt    quantitativer Daten, sondern darum, psychologische Zu-
    sich ihr aber dennoch verbunden. Doch diese Loyalität ist      sammenhänge und Motive aufzudecken. In Einzelinter-
    fragil: 41 Prozent der deutschen Katholiken sind mehr oder     views und Gruppendiskussionen haben die über 60 Studien-
    weniger austrittsgefährdet, so die Autoren der Studie.         teilnehmer über ihre Haltungen, Gefühle und Erfahrungen
                                                                   in Bezug auf die katholische Kirche gesprochen. Die psy-
    Diese Gruppe zählt vor allem zu den Adressaten kirchlicher     chologisch geschulten Interviewer achteten in diesen Ge-
    Bindungsarbeit. Doch wie sollte sie aussehen? Mit welchen      sprächen auch auf Ungesagtes, sie werteten Körpersigna-
    Angeboten kann die Kirche punkten? Welche kommen bei           le aus und nahmen atmosphärische Veränderungen wahr.
    den Gläubigen nicht an? Bestnoten bekommt die Kirche           Experten des Kölner Marktforschungsinstituts Rheingold
    für ihr karitatives Engagement: Rund die Hälfte der Be-        haben die Aussagen zu Ergebnissen verdichtet, die für die
    fragten ist der Ansicht, dass die Kirche soziale Einrichtun-   Pastoral in den Gemeinden eine wertvolle Handreichung
    gen besser betreibt als der Staat. Zwei von drei Gläubigen     bieten.
    sind überzeugt, dass es Aufgabe der Kirche ist, sich für Be-
    nachteiligte einzusetzen. Das ist einer der wichtigsten Bin-   SEHNSUCHT SCHAFFT BINDUNG
    dungsfaktoren zwischen den Katholiken und ihrer Kirche.        Bindung ist der Schlüsselbegriff, wenn es um das Verhält-
                                                                   nis der Getauften zu ihrer Kirche geht. Wodurch entsteht
    ALS MORALISCHE INSTANZ NICHT GEFRAGT                           Bindung an die Kirche? Wann und wo wird diese erfahren?
    Was die Liturgie betrifft, stehen die besonderen Gottes-       Was stärkt und was gefährdet sie? Diese Fragen standen im
    dienste bei drei von vier Katholiken hoch im Kurs, gefolgt     Mittelpunkt der Gespräche. Eine wichtige Erkenntnis lau-
    von den normalen Sonntagsgottesdiensten (55 Prozent).          tet: Bindung kann nur dort entstehen und wachsen, wo die
    Alle anderen abgefragten kirchlichen Angebote werden im        Kirche auf menschliche Sehnsüchte eingeht. Ausgehend
    Schnitt von weniger als der Hälfte in Anspruch genommen.       von typischen Sehnsüchten werden in der Studie sechs
                                                                   „Bindemittel“ der Kirche identifiziert; drei von ihnen sind
    Als moralischer Kompass scheint die katholische Kirche         eher weltlich motiviert, drei weitere haben mehr spirituel-
    heute kaum noch zu dienen: So wendet sich nur eine Min-        len Charakter:
    derheit bei privaten Problemen an einen Seelsorger. Mehr       Zu den „weltlichen“ Bindungsfaktoren zählen:
    als die Hälfte der Befragten gibt dafür Vorbehalte beim ka-    • die seelsorgerische Kirche, die Menschen ein offenes Ohr
    tholischen Frauenbild oder der Sexualmoral als Grund an.       bietet für ihre Sorgen und Nöte
                                                                   • die gemeinschaftliche Kirche, die sich in einem starken
    Die dominanten Motive für die Kirchenmitgliedschaft sind       und aktiven Gemeindeleben abbildet
    der Glaube an Jesus Christus, die Bedeutung kirchlicher        • die fürsorgliche Kirche, die sich in der Gesellschaft um
    Sakramente und das soziale Engagement der Kirche, aber         soziale und karitative Aufgaben kümmert
    auch die Familientradition. Mehr als die Hälfte der Befrag-    Eher „himmlische“ Bindungsfaktoren an die Kirche sind:
    ten gibt an, Kirche sei mit dem Gefühl von Heimat, Gemein-     • die spirituelle Kirche, die sinnliche Erfahrungen und Er-
    schaft und Zusammengehörigkeit verbunden.                      bauung bietet (pompöse Inszenierungen, Festgottesdiens-
                                                                   te)

6   Zwischen Tradition und Entfremdung                                  Schwerpunktthema »Was hält mich (noch)?« Pfarrbrief 2 | 19   7
WAS HÄLT MICH (NOCH)? - St. Nikolaus Bensberg
• die erlösende Kirche, die die Sehnsucht der Menschen                 heutige Vielfalt der individuellen Lebensentwürfe müsse         WAS HÄLT MICH (NOCH)?
    nach Sinn, Vergebung und einem Leben nach dem Tod an-                  sich in den pastoralen Angeboten widerspiegeln: So gibt
    spricht                                                                es beispielsweise in vielen Gemeinden Angebote für junge        Eine massive Steigerung der Kirchenaustritte und die vielen Negativschlagzei-        und ich selbst bei dir weiterhin eine
    • die beschützende Kirche, die dem Einzelnen durch feste               Erwachsene, die heiraten und eine Familie gründen, nicht        len – das hat das „Konturen“-Team dazu veranlasst, einmal der Frage nachzu-          geistige Heimat finden können, Mut-
    Regeln und Werte Halt und Orientierung bietet.                         aber für die immer größer werdende Gruppe Alleinleben-          gehen, was Menschen bewegt, die Kirche – allem Trend zum Trotz – nicht zu            ter Kirche. Denn Kirche sind wir doch
                                                                           der. Berücksichtigt werden müsse beispielsweise auch,           verlassen, sich ihr vielleicht neu anzunähern, einen Wiedereintritt ins Auge zu      alle, und als Bodenpersonal ist jede
                                                                           dass viele Menschen heute nur sporadischen Kontakt zur          fassen oder gar den Entschluss, sich als Erwachsener taufen zu lassen. Nicht zu      Christin und jeder Christ aufgefordert,
    KEINE NORMIERTEN ANGEBOTE MACHEN
                                                                           Kirche haben. Für diejenigen, die erstmals oder nach län-       vergessen natürlich das wichtigste Argument, was Menschen an „ihrer“ Kirche          sie mitzugestalten. Ich bleibe. Jetzt
    Auf eine Kurzformel gebracht, empfiehlt die Studie: mehr
                                                                           gerer Abwesenheit zur Kirche kommen oder die sich nach          lieben, warum sie trotz vielfältiger Kritik an Strukturen und Amtsträgern ent-       erst recht.
    Kundenorientierung! Kirche müsse sich kreativ auf die Per-
                                                                           einem Umzug in einer neuen Gemeinde zurechtfinden               scheiden, nicht nur in dieser Gemeinschaft zu bleiben, sondern sich auch aktiv              BRIGITTA KINDERVATER, 62 JAHRE
    spektive der Gläubigen einlassen und fragen: Wer braucht
                                                                           müssen, sei eine Begrüßungskultur wichtig, damit sie sich       zu engagieren. Bei den Gesprächen mit Menschen über die Frage des Kirchen-
    welche Angebote? Denn nur wenn sich Menschen in ihren
                                                                           zugehörig fühlen. Anlässe wie Taufen, Erstkommunionfei-         austritts überrascht die intensive Zurückhaltung. „Nein, dazu möchte ich mich        VERANTWORTUNG
    Bedürfnissen wahr- und ernstgenommen fühlen, entstehen
                                                                           ern und Begräbnisse bieten weitere Chancen, um auch Kir-        nicht öffentlich äußern, auch nicht anonym.“ Das gibt zu denken. Daher kom-          Warum in der Kirche bleiben und ihr
    Loyalität und Bindung. Vor allem aber kommt es offenbar
                                                                           chenfernen positive Erfahrungen zu vermitteln.                  men an dieser Stelle Menschen zu Wort, die – bei allen Vorbehalten und auch          nicht den Rücken zudrehen bei all den
                                                                                                                                           offensichtlicher Kritik – dabei geblieben sind oder ihren Weg neu zum katholi-       Verfehlungen und den verkrusteten
                                                                                                                                           schen Glauben gefunden haben.                                                        Strukturen? Ja, das wäre eine Lösung;
                                                                           BLICK AUF DIE DEFIZITE HEMMT
                                                                           Eine Bindung an die Kirche kommt vielfach auch erst zeit-                                                                                            eine Haltung, die viele inzwischen
                                                                                                                                           DEN NÄCHSTEN SEHEN                        gen um den richtigen Weg in Synoden,
                                                                           versetzt zum Tragen. Wer mit der Kirche angenehme Kind-                                                                                              praktiziert haben und die in meiner
                                                                                                                                           Was mich hält, ist vor allem das Gefühl   Pastoralkonzepten, Zukunftswegen...
                                                                           heitserfahrungen verbindet, kommt häufig mit seinen                                                                                                  Familie zumindest weniger mitleidi-
                                                                                                                                           der Gemeinschaft. Ich erlebe in der       Vieles, was gerade Thema ist, lässt
                                                                           eigenen Kindern wieder – selbst wenn er zwischenzeitlich                                                                                             ges Kopfschütteln über mein Festhal-
                                                                                                                                           Kirche und in der Gemeinschaft von        mich nachdenken, zweifeln und auch
                                                                           Distanz zur Kirche hatte. Diese Erkenntnis mag eine Beob-                                                                                            ten an und mein Engagement in Kirche
                                                                                                                                           Christen das Gefühl, umgeben zu sein      wütend werden. Aber austreten des-
                                                                           achtung von Katechetinnen und Katecheten relativieren,                                                                                               hervorbringen würde. Aber Aufgeben
                                                                                                                                           von Menschen, die auch durch ihren        wegen? Du warst und bist meine geis-
                                                                           die oft frustriert feststellen, dass die Mehrzahl der Kommu-                                                                                         ist nicht mein Lebensstrickmuster. Ich
                                                                                                                                           Glauben bewegt sind, sich für Werte       tige Heimat seit Kindertagen, Mutter
                                                                           nionkinder nach dem Fest wegbleibt. Häufig wird auch be-                                                                                             bin von Natur aus kämpferisch, wenn
                                                                                                                                           einzusetzen, die mir sehr wichtig sind.   Kirche. Solange Gottes Wort und Jesu
                                                                           mängelt, dass der allsonntägliche Besuch des Gottesdiens-                                                                                            ich mit all meinem Fühlen und Denken
                                                                                                                                           Eine Gemeinschaft, die dankbar ist        Vorbild auch heute noch ein Lebens-
                                                                           tes für viele Katholiken keine Selbstverständlichkeit mehr                                                                                           von der Richtigkeit meines Tuns über-
                                                                                                                                           für etwas, das ihr geschenkt wurde,       maßstab sein können, trete ich nicht
                                                                           ist. Dennoch ist die Feier der Eucharistie mit ihren vertrau-                                                                                        zeugt bin. Und von Jesus und Gott bin
                                                                                                                                           und hieraus stark motiviert ist, über     aus. Solange in christlicher Nächs-
                                                                           ten Abläufen für viele ein gewichtiger Grund, in der Kirche                                                                                          ich überzeugt. Mir widerspricht es zu-
                                                                                                                                           den eigenen Tellerrand zu schauen         tenliebe viel Gutes geschieht – in Fa-
                                                                           zu bleiben – auch wenn sie nicht regelmäßig dabei sind. Die                                                                                          tiefst, als Frau akzeptieren zu sollen,
                                                                                                                                           und für den Nächsten da zu sein. Ich      milien, in Pfarrgemeinden, Kinderta-
                                                                           Art, wie kirchliche Ressourcen und Angebote von den Ver-                                                                                             dass ich Mensch zweiten Ranges für
                                                                                                                                           finde, dass Menschen, denen es über-      gesstätten, Schulen, Sozialstationen,
                                                                           antwortlichen selbst wahrgenommen werden, konzentrie-                                                                                                die Kirche bin – wohl wissend, dass
                              ADVENTure in Moitzfeld am 1. November 2019                                                                   wiegend gut geht, eine Verpflichtung      Beratungsdiensten, Krankenhäusern
                                                                           re sich zu einseitig auf die Defizite, bemängelt die Studie.                                                                                         dies eine rein von Männern getroffe-
                                                                                                                                           verspüren sollten, von ihrem „Glück“      und Altenheimen, in der Nachbar-
    darauf an, mehr mit den Gläubigen zu sprechen: Die Ge-                 Seelsorger und engagierte Laien erlebten ihre pastoralen                                                                                             ne Entscheidung ist. Ich durfte kein
                                                                                                                                           etwas weiterzugeben...Und daran er-       schaftshilfe und überall dort, wo Men-
    sprächsbereitschaft aller Studienteilnehmer war auffallend             Anstrengungen oft als vergeblich. Das versperre den Blick                                                                                            Messdiener sein und wäre es so ger-
                                                                                                                                           innert uns unser Glaube.                  schen sich begegnen –, trete ich nicht
    groß. Dass sie offen über ihren Glauben und ihr Verhältnis             aber auf das, was gelingt, wo Menschen gute Erfahrungen                                                                                              ne gewesen. Das habe ich als Kind als
                                                                                                                                               ANJA WAGENER-PÖTTERS, 53 JAHRE        aus. Ich würde das viele Gute ignorie-
    zur Kirche sprechen und auch Kritik äußern konnten, emp-               mit Kirche machen. So hat etwa die „Aktion Neue Nach-                                                                                                große Lüge von Pastören erlebt, die
                                                                                                                                                                                     ren und verraten, wenn ich wegen des
    fanden viele als wohltuend. Sie fühlten sich in ihrer Person           barn“ gezeigt, dass auch Menschen ohne Kirchenbindung                                                                                                mir im Kommunionunterricht erzählt
                                                                                                                                           GEISTIGE HEIMAT                           Ärgerlichen und Schwierigen aus der
    wertgeschätzt. Hierin liegt sicher eine Chance für die pas-            das kirchliche Engagement für die Geflüchteten sehr posi-                                                                                            hatten, dass vor Gott alle Menschen
                                                                                                                                           Mutter Kirche – zurzeit ist es aufre-     Kirche austräte. Vielmehr möchte ich
    torale Arbeit.                                                         tiv gewürdigt haben.                                                                                                                                 gleich sind. Und wie man heute sehen
                                                                                                                                           gend mit dir und in dir: Aufarbeitung     mit meinen Geschwistern im Glauben
    Den Einzelnen in seiner jeweiligen Lebenssituation in den                                                                                                                                                                   kann, ist das Gottesdienen den Mäd-
                                                                                                                                           von Missbrauch, Diskussionen um die       vor Ort Kirche mitgestalten und mei-
    Blick nehmen, lautet der Tenor aller Empfehlungen. Die                                                                                                                                                                      chen inzwischen nicht mehr verwehrt.
                                                                                                                   MARTINA MARTSCHIN       Rolle der Frau in der Kirche, das Rin-    nen Teil dazu beitragen, dass andere
                                                                                                                                                                                                                                Meines Erachtens brauchen Entwick-

8   Gründe geben zu bleiben                                                                                                                                                                                    Schwerpunktthema »Was hält mich (noch)?« Pfarrbrief 2 | 19   9
WAS HÄLT MICH (NOCH)? - St. Nikolaus Bensberg
lungen der Kirche viel Zeit. Es dauert      unbedingt die Themen, die ich mir per-    weil ihnen Kirche noch lange nicht        Wintersportort, wo sich viele ältere
     mir und vielen anderen häufig zu lan-       sönlich zu eigen mache. Ich gehe mit      egal ist. Weil sie mit ihr ringen. Und    Besucher für den wunderschönen, er-
     ge; es ist ein zäher, Kräfte raubender      ihnen um – schon allein qua Amt und       weil ihr Glaube, eine Leidenschaft und    frischenden Gottesdienst bedankten.
     Prozess mit der Perspektive, dass ich       Aufgabe, aber mehr beschäftigt mich       vielleicht auch Liebe zu ihrer Kirche     Und auch später waren es Kapläne,
     viele erwünschte Entwicklungen viel-        bei all den öffentlich ausgetragenen      sie antreiben, an deren Zukunftsfähig-    unsere Pastoralreferentin und Pfarrer,
     leicht nicht mehr erleben werde. Aber       Diskussionen das, was davon mein          keit mitzuarbeiten. All das hält mich,    die mich durch ihr Engagement und
     aufgeben? Nein! Das Feld den ewig           eigenes Leben, meinen eigenen klei-       diese mir so bedeutsame Beziehung         ihr Wort überzeugten, die Fehlent-
     Gestrigen überlassen? Entschieden           nen Mikrokosmos betrifft: Wie gehe        nicht aufzukündigen. Ich bleibe, weil     wicklungen in der Amtskirche aufzeig-
     Nein! Jesus hat es uns doch mit den         ich mit Freunden um, die mir sagen,       ohne meinen Glauben alles nichts ist.     ten und dafür von der Bistumsleitung
     Pharisäern vorgelebt. Widerstände           dass Kirche ihnen nichts (mehr) be-               BEATRICE TOMASETTI, 57 JAHRE      gerügt wurden. Ich bin trotzdem in
     sind gut und wichtig. Nur so entstehen      deutet? Wie erlebe ich den Umgang                                                   dieser Kirche geblieben – nicht zu-
     Reibung, Diskussion, Aufbruch und           mit Menschen an meinem Arbeitsplatz       GLEICHGESINNTE FINDEN                     letzt, weil wir hier in St. Nikolaus zu
     letztlich auch Veränderung. Schließ-        oder in meiner Kirchengemeinde?           Manchmal weiß ich es selber nicht,        einer Gemeinschaft mit vielen Gleich-
     lich ist Kirche aber für mich nicht nur     Welche Chancen habe ich, mich in der      was mich noch hält. Wenn ich rational     gesinnten zusammengewachsen sind,
     die Institution; sie ist für mich die Ge-   Kirche gemäß meinen Fähigkeiten zu        denke, müsste ich schon längst aus        in der man sich aufgenommen und zu
     meinschaft mit denen, die – wie ich         entfalten? Wie viel Freiheit habe ich     dieser Institution ausgetreten sein.      Hause fühlt und die einem Heimat ist.
     – diese Basis Gott und Jesus haben.         im Dienst eines kirchlichen Mediums,      Jedem Verein, der mich so oft ent-                 CHRISTOPH BABILAS, 77 JAHRE
     Ich finde meine Nischen innerhalb der       offen meine Meinung zu sagen? Wie         täuscht hat, hätte ich schon längst
     Kirchengemeinde St. Nikolaus und St.        ehrlich ist der Wunsch der Kirchen-       den Rücken gezeigt wegen: Doppel-         BLEIBEN BRAUCHT MUT
     Joseph, in denen ich mich freier, offe-     leitung nach einer sich verändernden      moral, Hierarchiedenken, Missbrauch,      Aus einer Gemeinschaft austreten?         bei sein, weil ich geblieben bin.            in Aue in meiner Heimatgemeinde.
     ner und angesprochen fühlen sowie           Kirche, die näher an Gott, aber gleich-   Selbstgefälligkeit, Unbarmherzigkeit,     Das ist leicht und bei der katholischen          DR. CHRISTIAN KAUER, 68 JAHRE         Aufgrund meiner tiefen familiären
     auch selbst engagieren kann. Hier gibt      zeitig auch nah an den Menschen sein      wenn es nicht ins eigene Denksche-        Kirche mit einer Unterschrift beim                                                     Prägung kommt ein Kirchenaustritt
     es noch viel Potential, Kirche anders       will? Das alles hat dann doch wieder-     ma passt. Aber: Ich bin noch immer        Amtsgericht zu erledigen. Dabeizu-        TROST UND HALT                               für mich nicht in Frage, da der Glau-
     zu leben, es vorzumachen, wie Kirche        um sehr konkret mit mir zu tun. Kirche    Mitglied und sogar ein aktives. Das       bleiben ist viel, viel schwieriger. Es    Als Tochter einer Gemeindereferen-           be für mich zum Leben gehört, und ich
     sein kann, ohne im Widerspruch zu           im Kleinen, authentisch und mit Herz,     liegt wohl in erster Linie an der Bot-    kostet Kraft und Ausdauer. Ja, es gibt    tin bin ich im Pfarrhaus und in der          bin sehr froh, dass ich diesen auch mit
     Gott und Jesus zu sein. Schlussendlich      angefangen in meiner Familie – das ist    schaft Jesu, die mich angesprochen        mehr Argumente auszutreten als zu         Diaspora im schönen Erzgebirge groß          meinem neuen Partner teilen kann.
     habe ich, persönlich gesehen, auch          das, was mich interessiert und hält.      und überzeugt hat. Außerdem hatte         bleiben: die katholische Kirche mit       geworden. Beides hat mich sehr im                          EVA-MARIA HAHN, 45 JAHRE
     die Verantwortung, diejenigen nicht         Zumal nämlich Kirche für mich über-       ich Glück, denn seit meiner Kindheit      ihrem massiven Realitätsproblem im        Glauben geprägt und die letzten Jah-
     im Stich zu lassen, die den Mut noch        all da ist, wo ich bin – weil sie mein    und der Zeit in der Jugendarbeit ha-      Hinblick auf die Lebenswirklichkeiten     re mal mehr und mal weniger beglei-          AUSZEIT
     nicht verloren haben und für Verände-       Lebensraum ist, seit ich denken kann.     ben mich immer wieder Menschen aus        der Menschen, die vielen schlimmen        tet. Nachdem ich in den letzten zwei         Die vielen sozialen Aktivitäten, so-
     rung weiterhin eintreten.                   Sie ist der Ort, wo ich einen Großteil    dieser Kirche begleitet, die diese Bot-   Skandale, die in jeder weltlichen Fir-    Jahren zwei liebe Menschen verloren          zialen Einrichtungen und Hilfen für
               CARMEN HAGEMANN, 46 JAHRE         meiner Freunde treffe, wo ich viel von    schaft überzeugend vermitteln und         ma Anlass zur Trennung gäben, und         habe, wurde ich von zwei tollen Seel-        bedürftige, einsame und kranke Men-
                                                 dem finde, was ich zum Leben brau-        mich begeistern konnten. In den 60er      die vielen Würdenträger, die in ihrer     sorgern betreut, die meiner Seele            schen motivieren mich, die Institution
     GEBORGEN IN GOTT                            che. Und wo ich Menschen begegne,         Jahren kamen dann die Befreiung und       Falschheit weiteren Anlass bieten.        wirklich gut getan haben. Durch gro-         Kirche zu unterstützen und auch gerne
     Begriffe wie Glaubenskrise, Kirchen-        die – genauso wie ich – auf der Suche     der Aufbruch durch das Zweite Vatika-     Und dennoch bleibe ich und bin viel-      ßes Glück habe ich dabei auch An-            meinen finanziellen Beitrag zu leisten,
     austritte, starre Regeln, verkrustete       sind nach einem Ort, wo ich mich in       nische Konzil. Wir durften viele Ideen    leicht gerade deshalb dabei. Nicht nur,   schluss in der Gemeinde St. Nikolaus         den ich sonst vielleicht nicht so regel-
     Strukturen, Machtmissbrauch, Maria          Gottes Gegenwart geborgen erlebe,         umsetzen, zum Beispiel unsere ersten      weil ich glaube und dazu den gemein-      gefunden, wo ich eine große Gemein-          mäßig leisten würde. Ich selber gehe
     2.0 – klar, das sind momentan die           wenn nichts mehr geht. Mir macht          Jazz-Messen, die wir mit vielen, vielen   schaftlichen Raum suche, sondern          schaft gefunden habe, die mir sehr ge-       sehr gerne in Kirchen, weil sie mich
     Schlagworte in einer schwer gebeu-          Mut zu sehen, wie viele Menschen im       Gleichgesinnten begeistert gefeiert       weil ich die Hoffnung auf Erneuerung      holfen hat, mit der Trauer umzugehen,        sowohl aus architektonischer, künst-
     telten Kirche, für die ich seit Jahr-       Oktober der Einladung von Erzbischof      haben. Die Kirche erwachte zu neuem       habe; Hoffnung, weil ich daran glau-      und in der ich mich selbst auch enga-        lerischer und geschichtlicher Sicht in-
     zehnten haupt- und ehrenamtlich             Woelki zu den Regionalforen des „Pas-     Leben. So erinnere ich mich an eine       be, dass unsere Kirche den Weg finden     gieren kann. Ich fühle mich hier jetzt       teressieren und ich auch immer einen
     arbeite. Und trotzdem sind das nicht        toralen Zukunftsweges“ gefolgt sind,      Messe in einem kleinen Schweizer          und einschlagen wird. Und ich darf da-    wieder so gut aufgehoben wie damals          Platz für Ruhe, zum Nachdenken und

10   Was hält mich (noch)?                                                                                                                                                                                 Schwerpunktthema »Was hält mich (noch)?« Pfarrbrief 2 | 19   11
WAS HÄLT MICH (NOCH)? - St. Nikolaus Bensberg
begründen und darzulegen, warum ein       Evangelium als Normativ meines Han-        in meinem Leben in allen Höhen und
                                                                                                                                    Austritt für mich nicht in Frage käme.    delns zu sehen, sind zwei Seiten einer     Tiefen immer viel bedeutet. Dafür bin
                                                                                                                                    Etliche Jahre später hat sich mir diese   Medaille. Meinen Glauben kann ich          ich sehr dankbar!
                                                                                                                                    Frage erneut gestellt – wiederum an-      nur in der Gemeinschaft mit anderen                   CHRISTEL HEBBORN, 81 JAHRE
                                                                                                                                    geregt durch die Anfrage zu dem vor-      stärken und vertiefen. Dazu brauche
                                                                                                                                    liegenden Statement – und das Erste,      ich die kleinen Gruppierungen und In-      BARMHERZIGKEIT
                                                                                                                                    was mir spontan dazu einfällt ist, dass   stitutionen, die mich in meinem Glau-      Ich bin in der Kirche, weil ich nicht
                                                                                                                                    ich mit „meiner“ Kirche Erfahrun-         ben, aber auch in meinem Kirchenbild       genug bekommen kann von Gottes
                                                                                                                                    gen machen musste, die ich in der         tragen. Dazu brauche ich den Gottes-       froher Botschaft. Weil ich an die Auf-
                                                                                                                                    Dramatik und in dem Ausmaß nie für        dienst mit der Auslegung der Frohen        erstehung glaube. Im Sakrament der
                                                                                                                                    möglich gehalten hätte. Ich habe aus-     Botschaft, die immer wieder deutlich       Eucharistie erfahre ich immer wieder
                                                                                                                                    halten müssen, dass der Geist des II.     Bezug nimmt zu meiner Lebenswirk-          die Barmherzigkeit Gottes, der seinen
                                                                                                                                    Vatikanischen Konzils mehr und mehr       lichkeit. Darüber hinaus werden für        eigenen Sohn für unsere Sünden geop-
                                                                                                                                    zurückgedrängt wurde. Dass all meine      mich Bemühungen und Verlautbarun-          fert hat, um uns zu erlösen. Ich möch-
                                                                                                                                    Bemühungen als Arbeitskreis-Leiterin      gen der Kirche dann nachvollziehbar,       te noch sehr viel lernen im Glauben, so
                                                                                                                                    im Pastoralgespräch und anschlie-         relevant und glaubwürdig, wenn sie         dass ich diesen, wenn ich später eine
                                                                                                                                    ßend als Mitglied im Diözesan-Pasto-      in Barmherzigkeit immer vom Men-           Familie habe, auch weitergeben kann.
                                                                                                                                    ralrat – gemeinsam mit vielen, vielen     schen aus gedacht und entschieden            CHARLOTT MARIE LEHMANN, 23 JAHRE
     Beten dort finde. Die Kirche bietet mir   res Glaubens. Deshalb bringen mich         dem Leben war und nach dem Gott mir       anderen – die Notwendigkeit von Ver-      werden, wenn auch danach gehan-
     immer eine willkommene Auszeit von        auch die Themen, die Kirche im Mo-         – so empfinde ich das rückblickend –      änderungen deutlich zu machen, ent-       delt wird. Da möchte ich exemplarisch      REISE ZU GOTT
     meinem Alltag.                            ment spalten, nicht davon ab, mich zu      ein zweites Leben geschenkt hat. Heu-     schieden fehlgeschlagen sind. Eher        Kardinal Karl Lehmann zu Themen wie        Ich fühle mich getragen und bin in
                      NADINE DIETZ, 45 JAHRE   dem zu bekennen, was das Zentrum           te habe ich keinerlei Einschränkungen     noch haben sie die Gegenreaktion des      dem Paragrafen 218, wiederverheira-        der Kirche, da Glaube Gemeinschaft
                                               ist: Christus! Außerdem erlebe ich         mehr – bis auf eine künstliche Hüfte.     verstärkten Beharrens auf den Tradi-      tet Geschiedenen, Interkommunion,          braucht. Der Austausch mit anderen
     DER GLAUBE TRÄGT                          Kirche ganz konkret als eine starke        Nach diesem für mich einschneiden-        tionen und Rückentwicklungen be-          Homosexualität etc. nennen. Fazit: Ich     ist mir sehr wichtig. In Gemeinschaft
     Warum ich noch in der Kirche bin? Ich     Gemeinschaft von Menschen, die eine        den Ereignis hat sich bei mir beruf-      fördert! Ich habe aushalten müssen,       bleibe in der Kirche und suche mir in      wird die Liebe Gottes immer wieder
     bin nicht noch in der Kirche! Ich werde   gemeinsame Hoffnung für ihr Leben          lich, aber vor allem auch privat alles    dass alle Dialog-Prozesse und meine       der Gemeinde meine kleinen „Kirch-         erfahrbar. Auch gibt die Kirche mir
     auch in der Kirche bleiben. Das steht     haben. Der geteilte Glaube trägt und       verändert. Ich habe meine Frau ken-       Mitarbeit im Diözesanrat, in dessen       orte“.                                     Halt und Geborgenheit. Die Sonntags-
     für mich außer Frage. Der Glaube an       strahlt aus – das erlebe ich an vielen     nengelernt, und wir haben noch zwei       Vorstand ich vier Jahre war, trotz                     GABRIELE BEHR, 75 JAHRE       messe zum Beispiel ist für mich immer
     Gott trägt mich. Die lebendige Ge-        Stellen trotz aller Herausforderungen,     süße Kinder bekommen. Auch andere         intensivster Bemühungen keiner-                                                      eine Reise zu Gott und gleichzeitig zu
     meinschaft im Glauben der Kirche mit      vor denen wir im Moment stehen. Ich        prägende Erlebnisse mit Gott werde        lei Umdenken bei den maßgeblichen         GESCHENK                                   mir selbst.
     der ganzen Familie und der Gemeinde       bin sicher, dass es mit viel gutem Geist   ich nie vergessen. Heute arbeite ich      Menschen in unserer Kirche bewirkt        Mich hält mein Glaube, der mir Kraft,                ELIZA VON GEHLEN, 18 JAHREE
     ist mir sehr wichtig; eine frohe Ge-      neue Wege geben wird.                      ehrenamtlich beim ambulanten Hos-         hat. Ich habe aushalten müssen, dass      Trost und Freude gibt. Erste Anleitun-
     meinschaft, die man mit der ganzen                HANNA KINDERVATER, 28 JAHRE        pizdienst mit. Für mich gibt es nur mit   selbst die Ungeheuerlichkeiten des        gen zu einem religiösen Leben bekam
                                                                                          Gott ein (ewiges!) Leben. Ohne ihn                                                                                             GOTTES LIEBE
     Familie und der Gemeinde, mit allen in                                                                                         Umfangs und des Umgangs mit den           ich durch ein christliches Elternhaus.
                                                                                          geht und will ich es auch nicht mehr.                                                                                          Ich bin in der Kirche, da es in der
     unserer Gemeinde erleben kann.            SCHLÜSSELERLEBNIS                                                                    Missbrauchsfällen noch immer nicht        In meiner Gymnasialzeit bis zum Abi-
             HERMANNJOSEF KROPPENBERG,                                                               STEFAN SCHWOPE, 57 JAHRE                                                                                            Kirche viele Menschen gibt, die Got-
                                               Was mich noch in der Kirche hält, sind                                               zu einer qualifizierten Veränderungs-     tur erfuhr ich durch Ordensfrauen als
                               41 JAHRE                                                                                                                                                                                  tes Liebe weitertragen wollen. Ich
                                               meine persönlichen Erfahrungen mit                                                   bereitschaft beigetragen haben. Alles     Lehrerinnen eine intensive religiöse
                                                                                                                                                                                                                         bin nicht in der Kirche um der Men-
                                               Gott. Ich bin zwar auch gut katholisch     EIGENE KIRCHORTE SUCHEN                   Wissen um die Ursachen und Hinter-        Prägung und Wertschätzung des Glau-
                                                                                                                                                                                                                         schen willen, die Unmut verbreiten.
     GEMEINSCHAFT                              erzogen, aber vor allem ist es mein        Als ich Anfang der 90er Jahre eine An-    gründe nützt offenbar wenig! Und          bens. Später selbst Lehrerin versuchte
                                                                                                                                                                                                                         Ich engagiere mich in der Gemeinde,
     Warum ich in der Kirche bin? Weil es      schwerer Motorrad-Unfall vor ein paar      frage vom WDR erhielt, ging es um die     trotzdem: „Meine“ Kirche – die Amts-      ich, meinen Glauben an meine Schüler
                                                                                                                                                                                                                         um die Liebe Gottes weiterzugeben.
     zu allererst um die Gemeinschaft mit      Jahren mit Koma und Knochenbrü-            Teilnahme an einer Talkrunde genau        kirche – und mein persönlicher Glau-      weiterzugeben und einzuüben. Mein                      TATJANA BOSBACH, 45 JAHRE
     Christus geht. Das ist der Kern unse-     chen, bei dem ich dem Tod näher als        zu diesem Thema. Mein Part war zu         be an Gott und die Bereitschaft, das      Glaube ist ein Geschenk und hat mir

12   Was hält mich (noch)?                                                                                                                                                                              Schwerpunktthema »Was hält mich (noch)?« Pfarrbrief 2 | 19   13
WAS HÄLT MICH (NOCH)? - St. Nikolaus Bensberg
STÄRKUNG                                          BEZIEHUNG                                  Wir freuen uns, dass sich so viele Ge-   seitens des Elternhauses, erste Erfahrungen im Raum Kir-     spielsweise die Alphakurse in unserer Gemeinde – aber
     Ich bin in der Kirche, da ich durch die           Die persönliche Beziehung zu Jesus         meindemitglieder beteiligt haben.        che und Gemeinde zu sammeln.                                 sie leisten noch viel mehr. Glaubensgespräche eröffnen
     Sakramente kraftvoll und sinnvoll im-             Christus, die mir durch die Sakramen-                                                                                                            „Glaubens-Sprach-Räume“, die für die Zukunft der Kirche
     mer wieder im Leben gestärkt werde                te der Kirche immer wieder vermittelt      Weitere Statements finden Sie zum        Viele Menschen verlieren dann die Basis zur Sprachfähig-     prägend sein werden. Erst ein Glaube, der nach außen ge-
     und ich mit ganzem Herzen und Leib                wird, trägt mich. Jesus Christus hat       Nachlesen auf unserer Homepage           keit im Glauben. Dann werden die Glaubenserfahrung und       lebt und ausgesprochen wird, kann Menschen dazu einla-
     Christ sein kann; deswegen bin ich rö-            seine Kirche begründet, dessen Leib        www.nikolaus-und-joseph.de               die Versprachlichung gerne an kirchliche Institutionen wie   den, der eigenen Sehnsucht zu folgen, Fragen zuzulassen
     misch katholisch.                                 sie ist. Durch den Leib Christi wird die                                            Kita oder Schule delegiert, die das nicht leisten können.    und Antworten auf die fundamentalen Fragen des Lebens
                  THOMAS HEYBERG, 50 JAHRE             Kirche immer wieder auferbaut.                                                                                                                   zu erhalten.
                                                               BRIGITTA PAFFENHOLZ, 24 JAHRE                                               Dabei muss ich selbst eine gewisse Praxis vollziehen, kon-
                                                                                                                                           frontiert werden mit dem, was wir Gott und Glauben nen-      Ich wünsche mir, dass immer mehr Menschen anderen Mut
                                                                                                                                           nen, Räume erleben, sie als „meine Orte und Räume“ er-       machen zu fragen, bereits bestehenden Fragen nachzuge-
                                                                                                                                           fahren, um mich der Frage zu stellen, woran ich eigentlich   hen und Räume der Gotteserfahrung zu schaffen. Lassen
                                                                                                                                           glaube. Sehnsüchte speisen sich auch aus Erfahrung und       Sie uns gemeinsam erleben, dass die Tiefe des Glaubens
                                                                                                                                           sogar aus dem Mangel an ihr. In dieser Sehnsucht verber-     kein Ende hat und wir immer noch mehr ergründen können,
                                                                                                                                           gen sich für mich Fragen nach den Glaubensdingen, nach       welche Wege Gottes unser Leben prägen. Ich lade Sie herz-
                                                                                                                                           Inhalten, nach Grundlagen. Dann beginnt die spannende        lich dazu ein, darüber zu sprechen!
                                                                                                                                           Reise der Glaubensvertiefung und aus Glaubenssuchern
                                                                                                                                           können Glaubenszeugen werden. Das ermöglichen bei-                                                        VIOLETTA GERLACH

                                                                                                                                           GLAUBENSFRAGEN ZWISCHEN TÜR
                                                                                                                                           UND ANGEL
                                                                                                                                           Dass in einer Kindertagesstätte beim Bringen und Abholen
                                                                                                                                           der Kinder über erzieherische Fragen gesprochen wird, ge-
                                                                                                                                           hört zum Alltag. Zwischen Tür und Angel zu einem Glau-
                                                                                                                                           bensgespräch eingeladen zu werden, ist dagegen eher un-
                                                                                                                                           gewöhnlich. Pastoralreferentin Violetta Gerlach hat den
                                                                                                                                           Versuch gewagt und Kita-Eltern gefragt: Was hält Sie in
     „ICH KANN NUR VON DEM SPRECHEN, WAS ICH SELBST ERFAHREN HABE“                                                                         der Kirche, in der Gemeinde, im Glauben? Lesen Sie hier
                                                                                                                                           einige Antworten aus diesen „Türgesprächen“, die wir auf
     Vielerorts wird eine Sprachlosigkeit im Glauben bemän-                  vielleicht sogar die Gesellschaft eine Abneigung gegenüber
                                                                                                                                           Wunsch der Befragten anonym veröffentlichen.
     gelt, sowohl bei Menschen, die eine lose Beziehung gegen-               Glaubensgesprächen aus?
     über der Kirche pflegen, als auch bei den sogenannten                                                                                 • In der Kirche fühle ich mich sicher und geborgen.
     Insidern. Und manchmal findet sie sich sogar bei haupt-                 Ich glaube schon, dass es einerseits unmodern geworden
     amtlichen Mitarbeitern im kirchlichen Dienst, die sich nicht            ist, über den Glauben zu sprechen. Andererseits nehme ich     • Die Gemeinde gibt mir eine emotionale Kraft.
     mehr trauen, einfach den Glauben offensiv ins Gespräch zu               wahr, dass viele Menschen überfordert sind, wenn sie nach
     bringen.                                                                ihrem Glauben gefragt werden. Trotzdem ist die Sehnsucht      • Kirchliche Feste und Traditionen sind für mich eine Hei-
     Woran aber liegt es, dass wir nicht mehr wissen, wie wir                nach den Glaubensdingen, nach Halt und Orientierung,          materinnerung.
     über den Glauben sprechen sollen? Haben wir den Mut oder                stärker denn je. Aber die Erfahrung mit Gott und Glauben
     gar die Fähigkeit verloren? Haben die Menschen heute zu                 nimmt stetig ab. Es ist nicht mehr selbstverständlich, sich   • Es ist eine Zugehörigkeit außerhalb der Familie, zu Men-
     wenig Erfahrung damit, zu wenig Glaubenswissen? Strahlt                 diesen Themen zu widmen. Es gibt keinen Automatismus          schen mit ähnlichen Werten.

14   „Ich kann nur von dem sprechen, was ich selbst erfahren habe“                                                                                                                                           Schwerpunktthema »Was hält mich (noch)?« Pfarrbrief 2 | 19   15
WAS HÄLT MICH (NOCH)? - St. Nikolaus Bensberg
• Die Taufvorbereitung in der Gruppe hat mir viel gegeben.   Gnade und Vergebung heraus und erlebe diese. So kann ich      „WIR SOLLTEN WIEDER MUTIG ÜBER GOTT SPRECHEN“
     Durch die Kinder bin ich der Kirche nähergekommen und        auch anderen vergeben. Diese Kraft kommt von Gott.
     erlebe das Gemeinschaftsgefühl. Die Angebote der Kirche                                                                    Das distanzierte Verhältnis, das heute viele Menschen zu      che oder Glaubenskurse. Die Arbeit der Glaubenskommu-
     sind wichtig, eben auch die Sakramente.                      • Ich kenne die Menschen hier, ich bin gerne mit ihnen zu-    kirchlichen und religiösen Fragen haben, drückt sich auch     nikation ist sehr vielfältig. Dabei sollten wir berücksichti-
                                                                  sammen, wir kümmern uns umeinander, wir zeigen Inter-         in einer gewissen Sprachlosigkeit aus. Offen über den ei-     gen, dass sich nicht nur das kirchliche Leben verändert hat,
     • Durch die Feier von Weihnachten und Ostern fühle ich       esse und schenken uns Aufmerksamkeit. Das ist mein Halt.      genen Glauben zu reden, kommt einem Tabu gleich. Das ist      sondern auch die Gesellschaft und wir Menschen. Unsere
     mich gestärkt.                                                                                                             Privatsache, argumentieren die meisten Menschen. Kris-        Kommunikationsformen sind passiver geworden; wir kon-
                                                                  • Die Kita-Aktionen bringen mich (der Kirche) näher, auch     tell Köhler, Referentin für Glaubenskommunikation, Ab-
     • Der Kindergottesdienst gibt uns als Familie Halt.          wenn ich manche kirchlichen Einstellungen als weltfremd       teilung Erwachsenenseelsorge im Erzbistum Köln, erklärt,
                                                                  empfinde. Ich finde es wichtig, dass Kirche sich um junge     wie wir über den Glauben wieder miteinander ins Gespräch
     • Werteerziehung ist mir ganz wichtig.                       Menschen kümmert.                                             kommen können.

                                                                                                                                Frau Köhler, noch vor wenigen Jahrzehnten standen die
     • Wie Bensberg als Ortsteil nicht ganz anonym ist, so auch   • Der Alphakurs hat mit Halt gegeben.                         Menschen nach dem Sonntagsgottesdienst auf dem Kirch-
     die Gemeinde: Man kennt sich, es ist eine offene Gemeinde,                                                                 platz zusammen und sprachen ganz selbstverständlich
     auch offen für Neue.                                         • Hier erlebe ich in schweren Zeiten Stütze und Begleitung.   über ihren Glauben – über das, was ihnen an der Predigt
                                                                                                                                gefallen hatte oder auch nicht. Was ist heute anders?
     • Mein Glaube hilft mir, den Dingen und Personen Wert zu-    • Gemeinde ermöglicht mir die Grundlage, mich wieder
     zusprechen.                                                  dem Glauben zu nähern.                                        Köhler: Glaubensinhalte, Glaubensvollzüge und die Teil-
                                                                                                                                nahme am Gemeindeleben können in unserer Zeit nicht
     • Ich tanke aus dem Wort Gottes Kraft. Ich lebe aus der      • Die Kirche ist Bestandteil meiner Identität.                mehr selbstverständlich vorausgesetzt werden. Infolge-
                                                                                                                                dessen sprechen wir selbst oft nicht mehr davon, was uns
                                                                                                                                der Glaube für das eigene Leben bedeutet. Außerdem er-
                                                                                                                                leben wir, dass Glaubenswissen verloren geht oder fremd
                                                                                                                                wird. Hinzu kommt, dass sich die Formen unseres Zusam-
                                                                                                                                menlebens verändert haben. Wann sitzt eine Familie noch
                                                                                                                                gemeinsam an einem Tisch, um über solche Themen zu
                                                                                                                                sprechen? Es fehlt also auch an Gelegenheiten. Trotzdem

                                      DU                   WIR                                                                  sollten wir uns mehr trauen, unseren Glauben zu reflektie-
                                                                                                                                ren und ihn zum Thema zu machen: in der Familie, unter
                                                                                                                                Freunden, am Arbeitsplatz. Überall, wo sich unser Leben       sumieren mehr und teilen uns über wirklich Wesentliches

                                    HAST                   HABEN                                                                abspielt.                                                     weniger mit. Die sozialen Medien bilden oft nur eine ver-
                                                                                                                                                                                              kürzte Kommunikation ab. Ich kann eine Meinung teilen,
                                                                                                                                                                                              muss aber nicht Stellung beziehen. Echter Dialog sieht an-

                                     DEN                   DAS ZEUG
                                                                                                                                Selbst aus der Komfortzone herauszukommen, um im eige-
                                                                                                                                nen sozialen Umfeld mit gutem Beispiel voranzugehen, ist      ders aus. Diese Entwicklung fällt uns in der Kirche heute in
                                                                                                                                aber nicht alles...?                                          manchen Bereichen auf die Füße. Denn wir erleben weni-

                                 GARTEN.                   DAZU.
                                                                                                                                                                                              ger Menschen, die von ihrem Glauben Zeugnis geben und
                                                                                                                                Köhler: Nein, das eigene aktive Tun ist nur ein Aspekt. Wir   offen über ihn sprechen.
                                                                                                                                setzen uns natürlich auch theoretisch mit dem Thema aus-
                                                                                                                                einander: Wo und wann stoßen Menschen denn auf unsere         Haben Sie dafür eine Lösung?
                                                                                                                                Glaubensinhalte? Wo kommen sie mit kirchlichen Angebo-
                                                                                                                                ten in Berührung? Das kann über den Schaukasten genauso       Köhler: Da kann ich nur von mir selbst sprechen. In Krisen-
                                                                                                                                geschehen wie über den Küster, die katechetischen Berei-      zeiten muss man aktiv werden. Glaube macht mir Spaß. Da-

16   Glaubensfragen zwischen Tür und Angel                                                                                                                                                          Schwerpunktthema »Was hält mich (noch)?« Pfarrbrief 2 | 19   17
WAS HÄLT MICH (NOCH)? - St. Nikolaus Bensberg
her trete ich in Gemeinden mit Menschen in Kontakt und         vatsache und gehe niemanden etwas an. Dabei sollten wir       WAS HÄLT MICH IM KIRCHLICHEN „HAUPTAMT“?
     teste dort ganz praktisch, wie sich Glaubensthemen wieder      wieder mutig über Gott, der in unserer Welt zu Hause ist,
     ins Gespräch bringen lassen – beispielsweise über Frage-       sprechen. Denn er hat für uns Lebensrelevanz. Wir leben in    Nach 15 Jahren Hauptamt in der Kirche lädt mich dieser       spürt. Der Psalm 139 begleitet seit Jugendtagen mein Le-
     stellungen wie „Was glaube ich?“ oder „Warum glaube ich?“      einer Welt, in der die Menschen zwischen vielen Angeboten     Pfarrbrief dazu ein, mich der Frage zu stellen, was mich     ben: Die Vorstellung, von Gott in seiner Hand geborgen zu
     Mit einer großen Bandbreite an Gesprächsmöglichkeiten          frei wählen können. Und da entscheiden sich leider viele      in der katholischen Kirche und somit auch in diesem Beruf    sein, ohne erdrückt oder gegen meinen Willen festgehalten
     will ich den ganzen Reichtum unseres Glaubens erlebbar         gegen den Gottesdienst oder andere kirchliche Angebote.       hält. Wenn ich nur die gegenwärtige Situation hier vor Ort   zu werden, gibt mir immer wieder Halt. Gott stützt mich,
     machen.                                                        Also sollten wir neue Situationen schaffen und fördern, in    betrachte, könnte ich einfach nur davon schwärmen, dass      auch wenn ich gerade verzweifle, weil meine Lebens- oder
                                                                    denen über Gott gesprochen werden kann und versucht           ich in den letzten Wochen viele beeindruckende Menschen      Glaubenssituation mich gerade herausfordert. Immer wie-
     Welche Voraussetzungen sind denn notwendigerweise mit          wird, etwas Unsagbares wie Gottes Größe und seine All-        am neuen Einsatzort kennengelernt habe und mich freue,       der nehme ich seinen Beistand wahr: in den kleinen und
     Glaubenskommunikation verbunden, will ich von etwas            macht in Worte zu fassen, ohne dass es peinlich wird.         mich mit diesen engagierten und aufgeschlossenen Men-        großen Zeichen des Alltags.
     sprechen, das mich bewegt?                                                                                                   schen auf den Weg zu machen und Gemeinde und Glaube
                                                                    Was fördert oder verhindert denn gelingende Kommunika-        zu gestalten.                                                In der Begleitung vieler Menschen komme auch ich an mei-
     Köhler: In meinem Herzen muss etwas brennen. Das ist wie       tion?                                                                                                                      ne Grenzen, denn die Lebenswege sind nicht immer gerade
     beim Verliebtsein. Wovon das Herz voll ist, davon läuft der                                                                  Daraus ist sicher erkennbar, dass ich gerne mit Menschen     und geschmeidig, und dann fällt mir ein Ausspruch Edith
     Mund über. Wichtig ist, dass jemand begeistert ist, eine po-   Köhler: Authentisches Auftreten ist der Schlüssel zu einer    im Gespräch bin, sie gerne im Glauben begleite und mich      Steins ein: „Gott erlegt uns keine Prüfungen auf, ohne uns
     sitive Erfahrung macht. Das stärkt die eigene Bereitschaft,    guten Kommunikation. Mir geht es darum zu vermitteln:         selbst auch begleiten lasse. Die Attraktivität des Berufes   zugleich die Kraft zu geben, sie zu ertragen.“ Wir können
     darüber dann auch zu sprechen. Außerdem ist wichtig, dass      Der Glaube ist ein Geschenk. Das heißt, es geht um ein An-    ist sicher davon gekennzeichnet, dass es kein einseitiges    uns darüber streiten, ob dieser Satz so wirklich tröstend
     Menschen erleben, Glaube und Glaubensinhalte haben mit         gebot, das meinem innersten Bedürfnis entspricht. Dazu        Geben oder Nehmen ist. Vielmehr habe ich mich durch die      ist. Aber wenn Sie ihn ein wenig umformulieren, dann kön-
     dem eigenen Leben zu tun. Das muss authentisch und ana-        gehört auch, den anderen ernstzunehmen, wenn er dieses        vielen Jahre hindurch und die vielen Begegnungen und         nen Sie daraus lesen: „In den Herausforderungen meines
     log erlebt werden können. Und dann kann der Glaube Feuer       Angebot ablehnt, und ihn so zu lassen, wie er ist. Ich will   Gespräche selbst weiterentwickelt. Bestimmte Momente,        Alltags verlasse ich mich darauf, dass Gott mich darin be-
     fangen.                                                        eine Begegnung auf Augenhöhe und keineswegs belehren          Erfahrungen, Gottesdienste und Menschen haben mich in        stärkt, sie zu meistern.“ Vielleicht ist das mein Halt und
                                                                    oder partout etwas verkaufen. Eine Kommunikation schei-       meinem Glauben weitergebracht.                               noch viel mehr, denn meistens erfahre ich meinen eigenen
     Können Sie das näher erklären?                                 tert hingegen, wenn ich auf die Fragen und Zweifel des an-                                                                 Glauben nicht mit Schwere und Prüfung, sondern als Ge-
                                                                    deren nicht eingehe, wenn keine wirkliche Bereitschaft zu     Nicht zuletzt ist es Gott, der mich hält – auch dann, wenn   schenk und Kraftquelle.
     Köhler: Glaubenserfahrungen müssen für den Alltag Be-          einem ehrlichen Dialog besteht oder ich nur Worthülsen        ich selbst zweifle. Auch in schwierigen Situationen und in
                                                                                                                                  manchen Grundsatzfragen habe ich seinen Rückhalt ge-                                                 VIOLETTA GERLACH
     deutung haben. Zu Themen wie Freude und Glück, aber            nutze. Wichtig ist: Wenn ich meinen Glauben zum Thema
     auch Misserfolg und Scheitern hat uns die Bibel jede Men-      mache, muss ich ganz genau wissen, wovon ich spreche.
     ge zu sagen. Für die Jünger Jesu beispielsweise schien die
     Mission ihres Meisters am Karfreitag vordergründig auch                        DAS INTERVIEW FÜHRTE BEATRICE TOMASETTI
     erst einmal gescheitert zu sein. Aber die Erfahrung der Auf-
     erstehung eröffnete ihnen einen neuen Blick auf das Ge-
     schehene – denken wir nur an die Emmaus-Erzählung. Und         Über den Glauben sprechen geht zum Beispiel bei Alpha!
     dann benötigen theologische Themen auch eine lebensre-
     levante Präsentation und Sprache. Die zehn Gebote, Sünde,      Herzliche EInladung zu den Alpha - Glaubensabenden mit
     Gnade – das sind große Begriffe aus dem Insidervokabular.      einem Abendessen und Austausch. Die Abende finden je-
     Aber sie sind heutzutage erklärungsbedürftig.                  weils donnerstags von 19.30 – 21.45 Uhr im Treffpunkt in
                                                                    Bensberg in der Nikolausstraße 11 statt.
     Warum macht es Sinn, sich über das Reden von Gott über-        Weitere Informationen zu den Alpha-Glaubensabenden und
     haupt Gedanken zu machen?                                      den Inhalten des Kurses finden Sie auf unserer Homepage
                                                                    www.nikolaus-und-joseph.de
     Köhler: Religion und Politik sind zu Tabu-Themen gewor-
     den. Viele ziehen sich auf die Position zurück, das sei Pri-

18   „Wir sollten wieder mutig über Gott sprechen“
zählen Frauen und Männer aus der Mitte der Kirche, ihr           die demografische Entwicklung wird diesen Trend in den
                                                                                                                                       treues Fußvolk. „Was lange gärt, wird endlich Wut“... Die-       nächsten Jahren noch verstärken. Ist es da die richtige
                                                                                                                                       ser Spruch aus den 1970ern fällt mir ein. Ein Kirchenaus-        Strategie, auf den harten Kern der Frommen und Glaubens-
                                                                                                                                       tritt ist für die meisten keine Option, dafür ist ihre Bindung   festen zu setzen? Oder muss man sich öffnen, Positionen
                                                                                                                                       an die Kirche zu stark. Bleiben und aufbegehren und sich         überdenken? Was hat die Kirche zu verlieren? Ist etwas
                                                                                                                                       für Reformen einsetzen – das ist ihr Weg. Der Vergleich zur      Schlimmeres denkbar, als dass die Gotteshäuser leer blei-
                                                                                                                                       Politik, so oft er auch schon bemüht wurde, drängt sich auf:     ben, weil niemand mehr die Frohe Botschaft hören will?
                                                                                                                                       Viele DDR-Bürger waren in den Jahren vor der Wende ge-
                                                                                                                                       flüchtet. Doch diejenigen, die geblieben sind, haben letz-
                                                                                                                                       ten Endes durch ihren mutigen und beharrlichen Protest
                                                                                                                                       den Zusammenbruch eines totalitären Systems mit herbei-
                                                                                                                                       geführt. „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern“... auch
                                                                                                                                       solche, die im Namen Gottes aufgerichtet wurden?

                                                                                                                                       Noch ist Maria 2.0 keine Revolution, allenfalls eine Bewe-
                                                                                                                                       gung. Und sie ruft zahlreiche Kritiker auf den Plan. Neben
                                                                                                                                       denen, die aus einer eher resignativen Haltung heraus die
     AUFBEGEHREN UND TROTZDEM BLEIBEN!                                                                                                 Reformfähigkeit der Kirche in Zweifel ziehen, gibt es auch
                                                                                                                                       viele, die die Forderungen der Frauen für überzogen halten
     Im April höre ich zum ersten Mal von Maria 2.0. Die kfd         In den nächsten Wochen werde ich immer wieder auf Maria           und sich mit ihren Zielen nicht identifizieren. Und schließ-
     St. Joseph unterstützt die Aktion, die von einer Gruppe         2.0 angesprochen – einerseits konkret auf die Aktion in           lich die überzeugten GegnerInnen, die eine Debatte über
     Münsteraner Frauen ins Leben gerufen wurde. Mit einem           unserer Gemeinde, über die in der Presse berichtet wird.          Frauenordination, die Aufhebung des Pflichtzölibats und
     „Kirchenstreik“ soll auf die Ausgrenzung von Frauen in der      „Mama, was ist denn da los bei euch?“, fragt meine Toch-          Strukturreformen für einen Angriff auf die katholische Leh-
     katholischen Kirche aufmerksam gemacht werden: Eine             ter per WhatsApp aus Berlin. Andererseits sorgen die vielen       re und die kirchliche Ordnung halten. Vertreterinnen die-
     Woche lang, vom 11. bis zum 18. Mai, wollen sie keine Kir-      Protestaktionen überall im Bistum dafür, dass Menschen            ser Spezies lerne ich auf einer Diskussionsveranstaltung
     che betreten und ihre ehrenamtlichen Dienste nicht ver-         aufhorchen, auch solche, die normalerweise nicht viel mit         im September kennen. Die Theologin Maria Mesrian, eine
     richten. Die traditionelle Maiandacht in Moitzfeld findet in    der katholischen Kirche zu tun haben (wollen). „Was ihr da        Sprecherin von Maria 2.0 aus Köln, ist auf Einladung der kfd
     diesem Jahr im Freien statt: auf der Wiese neben der Kir-       macht, ist gut! Weiter so!“, höre ich oft. Beifall von der fal-   nach Moitzfeld gekommen, um über die Rolle der Frau in           Stattdessen wird immer wieder darauf gepocht, dass die
     che. Mehr aus Zufall und aus Neugier nehme ich daran teil.      schen Seite? Ich soll Rede und Antwort stehen und frage           der katholischen Kirche zu sprechen. Gut vorbereitet betre-      Kirche sich nicht jedem Zeitgeist anpassen dürfe. Doch Kir-
     Überrascht sehe ich um mich herum viele vertraute Gesich-       mich selbst: Was rührt sich da in der Kirche? Worum geht es       ten die konservativen Kritikerinnen die Arena, sie zitieren      che – das sind die Menschen, die zu ihr gehören und mit ihr
     ter: Frauen, die ich seit Jahren kenne, die sich in der Ge-     eigentlich? Und warum jetzt? Dass die Maria 2.0.-Aktivis-         „ihre“ Theologen und bekennen sich mit flammenden Wor-           leben. Insofern ist Kirche immer auch ein Abbild ihrer Zeit.
     meinde ehrenamtlich engagieren in Gremien, Gruppen und          tinnen sich für eine geschlechtergerechte Kirche einsetzen        ten zu einer Kirche, der sie mit Freude dienen wollen. Ihren
     Chören, als Lektorinnen oder Katechetinnen. Frauen aller        und den Zugang von Frauen zu Weiheämtern fordern, ist             Verkündigungsauftrag könnten sie auch dort ausüben, wo           Herbst 2019. „Wir machen weiter“, heißt es von den Maria
     Altersgruppen, die in der Gemeinde verwurzelt sind und          nur ein Aspekt. Es geht um Erneuerung, um das Aufbre-             eine vermeintlich „göttliche Ordnung“ sie hingestellt hat:       2.0-Anhängerinnen. Wie alle Graswurzelbewegungen wird
     das kirchliche Leben mitgestalten. Was hatte ich erwartet –     chen von Strukturen, die Frauen seit 2000 Jahren außen vor        in der Familie, am Arbeitsplatz – überall, nur eben nicht am     sich diese Initiative langsam von der Basis her ausbreiten
     radikal-feministische Aktivistinnen, die Parolen rufen und      halten. Diese Strukturen sind auch mit dafür verantwort-          Altar.                                                           und wachsen. Dafür braucht es einen langen Atem. Wahr-
     Transparente schwenken? Später soll ich von zahlreichen         lich, dass ungezählte Fälle von klerikalem Missbrauch noch                                                                         scheinlich wird meine Generation den Aufbruch in der Kir-
     Frauen, Freundinnen und Bekannten in anderen Städten            immer vertuscht und die Strafverfolgung durch weltliche           In ihrer Verteidigung konservativer Werte schwingt eine          che nicht mehr erleben, vielleicht nicht einmal mehr die
     hören, dass sie sich auch an den Protesten beteiligt haben.     Gerichte systematisch verhindert werden.                          unterschwellige Aggressivität mit. Doch dahinter ist Angst       meiner Kinder. Manchmal fallen Mauern aber auch in einer
     Auch meine fast 90-jährige Mutter gehört dazu. Offenbar                                                                           spürbar. Wovor, frage ich mich. Die katholische Kirche           Nacht.
     habe ich unterschätzt, welches Potenzial in dieser Initiative   Den Sommer über gewinnt Maria 2.0 in Gesprächen und               kämpft, was ihre Mitgliedszahlen betrifft, mit dem Rücken
     steckt...                                                       Begegnungen für mich mehr Kontur. Zu ihren Anhängern              zur Wand. Die Schäflein laufen ihr in Scharen davon, und                                                     MARTINA MARTSCHIN

20   Aufbegehren und trotzdem bleiben!                                                                                                                                                                        Schwerpunktthema »Was hält mich (noch)?« Pfarrbrief 2 | 19   21
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