Wirtschaftlichkeits-analysen - ADMIN-Magazin

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Wirtschaftlichkeits-
    analysen
             Die Migration zu Linux kann nicht nur Kosten
             sparen, sondern auch verursachen. Wer dabei
             keine Überraschungen erleben möchte, für den
             empfiehlt sich eine sorgfältige Planung unter
             dem Gesichtspunkt Wirtschaftlichkeit. Wie aber
             ist die Wirtschaftlichkeit eines Migrationspro-
             jektes zu messen? Welche Kosten- und Nut-
             zenkategorien gilt es dabei zu berücksichtigen?
             Welche Methoden eignen sich für deren Bewer-
             tung? Auf diese Fragen gibt der vorliegende Bei-
             trag eine Antwort. Michael Amberg, Rostislav Markov

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Studien

Grundsätzlich lassen sich zwei Arten ­von           Wertschöpfung nur indirekt ableitbar, beispiels-
Wirtschaftlichkeitsanalysen        unterscheiden:   weise über die Kalkulation eingesparter Kosten
Ex-Ante-­Analysen und Ex-Post-Analysen.             oder durch die Bewertung der Mitarbeiterfle-
Ex-Ante-Analysen finden vor der Einführung          xibilität und Benutzerfreundlichkeit des neuen
des analysierten Systems statt, in der Regel zur    Betriebssystems. Sowohl auf Kosten- als auch
Rechtfertigung des Projektvorhabens oder zur        auf Nutzenseite kommt man um eine detaillierte
Aushandlung besserer Vertragskonditionen.           Schätzung der erwarteten Kosten und Nutzen
Ex-Post-Analysen dagegen führt man nach er-         nicht umhin. Der Aufwand dafür kann dabei
folgter Systemeinführung durch mit dem Ziel,        schnell aus dem Ruder laufen.
nachträglich einen positiven Beitrag nachzu-        Nicht übereinstimmende Interessengruppen:
weisen oder um Kosten- und Nutzentreiber zu         Die Durchführung einer Wirtschaftlichkeits-
identifizieren.                                     analyse vor oder nach einer Systemmigration
Wirtschaftlichkeitsanalysen für Migrationspro-      ist eine gemeinschaftliche Leistung. Trotzdem
jekte sind keine leichte Aufgabe. Wie bei ande-     können die Ziele, die verschiedene Interessen-
ren IT-Projekten auch lassen sich nicht alle Ko-    gruppen innerhalb des Unternehmens mit einer
sten- und Nutzeffekte quantifizieren oder ein-      solchen Analyse verknüpfen, unterschiedlich
deutig zuordnen. Dies liegt unter anderem am        sein. Ein positives Ergebnis kann das Investiti-
Infrastrukturcharakter langfristiger Investiti-     onsvorhaben rechtfertigen oder das Renommee
onen. Die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit er-    des Projektleiters verbessern. Ein negatives Er-
schweren folgende Merkmale solcher Projekte:        gebnis kann für Fachabteilungsleiter das bislang
Konservative Schätzungen: Ernst zu neh-             fehlende Argument liefern, mit dem sich nicht
mende Wirtschaftlichkeitsstudien gehen häufig       eingetretene Effizienzverbesserungen recht-
sehr vorsichtig vor. Nicht monetäre oder strate-    fertigen lassen. Manche Abteilungsleiter und
gische Nutzeffekte, die sich typischerweise nicht   Mitarbeiter können in Wirtschaftlichkeitsana-
in Buchwerten niederschlagen, bleiben dabei oft     lysen eine potenzielle Maßnahme zur Personal-
außen vor. Diese unausgewogene Berücksich-          kürzung sehen. In solchen Fällen können diese
tigung der Kosten- und Nutzenseite führt sys­       Personen die Mitarbeit an der Studie verweigern
tematisch zu negativen Ergebnissen der Wirt-        oder Angaben manipulieren.
schaftlichkeitsanalyse und einer relativen Über-    Einmaligkeitscharakter der Studie: Es ist gän-
bewertung der Kosten. Insbesondere bei Investi-     gige Praxis, dass Ex-Ante-Wirtschaftlichkeits-
tionen mit langfristiger Wirkung fällt das Ergeb-   gutachten nach erfolgter Systemeinführung
nis einer Wirtschaftlichkeitsanalyse tendenziell    keinen Einsatz im Unternehmen mehr finden.
negativ aus. In der Realität können konservative    Dies liegt häufig daran, dass der Auftragge-
Schätzungen dazu führen, dass strategisch wich-     ber kurzfristige Ziele verfolgt. Dabei sollte die
tige Projekte deswegen unterbleiben. [1]            Durchführung von Wirtschaftlichkeitsanaly-
Vielzahl an Bewertungsmethoden: Für die             sen im Idealfall einen regelmäßigen Prozess
Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von IT-Vor-      fortlaufender Verbesserung darstellen. Kosten-
haben existiert eine ganze Reihe von Methoden.      und Nutzentreiber ließen sich so überwachen,
Diese haben häufig einen klaren Fokus auf Kos­      Abweichungen von den geplanten Kosten und
ten- oder Nutzenerfassung, weshalb eine Kom-        Nutzen identifizieren und Maßnahmen zur ge-
bination mehrerer Methoden notwendig ist.           zielten Steuerung des wirtschaftlichen Ergeb-
Dafür aber mangelt es an einer standardisierten     nisses ergreifen.
Vorgehensweise. Deshalb stehen Unternehmen
oft vor der Frage, wie sie geeignete Methoden       Wirtschaftliche Kriterien
auswählen und richtig einsetzen sollen. Manch       Die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit einer
ein Manager würde seine Entscheidung vor die-       Linux-Migration erfordert die Berücksichtigung
sem Hintergrund auch viel lieber aus dem Bauch      quantitativer und qualitativer Kriterien. Zu die-
heraus fällen, anstatt sich die Mühe zu machen,     sen gehören neben wirtschaftlichen auch tech-
anerkannte Methoden anzuwenden.                     nische sowie qualitativ-strategische Kriterien.
Aufwendige Vorgehensweise: Der Wechsel              Unter die wirtschaftlichen Vergleichsmerkmale
des Betriebssystems wirkt sich auf die gesamte      fallen:
bisherige IT-Landschaft aus. Gleichzeitig sind      Software-Kosten: Die Software-Aufwendungen
Nutzeffekte bedingt durch den Abstand zur           für das Betriebssystem und für notwendige

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Studien

          Anwendungs-Software. Sie berechnen sich je          ment-Tools zur Verfügung, die eine Zeiteinspa-
          nach Einsatzszenario, wobei eine Rolle spielt,      rung bewirken.
          ob das Unternehmen Modifikationen am
          Betriebssys­tem benötigt, auf die regelmäßige       Technische Kriterien
          Versorgung mit Bugfixes für sicherheitskritische    Zu den technischen Kriterien rechnet man:
          Fehler Wert legt oder der Nutzung sogenann-         Hardware-Abhängigkeit: Die Hardware-Ab-
          ter ­Copyleft-Lizenzen wie GNU GPL nicht zu-        hängigkeit beschreibt, inwieweit sich die vor-
          stimmt. Insgesamt fallen die Kostenvorteile ge-     handenen Hardware-Ressourcen für eine Mi-
          genüber proprietären Betriebssystemen umso          gration auf Linux eignen.
          höher aus, je mehr Clients beziehungsweise Pro-     Software-Abhängigkeit: Die Software-Abhän-
          zessoren es gibt.                                   gigkeit bezeichnet den Grad der Integrationsfä-
          Hardware-Kosten: Zu den Hardware-Kosten             higkeit der vorhandenen Software-Ressourcen.
          gehören Aufwendungen zur Erweiterung der            Insbesondere bei heterogenen Systemstrukturen
          Hardware oder zur Neuanschaffung von Kom-           ist sicherzustellen, dass die eingesetzten Systeme
          ponenten. Zum Beispiel kann die Anschaffung         kompatibel zueinander sind und Schnittstellen
          preiswerter Standard-Hardware mit Linux zur         anbieten. Das geschieht beispielsweise durch
          Kosteneinsparung beitragen, wenn sie teure          entsprechende Import-/​Export-Funktionalität
          Hochleistungsserver ablöst.                         oder Advanced Programming Interfaces (API).
          Mitarbeiterschulung: Die Migration auf Linux        Identity Management: Hierzu gehören Auf-
          impliziert in der Regel einen Know-how-Wech-        wendungen für die Definition technischer und
          sel bei den betroffenen Mitarbeitern. Einspa-       betrieblicher Prozesse der Benutzerrollenver-
          rungen in dieser Kategorie, etwa durch die Frei-    waltung (etwa die Festlegung von Zugriffs-
          stellung nicht länger benötigten Fachpersonals,     rechten oder die Implementierung von Single-
          sind ebenfalls zu erfassen.                         Sign-On-Konzepten). Aufgrund der Sensibilität
           Migrationsplanung: Migrationsprojekte stellen      der entsprechenden Benutzerdaten kann dem
          häufig einen größeren Eingriff in die bestehende    damit verbundenen Aufwand ein beträchtlicher
          IT-Architektur dar. Dies bedingt einen entspre-     Stellenwert für das Unternehmen zukommen.
          chend hohen Planungs- und Koordinationsauf-         Systemstabilität: Die Systemstabilität bezeich-
          wand, etwa für das Projektmanagement oder die       net die Systemverfügbarkeit, ‑korrektheit und
          Planung von Prozessverbesserungen.                  ‑fehlertoleranz. Gerade im Kundenkontakt sind
          Systemeinführung: Bei der Systemeinführung          die Systemstabilität und damit verbundene Aus-
          fallen Aufwendungen für die Installation und        fallzeiten von Bedeutung. Mangelnde Stabilität
          die Anpassung des neuen Betriebssystems an.         führt zwangsläufig zu Produktivitätsverlusten.
          Besonders sicherheitskritische Branchen stellen     Systemperformance: Die Leistungsfähigkeit
          oft grundsätzliche und nicht diskutable Forde-      definieren viele Kriterien, darunter Start-, Lade-
          rungen an das Zielsystem.                           und Reaktionszeiten.
          Support: Hierunter fallen alle Aufwendungen         Sicherheit: Ein weiterer Nutzen kann sich durch
          für die Unterstützung bei der Integration, für      den Einsatz von Systemen ergeben, die weniger
          den Endnutzer-Support sowie für die Pflege und      Angriffspunkte für Viren, Würmer oder Troja-
          Weiterentwicklung der Software.                     ner bieten. Die Ursache dafür kann die gerin-
          Administration: Zu diesem Kriterium gehören         gere Verbreitung sein, die solche Systeme für
          Aufwendungen für Datensicherung, Benutzer-          die Programmierer von Schadsoftware weniger
          administration, Systemwartung sowie außer-          lukrativ erscheinen lässt. Auch ein wirksamerer
          planmäßige Aufwendungen für die Behebung            Schutz durch das Betriebssystem kann hier eine
          von Systemausfällen. Insbesondere im Falle ei-      Rolle spielen.
          ner weichen Migration mit zeitweiligem Paral-       Benutzerfreundlichkeit: Die Benutzerfreund-
          lelbetrieb alter und neuer Systeme kann der Ad-     lichkeit bezieht sich sowohl auf Benutzungs- als
          ministrationsaufwand beträchtlich sein. Positive    auch auf Administrationsergonomie. Eng damit
          Effekte auf die Wirtschaftlichkeit sind ebenfalls   verbunden sind Schulungskosten. Wer Anwen-
          zu berücksichtigen. So können die neuen Sys­        dungs-Software für Windows – etwa via Wine
          teme langfristig einen geringeren administra-       oder Virtualisierung oder Terminalserver – in
          tiven Aufwand verursachen oder es stehen be-        eine Linux-Umgebung integriert, muss mit sin-
          sondere Administrations- und Systemmanage-          kender Benutzerfreundlichkeit rechnen.

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Studien

Qualitativ-strategische Kriterien                           Hinzu kommt der öffentliche Wissensaustausch
Unabhängigkeit von proprietären Software-                   etwa in Form von Mailing-Listen oder Support
Anbietern: Die Abhängigkeit von einem Anbie-                Communities, der beim Aufbau von unterneh-
ter und dessen Lizenzmodellen kann nachteilig               mensinternem Know-how helfen kann.
sein. Dies ist insbesondere dann so, wenn der               Marktpräsenz des Systems: Die Präsenz des Sys­
Hersteller ein Update erzwingt, indem er den                tems in einem bestimmten Anwendungsbereich
Support für ältere Versionen einstellt und sich             gilt als wichtiges Kriterium zur Beurteilung der
dafür auch kein anderer Anbieter mehr findet.               Einsatztauglichkeit. In Fachkreisen gilt häufig
Längerfristige Verbesserungspotenziale in die-              noch die These, dass Linux als Server-Betriebs­
ser Kategorie sind durch den Einsatz von Linux              system besser geeignet sei und daher dort häu-
jedoch nicht selbstverständlich. Zum einen sind             figer Anwendung fände als im Desktop-Bereich.
Enterprise-Distributionen von Linux, die man                Mitarbeiterflexibilität und ‑kompetenz: Häu-
womöglich einsetzen will oder muss, ebenfalls               fig erhoffen sich Unternehmen, durch den Um-
herstellerabhängig. Zum anderen werden diese                stieg auf ein neues Betriebssystem, die Flexibi-
Distributionen ähnlich wie Windows nur eine-                lität und IT-Kompetenz ihrer Mitarbeiter zu
beschränkte Zeit supported und schließlich kön-             erhöhen. Die Migration auf Linux kann jedoch
nen auch die Entwickler von Software-Anwen-                 auch mit Produktivitätseinbußen verbunden
dungen unter Linux nicht jede auf dem Markt                 sein, nämlich dann, wenn die neue Software
erhältliche Distribution unterstützen. Deshalb              aufgrund fehlender IT-Kompetenz nicht schnell
variiert der Grad der hinzugewonnenen Her-                  angenommen wird. Unabhängig davon können
stellerunabhängigkeit je nach Einsatzszenario.              Produktivitätseinbußen immer dann auftreten,
Quellcodeverfügbarkeit: Die Zugänglichkeit                  wenn Mitarbeiter sich weigern, das neue System
des Quellcodes ist Voraussetzung dafür, dass                in vollem Umfang zu nutzen. Dies kann etwa
sich Betriebssystem und Applikationen an ei-                vorkommen, wenn die IT-Abteilung potenzielle
gene Bedürfnisse anpassen lassen. Aber auch                 Nutzer des neuen Systems im Vorfeld nicht ein-
die Transparenz hinsichtlich der enthaltenen                bezieht oder keine Anreize zur Nutzung des
Funktionen kann ein qualitativ-strategisches                neuen Systems schafft.
Entscheidungskriterium sein.
Supportverfügbarkeit: Für den Einsatz in Un-                Wirtschaftlichkeit beurteilen
ternehmen ist die Verfügbarkeit von Support                 In ihrer Grundform stellt die Wirtschaftlich-
und Wartung essenziell. Neben Endbenutzer-                  keitsanalyse von Investitionsprojekten eine
Support zählt hierzu auch die Unterstützung                 Kosten-Nutzen-Analyse dar. Das Ergebnis ei-
bei der Integration und Pflege des Systems. Bei             ner solchen Analyse ist positiv und die Inves­
proprietärer Software sind diese Leistungen häu-            tition damit wirtschaftlich, wenn die Summe
fig nur von dem jeweiligen Hersteller und des-              aller Nutzeffekte die Kosten übersteigt bezie-
sen Partnern zu beziehen. Im Gegensatz hierzu               hungsweise gerade noch deckt. Auch wenn
steht bei Linux eine breiter werdende Basis an              manche Autoren die Kosten-Nutzen-Analyse
unabhängigen Dienstleistern zur Verfügung.                  als eigenständige Methode begreifen, handelt

 Linux TCO-Tools
 Für die Berechnung der TCO lassen sich diverse              Enterprise Server: [https://​­roianalyst.​­alinean.​
 Online-Rechner benutzen, beispielsweise:                    ­com/​­calculators/​­novell/​­ROI_Calculator.​­html]
 Online TCO Calculator von Ecognize LLC für                 Online TCO Calculator von Alinean, Inc., für
 die Migration von Windows auf eine Red Hat                 die Migration einer Oracle-Datenbank von
 Enterprise Desktop-Umgebung: [http://​­www.​               Sun Solaris auf HP Linux Server: [http://​­h10018.​
 ­compariv.​­com/​­redhat/​­tcoCalculator.​­jsp]            ­www1.​­hp.​­com/​­wwsolutions/​­linux/​­download/​
  Online TCO Calculator von Omni Technology                   ­tco/​­oracle/​­HPLinuxOracleTCOCalculator.​­html]
  Solutions, Inc., für die Migration von Windows               MS Excel-basierter TCO Calculator von User-
  auf Multi-station Linux Desktops: [http://​­www.​            ful für die Migration von Windows auf Linux
  ­omni‑ts.​­com/​­linux‑desktop/​­tco‑calculator.​­html]      im Desktop-Bereich: [www.​­conectividad.​­org/​
   Online TCO Calculator von Alinean, Inc., für                ­a rchivo/​­e studios/​­t co/​­c alc/​­TCO_Desktop_­
   die Migration von Solaris auf Novell SUSE Linux           calculator.​­xls]

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Studien

          es sich hierbei um kein Instrument, sondern              Zu den gängigen Methoden der Nutzenanalyse
          vielmehr um ein grundlegendes Vorgehen, das              gehören etwa die Prozesskostenrechnung, die
          mehrere Methoden für die Erhebung der Kosten             Nutzwertanalyse oder die Balanced Scorecard.
          respektive des Nutzens verwendet. Zu den Me-             Die Prozesskostenrechnung eignet sich immer
          thoden der Kostenanalyse gehört insbesondere             dann, wenn durch die Migration quantitative
          das Verfahren zur Ermittlung der Total Cost of           Auswirkungen auf die betrieblichen Prozesse
          Ownership (TCO). Die TCO-Methode hat sich                zu erwarten sind. Ähnlich wie bei der TCO-
          gerade im Bereich der Informationstechnologie            Methode erfasst sie nur die Nutzeffekte, die sich
          als De-facto-Standard zur Berechnung der Kos­            durch Kosteneinsparungen realisieren. Qualita-
          ten einer IT-Investition durchgesetzt. Im Er-            tiv-strategische Kriterien finden dabei keinerlei
          gebnis liefert die Anwendung der Methode eine            Berücksichtigung.
          monetäre Kennzahl, die die Gesamtkosten der
          Migration pro Arbeitsplatz (über eine im Vor-            Qualitative Bewertung
          feld festgelegte Laufzeit) wiedergibt. Die relative
          Wirtschaftlichkeit von Linux lässt sich ausge-           Diese sind jedoch Gegenstand der Nutzwert­
          hend von dem Vergleich des TCO-Wertes der                analyse beziehungsweise der Balanced Score-
          Linux-Lösung mit dem des Alt-Systems beurtei-            card. Nutzwertanalysen erlauben subjektive Ein-
          len (siehe Kasten Linux TCO-Tools).                      schätzungen hinsichtlich der nicht wirtschaft-
          Zur Bewertung der TCO verschiedener Systeme              lichen Nutzenkategorien einer Migration. Trotz
          liegen bereits Erfahrungswerte vor, unter ande-          der höheren Gefahr einer Datenmanipulation
          rem vom IT-Analysten und Erfinder der TCO,               hat die Methode Akzeptanz im Unternehmens-
          der Gartner Group. Allerdings ist hierbei Vor-           kontext gefunden, nicht zuletzt, weil sie eine Ge-
          sicht geboten. Häufig sind zugrunde liegenden            wichtung verschiedener Nutzwerte aus der Sicht
          Annahmen nicht offengelegt, weshalb die Über-            des eigenen Unternehmens vornimmt.
          tragbarkeit der Werte auf das eigene Unterneh-           Die Balanced Scorecard als ein kennzahlenba-
          men nicht überprüfbar ist.                               siertes System erweitert diese Sichtweise um

           Tabelle 1: Kostenvergleich Client-Umstellung in München
                                                          XP/​XP                              XP/​OSS
           Kostenart                            hw.                 n.hw.              hw.              n.hw.
           Software-Kosten                    2 260 626             47 395             860 208            47 395
           Hardware-Kosten                      548 992             34 416             548 992            34 416
           Mitarbeiterschulung                3 585 610         13 499 846           4 783 564        18 132 203
           und Einarbeitung
           Migrationsplanung                    878 910             817 500          1 019 525           981 870
           Systemeinführung                  2 761 081           990 471             6 076 559         2 283 045
           Administration und Support        6 064 123          2 693 185            2 284 667          2 693 185
           Summe                            16 099 343         18 082 813           15 573 516         24 172 115
           Gesamtkosten                             34 182 156                              39 745 631

           Die Tabelle stellt einen Kostenvergleich über verschiedene Wege der Client-Migration bei der Lan-
           deshauptstadt München dar. (Quelle: Unilog Management 2003) Die Kalkulation der Kosten für An-
           wendungssoftware beschränkt sich in allen Alternativen auf eine Standard Office Suite für Büroan-
           wendungen. Untersucht wurden folgende Alternativen:
           n XP/​XP: fortführende Migration auf Windows XP mit MS Office XP
           n XP/​OSS: fortführende Migration auf Windows XP und Open Office
           n LX/​OSS: ablösende, harte Migration mit Open Office
           n LX/​OSS/​VM: ablösende, weiche Migration mit Open Office und Zugriff auf Windows-Anwen-
              dungen in einer virtuellen Umgebung
           n LX/​OSS/​TS: ablösende, weiche Migration mit Open Office und Zugriff auf Windows-Anwen-
              dungen über einen Windows-Terminalserver.

5                                                www.linuxtechnicalreview.de
Studien

wirtschaftliche Kriterien. Sie eignet sich beson-    Dokumentationen,       Bedienungsanleitungen,
ders dann, wenn die Wirtschaftlichkeitsanalyse       Kriterienkataloge und Entscheidungsregeln ver-
nicht nur einmalig durchzuführen ist, sondern        fügbar sind.
als Steuerungsinstrument Anwendung finden
soll. Im öffentlichen Sektor hat sich mit WiBe       Entscheidungsfindung
ein Verfahren zur Beurteilung der Wirtschaft-        Ein endgültiges Urteil hinsichtlich der Wirt-
lichkeit von IT-Vorhaben etabliert, welches die      schaftlichkeit einer Linux-Migration zu fällen
Vorteile verschiedener Methoden vereint und          ist keine leichte Aufgabe. Selbst wer alle Kosten-
einen Einblick in die Gesamtwirtschaftlichkeit       und Nutzenkategorien angemessen bewertet
ermöglicht.                                          hat, steht immer noch vor der Frage, wie die Er-
Mit WiBe sind Aussagen hinsichtlich der mo-          gebnisse zu priorisieren und zusammenzufassen
netären Wirtschaftlichkeit genauso möglich wie       sind. Wie die Ergebnisse der monetären und er-
solche hinsichtlich der erweiterten Wirtschaft-      weiterten Wirtschaftlichkeit im Sinne des WiBe
lichkeit [2]. Die monetäre Wirtschaftlichkeit        zu einer Entscheidung zu verdichten sind, hängt
(Rentabilität) lässt sich mittels einer quantita-    ganz von dem jeweiligen Unternehmen ab. Ei-
tiven Kosten-Nutzen-Analyse einschätzen. Die         nige Anhaltspunkte für die Entscheidungsfin-
Beurteilung der erweiterten Wirtschaftlichkeit       dung liefern folgende Fragestellungen:
erfolgt hingegen mithilfe einer Nutzwertana-         n Skalierbarkeit der Migration („Wie stark
lyse durch Bewertung der Dringlichkeit des               hängt die Wirtschaftlichkeit von der Anzahl
Vorhabens, dessen qualitativ-strategischen Be-           der Lizenzen ab?“): Grundsätzlich fallen die
deutung sowie eventueller externer Effekte. Für          Kostenvorteile umso höher aus, je größer die
die deutsche Bundesverwaltung stellt WiBe ein            Anzahl der Client-Installationen beziehungs-
verpflichtendes Instrument zur Wirtschaftlich-           weise der Prozessoren ist. Gleichwohl ist bei
keitsbeurteilung von IT-Vorhaben dar. Die Me-            steigender Benutzeranzahl auch mit höherem
thode eignet sich jedoch auch für den Einsatz in         Initialaufwand für die Planung und Durch-
Unternehmen, nicht zuletzt, weil ausführliche            führung der Migration zu rechnen. Der Grad

            LX/​OSS                       LX/​OSS/​VM                         LX/​OSS/​TS
      hw.             n.hw.             hw.         n.hw.                 hw.           n.hw.
   1 560 259          233 889        2 126 676           23 698        3 769 092           23 698
     875 498           83 392          875 498           83 392        11 287 111         603 973
   5 459 585      20 597 4871        5 459 585       20 597 487        5 459 585       20 597 487

   1 305 158        1 184 220        1 019 525          981 870        1 305 158        1 184 220
  10 886 162         3 869 972       2 088 437          967 166        2 088 437           967 166
    ‑690 996           404 400       1 276 697          444 840        1 104 903         1 617 600
  19 395 667       26 373 360       12 846 419       23 098 453       25 014 287       24 994 144
          45 769 027                        35 944 872                        50 008 431

 n hw /n. hw: »hw« bedeutet „haushaltswirksam“, »n. hw.« entsprechend „nicht haushaltswirksam“.
 Unter der harten Migration der Variante LX/​OSS verstanden die Analysten den schlagartigen, kom-
 pletten Verzicht auf Windows-Anwendungen. Die Alternativen LX/​OSS/​VM und LX/​OSS/​TS unterstüt-
 zen dagegen übergangsweise den Zugriff auf Windows-Anwendungen, bis sie schließlich dasselbe
 Ergebnis wie LX/​OSS erreichen.
 Als unter rein monetären Gesichtspunkten wirtschaftlichste Alternative erweist sich die fortführende
 Migration auf Windows XP und MS Office XP. Beschränkt man die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung je-
 doch auf haushaltswirksame Effekte, überwiegen die Kostenvorteile der Alternative LX/​OSS/​VM auf-
 grund niedrigerer Personalkosten für Administration und Support gegenüber der Alternative XP/​XP.

                                      www.linuxtechnicalreview.de                                              6
Strategie

                                  der Abhängigkeit der Wirtschaftlichkeit von         in Kauf, um sich die Option eines Rückzugs
                                  der Anzahl der Lizenzen kann insbesondere           zeitweilig zu behalten. Harte Migrationen
                                  bei größeren Unternehmen eine Migrations-           hingegen lösen das bisherige System mit der
                                  entscheidung rechtfertigen.                         Installation des neuen Systems vollständig ab.
                               n Haushaltswirksamkeit der Migration („Sind           Dadurch fällt der aufwendige Parallelbetrieb
                                  monetäre Kriterien wichtiger als qualitativ-        der Systeme weg; Integrationsprobleme und
                                  strategische?“): Viele Kosten- und Nutzef-          Projektfehlentscheidungen etwa aufgrund
                                  fekte haben keinen haushaltswirksamen Cha-          der frühzeitigen Fixierung auf ein bestimmtes
                                  rakter und damit vorerst keine Auswirkung           System können jedoch zu schwerwiegenden
                                  auf die Bilanz. Beschränkt man sich auf haus-       Produktivitätsverlusten führen.
                                  haltswirksame Effekte, kann das Ergebnis der     n Teilbarkeit der Migration („Kann die Mi-
                                  Wirtschaftlichkeitsuntersuchung ganz anders         gration in mehreren Teilmigrationen erfol-
                                  aussehen.                                           gen?“): Bei klar abgrenzbaren Migrationsob-
                               n Dringlichkeit der Migration („Wie dringlich         jekten lässt sich ein Migrationsvorhaben auch
                                  erscheint die Migration zu Linux?“): Dring-         in mehreren Teilmigrationen umsetzen. Die
                                  lichkeitskriterien können dazu führen, dass         Meldung erster Erfolge aus Teilmigrationen
                                  man sich für ein Migrationsprojekt trotz nicht      kann die Unterstützung des Vorhabens durch
                                  ausreichend nachgewiesener Wirtschaftlich-          die Unternehmensführung bekräftigen und
                                  keit entscheidet.                                   unter Umständen für die Gewährung zusätz-
                               n Strategische Bedeutung der Migration („Wel-         licher finanzieller oder personeller Ressour-
                                  chen strategischen Stellenwert nimmt die Mi-        cen sorgen.
                                  gration im Unternehmen ein?“): Strategisch
                                  wichtige Vorhaben können ebenfalls trotz         Fazit
                                  nicht nachgewiesener Wirtschaftlichkeit eine     Wirtschaftliche Aspekte sind bei Migrations-
                                  Migration rechtfertigen, wenn das Unterneh-      projekten oft nicht alleine entscheidend, son-
                                  men sich hieraus etwa Wettbewerbsvorteile        dern erst in Kombination mit technischen und
                                  erhofft.                                         qualitativ-strategischen Aspekten. Letztere wa-
                               n Art der Migration („Erfolgt die Migration        ren etwa auch bei der Entscheidung der Lan-
                                  bei zeitweiligem Nebeneinanderbetrieb alter      deshauptstadt München für eine Migration auf
                                  und neuer Systeme?“): Weiche Migrationen         Linux ausschlaggebend (Tabelle 2). Hierzu ge-
                                  nehmen höhere anfängliche Aufwendungen           hörten die IT-Sicherheit sowie die Hersteller-
                                  für den Parallelbetrieb der beiden Systeme       abhängigkeit von Microsoft, dessen zukünftige

      Tabelle 2: Qualitativ-strategische Betrachtung von alternativen Clients
                                                    Max.          XP/​XP       XP/​OSS        LX/​OSS       LX/​OSS/​    LX/​OSS/​
                                                  Punktzahl                                                   VM            TS
      Auswirkungen auf die Einhaltung von              1 400          476           462               756       770           798
      Gesetzen und Vorschriften
      Auswirkungen auf die IT-Sicherheit               2 900         2 407         2 465         2 697         2 378         2 291
      Auswirkungen auf die Mitarbeiter                 1 900           823           505           125           380           443
      Auswirkungen auf die IT-Organisation               900           181           166           601           465           315
      Auswirkungen auf externe Adressaten                500           134            66            66            83            83
      Erfüllung weiterer strategischer Punkte          2 400         1 272         1 409         1 973         1 884         1 850
      Summe der Punkte                                10 000         5 293         5 073         6 218         5 960         5 780
      Neben den rein monetären wurden auch strategische und           dieser Auswertung ebenso eine Rolle wie viele weitere stra-
      qualitative Faktoren ermittelt und verglichen. Dabei ging es    tegische Fragen, etwa die Einhaltung offener Standards, die
      unter anderem darum, wie die jeweilige Variante der Client-     Herstellerunabhängigkeit, die Flexibilität des IT-Einsatzes und
      Umstellung die Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften,        der Schutz bereits getätigter Investitionen. Im Ergebnis der
      aber auch interner Regeln und Vorgaben oder die Anforde-        qualitativ-strategischen Betrachtung schnitten alle drei Migra-
      rungen an den Datenschutz erfüllen hilft. Die Auswirkungen      tionsalternativen mit Linux und Open Office besser ab als die
      auf die Attraktivität der Arbeitsbedingungen spielten bei       Windows XP-Alternativen.

7                                                                Linux Technical Review, Ausgabe 12
Strategie

Produktpolitik die Landeshauptstadt München            Dieser Beitrag liefert IT-Entscheidern das nö-             nehmensberatung GmbH, Münc
aus damaliger Sicht zu einem unerwünschten             tige Werkzeug für eine Auseinandersetzung mit
Betriebssystemwechsel ihrer Clients gezwungen          der Wirtschaftlichkeitsbeurteilung einer Linux-
hätte [3].                                             Migration. Er ersetzt jedoch nicht die Entschei-
Aber auch die bewusste Priorisierung haushalts-        dung, ob und inwieweit Linux wirtschaftlich ist.
wirksamer Aspekte gegenüber den nicht haus-            Das jeder für sein Unternehmen selbst ermitteln
haltswirksamen Effekten lieferte in München            muss. (jcb)                               nnn
damals ein weiteres Argument für die Migration
zu Linux. Aus diesem Grund wurde die Ausstat-          Infos
tungsalternative Linux mit Open Source Office          [1]	Silvius, G.: For What IT’s worth: Insights into the
Suite und PC-Emulation aufgrund niedrigerer                 True Business Value of IT. Proceedings of the
haushaltswirksamer Kosten der insgesamt mo-                 International Conference of the Information
netär wirtschaftlichsten Alternative einer fort-            Ressources Management Association, Khosrow-
führenden Migration auf der Grundlage von-                  Pour, M. (Ed.), New Orleans, Louisiana, USA,
Windows XP-vorgezogen.                                      ­319-323.
                                                       [2]	Röthig, P.: WiBe 4 1. Empfehlung zur Durchfüh-
Die Autoren                                                 rung von Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen in
Prof. Dr. Michael Amberg ist Inhaber des Lehrstuhls         der Bundesverwaltung, insbesondere beim Ein-
für Betriebswirtschaftslehre und Sprecher des Fach-         satz der IT. Version 4 1 – 2007. Schriftenreihe der
bereichs Wirtschaftswissenschaften an der Friedrich-        KBSt, Band 92, Januar 2007.
Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.               [3]	Unilog Management (2003): Projekt Client Stu-
Rotislav Markov promoviert am Lehrstuhl von Prof.           die der Landeshauptstadt München. Kurzfas-
Amberg. Mit Wirtschaftlichkeitsanalysen beschäftigt         sung des Abschlussberichts inklusive Nachtrag.
er sich seit mehreren Jahren.                               V.1 3.2 (Stand 02 07.2003), Unilog Integrata Unter-

                                                             Anzeige
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