Wege in Niedersachsen - Wie kann ein gerechter Umgang mit ländlichen Wegen umgesetzt werden? Ein Praxisbericht.
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Wege in Niedersachsen > Wie kann ein gerechter Umgang mit ländlichen Wegen umgesetzt werden? Ein Praxisbericht.
Herausgeber: Niedersächsischer Heimatbund e.V. Rotenburger Str. 21 30659 Hannover Telefon: 0511 / 368 12 51 E-Mail: heimat@niedersaechsischer-heimatbund.de Web: www.heimatniedersachsen.de Bearbeiter: Text & Konzept: Dr. Max Peters (NHB, Kap. 1 – 4, 6 & 7) und Dr. Anke Blöbaum (Kon-Sys, Kap. 5 & 6) Layout: Dennis Christmann Marketing Druck: Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH (gedruckt auf Recycling-Offset aus 100 % Altpapier) Hintergrund: Diese Broschüre ist im Rahmen des Projektes „Wege in Niedersachsen“ (W i N) entstanden. Das Projekt wird gefördert mit Mitteln der Niedersächsischen Bingo-Umweltstiftung. Herzlichen Dank dafür! ISBN: 978-3-9816980-4-6 Zitiervorschlag: Peters, M. & Blöbaum, A. (2020): Wege in Niedersachsen. Wie kann ein gerechter Umgang mit ländlichen Wegen umgesetzt werden? Ein Praxisbericht. Schriften zur Heimatpflege – Veröffentlichungen des Nieder- sächsischen Heimatbundes e.V., Bd. Nr. 21, Hannover, 59 Seiten. Copyright: Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig und strafbar. Das gilt ebenso für jede Form der Vervielfältigung, Übersetzung, Verfilmung oder elektronischer Verarbeitung. 2 November 2020, Hannover
Inhaltsverzeichnis Vorworte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2. Hintergründe und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 3. Wege und ihre ökologischen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 4. Das Wirtschaftswege- und Biotopverbundkonzept der Stadt Rehburg-Loccum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 4.1 Die Wirtschaftswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 4.2 Der Biotopverbund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 5. Eine psychologische Evaluierung des Projektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 5.1 Evaluationsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 5.2 Perspektive der beteiligten Akteure: Befunde der qualitativen Interviews. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 5.3 Zufriedenheit mit dem Prozess: Befunde aus der standardisierten Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 6. Empfehlungen für einen gerechten Umgang mit ländlichen Wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 7. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3
Vorworte Der Niedersächsische Heimatbund (NHB) bund entstehen, der zur Bewahrung von Rand des Umlands von Hannover, und hilft gerne bei der Suche nach richtigen Biodiversität beiträgt. Aber dadurch darf sie ist zugleich ländlich geprägt: Es gibt Wegen. Diese Feststellung hat eine dop- der Weg für die Landwirtschaft nicht viel Agrarland und ausgedehnte Berei- pelte Bedeutung, denn es geht einer- zu stark eingeengt werden – und die che für den Naturschutz. Rehburg und seits um den materiellen Weg von A landwirtschaftlichen Fahrzeuge müssen Loccum sowie weitere Orte bilden eine nach B, andererseits um die Ideen, die auch Wanderern oder Radfahrern be- große Flächengemeinde, die durch ein zu seiner Gestaltung führen. Zwar nutzt gegnen können. weit verzweigtes Wegenetz verbunden der überregionale Verkehr das weit ver- ist. Der Niedersächsische Heimatbund ästelte Wegenetz im ländlichen Raum Wie die Wege zu gestalten sind, welche ist gespannt darauf, welche Maßnah- nicht mehr so wie in früheren Jahrhun- Wege dabei gegangen werden, muss men zum Wegebau und zum Biotopver- derten. Aber Wege dienen doch noch von den Bürgern entschieden werden, bund in den nächsten Jahren verwirk- immer vielen verschiedenen Zwecken. die die Wege nutzen. Welche Argumen- licht werden, sowohl in Rehburg-Loccum Land- und Forstwirte erreichen auf te es dabei zu bedenken gilt, ist in dieser als auch in anderen Gemeinden, diedem ihnen ihre Nutzflächen. Spaziergänger Publikation zusammengestellt. hier dargestellten Vorbild folgen wollen. betrachten von ihnen das Land rings- um, Wanderer und Radfahrer sind auf Herzlich danken wir den Bearbeitern, Hannover, im Oktober 2020 den gleichen Wegen unterwegs wie allen voran Max Peters und Anke Blöbaum Mähdrescher und Langholztranspor- sowie der Fachfirma Ge-Komm GmbH. Hansjörg Küster, Präsident des Nieder- ter. Alle wollen sie, dass die Wege ihrer Die BINGO!-Umweltstiftung unterstützte sächsischen Heimatbundes Nutzung oder ihren Wünschen ent- das Vorhaben durch eine namhafte För- sprechend ausgebaut sind. Wegraine derung, die Gemeinde Rehburg-Loccum können Wuchsorte einer Vielfalt von lud uns ein, diese Pilotstudie auf ihrem Pflanzen und Tieren sein, wenn man sie Gemeindegebiet zu machen. Rehburg- entsprechend pflegt. Aus Wegrainen Loccum ist eine interessante Gemeinde und ihren Gehölzen kann ein Biotopver- zwischen Stadt und Land. Sie liegt am 4
Das (Wirtschafts-)Wegenetz im Außen- Ende des Jahres 2018 ergab sich die teure aus den Bereichen Landwirtschaft, bereich einer ländlichen Kommune ist Möglichkeit, dieses Projekt professio- Naturschutz, Tourismus und Heimat- mit vielfältigen, zum Teil konkurrierenden neller aufzustellen. Die Stadt bewarb pflege sowie zahlreiche BürgerInnen der Nutzungsansprüchen konfrontiert. Land- sich als Modellregion für das Projekt Stadt mit ihren Kenntnissen in den Pro- wirtschaft, Erholungssuchende zu Fuß, „Wege in Niedersachsen“ und erhielt zess eingebracht hätten. Auch ihnen gilt mit dem Fahrrad oder dem Reitpferd und im Frühjahr 2019 den Zuschlag. In den mein ganz besonderer Dank. sonstige Interessierte nutzen mit ganz folgenden zwei Jahren wurde in einem unterschiedlichen Erwartungen ein und offenen und transparenten Dialog- Mit Hilfe des vorliegenden Wirtschafts- dieselbe Infrastruktur. prozess ein Wirtschaftswege- und Bio- wege- und Biotopverbundkonzeptes topverbundkonzept für die ländlichen fühlt sich die Stadt nun befähigt, pass- Die an sich schon komplexe Ausgangs- Wege in der Stadt entwickelt. Ziel war genau und zielgerichtet Maßnahmen situation wird durch veränderte ökono- und ist ein Konsens aller vorgenannten für eine bedarfsgerechte Unterhaltung mische (leere kommunale Kassen) und Nutzergruppen, so dass diese in einen der Wirtschaftswege sowie für den lo- ökologische (z.B. bedrohte Biodiversität) angemessenen Interessenausgleich ein- kalen Biotopverbund zu verwirklichen. Bedingungen noch schwieriger und kann treten können. Mit deren Umsetzung werden wir 2021 nur durch einen integrierten Gesamtan- beginnen. satz mit erklärter Kompromissbereitschaft Mein Dank gilt dem Niedersächsischen aller Beteiligten angegangen werden. Heimatbund und hier in Person beson- Rehburg-Loccum, im Oktober 2020 ders Herrn Dr. Max Peters für die gute Im März 2018 hat der Rat der Stadt Reh- und vertrauensvolle Zusammenarbeit Martin Franke, Bürgermeister der Stadt burg-Loccum die Revitalisierung von ebenso wie der Ge-Komm GmbH, Melle Rehburg-Loccum Feld- und Wegeseitenrändern im Stadt- für die Erstellung des Wegekatasters. gebiet als Ziel formuliert. Ein Arbeits- kreis aus Rats-mitgliedern, Landwirten, Die Ergebnisse würden aber sicherlich Naturschutzvertretern und Verwaltung nicht in dieser Qualität vorliegen, wenn nahm die Arbeit auf. sich nicht ehrenamtliche und lokale Ak- 5
1. Einleitung Spätestens seit dem Jahr 2017 ist durch auf den Verlust von Strukturen entlang Der Projektrahmen und die Koopera- die „Krefeld-Studie“ auch der breiten von Wirtschaftswegen hin (NHB 1980: tionspartner Öffentlichkeit der massive Rückgang von 20). Die niedersächsische Landesregie- Das Projekt W i N wurde von der Nie- Insekten bekannt, was inzwischen durch rung bestätigte dies im Jahr 2017 (NHB dersächsischen Bingo-Umweltstiftung diverse weitere Studien belegt ist (z.B. bei: 2017: 7). Zwischenzeitlich war das Nieder- (NBU) gefördert mit einer Laufzeit von BfN 2017, Hallmann et. al. 2017, Seibold sächsische Umweltministerium selbst ak- August 2018 bis November 2020. Als et al. 2019, Samways et al. 2020, BMU & tiv geworden und veröffentlichte 1988 die Kooperationspartner im Projekt fun- BfN 2020). Vor diesem Hintergrund sowie Broschüre „Wegraine wiederentdecken – gierte die Gesellschaft für kommunale den dringenden Maßnahmen zur Erhal- Anleitung und Appell zur naturnahen Ge- Infrastruktur I Ge-Komm GmbH, die tung, Ertüchtigung und Ausbau des Wirt- staltung und Pflege der Agrarlandschaft“ mit viel Erfahrung die Aspekte rund um schaftswegenetz in Niedersachsen (Koali- (Nds. MU 1988). Dieser Appell verpuffte die Wirtschaftlichkeit der Wegeunter- tionsvereinbarung 2017: 90, ALR 2017: 1) jedoch weitestgehend wirkungslos und haltung bearbeitete – siehe Kapitel 4.1. hat der Niedersächsische Heimatbund Wegraine sind in Niedersachsen vielerorts e.V. (NHB) das Projekt „Wege in Nieder- in einem schlechten Zustand, der nicht sachsen“ (W i N) aufgelegt. Der NHB stell- zum Erhalt der Biodiversität beiträgt. te sich mit dem Projekt der Aufgabe einer Wissenswert! neutralen Aufarbeitung der Ausgangs- Mit dem vorliegenden Projektbericht wer- Das Wegenetz Niedersachsens situation durch einen integrativen Dialog- den Vorschläge formuliert, wie man dieser weist insgesamt eine Länge von prozess unter den Wege-Nutzer*innen Entwicklung entgegenwirken kann – sie- rund 56.000 km auf (Bathke im Ländlichen Raum. Daraus wurden Lö- he Kapitel 6. Gleichzeitig fördert er den 2016: 27). Damit sind in etwa sungsansätze zur Verschneidung der zwei „Ausgleich zwischen den Belangen der 60 % der niedersächsischen Ver- Themenbereiche Insektenschutz und Landwirtschaft, des Naturschutzes, des kehrswege ländliche Weg (ALR Infrastrukturinitiative entwickelt. Tourismus und der Kommune“ durch eine 2019: 3). Verteilung der Anforderungen der Interes- Der NHB wies bereits 1980 in seinem Jah- sensgruppen auf unterschiedliche Wege resbericht zur Situation der Heimatpflege (Peters & Franke 2020: 16). 6
Zusätzlich wurde das Projekt vom Büro Ergebnis des Projektes erstellt (siehe und in Kapitel 3 Erläuterungen zur öko- Kon-Sys – Kommunikation, Mediation & Kap. 4). Dem vorangestellt finden sich in logischen Bedeutung von Wegen. Mensch-Umwelt-Systeme begleitet, das Kapitel 2 Ausführungen zur Geschichte den Projektprozess auf psychologischer Basis evaluierte. Die Ergebnisse dieser Evaluation finden sich im Kapitel 5. Im Rahmen des Projektes wurde inner- halb einer Modellregion beispielhaft aufgearbeitet, welches Potenzial das Netz an Wirtschaftswegen für den Na- turschutz, den Insektenschutz und den Biotopverbund bietet und wie gleich- zeitig die Unterhaltungskosten für das Wegenetz gesenkt werden können. Als Modellregion wurde nach einem lan- desweiten Bewerbungsverfahren die Stadt Rehburg-Loccum im Landkreis Nienburg/Weser ausgewählt. Für die Stadt wurde in einem mehrstufigen Be- teiligungsverfahren mit Hilfe von lokalen Experten aus den Bereichen Landwirt- schaft, Naturschutz, Verwaltung, Politik und Heimatpflege sowie der Bevölke- Abb. 1: Im Verlauf der Evolution hat sich eine starke Abhängigkeit zwischen Pflanzen und Insekten rung ein Wirtschaftswege- und Biotop- entwickelt. Die Insekten sorgen durch die Bestäubung für einen genetischen Austausch der Pflanzen und erhalten als Gegenleistung Pollen und Nektar als Nahrungsquelle. Foto: S. Zieger/LPV Göttingen verbundkonzept (WBK) als wesentliches 7
2. Hintergründe und Geschichte Wege gab es schon (fast) immer, wie die Agrarreformen des 19. Jahrhunderts Schlägen ‚verkoppelt‘. Gleichzeitig teilte bronzezeitlichen Wege entlang der Hü- Die „stärkste Zäsur für den Durchbruch man die Gemeinheiten auf. In dieser Zeit gelgräber in Niedersachsen zeigen (Will- zur modernen, rationellen Landwirt- entstanden die Gemarkungen der heu- roth 1996: 133). Im Mittelalter entstand schaft setzten im 18. und vor allem im tigen Dörfer. Diese „Zusammenlegung ein relativ „flächendeckendes Straßen- 19. Jahrhundert die […] Gemeinheits- von kollektiven oder zersplitterten Nutz- netz“, dass sich aus „Wegen des lokalen teilungen […] und die Verkoppelungen“ flächen zur individuellen Nutzung“ kann Transportes, des überregionale Han- (Steinsiek & Laufer 2012: 268). Die Ge- als die erste grundlegende Agrarreform dels, aus Heer- und Pilgerwegen“ ent- meinheitsteilungen und Verkoppelun- bezeichnet werden (Steinsiek & Laufer wickelte (Küster 2013: 220). Bis ins 18. gen waren der Ausdruck bzw. die Folge 2012: 268). Erst durch die neuen Struk- Jahrhundert handelte es sich bei diesen von umwälzenden gesellschaftlichen turen, vor allem die Trennung zwischen ‚Straßen‘ jedoch um „unbefestigte Erd- Veränderungen. Bis zur Mitte des 19. Getreideanbau und Viehhaltung, wurde wege unterschiedlicher Breite, die […] Jahrhundert bewirtschafteten die meis- eine moderne Landwirtschaft mit deut- bei schlechter Witterung nahezu unpas- ten Bauern das Land eines oder meh- lich höheren Erträgen und der Einfüh- sierbar waren“ (Hindelang & Walther rerer Grundherren und waren diesen rung neuer Feldfrüchte möglich (Küster 1989: 9f.). Dies änderte sich für über- dadurch zu Diensten und Abgaben ver- 2013: 259). regionale Wege erst mit dem Chaussee- pflichtet (Schneider 2007: 1). Gleichzeit bau, der in Niedersachsen 1764 begann ergaben sich weitere Abhängigkeiten Wie kam der rechte Winkel in die (ebd. 10). Die meisten Dörfer waren bis aus der Dorfstruktur, denn große Teile Landschaft? dato gar nicht über befestigte Wege mit der Feldmark wurden als Allmende oder Die Agrarreformen führten dazu, dass den (Haupt)Straßen verbunden, son- Gemeinheit – teilweise auch von mehre- das Netz aus ländlichen Wegen – wie dern man bahnte sich oftmals den Weg ren Dörfern – gemeinsam bewirtschaf- wir es heute kennen – überhaupt erst durch die freie Landschaft. Die mehr tet. Diese Strukturen wurden in einem entstand. Augenscheinlich wird dies oder weniger vollständige Erschließung langen und komplizierten Prozess nach besonders bei der Betrachtung alter der Landschaft durch Wege erfolgte erst und nach aufgelöst. Das Land der Grund- Landkarten (siehe Seite 10). Diese his- deutlich später im Zuge der Agrarrefor- herren wurde abgelöst, ging in Privatbe- torisch-topografischen Karten sind eine men des 19. Jahrhunderts. sitz über und wurde sinnvoll zu größeren „vielfältig nutzbare Fundgrube“, da sie 8
„flächendeckend die Landschaft und ‚Rute‘ verwendet wurde. Die Rute war Siedlungen in […] Entwicklungsstufen eine ganzzahlige Vielfache der weitver- erfassen“ (Seedorf 1982: 422). Ver- Wissenswert! breiteten Maßeinheit ‚Fuß‘ und konnte gleicht man die Kurhannoversche Lan- Früher nutzte man u.a. Ketten zur je nach Region und je nach Berufszweig desaufnahme (1764 bis 1786) mit der direkten Entfernungsmessung. stark variieren. Rute bezeichnet fast 20 ca. 100 Jahre jüngeren Preußischen Die Ketten waren auf eine be- verschiedene Längenmaße zwischen 3 Landesaufnahme (1877 bis 1912) wird stimmte Läge definiert, ihre Glie- und 9 Metern. Die Calenberger Waldru- deutlich, dass in dem Zeitraum zwi- der leierten jedoch mit der Zeit te wurde bspw. im Kurfürstentum Han- schen den Aufnahmen der Grundstein aus, sodass sich Ungenauigkeiten nover verwendet und betrug 4,67 m. Die des heutigen Wegenetzes in den länd- in die Messungen einschlichen preußische Rute hingegen maß 3,77 m. lichen Räumen entstanden ist. Im 18. und Flächen ‚zu groß‘ ausge- Jahrhundert gab es kaum gerade Linien wiesen wurden. Werden heut- Damit zwei Fuhrwerke einander passie- in der Landschaft, denn die Wegefüh- zutage Flächen mit modernen ren konnten, wurden die Wegebreiten rung orientierte sich an Topografie und Methoden neu aufgemessen, z.B. zumeist in zwei Ruten ausgemessen. Landnutzung (siehe Abb. 2). Im Zuge bei Flurneuordnungsverfahren, Wurde regelmäßig Vieh getrieben, konn- der Verkopplungen und Gemeinheits- ‚fehlt‘ oftmals ein Teil der zuvor ten die Breiten auch drei Ruten betra- teilungen wurden die neu geformten deklarierten Flächengröße. gen. Für das Gebiet des Kurfürstentums Flurstücke erst durch Wege erschlos- Hannover, in dem die W i N-Modellregi- sen, die wiederum an die regionalen on Rehburg-Loccum liegt, bedeutet dies, und überregionalen Straßen und Wege dass die ursprünglichen Wege in der Re- angeschlossen wurden. Diese neuen Wie breit ist eigentlich ein Weg? gel 9,34 m bis 14 m breit waren. Wege verliefen – gleichermaßen wie Die Erschließung und Vermessung der viele Gräben und Kanäle zur Meliorati- neu entstandenen Gemarkungen und on – planmäßig und oftmals im rechten Ackerparzellen erfolgte vor der Einfüh- Winkel, was unser Landschaftsbild bis rung des metrischen Systems, sodass heute prägt (siehe Abb. 3). die damals übliche Längenmaßeinheit 9
Abb. 2: Mit der Kurhannoverschen Landesaufnahme (1764 bis 1786) lag erstmals ein zuverlässiges Kartenwerk für das gesamte Gebiet des Kurfürstentums Hannover vor. Die Karten unterscheiden klar „zwischen Feldern und Gärten, Wiesen, Hutungen und Bruchweiden, Heide und wildes Moor, Wälder und Gehölz- gruppen“ (Seedorf 1986:26). So wird die Landschaft von vor 250 Jahren deutlich wiedergegeben. Am Beispiel des Kartenausschnitts nordöstlich von Rehburg wird erkenntlich, dass die Felder der Streifenfluren kaum durch Wege erschlossen sind und sich die Wege aus der Stadt Rehburg mehr heraus schlängeln als gerade verlaufen. Quelle: Auszug aus den Geodaten des Landesamtes für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen, © 2020. 10
Abb. 3: Im Vergleich zur Kurhannoverschen Landesaufnahme erkennt man auf der ca. 100 Jahre jüngeren Preußischen Landesaufnahme (1877 bis 1912) klar die Erschließung der neuen Feldblöcke durch Wege sowie die ausgebauten überregionalen Straßen. Diese neuen Wege – sowie Gräben und Kanäle – wurden oftmals im rechten Winkel angelegt – was die Landschaft bis heute prägt. Die Karte bietet mit der Fülle „seiner Linienelemente und Signaturen ein viel vollstän- digeres […] Bild der Landschaft, als es die älteren Karten vermögen“ (Kost 1970: 147). Quelle: Auszug aus den Geodaten des Landesamtes für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen, © 2020. 11
Moderner Strukturwandel in der Pflanzenschutzmitteln und Kunstdün- verhalten gerecht werden, das geprägt Agrarwirtschaft ger, eine veränderte Anbaustruktur und ist von Multifunktionalität (etwa durch Der Ausbau und die Instandsetzung der Fruchtfolge, die Vergrößerung der Be- zusätzliche gewerbliche und touristische Straßen und Wege waren im Königreich triebe, Schläge und landwirtschaftlichen Nutzergruppen). Daher können die Wege- Hannover spätestens seit der Einfüh- Maschinen, der Wegfall von Rand- und netze vieler Gemeinden in Niedersach- rung der „General-Wegbau-Kommissi- Saumstrukturen sowie von Brachflächen sen heute als nicht mehr bedarfsgerecht on“ am 26. April 1817 institutionalisiert und die Aufgabe der Kleinviehhaltung bezeichnet werden. (Hindelang & Walther 1989: 14). Die sowie der verstärkte Futtermitteleinsatz Beamten bzw. Behörden der jeweiligen (Oppermann 2018: 124f.). Staatsregierungen konnten so auf die vielfältigen Veränderungen wie bspw. Dieser Entwicklung begegnete man seit die industrielle Revolution, das Wirt- den 1960er-Jahren u.a. mit Flurbereini- schaftswunder nach dem zweiten Welt- gungsverfahren, bei denen der Grund- krieg oder den Strukturwandel in der und Landbesitz ähnlich der früheren Landwirtschaft reagieren. Verkopplungen und Gemeinheitsteilun- gen neu geordnet wurde. Oftmals struk- Für die Struktur des ländlichen Wege- turierte man dabei auch das Wegenetz netzes ist besonders die Veränderung neu. Die heute zum Einsatz kommenden hin zu einer industrialisierten Landwirt- (Schwer-)Lastfahrzeuge der Landwirt- schaft seit den 1960er-Jahren von Be- schaft stellen jedoch wesentlich höhere Abb. 4: Moderne landwirtschaftliche Maschinen deutung. Im Zuge des Strukturwandels Anforderungen an die Fahrbahnen und sind heutzutage so breit, dass weitere Wege- kam es zu einer Veränderung der Land- Bankette des Wegenetzes, insbesonde- nutzer*innen wie bspw. Fuß-, Rad-, Reit- oder nutzung durch die Landwirtschaft und re auch an die Brückenbauwerke, als die Anliegerverkehre in den Wegeseitenraum aus- damit einhergehend zu einem Wandel Gerätschaften vergangener Zeiten. Zu- weichen müssen. Foto: R. Olomski/NHB der Landschaft. Ausdruck dieses Wan- dem müssen die modernen Wirtschafts- dels sind u.a. der erhöhte Einsatz von wege auch dem veränderten Nutzungs- 12
Nicht zuletzt leiden auch die Biodiver- ger Sicht traditionellen Bewirtschaf- ren wie Wegeseitenräumen im kleinen sität und das Landschaftsbild unter tungsformen in der Gegenwart wieder Stil oder großflächigem Grünland kann der starken Zentralisierung von land- Bedeutung erlangen. Nur durch eine es gelingen, dem Schwund der Biodi- wirtschaftlichen Betrieben und dem extensive Bewirtschaftung von Struktu- versität etwas entgegen zu setzen. stetigen Streben nach Effektivitätsstei- gerung und Wachstum. Noch in dem Zeitraum von 2009 bis 2015 sank der Anteil an Landwirtschaftsflächen mit einem hohen Naturwert in Deutsch- land um absolut 13 % (BfN 2017: 17). In Mitteleuropa ist jedoch eine „ständi- ge Bewirtschaftung und Nutzung tradi- tioneller Agrarökosysteme zum Erhalt der Biodiversität erforderlich“, da viele Arten des Offenlandes weder in (Wald-) Nationalparks noch in der Intensiv-Ag- rarlandschaft überleben können (Grass & Tscharntke 2020: 23). Die heutige Biodiversität in der Offenlandschaft von Zentraleuropa entstand vor allem durch die früheren kleinbäuerlichen Strukturen und die großflächige Bewei- Abb. 5: Früher war die Beweidung viel stärker verbreitet. Ohne Einsatz von Dünger und vor der Erfindung dung der Landschaft (Idel 2011: 35ff.). von Mähwerken, konnten sich auf diesen Weiden eine Vielzahl von Wildkräutern und anderen Blüten- Daher gilt: Wenn die Artenvielfalt er- pflanzen entwickeln. Diejenigen Mitglieder einer Dorfgemeinschaft, die kein eigenes Land besaßen, nut- zen auch die Wegeseitenräume als Weidefläche für ihr Kleinvieh wie bspw. Ziegen oder Schafe. Dadurch halten bleiben soll, müssen Methoden entwickelte sich auch auf vielen Wegeseitenräumen eine hohe Biodiversität an Blütenpflanzen. gefunden werden, wie die aus heuti- Foto: M. Peters/NHB 13
3. Wege und ihre ökologischen Funktionen Da Wegeparzellen oftmals breiter sind als die heutige eigentliche Fahrspur mit dem Bankett, bietet der Wegeseiten- raum Potenzial für die Verwirklichung durch den genetischen Austausch zu sichern, für die Nahrungssuche oder aufgrund ihres Lebenszyklus. Der Bio- topverbund kann als erfolgreich be- § „[D]er Biotopverbund dient der dau- erhaften Sicherung der Populationen wild lebender Tiere und Pflanzen ein- schließlich ihrer Lebensstätten, Biotope und von Naturschutzzielen. Zum einen kann schrieben werden, wenn die Lebens- Lebensgemeinschaften sowie der Bewahrung, der Wegeseitenraum – auch als Wegrain räume durch Trittsteinbiotope und/ Wiederherstellung und Entwicklung funktions- bekannt – so aufgewertet werden, dass oder lineare Strukturen funktional ver- fähiger ökologischer Wechselbeziehungen“. er verschiedenen Pflanzen- und Tier- bunden und die Organismen dadurch arten Lebensraum und Nahrungsquellen vernetzt sind. Dies wird ausdrücklich unter § 21 Abs. 6 bietet. Da Wege die Landschaft wie ein konkretisiert: Netz durchziehen, eignen sich ihre We- Bereits seit 2007 ist der bundesweite geseitenräume zum anderen besonders gut dafür, größere Lebensräume mitein- ander zu verbinden und so einen Beitrag zum Biotopverbund zu leisten. Biotopverbund ein zentrales Ziel der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) der Bundesregierung, die eine „Verwirklichung eines län- § „Auf regionaler Ebene sind insbeson- dere in von der Landwirtschaft ge- prägten Landschaften zur Vernetzung von Biotopen erforderliche lineare und punkt- derübergreifenden, funktional orien- förmige Elemente, insbesondere Hecken und Der Biotopverbund tierten Biotopverbundsystems auf Feldraine sowie Trittsteinbiotope, zu erhalten Biotopverbund beschreibt ein Kon- mindestens zehn Prozent der Landes- und dort, wo sie nicht in ausreichendem Maße zept, dessen Ziel es ist, die bestehen- fläche“ vorsieht (BMUB 2007: 29). vorhanden sind, zu schaffen“. den Biotope, also die Lebensräume, Und auch auf der Gesetzesebene ist so zu verbinden, dass sich die Orga- die Umsetzung des Biotopverbundes Das Niedersächsische Ausführungs- nismen in der fragmentierten Land- festgelegt. Im Bundesnaturschutzge- gesetz zum BNatSchG (NAGBNatSchG) schaft bewegen und wandern können setz (BNatSchG) wird unter § 21 Bio- erlässt hierzu keine abweichenden Aus- (Jedicke 1994: 84f.). Tier- und Pflanzen- topverbund/Biotopvernetzung ausge- führungen, sodass die Bundesgesetz- arten wandern bzw. bewegen sich in führt: gebung in der zitierten Weise auch für der Landschaft, um ihre Fortpflanzung Niedersachsen gilt. 14
Blühende Wegraine für Insekten mann 2018: 126f.). Und auch das die Wiederherstellung von „Saum- und Für den Biotopverbund können die Aktionsprogramm Insektenschutz der Randbiotopen“ als wichtige Maßnahme Wegeseitenräume ideal zu blühenden Bundesregierung sieht den Schutz und an (BMU 2019: 7). Flächen entwickelt werden oder alter- nativ mit Hecken oder (Obst)Baum- Alleen oder -Reihen bepflanzt werden. Hecken und Baumreihen dienen dann als Habitat, Nahrungsquelle und Verbin- dungselement zwischen Wäldern, Feld- gehölzen oder Schutzgebieten. Blüh- flächen in der Offenlandschaft helfen, Nahrung und Lebensraum für Insekten, Kleinsäuger, Reptilien, Amphibien und Feldvögel zu schaffen. Gerade die Insek- ten sind aktuell stark bedroht, was nicht zuletzt an der Intensivierung der Land- wirtschaft liegt. Durch die Erzeugung von Kleinstrukturen, also der Erhöhung der landschaftlichen Heterogenität, kann dieser Entwicklung positiv begeg- net und dem Schwund an Biodiversität Abb. 6: Nicht nur Blütenpflanzen als Nahrungsquelle und Grasnester als Rückzugs- und Überwinterungs- Einhalt geboten werden (Harvey 2020: ort sind für den Erhalt von Insekten von Bedeutung. Auch Strukturen wie Totholz haben eine große 175). Gerade die „(Wieder-)Anlage von Bedeutung, denn sie beherbergen zahlreiche Lebensgemeinschaften aus Pilzen und Insekten. So ist Randstrukturen“ ist als mögliche posi- der überwiegende Teil der heimischen Bienen- und Wespenarten auf Tot- und Altholz angewiesen und knapp ein Viertel aller heimischen Käferarten kommen in den verschiedenen Zerfallsstadien von Holz tive Einflussnahme „relativ einfach auf vor. Foto: S. Zieger/LPV Göttingen Parzellenebene“ durchführbar (Opper- 15
Abb. 7: Der Wegeseitenraum ist in diesem Fall mehrere Meter breit. Die monotone Grasnarbe bietet jedoch weder Nahrung für Insekten noch Schutz für Kleinsäuger und Vögel. In dieser Form ist der Wegrain aus naturschutzfachlicher Sicht relativ wertlos. Gerade in einer intensiv genutzten Agrarlandschaft sind Wegraine oftmals die letzten verbleibenden Strukturelemente. Diese Funktion können sie jedoch nur erfüllen, wenn sie ökologisch gepflegt werden. Foto: M. Peters/NHB 16
Abb. 8: Strukturen wie (Obst)Bäume, Totholz, Blühpflanzen, Gräser und eine unbefestigte Wegedecke machen aus einem ländlichen Weg ein heterogenes Biotop mit einer Vielzahl an ökologischen Nischen. Gerade die unbefestigte Fahrspur ist hervorzuheben, da viele bodenbrütende Insekten, wie z.B. Wildbienen- arten oder Wespen, auf diese Strukturen angewiesen sind. Unbefestigte Grün-, Erd- oder Sandwege sollten daher wenn möglich erhalten werden. Foto: M. Peters/NHB 17
Die Bedeutung von Insekten verrichten. Werden die häufigsten Hummeln oder Fliegen bestäubt werden Der Schutz von Insekten bedeutet auch Getreidesorten wie Mais, Weizen oder (Goulson 2014: 272). Hinzu kommt, dass gleichzeitig den Schutz vieler anderer Gerste vom Wind bestäubt, so müssen auch die Vermehrung bzw. Produktion Organismen wie bspw. Vögel und Klein- nahezu alle essbaren Obst- und Gemü- von Viehfutter wie Klee auf die Bestäu- säuger. Die Auswertung der Bestands- sesorten von Insekten wie (Wild)Bienen, bungsleistung angewiesen ist. situation der Vögel der letzten Jahre zeigt, dass gerade die Arten am stärks- ten zurückgehen, „die sich von kleinen Insekten oder von Samen und Früchten ernähren“ (Lachmann 2018: 19). Auch in der Beschreibung der aktuellen Be- standsituation der Vögel in Deutschland wird deutlich, dass der Schwund der In- sekten auch einen Schwund der Vögel bedeutet (Gerlach 2019: 5). Wo sich die Landschaft noch reich gegliedert zeigt, bspw. mit Wegeseitenräumen, würden sich auch die Biodiversitäts-Hotspots befinden (ebd. 19). Neben den Vögeln und vielen anderen Organismen profitiert auch der Mensch sehr stark von dem Schutz und dem Er- halt einer vielfältigen Insektenfauna. Abb. 9: Viele der in Deutschland vorkommenden Wildbienenarten sind Spezialisten, das heißt, sie sam- meln den Pollen von nur einer einzigen Pflanzenart (BMU 2019: 10). Ein wirksamer Schutz der Wildbienen Am eindrücklichsten ist sicherlich die kann nur über eine Vielzahl an Pflanzen und Nistmöglichkeiten erreicht werden. Foto: M. Peters/NHB Bestäubungsleistung, die die Insekten 18
Hinzu kommen viele weitere positive Weidetierhaltung spielen Insekten eine schen genutzt werden. An erster Stelle Aspekte, die nicht sofort augenscheinlich zentrale Rolle. Neben der Bestäubung der sei hier der Honig genannt, aber auch sind. Es gibt bspw. eine Vielzahl von Raub- Futterpflanzen zersetzen die verschiede- Wachs für Kerzen und Kosmetik, Seide zur insekten und Parasiten, die maßgeblich nen Mistkäferarten die Ausscheidungen Herstellung von Kleidung, Farbstoffe und zu einer natürlichen Kontrolle derjenigen der Weidetiere. Die „biomassereichen Schellack zur Versiegelung von Produkten Insekten beitragen, die vom Menschen als Dunginsektenzönosen sind […] für zahl- wie Äpfeln gehören zum Repertoire der In- reiche Arten […] eine entscheidende Nah- sekten (Sverdrup-Thygeson 2019: 174ff.). rungsressource“ (Schoof & Luick 2019: Und auch im Bereich der Biotechnologie 486). Leider ist auch diese Insektengruppe dienen Eigenschaften, Struktur und Funk- Wissenswert! durch den Einsatz von „Breitbandparasi- tion der Insekten vielmals als Vorbild für Etwa ein Drittel aller Nahrungs- tenmittel“ stark gefährdet, da „das Me- neue technologische Lösungen, wie bspw. mittelproduktionen weltweit dikament auch noch in den Exkrementen bei der Entwicklung von Strukturfarben, ist abhängig von Bestäubern enthalten ist und den Mistkäfern zum Ver- der Architektur von energiesparenden (Tscharntke 2012: 51). hängnis wird“ (Sverdrup-Thygeson 2019: Häusern oder dem Verständnis von Krank- 171). Gleichzeitig gibt es immer weniger heiten und der Entwicklung neuer phar- Weidetierhaltung, sodass dem Ökosystem mazeutischer Produkte (ebd. 193ff.). mit dem Mist der Rinder eine wichtige schädlich wahrgenommen werden (Sver- Ressource entzogen wird. drup-Thygeson 2019: 93). Gerade für die Landwirtschaft ist in diesem Zusammen- Neben diesen besonders für die Landwirt- Wissenswert! hang von großer Bedeutung, dass Insek- schaft wichtigen Eigenschaften sind In- Eine einzige Kuh produziert im ten zudem die Wasser- und Nährstoffver- sekten als Destruenten ganz allgemein als Jahr so viel Mist, dass dieser eine hältnisse des Bodens verbessern können Zersetzer von biologischer in organische Fläche von der Größe von fünf und gleichzeitig durch das Fressen von Substanz von hoher Bedeutung. Hinzu- Tennisplätzen einnimmt (Sver- Samen auch unerwünschte Pflanzenarten kommen auch unmittelbare Produkte, die drup-Thygeson 2019: 169). zurückdrängen (ebd. 112). Auch für die von Insekten hergestellt und von Men- 19
4. Das Wirtschaftswege- und Biotopverbundkonzept der Stadt Rehburg-Loccum Das Wirtschaftswege- und Biotopver- ebenfalls Hinweise zu touristischen Rou- Abb. 10: Im Zuge der Durchführung des Pro- bundkonzept (WBK) ist ein geeignetes ten (Radwege, Wanderwege usw.) bei jektes W i N erfolgte zunächst eine umfassende Instrument, um zwei Themenkomplexe den Planungen berücksichtigt. Durch die Bestandserfassung des Wegenetzes inklusive der Wegeseitenräume. Experten der Ge-Komm sinnvoll miteinander zu verbinden. Zum Zuhilfenahme von lokaler Expertise wur- GmbH und des NHBs erarbeiteten daraus einen einen kann der Konzeptteil über Wirt- de das WBK an die örtlichen Bedürfnisse Vorentwurf des WBK, der mit der Hilfe eines schaftswege genutzt werden, um dem angepasst. Sämtliche Informationen sind lokalen Expertengremiums auf die örtlichen Strukturwandel in der Landwirtschaft in einem digitalen Geoinformationssys- Gegebenheiten angepasst und zu einem ers- ten Entwurf ausgearbeitet wurde. Durch eine vom ‚Landwirt zum Energiewirt‘ zu be- tem hinterlegt und deren Ausgabe ist anschließende Bürgerbeteiligung konnte diese gegnen und die kommunalen Außen- sowohl in tabellarischer Form als auch in lokale Anpassung vertieft werden und gleich- bereiche nachhaltig zu stärken. Zum grafischen Kartenwerken möglich. zeitig eine Akzeptanz für das WBK geschaffen anderen beinhaltet das WBK einen Teil, werden. Die Arbeitsschritte wurden dabei auf einer psychologischen Ebene evaluiert, sodass der das Potenzial für den Biotopver- als zusätzliches Ergebnis auch Empfehlungen bund aufzeigt und den Schutz der Insek- für Kommunikationskonzepte zur zukünftigen ten und anderen Tier- sowie Pflanzen- Wissenswert! Erarbeitung von Wege-Konzepten abgeleitet art entlang von Wegen optimiert. Laut werden können (siehe Kap. 5). Das Wegenetz liegt in Niedersachen BNatSchG § 2 Abs.4 gilt: in der Regel im Besitz der öffent- lichen Hand und die Kommunen § „Bei der Bewirtschaftung von Grundflächen im Eigentum oder Besitz der öffentlichen Hand sol- len die Ziele des Naturschutzes und der verwalten es eigenverantwortlich. Im südöstlichen Niedersachsen, vor allem im Göttinger Raum und im Braunschweigischen, gehören die Landschaftspflege in besonderer Weise Wege hingegen Privatpersonen, die berücksichtigt werden.“ das Wegenetz in Realverbänden organisiert unterhalten. Neben den Informationen zu den Wegen und deren Wegeseitenräumen wurden 20
Bestandsaufnahme des Wegenetzes Lokales Expertengremium erartbeitet Entwurf, beteiligt: Bürgerdialogportal zur Beteiligung der Bevölkerung 21
4.1 Die Wirtschaftswege die Unterhaltungskosten sinken. Dies ist Zusätzlich wird im WBK auf mögliche Bei der Bestandserfassung des Wege- im WBK für Rehburg-Loccum erfolgreich Abkürzungsverkehre hingewiesen, um netzes der W i N-Modellregion wurde durchgeführt worden, sodass hier zu- diese in der Zukunft zu vermeiden. Vie- die aktuelle Situation hinsichtlich der künftig die Länge der Hauptwirtschafts- lerorts ergibt sich die Situation, dass Befestigung und des Zustandes der wege von 60,4 km auf 55,4 km reduziert Wirtschaftswege in hoher baulicher Wege erfasst. Diese bildete die Grundla- wird. Zudem wurden einige Wege als Qualität parallel zum klassifizierten ge für eine konzeptionelle Betrachtung, Optionswege eingestuft. Optionswe- Straßennetz verlaufen. Dadurch wer- bei der die Wege in sechs verschiedene ge sind Wegeflächen, die nicht mehr den diese Wegeverbindungen durch Kategorien eingeteilt wurden. als Wege genutzt werden sowie Wege, PKW-Verkehr in Anspruch genommen, die Einzelinteressen dienen und auf die da sie entweder vom Navigationsgerät Vorteile die Allgemeinheit zukünftig verzichten als Abkürzung angezeigt werden, oder Durch das WBK lässt sich das Wege- kann. ortskundige Personen diese als tägliche netz insofern optimieren, als dass die Verbindungswege nutzen. Dies birgt Wegekategorien neu eingestuft wer- Grundsätzlich müssen alle Flurstücke vielfältige Nachteile, da es zu Konflikten den. Der Aufwand für die betriebliche über eine Zuwegung verfügen, diese zwischen den Wegenutzern wie Land- Unterhaltung und die bauliche Erhal- muss aber nicht zwangsläufig über die wirtschaft, Tourismus und Naherholung tung der Wirtschaftswege orientiert kürzeste Strecke verlaufen: Umwege und dem Abkürzungsverkehr kommt. sich anschließend an der Einstufung. sind zumutbar. Daher besteht die Mög- Gleichzeitig stellt der Abkürzungsver- Ortsverbindungen haben eine hohe lichkeit, auch die Brückenbauwerke kri- kehr auch eine Gefährdung des Natur- Priorität, die über Haupt- und Anlieger- tisch auf einen möglichen Verzicht zu raums dar, da Tier- und Pflanzenarten wirtschaftswege bis zu untergeordneten überprüfen. Gerade die Instandhaltung erheblich beeinträchtigt werden kön- Wegen sowie Wald- und Wiesenwe- und Erneuerung von Brückenbauwer- nen. gen abnimmt. Wenn die Örtlichkeiten ken verursacht einen erheblichen Teil es zulassen, kann bspw. die Länge der der Unterhaltungskosten. Der zukünfti- Ortsverbindungen oder der Hauptwirt- ge Verzicht einzelner Brückenbauwerke schaftswege reduziert werden, wodurch bietet ein enormes Einsparpotenzial. 22
Abb. 11: Wenn Wege eine so hohe Verkehrsbedeutung zwischen Ortschaften aufweisen, gehören sie zur Kategorie 1 Ortsverbindung. Kategorie 2 sind die Hauptwirtschaftswege. Neben der Erschließung von Grundstücken bilden sie das Kernwegenetz und dienen dem Verkehr innerhalb des Außenbereichs. Zu der Kategorie 3 gehören die Anliegerwirtschaftswege, die eine Anbindungsfunktion ohne starke Verkehrsbedeutung für private Grundstücke aufweisen. Alle Fotos: Ge-Komm GmbH 1) 2) 3) 4) 5) 6) Abb. 12: Untergeordnete Wirtschaftswege der Kategorie 4 dienen der Erschließung einzelner Grundstücke, wobei sie überwiegend für den land- und fortwirtschaftlichen Verkehr von Belang sind. Die Kategorie 5 umfasst die Wald- und Wiesenwege, die keine Verkehrsbedeutung haben, aber der Naherholung und dem Tourismus dienen können. Bei der Kategorie 6 handelt es sich um Optionswege, die in der Örtlichkeit nicht mehr vorhanden sind oder zukünftig aufgegeben werden können. Alle Fotos: Ge-Komm GmbH 23
Abb. 13: Gemäß dem Motto „Eine Bürgerbeteiligung braucht neue, zeitgemäße Wege“ wurde im Projekt ein modernes GIS-gestütztes Bürgerdialog-Portal eingesetzt. Damit kann die moderne Beteiligungskultur für komplexe Zusammenhänge im Bereich der ländlichen Wegenetzkonzepte nachhaltig gestärkt werden. Das Portal wurde von der Fachfirma Gesellschaft für kommunale Infrastruktur I Ge-Komm GmbH entwickelt. Die Bürger*innen können sich so umfassend online über das Vorhaben informieren und das Vorhaben kommentieren. Quelle: Ge-Komm GmbH 24
Auf Grundlage einer fundierten Bestands- vertreter*innen. Ziel war es, den Bedarf analyse wurde durch die Projekt- zu ermitteln und die Wege nach zukünf- bearbeiter*innen ein SOLL-Konzept für tiger Nutzung und Wichtigkeit in Katego- die zukünftige Wegenetzgestaltung im rien einzustufen sowie Lösungen für den Entwurf erarbeitet. Mit Hilfe einer brei- Biotopverbund zu finden. ten Beteiligung der Bürger*innen als Hauptnutzer*innen der Wirtschaftswe- Bei dieser Arbeit half die umfassend ein- ge konkretisiert und weiterentwickelt. gesetzte Digitaltechnik. Alle Wirtschafts- Begleitet wurde der Erarbeitungsprozess wege wurden befahren, fotografiert und durch eine interne Arbeitsgruppe aus die Daten anschließend in ein GIS-Sys- lokalen Expert*innen und Interessens- tem übertragen. Mit Hilfe dieser Grund- lage konnten die ersten Entwürfe für das Wirtschaftswege- und Biotopverbund- Abb. 14: Mit Hilfe eines geländegängigen Fahr- Wissenswert! konzept erarbeitet werden. Das Einfü- zeuges wurden alle Wirtschaftswege erfasst, be- Ein digitales Beteiligungs-Portal gibt gen der Ergebnisse in ein Bürger-Dia- wertet und in einem regelmäßigen Abstand von 50 m fotografiert. Foto: Ge-Komm GmbH umfassende Auskunft und ermög- logportal ermöglichte eine umfassende licht eine Kommentierung rund um Beteiligung an der Thematik. die Uhr (24/7). So wird der zeit- liche Aufwand einer telefonischen, Die Stadt Rehburg-Loccum verfügt nun schriftlichen oder persönlichen Be- über einen digitalen „Schatz“, der sich ratung seitens der Verwaltung ver- in der Zukunft sehr leicht fortschreiben ringert und die Bürger*innen ohne und an Veränderungen anpassen lässt. Mehraufwand mit einbezogen. 25
Handlungsempfehlungen wenn ein Weg einen Sanierungsbedarf Gerade Abkürzungsverkehre lassen sich Durch die Einstufung der Wirtschafts- aufweist. über die Wahl der Deckschicht sinnvoll wege in Kategorien können die Unter- lenken. Oftmals führt eine wasserge- haltungshandlungen priorisiert werden. bundene Deckschicht dazu, dass diese Im Idealfall entstehen so Einsparpoten- Wissenswert! Streckenabschnitte vom PKW-Verkehr ziale. Für Ausbaustandards, Wegebrei- Die Vorteile von Deckschichten ohne gemieden werden. Sollte die Örtlich- ten und Befestigungsarten gibt es zu- Bindemittel sind: keit keine DoB zulassen, könnte man die dem allgemein anerkannte Regeln der • für instabile Untergründe geeig- Einfahrten in die Abkürzung zumindest Technik (DWA 2016). Ergänzend dazu net, da einfachere Instandhaltung für eine kurze Strecke mit einer was- sieht das WBK für untergeordnete Wirt- • besonders lange Lebensdauer bei sergebunden Decke ausstatten oder schaftswege nicht zwingend eine bitu- optimaler Unterhaltung alternativ durch bauliche Gestaltungen minöse Befestigung vor. Eine kosten- • geringe Störung des Landschafts- wie Sperrpfosten, Schranken oder Fahr- günstigere Alternative kann bspw. eine bildes bahnschweller den Verkehr bedarfsge- Deckschicht ohne Bindemittel (DoB) • geringer Versiegelungsgrad recht lenken. darstellen, da neben den Herstellungs- • hohe Multifunktionalität kosten insbesondere auch die Kosten • vergleichsweise niedrige Herstel- Werden im Konzept Optionswege aus- für erforderliche Unterhaltungsarbei- lungskosten gewiesen, bieten sich hier mehrere ten berücksichtigt werden müssen. • hohe Versickerungsfähigkeit Möglichkeiten an. Die nicht mehr be- Solche wassergebundenen Wege sind • geringes Aufheizen der Fahrbahn nötigten Wege im Gemeindeeigentum für hohe Achslasten, aber nicht primär • können gezielt zur Verkehrs- könnten privatisiert bzw. auf Dritte zu für schnellen Verkehr geeignet. Sie lenkung eingesetzt werden übertragen werden. Alternativ ist die eignen sich bei entsprechend kleinen (Quelle: Ge-Komm GmbH) Variante einer Verpachtung zu prüfen. Korngrößen in der Deckschicht auch als Diese Verfahren lassen hohe Einspar- Rad- und Wanderwege. Grundsätzlich potentiale für die Zukunft erwarten. sollte über einen Wechsel der Befesti- Idealerweise sollte die Fläche für eine gungsart erst dann entschieden werden, ökologische Aufwertung genutzt wer- 26
den. Hierbei ist zu prüfen, ob eine Auf- 4.2 Der Biotopverbund die Hälfte aller Pflanzenarten Deutsch- wertung an Ort und Stelle erfolgt, oder Die Landwirtschaft hat über viele Jahr- lands kommt auf Wiesen oder Weiden die Fläche in Absprache mit den anlie- hunderte hinweg „durch die verschie- vor. Daher muss der Erhalt einer hohen genden Flächennutzern sinnvoll verlegt denen Bewirtschaftungsformen zu einer Biodiversität im Grünland als eines der werden kann. Grundsätzlich besteht die diversen Kulturlandschaft mit neuen Hauptziele des Naturschutzes angese- Möglichkeit, auf diesen Flächen oder auf charakteristischen Lebensräumen und hen werden (van de Poel & Zehm 2014: Wegeseitenräumen allgemein Kompen- einer dazugehörigen bedeutsamen 37). Auch Wegraine können prinzipiell sationsflächen für die Bauleitplanung Artenvielfalt geführt“ (Stommel et al. als Grünland beschrieben werden mit der Stadt, z. B. in Form eines Ökokontos, 2018: 1). Das Grünland kann dabei als dem Unterschied, dass es nicht als Wei- geltend zu machen. Dafür sollten jedoch einer der wertvollsten vom Menschen de oder Wiese flächig angelegt wurde, bestimmte Kriterien berücksichtigt wer- geschaffenen Lebensräume beschrie- sondern sich linear entlang der Wege den (Peters & Gännslen 2020: 82f.). ben werden (BfN 2014: 20ff.). Mehr als durch die Landschaft zieht. Jedoch ist nicht jeder Wegrain iden- tisch. Je nach Lage im Raum, Beschaf- Wissenswert! fenheit des Bodens, Pflegeregime sowie Soll auf der Fläche von Optionswegen oder auf der Fläche der Wegeseiten- Funktion und Ausbauweise des Wirt- räume Kompensation für die Bauleitplanung umgesetzt werden, sollten schaftsweges können die Wegraine er- zwingend folgende Kriterien beachtet werden: heblich in ihrer Ausgestaltung variie- • eine Mindestbreite des Wegeseitenraums von 2 Metern, da ansonsten die ren. Ganz grundsätzlich kann man zur randlichen Störeinflüsse überwiegen Übersicht zunächst in drei Hauptklassen • ein ökologisches Aufwertungspotenzial einer Maßnahme, welches über unterscheiden: Wege mit Grünland, eine sukzessive Entwicklung bei Nichtpflege der Wegeseitenräume hinaus- Wege mit Gräben und Wege mit Ge- geht hölzstrukturen. Diese Formen mischen • ein langfristiges, aber fortschreibbares Pflegekonzept sich jedoch meist, da bspw. ein Wege- seitenraum mit einer Baumreihe unter- 27
räume nicht mehr wie früher beweidet werden, hat sich die Praxis der groß- flächigen Mulchmahd durchgesetzt. Eine solche Technik bedeutet, dass das Pflanzenmaterial abgeschlegelt und vor Ort zerkleinert wird, um anschließend auf der Fläche zu verbleiben. Um eine blütenreiche Pflanzengesell- schaft zu etablieren, ist stattdessen eine angepasste Pflege notwendig. Er- gänzend zu den vielerorts fehlenden Pflegekonzepten ist festzustellen, dass Wegeseitenräume teilweise auch fremd genutzt werden. Formen der Fremd- Abb. 15: Wegraine, Hecken, Baumreihen und nutzung können dabei sein: Nutzung Feldgebüsche gliedern und beleben die Land- Aktuelle Defizite in Bezug auf Wegraine als Ackerfläche, Ablage von Siloballen, schaft. Durch die Strukturvielfalt steigert sich Damit ein Grünland Arten- und Struk- unnötig breite Fahrspuren, Parkbuchten die touristische Attraktivität einer Region, und gleichzeitig finden sich hier die Hot-Spots der turreich bleibt, muss es regelmäßig ge- oder die Entsorgung von Grünabfällen. Biodiversität. Foto: S. Zieger/LPV Göttingen pflegt bzw. bewirtschaftet werden. Je Hier gilt es, eine Sensibilität sowohl auf nach Bewirtschaftungsform kann dieser Seiten der Flächeneigentümer als auch Eingriff jedoch auch negative Folgen für bei den Bewirtschaftern der angrenzen- halb der Gehölze ebenfalls Grünland den Erhalt der Biodiversität haben. Da es den Flächen herzustellen, um zukünftig aufweist oder ein Graben in ein Grün- so gut wie keine kleinbäuerlichen Neben- die Fremdnutzung zu unterbinden und land übergeht. erwerbsstrukturen oder Subsistenzwirt- den Raum für den Naturschutz zu nutzen. schaften mehr gibt und die Wegeseiten- 28
Ein Netz aus Wegen Die Wege durchziehen die Landschaft Wissenswert! wie ein Netz. Wenn sich die Wegesei- Über sogenannte Geoinforma- tenräume in einem guten Zustand be- tionssysteme (GIS) können auch finden, können sie einen Beitrag zum Bürger*Innen überprüfen, wie breit Biotopverbund leisten. Im WBK für Reh- Wegeparzellen laut Katasteramts- burg-Loccum wurde mit Hilfe des Land- grenzen sein müssen. Die digitale schaftsrahmenplans (LRP) und dem da- und kostenlose Broschüre des BUND zugehörigen Kartenmaterial ermittelt, gibt dazu detaillierte Erläuterungen wo im Stadtgebiet die wertvollen Bioto- über das Vorgehen (BUND 2014: pe, Naturschutzgebiete und Achsen für 14f.). den überregionalen Biotopverbund lie- gen (Peters et al. 2020: 57ff. sowie Karte 5.2). Diese Daten wurden mit den digita- Abb. 16: Vorteile einer Mulchmahd sind die hohe lisierten Wegeseitenräumen verschnit- nahmen in Abhängigkeit von der Wege- Arbeitseffizienz und die Möglichkeit, je nach einge- ten und so diejenigen Wegeseitenräume kategorisierung darstellt. Von Beginn an setztem Mulchgerät, auch größere verholzte Pflanzen ermittelt, die von ihrer Beschaffenheit wurden einerseits die Wirtschaftlichkeit mit zu verarbeiten. Wesentliche Nachteile sind, dass Mulcher einen erheblichen Eingriff darstellen und her für den Verbund von Biotopen und/ in der Unterhaltung des Wegenetzes die meisten Tiere und vor allem Insekten den Einsatz oder für den überregionalen Biotopver- und andererseits der Nutzen für den nicht überleben. Kurze Mahdintervalle führen dazu, bund von besonderer Bedeutung sind. Naturschutz, Tourismus und der Anlie- dass viele Blütenpflanzen nicht mehr aussamen kön- Zukünftig soll das Augenmerk der Stadt- ger kombiniert betrachtet. Dadurch war nen, die Mulchddecke vielen Blütenpflanzen das Licht nimmt, sich Nährstoffe auf den Flächen anreichern verwaltung in besonderer Weise auf es möglich, viele Interessen zu bündeln und in der Konsequenz schnellwüchsige Gräser den diesen Wegen liegen, um den lokalen bzw. auszugleichen, indem man bspw. Bestand dominieren und die Artenvielfalt somit ab- wie regionalen Biotopverbund zu stär- den Biotopverbund dort stärkte, wo die nimmt. Foto: O. Anderßon/Landkreis Lüneburg ken. Dazu wurde ein Kartenwerk erstellt, Landwirtschaft gut auf Wege verzichten das passgenau die Revitalisierungsmaß- konnte. 29
Da die Wegeseitenräume in der W i N- Modellregion Rehburg-Loccum nicht flächendeckend in einem ökologisch Wissenswert! wertvollen Zustand sind, wurden im Artenreiche und vielgestaltige Wegraine erfüllen vielfältige (Ökosystem-) Zuge des WBK Maßnahmen entwickelt, Funktioen mit einem hohen Nutzen für Mensch und Natur: Wegraine… wie die Wegeseitenräume revitalisiert • bieten eine dauerhafte Vegetationsdeckung und helfen bei der Vermei- werden können. Die Umstellung der dung von Erosion. Pflegeregimes führt ebenfalls zu einer • sind potenzieller Lebensraum für zahlreiche Tiere und Pflanzen, bspw. Verbesserung des Zustandes, wobei Niederwild und Vögel, sowie Sommerlebensraum und Überwinterungsha- die Aushagerung durch das Abräumen bitate für Insekten. des Mahdgutes mehrere Jahre bis Jahr- • sind Rückzugsraum für Tiere nach der Ernte auf umliegenden Flächen. zehnte dauern kann. Alternativ können • strukturieren unsere Kulturlandschaft. in Abhängigkeit von der Lage im Raum, • verbinden Lebensräume vieler Tierarten und sind so ein wichtiger Teil des der Breite, der Ausgestaltung und der regionalen Biotopverbundes. Wegekategorie verschiedene Maßnah- • reinigen die Luft und schützen den Weg vor Staub- und Schneeverwehun- men umgesetzt werden, um den Wege- gen, wenn der Wegrain von Hecken und Bäumen gesäumt wird, die den seitenraum für den Biotopverbund kurz- Wind bremsen. fristiger aufzuwerten: • helfen bei der Schädlingsregulierung auf angrenzenden Flächen. • haben eine Pufferfunktion für Nährstoffe und Pflanzenschutzmittel beim • Erhöhung des Blühaspektes (durch Übergang zu natürlichen Biotopen. Abschieben des Oberbodens, Einsaat • regulieren den Abfluss des Oberflächenwassers. von RegioSaatgut oder einer Mahdgu- tübertragung) • Anlage von Alleen oder Baumreihen • Anlage von Hecken • Aufwertung von Hecken 30 • Anlage von Gewässerrandstreifen
Ergänzend besteht die Möglichkeit, im Insektenfauna sind, sollten in der Praxis des Mahdgutes umgestellt, müssen je Zuge der Planung eines WBK die Fläche unterschiedliche Wege (oder ggf. Wege- nach Standorteigenschaften und natur- des Wegeseitenraums auch quantitativ abschnitte) abweichend gepflegt wer- schutzfachlichen Zielen der Zeitraum aufzuwerten. Dies ist möglich, wenn den, um ein heterogenes vielgestaltiges und die Häufigkeit der Mahd bestimmt aufgrund der Wegekategorie Options- Mosaik an verschiedenen Wegeseiten- werden. Um eine hohe Praktikabilität weg ganze Wegeparzellen geschlossen räumen zu erzielen. Ist die Mahdtechnik zu erzielen, sollten die Flächen in einen werden, weitere Flächen der öffentli- einmal auf eine naturverträglichere Va- extensiven und einen intensiven Pflege- chen Hand in unmittelbarer Nähe zur riante mit Messerbalken und Abräumen bereich unterteilt werden. Verfügung stehen oder im Rahmen der Konzeptionierung ein Flächentausch mit privaten Eigentümern sinnvoll ist. Auf die richtige Pflege kommt es an Bei der Pflege von Wegeseitenräumen lassen sich drei Hauptziele definieren: (1) Blütenvielfalt als Nahrungsquelle für Insekten, (2) Larvenentwicklung von Insekten sowie Grasnester bzw. über den Winter erhaltene Strukturen zur (3) Überwinterung. Diese Ziele werden jeweils durch einen unterschiedlichen Mahdzeitraum und eine unterschied- liche Mahdhäufigkeit erreicht. Zu- sätzlich spielt die Mahdtechnik eine Abb. 17: Grundsätzlich sollten alle Wege einen extensiven und einen intensiven Pflegebereich unter- entscheidende Rolle. Da alle Ziele glei- teilt werden. Im extensiven Bereich kann ökologisch gemäht gepflegt werden, während der „Intensiv- chermaßen wichtig für den Erhalt der bereich“ aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht regelmäßig gekürzt wird. Foto: Ge-Komm GmbH 31
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