Wie viel Euro braucht Europa? - In der aktuellen Diskussion um die Schul
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Renate Ohr im Club“ anzusehen.❙3 Fehlentwicklungen und Probleme dort können die Funktions- Wie viel Euro fähigkeit der EU insgesamt beeinträchtigen. Eine Verkleinerung oder gar im Extremfall eine Auflösung des „Clubs im Club“ bedeutet braucht Europa? jedoch kein Scheitern der gesamten EU, son- dern kann gegebenenfalls notwendig sein, um Spannungen abzubauen, die sich mittlerweile auf die gesamte Gemeinschaft übertragen ha- I n der aktuellen Diskussion um die Schul- denkrise Griechenlands und anderer südeu- ropäischer Mitglieder der Europäischen Wäh- ben. Was gilt es zu bewahren, und wo müssen Korrekturen ansetzen, um die europäische Integration „nachhaltig“ zu gestalten? rungsunion (EWU) Renate Ohr wird zumeist auch Der europäische Integrationsprozess der Dr. rer. pol., geb. 1953; Profes- von einer „Eurokri- Nachkriegszeit begann in den 1950er Jah- sorin für Wirtschaftspolitik an se“ gesprochen. Der ren mit der Montanunion, mit Euratom der Georg-August-Universität Euro ist in die Dis- und der Europäischen Wirtschaftsgemein- Göttingen, Platz der Göttinger kussion geraten, da schaft (EWG) – Zusammenschlüsse zwi- Sieben 3, 37073 Göttingen. man befürchtet, dass schen Deutschland, Frankreich, Italien und renate.ohr@ Schuldenkrisen oder den Benelux-Staaten, die auf wirtschaftli- wiwi.uni-goettingen.de gar ein Staatsbankrott che Zusammenarbeit gerichtet waren. Wäh- www.economics. einzelner Euroländer rend Montanunion und Euratom sektora- uni-goettingen.de/ohr den Gesamteindruck le Zusammenschlüsse zur Förderung einer des Euroraums so gemeinsamen europäischen Energiepolitik schwächen würden, dass damit auch das Ver- und zur gemeinsamen friedlichen Nutzung trauen in die gemeinsame Währung verloren der Atomenergie waren, zielte die EWG auf ginge. Und ein Scheitern des Euro – so hieß eine umfassende gesamtwirtschaftliche Inte- es – würde auch ein Scheitern „Europas“ be- gration. Diese sollte zunächst vor allem über wirken.❙1 Um das Vertrauen in den Euro zu Freihandel zwischen den Partnerländern er- stärken und den Euroraum zu retten, be- reicht werden. In den 1960er Jahren kamen schlossen die politisch Verantwortlichen in die Gemeinsame Agrarpolitik und die Regio- der EWU, den Schuldnerländern trotz der nal- und Strukturförderung über gemeinsam Nichtbeistands-Klausel (no-bail-out) in den finanzierte Fonds hinzu. EU-Verträgen❙2 mit Kreditzusagen und Bürg- schaften zu helfen. Es folgte Anfang der 1990er Jahre der In- tegrationsschritt des Europäischen Binnen- Die sich verschärfenden Probleme in Grie- marktes mit der Verwirklichung der vier chenland – mittlerweile wird von einem drit- Grundfreiheiten (freier Waren- und Dienst- ten Rettungspaket gesprochen – zeigen je- leistungshandel, freier Kapitalverkehr und doch, dass solche finanziellen Hilfen allein freie Mobilität der Arbeitskräfte innerhalb die grundlegende Problematik nicht lösen der Gemeinschaft). Schließlich wurden 1999 können, da diese nicht zuletzt auch auf die mit der Einführung der gemeinsamen Wäh- Mitgliedschaft der betroffenen Länder im rung die monetären Rahmenbedingungen Euroraum zurückzuführen ist. Zugleich ist für einen Großteil der EU-Mitglieder zent- der Euroraum selbst in Spannungen geraten, die wiederum die EU insgesamt vor zuneh- ❙1 So etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel am mende Herausforderungen stellen. 6. 9. 2011 im Deutschen Bundestag. ❙2 Art. 125 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der EU) besagt, dass weder die Union noch die Mitglied- Von der Montanunion schaften für die Verbindlichkeiten anderer Mitglied- zur Währungsunion staaten haften; Art. 123 AEUV, dass direkte Kredi- te der nationalen Regierungen bei der EZB oder der unmittelbare Erwerb von Staatsschuldtiteln der Mit- Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung gliedsländer durch die EZB verboten sind. muss zwischen der EU insgesamt und der EWU ❙3 Vgl. Renate Ohr, Clubs im Club – Europas Zu- unterschieden werden. Betrachtet man die EU kunft, in: ORDO. Jahrbuch für die Ordnung von als „Club“, so ist die Währungsunion als „Club Wirtschaft und Gesellschaft, 58 (2007), S. 67–82. APuZ 13/2012 23
ralisiert und vereinheitlicht. Begleitet wur- bewirkt, die zu einem Zusammenwachsen de diese sukzessive Integrationsvertiefung der Volkswirtschaften quasi „von unten“ der vergangenen 50 Jahre durch eine Erweite- führen. Der EU-Binnenmarkt mit seinen vier rung der Gemeinschaft von anfänglich sechs Grundfreiheiten repräsentiert die höchste auf mittlerweile 27 Mitglieder. Form dieser Marktintegration. Demgegenüber ist die institutionelle Inte- Marktintegration, institutionelle gration ein politisch, „von oben“ durchge- Integration und Governance setztes Verbinden der nationalen Wirtschafts- räume durch ein gemeinsames Eingliedern Insgesamt zeigt sich, dass die europäische unter zentrale, supranationale Institutionen. (wirtschaftliche) Integration durch zwei kon- Diese Integrationsform zielt darauf ab, die träre Formen geprägt ist: die sogenannte nationalen wirtschaftspolitischen Interven- Marktintegration und die sogenannte insti- tions- und Regulierungsregime durch eine tutionelle oder Politikintegration.❙4 Vergemeinschaftung institutioneller Rege- lungen und Politiken zu ersetzen. Dabei soll Die Marktintegration ist vom Grundgedan- es über die fortschreitende Harmonisierung ken geleitet, dass Integration – im Sinne ei- und Zentralisierung von Entscheidungen zur nes Zusammenwachsens der Volkswirtschaf- Verringerung von Transaktionskosten und ten – vor allem durch die Intensivierung von damit zu einer Intensivierung der wirtschaft- Marktverflechtungen erreicht werden soll. lichen Verflechtungen kommen. Zudem er- Durch die Erleichterung grenzüberschreiten- scheint eine institutionelle Integration sinn- der wirtschaftlicher Transaktionen entstehen voll, wenn damit gemeinsame öffentliche neue Marktbeziehungen, da Produzenten, Güter wie etwa die Sicherung von Energie- Konsumenten, Kapitalanleger und Arbeit- und Nahrungsmittelversorgung erstellt wer- nehmer nun die Märkte der europäischen den. Zur institutionellen Integration zählen Partner mit nutzen können. Zugleich werden gemeinsame Marktordnungen oder auch eine durch die Ausdehnung der Absatzmärkte auf gemeinsame Währung. die Partnerländer Massenproduktionsvortei- le besser nutzbar, der Zugang zu günstigen Während die Marktintegration auf den Vorleistungen aus den Nachbarstaaten wird Wettbewerb als wesentlichen Treiber der In- erleichtert und der zunehmende Wettbewerb tegration setzt, zielt die institutionelle Inte- fördert Produktivität und technischen Fort- gration auf eine verstärkte Zentralisierung schritt. Schließlich wird den Verbrauchern und gemeinsame Regulierung. Damit ist al- eine größere Produktvielfalt zu günstigeren lerdings zugleich eine Einschränkung oder Preisen geboten. gar Ausschaltung des zwischenstaatlichen Wettbewerbs der betroffenen Institutionen Marktintegration schafft somit die Rah- verbunden: Wenn etwa Steuer- oder Sozi- menbedingungen dafür, dass Vorteile aus alsysteme länderübergreifend harmonisiert wirtschaftlichen Beziehungen mit den Part- werden, geht der Wettbewerb um die best nerstaaten erkannt und genutzt werden kön- practice in der Steuer- bzw. Sozialgesetzge- nen. Dafür müssen Handelshemmnisse oder bung verloren. Wenn eine gemeinsame Wäh- andere Beschränkungen grenzüberschreiten- rung eingeführt wird, geht der Wettbewerb der Transaktionen beseitigt werden (Libe- zwischen verschiedenen nationalen Geld- ralisierung) und unterschiedliche nationale und Währungspolitiken verloren. Die statt- Regulierungen abgebaut oder gegenseitig an- dessen zentral und länderübergreifend ein- erkannt werden (Deregulierung). Die daraus gesetzten Politiken mögen im Idealfall den entstehenden verstärkten Wirtschaftsbezie- besten der vorherigen nationalen Politiken hungen bis zum gemeinsamen Wirtschafts- entsprechen, faktisch wird sich die Qualität raum werden über individuelle und freiwil- der neuen gemeinsamen Institutionen jedoch lige Entscheidungen der Marktteilnehmer zumeist eher dem Durchschnitt der bisheri- gen Qualitäten annähern, so dass Effizienz- verluste eintreten können. Auch können sich ❙4 Vgl. Werner Mussler/Manfred Streit, Integrati- onspolitische Strategien in der EU, in: Renate Ohr nationale Institutionen besser an nationale (Hrsg.), Europäische Integration, Stuttgart 1996, Besonderheiten und Präferenzen anpassen, S. 265 ff. sodass eine Zentralisierung auch aus diesem 24 APuZ 13/2012
Grund Wohlfahrtsverluste bewirken kann.❙5 ger, eine Politik zunehmender Staatsverschul- Eine klare Abwägung zwischen dem mögli- dung zu präferieren, und die Notwendigkeit, chen Nutzen und den möglichen Verlusten dies im Sinne einer nachhaltig funktionieren- durch diese Form der Integration ist daher den Währungsunion zu verhindern.❙7 von großer Bedeutung. Dies betrifft im Be- sonderen auch die institutionelle Integration in Form einer gemeinsamen Währung. Kosten und Nutzen der EU Hinter der Unterscheidung zwischen Markt EU-Binnenmarkt und EWU verfügen über integration und institutioneller oder Politik zwei unterschiedliche Integrationsphiloso- integration stehen zwei unterschiedliche phien und auch unterschiedliche Kosten- Governance-Konzepte. Das „ordnungsorien- Nutzen-Relationen. Der Binnenmarkt er- tierte“ Paradigma❙6 geht von einer inhärenten möglicht Kostenvorteile für die Produzenten, Stabilität der Privatwirtschaft und von funk- Preisvorteile für die Verbraucher sowie ins- tionierenden Märkten aus sowie von unvoll- gesamt mehr Handel und hierdurch mehr in- ständigen Informationen und Eigeninteressen ternationale Arbeitsteilung und Wirtschafts- bei den Politikern, so dass staatliche Eingriffe wachstum. Zudem können Arbeitskräfte und oft ineffizient werden (Staatsversagen). Kont- Kapital dorthin wandern, wo sie am meis- rär dazu beruht das „interventionsorientierte“ ten gebraucht und am effizientesten genutzt Paradigma auf einer inhärenten Instabilität werden. Schließlich ermöglicht der Binnen- der Märkte aufgrund mangelhafter privat- markt eine stärkere Handelsposition gegen- wirtschaftlicher Koordinationsmechanismen über Drittländern. (Marktversagen) und erfordert daher eine ak- tive Wirtschaftspolitik. Hier werden die In- Diesen Vorteilen stehen die – meist weit formationsvorsprünge beim Staat gesehen. überschätzten – Kosten bzw. Ausgaben der EU gegenüber. Das EU-Budget (gemessen an Die EU spiegelt einen Mix dieser beiden den Ausgaben) beträgt ca. 126,5 Milliarden ordnungspolitischen Grundpositionen wider. Euro, dies entspricht nur etwa einem Prozent Der Binnenmarkt etwa setzt auf wettbewerb- des EU-Bruttoinlandsprodukts (BIP). Ver- liche Anreizmechanismen, die Währungsuni- gleicht man damit etwa die Staatsausgaben in on dagegen auf Zentralisierung. Ein zentrales Deutschland (als Summe der Haushaltsausga- Governance-Problem der EWU ist die Kom- ben von Bund, Ländern, Kommunen sowie der bination aus einer Geldpolitik mit vollstän- gesetzlichen Sozialsysteme), so bewegen sich diger Zentralisierung und einheitlicher Aus- diese in den vergangenen zehn Jahren zwischen gestaltung für alle Mitgliedsländer einerseits 43 und 48 Prozent des deutschen BIP. Natür- und der weiterhin in nationaler Kompetenz lich hat der deutsche Staat eine Vielzahl von verbleibenden Fiskalpolitik andererseits. Eine Aufgaben, welche die EU nicht zu bewältigen nationale Regierung kann der eigenen Volks- hat, etwa die Bereitstellung der inneren und wirtschaft mit einem defizitären Staatshaus- äußeren Sicherheit, der Bildung oder der Ren- halt kurzfristig expansive Impulse verschaffen ten. Trotzdem ist das EU-Budget vergleichs- (deficit spending), wobei sich die mit der zu- weise gering: Allein das BIP Deutschlands mit sätzlichen Verschuldung verbundenen negati- rund 2500 Milliarden Euro macht etwa das ven Effekte jedoch auf die gesamte Währungs- Zwanzigfache des EU-Budgets aus. Betrachtet gemeinschaft verteilen. Hieraus ergibt sich ein man den Nettobeitrag Deutschlands zur EU, Anreiz für die nationalen Entscheidungsträ- so beträgt er knapp 12 Milliarden Euro, das ist weniger als 0,5 Prozent des BIP.❙8 ❙5 Vgl. zur Zuordnung der Entscheidungskompeten- zen Alberto Alesina/Romain Wacziarg, Is Europe Die wesentlichen Ausgabeposten im EU- going too Far?, NBER Working Paper 6883, Cam- Budget sind die Agrarpolitik und die Regi- bridge 1999. Die Autoren stellen den Nutzen aus Ska- leneffekten und einer Internalisierung externer Ef- fekte den Präferenzkosten gegenüber, die bei einer ❙7 Vgl. Marco Buti/Gabriele Giudice, Maastricht’s Zentralisierung durch europäische statt nationaler Fiscal Rules at Ten: An Assessment, in: Journal of Entscheidungen entstehen. Common Market Studies, 40 (2002) 5, S. 824 ff. ❙6 Vgl. im Folgenden Theresia Theurl, Ordnungspo- ❙8 Zum Vergleich: Für die verschiedenen Euro-Ret- litische Dimensionen der Europäischen Union, in: tungsschirme bürgt Deutschland mit mehreren hun- Wirtschaftspolitische Blätter, 54 (2007), S. 319 ff. dert Milliarden Euro. APuZ 13/2012 25
onal- und Strukturfonds. Auch wenn die zwei Manifeste,❙9 in denen die befürchteten Agrarpolitik oft kritisiert wird, ist die Grund- Risiken dieses Projektes in folgenden Punk- idee durchaus positiv: Mit einer gemeinsa- ten zusammengefasst wurden: men und zentral organisierten agrarpoliti- schen Steuerung soll eine Selbstversorgung • Die zu große Unterschiedlichkeit der wirt- mit lebensnotwendigen Nahrungsmitteln für schaftlichen Strukturen und wirtschaftspo- die gesamte EU gewährleistet werden, ohne litischen Präferenzen zwischen den beteilig- dass die Nationalstaaten eine autonome Ver- ten Ländern lässt eine gemeinsame Geld- und sorgung benötigen. Eine Versorgung durch Währungspolitik ineffizient werden. die Partnerländer ist gewährleistet. Die Re- gional- und Strukturfonds und der Kohäsi- • Durch die gemeinsame Währung werden onsfonds wiederum, die schwachen Regionen sich die wirtschaftlichen Unterschiede wei- mit projektgebundenen Fördermitteln hel- ter verschärfen, da sich die Wettbewerbsfä- fen, dienen dem Abbau wirtschaftlicher Di- higkeit der Mitglieder weiter auseinander vergenzen im EU-Raum und fördern damit entwickeln wird. auch die Akzeptanz des europäischen Inte- • Die fiskalische Stabilität ist nicht nachhaltig grationsprozesses. Die oft beklagte Bürokra- gesichert, der Stabilitäts- und Wachstumspakt tie in Brüssel schließlich ist nicht so teuer wie ist dazu nicht ausreichend. Stattdessen beste- vielfach vermutet, da sie wiederum nur etwa hen Anreize, sich noch mehr zu verschulden. fünf Prozent der gesamten EU-Ausgaben be- ansprucht. Die EU insgesamt „braucht“ also • Letztlich wird die Unabhängigkeit der Eu- vergleichsweise wenig Euro(s). Zu betrach- ropäischen Zentralbank (EZB) gefährdet ten bleiben nun allerdings die Währungsuni- sein, und als Konsequenz wird eine insta- on und die mit ihr verbundenen Nutzen und bile Währung, eine instabile Gemeinschaft Kosten. oder eine Transferunion entstehen. Was damals abstrakt befürchtet wurde, Was kostet der Euro? ist längst eingetreten: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat versagt, und die meisten Die Vorteile einer Währungsunion werden Euro-Ländern haben hohe, nicht nachhaltige in der Senkung von Transaktionskosten ge- Staatsdefizite. Die EZB kauft trotz no-bail- sehen, im Wegfall von Wechselkursrisiken out-Vereinbarung anhaltend Staatsschuldtitel und den damit einhergehenden Risikoprä- auf. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit mien sowie in der Ausschaltung spekulativer der Euroländer hat sich dramatisch auseinan- Falschbewertungen. Die aufgrund des Weg- derentwickelt. Durch unterschiedliche Lohn- falls von Transaktionskosten prognostizier- kostenentwicklungen und Inflationsraten ten Handelszuwächse sind allerdings nicht haben Länder wie Griechenland, Portugal, so hoch wie erwartet. Zwar hat der Han- Spanien, Irland stark real aufgewertet, wäh- del zwischen den Europartnern zugenom- rend Deutschland real abgewertet hat. Diese men, doch ist der Handel mit Nicht-Euro- stetig wachsenden Leistungsbilanzungleich- partnern deutlich stärker gewachsen, so dass gewichte können nicht mehr durch Wechsel- für fast alle Mitgliedsländer der Währungs- kursänderungen korrigiert werden. union gilt, dass jener Anteil ihres Außen- handels, der mit den Euro-Partnerländern Die daraus resultierenden Kosten des Euro stattfindet, gesunken ist. Die Existenz einer betreffen die Länder in unterschiedlichem gemeinsamen Währung ist für den Handel Maße. Deutschland hatte in den ersten zehn also nicht entscheidend, sondern die Exis- Jahren der Währungsunion ein stark unter- tenz zahlungskräftiger, wachstumsstarker durchschnittliches Wachstum zu verzeichnen, Geschäftspartner – und diese liegen außer- da zunehmend Kapital in die Peripherieländer halb der Eurozone, in Asien, aber auch in Osteuropa. ❙9 „Die währungspolitischen Beschlüsse von Maas- tricht: Eine Gefahr für Europa“, in: FAZ und Zeit Anstelle solcher erhofften Nutzenzuwäch- vom 11. 6. 1992; von 62 deutschen Professoren unter- se durch den Euro sind stattdessen beträcht- zeichnet. „Der Euro kommt zu früh“, FAZ und Fi- liche Kosten entstanden, die nicht unvorher- nancial Times vom 9. 2. 1998; von mehr als 160 Wis- sehbar waren. So gab es in den 1990er Jahren senschaftlern unterzeichnet. 26 APuZ 13/2012
der Währungsunion investiert wurde. Zwar Verkleinerung der Währungsunion? war durch die gemeinsame Währung eigent- lich nur das Wechselkursrisiko ausgeschaltet Wie „schlimm“ wäre nun ein Austritt Grie- worden, doch hatten die Finanzmärkte rich- chenlands (oder auch anderer Schuldenlän- tig vorausgesehen, dass die no-bail-out-Ver- der) aus der Währungsunion? Entscheidend einbarung vermutlich nicht eingehalten wird, für die Probleme Griechenlands, Portugals wenn ein Euroland in finanzielle Schwierig- oder Spaniens ist nicht nur die hohe Staats- keiten gerät. Daher wurden lange Zeit keine verschuldung, die mittlerweile auch viele an- Länderrisiken mehr eingepreist, und die Peri- dere Länder zu verzeichnen haben, sondern pherieländer konnten sich zu günstigen Kon- die hohe Auslandsverschuldung, die durch ditionen verschulden. Seit der Eurokrise fließt die über Jahre anhaltenden hohen Leistungs- zwar kaum noch Kapital in diese Länder, da- bilanzdefizite hervorgerufen wurden. Um für ist Deutschland aber hohe finanzielle Ver- diese Leistungsbilanzdefizite wieder abzu- pflichtungen und Garantien „zur Rettung des bauen, ist – für die Wiedergewinnung in- Euro“ eingegangen. Zudem hat Deutschland ternationaler Wettbewerbsfähigkeit – neben die Deutsche Bundesbank als Stabilitätsan- Strukturreformen letztlich eine reale Abwer- ker verloren und eine Währung bekommen, tung notwendig. Diese kann zum einen über für die künftig Preisstabilität nicht mehr glei- eine „interne“ Abwertung, also über Lohn- chermaßen gesichert ist.❙10 und Preissenkungen und drastisches Spa- ren, erfolgen. Dies ist ein sehr schmerzhafter Die Tatsache, dass Deutschland in den ver- Weg, den die Bürger eines Landes meist nicht gangenen beiden Jahren ein überdurchschnitt- mittragen wollen. Zum anderen könnte eine liches Wachstum aufwies, ist nicht auf den „externe“ Abwertung erfolgen, die jedoch Euro zurückzuführen, sondern auf eine vor- den Austritt aus der Währungsunion bedeu- herige konsequente Politik der Lohnzurück- ten würde.❙11 haltung. Und auch die hohen Außenhandels- überschüsse Deutschlands von 158 Milliarden Auch diese Abwertung reduziert letztlich Euro im Jahr 2011 sind nur zu einem Bruch- die realen Konsummöglichkeiten der Bürger, teil (19 Milliarden Euro) durch Überschüsse doch ist dies weniger transparent und wird gegenüber den Europartnern entstanden. daher leichter akzeptiert. Natürlich würde ein Austritt zunächst zu einer stark über- Aber auch die derzeitigen Krisenländer tra- schießenden Abwertung der Währung füh- gen mittlerweile hohe Kosten durch ihre Mit- ren. Aber genau dies hilft letztlich, um die gliedschaft im Euroraum. So wären etwa Grie- Leistungsbilanz rasch zu verbessern und die chenland, Portugal oder Spanien nicht in die Kapitalflucht zu stoppen: Je stärker die Wäh- Situation ihrer hohen Leistungsbilanzdefizi- rung abwertet, umso wahrscheinlicher ist eine te und hohen Auslandsverschuldung geraten, künftige Erholung, die auch Kapitalrückflüs- wenn sie noch ihre eigene Währung gehabt se interessant macht. Die überschießende hätten. Die vor einigen Jahren als Erfolg ge- Abwertung der neuen Währung könnte so- priesene Angleichung der Renditen auf Staats mit das Fundament für eine rasche Erholung titel innerhalb der Währungsunion hat sich des Landes sein und zugleich eine marktmä- gerade für diese Länder als großes Problem ßige Lösung, um wieder Wirtschaftswachs- erwiesen, da sie hohe Kapitalzuflüsse ermög- tum zu generieren. Natürlich geht dies alles lichte, die aber nicht effizient und produktiv nur mit einem Schuldenschnitt und mit ei- genutzt wurden. Erst das hohe Ausmaß der ner Umwandlung der Euro-Schulden in die durch falsche Anreize forcierten Verschuldung neue Währung (was für die Gläubiger gleich- ließ dann – zu spät – die richtige Risikoein- bedeutend mit einem Schuldenschnitt wäre). schätzung in die Renditen einfließen. Mit ei- Zumindest in Bezug auf Griechenland ist ner eigenen Währung hätte es diese ausufern- eine solche Entwicklung antizipiert. de Entwicklung nicht gegeben, und auch die schrumpfende internationale Wettbewerbsfä- higkeit hätte durch sukzessive Abwertungen ❙11 Ein Austritt aus der Eurozone ist zwar vertrag- lich nicht geregelt, aber durch analoge Anwendung leichter ausgeglichen werden können. der im Vertrag von Lissabon aufgenommenen Rege- lungen zu einem Austritt aus der EU ohne Probleme ❙10 Schließlich ist der einfachste Weg, Schulden zu re- möglich. Ein Austritt aus der Eurozone bedeutet kei- duzieren, sie durch Inflation zu entwerten. nen Austritt aus der EU. APuZ 13/2012 27
Ein „Dominoeffekt“ auf andere Krisenlän- ten deutlich übersteigt. Zugleich funktioniert der ist kaum zu befürchten, da die Austritts- das ambitionierte und erfolgreich umgesetz- gefahr Griechenlands mittlerweile von den te Binnenmarktprojekt mit allen 27 EU-Mit- Märkten einkalkuliert und von den Gläubi- gliedstaaten gleichermaßen, also auch mit je- gern weitgehend eingepreist ist. Die Tatsache, nen, die nicht der Eurozone angehören. Der dass ein Austritt aus der Währungsunion nicht Binnenmarkt braucht somit den Euro nicht. mehr „koste es, was es wolle“ verhindert wird, kann statt dessen sogar für andere Defizitlän- Die Probleme in der Eurozone beruhen der ein Warnsignal sein, das zu verstärkten ei- nicht auf „zu viel Markt“, sondern auf „zu we- genen Bemühungen führt, Staatshaushalt und nig Markt“. Eine gemeinsame Währung für Wettbewerbsfähigkeit zu konsolidieren. Selbst sehr unterschiedliche Wirtschaftsräume kann wenn mehrere Länder austreten würden, wäre nur funktionieren, wenn eine hohe Flexibilität dies nicht als „Gefahr für Europa“ zu drama- der Löhne, Preise und Kapitalrenditen vorliegt tisieren. Im Gegenteil: Die derzeitige Über- und/oder eine hohe Mobilität von Arbeits- forderung der Schuldnerländer durch harte kräften und Kapital, die den Mangel an in- Sanierungsprogramme und der Gläubigerlän- nergemeinschaftlicher Wechselkursflexibilität der durch die ausufernden „Rettungsschir- ausgleichen. Dazu gehört auch, dass die Län- me“ schwächen die Integrationsbereitschaft derrisiken nicht durch die Gemeinschaft getra- der Europäer. So verzeichnet Eurobarometer gen werden dürfen (Eurobonds), sondern sich den Vertrauensverlust der europäischen Bür- in den nationalen Zinsen (als Risikoprämien) ger gegenüber der EU seit der Eurokrise: Bei niederschlagen müssen. Risikoprämien zwin- der letzten Befragung im Herbst 2011 gaben gen die Politik zum Handeln (im Gegensatz nur noch 34 Prozent der befragten EU-Bürger zu den oft verkündeten „strikten Sanktionen“ an, der EU zu vertrauen, 55 Prozent dagegen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes oder der misstrauten ihr. Bei der Frage „Würden Sie sa- geplanten Schuldenbremsen). Die besten „au- gen, dass sich die Dinge in der EU derzeit in tomatischen Sanktionen“ für unsolide Wirt- die richtige oder in die falsche Richtung ent- schaftspolitik sind Marktsignale wie Zinser- wickeln?“ antworteten nur noch 19 Prozent höhungen oder Wechselkursänderungen. mit „Ja“, 55 Prozent dagegen mit „Nein“.❙12 Ein Ausscheiden einzelner Länder aus der Fazit: Damit Europa nicht so viele Euro(s) Währungsgemeinschaft könnte den verblei- braucht (= kostet), dürfen nicht so viele EU- benden Euroraum sogar stabilisieren und da- Länder den Euro als eigene Währung gebrau- mit Vertrauen in einen nachhaltigen europäi- chen. Die Vorteile des Binnenmarktes sind schen Integrationsprozess schaffen. auch ohne Euro nutzbar, und sie unterstüt- zen auch die Akzeptanz des europäischen Deutschland müsste trotz Abwertung der Integrationsprozesses bei den Bürgern. Die dann neu geschaffenen Währungen nicht un- derzeitigen, anscheinend unbegrenzten Hil- bedingt um seine Exporte fürchten. Eine ak- fen für die Schuldnerländer sind dagegen kei- tuelle Studie❙13 zeigt, dass sich ein Austritt Ir- ne nachhaltige Lösung, da sie nicht die Ursa- lands, Griechenlands, Spaniens und Portugals chen der Krise beheben, sondern stattdessen kaum negativ auf die deutschen Exporte aus- falsche Anreize setzen. wirken würde. Nur eine vollständige Auflö- sung der Eurozone würde das Wachstum unse- Ein Austritt einiger Länder aus der Euro- rer Exporte signifikant beeinflussen können. zone müsste und sollte jedoch keine Abkehr von der Solidarität in der Gemeinschaft be- Insgesamt kann festgehalten werden, dass deuten. Hilfe für die EU-Partner ist richtig die EU mit ihrem Binnenmarktprojekt ein und wichtig, aber sie sollte durch konkre- grundlegend positives Beispiel der Marktin- te Projekte (im Rahmen der Regional- und tegration gibt, bei dem der Nutzen die Kos- Strukturfonds, des Kohäsionsfonds oder durch die Europäische Investitionsbank) er- folgen. In Verbindung mit einer „Selbsthil- ❙12 Man kann davon ausgehen, dass die Befragten fe“ durch eine Abwertung ihrer Währungen die Entwicklung im Euroraum als wesentlich für die könnten die derzeitigen Krisenländer wieder Entwicklung der EU ansehen. ❙13 Vgl. Götz Zeddies, Der Euro als Triebfeder des „auf einen grünen Zweig“ kommen. deutschen Exports?, cege-Diskussionspapier, No. 130, Göttingen 2011. 28 APuZ 13/2012
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