Wettbewerbsneutralität öffentlicher Unternehmen als Aktiengesellschaften
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Wettbewerbsneutralität öffentlicher Unternehmen als Aktiengesellschaften AJP/PJA 7/2020 Wettbewerbsneutralität öffentlicher Unternehmen 887 als Aktiengesellschaften Pflichten und Instrumente zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen Phil Baumann* Roman S. Gutzwiller** Ein wesentlicher Teil der privatwirtschaftlichen Staatstätigkeit erfolgt Une part importante de l’activité étatique dans l’économie privée durch öffentliche Unternehmen in Form von Aktiengesellschaften. Da- s’exerce par le truchement d’entreprises publiques prenant la forme de bei stellt sich die Frage, inwieweit der Verwaltungsrat und das Träger- sociétés anonymes. Dans ce cadre, l’on doit se demander dans quelle gemeinwesen dazu verpflichtet sind, die Wettbewerbsneutralität des mesure le conseil d’administration et la collectivité responsable sont öffentlichen Unternehmens sicherzustellen, und welches Instrumenta- tenus d’assurer la neutralité concurrentielle de l’entreprise publique rium ihnen hierfür zur Verfügung steht. Der Aufsatz zeigt auf, dass et quels sont les instruments à disposition pour y parvenir. L’article der Verwaltungsrat für ein wettbewerbsneutrales Verhalten innerhalb démontre que, lors de l’exercice de l’activité dans le secteur privé, le der privatwirtschaftlichen Tätigkeit nur insoweit zu sorgen hat, als die conseil d’administration ne doit assurer un comportement neutre en einschlägigen rechtlichen Vorgaben auf das eigene Unternehmen An- termes de concurrence que lorsque les prescriptions légales pertinentes wendung finden. Auf Seiten des Trägergemeinwesens besteht demge- s’appliquent à l’entreprise en tant que telle. La collectivité responsable, genüber eine umfassende Pflicht zur Vermeidung von Wettbewerbsver- en revanche, a une obligation générale de prévenir les distorsions de zerrungen. Das Trägergemeinwesen verfügt zudem über weitgehende concurrence. Elle dispose par ailleurs de nombreuses possibilités de Steuerungsmöglichkeiten, die zu diesem Zweck eingesetzt werden contrôle qu’elle peut mobiliser à cette fin. Il existe toutefois le risque können. Allerdings besteht die Gefahr, dass von diesem Instrumenta- qu’elle ne fasse pas suffisamment usage de ces instruments ou les em- rium in unzureichender und uneinheitlicher Weise Gebrauch gemacht ploie de manière incohérente. wird. Inhaltsübersicht I. Einleitung I. Einleitung II. Überblick über potenzielle Wettbewerbsverzerrungen Der Staat handelt unternehmerisch, wenn er unter Anwen- III. Pflichten des Verwaltungsrates zur Sicherstellung der Wettbewerbsneutralität dung von ökonomischen Arbeitsmethoden marktfähige A. Allgemeines Produkte und Dienstleistungen am Markt anbietet, die B. Umfang von Dritten erworben werden können.1 Die unternehme- 1. Verfassungsrechtliche Vorgaben rische Betätigung staatlicher Akteure kann einerseits im 2. Gesetzliche Vorgaben 3. Vorgaben aus Reputationsgründen Rahmen der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, anderer- C. Instrumentarium seits aber auch ausserhalb öffentlicher Aufgabenbereiche D. Verantwortlichkeit erfolgen. Im letzteren Fall liegt eine privatwirtschaftliche IV. Steuerungsmöglichkeiten des Trägergemeinwesens Staatstätigkeit vor.2 Die staatliche Wirtschaftstätigkeit zur Sicherstellung der Wettbewerbsneutralität A. Steuerungsinstrument Ermächtigungs- und wird zu einem überwiegenden Teil durch öffentliche Un- Organisationserlass B. Steuerungsinstrument Leistungsauftrag C. Aktionärsrechtliche Steuerungsinstrumente 1 René A. Rhinow/Gerhard Schmid/Giovanni Biaggini/Felix 1. Festlegung des Tätigkeitsbereichs Uhlmann, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2. A., Basel 2011, § 18 2. Besetzung des Verwaltungsrates und Einflussnahme N 10; Walter A. Stoffel, Wettbewerbsrecht und staatliche auf die Zusammensetzung der Geschäftsleitung Wirtschaftstätigkeit, Habil. Freiburg 1994, 9; Felix Uhlmann, 3. Drohung mit bzw. Wahrnehmung von Sanktions Gewinnorientiertes Staatshandeln: Möglichkeiten und Zulässigkeit möglichkeiten gewinnorientierter staatlicher Eigenbetätigung aus wirtschaftsver- D. Steuerungsinstrument Eignerstrategie fassungsrechtlicher Sicht, Diss. Basel 1997, 19. V. Fazit 2 Vgl. ausführlich zur Herleitung des Begriffs der privatwirtschaft- lichen Staatstätigkeit Phil Baumann, Wettbewerbsverzerrun- gen durch privatwirtschaftliche Staatstätigkeit, Diss. Luzern, Zürich/Basel/Genf 2019, N 35 ff. Nach wohl h.L. wird der pri- vatwirtschaftlichen Staatstätigkeit allerdings die unternehmeri- sche Staatstätigkeit im Monopolbereich gegenübergestellt (Beat * Phil Baumann, Dr. iur., LL.M., Rechtsanwalt, Oberassistent an Krähenmann, Privatwirtschaftliche Tätigkeit des Gemeinwesens, der Universität Luzern, Zürich. Diss. Basel, Basel/Frankfurt a.M. 1987, 122; Rhinow/Schmid/ ** Roman S. Gutzwiller, Dr. iur. HSG, MBA (HEC Paris), Rechts- Biaggini/Uhlmann [FN 1], § 18 N 38; vgl. auch Peter Hänni/ anwalt, Habilitand und Lehrbeauftragter an der Universität St. Gal- Andreas Stöckli, Schweizerisches Wirtschaftsverwaltungsrecht, len, Winterthur. Bern 2013, N 1715). Buch_AJP 7_2020.indb 887 18.06.20 14:56
Phil Baumann/Roman S. Gutzwiller AJP/PJA 7/2020 888 ternehmen vorgenommen.3 Dabei werden öffentliche Un- bewerbsneutralität verlangt dabei, dass die privatwirt- ternehmen häufig hybrid aktiv, indem sie sich neben der schaftliche Tätigkeit der öffentlichen Unternehmen zu den Erfüllung öffentlicher Aufgaben auch privatwirtschaftlich für die privaten Konkurrenten geltenden Wettbewerbs- betätigen.4 Aus verschiedenen Gründen weisen die öffent- bedingungen erfolgt.9 Rechtliche oder faktische Privile- lichen Unternehmen oftmals die Rechtsform der Aktien- gierungen der privatwirtschaftlichen Staatstätigkeit sind gesellschaft auf (so sind gemäss einer neueren Umfrage folglich zu unterbinden.10 Allerdings ist die privatwirt- beispielsweise rund drei Viertel der kantonalen und kom- schaftliche Staatstätigkeit systemimmanent mit mehreren munalen Energieunternehmen als Aktiengesellschaften potenziellen Wettbewerbsverzerrungen verbunden.11 Die konstituiert5).6 Für die Zwecke des vorliegenden Bei- staatliche Beherrschung von öffentlichen Unternehmen trags wird das Untersuchungsobjekt sowie der hier ver- sowie deren hybride Tätigkeit führen regelmässig zu spe- wendete Begriff des öffentlichen Unternehmens deshalb zifischen Wettbewerbsvorteilen gegenüber der privaten auf Aktiengesellschaften eingegrenzt, die öffentlich be- Konkurrenz, insbesondere in Form von Finanzierungs-, herrscht werden und/oder öffentliche Aufgaben erfüllen.7 Verbund-, Informations- und Steuervorteilen sowie Quer- Dabei kann es sich sowohl um ordentliche als auch um subventionierungen.12 gemischtwirtschaftliche oder spezialgesetzliche Aktien- Für den Verwaltungsrat von öffentlichen Unterneh- gesellschaften handeln. men (im hier verwendeten Sinne von Aktiengesellschaf- Gemäss herrschender Lehre und Rechtsprechung ist ten, die öffentlich beherrscht sind oder öffentliche Aufga- es grundsätzlich zulässig, dass öffentliche Unternehmen ben erfüllen) stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, privatwirtschaftlich tätig werden. Allerdings muss diese wie er als Leitungs- und Aufsichtsorgan der Aktiengesell- privatwirtschaftliche Staatstätigkeit auf einer gesetzli- schaft mit dieser Problematik umgeht. Jedoch ist nicht chen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen nur der Verwaltungsrat eines öffentlichen Unternehmens sowie verhältnismässig und wettbewerbsneutral ausge- in dieser Hinsicht gefordert. Dessen Trägergemeinwesen staltet sein.8 Die zuletzt genannte Voraussetzung der Wett- steht in der Pflicht, Wettbewerbsverzerrungen im privat- wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich des öffentlichen Unter- nehmens zu unterbinden. 3 Hänni/Stöckli (FN 2), N 1698; Rhinow/Schmid/Biaggini/ Der vorliegende Beitrag bietet zunächst einen kurzen Uhlmann (FN 1), § 18 N 13. Überblick über die Wettbewerbsverzerrungen, die bei pri- 4 Ein illustratives Beispiel hierzu bietet die Schweizerische Post, die vatwirtschaftlichen Tätigkeiten von öffentlichen Unter- neben unternehmerischen Dienstleistungen der Grundversorgung mit Postdiensten (öffentlicher Aufgabenbereich) diverse Papeterie- nehmen auftreten können (II.). Als Nächstes wird analy- und Kioskartikel in ihren Filialen anbietet (privatwirtschaftliche siert, inwiefern den Verwaltungsrat eine Pflicht trifft, für Tätigkeit). eine wettbewerbsneutrale privatwirtschaftliche Tätigkeit 5 Stephan Vaterlaus/Patrick Zenhäusern/Cornel Kauf- des als Aktiengesellschaft konstituierten öffentlichen Un- mann/Heike Worm, Staat und Wettbewerb: Institutionelle und wettbewerbliche Aspekte bei kantonalen und kommunalen Unter- nehmen, Bern 2017, 29. 6 Vgl. Peter Hettich, Öffentliche Unternehmen: Einführung in die 9 BGE 138 I 378 E. 9.1; vgl. dazu BSK BV-Uhlmann, Art. 27 N 67, sich stellenden Rechtsfragen, in: Peter Hettich (Hrsg.), Öffentliche in: Bernhard Waldmann/Eva Maria Belser/Astrid Epiney (Hrsg.), Unternehmen zwischen Politik und Markt, St. Gallen 2009, 9 ff., Bundesverfassung, Basler Kommentar, Basel 2015 (zit. BSK BV- 13; ferner Roman S. Gutzwiller, Die Einflussmöglichkeiten des Verfasser), wonach Staats- und Privatwirtschaft jedoch nicht identi- Staates auf die Strategie einer Aktiengesellschaft mit staatlicher schen Bedingungen unterliegen müssen. Beteiligung, Diss. St. Gallen, Zürich/St. Gallen 2017, N 4; vgl. zu 10 Hänni/Stöckli (FN 2), N 1720; Rhinow/Schmid/Biaggini/ den Gründen Andreas Lienhard, Staats- und verwaltungsrechtli- Uhlmann (FN 1), § 18 N 106; vgl. auch Yvo Hangartner, Der che Grundlagen für das New Public Management in der Schweiz, Staat als Unternehmer, in: Rechtswissenschaftliche Abteilung der Habil. Bern 2005, 393. Universität St. Gallen (Hrsg.), Rechtliche Rahmenbedingungen des 7 Vgl. demgegenüber die nun erstmalige gesetzliche Definition öf- Wirtschaftsstandortes Schweiz: Festschrift 25 Jahre juristische Ab- fentlicher Unternehmen im revidierten Art. 3 lit. b des Bundesge- schlüsse an der Universität St. Gallen (HSG), Zürich 2007, 237 ff., setzes vom 16. Dezember 1994 über das öffentliche Beschaffungs- 245 f. wesen (BöB; SR 172.056.1), der per 1. Januar 2021 in Kraft treten 11 Vgl. ausführlich dazu Baumann (FN 2), N 182 ff. wird. 12 Vgl. dazu Bericht des Bundesrates vom 8. Dezember 2017 in Erfül- 8 BGE 138 I 378 E. 6.3.2; Hänni/Stöckli (FN 2), N 1717 ff.; Rhi- lung der Postulate 12.4172 FDP-Liberale Fraktion vom 13. Dezem- now/Schmid/Biaggini/Uhlmann (FN 1), § 18 N 53 ff.; Pierre ber 2012 und 15.3880 Schilliger vom 22. September 2015, Staat Tschannen/Ulrich Zimmerli/Markus Müller, Allgemeines und Wettbewerb: Auswirkungen staatlich beherrschter Unterneh- Verwaltungsrecht, 4. A., Bern 2014, § 10 N 24f; Stefan Vogel, men auf die Wettbewerbsmärkte (zit. Bericht Staat und Wettbe- Der Staat als Marktteilnehmer: Voraussetzungen der Zulässigkeit werb), 9 f., wonach es in der Praxis «kaum vorstellbar» ist, dass wirtschaftlicher Tätigkeit des Gemeinwesens in Konkurrenz zu Pri- keine Wettbewerbsverzerrungen bei privatwirtschaftlicher Staats- vaten, Diss. Zürich 2000, 116 ff. tätigkeit vorliegen. Buch_AJP 7_2020.indb 888 18.06.20 14:56
Wettbewerbsneutralität öffentlicher Unternehmen als Aktiengesellschaften AJP/PJA 7/2020 889 ternehmens zu sorgen, und welches Instrumentarium ihm lichen Tätigkeiten ungerechtfertigt bevorteilt werden.18 dafür zur Verfügung steht (III.). Anschliessend wird auf- Beispielsweise sind gewisse Kantonalbanken, die als gezeigt, welche Steuerungsmöglichkeiten auf Seiten des spezialgesetzliche Aktiengesellschaften organisiert sind, Trägergemeinwesens bestehen, um Wettbewerbsverzer- auf kantonaler Ebene teilweise von der Steuerpflicht rungen seiner öffentlichen Unternehmen zu unterbinden ausgenommen.19 Ebenfalls profitieren gewisse als Akti- (IV.). Schliesslich erfolgt eine zusammenfassende Würdi- engesellschaften konstituierte Elektrizitätsversorgungs- gung der Erkenntnisse (V.). unternehmen in manchen Kantonen von vollständigen Steuerbefreiungen, obwohl sie neben der Erfüllung öf- fentlicher Aufgaben auch privatwirtschaftliche Tätigkei- II. Überblick über potenzielle Wettbe- ten ausüben.20 werbsverzerrungen Informationsvorsprünge können öffentlichen Unter- nehmen einen weiteren ungerechtfertigten Wettbewerbs- Wie einleitend bemerkt, ist die privatwirtschaftliche vorteil verschaffen. Öffentliche Unternehmen verfügen Staatstätigkeit nur zulässig, sofern sie wettbewerbsneutral aufgrund ihrer Staatsnähe, ihrer öffentlichen Aufgaben- ausgestaltet ist. Im Folgenden gilt es kurz die potenziel- bereiche oder infolge personeller Verflechtungen ihrer len Wettbewerbsverzerrungen durch privatwirtschaftliche Leitungsorgane über Zugang zu wettbewerbsrelevanten Staatstätigkeit darzustellen. Informationen, die für Konkurrenten nicht zugänglich Zunächst einmal kann die privatwirtschaftliche Tätig- sind.21 keit öffentlicher Unternehmen von Finanzierungsvortei- Bei hybrid tätigen öffentlichen Unternehmen be- len profitieren. Verfügen öffentliche Unternehmen über steht zudem die Gefahr, dass deren privatwirtschaftliche (implizite oder explizite) Staatsgarantien, stellen sie für Leistungen quersubventioniert werden. Dabei werden ihre Gläubiger ein tieferes Ausfallrisiko dar. Das öffentli- innerhalb des öffentlichen Unternehmens Kosten- oder che Unternehmen kann deshalb Fremdkapital zu tieferen Erlösverlagerungen zu Lasten des öffentlichen Aufgaben- Zinsen aufnehmen als private Unternehmen.13 Beispiels- bereichs vorgenommen, um den privatwirtschaftlichen weise erteilen gewisse Ratingagenturen der Swisscom Unternehmensbereich zu begünstigen.22 Quersubventio- AG ein besseres Kreditrating, weil von einer staatlichen nierungen des privatwirtschaftlichen Bereichs können da- Unterstützung im Krisenfall ausgegangen wird.14 Die bei vom öffentlichen Unternehmen in erster Linie durch Swisscom AG verfügt daher über tiefere Fremdkapital- kosten als private Konkurrenten.15 Offen treten Finan- zierungsvorteile zudem zutage, wenn dem öffentlichen Unternehmen vom Gemeinwesen selbst Kredite zu ver- 18 Capobianco/Christiansen (FN 16), 5; Hangartner (FN 10), günstigten Konditionen gewährt werden.16 Schliesslich 245; Nielsen (FN 13), 59. Neben Steuervorteilen können zudem weitere Regulierungsvorteile für öffentliche Unternehmen beste- sind auch Finanzierungsvorteile auf der Eigenkapitalseite hen (vgl. dazu die Beispiele bei Baumann [FN 2], N 246). zu beachten, die dadurch entstehen, dass das Trägerge- 19 Vgl. umfassend zu den Steuervorteilen der Kantonalbanken meinwesen keine adäquate Verzinsung des Eigenkapitals KPMG, Potenzielle Steuerschuld der Kantonalbanken: Die finan- vom öffentlichen Unternehmen verlangt.17 ziellen Auswirkungen einer Unterstellung der steuerbefreiten Kan- tonalbanken unter die Gewinn- und Kapitalsteuerpflicht im Jahr Weiter können öffentliche Unternehmen durch eine 2016, Zürich 2018, 10. Darüber hinaus bestehen erhebliche Steuer- tiefere oder fehlende Besteuerung ihrer privatwirtschaft- vorteile bei öffentlichen Unternehmen, die als öffentlich-rechtliche Anstalten konstituiert sind (vgl. dazu Baumann [FN 2], N 205 ff., sowie Bericht Staat und Wettbewerb [FN 12], 10). 13 Richard P. Nielsen, Competitive Advantages of State Owned 20 Markus Flatt/Thomas Zindel, Steuerpflicht von Schweizer and Controlled Businesses, Management International Review Energieversorgern: Kantonal geprägte, unterschiedliche Steuer 3/1981, 56 ff., 58; vgl. auch Bericht Staat und Wettbewerb (FN 12), praxen im Kontext dynamischer Entwicklungen im Schweizer 10; Hangartner (FN 10), 245; Karolin Herrmann, Öffentli- Energiemarkt, Aarau 2017, 5. che Unternehmen – Eine ökonomische Analyse kommunaler Wirt- 21 Capobianco/Christiansen (FN 16), 6; Walter A. Stoffel/ schaftstätigkeit, List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik Nicolas Graber, L’assurance incendie et le droit de la concur- 2014, 403 ff., 412 f. rence, in: Alexandra Rumo-Jungo/Pascal Pichonnaz/Bettina Hürli- 14 Bericht Staat und Wettbewerb (FN 12), 11. mann-Kaup/Christiana Fountoulakis (Hrsg.), Une empreinte sur le 15 BVGer, A-7162/2008, 1.2.2010, E. 12.3 und 12.6; vgl. dazu auch Code civil: Mélanges en l’honneur de Paul-Henri Steinauer, Bern OECD, OECD Economic Surveys: Switzerland, Paris 2015, 16. 2013, 839 ff., 853. 16 Antonio Capobianco/Hans Christiansen, Competitive Neu- 22 Ausführlich zum Begriff der Quersubventionierung bei privat- trality and State-Owned Enterprises: Challenges and Policy Op- wirtschaftlicher Staatstätigkeit Phil Baumann, Quersubventio- tions, OECD Corporate Governance Working Papers 1/2011, 6. nierungen bei privatwirtschaftlicher Staatstätigkeit, Jusletter vom 17 Nielsen (FN 13), 57. 9.3.2020, N 5 ff. Buch_AJP 7_2020.indb 889 18.06.20 14:56
Phil Baumann/Roman S. Gutzwiller AJP/PJA 7/2020 890 eine Fehlallokation von Kosten arrangiert werden.23 Dem III. Pflichten des Verwaltungsrates öffentlichen Aufgabenbereich werden Kosten angelastet, zur Sicherstellung der Wettbewerbs- die eigentlich im privatwirtschaftlichen Leistungsbereich neutralität angefallen sind. Besonders schwierig festzustellen sind Quersubventionierungen, die mittels einer Fehlallokation A. Allgemeines von Gemeinkosten vorgenommen werden.24 Bei Gemein- kosten handelt es sich um Kosten, die nicht direkt einem Im System der schweizerischen Aktiengesellschaft sind Produkt zugeordnet werden können.25 Ein Beispiel dafür dem Verwaltungsrat unübertragbare und unentziehba- sind die Lizenzkosten für ein Computerprogramm, das re Kompetenzen zugewiesen; die Kompetenz, welche sowohl vom öffentlichen Aufgabenbereich als auch für die Funktion und die Aufgabe des Verwaltungsrates als privatwirtschaftliche Leistungen eines öffentlichen Un- strategisch-normatives Leitungs- und Aufsichtsorgan der ternehmens verwendet wird. Aktiengesellschaft am deutlichsten hervorhebt, ist jene Von Quersubventionierungen zu unterscheiden sind der Oberleitung der Gesellschaft (Art. 716a Abs. 1 Ziff. 1 Verbundvorteile von öffentlichen Unternehmen. Ver- OR).29 Die Oberleitung umfasst nach dem gesetzgeberi- bundvorteile oder «economies of scope» liegen vor, wenn schen Willen30 und einhelliger Lehre31 die strategische es günstiger ist, zwei oder mehrere Produkte in einem einzigen Unternehmen anstatt getrennt voneinander in 29 Michael Wegmüller, Die Ausgestaltung der Führungs- und Auf- verschiedenen Unternehmen herzustellen.26 Durch die sichtsaufgaben des schweizerischen Verwaltungsrates, Diss. Bern Herstellung im Verbund werden die Ressourcen des öf- 2008, 96, qualifiziert die Oberleitung zu Recht als die «ohne Zwei- fentlichen Unternehmens effizienter genutzt und damit fel […] wichtigste unübertragbare und unentziehbare Aufgabe des Verwaltungsrates». die durchschnittlichen Gesamtkosten der hergestellten 30 Vgl. Botschaft vom 23. Februar 1983 über die Revision des Akti- Produkte reduziert.27 Beispiele hierfür sind Kostenerspar- enrechts, BBl 1983 II 745 ff., 921 f., wonach der Verwaltungsrat nisse, die dadurch entstehen, dass ein Bürogebäude, ein im Rahmen der Oberleitung mit der Entwicklung der strategischen Fuhrpark, eine Website, ein Softwareprogramm oder auch Ziele der Gesellschaft, der Festlegung der für die Zielerreichung notwendigen Mittel und der Kontrolle über die Geschäftsführungs- eine Marke sowohl vom öffentlichen Aufgabenbereich organe im Hinblick auf die Verfolgung der vom Verwaltungsrat als auch vom privatwirtschaftlichen Tätigkeitsbereich ei- festgelegten strategischen Ziele betraut ist. nes öffentlichen Unternehmens genutzt werden. Private 31 Urs Bertschinger, Arbeitsteilung und aktienrechtliche Ver- Anbieter können diese Verbundvorteile nicht realisieren, antwortlichkeit, Zürich 1999, N 138; Peter Böckli, Schwei- zer Aktienrecht, 4. A., Zürich/Basel/Genf 2009, § 13 N 305 ff.; da sie regelmässig vom öffentlichen Aufgabenbereich Hans Caspar von der Crone, Aktienrecht, Bern 2014, § 4 ausgeschlossen sind.28 N 142; Dominik Erny, Oberleitung und Oberaufsicht, Diss. Zü- rich 2000, 124; Peter Forstmoser, Aufgaben, Organisation und Verantwortlichkeit des Verwaltungsrates, ST 2002, 485 ff. (zit. Forstmoser, Aufgaben), 488; Peter Forstmoser, Eingriffe der Generalversammlung in den Kompetenzbereich des Verwal- tungsrates – Möglichkeiten und Grenzen, SZW 1994, 169 ff. (zit. Forstmoser, Eingriffe), 176; Peter Forstmoser, Organisation und Organisationsreglement der Aktiengesellschaft, Zürich/Basel/ Genf 2011 (zit. Forstmoser, Organisation und Organisationsreg- lement), § 8 N 19; Peter Forstmoser/Arthur Meier-Hayoz/ Peter Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, § 30 N 31 und 68; Gutzwiller (FN 6), N 19; Peter R. Isler, Verantwort- lichkeit des Verwaltungsrates für Strategie-Entscheide, in: Rolf H. Weber (Hrsg.), Praxis zum unternehmerischen Verantwortlich- 23 Timothy J. Brennan, Cross-subsidization and cost misalloca- keitsrecht, Zürich 2004, 39 ff., 42; Peter R. Isler/Bertrand G. tion by regulated monopolists, Journal of Regulatory Economics Schott, Die haftungsbefreiende Delegation von Aufgaben des Ver- 2/1990, 37 ff., 40. waltungsrates, in: Peter R. Isler/Rolf Sethe (Hrsg.), Verantwortlich- 24 Vgl. Brennan (FN 23), 40; Michael Fritsch, Marktversagen keit im Unternehmensrecht VIII, Zürich/Basel/Genf 2016, 33 ff., und Wirtschaftspolitik: Mikroökonomische Grundlagen staatlichen 44; Adrian W. Kammerer, Die unentziehbaren und unübertrag- Handelns, 10. A., München 2018, 216. baren Kompetenzen des Verwaltungsrates, Diss. Zürich 1997, 139 25 Vgl. zu den Gemeinkosten Fritsch (FN 24), 216. und 141 ff.; Walter A. Stoffel, Le conseil d’administration et la 26 Vgl. dazu Fritsch (FN 24), 171 f. responsabilité des administrateurs et réviseurs, in: Philippe Ciocca 27 Lucyne Ghazarian, Quersubventionierungen und Verbundvor- (Hrsg.), Le nouveau droit des sociétés anonymes, Lausanne 1993, teile im EU-Beihilferecht unter besonderer Berücksichtigung der 157 ff., 175; BSK OR II-Watter/Roth Pellanda, Art. 716a beihilferechtlichen Zugangsregulierung und Infrastrukturförde- N 4, in: Heinrich Honsell/Nedim Peter Vogt/Rolf Watter (Hrsg.), rung, Diss. Bonn, Berlin 2018, 22. Obligationenrecht II, Basler Kommentar, 5. A., Basel 2016 (zit. 28 Ghazarian (FN 27), 53. BSK OR II-Verfasser); Wegmüller (FN 29), 96; Felix Rolf Buch_AJP 7_2020.indb 890 18.06.20 14:56
Wettbewerbsneutralität öffentlicher Unternehmen als Aktiengesellschaften AJP/PJA 7/2020 891 Führung der Gesellschaft. Zur strategischen Führung ge- folgreichen Überwachung nötigen strukturellen Rahmen hören unter anderem die Auswahl und die Abgrenzung der setzt.39 Geschäftsfelder32 – inklusive des bewussten Entscheides Das Aktienrecht verpflichtet damit den Gesamtver- darüber, welche Geschäftsaktivitäten das Unternehmen waltungsrat, im Rahmen des statutarisch definierten Tä- nicht verfolgen soll33 – sowie die Festlegung des konkre- tigkeitsfeldes der Aktiengesellschaft die wesentlichen ten Wettbewerbsverhaltens in denjenigen Geschäftsfel- Elemente der Strategie festzulegen und sicherzustellen, dern, in denen das Unternehmen aktiv ist. Da es sich bei dass die strategische Ausrichtung der Gesellschaft und der Oberleitung um eine unübertragbare und unentzieh- ihre wesentlichen operativen Abläufe mit der geltenden bare Aufgabe des Verwaltungsrates handelt (Art. 716a Rechtsordnung vereinbar sind. Diese Kompetenzordnung Abs. 1 Ziff. 1 OR), muss dieser eigenständig über die zu gilt auch für öffentliche Unternehmen im hier verstan- verfolgende Strategie entscheiden: Er kann zwar Vorbe- denen Sinne (also Aktiengesellschaften, die öffentlich reitungs- und Umsetzungsaufgaben der Geschäftsleitung beherrscht sind und/oder öffentliche Aufgaben wahrneh- überlassen34 und auch Meinungen der Aktionäre einholen men), jedenfalls soweit nicht ein Ermächtigungs- oder (und berücksichtigen), er trägt aber immer die letzte Ver- Organisationserlass Abweichendes vorsieht (vgl. dazu antwortung für die strategische Führung und amtet in die- unten IV.A.). sem Sinne als «letzte Entscheidungsinstanz».35 Bei öffentlichen Unternehmen obliegt es folglich dem Ferner muss der Verwaltungsrat zwingend eine Ober- Verwaltungsrat, das Wettbewerbsverhalten des Unterneh- aufsicht ausüben, insbesondere mit Blick auf die Befol- mens näher zu bestimmen und dabei diejenigen Mass- gung der Gesetze, Statuten, Reglemente und Weisungen nahmen zur Sicherstellung der Wettbewerbsneutralität zu (Art. 716a Abs. 1 Ziff. 5 OR).36 Gefordert ist keine stän- treffen, zu welchen das Unternehmen rechtlich verpflich- dige Legalitätskontrolle, doch wird erwartet, «dass der tet ist. Verwaltungsrat hinsichtlich allfälliger Rechts-, Statuten- oder Weisungsverletzungen sensibilisiert ist und, wenn B. Umfang sich ein konkreter Anlass zum Verdacht einer Verletzung ergibt, sofort einschreitet».37 Die Oberaufsichtsaufgabe Einerseits ist für den Verwaltungsrat von Interesse, wel- des Verwaltungsrates ist eine kontinuierliche Aufgabe38 che rechtlichen Regelungen zur Sicherstellung der Wett- und setzt voraus, dass der Verwaltungsrat den zu einer er- bewerbsneutralität bestehen. Andererseits obliegt es dann dem Verwaltungsrat, jeweils zu prüfen, inwieweit diese Bestimmungen auf die eigene Aktiengesellschaft Anwen- dung finden. 1. Verfassungsrechtliche Vorgaben Wunderer, Der Verwaltungsrats-Präsident, Diss. St. Gallen, Zü- rich 1995, 93. Vorerst stellt sich die Frage, inwieweit eine Aktienge- 32 Olivier Bastian, Délégation de compétences et répartition des tâches au sein du conseil d’administration, Diss. Lausanne 2010, sellschaft, die staatlich beherrscht wird und/oder mit der 83; Böckli (FN 31), § 13 N 307. Erfüllung öffentlicher Aufgaben betraut wurde, an den 33 Böckli (FN 31), § 13 N 307; Peter Böckli, Die unentziehba- verfassungsrechtlichen Grundsatz der Wettbewerbsneu- ren Kernkompetenzen des Verwaltungsrates, Zürich 1994, 22. Vgl. tralität gebunden ist. Die Antwort auf diese Frage hängt auch Michael E. Porter, What is Strategy?, Harvard Business Review 6/1996, 61 ff., 70: «The essence of strategy is choosing davon ab, ob eine Grundrechtsbindung der Aktiengesell- what not to do» (Hervorhebung im Original). schaft bejaht wird. Besteht eine Grundrechtsbindung, hat 34 Böckli (FN 31), § 13 N 303a; Forstmoser, Aufgaben (FN 31), die Aktiengesellschaft die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 488; Gutzwiller (FN 6), N 20; von der Crone (FN 31), § 4 BV) und damit auch den Grundsatz der Wettbewerbs- N 142. 35 Wunderer (FN 31), 101. neutralität zu beachten.40 Wird entsprechend der bundes- 36 Diese in Art. 716a Abs. 1 Ziff. 5 OR explizit betonte normative Überwachung – d.h. die Überwachung hinsichtlich der Befolgung von Gesetzen, Statuten, Reglementen und Weisungen – stellt nur 39 Der Verwaltungsrat hat mit anderen Worten für die «Errichtung und einen Teil der gesamten Oberaufsicht dar, zu der auch eine betriebs- die Festlegung der wesentlichen Grundzüge der Compliance-Or- wirtschaftliche Überwachung gehört (Böckli [FN 31], § 13 N 374; ganisation» zu sorgen (Rolf Sethe/Fabio Andreotti, Compli- Erny [FN 31], 247 f.; Forstmoser, Organisation und Organisa- ance und Verantwortlichkeit, in: Peter R. Isler/Rolf Sethe [Hrsg.], tionsreglement [FN 31], § 8 N 65 f. und 67; BSK OR II-Watter/ Verantwortlichkeit im Unternehmensrecht VIII, Zürich/Basel/Genf Roth Pellanda [FN 31], Art. 716a N 24). 2016, 87 ff., 105). 37 Erny (FN 31), 249. 40 Vgl. Patrick Schönbächler, Wettbewerbsneutralität staatlicher 38 BSK OR II-Watter/Roth Pellanda (FN 31), Art. 716a N 26. Massnahmen, Diss. Zürich 1998, N 171; vgl. auch Tobias Jaag, Buch_AJP 7_2020.indb 891 18.06.20 14:56
Phil Baumann/Roman S. Gutzwiller AJP/PJA 7/2020 892 gerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich einem funk- neutralität auf ihre privatwirtschaftlichen Tätigkeiten aus. tionalen Verständnis gefolgt, sind Aktiengesellschaften Dies bedeutet konkret, dass der öffentliche Aufgabenbe- insoweit grundrechtsverpflichtet, als es sich bei der be- reich so auszugestalten und zu organisieren ist, dass er zu treffenden Tätigkeit um die Erfüllung einer öffentlichen keinen Wettbewerbsverzerrungen bei privatwirtschaftli- Aufgabe handelt.41 Demnach besteht zum einen für staat- chen Tätigkeiten der Aktiengesellschaft führt.46 lich beherrschte Aktiengesellschaften, die keine öffent- Für den Verwaltungsrat stellt sich das Problem, dass im lichen Aufgaben erfüllen, keine Grundrechtsbindung.42 Konkreten oftmals unklar bleibt, wo die Grenze zwischen Zum anderen beschränkt sich bei mit öffentlichen Auf- wettbewerbsneutralen und wettbewerbsverzerrenden gaben betrauten Aktiengesellschaften die Grundrechts- Praktiken liegt. So erachtete das Bundesgericht vorerst verpflichtung auf den öffentlichen Aufgabenbereich.43 In (allerdings im Rahmen einer abstrakten Normenkon beiden Fällen ist die Aktiengesellschaft in ihrem privat- trolle) nur «systematische» Quersubventionierungen als wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich nicht grundrechtsge- unzulässig, wohingegen es in einem jüngeren Entscheid bunden und folglich auch nicht dem Grundsatz der Wett- jegliche Quersubventionierung der privatwirtschaftlichen bewerbsneutralität verpflichtet.44 Tätigkeit mit Mitteln aus dem öffentlichen Aufgabenbe- Dieses scheinbar klare Ergebnis unterliegt indessen reich als Verletzung der Wettbewerbsneutralität qualifi- zwei Einschränkungen: Erstens ist das funktionale Ver- zierte.47 Gewisse aus der Erfüllung öffentlicher Aufgaben ständnis der Grundrechtsbindung in der Lehre keines- fliessende Wettbewerbsvorteile, wie der Zugriff auf Kun- falls unumstritten; von einem Teil der Lehre wird postu- dendaten aus dem Monopolbereich oder das Angebot von liert, dass bei staatlich beherrschten Aktiengesellschaften Kombiprodukten, stufte das Bundesgericht im Entscheid auch im Falle privatwirtschaftlicher Tätigkeiten eine «Glarnersach» als nicht ins Gewicht fallend ein.48 Grundrechtsbindung besteht.45 Zweitens strahlt bei hy Zudem lässt sich für den Verwaltungsrat aus dem brid tätigen Aktiengesellschaften die im öffentlichen Auf- Grundsatz der Wettbewerbsneutralität kaum verbindlich gabenbereich geltende Verpflichtung zur Wettbewerbs- ableiten, welche konkreten Massnahmen zur Vermeidung der jeweiligen Wettbewerbsverzerrungen getroffen wer- den müssen. Beispielsweise genügt es zur Durchsetzung Der Staat als Aktionär, in: Hans Caspar von der Crone/Rolf H. We- des Quersubventionierungsverbotes gemäss bundesge- ber/Roger Zäch/Dieter Zobl (Hrsg.), Neuere Tendenzen im Gesell- richtlicher Rechtsprechung, wenn der öffentliche Aufga- schaftsrecht: Festschrift für Peter Forstmoser zum 60. Geburtstag, benbereich vom privatwirtschaftlichen Tätigkeitsbereich Zürich 2003, 379 ff., 387. 41 Vgl. BGE 129 III 35 E. 5.2, zumindest implizit bestätigt durch finanziell getrennt ist.49 Demgegenüber wird in der Lehre BGE 138 I 274 E. 2.2.1 und BGE 138 I 289 E. 2.8.1; vgl. aber auch die buchhalterische und finanzielle Trennung zuweilen als BGE 139 I 306 E. 3.2.2, wo eine Grundrechtsbindung der SRG im unzureichend erachtet und eine strikte organisatorische Werbebereich bejaht wurde, da dieser der Finanzierung des vom Aufteilung der beiden Bereiche gefordert, um Quersub- Leistungsauftrag erfassten Programmes dient; vgl. ausführlich zur betreffenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung Hansjörg Sei- ventionierungen wirkungsvoll zu unterbinden.50 ler, Praxis des Bundesgerichts zu Grundrechtsträgerschaft und Grundrechtsverpflichtung von gemischtwirtschaftlichen Unterneh- men und Unternehmen in Privatrechtsform, in: Véronique Boillet/ 46 Vgl. BGE 138 I 289 E. 2.8.1, wonach ein hybrid tätiges Unterneh- Anne-Christine Favre/Vincent Martenet (Hrsg.), Le droit publique men für eine Trennung der Geschäftsbereiche zu sorgen hat, um en mouvement: Mélanges en l’honneur du Professeur Etienne Pol- Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, die sich aus der Erfüllung tier, Zürich 2020, 745 ff., 752 ff. einer öffentlichen Aufgabe ergeben. 42 A.M. indessen ein gewichtiger Teil der Lehre, der einem institutio- 47 BGE 143 II 425 E. 6.1 und 6.2; BGE 138 I 378 E. 9.1. nellen oder subjektbezogenen Verständnis der Grundrechtsbindung 48 BGE 138 I 378 E. 9.4 und 9.5; kritisch dazu Yvo Hangartner, folgt (vgl. dazu BSK BV-Waldmann [FN 9], Art. 35 N 26). Entscheidbesprechung zu BGer 2C_485/2010 vom 3. Juli 2012, 43 Seiler (FN 41), 763; vgl. auch Gutzwiller (FN 6), N 557 ff. AJP 2012, 1817 ff., 1821; Raphael Kraemer/Andreas Stöck- 44 Vgl. BGE 138 I 289 E. 2.8.1. Die mit der öffentlichen Aufgabe als li, Grenzenlose Staatswirtschaft?, recht 2013, 28 ff., 29; Johan- Registerbetreiberin für die Top-Level-Domain «.ch» betraute Stif- nes Reich, Gebäudeversicherung und «negative nachgeführte» tung Switch platzierte auf ihrer Website an prominenter Stelle einen Bundesverfassung, AJP 2013, 1399 ff., 1411 f. In einem anderen Werbebalken für ihre privatwirtschaftlich tätige Tochtergesellschaft Entscheid ging das Bundesgericht demgegenüber davon aus, dass switchplus AG, die in Konkurrenz zu anderen Domainnamenwie- die Synergieeffekte, welche aus der parallelen Erfüllung einer öf- derverkäufern stand. Das Bundesgericht hielt diesbezüglich fest, fentlichen Aufgabe und dem Angebot von privatwirtschaftlichen dass die Konkurrenten gegenüber Switch im privatwirtschaftlichen Leistungen resultieren, eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der Tätigkeitsbereich keinen grundrechtlichen Anspruch auf Gleichbe- rein privatwirtschaftlich tätigen Konkurrenten darstellen (BGer, handlung haben. 2C_1007/2015, 10.5.2016, E. 5.2). 45 Vgl. etwa Isabelle Häner, Grundrechtsgeltung bei der Wahr- 49 BGE 138 I 378 E. 9.2. nehmung staatlicher Aufgaben durch Private, AJP 2002, 1144 ff., 50 Baumann (FN 2), N 50; Kraemer/Stöckli (FN 48), 38 f.; Wal- 1150 f.; Jaag (FN 40), 387 f. ter A. Stoffel/Simon Murith, Entreprises publiques et droit de Buch_AJP 7_2020.indb 892 18.06.20 14:56
Wettbewerbsneutralität öffentlicher Unternehmen als Aktiengesellschaften AJP/PJA 7/2020 893 Schliesslich sind einzelne Wettbewerbsverzerrungen wenn ein öffentliches Unternehmen Verbundvorteile da- aufgrund der vom Gemeinwesen gesetzten Rahmenbe- hingehend ausnutzt, dass ein Kombiprodukt mit Leis- dingungen vorgegeben und können vom Verwaltungsrat tungen aus dem öffentlichen Aufgabenbereich und dem daher ohne Zutun des Gemeinwesens nicht neutralisiert privatwirtschaftlichen Tätigkeitsfeld angeboten wird.54 werden. Beispielsweise kann der Verwaltungsrat nicht ei- Bei den aufgeführten missbräuchlichen Verhaltensweisen genhändig eine vom Gemeinwesen gewährte Staatsgaran- ist allerdings immer zu prüfen, ob deren (weitere) Tatbe- tie aufheben. standsmerkmale gegeben sind. Damit kann es für den Ver- waltungsrat auch unklar bleiben, inwiefern das Ausnüt- 2. Gesetzliche Vorgaben zen einer Wettbewerbsverzerrung eine missbräuchliche Verhaltensweise darstellt. Dies gilt umso mehr, als sich Während der verfassungsrechtliche Grundsatz der Wett- gewisse Wettbewerbsverzerrungen – wie insbesondere bewerbsneutralität schwierig operationalisierbar ist, Finanzierungs- und Steuervorteile – kaum unter die miss- bestehen auf Gesetzesstufe konkretere und griffigere bräuchlichen Verhaltensweisen von Art. 7 KG einordnen Vorgaben zum Umgang mit Wettbewerbsverzerrungen. lassen. Das Kartellrecht bietet dem Verwaltungsrat damit Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei dem Kartell- nur teilweise Leitplanken zum Umgang mit bestimmten recht zu, da gemäss dem Bundesgericht Wettbewerbs- wettbewerbsverzerrenden Verhaltensweisen. Der Verwal- verzerrungen in erster Linie mit den kartellrechtlichen tungsrat wird im Einzelfall sorgfältig abwägen müssen, Mitteln zu unterbinden sind.51 Öffentliche Unternehmen inwiefern Schritte zur Sicherstellung der Wettbewerbs- verfügen aufgrund ihrer öffentlichen Aufgabenbereiche neutralität umgesetzt werden sollen, um das Risiko kar- und gegebenenfalls damit verbundener Monopolrechte tellrechtlicher Untersuchungen auszuschliessen.55 regelmässig über eine marktbeherrschende Stellung. Da- Neben den kartellrechtlichen Schranken sind vom bei können sich gewisse Wettbewerbsverzerrungen als Verwaltungsrat Vorgaben aus weiteren Querschnittsre- Teil von unzulässigen Verhaltensweisen marktbeherr- gelungen wie beispielsweise dem Lauterkeitsrecht oder schender Unternehmen i.S.v. Art. 7 KG manifestieren.52 auch dem Beschaffungsrecht zu beachten.56 So können Beispielsweise kommen bei Quersubventionierungen na- sich Verletzungen der Wettbewerbsneutralität in Verga- mentlich die Tatbestände einer unzulässigen Ungleichbe- beverfahren für öffentliche Unternehmen gravierend aus- handlung von Handelspartnern (i.S.v. Art. 7 Abs. 2 lit. b wirken. Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts sind KG) sowie eine Preisunterbietung (i.S.v. Art. 7 Abs. 2 Anbieter mit «staatlichem Hintergrund», die gegen den lit. d KG) in Betracht. Dabei bestehen gemäss der bisheri- Grundsatz der Wettbewerbsneutralität verstossen, nach gen Praxis des Sekretariats der WEKO bereits Anzeichen Art. 11 BöB vom Vergabeverfahren auszuschliessen.57 für eine allenfalls missbräuchliche Quersubventionierung, Spezifische Verpflichtungen zur Vermeidung einzel- wenn das öffentliche Unternehmen seinem privatwirt- ner Wettbewerbsverzerrungen finden sich zuweilen in schaftlichen Bereich Leistungen zu nicht marktkonfor- men Konditionen gewährt, es dessen strukturelle Defizite deckt oder es von diesem Leistungen zu überhöhten Prei- 54 Vor diesem Hintergrund hat sich beispielsweise die Gebäudever- sen bezieht.53 Ein missbräuchliches Koppelungsgeschäft sicherung Bern dazu verpflichtet, keine Koppelungsgeschäfte i.S.v. Art. 7 Abs. 2 lit. f KG wiederum kann vorliegen, anzubieten und keine gemeinsamen Werbeaktionen für die ob- ligatorische Gebäudeversicherung und die angebotenen privat- wirtschaftlichen Versicherungen durchzuführen (vgl. dazu RPW 2011/4, 483 ff., N 166 f., Gebäudeversicherung Bern [GVB]). la concurrence, in: Inge Hochreutner/Walter A. Stoffel/Marc Am- 55 So hat sich die Gebäudeversicherung Bern gegenüber dem Sekre- stutz (Hrsg.), 10. Tagung zum Wettbewerbsrecht: Verfahrensrecht, tariat der WEKO zu sehr weitgehenden Massnahmen verpflichtet staatliche Wirtschaftstätigkeit und algorithmenbasierte Kartelle, (RPW 2011/4, 483 ff., N 167, Gebäudeversicherung Bern [GVB]): Bern 2019, 35 ff., 46; Hans R. Trüeb, GUSTAVO und andere unterschiedliche Besetzung der Leitungsorgane, Einhaltung ei- Wege zum Wettbewerb, in: Markus Rüssli/Julia Hänni/Reto Häggi nes Datenschutzkonzepts, Zurverfügungstellung von Monopol- Furrer (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht auf vier Ebenen: Fest- Datensätzen an Konkurrenten, keine Koppelungsgeschäfte, keine schrift für Tobias Jaag, Zürich/Basel/Genf 2012, 355 ff., 365. gemeinsamen Werbeaktionen, ausschliesslich marktgerechte Dar- 51 BGE 138 I 378 E. 9.4; BGE 138 I 289 E. 2.8.1; vgl. zur Anwend- lehen an privatwirtschaftlich tätige Tochtergesellschaften. barkeit des Kartellgesetzes bei privatwirtschaftlicher Staatstätig- 56 Vgl. dazu Baumann (FN 2), N 441 ff. keit Baumann (FN 2), N 390 m.w.H. 57 BGE 143 II 425 E. 4.5. In casu hatte die Universität Zürich in ihrer 52 Vgl. ausführlich zur Einordnung der einzelnen Wettbewerbsverzer- Offerte ans BAKOM zur Analyse des Online-Angebots der SRG rungen unter die kartellrechtlichen Tatbestände Baumann (FN 2), den erheblichen Stundenaufwand der Projektverantwortlichen N 387 ff. nicht berücksichtigt, wodurch diese Aufwendungen vom öffentli- 53 RPW 2014/1, 79 ff., N 85 ff. und 127 ff., Eignerstrategie Energie chen Aufgabenbereich getragen und damit quersubventioniert wor- Wasser Bern (ewb). den wären. Buch_AJP 7_2020.indb 893 18.06.20 14:56
Phil Baumann/Roman S. Gutzwiller AJP/PJA 7/2020 894 den sektoriellen Regelungen. Das Postgesetz (PG)58 ent- 3. Vorgaben aus Reputationsgründen hält in Art. 19 Abs. 1 ein ausdrückliches Quersubventio- nierungsverbot, wobei der Begriff und der Nachweis der Abgesehen von diesen rechtlichen Vorgaben zur Vermei- Quersubventionierung auf Verordnungsstufe umfassend dung von Wettbewerbsverzerrungen kann sich für den konkretisiert werden.59 Für die zahlreichen in der Elek- Verwaltungsrat eine wettbewerbsneutrale Ausgestaltung trizitätsversorgung tätigen öffentlichen Unternehmen der privatwirtschaftlichen Tätigkeit auch aus taktischen verbietet das Stromversorgungsgesetz (StromVG)60 in Gründen aufdrängen. Steht bei einem öffentlichen Un- Art. 10 Abs. 1 Quersubventionierungen zwischen dem ternehmen der Vorwurf im Raum, dass es im Wettbewerb Netzbetrieb und den übrigen Tätigkeitsbereichen. Zu über längere Spiesse verfügt, droht ein Eingriff seitens diesem Zweck ist gemäss Art. 10 Abs. 3 StromVG der der Politik. Wie insbesondere die Erfahrungen aus dem Verteilnetzbereich zumindest buchhalterisch von den an- Kanton Bern zeigen, kann es in dieser Konstellation zu deren Tätigkeitsbereichen zu entflechten. Dabei haben politischen Kampagnen und Vorstössen kommen, die die Netzbetreiber die Gemeinkosten über sachgerechte, den zukünftigen Entfaltungsspielraum des öffentlichen nachvollziehbare und dem Grundsatz der Stetigkeit ent- Unternehmens einzuschränken drohen.64 Der Verwal- sprechende Kostenschlüssel verursachergerecht zuzu- tungsrat kann vor diesem Hintergrund entscheiden, un- ordnen. Daneben sieht das StromVG auch Regelungen ternehmensintern einen strengeren Massstab bezüglich zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen aufgrund der Wettbewerbsneutralität anzulegen, als es rechtlich von Informationsvorteilen vor.61 Gemäss Art. 10 Abs. 2 erforderlich ist. Damit sorgt er diesbezüglich für eine ein- StromVG dürfen aus dem Netzbetrieb gewonnene sen- wandfreie Reputation des öffentlichen Unternehmens und sible Informationen nicht für andere Tätigkeitsbereiche reduziert dadurch das Risiko, dass dem privatwirtschaftli- (und damit insbesondere nicht für privatwirtschaftliche chen Geschäftsbereich von Seiten der Politik Einschrän- Aktivitäten) genutzt werden. Daher ist es beispielswei- kungen auferlegt werden. se unzulässig, Kundenadressen aus dem Netzbetrieb für privatwirtschaftliche Werbeaktionen zu verwenden.62 C. Instrumentarium Schliesslich können auch auf kantonaler oder kommuna- ler Ebene verbindliche gesetzliche Vorgaben bezüglich Der Verwaltungsrat hat im Rahmen seiner unübertrag- Wettbewerbsverzerrungen bestehen. So legt beispielswei- baren Aufgaben dafür zu sorgen, dass die rechtlichen se Art. 7 Abs. 1 des Gebäudeversicherungsgesetzes des Vorgaben bezüglich der Sicherstellung der Wettbewerbs- Kantons Bern63 fest, dass die Gebäudeversicherung Bern neutralität eingehalten werden. Welche Instrumente vom ihre privatwirtschaftlichen Tätigkeiten nicht mit Erträgen Verwaltungsrat zur Vermeidung von Wettbewerbsverzer- aus dem Monopolbereich vergünstigen darf. rungen eingesetzt werden können oder müssen, hängt von der jeweiligen Wettbewerbsverzerrung und den darauf an- wendbaren rechtlichen Bestimmungen ab. Grundsätzlich steht dem Verwaltungsrat ein breites Instrumentarium zur Sicherstellung der Wettbewerbsneutralität zur Verfügung: – Allgemein kann der Verwaltungsrat im Rahmen der 58 Postgesetz vom 17. Dezember 2010 (PG; SR 783.0). Festlegung der Organisation der Aktiengesellschaft 59 Vgl. für die Definition der Quersubventionierung Art. 48 Abs. 1 der Postverordnung vom 29. August 2012 (VPG; SR 783.01) und für eine organisatorische Ausgliederung des privatwirt- den Nachweis der Einhaltung des Quersubventionierungsverbotes schaftlichen Tätigkeitsbereichs in eine eigene Toch- Art. 55 Abs. 3 und 4 VPG; vgl. dazu auch die Weisung 1/2013 der tergesellschaft vornehmen.65 Tatsächlich dürfte mit PostCom zuhanden der Schweizerischen Post betreffend den Nach- weis der Einhaltung des Quersubventionierungsverbots im Einzel- fall vom 15. März 2013. 60 Bundesgesetz vom 23. März 2007 über die Stromversorgung 64 Vgl. dazu die Kampagne «Fair ist anders!» des Gewerbeverbands (Stromversorgungsgesetz, StromVG; SR 734.7). Berner KMU, die insbesondere auf die privatwirtschaftlichen Tä- 61 Vgl. Botschaft vom 3. Dezember 2004 zur Änderung des Elektrizi- tigkeiten der BKW abzielt (Internet: http://www.fair-ist-anders.ch tätsgesetzes und zum Stromversorgungsgesetz, BBl 2004 1611 ff., [Abruf 26.5.2020]). Dabei wurde beispielsweise eine Motion im 1649. Grossen Rat des Kantons Bern eingereicht, die «mehr Transparenz 62 Vgl. ElCom, Informationsveranstaltungen für Netzbetreiber 2019, und gleichlange Spiesse für BKW-Tochterfirmen» fordert (Moti- Internet: https://www.elcom.admin.ch/elcom/de/home/dokumenta on 223-2019). Mittlerweile hat auch der Kantonal-Solothurnische tion/veranstaltungen/informationsveranstaltungen-fuer-netzbetrei Gewerbeverband eine «Fair ist anders»-Kampagne lanciert (Inter- ber.html (Abruf 26.5.2020), 23 f. net: https://www.fairistanders-so.ch [Abruf 26.5.2020]). 63 Gebäudeversicherungsgesetz des Kantons Bern vom 9. Juni 2010 65 Eine verfassungsrechtliche Pflicht dazu besteht indessen nicht (GVG/BE; BSG 873.11). (BGE 138 I 378 E. 9.2). Buch_AJP 7_2020.indb 894 18.06.20 14:56
Wettbewerbsneutralität öffentlicher Unternehmen als Aktiengesellschaften AJP/PJA 7/2020 895 rechtlich getrennten Einheiten die Gefahr von Wett- tieren könnten.71 Dies beinhaltet beispielsweise, dass bewerbsverzerrungen, die aus problematischen Ver- die Mitarbeiter eindeutig entweder dem öffentlichen flechtungen zwischen den beiden Tätigkeitsbereichen Aufgabenbereich oder dem privatwirtschaftlichen Ge- resultieren, reduziert werden.66 schäftsbereich zugewiesen und anschliessend räum- – Weiter kann der Verwaltungsrat in Weisungen vorge- lich voneinander getrennt werden. Ebenfalls darunter ben, was das öffentliche Unternehmen in seinen pri- fallen Zutrittsbeschränkungen sowie Einschränkungen vatwirtschaftlichen Tätigkeiten zu tun und zu unter- der Zugriffsberechtigungen auf EDV-Systeme, in de- lassen hat.67 Beispielsweise kann mittels Weisungen nen wettbewerbsrelevante Informationen des öffentli- dem Management untersagt werden, Kombi-Produkte chen Aufgabenbereichs verwaltet werden. aus dem öffentlichen Aufgabenbereich und der privat- Während somit für gewisse Wettbewerbsverzerrungen wirtschaftlichen Tätigkeit anzubieten oder gemeinsa- durchaus ein geeignetes Instrumentarium für den Verwal- me Werbung für die beiden Geschäftsbereiche zu be- tungsrat besteht, gestaltet sich der Umgang mit Wettbe- treiben. Ebenfalls können dem privatwirtschaftlichen werbsverzerrungen, die nur beschränkt im Einflussbereich Tätigkeitsbereich marktkonforme Renditeziele gesetzt des Verwaltungsrates liegen, schwieriger. Beispielsweise werden. kann der Verwaltungsrat kaum dagegen vorgehen, dass – Massnahmen im Bereich des Rechnungswesens ste- namentlich Lieferanten und Kreditoren dem öffentlichen hen bei Quersubventionierungen im Vordergrund. So Unternehmen aufgrund impliziter oder expliziter Staats- hat das Rechnungswesen von hybrid tätigen Aktienge- garantien eine höhere Kreditwürdigkeit zugestehen, was sellschaften den privatwirtschaftlichen Bereich buch- sich in entsprechend vorteilhaften Zahlungs- und Kredit- halterisch getrennt vom öffentlichen Aufgabenbereich bedingungen widerspiegelt. zu führen.68 Ebenfalls ist für den privatwirtschaftli- chen Geschäftsbereich eine separate Finanzplanung D. Verantwortlichkeit vorzunehmen.69 Vom Verwaltungsrat können auch Methoden vorgegeben werden, anhand derer zu prü- Jeder vom Verwaltungsrat zu treffende Entscheid fällt in fen ist, ob die privatwirtschaftlichen Preise tatsächlich eine von zwei Kategorien: Er ist entweder in dem Sinne quersubventionierungsfrei sind.70 gebunden, dass dem Verwaltungsrat kein Auswahlermes- – Organisatorische Massnahmen können auch im Zu- sen zusteht, sondern ihm durch das Gesetz oder die Statu- sammenhang mit Informationsvorteilen getroffen ten eine eindeutige Handlungs- oder Unterlassungspflicht werden. Namentlich können Informationsbarrieren auferlegt wird,72 oder aber er ist, bei Abwesenheit einer (sog. Chinese walls) zwischen den beiden Geschäfts- gesetzlichen oder statutarischen Verhaltensbestimmung, bereichen implementiert werden. Darunter sind in die- ungebunden. Im letzteren Fall spricht man von einem sem Zusammenhang Massnahmen zu verstehen, die Geschäftsentscheid (business decision), für welchen den den Austausch von Informationen verhindern, soweit Mitgliedern des Verwaltungsrates ein sog. Geschäftser- daraus ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile resul- messen zukommt.73 71 Angelehnt an die Umschreibung von Informationsbarrieren in 66 Vincent Martenet, L’État en concurrence avec le secteur privé – Art. 25 lit. b der Verordnung vom 6. November 2019 über die Fi- Enjeux en matière d’égalité et de neutralité, in: Véronique Boillet/ nanzdienstleistungen (Finanzdienstleistungsverordnung, FIDLEV; Anne-Christine Favre/Vincent Martenet (Hrsg.), Le droit publique SR 950.11). en mouvement: Mélanges en l’honneur du Professeur Etienne Pol- 72 Rolf Sethe, Geschäftsentscheide, Expertenrat und Verantwort- tier, Zürich 2020, 675 ff., 685; ebenso Stoffel/Murith (FN 50), lichkeit des Verwaltungsrats, in: Rolf Sethe/Peter R. Isler (Hrsg.), 46. Verantwortlichkeit im Unternehmensrecht VII, Zürich/Basel/Genf 67 Vgl. zur Oberleitung der Gesellschaft und zur Erteilung der nötigen 2014, 173; Sethe/Andreotti (FN 39), 151 f. Weisungen Christoph B. Bühler, in: Lukas Handschin (Hrsg.), 73 Böckli (FN 31), § 13 N 581; Dieter Gericke/Stefan Waller, Zürcher Kommentar, Obligationenrecht, Art. 698–726 und 731b Business Judgment oder Judge’s Business – Die Überprüfung von OR, Die Aktiengesellschaft, Generalversammlung und Verwal- Geschäftsentscheidungen im Lichte der Praxis des Bundesgerichts, tungsrat, Mängel in der Organisation, 3. A., Zürich 2018 (zit. ZK- in: Peter V. Kunz/Florian S. Jörg/Oliver Arter (Hrsg.), Entwick- Bühler), Art. 716a OR N 39 f. lungen im Gesellschaftsrecht IX, Bern 2014, 287 ff., 293; Gutz- 68 Vgl. BGE 138 I 378 E. 9.2. willer (FN 6), N 604; Alexander Nikitine, Die aktienrechtli- 69 Vgl. BGE 138 I 378 E. 9.2; vgl. allgemein zur Finanzplanung ZK- che Organverantwortlichkeit nach Art. 754 Abs. 1 OR als Folge Bühler (FN 67), Art. 716a OR N 76 ff. unternehmerischer Fehlentscheide, Diss. Zürich 2007, 163 ff.; 70 Vgl. zu den Methoden Baumann (FN 22), N 12 ff. Hans-Ueli Vogt/Michael Bänziger, Das Bundesgericht aner- Buch_AJP 7_2020.indb 895 18.06.20 14:56
Phil Baumann/Roman S. Gutzwiller AJP/PJA 7/2020 896 Wo das Gesetz das öffentliche Unternehmen in die Nach der in der Schweiz inzwischen von Rechtspre- Pflicht nimmt, aus Gründen der Wettbewerbsneutralität chung75 und Lehre76 anerkannten Business Judgment Rule eine bestimmte Massnahme zu treffen oder ein bestimm- legen sich die Gerichte bei der nachträglichen gerichtli- tes wettbewerbliches Verhalten zu unterlassen, verfügt chen Beurteilung von Geschäftsentscheiden Zurückhal- der Verwaltungsrat über kein Geschäftsermessen. Der tung auf, wenn diese «in einem einwandfreien, auf einer von ihm zu treffende Entscheid ist gebunden: Der Verwal- angemessenen Informationsbasis beruhenden und von tungsrat hat sicherzustellen, dass sich das von ihm geleite- Interessenkonflikten freien Entscheidprozess zustande te öffentliche Unternehmen an die rechtlich verbindlichen gekommen sind».77 Solange ein Geschäftsentscheid mit Regeln des Wettbewerbsverhaltens hält; eine Alternative der gebotenen Sorgfalt und unter Berücksichtigung der dazu gibt es nicht, wollen sich die Organmitglieder nicht Interessen der Gesellschaft getroffen wurde, wird er – im dem Risiko einer aktienrechtlichen Verantwortlichkeit und allfälligen persönlichen Sanktionsrisiken74 ausset- 75 BGE 139 III 24 E. 3.2; BGer, 4A_268/2018, 18.11.2019, E. 6.5.1; zen. Der Verwaltungsrat kann sich also nicht über das BGer, 4A_623/2018, 31.7.2019, E. 3.1; BGer, 4A_259/2016 Quersubventionierungsverbot hinwegsetzen mit dem Ar- und 4A_267/2016, 13.12.2016, E. 5.1; BGer, 4A_603/2014, gument, es sei – beispielsweise mit Blick auf den ange- 11.11.2015, E. 7.1.1; BGer, 4A_219/2015, 8.9.2015, E. 4.2.1; strebten Ausbau des Marktanteils – im längerfristigen In- BGer, 4A_626/2013 und 4A_4/2014, 8.4.2014, E. 5.1; BGer, 4A_97/2013, 28.8.2013, E. 5.2; BGer, 4A_15/2013, 11.7.2013, teresse des Gesamtunternehmens, wenn eine strategische E. 6.1; BGer, 4A_373/2012, 20.11.2012, E. 3.2; BGer, 4A_74/2012, Geschäftseinheit des Unternehmens massgeblich durch 18.6.2012, E. 5.1. eine andere strategische Geschäftseinheit, die öffentliche 76 Urs Bertschinger, Arbeitsteilung und aktienrechtliche Verant- Aufgaben wahrnimmt, finanziert wird. wortlichkeit, Zürich 1999, N 188; Böckli (FN 31), § 18 N 581 ff.; Alex Christen, «Quo vadis, BJR?», AJP 2015, 123 ff.; Joachim Inwieweit das öffentliche Unternehmen trotz fehlen- Frick, Die Business Judgment Rule als Beitrag zur Systematisie- der Rechtspflicht spezifische Handlungs- oder Unterlas- rung des Verantwortlichkeitsrechts, in: Hans Caspar von der Crone/ sungsmöglichkeiten, die zu Wettbewerbsvorteilen führen Rolf H. Weber/Roger Zäch/Dieter Zobl (Hrsg.), Neuere Tenden- könnten, ausschlägt mit dem Ziel, sich wettbewerbsneu zen im Gesellschaftsrecht: Festschrift für Peter Forstmoser zum 60. Geburtstag, Zürich 2003, 509 ff.; Andrew M. Garbarski, tral zu verhalten, ist ein Geschäftsentscheid. Die Mitglie- La responsabilité civile et pénale des organes dirigeants de sociétés der des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung sowie anonymes, Diss. Lausanne, Genf 2006, 118 ff.; Gericke/Waller allfällige faktische Organe haften selbstverständlich auch (FN 73), 287 ff.; BSK OR II-Gericke/Waller (FN 31), Art. 754 für Geschäftsentscheide, soweit sie in kausaler Weise ei- N 31 ff.; Lukas Glanzmann, Die Verantwortlichkeitsklage unter Corporate-Governance-Aspekten, ZSR 2000 II, 135 ff., 164 ff.; nen Schaden bewirken. Vorausgesetzt ist freilich immer, Lukas Glanzmann/Matthias Wolf, Sanierung von Tochterge- dass der zur Beurteilung stehende Entscheid in Verletzung sellschaften, SJZ 2014, 1 ff., 6 f.; Andrea R. Grass, Business einer Pflicht getroffen oder umgesetzt wurde (Art. 754 judgment rule, Diss. Zürich 1998 (zit. Grass, Business judgment Abs. 1 OR). rule), passim; Andrea R. Grass, Management-Entscheidungen vor dem Richter, SZW 2000, 1 ff. (zit. Grass, Management- Entscheidungen), 1 ff.; Gutzwiller (FN 6), N 604 ff.; Stefan Hasenböhler, Die Haftungsvoraussetzungen der Verantwortlich- keitsklage nach Art. 754 OR im Vergleich zum US-amerikanischen Recht, Diss. Basel, Zürich/Basel/Genf 2003, 69 ff.; Peter R. Isler, Sorgfalt und Haftung des Verwaltungsrates, in: Rolf H. Weber (Hrsg.), Verantwortlichkeit im Unternehmensrecht, Zürich/ Basel/Genf 2003, 1 ff., 4; Isler (FN 31), 39 ff.; Daniel Jenny, Abwehrmöglichkeiten von Verwaltungsratsmitgliedern in Ver- antwortlichkeitsprozessen, Diss. Zürich, Zürich/St. Gallen 2012, N 787 ff.; Nikitine (FN 73), 95 ff.; Sethe (FN 72), 165 ff.; Vogt/ Bänziger (FN 73), GesKR 2012, 607 ff.; Hans Caspar von der kennt die Business Judgment Rule als Grundsatz des Aktienrechts, Crone, Haftung und Haftungsbeschränkung in der aktienrechtli- GesKR 2012, 607 ff., 611. chen Verantwortlichkeit, SZW 2006, 2 ff., 5 ff.; BSK OR II-Wat- 74 Zur Illustration eines solchen persönlichen Sanktionsrisikos sei auf ter/Roth Pellanda (FN 31), Art. 717 N 6. Ein Teil der Lehre Art. 29 StromVG hingewiesen, wonach der Verstoss gegen buch- äussert sich dagegen kritisch zur richterlichen Zurückhaltung bei halterische oder informatorische Entflechtung mit einer Busse von der Überprüfung von Geschäftsentscheidungen (vgl. beispiels- bis zu CHF 100’000 (bei vorsätzlicher Begehung) bzw. von bis zu weise Harald Bärtschi, Verantwortlichkeit im Aktienrecht, CHF 20’000 (bei fahrlässiger Begehung) bestraft wird. Auch bei Diss. Zürich 2001, 404 ff.; Mischa Kissling, Der Mehrfachver- Verstössen gegen eine einvernehmliche Regelung, eine rechtskräf- waltungsrat, Diss. Zürich, Zürich/Basel/Genf 2006, N 479 ff.; tige Verfügung der Wettbewerbsbehörden oder einen Entscheid der eter V. Kunz, Business Judgment Rule [BJR] – Fluch oder Se- P Rechtsmittelinstanzen im Kartellrecht und bei gewissen Wettbe- gen?, SZW 2014, 274 ff.; Peter V. Kunz, Der Minderheitenschutz werbsverhaltensweisen, die als unlauter qualifiziert werden, drohen im schweizerischen Aktienrecht, Habil. Bern 2001, § 6 N 115 ff.). Strafen (Art. 54 KG und Art. 23 UWG). 77 BGer, 4A_74/2012, 18.6.2012, E. 5.1. Buch_AJP 7_2020.indb 896 18.06.20 14:56
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