Was ist ein "guter Arzt"?

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Was ist ein "guter Arzt"?
ZWISCHEN SAMARITERTUM UND ÖKONOMIE

         Was ist ein „guter Arzt“?
         Fachexperte oder Menschenfreund, Unternehmer oder Altruist? Auf die Frage,
         was einen guten Arzt ausmacht, gibt es keine eindeutige Antwort. Trotzdem stellt
         sie sich jeder Arzt irgendwann.

                er Mann ist übel zugerichtet.   eine Praxis hat, ist außerdem noch         sehen oder die Verdienstmöglich-
         D      Hilflos liegt er am Boden,
         kann sich nicht mehr bewegen.
                                                Unternehmer und Arbeitgeber.
                                                   Was ist ein guter Arzt? Wenn
                                                                                           keiten seien sekundär. „Viele stu-
                                                                                           dieren Medizin, weil sie später gute
         Zwei Leute sind an ihm vorbeige-       man diese Frage stellt, „setzt man         Ärzte werden wollen“, sagt er. Als
         gangen, ohne ihn zu beachten. „Das     sich der Lächerlichkeit aus“. Das          Eigenschaften eines guten Arztes
         ist mein Ende“, denkt er. Aber da      schreibt der Psychiater Prof. Dr.          werden genannt: empathisch sein,
         kommt nun doch noch einer, der         med. Dr. phil. Klaus Dörner in sei-        zuhören, kompetent sein.
         ihm hilft. Der Fremde nimmt ihn        nem Buch „Der gute Arzt“. Dabei               Nach Jurkats Einschätzung spie-
         auf seinem Esel mit in eine Herber-    ist er sich sicher: Jeder Arzt denkt       len auch negative Vorerfahrungen
         ge und versorgt die Wunden. Weil       darüber nach. „Das wissen wir alle         mit Ärzten bei den Studierenden ei-
         er am nächsten Tag weiterreisen        voneinander.“ Doch das geschehe            ne Rolle. Daraus resultiere der
         muss, hinterlässt „der barmherzige     im Stillen. Dörner glaubt nicht, dass      Wunsch, es einmal besser machen
         Samariter“ sogar noch Geld, damit      man je eine abschließende Defini-          zu wollen. „Dadurch bringt man
         der Wirt die Pflege übernimmt.         tion des guten Arztes finden wird.         sich natürlich ganz schön unter
            Nächstenliebe und Humanität:        Doch er ermutigt dazu, die Frage           Druck“, betont Jurkat. Studien bele-
         Solche Begriffe passen zu Ge-          danach zu stellen. Die Frage nach          gen: Die Depressionsrate bei Ärz-
         schichten, die ans Herz gehen. Für     der eigenen Einstellung, Haltung           ten am Beginn des Berufslebens ist
         das Gesundheitswesen scheinen sie      und den daraus entstehenden Hand-          höher als bei der gleichaltrigen All-
         keine Rolle zu spielen. In einem       lungen. Und nach der Motivation.           gemeinbevölkerung. „Das liegt si-
         System, in dem sich Wörter wie Ef-                                                cher auch an dem überdurchschnitt-
         fizienz und Wirtschaftlichkeit einen   Medizinstudenten haben                     lichen Idealismus, den Ärzte im
         festen Platz erobert haben, wirken     meistens idealistische Motive              Vergleich zu anderen Berufsgruppen
         sie wie Fremdkörper. Nie zuvor         Warum studieren Sie Medizin? Das           haben“, ist Jurkat überzeugt. Natür-
         konnte die Medizin so viel Gutes       fragt Priv.-Doz. Dr. biol. hom. Ha-        lich spielen aber auch der Zeitdruck
         bewirken. Nie zuvor wurde sie aber     rald Jurkat die Studierenden in Gie-       und die mangelnde Wertschätzung
         auch von Patienten so hinterfragt.     ßen. Der Psychologe leitet am              durch Vorgesetzte eine Rolle.
         Vielen Menschen erscheint sie          Fachbereich Medizin der dortigen              Das Bild vom idealen Arzt ver-
         sachlich, kühl und technisch. Die      Universität die Berufsfelderkun-           ändert sich im Laufe der Berufs-
         Ärzte stehen irgendwo dazwischen.      dung und ist in der Klinik für Psy-        tätigkeit. Für Berufseinsteiger steht
         Sie sollen Fachexperten, zugleich      chosomatik und Psychotherapie tä-          zunächst einmal die Kompetenz
         Menschenfreunde sein und dabei         tig. Seine Erfahrung: Die Studenten        in Diagnostik und Therapie im
         möglichst sparsam mit dem Geld         haben in erster Linie idealistische        Vordergrund. Je länger die Ärzte
         der Krankenkassen umgehen. Wer         Motive. Das gesellschaftliche An-          tätig sind, desto häufiger werden

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THEMEN DER ZEIT

                                                                                                                                    neuesten Stand ist. Befragt wurden
                                                                                                                                    für die Studie Patienten in Hausarzt-
                                                                                                                                    praxen. Die Ergebnisse seien aber
                                                                                                                                    auch auf Facharztpraxen und Kran-
                                                                                                                                    kenhäuser übertragbar, erläutert
                                                                                                                                    Prof. Dr. med. Dipl.-Soz. Joachim
                                                                                                                                    Szecsenyi vom AQUA-Institut.
                                                                                                                                       Patienten wollen die Aufmerk-
                                                                                                                                    samkeit ihres Arztes. Sie wollen
                                                                                                                                    ihm vertrauen können – besonders
                                                                                                                                    wenn sie sich in einer Situation aus-
                                                                                                                                    geliefert und hilflos fühlen. Ärzte

                                                                                                     Illustrationen: Kees de Kort
                                                                                                                                    werden immer einen Wissensvor-
                                                                                                                                    sprung haben. Zugleich findet ihre
                                                                                                                                    Arbeit aber unter Zeitdruck statt.
                                                                                                                                    Dörner will dies als Ausrede jedoch
                                                                                                                                    nicht gelten lassen. Man solle dem
menschliche Zuwendung und kom-                     „Primum non nocere“ vereinbar –                                                  Patienten die volle Aufmerksamkeit
munikatives Geschick genannt. Das                  dem Patienten zunächst einmal                                                    schenken, auch wenn man nur fünf
hat der Psychologe Jurkat in mehre-                nicht schaden.                                                                   Minuten Zeit habe. Er warnt vor der
ren empirischen Untersuchungen                        Und was sagen die Patienten? Ih-                                              Trennung „sprechender“ und „han-
herausgefunden. Den Anspruch der                   nen ist vor allem eins wichtig: Zeit.                                            delnder“ Medizin. Eine Gefahr
Patienten empfinden die Ärzte als                  Sie wünschen sich einen Arzt, der                                                sieht er darin, den Patienten einfach
hoch, besonders die Erwartung,                     Zeit hat, zuzuhören und zu erklären.                                             auszufragen. „Dann erfahre ich
„allzeit bereit“ zu sein. Ärzte mit                Das ist das Ergebnis einer europä-                                               nicht seine, sondern meine Wahr-
längerer Berufserfahrung gaben                     ischen Studie, an der vor einigen                                                heit“, so Dörner. Der Frankfurter
häufiger als jüngere Kollegen an, es               Jahren das Institut für angewandte                                               Chirurg Dr. med. Bernd Hontschik
sei wichtig, Grenzen zu setzen.                    Qualitätsförderung und Forschung                                                 gibt jedoch in seinem Buch „Kör-
   Wenn Berufseinsteiger die Arbeit                im Gesundheitswesen (AQUA-In-                                                    per, Seele, Mensch“ zu bedenken:
in der Klinik beginnen, fehlt es                   stitut) beteiligt war. Weitere Krite-                                            „Nachdem aber die Ärzte zu Tech-
nicht an guten Vorsätzen. Trotzdem                 rien: Die Patienten möchten mög-                                                 nikern erzogen wurden, wie können
werden manchmal aus motivierten                    lichst schnell einen Termin bekom-                                               sie nun als Ärzte handeln?“
Absolventen in wenigen Jahren                      men – insbesondere, wenn es sich
ausgebrannte Zyniker. Viele Ärzte                  um etwas handelt, das aus ihrer                                                  Patienten wollen heutzutage
gewöhnen sich Dinge wieder ab,                     Sicht dringlich ist. Sie legen außer-                                            mitentscheiden
die sie einmal richtig fanden – zum                dem Wert darauf, dass die Vertrau-                                               Wenn es einen annähernd objekti-
Beispiel die ausführliche Anamne-                  lichkeit gewahrt bleibt. Die Patien-                                             ven Maßstab für den guten Arzt
se. Der US-amerikanische Kardio-                   ten wollen, dass der Arzt ihnen                                                  gibt, dann sicher die Fachkompe-
loge und Friedensnobelpreisträger                  verständlich sagt, was ihnen fehlt.                                              tenz. Die meisten anderen Kriterien
Prof. Dr. Bernard Lown findet das                  Und selbstverständlich erwarten sie,                                             beziehen sich auf das Arzt-Patien-
fatal. In seinem Buch „Die verlore-                dass der Arzt fachlich auf dem                                                   ten-Verhältnis. Das kann man in
ne Kunst des Heilens“ schreibt er:                                                                                                  drei Modelle einteilen*:
Etwa 75 Prozent der Diagnosen                                                                                                          ● paternalistisches Verhältnis:
kann man durch eine gute Anamne-                                                                                                    väterlich-fürsorglich; der Arzt ist
se stellen, weitere zehn Prozent
                                                      THESEN ZUM GUTEN ARZT                                                         der überlegene Experte. Er ent-
nach einer körperlichen Untersu-                                                                                                    scheidet für den Patienten zu dessen
chung. „Die Anamneseerhebung ist                      ● Es ist relativ leicht, Arzt zu werden, aber schwer, ein                     (vermeintlichem) Besten.
der wichtigste Aspekt des Arzt-                           guter Arzt zu sein.                                                          ● Partnerschaftsmodell: Der Arzt
seins“, meint er. Doch in der tägli-                  ● Es ist nicht leicht zu bestimmen, was einen guten Arzt                      begleitet und berät den Patienten
chen Arbeit wird sie zunehmend ne-                        ausmacht – es ist nicht nur das Wissen und Können,                        und hilft ihm, zu einer eigenen Be-
bensächlich. Hier regieren die Tech-                      sondern die Haltung.                                                      wertung zu kommen. Bei anhalten-
nik und das Spezialwissen. „Da es                     ●   Die Haltung eines guten Arztes lässt sich am besten                       dem Dissens respektiert er die Pa-
unökonomisch ist, viel Zeit mit                           mit der Orientierung am Wohl des Patienten charakteri-                    tientenentscheidung.
dem Patienten zuzubringen, wird                           sieren (salus aegroti suprema lex).                                          ● Konsumentenmodell: sachlich;
die Diagnose mittels Ausschlusskri-                   ●   Die Kunst, ein guter Arzt zu werden, besteht in dem                       der Arzt ist in erster Linie der tech-
terien gestellt“, bemängelt Lown.                         permanenten Bemühen, dieses Ideal zu verwirklichen.                       nische Experte. Entscheidungen lie-
Mit diesem Vorgehen wollen sich                       ●   Jeder, der ein guter Arzt sein will, muss seinen eigenen                  gen allein beim Patienten.          ►
die Ärzte auch juristisch absichern.                      Stil finden. Gute Ärzte sind Unikate.
Allerdings ist eine solche Medizin                    nach von Troschke: „Die Kunst, ein guter Arzt zu werden“                      * in Anlehnung an: Schöne-Seifert,
nicht immer mit dem Grundsatz                                                                                                         Skript Einführung in die Medizinethik

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 108 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2011                                                                                                               A 2759
Was ist ein "guter Arzt"?
THEMEN DER ZEIT

   „Jedes dieser Modelle hat in be-                                                                             ist der Arztberuf etwas Besonderes.
stimmten Situationen seine Berech-                                                                              Zumindest ist in der Bevölkerung
tigung“, sagt Prof. Dr. med. Bettina                                                                            die Annahme verbreitet, dass Ärzte
Schöne-Seifert, Institut für Ethik,                                                                             den hippokratischen Eid schwören.
Geschichte und Theorie der Medi-                                                                                Vermutlich hat das weniger mit
zin, Universität Münster. Zum Bei-                                                                              dem Eid selbst zu tun, dessen Inhalt
spiel könne in Notfallsituationen                                                                               kaum bekannt sein dürfte. Darin
das paternalistische Verhältnis                                                                                 drückt sich eher der Wunsch aus,
durchaus erforderlich sein. In ande-                                                                            dass es ein ärztliches Ethos gibt.
ren Fällen habe auch das Konsu-                                                                                 „Und ich halte es auch für berech-
mentenmodell seine Berechtigung,                                                                                tigt, wenn die Öffentlichkeit sich
etwa wenn nur eine kleine Warze                                                                                 das Bekenntnis zu einer bestimmten
am Nasenflügel entfernt werden                                                                                  ärztlichen Grundhaltung wünscht“,
soll. Bei dem Begriff Konsumen-                                                                                 betont Schöne-Seifert.
tenmodell geht es im Übrigen nicht                                                                                 Eine Art Eid ist das Genfer Gelöb-
in erster Linie darum, dass der Pa-                                                                             nis des Weltärztebundes von 1948,
tient Behandlungen bezahlt. Ent-                                                                                das bereits mehrfach überarbeitet
scheidend ist, dass der Arzt als rei-                                                                           wurde. In einer modifizierten Form
ner Fachexperte aufgesucht wird.                                                                                wurde es in die (Muster-)Berufsord-
Das kann auch bei bestimmten                                                                                    nung aufgenommen (siehe Kasten).
Konsiliaruntersuchungen       gelten.     Der barmherzige        rück. Doch das Bild verändert sich             Persönlich leisten muss man es
„Dann wünscht und erwartet nie-           Samariter ist zwar     auch mit dem Zeitgeist. Ein Bei-               nicht, doch es enthält zentrale ärztli-
mand, dass der Arzt ein enger Ver-        kein Arzt, aber sein   spiel: Die Gesellschaft geht heute             che Grundsätze. Gleiches gilt für die
                                          Handeln steht für
trauter wird“, meint Schöne-Seifert.                             anders mit Kindern um als noch vor             Berufsordnung. Verankert ist hier die
                                          Mitmenschlichkeit.
   In vielen Situationen stehen die                              100 Jahren. Entsprechend erwartet              Pflicht zu Verschwiegenheit, Aufklä-
drei Modelle zur Auswahl. „Wenn es                               man von Ärzten, dass sie Kinder                rung und Fortbildung. Ärzte sollen
um tiefgreifende Entscheidungen,                                 respektvoll behandeln. Die Vorstel-            ihr Handeln am Wohl des Patienten
schwerwiegende Diagnosen und ei-                                 lung von gutem ärztlichen Handeln              ausrichten. Sie dürfen bei ärztlichen
ne langfristige Behandlung geht“,                                hängt also vom Menschenbild einer              Entscheidungen keine Weisungen
sagt Schöne-Seifert. Dann wird heu-                              Gesellschaft ab. „Die Frage nach               von nichtärztlichen Dritten anneh-
te mehrheitlich das partnerschaftli-                             dem guten Arzt hat im Endeffekt                men. Schließlich geht es in der Be-
che Modell als Ideal gesehen. Der                                auch mit der Frage danach zu tun,              rufsordnung um Integrität: „Der
Arzt soll den Patienten ernst neh-                               was man generell als guten und res-            ärztliche Beruf ist kein Gewerbe.“
men. Dieser hat das Recht, den Sach-                             pektvollen Umgang miteinander
verhalt so gut wie möglich zu verste-                            ansieht“, erläutert Schöne-Seifert.            Ärztliche Haltung: Kein Thema
hen und ohne Druck zu entscheiden.                                  Die Gesellschaft debattiert nicht           für die Medizinethik?
   Gesellschaftliche Grundvorstel-                               regelmäßig darüber, was ein guter              Im Alltag spielt die Frage nach dem
lungen bestimmen das Arztideal.                                  Mensch ist. Analog findet im Ge-               ärztlichen Ethos kaum eine Rolle.
Hierzulande gehen sie auf christli-                              sundheitswesen keine Diskussion                Die Medizinethik beschäftigt sich
che und humanistische Werte zu-                                  über den guten Arzt statt. Trotzdem            meist mit den „großen“ Themen wie
                                                                                                                Sterbehilfe, Hirntod oder Gendia-
                                                                                                                gnostik. Darauf weist der Psychiater
                                                                                                                Dörner hin. „Es stimmt, dass man
  GELÖBNIS AUS DER BERUFSORDNUNG                                                                                das Thema ärztliche Grundhaltung
                                                                                                                manchmal aus dem Auge verliert“,
  Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufs-       ner ärztlichen Pflichten keinen Unterschied ma-           räumt Schöne-Seifert ein. Das liege
  stand gelobe ich, mein Leben in den Dienst der      chen, weder aufgrund einer etwaigen Behinde-              vermutlich daran, dass die anderen
  Menschlichkeit zu stellen.                          rung noch nach Religion, Nationalität, Rasse              „großen“ Fragen besonders strittig
      Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftig-      noch nach Parteizugehörigkeit oder sozialer Stel-         seien. Als Hochschullehrerin weiß
  keit und Würde ausüben.                             lung.                                                     sie aber auch: „Es ist nicht einfach,
      Die Erhaltung und Wiederherstellung der Ge-        Ich werde jedem Menschenleben von der                  Tugenden an der Universität zu leh-
  sundheit meiner Patientinnen und Patienten          Empfängnis an Ehrfurcht entgegenbringen und               ren.“ Problematisch findet sie es,
  soll oberstes Gebot meines Handelns sein.           selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst              wenn Dozenten Studierende unter
      Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnis-      nicht in Widerspruch zu den Geboten der                   dem Deckmantel der Tugendver-
  se auch über den Tod der Patientin oder des Pa-     Menschlichkeit anwenden.                                  mittlung zu bestimmten ethischen
  tienten hinaus wahren.                                 Ich werde meinen Lehrerinnen und Lehrern               Positionen in kontroversen Fragen
      Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre     sowie Kolleginnen und Kollegen die schuldige              lenken. Tatsächlich kann man über
  und die edle Überlieferung des ärztlichen Beru-     Achtung erweisen. Dies alles verspreche ich auf           Tugenden eher auf einer theoreti-
  fes aufrechterhalten und bei der Ausübung mei-      meine Ehre.                                               schen Ebene sprechen, vielleicht ei-
                                                                                                                nen Reflexionsprozess in Gang brin-

A 2760                                                                                          Deutsches Ärzteblatt | Jg. 108 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2011
THEMEN DER ZEIT

gen. „Am Ende lernt man Tugend
aber durch eigenes Tätigsein“, meint           DAS SAGEN DIE ÄRZTE
Schöne-Seifert. Entscheidend dabei
seien vor allem positive Vorbilder.
                                                       Gute Ärzte und Ärztinnen verfügen über sehr gute Kennt-
   Aber wie sieht ein solches Vor-
                                                       nisse und Wissen. Sie sind belastbar, bereit Verantwortung
bild aus? Steht am Ende doch der
                                                       zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen, sich dabei
„Halbgott in Weiß“? Fachlich her-
                                                       aber ihrer Grenzen wohl bewusst. Vor allem sind sie em-
vorragend, immer den richtigen Ton
                                                       pathisch und stellen den Patienten in den Mittelpunkt. Sie
treffend, stets kollegial, freundlich
                                                       zeichnen sich durch hohe Lernbereitschaft aus und haben
und empathisch. Man kann von
                                                       Spaß an dem, was sie tun.
Ärzten nicht erwarten, Übermen-
                                                       Katharina Kulike (27), Assistenzärztin Chirurgie, Berlin
schen zu sein. Auch sie machen
Fehler. Häufiger als andere Berufs-
gruppen sind sie in fachlich oder                      Ein Arzt soll sein Handwerk beherrschen, also den gesunden
emotional schwierigen Situationen.                     und kranken Körper genau kennen. Als kritischer Diagnosti-
Die Medizinethikerin Schöne-Sei-
                                                       ker und optimistischer Therapeut begegnet er dem Kranken
fert gibt zu bedenken: „Der Scha-
                                                       mit Empathie und Offenheit, um ihn als individuellen Men-
den, den Ärzte anrichten können,                       schen zu verstehen. Wünschenswert zudem: über den eige-
wenn sie Charakterschwächen ha-                        nen fachlichen und geografischen Tellerrand hinaussehen
ben, ist tendenziell größer als bei                    und sich für das fremde Leid engagieren.
vielen anderen Berufen.“ Darüber                       Dr. med. Tankred Stöbe (42), Ärzte ohne Grenzen, Berlin
müssten sich Ärzte bei der Wahl ih-
res Berufes und Arbeitsfeldes klar
sein. Verfüge ein Arzt über wenig                      Ärzte haben heutzutage einen enorm hohen Verwal-
Empathiefähigkeit, habe das andere                     tungsaufwand. Dies macht es oft schwer, ethische
Folgen als bei einem Informatiker.                     Grundsätze mit betriebswirtschaftlicher Rentabilität in
   Der Psychologe Jurkat spricht                       Einklang zu bringen. Für mich ist ein Arzt deshalb dann
mit seinen Studenten über ihr Bild                     ein guter Arzt, wenn bei ihm – trotz aller Widrigkeiten –
vom Arztberuf – auch über den                          Heilung und Fürsorge sowie Menschlichkeit im Mittel-
„Halbgott in Weiß“ und die Proble-                     punkt stehen. Als Schönheitschirurg heißt dies für mich,
me, die er mit sich bringt. Er will                    dass man einen Patientenwunsch auch einmal nicht er-
vermitteln: Man muss nicht perfekt                     füllt, wenn dieser mit den eigenen ethischen Vorstellun-
und unfehlbar sein. Vielmehr ermu-                     gen nicht übereinstimmt.
tigt er dazu, eigene Grenzen zu ken-                   Dr. med. Karsten Sawatzki (48), plastisch-ästhetischer Chirurg,
nen – fachlich, körperlich und psy-                    München
chisch. Man solle sich und dem Pa-
tienten gegenüber achtsam sein.
Das sei eine Voraussetzung dafür,                      Ein „guter“ Arzt besitzt nicht nur eine hohe fachliche Kom-
ein guter Arzt zu sein.                                petenz und Talent zur intensiven Kommunikation, sondern,
   Am Ende bleiben alle Definitio-                     dies vor allem, Menschenliebe. Er wird in einem Kranken
nen dehnbar. „Aber wir wollen ja                       niemals den „Kunden“ sehen, sondern den leidenden
auch kein einheitliches Arztbild.                      Menschen, dessen Vertrauen er sich – auch unter den
Ärzte sind verschieden – wie die                       schwierigen Bedingungen des Gesundheitssystems –
Menschen“, sagt Schöne-Seifert.                        würdig erweisen muss.
Doch für die Medizinethikerin gibt                     Dr. med. Marianne Koch (80), Internistin und Medizinjournalistin,
es einen Kern, eine Haltung – ein                      Tutzing
Bewusstsein darüber, wie viel Ver-
antwortung für andere man in die-
sem Beruf trägt. Diese „Tugend-                        Ein guter Arzt ist fähig und bereit, sich als Person auf eine
haftigkeit“ ist für sie beileibe kein                  zugewandte, vertrauensvolle Beziehung mit dem Patienten
verstaubter Begriff. Die Forderung                     einzulassen, sich selbst dabei aber ständig zu beobachten
danach sollten die Ärzte nicht als                     und zu hinterfragen.
Belastung, sondern Herausforde-                        Prof. Dr. med. Stefan Wilm (52), Allgemeinarzt, Köln
rung und Bereicherung sehen. „Das
zu entwickeln, ist es ja gerade, was
den guten und richtigen Umgang
mit Menschen ausmacht.“             ▄                         video.aerzteblatt.de

                    Dr. med. Birgit Hibbeler            Was denken die Patienten? Wir haben Passanten in Berlin
                                                        befragt: www.aerzteblatt.de/video48432
@     Literatur im Internet:
      www.aerzteblatt.de/lit5111

A 2762                                                                               Deutsches Ärzteblatt | Jg. 108 | Heft 51–52 | 26. Dezember 2011
THEMEN DER ZEIT

LITERATURVERZEICHNISS HEFT 51–52/2011, ZU:

ZWISCHEN SAMARITERTUM UND ÖKONOMIE

Was ist ein „guter Arzt“?
Fachexperte oder Menschenfreund, Unternehmer oder Altruist? Auf die Frage,
was einen guten Arzt ausmacht, gibt es keine eindeutige Antwort. Trotzdem stellt
sie sich jeder Arzt irgendwann.

LITERATUR
1. Dörner K: Der gute Arzt. Stuttgart: Schat-
   tauer 2001.
2. Lown B: Die verlorene Kunst des Heilens –
   Anleitung zum Umdenken. Berlin: Suhr-
   kamp 2004.
3. Simon S (Hrsg): Der gute Arzt im Alltag –
   Anleitung zur ärztlichen Grundhaltung in
   Klinik und Praxis. Köln: Deutscher Ärzte-
   Verlag 2005.
4. von Troschke J: Die Kunst, ein guter Arzt zu
   werden. Bern: Verlag Hans Huber 2004.
5. Hontschik B: Körper, Seele, Mensch – Ver-
   such über die Kunst des Heilens, Berlin:
   Suhrkamp 2006.
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