Wege in Niedersachsen - Wie kann ein gerechter Umgang mit ländlichen Wegen umgesetzt werden? Ein Praxisbericht.

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Wege in Niedersachsen - Wie kann ein gerechter Umgang mit ländlichen Wegen umgesetzt werden? Ein Praxisbericht.
Wege in Niedersachsen
> Wie kann ein gerechter Umgang mit ländlichen
  Wegen umgesetzt werden? Ein Praxisbericht.
Wege in Niedersachsen - Wie kann ein gerechter Umgang mit ländlichen Wegen umgesetzt werden? Ein Praxisbericht.
Herausgeber:
    Niedersächsischer Heimatbund e.V.
    Rotenburger Str. 21
    30659 Hannover
    Telefon: 0511 / 368 12 51
    E-Mail: heimat@niedersaechsischer-heimatbund.de
    Web: www.heimatniedersachsen.de

    Bearbeiter:
    Text & Konzept: Dr. Max Peters (NHB, Kap. 1 – 4, 6 & 7) und Dr. Anke Blöbaum (Kon-Sys, Kap. 5 & 6)
    Layout:         Dennis Christmann Marketing
    Druck:          Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH (gedruckt auf Recycling-Offset aus 100 % Altpapier)

    Hintergrund:     Diese Broschüre ist im Rahmen des Projektes „Wege in Niedersachsen“ (W i N) entstanden. Das Projekt wird
                     gefördert mit Mitteln der Niedersächsischen Bingo-Umweltstiftung. Herzlichen Dank dafür!

    ISBN:            978-3-9816980-4-6

    Zitiervorschlag: Peters, M. & Blöbaum, A. (2020): Wege in Niedersachsen. Wie kann ein gerechter Umgang mit ländlichen
                     Wegen umgesetzt werden? Ein Praxisbericht. Schriften zur Heimatpflege – Veröffentlichungen des Nieder-
                     sächsischen Heimatbundes e.V., Bd. Nr. 21, Hannover, 59 Seiten.

    Copyright:       Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der
                     engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig und strafbar.
                     Das gilt ebenso für jede Form der Vervielfältigung, Übersetzung, Verfilmung oder elektronischer Verarbeitung.

2   November 2020, Hannover
Wege in Niedersachsen - Wie kann ein gerechter Umgang mit ländlichen Wegen umgesetzt werden? Ein Praxisbericht.
Inhaltsverzeichnis
       Vorworte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

  1.   Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

  2.   Hintergründe und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

  3.   Wege und ihre ökologischen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

  4.   Das Wirtschaftswege- und Biotopverbundkonzept der Stadt Rehburg-Loccum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

       4.1 Die Wirtschaftswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

       4.2 Der Biotopverbund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

  5.   Eine psychologische Evaluierung des Projektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

       5.1 Evaluationsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

       5.2 Perspektive der beteiligten Akteure: Befunde der qualitativen Interviews. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

       5.3 Zufriedenheit mit dem Prozess: Befunde aus der standardisierten Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

  6.   Empfehlungen für einen gerechten Umgang mit ländlichen Wegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

  7.   Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

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Wege in Niedersachsen - Wie kann ein gerechter Umgang mit ländlichen Wegen umgesetzt werden? Ein Praxisbericht.
Vorworte
    Der Niedersächsische Heimatbund (NHB)       bund entstehen, der zur Bewahrung von         Rand des Umlands von Hannover, und
    hilft gerne bei der Suche nach richtigen    Biodiversität beiträgt. Aber dadurch darf     sie ist zugleich ländlich geprägt: Es gibt
    Wegen. Diese Feststellung hat eine dop-     der Weg für die Landwirtschaft nicht          viel Agrarland und ausgedehnte Berei-
    pelte Bedeutung, denn es geht einer-        zu stark eingeengt werden – und die           che für den Naturschutz. Rehburg und
    seits um den materiellen Weg von A          landwirtschaftlichen Fahrzeuge müssen         Loccum sowie weitere Orte bilden eine
    nach B, andererseits um die Ideen, die      auch Wanderern oder Radfahrern be-            große Flächengemeinde, die durch ein
    zu seiner Gestaltung führen. Zwar nutzt     gegnen können.                                weit verzweigtes Wegenetz verbunden
    der überregionale Verkehr das weit ver-                                                   ist. Der Niedersächsische Heimatbund
    ästelte Wegenetz im ländlichen Raum         Wie die Wege zu gestalten sind, welche        ist gespannt darauf, welche Maßnah-
    nicht mehr so wie in früheren Jahrhun-      Wege dabei gegangen werden, muss              men zum Wegebau und zum Biotopver-
    derten. Aber Wege dienen doch noch          von den Bürgern entschieden werden,           bund in den nächsten Jahren verwirk-
    immer vielen verschiedenen Zwecken.         die die Wege nutzen. Welche Argumen-          licht werden, sowohl in Rehburg-Loccum
    Land- und Forstwirte erreichen auf          te es dabei zu bedenken gilt, ist in dieser   als auch in anderen Gemeinden, diedem
    ihnen ihre Nutzflächen. Spaziergänger       Publikation zusammengestellt.                 hier dargestellten Vorbild folgen wollen.
    betrachten von ihnen das Land rings-
    um, Wanderer und Radfahrer sind auf         Herzlich danken wir den Bearbeitern,          Hannover, im Oktober 2020
    den gleichen Wegen unterwegs wie            allen voran Max Peters und Anke Blöbaum
    Mähdrescher und Langholztranspor-           sowie der Fachfirma Ge-Komm GmbH.             Hansjörg Küster, Präsident des Nieder-
    ter. Alle wollen sie, dass die Wege ihrer   Die BINGO!-Umweltstiftung unterstützte        sächsischen Heimatbundes
    Nutzung oder ihren Wünschen ent-            das Vorhaben durch eine namhafte För-
    sprechend ausgebaut sind. Wegraine          derung, die Gemeinde Rehburg-Loccum
    können Wuchsorte einer Vielfalt von         lud uns ein, diese Pilotstudie auf ihrem
    Pflanzen und Tieren sein, wenn man sie      Gemeindegebiet zu machen. Rehburg-
    entsprechend pflegt. Aus Wegrainen          Loccum ist eine interessante Gemeinde
    und ihren Gehölzen kann ein Biotopver-      zwischen Stadt und Land. Sie liegt am

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Wege in Niedersachsen - Wie kann ein gerechter Umgang mit ländlichen Wegen umgesetzt werden? Ein Praxisbericht.
Das (Wirtschafts-)Wegenetz im Außen-         Ende des Jahres 2018 ergab sich die        teure aus den Bereichen Landwirtschaft,
bereich einer ländlichen Kommune ist         Möglichkeit, dieses Projekt professio-     Naturschutz, Tourismus und Heimat-
mit vielfältigen, zum Teil konkurrierenden   neller aufzustellen. Die Stadt bewarb      pflege sowie zahlreiche BürgerInnen der
Nutzungsansprüchen konfrontiert. Land-       sich als Modellregion für das Projekt      Stadt mit ihren Kenntnissen in den Pro-
wirtschaft, Erholungssuchende zu Fuß,        „Wege in Niedersachsen“ und erhielt        zess eingebracht hätten. Auch ihnen gilt
mit dem Fahrrad oder dem Reitpferd und       im Frühjahr 2019 den Zuschlag. In den      mein ganz besonderer Dank.
sonstige Interessierte nutzen mit ganz       folgenden zwei Jahren wurde in einem
unterschiedlichen Erwartungen ein und        offenen und transparenten Dialog-          Mit Hilfe des vorliegenden Wirtschafts-
dieselbe Infrastruktur.                      prozess ein Wirtschaftswege- und Bio-      wege- und Biotopverbundkonzeptes
                                             topverbundkonzept für die ländlichen       fühlt sich die Stadt nun befähigt, pass-
Die an sich schon komplexe Ausgangs-         Wege in der Stadt entwickelt. Ziel war     genau und zielgerichtet Maßnahmen
situation wird durch veränderte ökono-       und ist ein Konsens aller vorgenannten     für eine bedarfsgerechte Unterhaltung
mische (leere kommunale Kassen) und          Nutzergruppen, so dass diese in einen      der Wirtschaftswege sowie für den lo-
ökologische (z.B. bedrohte Biodiversität)    angemessenen Interessenausgleich ein-      kalen Biotopverbund zu verwirklichen.
Bedingungen noch schwieriger und kann        treten können.                             Mit deren Umsetzung werden wir 2021
nur durch einen integrierten Gesamtan-                                                  beginnen.
satz mit erklärter Kompromissbereitschaft    Mein Dank gilt dem Niedersächsischen
aller Beteiligten angegangen werden.         Heimatbund und hier in Person beson-       Rehburg-Loccum, im Oktober 2020
                                             ders Herrn Dr. Max Peters für die gute
Im März 2018 hat der Rat der Stadt Reh-      und vertrauensvolle Zusammenarbeit         Martin Franke, Bürgermeister der Stadt
burg-Loccum die Revitalisierung von          ebenso wie der Ge-Komm GmbH, Melle         Rehburg-Loccum
Feld- und Wegeseitenrändern im Stadt-        für die Erstellung des Wegekatasters.
gebiet als Ziel formuliert. Ein Arbeits-
kreis aus Rats-mitgliedern, Landwirten,      Die Ergebnisse würden aber sicherlich
Naturschutzvertretern und Verwaltung         nicht in dieser Qualität vorliegen, wenn
nahm die Arbeit auf.                         sich nicht ehrenamtliche und lokale Ak-
                                                                                                                                   5
Wege in Niedersachsen - Wie kann ein gerechter Umgang mit ländlichen Wegen umgesetzt werden? Ein Praxisbericht.
1. Einleitung
    Spätestens seit dem Jahr 2017 ist durch         auf den Verlust von Strukturen entlang       Der Projektrahmen und die Koopera-
    die „Krefeld-Studie“ auch der breiten           von Wirtschaftswegen hin (NHB 1980:          tionspartner
    Öffentlichkeit der massive Rückgang von         20). Die niedersächsische Landesregie-       Das Projekt W i N wurde von der Nie-
    Insekten bekannt, was inzwischen durch          rung bestätigte dies im Jahr 2017 (NHB       dersächsischen Bingo-Umweltstiftung
    diverse weitere Studien belegt ist (z.B. bei:   2017: 7). Zwischenzeitlich war das Nieder-   (NBU) gefördert mit einer Laufzeit von
    BfN 2017, Hallmann et. al. 2017, Seibold        sächsische Umweltministerium selbst ak-      August 2018 bis November 2020. Als
    et al. 2019, Samways et al. 2020, BMU &         tiv geworden und veröffentlichte 1988 die    Kooperationspartner im Projekt fun-
    BfN 2020). Vor diesem Hintergrund sowie         Broschüre „Wegraine wiederentdecken –        gierte die Gesellschaft für kommunale
    den dringenden Maßnahmen zur Erhal-             Anleitung und Appell zur naturnahen Ge-      Infrastruktur I Ge-Komm GmbH, die
    tung, Ertüchtigung und Ausbau des Wirt-         staltung und Pflege der Agrarlandschaft“     mit viel Erfahrung die Aspekte rund um
    schaftswegenetz in Niedersachsen (Koali-        (Nds. MU 1988). Dieser Appell verpuffte      die Wirtschaftlichkeit der Wegeunter-
    tionsvereinbarung 2017: 90, ALR 2017: 1)        jedoch weitestgehend wirkungslos und         haltung bearbeitete – siehe Kapitel 4.1.
    hat der Niedersächsische Heimatbund             Wegraine sind in Niedersachsen vielerorts
    e.V. (NHB) das Projekt „Wege in Nieder-         in einem schlechten Zustand, der nicht
    sachsen“ (W i N) aufgelegt. Der NHB stell-      zum Erhalt der Biodiversität beiträgt.
    te sich mit dem Projekt der Aufgabe einer                                                       Wissenswert!
    neutralen Aufarbeitung der Ausgangs-            Mit dem vorliegenden Projektbericht wer-        Das Wegenetz Niedersachsens
    situation durch einen integrativen Dialog-      den Vorschläge formuliert, wie man dieser       weist insgesamt eine Länge von
    prozess unter den Wege-Nutzer*innen             Entwicklung entgegenwirken kann – sie-          rund 56.000 km auf (Bathke
    im Ländlichen Raum. Daraus wurden Lö-           he Kapitel 6. Gleichzeitig fördert er den       2016: 27). Damit sind in etwa
    sungsansätze zur Verschneidung der zwei         „Ausgleich zwischen den Belangen der            60 % der niedersächsischen Ver-
    Themenbereiche Insektenschutz und               Landwirtschaft, des Naturschutzes, des          kehrswege ländliche Weg (ALR
    Infrastrukturinitiative entwickelt.             Tourismus und der Kommune“ durch eine           2019: 3).
                                                    Verteilung der Anforderungen der Interes-
    Der NHB wies bereits 1980 in seinem Jah-        sensgruppen auf unterschiedliche Wege
    resbericht zur Situation der Heimatpflege       (Peters & Franke 2020: 16).
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Zusätzlich wurde das Projekt vom Büro       Ergebnis des Projektes erstellt (siehe            und in Kapitel 3 Erläuterungen zur öko-
Kon-Sys – Kommunikation, Mediation &        Kap. 4). Dem vorangestellt finden sich in         logischen Bedeutung von Wegen.
Mensch-Umwelt-Systeme begleitet, das        Kapitel 2 Ausführungen zur Geschichte
den Projektprozess auf psychologischer
Basis evaluierte. Die Ergebnisse dieser
Evaluation finden sich im Kapitel 5.

Im Rahmen des Projektes wurde inner-
halb einer Modellregion beispielhaft
aufgearbeitet, welches Potenzial das
Netz an Wirtschaftswegen für den Na-
turschutz, den Insektenschutz und den
Biotopverbund bietet und wie gleich-
zeitig die Unterhaltungskosten für das
Wegenetz gesenkt werden können. Als
Modellregion wurde nach einem lan-
desweiten Bewerbungsverfahren die
Stadt Rehburg-Loccum im Landkreis
Nienburg/Weser ausgewählt. Für die
Stadt wurde in einem mehrstufigen Be-
teiligungsverfahren mit Hilfe von lokalen
Experten aus den Bereichen Landwirt-
schaft, Naturschutz, Verwaltung, Politik
und Heimatpflege sowie der Bevölke-          Abb. 1: Im Verlauf der Evolution hat sich eine starke Abhängigkeit zwischen Pflanzen und Insekten
rung ein Wirtschaftswege- und Biotop-        entwickelt. Die Insekten sorgen durch die Bestäubung für einen genetischen Austausch der Pflanzen
                                             und erhalten als Gegenleistung Pollen und Nektar als Nahrungsquelle. Foto: S. Zieger/LPV Göttingen
verbundkonzept (WBK) als wesentliches
                                                                                                                                                  7
Wege in Niedersachsen - Wie kann ein gerechter Umgang mit ländlichen Wegen umgesetzt werden? Ein Praxisbericht.
2. Hintergründe und Geschichte
    Wege gab es schon (fast) immer, wie die    Agrarreformen des 19. Jahrhunderts          Schlägen ‚verkoppelt‘. Gleichzeitig teilte
    bronzezeitlichen Wege entlang der Hü-      Die „stärkste Zäsur für den Durchbruch      man die Gemeinheiten auf. In dieser Zeit
    gelgräber in Niedersachsen zeigen (Will-   zur modernen, rationellen Landwirt-         entstanden die Gemarkungen der heu-
    roth 1996: 133). Im Mittelalter entstand   schaft setzten im 18. und vor allem im      tigen Dörfer. Diese „Zusammenlegung
    ein relativ „flächendeckendes Straßen-     19. Jahrhundert die […] Gemeinheits-        von kollektiven oder zersplitterten Nutz-
    netz“, dass sich aus „Wegen des lokalen    teilungen […] und die Verkoppelungen“       flächen zur individuellen Nutzung“ kann
    Transportes, des überregionale Han-        (Steinsiek & Laufer 2012: 268). Die Ge-     als die erste grundlegende Agrarreform
    dels, aus Heer- und Pilgerwegen“ ent-      meinheitsteilungen und Verkoppelun-         bezeichnet werden (Steinsiek & Laufer
    wickelte (Küster 2013: 220). Bis ins 18.   gen waren der Ausdruck bzw. die Folge       2012: 268). Erst durch die neuen Struk-
    Jahrhundert handelte es sich bei diesen    von umwälzenden gesellschaftlichen          turen, vor allem die Trennung zwischen
    ‚Straßen‘ jedoch um „unbefestigte Erd-     Veränderungen. Bis zur Mitte des 19.        Getreideanbau und Viehhaltung, wurde
    wege unterschiedlicher Breite, die […]     Jahrhundert bewirtschafteten die meis-      eine moderne Landwirtschaft mit deut-
    bei schlechter Witterung nahezu unpas-     ten Bauern das Land eines oder meh-         lich höheren Erträgen und der Einfüh-
    sierbar waren“ (Hindelang & Walther        rerer Grundherren und waren diesen          rung neuer Feldfrüchte möglich (Küster
    1989: 9f.). Dies änderte sich für über-    dadurch zu Diensten und Abgaben ver-        2013: 259).
    regionale Wege erst mit dem Chaussee-      pflichtet (Schneider 2007: 1). Gleichzeit
    bau, der in Niedersachsen 1764 begann      ergaben sich weitere Abhängigkeiten         Wie kam der rechte Winkel in die
    (ebd. 10). Die meisten Dörfer waren bis    aus der Dorfstruktur, denn große Teile      Landschaft?
    dato gar nicht über befestigte Wege mit    der Feldmark wurden als Allmende oder       Die Agrarreformen führten dazu, dass
    den (Haupt)Straßen verbunden, son-         Gemeinheit – teilweise auch von mehre-      das Netz aus ländlichen Wegen – wie
    dern man bahnte sich oftmals den Weg       ren Dörfern – gemeinsam bewirtschaf-        wir es heute kennen – überhaupt erst
    durch die freie Landschaft. Die mehr       tet. Diese Strukturen wurden in einem       entstand. Augenscheinlich wird dies
    oder weniger vollständige Erschließung     langen und komplizierten Prozess nach       besonders bei der Betrachtung alter
    der Landschaft durch Wege erfolgte erst    und nach aufgelöst. Das Land der Grund-     Landkarten (siehe Seite 10). Diese his-
    deutlich später im Zuge der Agrarrefor-    herren wurde abgelöst, ging in Privatbe-    torisch-topografischen Karten sind eine
    men des 19. Jahrhunderts.                  sitz über und wurde sinnvoll zu größeren    „vielfältig nutzbare Fundgrube“, da sie
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Wege in Niedersachsen - Wie kann ein gerechter Umgang mit ländlichen Wegen umgesetzt werden? Ein Praxisbericht.
„flächendeckend die Landschaft und                                                  ‚Rute‘ verwendet wurde. Die Rute war
Siedlungen in […] Entwicklungsstufen                                                eine ganzzahlige Vielfache der weitver-
erfassen“ (Seedorf 1982: 422). Ver-          Wissenswert!                           breiteten Maßeinheit ‚Fuß‘ und konnte
gleicht man die Kurhannoversche Lan-         Früher nutzte man u.a. Ketten zur      je nach Region und je nach Berufszweig
desaufnahme (1764 bis 1786) mit der          direkten Entfernungsmessung.           stark variieren. Rute bezeichnet fast 20
ca. 100 Jahre jüngeren Preußischen           Die Ketten waren auf eine be-          verschiedene Längenmaße zwischen 3
Landesaufnahme (1877 bis 1912) wird          stimmte Läge definiert, ihre Glie-     und 9 Metern. Die Calenberger Waldru-
deutlich, dass in dem Zeitraum zwi-          der leierten jedoch mit der Zeit       te wurde bspw. im Kurfürstentum Han-
schen den Aufnahmen der Grundstein           aus, sodass sich Ungenauigkeiten       nover verwendet und betrug 4,67 m. Die
des heutigen Wegenetzes in den länd-         in die Messungen einschlichen          preußische Rute hingegen maß 3,77 m.
lichen Räumen entstanden ist. Im 18.         und Flächen ‚zu groß‘ ausge-
Jahrhundert gab es kaum gerade Linien        wiesen wurden. Werden heut-            Damit zwei Fuhrwerke einander passie-
in der Landschaft, denn die Wegefüh-         zutage Flächen mit modernen            ren konnten, wurden die Wegebreiten
rung orientierte sich an Topografie und      Methoden neu aufgemessen, z.B.         zumeist in zwei Ruten ausgemessen.
Landnutzung (siehe Abb. 2). Im Zuge          bei Flurneuordnungsverfahren,          Wurde regelmäßig Vieh getrieben, konn-
der Verkopplungen und Gemeinheits-           ‚fehlt‘ oftmals ein Teil der zuvor     ten die Breiten auch drei Ruten betra-
teilungen wurden die neu geformten           deklarierten Flächengröße.             gen. Für das Gebiet des Kurfürstentums
Flurstücke erst durch Wege erschlos-                                                Hannover, in dem die W i N-Modellregi-
sen, die wiederum an die regionalen                                                 on Rehburg-Loccum liegt, bedeutet dies,
und überregionalen Straßen und Wege                                                 dass die ursprünglichen Wege in der Re-
angeschlossen wurden. Diese neuen         Wie breit ist eigentlich ein Weg?         gel 9,34 m bis 14 m breit waren.
Wege verliefen – gleichermaßen wie        Die Erschließung und Vermessung der
viele Gräben und Kanäle zur Meliorati-    neu entstandenen Gemarkungen und
on – planmäßig und oftmals im rechten     Ackerparzellen erfolgte vor der Einfüh-
Winkel, was unser Landschaftsbild bis     rung des metrischen Systems, sodass
heute prägt (siehe Abb. 3).               die damals übliche Längenmaßeinheit
                                                                                                                               9
Wege in Niedersachsen - Wie kann ein gerechter Umgang mit ländlichen Wegen umgesetzt werden? Ein Praxisbericht.
Abb. 2: Mit der Kurhannoverschen Landesaufnahme (1764 bis 1786) lag erstmals ein zuverlässiges Kartenwerk für das gesamte Gebiet des Kurfürstentums
     Hannover vor. Die Karten unterscheiden klar „zwischen Feldern und Gärten, Wiesen, Hutungen und Bruchweiden, Heide und wildes Moor, Wälder und Gehölz-
     gruppen“ (Seedorf 1986:26). So wird die Landschaft von vor 250 Jahren deutlich wiedergegeben. Am Beispiel des Kartenausschnitts nordöstlich von Rehburg
     wird erkenntlich, dass die Felder der Streifenfluren kaum durch Wege erschlossen sind und sich die Wege aus der Stadt Rehburg mehr heraus schlängeln als
     gerade verlaufen. Quelle: Auszug aus den Geodaten des Landesamtes für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen, © 2020.

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Abb. 3: Im Vergleich zur Kurhannoverschen Landesaufnahme erkennt man auf der ca. 100 Jahre jüngeren Preußischen Landesaufnahme (1877 bis 1912) klar
die Erschließung der neuen Feldblöcke durch Wege sowie die ausgebauten überregionalen Straßen. Diese neuen Wege – sowie Gräben und Kanäle – wurden
oftmals im rechten Winkel angelegt – was die Landschaft bis heute prägt. Die Karte bietet mit der Fülle „seiner Linienelemente und Signaturen ein viel vollstän-
digeres […] Bild der Landschaft, als es die älteren Karten vermögen“ (Kost 1970: 147). Quelle: Auszug aus den Geodaten des Landesamtes für Geoinformation
und Landesvermessung Niedersachsen, © 2020.

                                                                                                                                                                   11
Moderner Strukturwandel in der              Pflanzenschutzmitteln und Kunstdün-        verhalten gerecht werden, das geprägt
     Agrarwirtschaft                             ger, eine veränderte Anbaustruktur und     ist von Multifunktionalität (etwa durch
     Der Ausbau und die Instandsetzung der       Fruchtfolge, die Vergrößerung der Be-      zusätzliche gewerbliche und touristische
     Straßen und Wege waren im Königreich        triebe, Schläge und landwirtschaftlichen   Nutzergruppen). Daher können die Wege-
     Hannover spätestens seit der Einfüh-        Maschinen, der Wegfall von Rand- und       netze vieler Gemeinden in Niedersach-
     rung der „General-Wegbau-Kommissi-          Saumstrukturen sowie von Brachflächen      sen heute als nicht mehr bedarfsgerecht
     on“ am 26. April 1817 institutionalisiert   und die Aufgabe der Kleinviehhaltung       bezeichnet werden.
     (Hindelang & Walther 1989: 14). Die         sowie der verstärkte Futtermitteleinsatz
     Beamten bzw. Behörden der jeweiligen        (Oppermann 2018: 124f.).
     Staatsregierungen konnten so auf die
     vielfältigen Veränderungen wie bspw.        Dieser Entwicklung begegnete man seit
     die industrielle Revolution, das Wirt-      den 1960er-Jahren u.a. mit Flurbereini-
     schaftswunder nach dem zweiten Welt-        gungsverfahren, bei denen der Grund-
     krieg oder den Strukturwandel in der        und Landbesitz ähnlich der früheren
     Landwirtschaft reagieren.                   Verkopplungen und Gemeinheitsteilun-
                                                 gen neu geordnet wurde. Oftmals struk-
     Für die Struktur des ländlichen Wege-       turierte man dabei auch das Wegenetz
     netzes ist besonders die Veränderung        neu. Die heute zum Einsatz kommenden
     hin zu einer industrialisierten Landwirt-   (Schwer-)Lastfahrzeuge der Landwirt-
     schaft seit den 1960er-Jahren von Be-       schaft stellen jedoch wesentlich höhere
                                                                                             Abb. 4: Moderne landwirtschaftliche Maschinen
     deutung. Im Zuge des Strukturwandels        Anforderungen an die Fahrbahnen und
                                                                                             sind heutzutage so breit, dass weitere Wege-
     kam es zu einer Veränderung der Land-       Bankette des Wegenetzes, insbesonde-        nutzer*innen wie bspw. Fuß-, Rad-, Reit- oder
     nutzung durch die Landwirtschaft und        re auch an die Brückenbauwerke, als die     Anliegerverkehre in den Wegeseitenraum aus-
     damit einhergehend zu einem Wandel          Gerätschaften vergangener Zeiten. Zu-       weichen müssen. Foto: R. Olomski/NHB
     der Landschaft. Ausdruck dieses Wan-        dem müssen die modernen Wirtschafts-
     dels sind u.a. der erhöhte Einsatz von      wege auch dem veränderten Nutzungs-
12
Nicht zuletzt leiden auch die Biodiver-     ger Sicht traditionellen Bewirtschaf-               ren wie Wegeseitenräumen im kleinen
sität und das Landschaftsbild unter         tungsformen in der Gegenwart wieder                 Stil oder großflächigem Grünland kann
der starken Zentralisierung von land-       Bedeutung erlangen. Nur durch eine                  es gelingen, dem Schwund der Biodi-
wirtschaftlichen Betrieben und dem          extensive Bewirtschaftung von Struktu-              versität etwas entgegen zu setzen.
stetigen Streben nach Effektivitätsstei-
gerung und Wachstum. Noch in dem
Zeitraum von 2009 bis 2015 sank der
Anteil an Landwirtschaftsflächen mit
einem hohen Naturwert in Deutsch-
land um absolut 13 % (BfN 2017: 17).
In Mitteleuropa ist jedoch eine „ständi-
ge Bewirtschaftung und Nutzung tradi-
tioneller Agrarökosysteme zum Erhalt
der Biodiversität erforderlich“, da viele
Arten des Offenlandes weder in (Wald-)
Nationalparks noch in der Intensiv-Ag-
rarlandschaft überleben können (Grass
& Tscharntke 2020: 23). Die heutige
Biodiversität in der Offenlandschaft
von Zentraleuropa entstand vor allem
durch die früheren kleinbäuerlichen
Strukturen und die großflächige Bewei-       Abb. 5: Früher war die Beweidung viel stärker verbreitet. Ohne Einsatz von Dünger und vor der Erfindung
dung der Landschaft (Idel 2011: 35ff.).      von Mähwerken, konnten sich auf diesen Weiden eine Vielzahl von Wildkräutern und anderen Blüten-
Daher gilt: Wenn die Artenvielfalt er-       pflanzen entwickeln. Diejenigen Mitglieder einer Dorfgemeinschaft, die kein eigenes Land besaßen, nut-
                                             zen auch die Wegeseitenräume als Weidefläche für ihr Kleinvieh wie bspw. Ziegen oder Schafe. Dadurch
halten bleiben soll, müssen Methoden         entwickelte sich auch auf vielen Wegeseitenräumen eine hohe Biodiversität an Blütenpflanzen.
gefunden werden, wie die aus heuti-          Foto: M. Peters/NHB
                                                                                                                                                       13
3. Wege und ihre ökologischen Funktionen
     Da Wegeparzellen oftmals breiter sind
     als die heutige eigentliche Fahrspur mit
     dem Bankett, bietet der Wegeseiten-
     raum Potenzial für die Verwirklichung
                                                 durch den genetischen Austausch zu
                                                 sichern, für die Nahrungssuche oder
                                                 aufgrund ihres Lebenszyklus. Der Bio-
                                                 topverbund kann als erfolgreich be-
                                                                                           §         „[D]er Biotopverbund dient der dau-
                                                                                                     erhaften Sicherung der Populationen
                                                                                                     wild lebender Tiere und Pflanzen ein-
                                                                                           schließlich ihrer Lebensstätten, Biotope und
     von Naturschutzzielen. Zum einen kann       schrieben werden, wenn die Lebens-        Lebensgemeinschaften sowie der Bewahrung,
     der Wegeseitenraum – auch als Wegrain       räume durch Trittsteinbiotope und/        Wiederherstellung und Entwicklung funktions-
     bekannt – so aufgewertet werden, dass       oder lineare Strukturen funktional ver-   fähiger ökologischer Wechselbeziehungen“.
     er verschiedenen Pflanzen- und Tier-        bunden und die Organismen dadurch
     arten Lebensraum und Nahrungsquellen        vernetzt sind.                            Dies wird ausdrücklich unter § 21 Abs. 6
     bietet. Da Wege die Landschaft wie ein                                                konkretisiert:
     Netz durchziehen, eignen sich ihre We-      Bereits seit 2007 ist der bundesweite
     geseitenräume zum anderen besonders
     gut dafür, größere Lebensräume mitein-
     ander zu verbinden und so einen Beitrag
     zum Biotopverbund zu leisten.
                                                 Biotopverbund ein zentrales Ziel der
                                                 Nationalen Strategie zur biologischen
                                                 Vielfalt (NBS) der Bundesregierung,
                                                 die eine „Verwirklichung eines län-
                                                                                           §        „Auf regionaler Ebene sind insbeson-
                                                                                                    dere in von der Landwirtschaft ge-
                                                                                                    prägten Landschaften zur Vernetzung
                                                                                           von Biotopen erforderliche lineare und punkt-
                                                 derübergreifenden, funktional orien-      förmige Elemente, insbesondere Hecken und
     Der Biotopverbund                           tierten Biotopverbundsystems auf          Feldraine sowie Trittsteinbiotope, zu erhalten
     Biotopverbund beschreibt ein Kon-           mindestens zehn Prozent der Landes-       und dort, wo sie nicht in ausreichendem Maße
     zept, dessen Ziel es ist, die bestehen-     fläche“ vorsieht (BMUB 2007: 29).         vorhanden sind, zu schaffen“.
     den Biotope, also die Lebensräume,          Und auch auf der Gesetzesebene ist
     so zu verbinden, dass sich die Orga-        die Umsetzung des Biotopverbundes         Das Niedersächsische Ausführungs-
     nismen in der fragmentierten Land-          festgelegt. Im Bundesnaturschutzge-       gesetz zum BNatSchG (NAGBNatSchG)
     schaft bewegen und wandern können           setz (BNatSchG) wird unter § 21 Bio-      erlässt hierzu keine abweichenden Aus-
     (Jedicke 1994: 84f.). Tier- und Pflanzen-   topverbund/Biotopvernetzung ausge-        führungen, sodass die Bundesgesetz-
     arten wandern bzw. bewegen sich in          führt:                                    gebung in der zitierten Weise auch für
     der Landschaft, um ihre Fortpflanzung                                                 Niedersachsen gilt.
14
Blühende Wegraine für Insekten              mann 2018: 126f.). Und auch das                   die Wiederherstellung von „Saum- und
Für den Biotopverbund können die            Aktionsprogramm Insektenschutz der                Randbiotopen“ als wichtige Maßnahme
Wegeseitenräume ideal zu blühenden          Bundesregierung sieht den Schutz und              an (BMU 2019: 7).
Flächen entwickelt werden oder alter-
nativ mit Hecken oder (Obst)Baum-
Alleen oder -Reihen bepflanzt werden.
Hecken und Baumreihen dienen dann
als Habitat, Nahrungsquelle und Verbin-
dungselement zwischen Wäldern, Feld-
gehölzen oder Schutzgebieten. Blüh-
flächen in der Offenlandschaft helfen,
Nahrung und Lebensraum für Insekten,
Kleinsäuger, Reptilien, Amphibien und
Feldvögel zu schaffen. Gerade die Insek-
ten sind aktuell stark bedroht, was nicht
zuletzt an der Intensivierung der Land-
wirtschaft liegt. Durch die Erzeugung
von Kleinstrukturen, also der Erhöhung
der landschaftlichen Heterogenität,
kann dieser Entwicklung positiv begeg-
net und dem Schwund an Biodiversität         Abb. 6: Nicht nur Blütenpflanzen als Nahrungsquelle und Grasnester als Rückzugs- und Überwinterungs-
Einhalt geboten werden (Harvey 2020:         ort sind für den Erhalt von Insekten von Bedeutung. Auch Strukturen wie Totholz haben eine große
175). Gerade die „(Wieder-)Anlage von        Bedeutung, denn sie beherbergen zahlreiche Lebensgemeinschaften aus Pilzen und Insekten. So ist
Randstrukturen“ ist als mögliche posi-       der überwiegende Teil der heimischen Bienen- und Wespenarten auf Tot- und Altholz angewiesen und
                                             knapp ein Viertel aller heimischen Käferarten kommen in den verschiedenen Zerfallsstadien von Holz
tive Einflussnahme „relativ einfach auf      vor. Foto: S. Zieger/LPV Göttingen
Parzellenebene“ durchführbar (Opper-
                                                                                                                                                    15
Abb. 7: Der Wegeseitenraum ist in diesem Fall mehrere Meter breit. Die monotone Grasnarbe bietet jedoch weder Nahrung für Insekten noch Schutz für
     Kleinsäuger und Vögel. In dieser Form ist der Wegrain aus naturschutzfachlicher Sicht relativ wertlos. Gerade in einer intensiv genutzten Agrarlandschaft sind
     Wegraine oftmals die letzten verbleibenden Strukturelemente. Diese Funktion können sie jedoch nur erfüllen, wenn sie ökologisch gepflegt werden.
     Foto: M. Peters/NHB

16
Abb. 8: Strukturen wie (Obst)Bäume, Totholz, Blühpflanzen, Gräser und eine unbefestigte Wegedecke machen aus einem ländlichen Weg ein heterogenes
Biotop mit einer Vielzahl an ökologischen Nischen. Gerade die unbefestigte Fahrspur ist hervorzuheben, da viele bodenbrütende Insekten, wie z.B. Wildbienen-
arten oder Wespen, auf diese Strukturen angewiesen sind. Unbefestigte Grün-, Erd- oder Sandwege sollten daher wenn möglich erhalten werden.
Foto: M. Peters/NHB

                                                                                                                                                               17
Die Bedeutung von Insekten                verrichten. Werden die häufigsten                  Hummeln oder Fliegen bestäubt werden
     Der Schutz von Insekten bedeutet auch     Getreidesorten wie Mais, Weizen oder               (Goulson 2014: 272). Hinzu kommt, dass
     gleichzeitig den Schutz vieler anderer    Gerste vom Wind bestäubt, so müssen                auch die Vermehrung bzw. Produktion
     Organismen wie bspw. Vögel und Klein-     nahezu alle essbaren Obst- und Gemü-               von Viehfutter wie Klee auf die Bestäu-
     säuger. Die Auswertung der Bestands-      sesorten von Insekten wie (Wild)Bienen,            bungsleistung angewiesen ist.
     situation der Vögel der letzten Jahre
     zeigt, dass gerade die Arten am stärks-
     ten zurückgehen, „die sich von kleinen
     Insekten oder von Samen und Früchten
     ernähren“ (Lachmann 2018: 19). Auch
     in der Beschreibung der aktuellen Be-
     standsituation der Vögel in Deutschland
     wird deutlich, dass der Schwund der In-
     sekten auch einen Schwund der Vögel
     bedeutet (Gerlach 2019: 5). Wo sich die
     Landschaft noch reich gegliedert zeigt,
     bspw. mit Wegeseitenräumen, würden
     sich auch die Biodiversitäts-Hotspots
     befinden (ebd. 19).

     Neben den Vögeln und vielen anderen
     Organismen profitiert auch der Mensch
     sehr stark von dem Schutz und dem Er-
     halt einer vielfältigen Insektenfauna.     Abb. 9: Viele der in Deutschland vorkommenden Wildbienenarten sind Spezialisten, das heißt, sie sam-
                                                meln den Pollen von nur einer einzigen Pflanzenart (BMU 2019: 10). Ein wirksamer Schutz der Wildbienen
     Am eindrücklichsten ist sicherlich die     kann nur über eine Vielzahl an Pflanzen und Nistmöglichkeiten erreicht werden. Foto: M. Peters/NHB
     Bestäubungsleistung, die die Insekten
18
Hinzu kommen viele weitere positive           Weidetierhaltung spielen Insekten eine       schen genutzt werden. An erster Stelle
Aspekte, die nicht sofort augenscheinlich     zentrale Rolle. Neben der Bestäubung der     sei hier der Honig genannt, aber auch
sind. Es gibt bspw. eine Vielzahl von Raub-   Futterpflanzen zersetzen die verschiede-     Wachs für Kerzen und Kosmetik, Seide zur
insekten und Parasiten, die maßgeblich        nen Mistkäferarten die Ausscheidungen        Herstellung von Kleidung, Farbstoffe und
zu einer natürlichen Kontrolle derjenigen     der Weidetiere. Die „biomassereichen         Schellack zur Versiegelung von Produkten
Insekten beitragen, die vom Menschen als      Dunginsektenzönosen sind […] für zahl-       wie Äpfeln gehören zum Repertoire der In-
                                              reiche Arten […] eine entscheidende Nah-     sekten (Sverdrup-Thygeson 2019: 174ff.).
                                              rungsressource“ (Schoof & Luick 2019:        Und auch im Bereich der Biotechnologie
                                              486). Leider ist auch diese Insektengruppe   dienen Eigenschaften, Struktur und Funk-
   Wissenswert!                               durch den Einsatz von „Breitbandparasi-      tion der Insekten vielmals als Vorbild für
   Etwa ein Drittel aller Nahrungs-           tenmittel“ stark gefährdet, da „das Me-      neue technologische Lösungen, wie bspw.
   mittelproduktionen weltweit                dikament auch noch in den Exkrementen        bei der Entwicklung von Strukturfarben,
   ist abhängig von Bestäubern                enthalten ist und den Mistkäfern zum Ver-    der Architektur von energiesparenden
   (Tscharntke 2012: 51).                     hängnis wird“ (Sverdrup-Thygeson 2019:       Häusern oder dem Verständnis von Krank-
                                              171). Gleichzeitig gibt es immer weniger     heiten und der Entwicklung neuer phar-
                                              Weidetierhaltung, sodass dem Ökosystem       mazeutischer Produkte (ebd. 193ff.).
                                              mit dem Mist der Rinder eine wichtige
schädlich wahrgenommen werden (Sver-          Ressource entzogen wird.
drup-Thygeson 2019: 93). Gerade für die
Landwirtschaft ist in diesem Zusammen-        Neben diesen besonders für die Landwirt-        Wissenswert!
hang von großer Bedeutung, dass Insek-        schaft wichtigen Eigenschaften sind In-         Eine einzige Kuh produziert im
ten zudem die Wasser- und Nährstoffver-       sekten als Destruenten ganz allgemein als       Jahr so viel Mist, dass dieser eine
hältnisse des Bodens verbessern können        Zersetzer von biologischer in organische        Fläche von der Größe von fünf
und gleichzeitig durch das Fressen von        Substanz von hoher Bedeutung. Hinzu-            Tennisplätzen einnimmt (Sver-
Samen auch unerwünschte Pflanzenarten         kommen auch unmittelbare Produkte, die          drup-Thygeson 2019: 169).
zurückdrängen (ebd. 112). Auch für die        von Insekten hergestellt und von Men-
                                                                                                                                        19
4. Das Wirtschaftswege- und Biotopverbundkonzept der
        Stadt Rehburg-Loccum
     Das Wirtschaftswege- und Biotopver-          ebenfalls Hinweise zu touristischen Rou-    Abb. 10: Im Zuge der Durchführung des Pro-
     bundkonzept (WBK) ist ein geeignetes         ten (Radwege, Wanderwege usw.) bei          jektes W i N erfolgte zunächst eine umfassende
     Instrument, um zwei Themenkomplexe           den Planungen berücksichtigt. Durch die     Bestandserfassung des Wegenetzes inklusive
                                                                                              der Wegeseitenräume. Experten der Ge-Komm
     sinnvoll miteinander zu verbinden. Zum       Zuhilfenahme von lokaler Expertise wur-     GmbH und des NHBs erarbeiteten daraus einen
     einen kann der Konzeptteil über Wirt-        de das WBK an die örtlichen Bedürfnisse     Vorentwurf des WBK, der mit der Hilfe eines
     schaftswege genutzt werden, um dem           angepasst. Sämtliche Informationen sind     lokalen Expertengremiums auf die örtlichen
     Strukturwandel in der Landwirtschaft         in einem digitalen Geoinformationssys-      Gegebenheiten angepasst und zu einem ers-
                                                                                              ten Entwurf ausgearbeitet wurde. Durch eine
     vom ‚Landwirt zum Energiewirt‘ zu be-        tem hinterlegt und deren Ausgabe ist        anschließende Bürgerbeteiligung konnte diese
     gegnen und die kommunalen Außen-             sowohl in tabellarischer Form als auch in   lokale Anpassung vertieft werden und gleich-
     bereiche nachhaltig zu stärken. Zum          grafischen Kartenwerken möglich.            zeitig eine Akzeptanz für das WBK geschaffen
     anderen beinhaltet das WBK einen Teil,                                                   werden. Die Arbeitsschritte wurden dabei auf
                                                                                              einer psychologischen Ebene evaluiert, sodass
     der das Potenzial für den Biotopver-                                                     als zusätzliches Ergebnis auch Empfehlungen
     bund aufzeigt und den Schutz der Insek-                                                  für Kommunikationskonzepte zur zukünftigen
     ten und anderen Tier- sowie Pflanzen-         Wissenswert!
                                                                                              Erarbeitung von Wege-Konzepten abgeleitet
     art entlang von Wegen optimiert. Laut                                                    werden können (siehe Kap. 5).
                                                   Das Wegenetz liegt in Niedersachen
     BNatSchG § 2 Abs.4 gilt:                      in der Regel im Besitz der öffent-
                                                   lichen Hand und die Kommunen

     §        „Bei der Bewirtschaftung von
              Grundflächen im Eigentum oder
              Besitz der öffentlichen Hand sol-
     len die Ziele des Naturschutzes und der
                                                   verwalten es eigenverantwortlich.
                                                   Im südöstlichen Niedersachsen, vor
                                                   allem im Göttinger Raum und im
                                                   Braunschweigischen, gehören die
     Landschaftspflege in besonderer Weise         Wege hingegen Privatpersonen, die
     berücksichtigt werden.“                       das Wegenetz in Realverbänden
                                                   organisiert unterhalten.
     Neben den Informationen zu den Wegen
     und deren Wegeseitenräumen wurden
20
Bestandsaufnahme des Wegenetzes

Lokales Expertengremium erartbeitet Entwurf, beteiligt:

  Bürgerdialogportal zur Beteiligung der Bevölkerung

                                                          21
4.1 Die Wirtschaftswege                    die Unterhaltungskosten sinken. Dies ist   Zusätzlich wird im WBK auf mögliche
     Bei der Bestandserfassung des Wege-        im WBK für Rehburg-Loccum erfolgreich      Abkürzungsverkehre hingewiesen, um
     netzes der W i N-Modellregion wurde        durchgeführt worden, sodass hier zu-       diese in der Zukunft zu vermeiden. Vie-
     die aktuelle Situation hinsichtlich der    künftig die Länge der Hauptwirtschafts-    lerorts ergibt sich die Situation, dass
     Befestigung und des Zustandes der          wege von 60,4 km auf 55,4 km reduziert     Wirtschaftswege in hoher baulicher
     Wege erfasst. Diese bildete die Grundla-   wird. Zudem wurden einige Wege als         Qualität parallel zum klassifizierten
     ge für eine konzeptionelle Betrachtung,    Optionswege eingestuft. Optionswe-         Straßennetz verlaufen. Dadurch wer-
     bei der die Wege in sechs verschiedene     ge sind Wegeflächen, die nicht mehr        den diese Wegeverbindungen durch
     Kategorien eingeteilt wurden.              als Wege genutzt werden sowie Wege,        PKW-Verkehr in Anspruch genommen,
                                                die Einzelinteressen dienen und auf die    da sie entweder vom Navigationsgerät
     Vorteile                                   die Allgemeinheit zukünftig verzichten     als Abkürzung angezeigt werden, oder
     Durch das WBK lässt sich das Wege-         kann.                                      ortskundige Personen diese als tägliche
     netz insofern optimieren, als dass die                                                Verbindungswege nutzen. Dies birgt
     Wegekategorien neu eingestuft wer-         Grundsätzlich müssen alle Flurstücke       vielfältige Nachteile, da es zu Konflikten
     den. Der Aufwand für die betriebliche      über eine Zuwegung verfügen, diese         zwischen den Wegenutzern wie Land-
     Unterhaltung und die bauliche Erhal-       muss aber nicht zwangsläufig über die      wirtschaft, Tourismus und Naherholung
     tung der Wirtschaftswege orientiert        kürzeste Strecke verlaufen: Umwege         und dem Abkürzungsverkehr kommt.
     sich anschließend an der Einstufung.       sind zumutbar. Daher besteht die Mög-      Gleichzeitig stellt der Abkürzungsver-
     Ortsverbindungen haben eine hohe           lichkeit, auch die Brückenbauwerke kri-    kehr auch eine Gefährdung des Natur-
     Priorität, die über Haupt- und Anlieger-   tisch auf einen möglichen Verzicht zu      raums dar, da Tier- und Pflanzenarten
     wirtschaftswege bis zu untergeordneten     überprüfen. Gerade die Instandhaltung      erheblich beeinträchtigt werden kön-
     Wegen sowie Wald- und Wiesenwe-            und Erneuerung von Brückenbauwer-          nen.
     gen abnimmt. Wenn die Örtlichkeiten        ken verursacht einen erheblichen Teil
     es zulassen, kann bspw. die Länge der      der Unterhaltungskosten. Der zukünfti-
     Ortsverbindungen oder der Hauptwirt-       ge Verzicht einzelner Brückenbauwerke
     schaftswege reduziert werden, wodurch      bietet ein enormes Einsparpotenzial.
22
Abb. 11: Wenn Wege eine so hohe Verkehrsbedeutung zwischen Ortschaften aufweisen, gehören sie zur Kategorie 1 Ortsverbindung. Kategorie 2
sind die Hauptwirtschaftswege. Neben der Erschließung von Grundstücken bilden sie das Kernwegenetz und dienen dem Verkehr innerhalb des
Außenbereichs. Zu der Kategorie 3 gehören die Anliegerwirtschaftswege, die eine Anbindungsfunktion ohne starke Verkehrsbedeutung für private
Grundstücke aufweisen. Alle Fotos: Ge-Komm GmbH

 1)                                             2)                                               3)

4)                                              5)                                               6)

Abb. 12: Untergeordnete Wirtschaftswege der Kategorie 4 dienen der Erschließung einzelner Grundstücke, wobei sie überwiegend für den land- und
fortwirtschaftlichen Verkehr von Belang sind. Die Kategorie 5 umfasst die Wald- und Wiesenwege, die keine Verkehrsbedeutung haben, aber der
Naherholung und dem Tourismus dienen können. Bei der Kategorie 6 handelt es sich um Optionswege, die in der Örtlichkeit nicht mehr vorhanden
sind oder zukünftig aufgegeben werden können. Alle Fotos: Ge-Komm GmbH

                                                                                                                                                 23
Abb. 13: Gemäß dem Motto „Eine Bürgerbeteiligung braucht neue, zeitgemäße Wege“ wurde im Projekt ein modernes GIS-gestütztes Bürgerdialog-Portal
     eingesetzt. Damit kann die moderne Beteiligungskultur für komplexe Zusammenhänge im Bereich der ländlichen Wegenetzkonzepte nachhaltig gestärkt
     werden. Das Portal wurde von der Fachfirma Gesellschaft für kommunale Infrastruktur I Ge-Komm GmbH entwickelt. Die Bürger*innen können sich so
     umfassend online über das Vorhaben informieren und das Vorhaben kommentieren. Quelle: Ge-Komm GmbH

24
Auf Grundlage einer fundierten Bestands-    vertreter*innen. Ziel war es, den Bedarf
analyse wurde durch die Projekt-            zu ermitteln und die Wege nach zukünf-
bearbeiter*innen ein SOLL-Konzept für       tiger Nutzung und Wichtigkeit in Katego-
die zukünftige Wegenetzgestaltung im        rien einzustufen sowie Lösungen für den
Entwurf erarbeitet. Mit Hilfe einer brei-   Biotopverbund zu finden.
ten Beteiligung der Bürger*innen als
Hauptnutzer*innen der Wirtschaftswe-        Bei dieser Arbeit half die umfassend ein-
ge konkretisiert und weiterentwickelt.      gesetzte Digitaltechnik. Alle Wirtschafts-
Begleitet wurde der Erarbeitungsprozess     wege wurden befahren, fotografiert und
durch eine interne Arbeitsgruppe aus        die Daten anschließend in ein GIS-Sys-
lokalen Expert*innen und Interessens-       tem übertragen. Mit Hilfe dieser Grund-
                                            lage konnten die ersten Entwürfe für das
                                            Wirtschaftswege- und Biotopverbund-          Abb. 14: Mit Hilfe eines geländegängigen Fahr-
  Wissenswert!                              konzept erarbeitet werden. Das Einfü-        zeuges wurden alle Wirtschaftswege erfasst, be-
  Ein digitales Beteiligungs-Portal gibt    gen der Ergebnisse in ein Bürger-Dia-        wertet und in einem regelmäßigen Abstand von
                                                                                         50 m fotografiert. Foto: Ge-Komm GmbH
  umfassende Auskunft und ermög-            logportal ermöglichte eine umfassende
  licht eine Kommentierung rund um          Beteiligung an der Thematik.
  die Uhr (24/7). So wird der zeit-
  liche Aufwand einer telefonischen,        Die Stadt Rehburg-Loccum verfügt nun
  schriftlichen oder persönlichen Be-       über einen digitalen „Schatz“, der sich
  ratung seitens der Verwaltung ver-        in der Zukunft sehr leicht fortschreiben
  ringert und die Bürger*innen ohne         und an Veränderungen anpassen lässt.
  Mehraufwand mit einbezogen.

                                                                                                                                           25
Handlungsempfehlungen                     wenn ein Weg einen Sanierungsbedarf    Gerade Abkürzungsverkehre lassen sich
     Durch die Einstufung der Wirtschafts-     aufweist.                              über die Wahl der Deckschicht sinnvoll
     wege in Kategorien können die Unter-                                             lenken. Oftmals führt eine wasserge-
     haltungshandlungen priorisiert werden.                                           bundene Deckschicht dazu, dass diese
     Im Idealfall entstehen so Einsparpoten-    Wissenswert!                          Streckenabschnitte vom PKW-Verkehr
     ziale. Für Ausbaustandards, Wegebrei-      Die Vorteile von Deckschichten ohne   gemieden werden. Sollte die Örtlich-
     ten und Befestigungsarten gibt es zu-      Bindemittel sind:                     keit keine DoB zulassen, könnte man die
     dem allgemein anerkannte Regeln der        • für instabile Untergründe geeig-    Einfahrten in die Abkürzung zumindest
     Technik (DWA 2016). Ergänzend dazu          net, da einfachere Instandhaltung    für eine kurze Strecke mit einer was-
     sieht das WBK für untergeordnete Wirt-     • besonders lange Lebensdauer bei     sergebunden Decke ausstatten oder
     schaftswege nicht zwingend eine bitu-       optimaler Unterhaltung               alternativ durch bauliche Gestaltungen
     minöse Befestigung vor. Eine kosten-       • geringe Störung des Landschafts-    wie Sperrpfosten, Schranken oder Fahr-
     günstigere Alternative kann bspw. eine      bildes                               bahnschweller den Verkehr bedarfsge-
     Deckschicht ohne Bindemittel (DoB)         • geringer Versiegelungsgrad          recht lenken.
     darstellen, da neben den Herstellungs-     • hohe Multifunktionalität
     kosten insbesondere auch die Kosten        • vergleichsweise niedrige Herstel-   Werden im Konzept Optionswege aus-
     für erforderliche Unterhaltungsarbei-       lungskosten                          gewiesen, bieten sich hier mehrere
     ten berücksichtigt werden müssen.          • hohe Versickerungsfähigkeit         Möglichkeiten an. Die nicht mehr be-
     Solche wassergebundenen Wege sind          • geringes Aufheizen der Fahrbahn     nötigten Wege im Gemeindeeigentum
     für hohe Achslasten, aber nicht primär     • können gezielt zur Verkehrs-        könnten privatisiert bzw. auf Dritte zu
     für schnellen Verkehr geeignet. Sie         lenkung eingesetzt werden            übertragen werden. Alternativ ist die
     eignen sich bei entsprechend kleinen       (Quelle: Ge-Komm GmbH)                Variante einer Verpachtung zu prüfen.
     Korngrößen in der Deckschicht auch als                                           Diese Verfahren lassen hohe Einspar-
     Rad- und Wanderwege. Grundsätzlich                                               potentiale für die Zukunft erwarten.
     sollte über einen Wechsel der Befesti-                                           Idealerweise sollte die Fläche für eine
     gungsart erst dann entschieden werden,                                           ökologische Aufwertung genutzt wer-
26
den. Hierbei ist zu prüfen, ob eine Auf-    4.2 Der Biotopverbund                     die Hälfte aller Pflanzenarten Deutsch-
wertung an Ort und Stelle erfolgt, oder     Die Landwirtschaft hat über viele Jahr-   lands kommt auf Wiesen oder Weiden
die Fläche in Absprache mit den anlie-      hunderte hinweg „durch die verschie-      vor. Daher muss der Erhalt einer hohen
genden Flächennutzern sinnvoll verlegt      denen Bewirtschaftungsformen zu einer     Biodiversität im Grünland als eines der
werden kann. Grundsätzlich besteht die      diversen Kulturlandschaft mit neuen       Hauptziele des Naturschutzes angese-
Möglichkeit, auf diesen Flächen oder auf    charakteristischen Lebensräumen und       hen werden (van de Poel & Zehm 2014:
Wegeseitenräumen allgemein Kompen-          einer dazugehörigen bedeutsamen           37). Auch Wegraine können prinzipiell
sationsflächen für die Bauleitplanung       Artenvielfalt geführt“ (Stommel et al.    als Grünland beschrieben werden mit
der Stadt, z. B. in Form eines Ökokontos,   2018: 1). Das Grünland kann dabei als     dem Unterschied, dass es nicht als Wei-
geltend zu machen. Dafür sollten jedoch     einer der wertvollsten vom Menschen       de oder Wiese flächig angelegt wurde,
bestimmte Kriterien berücksichtigt wer-     geschaffenen Lebensräume beschrie-        sondern sich linear entlang der Wege
den (Peters & Gännslen 2020: 82f.).         ben werden (BfN 2014: 20ff.). Mehr als    durch die Landschaft zieht.

                                                                                      Jedoch ist nicht jeder Wegrain iden-
                                                                                      tisch. Je nach Lage im Raum, Beschaf-
    Wissenswert!                                                                      fenheit des Bodens, Pflegeregime sowie
    Soll auf der Fläche von Optionswegen oder auf der Fläche der Wegeseiten-          Funktion und Ausbauweise des Wirt-
    räume Kompensation für die Bauleitplanung umgesetzt werden, sollten               schaftsweges können die Wegraine er-
    zwingend folgende Kriterien beachtet werden:                                      heblich in ihrer Ausgestaltung variie-
    • eine Mindestbreite des Wegeseitenraums von 2 Metern, da ansonsten die           ren. Ganz grundsätzlich kann man zur
     randlichen Störeinflüsse überwiegen                                              Übersicht zunächst in drei Hauptklassen
    • ein ökologisches Aufwertungspotenzial einer Maßnahme, welches über              unterscheiden: Wege mit Grünland,
     eine sukzessive Entwicklung bei Nichtpflege der Wegeseitenräume hinaus-          Wege mit Gräben und Wege mit Ge-
     geht                                                                             hölzstrukturen. Diese Formen mischen
    • ein langfristiges, aber fortschreibbares Pflegekonzept                          sich jedoch meist, da bspw. ein Wege-
                                                                                      seitenraum mit einer Baumreihe unter-
                                                                                                                                27
räume nicht mehr wie früher beweidet
                                                                                                    werden, hat sich die Praxis der groß-
                                                                                                    flächigen Mulchmahd durchgesetzt.
                                                                                                    Eine solche Technik bedeutet, dass das
                                                                                                    Pflanzenmaterial abgeschlegelt und vor
                                                                                                    Ort zerkleinert wird, um anschließend
                                                                                                    auf der Fläche zu verbleiben.

                                                                                                    Um eine blütenreiche Pflanzengesell-
                                                                                                    schaft zu etablieren, ist stattdessen
                                                                                                    eine angepasste Pflege notwendig. Er-
                                                                                                    gänzend zu den vielerorts fehlenden
                                                                                                    Pflegekonzepten ist festzustellen, dass
                                                                                                    Wegeseitenräume teilweise auch fremd
                                                                                                    genutzt werden. Formen der Fremd-
     Abb. 15: Wegraine, Hecken, Baumreihen und                                                      nutzung können dabei sein: Nutzung
     Feldgebüsche gliedern und beleben die Land-        Aktuelle Defizite in Bezug auf Wegraine     als Ackerfläche, Ablage von Siloballen,
     schaft. Durch die Strukturvielfalt steigert sich   Damit ein Grünland Arten- und Struk-        unnötig breite Fahrspuren, Parkbuchten
     die touristische Attraktivität einer Region, und
     gleichzeitig finden sich hier die Hot-Spots der
                                                        turreich bleibt, muss es regelmäßig ge-     oder die Entsorgung von Grünabfällen.
     Biodiversität. Foto: S. Zieger/LPV Göttingen       pflegt bzw. bewirtschaftet werden. Je       Hier gilt es, eine Sensibilität sowohl auf
                                                        nach Bewirtschaftungsform kann dieser       Seiten der Flächeneigentümer als auch
                                                        Eingriff jedoch auch negative Folgen für    bei den Bewirtschaftern der angrenzen-
     halb der Gehölze ebenfalls Grünland                den Erhalt der Biodiversität haben. Da es   den Flächen herzustellen, um zukünftig
     aufweist oder ein Graben in ein Grün-              so gut wie keine kleinbäuerlichen Neben-    die Fremdnutzung zu unterbinden und
     land übergeht.                                     erwerbsstrukturen oder Subsistenzwirt-      den Raum für den Naturschutz zu nutzen.
                                                        schaften mehr gibt und die Wegeseiten-
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Ein Netz aus Wegen
                                                       Die Wege durchziehen die Landschaft            Wissenswert!
                                                       wie ein Netz. Wenn sich die Wegesei-           Über sogenannte Geoinforma-
                                                       tenräume in einem guten Zustand be-            tionssysteme (GIS) können auch
                                                       finden, können sie einen Beitrag zum           Bürger*Innen überprüfen, wie breit
                                                       Biotopverbund leisten. Im WBK für Reh-         Wegeparzellen laut Katasteramts-
                                                       burg-Loccum wurde mit Hilfe des Land-          grenzen sein müssen. Die digitale
                                                       schaftsrahmenplans (LRP) und dem da-           und kostenlose Broschüre des BUND
                                                       zugehörigen Kartenmaterial ermittelt,          gibt dazu detaillierte Erläuterungen
                                                       wo im Stadtgebiet die wertvollen Bioto-        über das Vorgehen (BUND 2014:
                                                       pe, Naturschutzgebiete und Achsen für          14f.).
                                                       den überregionalen Biotopverbund lie-
                                                       gen (Peters et al. 2020: 57ff. sowie Karte
                                                       5.2). Diese Daten wurden mit den digita-
Abb. 16: Vorteile einer Mulchmahd sind die hohe        lisierten Wegeseitenräumen verschnit-        nahmen in Abhängigkeit von der Wege-
Arbeitseffizienz und die Möglichkeit, je nach einge-   ten und so diejenigen Wegeseitenräume        kategorisierung darstellt. Von Beginn an
setztem Mulchgerät, auch größere verholzte Pflanzen    ermittelt, die von ihrer Beschaffenheit      wurden einerseits die Wirtschaftlichkeit
mit zu verarbeiten. Wesentliche Nachteile sind, dass
Mulcher einen erheblichen Eingriff darstellen und      her für den Verbund von Biotopen und/        in der Unterhaltung des Wegenetzes
die meisten Tiere und vor allem Insekten den Einsatz   oder für den überregionalen Biotopver-       und andererseits der Nutzen für den
nicht überleben. Kurze Mahdintervalle führen dazu,     bund von besonderer Bedeutung sind.          Naturschutz, Tourismus und der Anlie-
dass viele Blütenpflanzen nicht mehr aussamen kön-     Zukünftig soll das Augenmerk der Stadt-      ger kombiniert betrachtet. Dadurch war
nen, die Mulchddecke vielen Blütenpflanzen das Licht
nimmt, sich Nährstoffe auf den Flächen anreichern      verwaltung in besonderer Weise auf           es möglich, viele Interessen zu bündeln
und in der Konsequenz schnellwüchsige Gräser den       diesen Wegen liegen, um den lokalen          bzw. auszugleichen, indem man bspw.
Bestand dominieren und die Artenvielfalt somit ab-     wie regionalen Biotopverbund zu stär-        den Biotopverbund dort stärkte, wo die
nimmt. Foto: O. Anderßon/Landkreis Lüneburg            ken. Dazu wurde ein Kartenwerk erstellt,     Landwirtschaft gut auf Wege verzichten
                                                       das passgenau die Revitalisierungsmaß-       konnte.
                                                                                                                                               29
Da die Wegeseitenräume in der W i N-
                                                                                   Modellregion Rehburg-Loccum nicht
                                                                                   flächendeckend in einem ökologisch
     Wissenswert!                                                                  wertvollen Zustand sind, wurden im
     Artenreiche und vielgestaltige Wegraine erfüllen vielfältige (Ökosystem-)     Zuge des WBK Maßnahmen entwickelt,
     Funktioen mit einem hohen Nutzen für Mensch und Natur: Wegraine…              wie die Wegeseitenräume revitalisiert
     • bieten eine dauerhafte Vegetationsdeckung und helfen bei der Vermei-        werden können. Die Umstellung der
      dung von Erosion.                                                            Pflegeregimes führt ebenfalls zu einer
     • sind potenzieller Lebensraum für zahlreiche Tiere und Pflanzen, bspw.       Verbesserung des Zustandes, wobei
      Niederwild und Vögel, sowie Sommerlebensraum und Überwinterungsha-           die Aushagerung durch das Abräumen
      bitate für Insekten.                                                         des Mahdgutes mehrere Jahre bis Jahr-
     • sind Rückzugsraum für Tiere nach der Ernte auf umliegenden Flächen.         zehnte dauern kann. Alternativ können
     • strukturieren unsere Kulturlandschaft.                                      in Abhängigkeit von der Lage im Raum,
     • verbinden Lebensräume vieler Tierarten und sind so ein wichtiger Teil des   der Breite, der Ausgestaltung und der
      regionalen Biotopverbundes.                                                  Wegekategorie verschiedene Maßnah-
     • reinigen die Luft und schützen den Weg vor Staub- und Schneeverwehun-       men umgesetzt werden, um den Wege-
      gen, wenn der Wegrain von Hecken und Bäumen gesäumt wird, die den            seitenraum für den Biotopverbund kurz-
      Wind bremsen.                                                                fristiger aufzuwerten:
     • helfen bei der Schädlingsregulierung auf angrenzenden Flächen.
     • haben eine Pufferfunktion für Nährstoffe und Pflanzenschutzmittel beim      • Erhöhung des Blühaspektes (durch
      Übergang zu natürlichen Biotopen.                                              Abschieben des Oberbodens, Einsaat
     • regulieren den Abfluss des Oberflächenwassers.                                von RegioSaatgut oder einer Mahdgu-
                                                                                     tübertragung)
                                                                                   • Anlage von Alleen oder Baumreihen
                                                                                   • Anlage von Hecken
                                                                                   • Aufwertung von Hecken
30                                                                                 • Anlage von Gewässerrandstreifen
Ergänzend besteht die Möglichkeit, im      Insektenfauna sind, sollten in der Praxis           des Mahdgutes umgestellt, müssen je
Zuge der Planung eines WBK die Fläche      unterschiedliche Wege (oder ggf. Wege-              nach Standorteigenschaften und natur-
des Wegeseitenraums auch quantitativ       abschnitte) abweichend gepflegt wer-                schutzfachlichen Zielen der Zeitraum
aufzuwerten. Dies ist möglich, wenn        den, um ein heterogenes vielgestaltiges             und die Häufigkeit der Mahd bestimmt
aufgrund der Wegekategorie Options-        Mosaik an verschiedenen Wegeseiten-                 werden. Um eine hohe Praktikabilität
weg ganze Wegeparzellen geschlossen        räumen zu erzielen. Ist die Mahdtechnik             zu erzielen, sollten die Flächen in einen
werden, weitere Flächen der öffentli-      einmal auf eine naturverträglichere Va-             extensiven und einen intensiven Pflege-
chen Hand in unmittelbarer Nähe zur        riante mit Messerbalken und Abräumen                bereich unterteilt werden.
Verfügung stehen oder im Rahmen der
Konzeptionierung ein Flächentausch mit
privaten Eigentümern sinnvoll ist.

Auf die richtige Pflege kommt es an
Bei der Pflege von Wegeseitenräumen
lassen sich drei Hauptziele definieren:
(1) Blütenvielfalt als Nahrungsquelle
für Insekten, (2) Larvenentwicklung von
Insekten sowie Grasnester bzw. über
den Winter erhaltene Strukturen zur
(3) Überwinterung. Diese Ziele werden
jeweils durch einen unterschiedlichen
Mahdzeitraum und eine unterschied-
liche Mahdhäufigkeit erreicht. Zu-
sätzlich spielt die Mahdtechnik eine        Abb. 17: Grundsätzlich sollten alle Wege einen extensiven und einen intensiven Pflegebereich unter-
entscheidende Rolle. Da alle Ziele glei-    teilt werden. Im extensiven Bereich kann ökologisch gemäht gepflegt werden, während der „Intensiv-
chermaßen wichtig für den Erhalt der        bereich“ aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht regelmäßig gekürzt wird. Foto: Ge-Komm GmbH
                                                                                                                                                  31
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