Wie lässt sich Arbeitslosigkeit bekämpfen? Kontroverse um angebots- und nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik

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Wie lässt sich Arbeitslosigkeit bekämpfen? Kontroverse um angebots- und nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik
Wie lässt sich Arbeitslosigkeit bekämpfen?
Kontroverse um angebots- und
nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik
Geringe Arbeitslosigkeit gilt als eines der wichtigsten Ziele der Wirtschaftspolitik. Warum ist das so? Wie lässt sich
Arbeitslosigkeit bekämpfen? Anhand dieser Fragen werden verschiedene Konzepte der Wirtschaftspolitik vorgestellt, die
unterschiedliche Lösungen für wirtschaftliche Probleme vorschlagen. Sie werden häufig als angebots- und nachfrageorientiert
bezeichnet und konzentrieren sich jeweils vorrangig auf eine Seite des BIP. Schließlich schauen wir uns an, was die Gründe dafür
sein könnten, dass Wirtschaftsforscherinnen unterschiedliche Meinungen vertreten.

Um was geht es in Kapitel 2?

Abb. 2.0: So wie auf diesem berühmten Fresko die antiken Philosophen diskutieren, gibt es auch in der Wirtschaftsforschung
immer wieder Debatten. Eine davon schauen wir uns in diesem Kapitel an. Quellen- und Lizenzangaben am Ende des
Lernabschnitts.

Arbeitslosigkeit ist noch bis vor wenigen Jahren von der Bevölkerung als das größte Problem Deutschlands angesehen worden. So
sieht es jedenfalls aus, wenn man sich die Ergebnisse der regelmäßigen Meinungsumfrage „Politbarometer“ anschaut: Seit dem
Jahr 2000 wurde „Arbeitslosigkeit“ fast immer am häufigsten genannt, wenn die Umfrageteilnehmerinnen danach gefragt wurden,
welche Probleme ihnen am wichtigsten erscheinen. Erst seit dem Jahr 2014 hat sich dies geändert.

Das könnte damit zu tun haben, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland – anders als in vielen anderen Ländern Europas –
momentan sehr niedrig ist. Bei einer schlechten Wirtschaftslage wird sich dies in Zukunft allerdings auch wieder ändern. Manche
Wissenschaftlerinnen vermuten außerdem, dass Arbeitslosigkeit in Zukunft aufgrund technologischer Fortschritte wieder stark
zunehmen könnte, während andere dies bestreiten. Sollten solche Entwicklungen eintreten, dürfte Arbeitslosigkeit als Problem
wieder wichtiger werden.

Arbeitslosigkeit: Ein Problem mit vielen Gesichtern

Dass Arbeitslosigkeit von vielen als ein zentrales Problem angesehen wird, verwundert kaum: Schließlich ist das Lohneinkommen
für den größten Teil der Haushalte die wichtigste Einkommensquelle und somit für ihre wirtschaftliche Lage entscheidend. Beruf
und Arbeit sind für viele Menschen identitätsstiftend. Sie bestimmen über die soziale Anerkennung und ermöglichen soziale
Kontakte. Dies leidet, wenn Menschen arbeitslos sind. Zudem kann hohe Arbeitslosigkeit auch politische Konflikte auslösen. Sind
viele Menschen arbeitslos, kann die politische Stabilität bedroht sein. Daher verwundert es kaum, dass eine hohe Beschäftigung
als Ziel sowohl im alten magischen Viereck, als auch im Bereich „ökonomische Nachhaltigkeit“ des neuen magischen Vierecks
auftaucht. Auf die Mehrdimensionalität des Problemfeldes Arbeitslosigkeit gehen wir im Auftakt ein.
Wie lässt sich Arbeitslosigkeit bekämpfen? Kontroverse um angebots- und nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik
Angebot oder Nachfrage?

So wenig umstritten die Diagnose über die Folgen von Arbeitslosigkeit ist, so kontrovers wird die Auseinandersetzung um die
Problemlösung geführt. Sei es zwischen Parteien, Vertreterinnen von Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften oder
Wirtschaftsforscherinnen: Oft gibt es Kontroversen darüber, wie Arbeitslosigkeit am besten zu bekämpfen sei.

    Einige vertreten die Auffassung, dass eine Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nur gelingen kann, wenn der Staat sich aus der
    Wirtschaft und dem Arbeitsmarkt weitgehend heraushält. Zu hohe Löhne, zu großzügige staatliche Sozialleistungen und zu
    hohe Steuern werden nach dieser Sichtweise als Hindernis für die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit gesehen. All dies mache
    es für die Unternehmen zu teuer oder bürokratisch zu aufwendig, zusätzliche Beschäftigte einzustellen. Würden solche
    Hürden beseitigt, verschwinde die Arbeitslosigkeit bis zu einem gewissen Maß ganz von alleine.

    Andere wiederum halten diese Hoffnung für unberechtigt: Sie setzen darauf, dass höhere Löhne, staatliche Umverteilung zu
    Gunsten von einkommensschwächeren Haushalten oder höhere Staatsausgaben zur Senkung von Arbeitslosigkeit beitragen.
    Das Argument dahinter ist: Wenn die Bevölkerung und der Staat mehr Güter und Dienstleistungen nachfragen, können die
    Unternehmen mehr produzieren und werden zu diesem Zweck zusätzliche Beschäftigte einstellen.

In den vergangenen Jahren wurde die Debatte zwischen diesen beiden Auffassungen besonders mit Blick auf die Länder im Süden
Europas geführt (zum Beispiel Spanien, Italien und Griechenland), die zuletzt mit hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen hatten.
Kontrovers diskutiert wird dabei, wie Europa wieder zu mehr Wachstum und Beschäftigung finden kann.

Dabei lassen sich diese beiden Positionen auf konkurrierende wirtschaftswissenschaftliche Perspektiven zurückführen: Der
Einfachheit halber unterscheiden wir im folgenden Kapitel die beiden Perspektiven Neoklassik und Keynesianismus. Die
Neoklassik bezeichnen wir auch als Angebotsorientierung, während wir für den Keynesianismus auch den Begriff
Nachfrageorientierung verwenden. Beide Sichtweisen betonen die Wichtigkeit einer jeweils anderen Seite des BIP.

Dies ist sicherlich eine Vereinfachung, weil die meisten Wirtschaftsforscherinnen sowohl angebots- als auch nachfrageseitig
argumentieren und Ideen aus der Neoklassik und dem Keynesianismus in ihre Analysen einbeziehen. Dennoch ist diese
schematische Unterscheidung hilfreich, um die wissenschaftliche und wirtschaftspolitische Auseinandersetzung zu verstehen.
Diese verschiedenen Konzeptionen spielen auch bei vielen anderen wirtschaftspolitischen Problemfeldern eine große Rolle, wie
wir später sehen werden.

Wertfrei, unabhängig, objektiv?

Aber woher kommen eigentlich unterschiedliche Auffassungen der wissenschaftlichen Expertinnen zu wirtschaftlichen Fragen?
Trennen manche Forscherinnen vielleicht nicht ausreichend zwischen wissenschaftlichen Positionen und den Interessen einzelner
Gruppen (wie Beschäftigten und Unternehmensbesitzerinnen)? Ist eine werturteilsfreie Analyse in der Wissenschaft von der
Wirtschaft im gleichen Maße möglich wie etwa in den Naturwissenschaften? Diesen Fragen werden wir in einem
Perspektivwechsel nachgehen. Sie sollen beispielhaft anhand der Kontroverse über die bzw. zwischen den sogenannten
„Wirtschaftsweisen“, einem wirtschaftspolitischen Expertinnengremium der Bundesregierung, diskutiert werden.

Abb. 2.1: Concept Map zum Kapitel 2. Weitere Quellen- und Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.

Zusatzinformationen:

- Abb. 2.0 ist eine überarbeitete Version (Anwendung eines Filters zur Verfremdung, Bildausschnitt) des Originals „School of
Athens, Raphael“ von jwyg, das lizenziert ist unter einer Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen
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Bedingungen 2.0 Generic Lizenz. Das auf dem Foto abgebildete Gemälde ist gemeinfrei.
( https://www.flickr.com/photos/jwyg/7979623203/ )
( https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/ )

- „Um was geht es in Kapitel 2?“ von Till van Treeck, Julian Becker ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung
4.0 International Lizenz.
( http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ )

- Abb. 2.1: „Concept Map zum Kapitel 2“ von Till van Treeck, Julian Becker ist lizenziert unter einer Creative Commons
Namensnennung 4.0 International Lizenz.
( http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ )

Arbeitsaufträge:

-
Arbeitslosigkeit – was heißt das eigentlich? Entwickele eine eigene Definition des Phänomens Arbeitslosigkeit. Wie könnte man
Arbeitslosigkeit als Sozialwissenschaftlerin messen?
-
Erläutere in einem ersten Zugriff dein eigenes Verständnis von Angebotsorientierung und Nachfrageorientierung in der
Wirtschaftspolitik. Beziehen dabei die Inhalte aus Kapitel 1 zur
Angebotsseite (Produktionsseite)
 und
Nachfrageseite
des BIP mit ein. Bewerte in einem vorläufigen Statement, welchem der beiden Konzepte du bei der Bekämpfung von
Arbeitslosigkeit höhere Erfolgschancen zutraust.

1 Auftakt: Warum ist Arbeitslosigkeit ein Problem? Und wie lässt sie sich messen?

1.1 Ein Problem mit vielen Gesichtern: Folgen von Arbeitslosigkeit
Arbeitslosigkeit ist ein vielschichtiges Problem. Sie hat sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Auswirkungen. Nicht nur
wirtschaftliche, sondern auch soziale und politische Aspekte müssen hierbei betrachtet werden. Die folgenden Materialien gehen
auf diese verschiedenen Gesichter des Problems ein.
Problemfeld Arbeitslosigkeit in Deutschland ...

Die Forschungsgruppe Wahlen? stellt im Rahmen der regelmäßigen Meinungsumfrage „Politbarometer“? die Frage: „Was ist Ihrer
Meinung nach gegenwärtig das wichtigste Problem in Deutschland?“. Zwei Nennungen sind pro befragter Person möglich. Die
Abbildung 2.2 zeigt die Umfrageergebnisse der Befragungen im Januar des jeweiligen Jahres im Zeitraum von 2000 bis 2021. Es
wurden dabei nur die Probleme im Diagramm abgebildet, die während des gesamten Zeitraums (2000 bis 2021) mindestens einmal
als wichtigstes Problem beschrieben wurden (d. h. die meisten Nennungen hatten). Dies muss allerdings nicht unbedingt im Januar
des Jahres gewesen sein.
Wie lässt sich Arbeitslosigkeit bekämpfen? Kontroverse um angebots- und nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik
Abb. 2.2: Wichtige Probleme in Deutschland im Vergleich. Quelle: Forschungsgruppe Wahlen: Politbarometer, 2000-2021.
Weitere Quellen- und Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.

... und Europa

Das Eurobarometer? ist eine von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Meinungsumfrage in den Ländern der EU.
Im Rahmen der Umfrage werden die Teilnehmerinnen auch gefragt, welche aus ihrer Sicht die wichtigsten beiden Probleme sind,
mit denen ihr Land momentan konfrontiert ist. Die Abbildung zeigt, wie häufig das Problemfeld Arbeitslosigkeit genannt wurde.
Auf der vertikalen Achse sind Prozentanteile der Nennungshäufigkeit ablesbar. Es werden hier nur die Ergebnisse der
Frühjahrsbefragungen gezeigt.

Abb. 2.3: Das Problemfeld Arbeitslosigkeit im europäischen Vergleich. Quelle der Daten: Eurobarometer. Weitere Quellen- und
Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.

Folgen der Arbeitslosigkeit

„Mögliche individuelle Folgen der Arbeitslosigkeit, insbesondere der Langzeitarbeitslosigkeit, sind u. a. psychologische und
gesundheitliche Probleme, Entqualifizierung (Entwertung der bisher erlangten Qualifizierung), gesellschaftlich-kulturelle und
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soziale Isolation (Stigmatisierung), familiäre Spannungen und Konflikte, Schuldgefühle, Aggressivität und trotz Grundsicherung
relative Verarmung. Zwischen den meisten genannten Folgen besteht dabei ein sehr enger Zusammenhang. Die Folgen von
Arbeitslosigkeit beschränken sich nicht auf die Arbeitslosen selbst. Auch für nahe Angehörige kann Arbeitslosigkeit eine
gravierende Beeinträchtigung von Wohlstand, Selbstachtung, sozialem Ansehen und Lebenschancen bedeuten. Selbst bei
Beschäftigten werden Arbeitsvermögen, Leistung, Solidarität und Krankenstand beeinflusst.

Daneben ist Arbeitslosigkeit auch ein Problem für die gesamte Gesellschaft. Gesamtgesellschaftliche Folgen der Arbeitslosigkeit
sind u. a. Verlust von Steuern und Sozialabgaben, hohe Kosten für Arbeitslosengeld I und II, Verlust der Kaufkraft des Einzelnen
und damit Reduzierung der Binnennachfrage, Anstieg der Kriminalität, politische Instabilität sowie weitere Kosten zur Behebung
bzw. Linderung der individuellen Folgen. […]

Die Arbeitslosen von Marienthal

Das Thema ‚Folgen der Arbeitslosigkeit‘ ist nach wie vor untrennbar mit einer der bekanntesten ‚klassischen" soziologischen
Untersuchungen verknüpft, den ‚Arbeitslosen von Marienthal. ‘ In Folge der Weltwirtschaftskrise 1929/1930 hatten fast alle
Bewohner eines Dorfes in der Nähe von Wien durch den Konkurs des einzigen Industriebetriebes ihren Arbeitsplatz verloren. Eine
Gruppe von Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern führte vor Ort umfangreiche Erhebungen durch […]. Der
Forschungsbericht zählt nach wie vor zu den Klassikern der empirischen Sozialforschung. Er war zugleich die erste moderne
empirische Untersuchung der psychosozialen Wirkungen der Langzeitarbeitslosigkeit. Die zentralen Ergebnisse der Studie
lauteten: Arbeitslosigkeit führt zu Mutlosigkeit und Hilflosigkeit und reduziert deshalb eine aktive Herangehensweise an
Probleme. Das Nichtstun beherrschte den Tag, insbesondere unter den Männern. Armut war stark verbreitet. Der
Gesundheitszustand der Kinder von arbeitslosen Eltern war im Durchschnitt deutlich schlechter, als der Gesundheitszustand der
Kinder von Eltern, die noch Arbeit hatten. Der Rhythmus des Lebens wurde bestimmt vom 14-tägigen Auszahlungstermin der
Arbeitslosenunterstützung. Die Forscher haben die arbeitslose Gemeinschaft daher als‚ müde Gemeinschaft‘ beschrieben.

Arbeitslosigkeit und Gesundheit

Die häufigsten Untersuchungen zu Folgen der Arbeitslosigkeit befassen sich mit der Thematik ‚Gesundheitliche Folgen von
Arbeitslosigkeit‘. Dass Gesundheitsrisiken und Gesundheitsprobleme bei Arbeitslosen vermehrt auftreten, wird dabei durch
zahlreiche nationale wie internationale Forschungsarbeiten belegt. Unklar bleibt dabei aber zunächst die Richtung des
Zusammenhangs zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit. Diesbezüglich gibt es zwei grundlegende Thesen: Arbeitslosigkeit
führt zu erhöhtem Krankheitsrisiko (Kausalitätshypothese), Krankheit führt zu einem erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko
(Selektionshypothese). Durch die Komplexität des Zusammenhangs zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit lassen sich die
jeweiligen Wirkungsrichtungen nur selten klar voneinander trennen. Es gibt aber viele Hinweise darauf, dass beide Thesen richtig
sind: Einerseits dass die Wettbewerbschancen kranker Arbeitnehmer schlechter als die gesunder sind und sich damit das Risiko
des Arbeitsplatzverlustes erhöht und andererseits dass anhaltende Arbeitslosigkeit den Gesundheitszustand verschlechtert. […]

Arbeitslosigkeit und Sucht

Auch in den Statistiken der Suchtkranken sind Arbeitslose überproportional häufig vertreten. Rund 40 % der Erwachsenen, die im
Jahr 2001 eine Entwöhnungsbehandlung wegen Abhängigkeit von Alkohol, Medikamenten oder sonstigen Drogen beendet hatten,
waren (nach Angaben des Verbands der deutschen Rentenversicherungsträger) vor der Antragstellung arbeitslos gemeldet. Nach
den Aufzeichnungen der ambulanten Einrichtungen sind von den männlichen Alkoholklienten rund 27 Prozent arbeitslos gemeldet
oder nicht erwerbstätig. Bei den Frauen beträgt dieser Anteil sogar 38 Prozent. Ein Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und
einer zunehmenden Quote von Alkoholkonsumenten konnte in der Arbeitslosenforschung bislang aber nicht festgestellt werden.
Bei schon vorhandenen Konsummustern von Arbeitslosen wurde aber in einigen Studien eine Intensivierung der
Alkoholaufnahme beobachtet. Aus Sicht der Suchtkrankenhilfe gilt Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme bei der (Re-
)Integration vormals Alkohol- und Drogenabhängiger.

Gesamtfiskalische Kosten der Arbeitslosigkeit

Zu den gravierenden Wirkungen für die Betroffenen treten noch makroökonomische Kosten hinzu. So wird häufig betont, dass ein
hoher Arbeitslosenstand den sozialen Frieden gefährde (steigende Armut und Kriminalität) und die Widerstände in der
Bevölkerung gegenüber dem Strukturwandel (Risikoscheu und Ausländerfeindlichkeit) tendenziell erhöhe. Beides ist mit
erheblichen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden. Mehrfach hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
Schätzungen vorgenommen über die Höhe der Kosten der Arbeitslosigkeit in Deutschland. In gesamtfiskalischer Betrachtung
bestehen die Kosten der Arbeitslosigkeit zum einen in den Mehrausgaben der Sozialversicherungsträger und der öffentlichen
Haushalte, zum anderen kommt es infolge der Unterbeschäftigung zu Mindereinnahmen. […] Nach einer Faustformel entlasten
100.000 Arbeitslose weniger den Staat um 2 Mrd. Euro.“

Gekürzte Version von: Frank Oschmiansky für bpd.de: Folgen der Arbeitslosigkeit, CC BY-NC-SA 2.0 DE. Weitere Quellen- und
Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.
Wie lässt sich Arbeitslosigkeit bekämpfen? Kontroverse um angebots- und nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik
Zusatzinformationen:

- Abb. 2.2: „Wichtige Probleme in Deutschland im Vergleich“ von Till van Treeck, Julian Becker ist lizenziert unter einer
Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Quelle der Daten: Forschungsgruppe Wahlen: Politbarometer, 2000-
2021.
( http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ )
( https://www.forschungsgruppe.de/Umfragen/Politbarometer/Langzeitentwicklung_-_Themen_im_Ueberblick/Politik_II/#Probl1 )

- Abb. 2.3: „Das Problemfeld Arbeitslosigkeit im europäischen Vergleich“ von Till van Treeck, Julian Becker ist lizenziert unter
einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Quelle der Daten: Eurobarometer.
( http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ )
( https://ec.europa.eu/commfrontoffice/publicopinion/index.cfm/Chart/getChart/themeKy/42/groupKy/208 )

- Der Text „Folgen der Arbeitslosigkeit“ von Frank Oschmiansky für bpb.de ist lizenziert unter einer Creative Commons
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Deutschland . Es wurden Kürzungen am
Originaltext vorgenommen.
( http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/arbeitsmarktpolitik/54992/folgen-der-arbeitslosigkeit?p=all )
( http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/ )

- Video 2.1: „Junge Arbeitslose in Spanien | Made in Germany“ ist nicht unter einer CC-Lizenz veröffentlicht. Es wird hier von
Youtube eingebettet. Der H5P-Inhaltstyp „Iframe embedder“ steht unter einer MIT-Lizenz.
( https://www.youtube.com/watch?v=OML5dv4-tiI )
( https://github.com/h5p/h5p-iframe-embed/blob/master/LICENSE.txt )

Arbeitsaufträge:

-
Analysiere die Diagramme Abb. 2.2 und Abb.2.3 im Hinblick auf dieTrends, die in den Umfrageergebnissen zum Ausdruck
kommen. Recherchiere zudem mögliche Ursachen für auffällige Trends.
-
Analysiere die Materialien des Lernabschnitts imHinblick auf wirtschaftliche, soziale, politische und individuelle Probleme, die
durch Arbeitslosigkeitentstehen können. Recherchiere zu den Auswirkungen weitere Beispiele, etwa
in diesem Artikel bei ZEIT online?
.

1.2 Crashkurs Arbeitsmarkstatistik: Arbeitslosigkeit (richtig) messen
Um Arbeitslosigkeit messen zu können, müssen zunächst eine Reihe wichtiger Begriffe definiert werden. Der Lernabschnitt zeigt
Definitionen, einige ausgewählte Daten aus Deutschland und Europa und gibt einen kurzen Einblick in Kontroversen, die mit der
richtigen Messung von Arbeitslosigkeit verbunden sind.
Wie lässt sich Arbeitslosigkeit bekämpfen? Kontroverse um angebots- und nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik
Abb. 2.4: Die Bundesagentur für Arbeit ist in Deutschland die wichtigste Institution, wenn es um Arbeitsmarktstatistik geht.
Quellen- und Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.

Crashkurs Arbeitsmarktstatistik: Wichtige Daten

Abb. 2.5: Erwerbstätige und Arbeitslose in Deutschland, 2000 bis 2020. Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit,
Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf; Statistisches Bundesamt. Weitere Quellen- und Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.
Wie lässt sich Arbeitslosigkeit bekämpfen? Kontroverse um angebots- und nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik
Abb. 2.6. Die Erwerbstätigenquote wird für die Altersgruppe 15–64 Jahren angegeben. Quelle: Statistik der Bundesagentur für
Arbeit, Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf; ILOSTAT. Weitere Angaben am Ende des Lernabschnitts.

Regionale und nationale Unterschiede bei der Arbeitslosigkeit

Wenn man nur auf Werte auf der nationalen Ebene schaut (wie wir es bisher getan haben), kann man leicht übersehen, dass
Arbeitslosigkeit regional und national recht unterschiedlich ausfällt.

Jahr 2020                                  Deutschland       Frankreich      Italien         Spanien        Griechenland

Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter
                                           70.404.900        53.811.100      51.977.200      40.087.100     9.079.000
(15 Jahre und älter)

Erwerbspersonen (15 Jahre und älter)       43.366.800        29.345.800      25.214.200      22.733.300     4.630.500
Erwerbstätige (15 Jahre und älter)         41.716.700        26.995.300      22.903.800      19.202.300     3.875.500

Arbeitnehmerinnen (15 Jahre und älter) 37.499.500            23.645.500      17.754.600      16.109.100     2.640.900

Erwerbslose (15 Jahre und älter)           1.650.100         2.350.500       2.310.500       3.530.900      755.000
Erwerbslosenquote (in Prozent, 15 bis
                                           7,2               20,1            29,4            38,3           35
24 Jahre)
Erwerbslosenquote (in Prozent, 15
                                           3,8               8               9,2             15,5           16,3
Jahre und älter)
Bruttoinlandsprodukt (in Mrd. Euro)        3.332,2           2.278,9         1.651,6         1.121,7        165,8
Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (in
                                           40.100            33.700          27.500          23.700         15.500
Euro)

Tab. 2.1: Beschäftigung in ausgewählten Ländern Europas, 2020. Quelle der Daten: ILOSTAT?, AMECO?.
Wie lässt sich Arbeitslosigkeit bekämpfen? Kontroverse um angebots- und nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik
Abb. 2.7: Erwerbslosenquote in verschiedenen europäischen Ländern 2000 bis 2020. Quelle der Daten: ILOSTAT. Weitere
Quellen- und Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.

Streitpunkt 1: Arbeitslosenquote oder Erwerbstätigenquote?

Abb. 2.8: Arbeitslosenquote und Erwerbstätigenquote in den USA, 2007 bis 2014. Quelle: U.S. Bureau of Labor Statistics.
Weitere Quellen- und Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.

Zusatzinformationen:

- Abb. 2.4: „Bürogebäude der Bundesagentur für Arbeit an der Röpkestraße Nr. 3 im Stadtteil Bult von Hannover“ von Christian
A. Schröder ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
International Lizenz.
(
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Office_building_Bundesagentur_fuer_Arbeit_Roepkestrasse_3_Bult_Hannover_Germany.jpg?use
)
( http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ )
Wie lässt sich Arbeitslosigkeit bekämpfen? Kontroverse um angebots- und nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik
- H5P 2.1 „Crashkurs Arbeitsmarkstatistik: Definitionen“: Lizenzangaben zum Inhalt unter „Rights of use“ im H5P-Element. Der
H5P-Inhaltstyp „Accordion“ steht unter einer MIT-Lizenz.
( https://github.com/h5p/h5p-accordion/blob/master/LICENSE.txt )

- Abb. 2.5 „Erwerbstätige und Arbeitslose in Deutschland, 2000 bis 2020“ von Till van Treeck, Julian Becker ist lizenziert unter
einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Quelle der Daten: Statistik der Bundesagentur für Arbeit,
Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf; DESTATIS.
( http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ )
( https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/Aktuell/iiia4/alo-zeitreihe-dwo/alo-zeitreihe-dwo-b-0-xlsx.xlsx )
( https://www-genesis.destatis.de/genesis/online )

- Abb. 2.6 „Arbeitslosenquote und Erwerbstätigenquote in Deutschland, 2000 bis 2020“ von Till van Treeck, Julian Becker ist
lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit,
Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf; ILOSTAT.
( http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ )
( https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/Aktuell/iiia4/alo-zeitreihe-dwo/alo-zeitreihe-dwo-b-0-xlsx.xlsx )
( https://ilostat.ilo.org/ )

- Abb. 2.7 „Erwerbslosenquote in verschiedenen europäischen Ländern 2000 bis 2020“ von Till van Treeck, Julian Becker ist
lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Quelle der Daten: ILOSTAT.
( http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ )
( https://ilostat.ilo.org/ )

- H5P 2.2 „Regionale Arbeitslosigkeit in Deutschland". Lizenzangaben zum Inhalt unter „Rights of use“ im H5P-Element. Der
H5P-Inhaltstyp „Agamotto“ steht unter einer MIT-Lizenz.
( https://github.com/otacke/h5p-agamotto/blob/master/license.txt )

- Abb. 2.8: „Arbeitslosenquote und Erwerbstätigenquote in den USA, 2007 bis 2014“ von Till van Treeck, Julian Becker ist
lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Quelle der Daten: U.S. Bureau of Labor
Statistics.
( http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ )
( https://www.bls.gov/ )

- Video 2.2: „#kurzerklärt: Was die Arbeitslosenzahl verbirgt“, © tagesschau ist nicht unter einer CC-Lizenz veröffentlicht. Es
wird hier von Youtube eingebettet. Der H5P-Inhaltstyp „Iframe embedder“ steht unter einer MIT-Lizenz.
( https://www.youtube.com/watch?v=5GWTN341nSY )
( https://github.com/h5p/h5p-iframe-embed/blob/master/LICENSE.txt )

Arbeitsaufträge:

-
Vergleiche die
Umfrageergebnisse in Lernabschnitt 1.1
 mit der Entwicklung der Indikatoren zum Arbeitsmarkt.
-
Entwickele eine eigene Concept Map, in der du die verschiedenen Begriffe dieses Lernabschnitts in ihren Beziehungen darstellen.
Erstelle deine Concept Map zum Beispiel mit
diesem Tool?.
-
Schreibe auf der Grundlage der Daten und mit den Fachbegriffen einen Informationstext für die Bundeszentrale für Politische
Bildung.
-
Stelle die Entwicklung am deutschen Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren dar. Beziehe dabei auch aktuelle Situation ein.
-
Du hast verschiedene Möglichkeiten kennen gelernt, wie Arbeitslosigkeit gemessen werden kann. Erörtere abschließend, ob
-
Ermittele die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in deiner eigenen Region.
-
Entwickele eine digitale grafische Darstellung, die ähnlich wie in H5P 2.2 oben die Entwicklung der Erwerbslosigkeit in Europa
veranschaulicht. Dazu kannst du zum Beispiel die Seite
mapchart.net?
verwenden.
-
„Die Erwerbstätigenquote ist besser geeignet als die Arbeitslosenquote, um das Ausmaß der Arbeitslosigkeit zu beschreiben.“
Erläutere diese These anhand des Diagramms zur Entwicklung von Arbeitslosenquote und Erwerbstätigenquote in den USA seit
der großen Krise 2007/2008.

1.3 Arbeitslosigkeit ? Arbeitslosigkeit
Arbeitsmarktforscherinnen unterschieden zwischen verschiedenen Arten von Arbeitslosigkeit. Meist beruht die Unterscheidung
darauf, was als Ursache für die Arbeitslosigkeit angenommen wird. Wenn Wirtschaftsforscherinnen sich auch zumeist über die
Definitionen einig sind, ist zwischen ihnen teilweise umstritten, welcher Art denn nun die tatsächlich existierende Arbeitslosigkeit
zuzuordnen ist. Dies gilt insbesondere für die Unterscheidung zwischen konjunktureller und struktureller Arbeitslosigkeit.

Abb. 2.9: Arbeitslosigkeit kann saisonal bedingt sein, zum Beispiel in der Tourismusbranche. Quellen- und Lizenzangaben am
Ende des Lernabschnitts.

„Arten der Arbeitslosigkeit

Friktionelle Arbeitslosigkeit

Unter friktioneller Arbeitslosigkeit (auch Fluktuationsarbeitslosigkeit oder Sucharbeitslosigkeit genannt) versteht man die häufig
unvermeidliche Arbeitslosigkeit zwischen der Aufgabe der alten und dem Finden einer neuen Tätigkeit. Sie ist in der Regel nur
von kurzer Dauer und auch in Phasen einer Vollbeschäftigung unvermeidlich, im Stukturwandel oft sogar sinnvoll. Eine solche
Arbeitslosigkeit ist eine Begleiterscheinung aller durch Arbeitsvertragsfreiheit gekennzeichneten Arbeitsmärkte. […] Als
‚normales‘ Niveau friktioneller Arbeitslosigkeit wird häufig eine Quote unter 1 Prozent der Erwerbspersonen genannt.

Konjunkturelle Arbeitslosigkeit
Sie tritt auf, wenn die Konjunktur schwächer wird und die Nachfrage zurückgeht. Bei einem Mangel an Absatzmöglichkeiten
entlassen die Unternehmen Arbeitskräfte, die sie im Aufschwung wieder einstellen. Eine schwache Konjunktur betrifft aber alle
Wirtschaftsbereiche, wie das Produzierende Gewerbe, die Exportwirtschaft und die Dienstleistungen unterschiedlich.
Konjunkturelle Arbeitslosigkeit kann ein kurz- oder mittelfristiges Problem sein, sie kann aber auch bei anschließend nur langsam
wieder wachsender Wirtschaft zu einem langfristigen Problem werden. In diesen Fällen werden aus Konjunkturarbeitslosen immer
öfter Langzeitarbeitslose, die viele Monate oder Jahre arbeitslos sind. […]

Strukturelle Arbeitslosigkeit

Strukturelle Arbeitslosigkeit ist ein vieldeutiger Begriff, der unterschiedlichste Typen von Arbeitslosigkeit zusammenfasst.
Strukturelle Arbeitslosigkeit kann differenziert werden nach sektoralen, regionalen, technologischen oder
qualifikationsspezifischen Ursachen. So zeigt sich, dass sich der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit zunächst
vom primären Wirtschaftssektor (Rohstoffgewinnung) auf den sekundären (Rohstoffverarbeitung) und anschließend auf den
tertiären Sektor (Dienstleistung) verlagert hat. Die damit verbundenen Anpassungsprozesse haben häufig zu struktureller
Arbeitslosigkeit geführt, da den in einem Sektor beschäftigten Arbeitnehmern die Qualifikationen zur Arbeitsaufnahme in einem
anderen Sektor fehlten und erst in beruflicher Weiterbildung zu vermitteln waren.

Gleichzeitig gelten diese Verbindungen auch für Verschiebungen innerhalb der Sektoren. Diese sind sehr häufig verbunden mit
technologischen Entwicklungen, beispielsweise der zunehmenden Ersetzung der Arbeitskräfte durch Maschinen oder aktuell
insbesondere durch den Wandel von einer Industriegesellschaft zu einer Informationsgesellschaft.

Da jene Arbeitskräfte, die bereits arbeitslos sind oder durch die Abnahme der nachgefragten Arbeit in der Industrie arbeitslos
werden, von ihrem Qualifikationsprofil nicht identisch sind mit jenen, die für die Kommunikations- und Informationstechnologien
gebraucht werden, entsteht strukturelle Arbeitslosigkeit (im Fachjargon ‚mismatch‘). Strukturelle Arbeitslosigkeit kann aber auch
durch zu hohe Reallöhne begründet sein, die die Produktivität eines Arbeitsplatzes übersteigen und so Menschen mit geringerer
Produktivität in die Arbeitslosigkeit drängt (klassische Arbeitslosigkeit).

Letztlich kann strukturelle Arbeitslosigkeit auch durch regionale Verwerfungen entstehen. Zum einen durch eine räumliche
Immobilität der Arbeitskräfte, die einen regionalen Arbeitsmarktausgleich verhindert oder erschwert. Zum anderen durch einen
Arbeitsnachfragerückgang durch Standortänderung von Betrieben ohne entsprechend große Abwanderung von Arbeitskräften.
[…]

Saisonale Arbeitslosigkeit

Saisonale Schwankungen ergeben sich im Jahresverlauf aufgrund von Klimabedingungen (z. B. Arbeitslosigkeit in der Bau- oder
Landwirtschaft im Winter) oder aufgrund von Nachfrageschwankungen (z. B. in der Tourismusbranche in der Nebensaison).
Arbeitslosigkeit, die dadurch entsteht, dass einige Sektoren der Volkswirtschaft jahreszeitbedingt unterschiedlich ausgelastet sind,
bezeichnet man als saisonale Arbeitslosigkeit. […]

‚Freiwillige‘ und ‚unfreiwillige‘ Arbeitslosigkeit

Unterschieden wird in der Arbeitsmarkttheorie auch zwischen ‚freiwilliger‘ und ‚unfreiwilliger‘ Arbeitslosigkeit. ‚Freiwillige‘
Arbeitslosigkeit bezieht sich dabei darauf, dass bestehende Arbeitsplätze wegen einer zu geringen Lohnhöhe, wegen zu kurzer
Befristung, zu langer Berufswege, fehlender Berufsperspektiven, nicht ganzjähriger oder unterwertiger Beschäftigung nicht
angenommen werden. Entweder weil überhaupt auf Arbeit verzichtet wird oder weil der Arbeitslose auf die Suche nach einer
besseren Beschäftigung geht. Für die Arbeitsvermittlung ist die Zumutbarkeit geregelt. ‚Unfreiwillige‘ Arbeitslosigkeit hingegen
bezeichnet die Unmöglichkeit einen Arbeitsplatz zu herrschenden Bedingungen zu finden.“

Gekürzte Version von: Frank Oschmiansky für bpd.de: Arten der Arbeitslosigkeit, CC BY-NC-SA 2.0 DE. Weitere Quellen- und
Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.
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- Der Text „Arten der Arbeitslosigkeit“ von Frank Oschmiansky für bpb.de ist lizenziert unter einer Creative Commons
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( https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/de/ )
1.4 Crashkurs Arbeitsmarktstatistik: Alles klar?
Oben hast du einige zentrale Definitionen und Fakten zur Arbeitsmarktstatistik und zu den Arten der Arbeitslosigkeit
kennengelernt. Mit den folgenden Anwendungen kannst Du die Inhalte wiederholen und überprüfen, wie gut du dich hier
auskennst.

Zusatzinformationen:

- Video 2.3: „Arten von Arbeitslosigkeit“ von VWLweb | Goethe Uni Frankfurt ist lizenziert unter einer Creative Commons
Namensnennung 3.0 Unported Lizenz Es wird hier von Youtube eingebettet. Der H5P-Inhaltstyp „Iframe embedder“ steht unter
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2 Im Schwerpunkt: Angebot oder Nachfrage – wer soll’s richten? Die Kontroverse um wirtschaftspolitische Konzepte

2.1 Wie lässt sich mehr Beschäftigung in Europa schaffen? Vier Positionen
Die Finanz- und Wirtschaftskrise, die vor etwa 10 Jahren begann, hat in einigen Ländern im Süden Europas zu einem Anstieg der
Arbeitslosigkeit geführt. Insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit stieg drastisch an. Daher wird seit mehreren Jahren darüber
gestritten, wie diese hohe Arbeitslosigkeit am besten zu bekämpfen ist. Verschiedene Vorschläge wurden in dieser Zeit gemacht,
wie die Beschäftigung wieder erhöht werden kann. Im folgenden Lernabschnitt werden vier Positionen dazu vorgestellt, die
zwischen 2012 und 2018 entstanden sind.

Zusatzinformationen:

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unter „Rights of use“ im H5P-Element. Der H5P-Inhaltstyp „Image Hotspots“ steht unter einer MIT-Lizenz.
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Arbeitsaufträge:

-
Im Lernabschnitt werden vier Positionen dargestellt, wie die Arbeitslosigkeit in Europa zu bekämpfen ist. Stelle vergleichend dar,
Beziehe in deine Darstellung auch weitere Informationen von den Webseiten der jeweiligen Akteurinnen mit ein.
-
Erörtere, welche sozialen und ökologischen Auswirkungen sich aus den vorgeschlagenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen
ergeben können. Berücksichtige dabei die
Kriterien für Nachhaltige Entwicklung ?
.

2.2 „In the long run…“: Revolutionen in der Wirtschaftsforschung
Wie in anderen Wissenschaften fallen auch die Ideen und Überlegungen der Wirtschaftsforscherinnen nicht vom Himmel, sondern
haben eine eigene Geschichte. Dabei hängen die wirtschaftliche Entwicklung und das wissenschaftliche Nachdenken darüber eng
miteinander zusammen. Gerade Wirtschaftskrisen spielen hier eine große Rolle.
„Die Neoklassik war im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert die dominierende Denkschule in der Volkswirtschaftslehre. Eine
traditionelle Schlussfolgerung der Neoklassik ist, dass Arbeits-, Güter- und Finanzmärkte zur Selbstregulierung neigen und ohne
verzerrende staatliche Eingriffe zu einer Gleichgewichtssituation tendieren. Dieses Gleichgewicht ist dadurch gekennzeichnet,
dass keine übermäßige Arbeitslosigkeit vorliegt und die wirtschaftlichen Pläne von privaten Haushalten und Unternehmen über
den Marktmechanismus (Angebot und Nachfrage) zum gegenseitigen Vorteil koordiniert werden.

In den späten 1920er und 1930er Jahren wurde das volkswirtschaftliche Denken allerdings durch die Erfahrung der
Weltwirtschaftskrise, die auch als ‚Große Depression‘ bezeichnet wird, erschüttert: Die Selbstregulierung der Märkte schien nicht
so zu funktionieren, wie von vielen Ökonomen vorhergesagt, und die hieran ausgerichtete Politik die Lage nur zu verschlimmern.

Abb. 2.11: John M. Keynes (1883 bis 1946) - hier als Graffito - ist der wichtigste Wirtschaftsforscher der keynesianischen
Revolution und Begründer der gleichnamigen Perspektive. Quellen- und Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.

Die keynesianische Revolution der 1930er Jahre

Mitten in der Krise veröffentlichte der britische Ökonom John Maynard Keynes 1936 seine ‚Allgemeine Theorie der
Beschäftigung, des Zinses und des Geldes‘, eines der einflussreichsten volkswirtschaftlichen Werke des 20. Jahrhunderts. Keynes
meinte, den starken Rückgang der Produktion und den damit verbundenen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit zu Beginn der
1930er Jahre durch einen allgemeinen Mangel an Güternachfrage erklären zu können, welcher in der neoklassischen Theorie
zumindest in ihrer damaligen Auslegung kaum möglich erschien. Er empfahl daher eine aktive Steuerung der Nachfrage durch die
Zinspolitik der Zentralbank, eine aktive Wirtschaftspolitik mit hohen Staatsausgaben und eine Reduzierung der
Einkommensungleichheit zur Stärkung der Massenkaufkraft. In den Wirtschaftswissenschaften spricht man in diesem
Zusammenhang von der ‚keynesianischen Revolution‘.
Abb. 2.12. Aufgrund Erhebungsverfahren und Bezugsgrößen ist die Vergleichbarkeit zwischen Ländern vor 1960 und zwischen
verschiedenen Zeitpunkten eingeschränkt. 0 heißt: keine Daten vorhanden. Alle Quellen- und Lizenzangaben am Ende des
Lernabschnitts.

In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, der manchmal als ‚goldenes Zeitalter des Kapitalismus‘ bezeichneten
Epoche, war der Keynesianismus die dominante Denkschule in der Wirtschaftspolitik. Der Wohlfahrtsstaat wurde in den reichen
Ländern auf Basis von hohen Steuern und Sozialversicherungsabgaben ausgebaut; die Finanzmärkte waren stark reguliert und
internationale Kapitalströme wurden begrenzt; die Arbeitslosigkeit war gering, die Gewerkschaften befanden sich in einer starken
Verhandlungsposition, und es wurden weitgehende verteilungspolitische Maßnahmen ergriffen, die die Ungleichheit von
Einkommen und Vermögen gering halten sollten. Große Teile der Wirtschaft waren durch staatliche Unternehmen bzw. staatliche
Regulierung geprägt.

Die ‚neoklassische Gegenrevolution‘ der 1970er Jahre

In den 1970er Jahren geriet die keynesianisch inspirierte Ausrichtung der Wirtschaftspolitik in die Krise. Es kam zu einem Anstieg der Inflation
bei gleichzeitigem Anstieg der Arbeitslosigkeit (‚Stagflation‘). Es entwickelten sich zunehmend harte Verteilungskämpfe zwischen
Gewerkschaften und Arbeitgeberinnen, die sich gegenseitig mit immer höheren Lohnforderungen und Preissteigerungen überboten. In einigen
Ländern lähmten vermehrte Streiks die wirtschaftliche Dynamik. Die traditionellen keynesianischen Rezepte der Geld- und Fiskalpolitik
erschienen ungeeignet, die Stagflation zu überwinden.
Abb. 2.13: Inflationsrate der Konsumpreise in Deutschland, Frankreich, USA und Großbritannien, 1928 bis 2016. Entwicklung der
Konsumpreise im Vergleich zum Vorjahr in Prozent. Alle Quellen- und Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.

Vor diesem Hintergrund setzte in den 1970er Jahren in Wissenschaft und Politik eine ‚neoklassischen Gegenrevolution‘ ein. Eine
wichtige Rolle spielten hier die Arbeiten des Ökonomie-Nobelpreisträgers Milton Friedman, durch dessen Ideen u. a. die
Regierungen von Margaret Thatcher in Großbritannien und Ronald Reagan in den USA inspiriert wurden. In den meisten Ländern
wurden nun angebotsseitige Reformen durchgesetzt. Ziel war es, Ineffizienzen im Staatsapparat zu beseitigen und verstärkte
Leistungsanreize für Arbeitnehmerinnen sowie private Unternehmen zu schaffen, um die Angebotsbedingungen der
Volkswirtschaft zu verbessern. Zu diesem Zweck wurden Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen gesenkt. Außerdem wurde
in vielen Ländern durch die Deregulierung des Arbeitsmarkts (z. B. Abbau des Kündigungsschutzes, Kürzung der
Arbeitslosenunterstützung) die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften geschwächt. Gleichzeitig wurden die nationalen
Zentralbanken zunehmend unabhängig von der Politik, und der staatlichen Ausgabenpolitik wurden Grenzen gesetzt. Hierdurch
sollte verhindert werden, dass durch staatlich betriebene Nachfragesteigerung lediglich kurzfristige ‚konjunkturelle Strohfeuer‘
erzeugt werden und die eigentlich notwendigen strukturellen Reformen verschleppt werden.

Im Zuge der in den 1980er Jahren einsetzenden und sich mit der Auflösung des kommunistischen Ostblocks zu Beginn der 1990er
Jahre beschleunigenden Globalisierung wurden zunehmend auch internationale Handelsbeschränkungen abgebaut. Die
internationalen Finanzmärkte wurden dereguliert. Hierdurch sollte der internationale Wettbewerb gestärkt werden und
Ineffizienzen beseitigt werden, die auf die Abschottung der nationalen Ökonomien vor internationaler Konkurrenz zurückgeführt
wurden.

Abb. 2.14: Milton Friedman (1912 bis 2006) war einer der wichtigsten Wirtschaftsforscher der „neoklassischen Gegenrevolution“.
Quellen- und Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.

Das ‚Ende der Geschichte‘ und die Rückkehr der Denkschulen

Während der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama im Zusammenhang mit dem Ende der Systemkonkurrenz zwischen Ost und
West sogar vom ‚Ende der Geschichte‘ sprach, schienen auch in der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie in den 1990er und
2000er Jahren die Grenzen zwischen neoklassischen und keynesianischen Ansätzen nach und nach zu verschwinden. Einige
Ökonominnen sprachen daher auch vom ‚Neuen Konsens der Makroökonomik‘.

Danach wurde das kurzfristige Auf und Ab der Konjunktur mit Nachfrageschwankungen erklärt und sollte entsprechend mit
keynesianischen Instrumenten begrenzt werden (Konjunkturpolitik). Als entscheidend für die längerfristige Entwicklung der
Wirtschaftsleistung galten aber angebotsseitige Bedingungen (Strukturreformen). Für die kurzfristige Konjunktursteuerung galt
die Geldpolitik der Zentralbank als bevorzugtes Instrument, während die staatliche Ausgabenpolitik kritisch gesehen wurde.
Gründe hierfür waren, dass staatliche Ausgabenprogramme als tendenziell ineffizient im Vergleich zu privaten Initiativen
angesehen wurden und dass ein weiterer Anstieg der Staatsverschuldung befürchtet wurde.

Spätestens mit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 und mit der Eurokrise seit 2010 ist der theoretische
Grundkonflikt zwischen Neoklassik und Keynesianismus mit voller Macht in die wirtschaftspolitische Debatte zurückgekehrt.
Zunächst reagierten die meisten Regierungen in den Jahren 2008 und 2009 mit umfangreichen, keynesianisch inspirierten
Ausgabenprogrammen auf die Krise. Viele Ökonominnen argumentierten, dass diese Notfallmaßnahmen nötig waren, um einen
wirtschaftlichen und politischen Niedergang vom Ausmaß der Großen Depression zu vermeiden. Zunehmend wurden in den
Wirtschaftswissenschaften auch Stimmen laut, welche den Anstieg der Einkommensungleichheit in vielen Ländern als eine
wichtige Ursache für die Finanzkrise ansehen. Ihr Argument ist, dass die unteren und mittleren Einkommensschichten sich in
vielen Ländern (v. a. USA und Großbritannien) verschulden mussten, um ihre Konsumnachfrage hoch zu halten, weil ihre
Einkommen nicht mehr oder kaum noch stiegen. Viele sprechen in diesem Zusammenhang von der ‚Rückkehr des
Keynesianismus‘ und fordern eine gleichmäßigere Einkommensverteilung als Antwort auf die Überschuldung vieler
Privathaushalte.

Abb. 2.15: 0 heißt: In diesem Jahr keine Daten vorhanden. Angaben vor Steuern. Quelle der Daten: Thomas Piketty. Weitere
Quellen- und Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.

Mittlerweile sind viele Regierungen wieder zu einer angebotsorientierten Politik, inspiriert durch neoklassische Denkmuster,
zurückgekehrt. Vielerorts wird eine entschlossene staatliche Sparpolitik (Austerität) betrieben, weil die wirtschaftlichen Probleme
als im Wesentlichen strukturell bedingt interpretiert werden. In der Europäischen Union und speziell in der Eurozone wird diese
Politik insbesondere von der deutschen Bundesregierung gefordert. Zugleich kritisieren einige internationale Beobachter die aus
ihrer Sicht antikeynesianischen Positionen in Deutschland und diagnostizieren der Eurozone sogar ein ‚Deutschland-Problem‘ im
Zusammenhang mit den aus ihrer Sicht negativen Folgen der Sparpolitik. Viele Anhänger neoklassischer Konzepte halten
hingegen den Keynesianismus nach den Erfahrungen der 1970er Jahre nach wie vor für gescheitert. Somit ist gegenwärtig unklar,
in welche Richtung sich das ökonomische Denken in den nächsten Jahren entwickeln wird.“

Gekürzte und überarbeitete Version von: Till van Treeck für bpd.de: Zur historischen Entwicklung von Neoklassik und
Keynesianismus, CC BY-NC-SA 4.0 DE. Weitere Quellen- und Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.
Zusatzinformationen:

- Der Text „‚In the long run…‘: Revolutionen in der Wirtschaftsforschung“ von Till van Treeck ist lizenziert unter einer Creative
Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz. Er ist eine
gekürzte und überarbeitete Fassung des Textes „Zur historischen Entwicklung von Neoklassik und Keynesianismus“ von Till van
Treeck für bpb.de.
( http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/ )
( http://www.bpb.de/politik/wirtschaft/schuldenkrise/239934/neoklassik-und-keynesianismus )

- Abb. 2.11 „Lisboa 2012/B282“ von r2hox from Madrid, Spain ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung -
Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic Lizenz.
( https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lisboa_2012_B282_(7756171832).jpg?uselang=de )
( https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.de )

- Abb. 2.12: „Arbeits-/Erwerbslosenquoten in Deutschland, Frankreich, USA und Großbritannien, 1924 bis 2016“ von Till van
Treeck, Julian Becker ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Quelle der Daten:
Jahre 1924 bis 1936 (alle Länder): Sensch, Jürgen, (1932, 2014 [2014]) histat-Datenkompilation online: Arbeitslosigkeit von 1887
bis 2010 im internationalen Vergleich. GESIS Köln, Deutschland ZA8576 Datenfile Version1.1.0; Jahre 1948 bis 1956
(Deutschland und Großbritannien): Sensch, Jürgen, (1932, 2014 [2014]) histat-Datenkompilation online: Arbeitslosigkeit von
1887 bis 2010 im internationalen Vergleich. GESIS Köln, Deutschland ZA8576 Datenfile Version1.1.0; Jahre 1948 bis 1956
(USA): ILOSTAT; Jahre 1948 bis 1956 (Frankreich): Keine Daten; Jahre 1960 bis 2019 (alle Länder): AMECO.
( http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ )
( https://histat.gesis.org/histat/ )
( https://histat.gesis.org/histat/ )
( https://ilostat.ilo.org/ )
( https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/indicators-statistics/economic-databases/macro-economic-database-
ameco/ameco-database_en )

- Abb. 2.13: „Inflationsrate der Konsumpreise in Deutschland, Frankreich, USA und Großbritannien, 1928 bis 2016“ von Till van
Treeck, Julian Becker ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Beruht auf den Daten
in Òscar Jordà, Moritz Schularick, and Alan M. Taylor. 2017. Macrofinancial History and the New Business Cycle Facts. In
NBER Macroeconomics Annual 2016, volume 31, edited by Martin Eichenbaum and Jonathan A. Parker. Chicago: University of
Chicago Press. Diese Datensammlung ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell -
Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.
( http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ )
( http://www.macrohistory.net/data/ )
( http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/ )

- Abb. 2.14 „Milton Freidman“ von http://www.thefamouspeople.com/profiles/milton-friedman-167.php ist lizenziert unter einer
Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.
( https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Milton-friedman-5.jpg )
( http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ )

- Abb. 2.15 „Anteil der oberen 10 Prozent der Einkommensbezieherinnen an den Gesamteinkommen, 1919 bis 2010“ von Julian
Becker, Till van Treeck ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.Beruht auf den
Daten von Thomas Piketty unter http://piketty.pse.ens.fr/files/capital21c/en/Piketty2014FiguresTables.zip.
( http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ )
( http://piketty.pse.ens.fr/files/capital21c/en/Piketty2014FiguresTables.zip )

Arbeitsaufträge:

-
Erläutere die Entstehung der keynesianischen Wirtschaftstheorie und der neoklassischen „Gegenrevolution“ im jeweiligen Kontext
der historischen Entwicklung.
-
Die Abbildungen im Lernabschnitt ermöglichen in Verbindung mit dem Text die Herstellung einer Beziehung zwischen
Theoriegeschichte und Wirtschaftsgeschichte. Erläutere unter Berücksichtigung der Grafiken, in welcher wirtschaftlichen
Situation die beiden Theorien jeweils entstanden sind und wodurch die jeweiligen „Zeitalter“ charakterisiert sind.

2.3 „Exploring Economics“: Die Neoklassik
Die Perspektive der Neoklassik ist am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden. Sie war über weite Strecken der Geschichte wohl die
einflussreichste Perspektive in der Volkswirtschaftslehre. Viele Wissenschaftlerinnen orientieren sich auch heutzutage
hauptsächlich an ihr. Sie liefert die Grundlage für eine Wirtschaftspolitik, die tendenziell eher als angebotsorientiert bezeichnet
werden kann. Der Textauszug von der E-Learning-Plattform „Exploring Economics“? stellt die Perspektive vor.
Angebot, Nachfrage und Knappheit

„Die Bezeichnung ‚neo-classical‘ wurde [...] im Jahre 1900 geprägt und beschreibt die von Alfred Marshall begründete Synthese
von subjektiver und objektiver Werttheorie als Angebots- und Nachfragediagramm. Marshall brachte das klassische Verständnis,
dass sich der Wert eines Gutes durch die Produktionskosten ergibt, mit den damals neuen Einsichten der Grenznutzenschule
zusammen, wonach der Wert durch den individuellen Nutzen bestimmt wird. Noch heute steht das Marktdiagramm als
Zusammentreffen von (objektiver) Angebot- und (subjektiver) Nachfragefunktion im Zentrum der neoklassischen Ökonomik.

Der […] Kern der neoklassischen Theorie bildet den heutigen ‚Mainstream‘ der Volkswirtschaftslehre und dominiert die
ökonomische Bildung und Forschung. […] Das zentrale Problem der Ökonomie liegt nach neoklassischem Verständnis in der
begrenzten Natur gesellschaftlicher Ressourcen. Die Ökonomik als Wissenschaft soll aufgrund dieser Knappheit die
Bewirtschaftung einer Volkswirtschaft studieren, um Wohlstand durch optimale Zuteilung von Ressourcen […] zu ermöglichen.
Dabei kann die Ökonomie vereinfacht als Tauschwirtschaft verstanden werden, in welcher rationale Akteure mit [feststehenden]
Ausstattungen auf Märkten interagieren und auf Grund von wechselseitigem Nutzen Handel betreiben. Die Quelle für das
Funktionieren einer Wirtschaft liegt dabei in ihrer Produktivität begründet, welche den Lebensstandard einer Nation bestimmt.

Abb. 2.16: Ein typisches Preis-Mengen-Diagramm. Solche Diagramme stehen im Zentrum der neoklassischen Ökonomik.
Quellen- und Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.

Rational und nutzenorientiert: Der homo oeconomicus

Die neoklassische Theorie geht bei ihrer Konzeption der Wirtschaft von Individuen aus, die vor abzuwägenden Alternativen
stehen und mit ihren Entscheidungen den eigenen Nutzen maximieren wollen. Sie folgen darin dem Rationalprinzip (auch
‚ökonomisches Prinzip‘), nach welchem für einen gegebenen Input der Output maximiert oder für einen gegebenen Output der
Input minimiert werden soll. Um als Wirtschaftssubjekt zu einem optimalen Ergebnis zu gelangen, wird eine Abwägung von
Kosten und Nutzen als Entscheidungsgrundlage herangezogen […]. In diesem Kontext wird häufig die Abstraktion des homo
oeconomicus herangezogen. Dieser repräsentiert ein idealtypisches Individuum, welches im Sinne der Nutzenmaximierung
rational und vornehmlich mit Blick auf seinen Eigennutzen handelt.

Mit Hilfe von Zusammenfassungen der individuellen Nutzenfunktionen lässt sich die gesamtgesellschaftliche Nachfrage herleiten,
welche auf dem Markt auf das gesamtgesellschaftliche Angebot trifft. Durch den Preismechanismus […] streben Angebot und
Nachfrage ein Gleichgewicht an, in welchem sich diese entsprechen und der Markt als geräumt gilt, sodass der Preismechanismus
in der neoklassischen Theorie als optimales Zuteilungsinstrument angesehen wird. […] Solange kein Marktversagen wie
beispielsweise das Auftreten von externen Effekten oder die Bildung von Monopol- oder Oligopolstrukturen vorliegt, führt der
Marktmechanismus durch Selbstorganisation zum volkswirtschaftlichen Optimum. […]

Aus den Überlegungen zum Individualismus und zur instrumentellen Rationalität ergibt sich ein Menschenbild, in dem Menschen
und ihre Präferenzen einerseits als black-box betrachtet werden, d. h. relativ autonom und unabhängig von äußeren Einflüssen
sind. Andererseits wird von einer Zweckrationalität ausgegangen, in der die Akteure versuchen ihr Ziel, d. h. die Maximierung von
Nutzen entsprechend ihrer Präferenzen, möglichst effizient zu erreichen. Während die Logik der Maximierung als menschlich
universell angesehen wird, ist der Inhalt der Präferenzen [= das, was die Menschen wollen] variabel. […]

Schlussendlich führen die Entscheidungen und Handlungen auf der Ebene jedes einzelnen Individuums [Mikroebene] zu einem
gesamtgesellschaftlichen Gleichgewichtszustand auf der Ebene der Gesamtwirtschaft [Makroebene]. Dabei tendiert der Markt im
Normalfall von sich aus zu einem gleichgewichtigen Zustand, weshalb dieser als prinzipiell stabil angesehen wird. Das bedeutet
nicht, dass sich der Markt fortwährend im Gleichgewicht befindet, sondern dass dieser in der langen Frist einen statischen, stabilen
Zustand anstrebt. […]

Wertvorstellungen und Ideologie

Ethische Fragestellungen sind dem neoklassischen Verständnis nach nicht Gegenstand der grundlegenden ökonomischen Analyse,
sondern kommen erst bei explizit normativer Betrachtung ins Spiel. Nach Quaas und Quaas […] stellt die Mehrung des
Wohlstandes das primäre Ziel der Mainstreamökonomik dar. Dieses Selbstverständnis begründet die neoklassisch-
makroökonomische Fokussierung auf Wirtschaftswachstum als Zielvariable. Sowohl das Instrumentarium der Kategorien,
Begriffe und Zusammenhänge als auch die Heuristiken werden dabei als wertneutral dargeboten. Die meisten Neoklassiker*innen
stellen die Unterscheidung von Tatsachen gegenüber Normen auf […]. Aus diesem Verständnis heraus argumentieren die Autoren
eines führenden Lehrbuches wie folgt: ‚Bei der Behandlung ökonomischer Fragen müssen wir sorgfältig zwischen Fakten und
Wertvorstellungen unterscheiden. Die positive Ökonomik beschreibt die Fakten einer Wirtschaft, während sich die normative
Ökonomik mit Werturteilen befasst‘ […].

Allerdings fußt auch die Neoklassik in ihren Grundannahmen auf einem normativen Fundament, welches sich aus der
grundsätzlichen Problemstellung, d. h. der effizienten Allokation [= Verteilung] knapper Ressourcen, ableitet. So nimmt sie an,
dass es das Ziel der Menschen ist, ihren Nutzen zu maximieren, welches wiederum mathematisch modelliert werden kann. Da
ausschließlich die Individuen ihre Präferenzen kennen, stellt der Markt dabei das beste Instrument dar, um diese zu befriedigen.
Ein Eingreifen des Staates wird nur in Fällen von Marktversagen als wirtschaftlich sinnvoll erachtet und der vollkommene Markt
als theoretischer Normalfall und vollständige Konkurrenz als Idealzustand angenommen. Ideologisch erkennt die Neoklassik nur
die negative Freiheit, also die Freiheit von Zwängen (wie Staatseingriffe) an und sieht diese am besten in einem Marktsystem
verwirklicht. Diese Kategorisierung und Begrifflichkeit impliziert eine gewisse ‚Marktgläubigkeit‘, weshalb neoklassische
Ökonom*innen oft mit einem wirtschaftsliberalen Weltbild in Verbindung gebracht werden.[…]“

Gekürzte, leicht überarbeitete (Wortbedeutungen in Klammer) Version von: Lara Boerger und das Exploring-Economics-Team:
Neoklassik, CC BY 4.0 DE. Weitere Quellen- und Lizenzangaben am Ende des Lernabschnitts.
Zusatzinformationen:

- Der Text „Neoklassik“ von Lara Boerger und dem Exploring-Economics-Team für exploring-economics.de ist lizenziert unter
einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz. Es wurden Kürzungen und leichte Überarbeitungen
(Wortbedeutungen in Klammer) am Originaltext vorgenommen.
( https://www.exploring-economics.org/de/orientieren/neoklassik/ )
( http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ )

- Abb. 2.16 „Ein typisches Preis-Mengen-Diagramm“ von Till van Treeck, Julian Becker ist lizenziert unter einer Creative
Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
( http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ )

- H5P 2.12 „‚Exploring Economics‘: Steckbrief Neoklassik“: Lizenzangaben zum Inhalt unter „Rights of use“ im H5P-Element.
Der H5P-Inhaltstyp „Accordion“ steht unter einer MIT-Lizenz.
( https://github.com/h5p/h5p-accordion/blob/master/LICENSE.txt )

2.4 Gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge aus der Sicht der Neoklassik
Einen guten Einstieg in eine Beschäftigung mit den wirtschaftspolitischen Konzeptionen von Neoklassik und Keynesianismus und
ihren Antworten auf das Problem der Arbeitslosigkeit bietet das bereits aus Kapitel 1 bekannte Konzept des Bruttoinlandsprodukts.
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