Zeit, dass sich etwas ändert! - #74 Sommer 2019 - Alliance Sud

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Zeit, dass sich etwas ändert! - #74 Sommer 2019 - Alliance Sud
#74 Sommer 2019

                                              #FRAUEN UND ENTWICKLUNG

                                              Zeit, dass sich
                                              etwas ändert!

Das Magazin von   Swissaid   Fastenopfer   Brot für alle   Helvetas   Caritas   Heks
Zeit, dass sich etwas ändert! - #74 Sommer 2019 - Alliance Sud
AUFTAKT

                                An der Mehrheit

                                                                                                           Foto: Daniel Rihs
                                vorbei politisiert

Rund zwei Drittel der Bürgerinnen und Bür-           übrig. Er ist auch in strategischer Hinsicht
ger der Schweiz wünschen sich, dass unser Land       oberflächlich und lückenhaft. So fehlt das klare
seine Entwicklungsausgaben erhöht. Sie sind          Bekenntnis, dass die Reduktion von Armut
der Ansicht, dass die Entwicklungszusammen-          und die Stärkung der Zivilgesellschaft weiterhin
arbeit im Interesse der Schweiz ist und zur          Hauptziele des Schweizer Engagements sein
Sicherheit in der Welt beiträgt. Zu diesem Schluss   sollen. Die Reduktion von Armut ist nur dann
kommt die kürzlich veröffentlichte Studie            und dort noch ein Ziel, wo dies auch aus migra-
«Sicherheit 2019» der Militärakademie und des        tionspolitischen Gründen opportun erscheint.
Zentrums für Sicherheitsstudien der ETH.
In der Suisse romande sprechen sich sogar mehr       Stattdessen soll die Entwicklungszusammen-
als 80% der Bürgerinnen und Bürger für einen         arbeit vor allem auf die Schaffung von Arbeits-
Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit aus.           plätzen und Partnerschaften mit privatwirt-
                                                     schaftlichen Akteuren ausgerichtet werden. Es
Der Bundesrat lässt sich vom grossen Rückhalt,       fehlt der entscheidende Hinweis darauf, dass
den die Entwicklungszusammenarbeit in der            es dabei um menschenwürdige Arbeit im Rahmen
Bevölkerung geniesst, nicht beeindrucken. Im         einer ökologisch nachhaltigen Produktions-
Entwurf zur Botschaft über die internationale        weise gehen muss. Welche Kriterien die privat-
Zusammenarbeit 2021–2024 schlägt er vor, dass        wirtschaftlichen Partner in Sachen Menschen-
die Schweiz in den kommenden Jahren gerade           rechte, Umweltschutz und fairer Besteuerung
einmal 0,45% ihres Bruttonationaleinkommens          erfüllen sollen, bleibt im Botschaftsentwurf
für die öffentliche Entwicklungshilfe aufwen-        ungeklärt.
den soll. 2016 waren es immerhin 0,53%. Seither
musste die Entwicklungszusammenarbeit                Alliance Sud wird sich in ihrer Vernehmlassungs-
massive Einsparungen über sich ergehen lassen;       antwort für eine Botschaft einsetzen, welche
trotz jährlicher Milliardenüberschüsse in der        die Umsetzung der Uno-Agenda 2030 für nach-
Bundeskasse.                                         haltige Entwicklung ins Zentrum stellt. Die
                                                     Schweizer Entwicklungszusammenarbeit muss
Die reiche Schweiz gibt aktuell einen kleineren      dem Kampf gegen Armut und der Linderung
Anteil ihres Nationaleinkommens für die Ent-         von Not dienen. Und sie soll in ihren Partner-
wicklungszusammenarbeit aus als der Durch-           ländern mehr denn je all jene zivilgesellschaft-
schnitt aller EU-Staaten. Abzüglich der Asyl-        lichen Kräfte unterstützen, die für soziale
ausgaben, die absurderweise auch zur öffentlichen    Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit
Entwicklungshilfe gerechnet werden können,           einstehen.
soll dieser Anteil in den nächsten Jahren gar nur
0,4% betragen.

Der Botschaftsentwurf zur zukünftigen inter-
nationalen Zusammenarbeit der Schweiz lässt                        Mark Herkenrath
aber nicht nur in Sachen Finanzen zu wünschen                      Geschäftsleiter
                                                                   Alliance Sud

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Zeit, dass sich etwas ändert! - #74 Sommer 2019 - Alliance Sud
INHALT                                  IMPRESSUM
                                             global – Politik für eine gerechte Welt
                                             erscheint viermal jährlich.

                                             Die nächste Ausgabe von «global» erscheint
                                             Anfang Oktober 2019.

                                             Herausgeberin:
                        INS BILD GESETZT     Alliance Sud
                                             Arbeitsgemeinschaft Swissaid, Fastenopfer,
                  Sudan – Frühjahr 2019      Brot für alle, Helvetas, Caritas, Heks

                            6                Monbijoustrasse 31, Postfach, 3001 Bern
                                             T +41 31 390 93 30
                                             F +41 31 390 93 31
                                             global@alliancesud.ch
                      ENTWICKLUNGSPOLITIK    www.alliancesud.ch

             Nationalratspräsidentin         Social Media:
                                             facebook.com /alliancesud
           Marina Carobbio im Gespräch       twitter.com /AllianceSud

                        8                    Redaktion: Daniel Hitzig (dh), Kathrin Spichiger (ks)
                                             T +41 31 390 93 34 /30

                                             Bildredaktion: Nicole Aeby
                 Wenn «Nachhaltigkeit»       Grafik: Bodara GmbH, Büro für Gebrauchsgrafik, Zürich
                                             Druck: Valmedia AG, Visp
                    zum Fluch wird           Auflage: 2600

                          12                 Tarife Inserate /Beilagen: siehe Webseite

                                             Bild Titelseite: Ajoke Saka (25), MBA-Studentin aus Ikoyi, der
                                             künstlichen Insel in der Lagune von Nigerias Hauptstadt Lagos,
                       KLIMA UND UMWELT      posiert für die Kamera.
                 Warum Klimapolitik          Foto: Robin Hammond/Panos

                weiblicher werden muss
                           15

                      STEUERN UND FINANZEN                   SIE SIND ALLIANCE SUD
                  Steuerdumping trifft       Präsidium                     POLITIK
                    vor allem Frauen         Bernard DuPasquier,
                                             Geschäftsleiter Brot
                                                                           Entwicklungszusammenarbeit/
                                                                           Agenda 2030
                            18               für alle                      Eva Schmassmann
                                                                           T +41 31 390 93 40
                                             Geschäftsstelle
                                             Mark Herkenrath               eva.schmassmann@alliancesud.ch
                                             (Geschäftsleiter),            Steuer- und Finanzpolitik
                          AGENDA 2030        Kathrin Spichiger             Dominik Gross
                Tourismus als globaler       (Mitglied der GL),
                                             Matthias Wüthrich
                                                                           T +41 31 390 93 35
                                                                           dominik.gross@alliancesud.ch
               Tieflohnsektor für Frauen     Monbijoustr. 31,              Klima und Umwelt
                                             Postfach, 3001 Bern           Jürg Staudenmann
                          20                 T +41 31 390 93 30            T +41 31 390 93 32
                                             F +41 31 390 93 31            juerg.staudenmann@alliancesud.ch
                                             mail@alliancesud.ch           Handel und Investitionen
                       DIE SÜD-PERSPEKTIVE   Regionalstelle Lausanne       Isolda Agazzi (Mitglied der GL)

               Vertauschter Gender-Gap
                                             Isolda Agazzi,                T +41 21 612 00 97
                                             Laurent Matile,               isolda.agazzi@alliancesud.ch
                    in der Mongolei          Mireille Clavien
                                             T +41 21 612 00 95
                                                                           Entwicklungsbanken/IWF
                                                                           Kristina Lanz
                                             F +41 21 612 00 99
                           22                lausanne@alliancesud.ch
                                                                           T +41 31 390 93 42
                                                                           kristina.lanz@alliancesud.ch
                                             Regionalstelle Lugano         Unternehmen und
                                             Lavinia Sommaruga             Menschenrechte
                            INFODOC          (Mitglied der GL)             Laurent Matile
                                             T +41 91 967 33 66
                    Feminismus bei           F +41 91 966 02 46
                                                                           T +41 21 612 00 98
                                                                           laurent.matile@alliancesud.ch
                                             lugano@alliancesud.ch
               Indiens UreinwohnerInnen                                    Medien und Kommunikation
                                                                           Daniel Hitzig
                           26                                              T +41 31 390 93 34
                                                                           daniel.hitzig@alliancesud.ch

                      Die Web-Plattform                                    INFODOC
                                                                           Bern
                         Wikigender                                        Simone Decorvet, Petra
                                                                           Schrackmann, Jérémie Urwyler,

                             27                                            Joëlle Valterio
                                                                           T +41 31 390 93 37
                                                                           dokumentation@alliancesud.ch
                                                                           Lausanne
                                                                           Pierre Flatt (Mitglied der GL),
                                                                           Amélie Vallotton Preisig, Nina Alves
                                                                           T +41 21 612 00 86
                                                                           documentation@alliancesud.ch

#74   Sommer   2019                                                                                           3
Zeit, dass sich etwas ändert! - #74 Sommer 2019 - Alliance Sud
AUF DEN PUNKT

Zauberwort «Blended Finance»                ment erhöhen und hat die Petition «Ja        Investitions-Garantie-Agentur (MIGA)
In seinem erläuternden Bericht zur          zur Flugticketabgabe!» lanciert. Als         2016 eine Finanzgarantie in Höhe von
internationalen Zusammenarbeit              Vorbild für die Schweiz wird darin das       783 Millionen US-Dollar für Darlehen,
2021–2024 erklärt der Bundesrat, er         britische Modell angeführt, in dem ab-       die dem südafrikanischen Energiekon-
wolle die Zusammenarbeit mit der            hängig von der Flugdistanz eine Abgabe       zern Eskom zu Gute kamen. Finan-
Privatwirtschaft «diversifizieren und       von 20 bis 200 Franken erhoben wird.         ziert wurden damit u.a. Übertragungs-
stärken sowie neue Finanzinstru-            Die Petitionäre verlangen, dass die Ein-     leitungen für Strom aus neuen Eskom-
mente entwickeln». Dafür soll der stra-     nahmen «an die Bevölkerung zurück-           Kohlekraftwerken. DH
tegische Einsatz der Mittel für die         verteilt, für den Ausbau des grenzüber-
internationale Zusammenarbeit aus-          schreitenden Schienenverkehrs oder
geweitet werden, um «zusätzliche            für Anpassungen an den Klimaschutz           Finanzielle Schieflage
private Gelder für eine nachhaltige Ent-    eingesetzt werden» können. DH                Die in der Uno-Agenda 2030 formu-
wicklung (zu) mobilisieren (Blended                                                      lierten Ziele für nachhaltige Entwick-
Finance)». Was steckt hinter diesem neu-                                                 lung (SDG) – namentlich die Bekämp-
en Zauberwort der Entwicklungszu-                                                        fung der Armut und des Klimawandels –
sammenarbeit? Das Overseas Develop-                                                      könnten nur erreicht werden, wenn das
ment Institute (ODI), ein unabhängi-                                                     globale Finanzsystem gründlich überholt
ger britischer Think Tank, hat im April                                                  werde, schreibt die Uno in einem Be-
2019 eine Analyse dieser Blended            Unbelehrbare Weltbank                        richt von Anfang April. Der Bericht basiert
Finance-Instrumente in armen Ländern        In einer grossangelegten Studie hat die      auf der «ernüchternd» ausgefallenen
vorgelegt. Dabei wird hervorgehoben,        deutsche NGO urgewald 675 laufende           Analyse einer die UN-Agenturen über-
                                            Energieprojekte der Weltbank unter-          greifenden Task Force zur Entwick-
                                            sucht und dabei die mächtigste Ent-          lungsfinanzierung. Die globale Ungleich-
                                            wicklungsinstitution der Welt für ihre       heit nehme zu, es drohten neue
                                            höchst zweifelhafte Rolle beim Klima-        Schuldenkrisen und der Klimawandel
                                            schutz entlarvt: Die laufende Projekt-       gefährde die nachhaltige Entwicklung
                                            finanzierung der Weltbankgruppe              in allen Weltregionen. Beunruhigt zei-
                                            für fossile Energieträger ist rund drei      gen sich die Vereinten Nationen, dass
                                            Mal so hoch wie die für klimascho-           es weder nationalen noch multinatio-
dass weniger als 4 Prozent der privaten     nende erneuerbare Energieträger. Rund        nalen Institutionen gelinge, sich den
Finanzierungen für Länder mit niedri-       21 Milliarden US-Dollar fliessen in          schnell verändernden Rahmenbedin-
gem Einkommen (LICs) bereitgestellt         die Sektoren Kohle, Öl und Gas – lediglich   gungen anzupassen.
wurden und dass sich die Investitionen      7 Milliarden in Bereiche wie Solarener-
weitgehend auf die produktiven Sekto-       gie oder Windkraft. Allein in den letzten
ren, die Infrastruktur, das Finanzwe-       fünf Jahren hat die Bank 12 Milliarden
sen und das Bankwesen konzentriert          US-Dollar für Projekte ausgegeben, die
haben. In Projekte im sozialen Bereich      fossile Industrien unterstützen.
wurden nur minimale Summen inves-                                                        Zwar nehme das Bewusstsein für nach-
tiert Private Gelder fliessen also dort-                                                 haltige Investitionen zu, es brauche
hin, wo sich ein return on investment er-                                                aber noch weit grössere Anstrengungen.
zielen lässt. LM                                                                         An die Adresse des Finanzsektors wer-
                                                                                         den eine Reihe von Empfehlungen zu
                                                                                         dessen Neuorientierung gerichtet:
Petition für eine Flugticketabgabe          In den vergangenen Jahren hatte die          Investitionen sollen mit längerfristigem
Die neue Umweltministerin Simonetta         Weltbank mehrfach grosse Schritte für        Horizont getätigt und die Nachhaltig-
Sommaruga hat den Bundesrat über-           den Klimaschutz angekündigt und              keit dabei alsals zentraler Risikofaktor
zeugt, sich nicht mehr gegen die Einfüh-    dafür viel Lob erhalten. Die vorliegende     anerkannt werden. Es brauche eine
rung einer Flugticketabgabe zu sper-        Studie zeigt jetzt u.a., dass die Bank       Überarbeitung des multilateralen Han-
ren; bei der FDF tobt in dieser Frage ein   zwar seit 2013 den Bau neuer Kohlekraft-     delssystems und eine Abkehr von der
Glaubenskrieg. Der Verein umverkehR,        werke nicht mehr direkt finanziert,          Konzentration der Märkte in den Hän-
der sich seit 25 Jahren für eine zu-        solche Projekte jedoch über andere Wege      den einer kleinen Anzahl mächtiger
kunftsfähige Mobilität einsetzt, will       ermöglicht. So genehmigte die zur            Unternehmen, die nicht durch nationale
den öffentlichen Druck auf das Parla-       Weltbankgruppe gehörende Multilaterale       Grenzen limitiert seien. DH

4                                                                                                             #74   Sommer     2019
Zeit, dass sich etwas ändert! - #74 Sommer 2019 - Alliance Sud
RUEDI WIDMER

                                                    HAUSMITTEILUNG

         Keine Gratiskultur                                    für ihre Treue und das Vertrauen in unsere Arbeit.
         Mit dieser Ausgabe verabschiedet sich «global»        Und natürlich hoffen wir, dass Sie uns weiterhin
         von seinem bisherigen Bezahlmodell. Neu finden        unterstützen werden.
         in der Heftmitte alle unsere AbonnentInnen in
         jeder Ausgabe einen Einzahlungsschein. Ob oder        Parallel zu diesem Schritt verstärken wir unsere An-
         wie regelmässig Sie diesen benutzen und uns           strengungen, «global» einem breiteren Publi-
         einen Unkostenbeitrag zukommen lassen wollen,         kum überhaupt erst bekannt zu machen. Ab dieser
         das überlassen wir neu ganz Ihnen. Denn auch          Ausgabe werden wir jede neue «global»-Nummer
         wer knapp bei Kasse ist, ist als Leserin oder Leser   mit einem Flyer bewerben, der Ihnen dort begeg-
         selbstverständlich herzlich willkommen. Wir           nen soll, wo wir unser Zielpublikum vermuten:
         hoffen, mit diesem Schritt vermehrt auch ein jün-     In ausgewählten Buchhandlungen, Bibliotheken,
         geres Publikum zu erreichen, das mit einer            kulturellen Treffpunkten, bei Veranstaltungen.
         medialen Gratiskultur gross geworden ist. Dieser      Schreiben Sie uns, wenn wir Ihnen regelmässig
         stehen wir zwar durchaus kritisch gegenüber,          einige «global»-Werbeflyer schicken dürfen:
         gleichzeitig ist uns nicht entgangen, wie viele       global@alliancesud.ch.
         Menschen heute auch bereit sind, etwas, das
         sie wichtig finden, freiwillig zu unterstützen.       Das Team unserer Informations- und Doku-
                                                               mentionsstelle InfoDoc ist seit Anfang Mai wieder
         Allen, die «global» in den letzten Jahren wieder-     komplett. Wir begrüssen bei Alliance Sud sehr
         kehrend mit ihrem jährlichen Abo-Beitrag              herzlich Petra Schrackmann und Jérémie Urwyler
         mitgetragen oder diesen nicht selten grosszügig       in Bern sowie Nina Alves in Lausanne. DH
         aufgerundet haben, danken wir sehr herzlich

#74   Sommer   2019                                                                                                   5
Zeit, dass sich etwas ändert! - #74 Sommer 2019 - Alliance Sud
INS BILD GESETZT

Seit einem halben Jahr demonstriert im Sudan

                                                                                                                                       Foto: Instagram @lana_hago
eine breite Allianz aus zivilgesellschaft-
lichen Kräften gegen die korrupte Militärdik-
tatur, für freie Wahlen und den Übergang
zu einer zivilen Regierung. Trotz des Abgangs
von Langzeitdiktator Omar al-Bashir bleibt
der Ausgang der sudanesischen Revolution
ungewiss.

Eine zentrale Rolle beim Aufstand gegen das is-
lamische Militärregime spielen die sudanesischen
Frauen. Das Bild der 22jährigen Ingenieur- und
Architekturstudentin Alaa Salah (rechte Seite), die
sich selbstbewusst an die DemonstrantInnen in
der Hauptstadt Khartum wendet, wurde zum
Symbol dafür. Salah trägt stolz die traditionelle
Kleidung der Baumwollarbeiterinnen und golde-
nen Brautschmuck. In diesem Outfit waren die
Frauen bereits in den 60er, 70er und 80er Jahren
des letzten Jahrhunderts für ihre Rechte auf
die Strasse gegangen.                                                Mit der Landesflagge wird für einen neuen
                                                                     Sudan demonstriert. Foto: Umit Bektas/Reuters

         Eine Mutter hat ihre Kinder zum Protest vor dem Verteidigungsministerium mitgebracht.    Foto: Umit Bektas/Reuters

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Zeit, dass sich etwas ändert! - #74 Sommer 2019 - Alliance Sud
#74   Sommer   2019   7
Zeit, dass sich etwas ändert! - #74 Sommer 2019 - Alliance Sud
ENTWICKLUNGSPOLITIK

    Die höchste Schweizerin hat zum 25. Jahrestag des Genozids Ruanda und anschliessend
            Mosambik, eines der ärmsten Länder der Welt, besucht. Mit der Ärztin und
       Nationalratspräsidentin Marina Carobbio sprachen Lavinia Sommaruga und Daniel Hitzig.

            «Gleichstellung
       und soziale Gerechtigkeit
         gehören zusammen»

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Zeit, dass sich etwas ändert! - #74 Sommer 2019 - Alliance Sud
global: Welche persönlichen                ten beobachten, wie die Schweiz bei der       dieser Geschichte beiträgt. Das führt
Fotos: Daniel Rihs/13 Photo/Alliance Sud

                                           Eindrücke haben Sie von dieser             Friedensförderung durch Dialog und            uns ohne Umweg zum Thema der Kon-
                                           Afrikareise mitgenommen?                   den Einbezug der Zivilgesellschaft eine       zernverantwortungsinitiative. Auch
                                           Marina Carobbio: Es war eine sehr in-      wichtige Rolle spielt. Das alles hat          wenn das Volksbegehren die Banken
                                           tensive und anspruchsvolle Reise. Das      meine Überzeugung bestärkt, dass die          nicht direkt betrifft, ist das Thema der
                                           Gedenken an den Völkermord in Ru-          Schweiz, wenn sie diese Arbeit fort-          Sorgfaltspflicht von zentraler Bedeu-
                                           anda 1994 war ein sehr starker Moment.     setzt, weiterhin und zunehmend als            tung. In Mosambik haben wir bei offi-
                                           Die Menschen zu hören, die den Geno-       wichtige Akteurin auf der internationa-       ziellen Treffen auch darüber gespro-
                                           zid persönlich überlebt haben, das hat     len Bühne anerkannt wird. Es wäre ein         chen, wie wichtig die Bekämpfung der
                                           mich sehr berührt. Es ist notwendig,       Fehler, bestimmte Formen der Zusam-           Korruption ist. In Ruanda habe ich fest-
                                           daran zu erinnern, damit sich etwas        menarbeit aufzugeben oder unsere Ar-          gestellt, wie heikel die Frage nach den
                                           Ähnliches nicht wiederholen kann. Da-      beit gar einzustellen. Sie ist für die Ent-   Rohstoffen ist, die aus der Demokrati-
                                           bei gibt es immer noch viele Orte, an      wicklungsländer wichtig, aber eben            schen Republik Kongo ins Land gelan-
                                           denen es inakzeptable Angriffe auf Men-    auch für die Schweiz.                         gen. Auch das erinnert uns wieder an
                                           schen und die Menschenrechte gibt. Die                                                   unsere eigene Verantwortung, denn
                                           Reise hat mich sehr motiviert, mein En-    Mosambik ist eines der Schwerpunkt-           aus Ruanda gelangen Rohstoffe auch
                                           gagement für die Entwicklungszusam-        länder der internationalen Zusam-             weiter zu uns.
                                           menarbeit fortzusetzen.                    menarbeit der Schweiz. Nach den Über-
                                                                                      schwemmungen forderten mehrere                Die Schweiz will gute Geschäfte
                                           Dass die Wahl auf Ruanda                   NGOs die Credit Suisse auf, Mosambik          machen, aber auch mit ihrer hu-
                                           und Mosambik fiel,                         Schulden von einer Milliarde Dollar           manitären Tradition wahrge-
                                           war sicher kein Zufall.                    zu erlassen. Im Jahr 2016 hatten giftige      nommen werden. Wie erleben Sie
                                           Natürlich nicht. Es interessierte mich,    Kredite das Land in eine schwere              diesen Spagat als Politikerin?
                                           die Rolle der Frauen in Schweizer Ent-     Schuldenkrise gestürzt. Es ist doch           Der wirtschaftliche Erfolg ist zwar ein
                                           wicklungsprojekten kennenzulernen,         paradox, auf der einen Seite steht die        grundlegendes Thema, er darf aber
                                           speziell wollte ich auch Projekte im Ge-   staatliche Entwicklungszusammen-              nicht getrennt betrachtet werden von
                                           sundheitswesen sehen. Wir wissen im        arbeit der Schweiz, auf der anderen           unserer Politik der Friedensförderung,
                                           Allgemeinen ja wenig über Afrika, und      Seite stürzt eine Schweizer Bank              des Umweltschutzes und der Men-
                                           Politiker und Politikerinnen sollten       das Land in eine beispiellose Krise...        schenrechte. Es ist genau dieser Wider-
                                           mehr darüber erfahren, was die Schweiz     Das Problem ist, dass die Bank als priva-     spruch, auf den die Konzernverantwor-
                                           tut und was sie selbst aus dieser Zusam-   tes Unternehmen wenig zur Klärung             tungsinitiative hinweist.
                                           menarbeit lernen kann. Denn Entwick-
                                           lung ist nie eine Einbahnstrasse. Bei
                                           meinen Besuchen stand die Rolle des
                                           Bundes im Vordergrund. Unser Land
                                           gilt als Vorbild in Sachen gute Regie-
                                           rungsführung und ist als zuverlässiger
                                           Partner anerkannt.

                                           Die Schweiz verfügt über drei aussen-
                                           politische Instrumente – die Entwick-
                                           lungszusammenarbeit, die Friedens-
                                           und Menschenrechtsförderung sowie
                                           die humanitäre Hilfe. Was haben
                                           Sie bei Ihrem Besuch diesbezüglich
                                           erfahren?
                                           In beiden Ländern haben wir Wasser-
                                           und Gesundheitsprojekte besucht, aber
                                           auch solche, mit denen Menschen un-
                                           terstützt werden, die Opfer sexueller
                                           Gewalt geworden sind. Auch Projekte
                                           im Bereich Public Private Partnership
                                           (PPP) haben wir gesehen und wir konn-

                                           #74   Sommer   2019                                                                                                            9
Zeit, dass sich etwas ändert! - #74 Sommer 2019 - Alliance Sud
Die Gegner der Initiative sagen, das
Anliegen sei zwar richtig, aber es
genüge, wenn sich die Unternehmen
freiwillig an Menschenrechte und
Umweltstandards halten…
Wir haben auch in der Schweiz in vielen
Bereichen festgestellt, dass freiwillige
Standards nicht ausreichen, wenn es
keine Regeln gibt. Nehmen wir nur das
Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit
für Männer und Frauen!
   So wie die Schweiz als Vermittlerin in
Konfliktfällen einen guten Ruf hat, kön-
nen wir auch beim verantwortungsbe-
wussten Unternehmertum eine Vor-
bildrolle einnehmen.

Bundesrat Ignazio Cassis will die
öffentliche Entwicklungszusammen-
arbeit vermehrt an den Eigeninte-
ressen der Schweiz ausrichten. Auch
Migrationsaspekte sollen stärker
gewichtet werden. Wird die Zusammen-
arbeit so nicht instrumentalisiert?
Die Zusammenarbeit darf nicht mit rein
internen Zielen verknüpft werden. Für
mich ist klar, dass wir mit einer guten
Entwicklungspolitik auf der internatio-
nalen Bühne auch Ansehen gewinnen,
wovon die Schweiz nur profitieren
kann. Verknüpfen wir hingegen die Zu-
sammenarbeit mit dem Ziel, dass weni-
ger Menschen in die Schweiz migrieren,        wicklungszusammenarbeit gespro-             Geld bedeuten, sondern muss auch auf
so stellen wir die ursprünglichen und         chen. Wir erfahren zwar schnell von         die Ausbildung der Menschen zielen,
primären Ziele der Zusammenarbeit in          Katastrophen, die sich weit weg ereignet    damit sie in ihrem Land bleiben und ar-
Frage.                                        haben, reden etwa zwei Tage lang über       beiten können. Die Zusammenarbeit
   Wir leben in einem stabilen Land, wo       einen Wirbelsturm und gehen dann zu         muss so ausgerichtet sein, dass die Pro-
es den Menschen gut geht. Ausgehend           einer anderen humanitären Krise über.       jekte selbstständig weitergeführt wer-
von dieser privilegierten Situation muss      Zusammenhänge kommen dabei ein-             den können. Ruanda, das habe ich mit
die Entwicklungszusammenarbeit klar           deutig zu kurz. Mosambik war so ein         eigenen Augen gesehen, hängt extrem
einen Diskurs der Solidarität führen.         Beispiel: Der Wirbelsturm an sich ist       stark von der internationalen Zusam-
Auf diesem Wert – der Solidarität – ist die   eine Naturkatastrophe, er trifft aber ein   menarbeit ab. In den Projekten, die wir
Schweiz gewachsen und den sollten wir         Land, das ohnehin schon sehr arm und        mit der AMCA1 fördern, spielt gerade die
heute nicht in Frage stellen.                 stark vom Klimawandel betroffen ist.        Ausbildung von Medizin- und Pflege-
                                                                                          personal eine zentrale Rolle, damit
Ist die internationale Zusammen-              Für viele gebildete Menschen im             nicht alles von der Zusammenarbeit ab-
arbeit in der Bevölkerung noch                globalen Süden ist die «Entwicklungs-       hängt.
verankert?                                    hilfe» des Nordens eine kaum ka-
Sie ist heute zwar weniger bekannt als in     schierte Form von Neokolonialismus.         Gemäss dem Botschaftsentwurf zur
den 1980er und 1990er Jahren, aber es         Da ist in den letzten dreissig Jahren       internationalen Zusammenarbeit
gibt immer noch viele junge Menschen,         einiges geschehen…                          2021–2024 soll die Schweiz rund 0,45%
die sich im Ausland engagieren. In den        Ja, das stimmt. Zusammenarbeit darf         ihres Nationaleinkommens (BNE)
Medien wird heute weniger über Ent-           eben nicht nur die Bereitstellung von       für die öffentliche Entwicklungshilfe

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Marina Carobbio Guscetti                           Entscheidungen, welche Widersprüche           dass 2019 ein Jahr der Frauen sein würde,
Foto: Daniel Rihs/13 Photo/Alliance Sud

                                              ist seit November 2018 Präsidentin des             gibt es?» gehalten. Welche Widersprüche       hätte ich es nicht geglaubt. Dank der
                                              Schweizer Nationalrats und damit die               sehen Sie in diesem Bereich?                  Demonstration im vergangenen Sep-
                                              amtshöchste Schweizerin. Von 1991 bis 2007         Die Schweiz hat die Agenda 2030 und die       tember in Bern wurde das Gesetz über
                                              war sie Mitglied des Tessiner Grossrats,           Sustainable Development Goals (SDG)           die Lohngleichheit im Parlament nicht
                                              seit 2007 politisiert sie im Nationalrat, früher   unterstützt, stellt gleichzeitig aber die     blockiert.
                                              als Mitglied der Finanzkommission, heute           finanziellen Ressourcen für die Entwick-
                                              in der Kommission für soziale Sicherheit und       lungszusammenarbeit in Frage. Die             Wie hängen der Kampf um die Gleich-
                                              Gesundheit. Carobbio ist Vizepräsidentin           SDGs sollen im Geist der Teilnahme und        stellung der Geschlechter und jener
                                              der SP Schweiz, der NGO AMCA, des                  Teilhabe umgesetzt werden, zum Nut-           um soziale Gerechtigkeit zusammen?
                                              Vereins Alpeninitiative sowie des Schweizer        zen von Minderheiten, gegen Diskrimi-         Frauen spielen in beiden Kämpfen eine
                                              Mieter- und Mieterinnenverbands.                   nierung und zur Unterstützung der Ge-         zentrale Rolle. Sie sind es, die sich um
                                                                                                 schlechterpolitik. Bei AMCA etwa haben        die Familie kümmern und eine zentrale
                                                                                                 wir ein Projekt zur Bekämpfung von Ge-        Rolle beim Aufbau der Gesellschaft spie-
                                                                                                 bärmutterkrebs bei Frauen: In der             len. Wenn es Ruanda und Mosambik ge-
                                                                                                 Schweiz und im Tessin wurde eine Impf-        lingen sollte, sich von der Abhängigkeit
                                                                                                 kampagne durchgeführt, parallel dazu          der klassischen Entwicklungszusam-
                                                                                                 haben wir in den Schulen erklärt, was         menarbeit zu lösen, dann nur dank der
                                          «Verknüpfen wir die Entwicklungs-                      diese Art von Krebs in armen Ländern für      Frauen.
                                          zusammenarbeit mit der                                 ein Drama ist. Vielleicht ist es einfacher,      Die Frauenbewegung, die Gleichstel-
                                          Migrationsfrage, so stellen wir                        den Diskurs über Solidarität und Zusam-       lung und der Kampf gegen Diskriminie-
                                          die Armutsbekämpfung als                               menarbeit mit solchen praktischen Bei-        rung sind eng mit der Frage der sozialen
                                          ursprüngliches Ziel in Frage.»                         spielen verständlich zu machen.               Gerechtigkeit verbunden. Wenn wir die
                                                                                                                                               Diskriminierung von Frauen bekämp-
                                                                                                 Als Nationalratspräsidentin und               fen, soll das immer auch in Richtung
                                                                                                 damit höchste Schweizerin können              sozialer Gerechtigkeit gehen und sich
                                                                                                 Sie bestimmten Themen zu mehr                 gegen jenes Modell der patriarchali-
                                                                                                 Resonanz verhelfen. Was haben Sie             schen Gesellschaft richten, das es den
                                                                                                 sich vorgenommen?                             Reichsten ermöglicht, über die Ärmsten
                                                                                                 Ich habe Themen ausgewählt, die durch         zu herrschen.
                                                                                                 meine eigene Erfahrung geprägt sind.
                                                                                                 Eine davon ist die Vertretung von Frauen      Das Interview wurde auf Italienisch
                                              aufwenden. Also weniger als die vom                in der Politik sowie die Gleichstellung.      geführt.
                                              Parlament festgelegten 0,5%. Sie selbst            Ich habe mich immer für die Rechte der
                                              setzen sich – wie es auch die Uno in               Frauen eingesetzt und war in der femi-        1 AMCA, die Vereinigung zur medizinischen
                                                                                                                                                 Hilfe in Mittelamerika, wurde 1985 im Tessin
                                              den Zielen für nachhaltige Entwicklung             nistischen Bewegung engagiert. Ein an-          gegründet.
                                              (SDG) vorsieht – für 0,7% ein. Wie                 deres mir wichtiges Thema ist jenes der
                                              beurteilen sie das?                                Minderheiten, ich bin eine Vertreterin
                                              Es war ein gutes Zeichen, dass das Parla-          der italienischen Schweiz und stehe ein
                                              ment im vergangenen Jahr beschloss,                für eine mehrsprachige und multikultu-
                                              das Ziel von 0,5% beizubehalten. Ich               relle Schweiz.
                                              wünschte mir aber nach wie vor, wie an-
                                              dere nördliche Länder 0,7% zu errei-               Am 14. Juni streiken die Frauen. Warum
                                              chen. Alliance Sud spielt mit ihrer Infor-         finden Sie es so wichtig, dass die
                                              mation aller ParlamentarierInnen in                Frauen dann auf die Strasse gehen?
                                              dieser Diskussion eine wichtige Rolle.             Schon 1991 kam der Streik von der Basis,
                                              Ich bin optimistisch und zuversichtlich,           von Frauenverbänden und Gewerk-
                                              dass wir das Ziel von 0,5% beibehalten             schaften. Es wird ja nicht bloss in Bern
                                              können.                                            eine Demonstration geben, sondern
                                                                                                 auch lokale Aktivitäten. Viele werden
                                              2017 haben Sie während einer Konfe-                den ganzen Tag streiken, andere nur
                                              renz zur Agenda 2030 eine Rede mit                 eine Stunde lang symbolisch. Wenn mir
                                              dem Titel «Agenda 2030 und politische              vor fünf Jahren gesagt worden wäre,

                                              #74   Sommer       2019                                                                                                                           11
ENTWICKLUNGSPOLITIK

           Der Bundesrat will in der Entwicklungszusammenarbeit der Zukunft vermehrt mit
                 der Privatwirtschaft zusammenarbeiten. Wer genau hinschaut, weiss:
       Die Risiken dabei sind enorm. Fallstudie einer Schweizer Agrarfirma in Ghana. Kristina Lanz

                 «Sie sagten, sie
             brächten Entwicklung.»
     Die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor steht in
     der internationalen Entwicklungspolitik hoch im
     Kurs. Nicht nur die Weltbank spricht davon, es
     brauche Trillionen um in den ärmsten Ländern die
     Uno-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu errei-
     chen (Agenda 2030). Auch Geberländer wie die
     Schweiz glauben, dafür benötige es zwingend die
     enorme Hebelwirkung, die der Einsatz privater Gel-
     der erlaube. Vollmundig ist die Rede von einem Win-
     Win-Win-Szenario, von dem die Investoren, die
     Regierungen der Entwicklungsländer und deren
     Bevölkerungen gleichermassen profitieren. Vor al-
     lem im Landwirtschaftsbereich sind public-private
     partnerships (PPP) – zuweilen auch public-private-
     development partnerships (PPDP) genannt – längst
     eine Realität. Es lohnt sich also, genauer hinzu-
     schauen, was mit diesen Modellen bisher erreicht
     wurde.
        Diese Partnerschaften nehmen verschiedene
     Formen an. In manchen Fällen co-finanziert eine
     Entwicklungsbehörde direkt eine private land-
     wirtschaftliche Investition, in anderen Fällen flies-
     sen die Gelder in kapitalkräftige Fonds, welche die
     Mittel weiterleiten an privatwirtschaftliche Unter-
     nehmen. Was diese Agro-Unternehmen alle ge-             toren für ihre Idee zu gewinnen und in der Voltare-
     meinsam haben: Sie versprechen das nachhaltig           gion in Ghana den grössten Reisproduzenten West-
     Blaue vom Himmel, dass ihre Investitionen in den        afrikas aufzubauen. Unter den Partnern und
     betreffenden Gebieten ein Segen seien, dass natio-      Kapitalgebern war die Syngenta Foundation for
     nale und globale Ernährungssicherheit, Frauen-          Sustainable Agriculture, die Alliance for a Green
     förderung und Arbeitsbeschaffung Hand in Hand           Revolution in Africa (AGRA), die Agricultural Develop-
     gehen würden.                                           ment Company (AgDevCo), der Acumen Fund sowie
                                                             der Africa Agriculture and Trade Investment Fund
     Der Fall GADCO                                          (Aatif) 1.GADCO genoss international und auch in
     2011 gründeten ein nigerianischer und ein briti-        Ghana viel positive Berichterstattung – nicht zu-
     scher Investmentbanker die Global Agro-Develop-         letzt aufgrund ihres Anspruchs auf Engagement
     ment Company (GADCO). Von Landwirtschaft hatte          für Nachhaltigkeit, community development und
     weder der eine noch der andere eine Ahnung, doch        die ökonomische Stärkung der Frauen (women’s
     beide suchten nach der globalen Finanzkrise von         economic empowerment).
     2008 ein neues Tätigkeitsfeld. Es gelang ihnen,            Trotz anfänglicher Erfolge, grosser finanzieller
     eine ganze Reihe entwicklungsorientierter Inves-        Unterstützung und erster Reisernten vermeldete

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waltet. Deren weitgehende Machtbefugnisse wur-
                                                               den zu einem grossen Teil von den englischen Kolo-
                                                               nialherren geschaffen und sind in der Verfassung
                                                               verankert. Achtmonatige Recherchen vor Ort in
                                                               den Jahren 2014 und 2016 im Rahmen einer Disser-
                                                               tation zu den Genderaspekten von landwirtschaft-
                                                               lichen Privatsektorinvestitionen zeigten,2 dass für
                                                               GADCO die Chiefs von Anfang an die zentralen Be-
                                                               zugspersonen waren, dies obwohl in der Voltare-
                                                               gion Land auch im Besitz von Familien ist und die
                                                               Chiefs nur eine Art Aufsichts- und Streitschlich-
                                                               tungsfunktion besitzen. Zusammen mit den
                                                               Chiefs, die meist eine höhere Ausbildung genossen
                                                               haben, erarbeiteten die Firmenvertreter einen
                                                               community-private partnership Vertrag. Dieser legte
                                                               fest, dass die Gemeinschaft den Investoren 2000 ha
                                                               Land zur Verfügung stellt und dafür im Gegenzug
                                                               mit 2,5% am Gewinn der Firma beteiligt wird –
                                                               Gelder, die dann ausschliesslich für Entwicklungs-
                                                               projekte in den lokalen Dörfern eingesetzt werden
                                                               sollten.
                      Reis, den die Ernte-Maschinen im            An der Basis angekommen war von den Gewin-
                      GADCO-Projekt übrig lassen, wird von     nen zum Zeitpunkt der Forschung allerdings
                      Frauen für den Eigengebrauch             kaum etwas. Eine junge Frau meinte dazu: «Ich
                      eingesammelt. Foto: Divine Harrison      habe keine Ahnung, wofür sie das Geld nutzen –
                                                               bis heute haben wir nicht einmal gutes Trinkwas-
                                                               ser in den Dörfern.» Im vom Farmlandverlust am
                                                               meisten betroffenen Dorf Bakpa Adzani, in dem
                                                               vor allem Menschen mit Binnenmigrationshin-
                                                               tergrund wohnen, wurde die Bevölkerung weder
                      In einem Selbsthilfeprojekt              informiert noch konsultiert. Eine ältere Witwe
                      zur Ernährungssicherung in               bestätigt: «Wir wurden nicht informiert. Wir wa-
                      Katangi (Kenia) wird die                 ren gerade auf der Farm, als die Firmenvertreter
                      Spreu von der Ernte getrennt.            kamen und sagten, sie würden nun unser Land
                      Foto: Sven Torfinn/Panos                 pflügen. Wir flehten sie an, wenigstens bis nach
                                                               der Ernte zu warten.»
                                                                  Während der Feldforschung war es offensicht-
         die Firma drei Jahre nach Aufnahme ihrer Ge-          lich, dass die Chiefs eigenmächtig über Kompensa-
         schäftstätigkeit den Bankrott und wurde 2015 von      tionen entschieden. So verwundert es nicht, dass
         der Schweizer Firma RMG Concept mit Sitz in De-       vor allem Clan- und Familienmitglieder der Chiefs
         lémont/JU übernommen, die GADCO schon zuvor           entschädigt wurden und dass diese auch die Haupt-
         mit Pestiziden und Düngemitteln versorgt hatte.       profiteure des lokalen Vertragslandwirtschaftspro-
         RMG Concept, die sich auf ihrer Website ebenfalls     jekts namens Fievie Connect waren.
         als Vorreiterin der nachhaltigen Landwirtschaft          Versprochen war, dass die Hälfte aller im soge-
         und als verlässliche Partnerin von Kleinbäuerin-      nannten outgrower scheme Beschäftigten Frauen
         nen und Kleinbauern anpreist, betreibt seitdem        sein sollten. 2014 und 2016 waren die meisten
         die grosse Reisplantage und das daran angeglie-       outgrower wohlbetuchte, ältere Frauen und Män-
         derte Vertragslandwirtschaftsprojekt – nach wie       ner, von denen etliche nicht selber auf die Felder
         vor unter dem Namen GADCO.                            gingen, sondern ärmere Frauen zu geringen Löh-
                                                               nen anstellten. Und für das outgrower scheme ein-
         Die Mehrheit geht leer aus                            getragene Männer schickten oft ihre Frauen auf
         In Ghana werden ungefähr 80% der gesamten             die Felder, was deren generelle Arbeitslast subs-
         Landfläche von lokalen Dorfvorstehern (chiefs) ver-   tantiell vergrösserte.

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Negative Auswirkungen hatten zudem mehrere            zu verlassen. Eine Frau aus Kpevikpo: «Ich sehe
     Ernteausfälle sowie die Intransparenz der auftrag-    nichts Positives an der Firma. Sie haben nur unser
     gebenden GADCO, die immer höhere Preise für           Land zerstört. Wir haben sie gefragt, ob sie eine
     Düngemittel und Pestizide in Rechnung stellte;        kleine Brücke über den Kanal bauen können, aber
     entsprechend schrumpfte der erwirtschaftete Pro-      sie haben sich geweigert.»
     fit der VertragslandwirtInnen.                           Richtete GADCO Schäden an, so wusch die
         Auch bei der Beschaffung von Arbeitsplätzen       Firma ihre Hände in Unschuld; Verhandlungen
     wies GADCO eine schlechte Bilanz auf. 2014 besass     wurden generell über die Chiefs abgewickelt; Wi-
     von den rund 150 Angestellten nur eine Minderheit     derstand und Proteste der Lokalbevölkerung wur-
     einen Arbeitsvertrag, die Löhne waren so tief, dass   den von den Chiefs von Fall zu Fall auch unter Ein-
     viele befragte Personen von der Rückkehr in die       satz von Gewalt niedergeschlagen. Dabei war sich
     karge Subsistenzlandwirtschaft träumten. Frauen       GADCO der verschiedenen Probleme durchaus
     waren zudem fast ausschliesslich als Tagelöhnerin-    bewusst. Der ehemalige Manager Adidakpo Abim-
     nen für das Ausbringen von Dünger angestellt und      bola räumte sogar ein, dass den Chiefs regelmässig
     verdienten dabei umgerechnet 3 US-Dollar pro Tag.     ein Pickup-Truck ausgeliehen werde, wenn es Pro-
     Unter diesen Umständen von women’s empower-           bleme mit der lokalen Bevölkerung gebe. Die
     ment zu sprechen, ist ein Hohn.                       Chiefs bewaffneten dann einige Jugendliche mit
                                                           Stöcken und schlugen die Aufständischen in die
     Die Ärmsten sind die Verliererinnen                   Flucht.
     Bei der Umwandlung von privat und gemeinsam              Auf die Frage, ob sich GADCO bewusst sei, dass
     genutztem Land in eine Reis-Monokultur haben          hier im Namen von nachhaltiger Entwicklung ge-
     die Ärmsten den höchsten Preis bezahlt, allen vo-     sprochene Gelder für Profitinteressen einiger We-
     ran MigrantInnen und alleinstehende Frauen. Vor       niger zweckentfremdet würden, meinte der neue
     allem der Verlust grosser Flächen gemeinschaft-       Manager Satyendra Kumar Singh nur: «Wie die lo-
     lich genutzten Landes (den sog. commons), das von     kale Bevölkerung mit dem Geld umgeht, geht uns
     Regierungs- und Firmenvertretern gerne als «un-       nichts an. Wir haben unsere Geschäftsstrukturen
     genutzes» Land bezeichnet wird, traf die Ärmsten      und sie haben ihre. Wir mischen uns nicht ein.»
     am stärksten. Eine Vielzahl von Fischteichen und         Der beschriebene und wissenschaftlich doku-
     kleinen Bächen, die nicht nur stark zur Ernäh-        mentierte Fall ist brisant – nicht nur, weil sich
     rungssicherheit der lokalen Bevölkerung beitru-       GADCO gross Nachhaltigkeit auf die Fahne
     gen, sondern für mehrere Dörfer auch die einzigen     schreibt, sondern weil die Firma dafür auch von
     Wasserquellen waren, wurden von GADCO zer-            verschiedenen Entwicklungsakteuren finanziell
     stört; ebenso sämtliche Pflanzen. Die vielen über     unterstützt wurde. Für Alliance Sud ist es unab-
     das Land verteilten Bäume wurden zuvor als Feu-       dingbar, dass, wenn die Schweiz in Zukunft in
     erholz für den Eigenbedarf genutzt und bildeten       der Entwicklungszusammenarbeit vermehrt auf
     die Lebensgrundlage vieler ärmerer Frauen, die        den Privatsektor setzen möchte, dieses Engage-
     das Holz zu Kohle verarbeiteten und verkauften.       ment auf klaren Kriterien sowie einer detaillier-
     Eine von ihnen erzählte: «Früher haben wir die        ten Kontextanalyse aufbaut und durch ein rigo-
     Bäume beschnitten, um Kohle zu produzieren,           roses, unabhängiges Monitoring regelmässig
     aber nun haben sie (GADCO) alle Bäume gefällt und     überprüft wird.
     wir haben Mühe überhaupt etwas zu essen zu kau-       1 Verschiedene Geldgeber von GADCO werden ihrerseits
     fen.»                                                   von staatlichen Entwicklungsakteuren unterstützt: AgDevCo
        Das Dorf Kpevikpo wurde komplett von der             wird hauptsächlich vom englischen Department for Inter-
                                                             national Development (DfID) finanziert; AGRA erhält Gelder
     Reisplantage umzingelt. Die Zugangsstrasse zum          von DfID, dem deutschen Bundesministerium für wirtschaft-
     Dorf wurde von GADCO vergrössert, damit ihre            liche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), USAID und
     Traktoren darauf fahren konnten, und direkt vor         verschiedenen anderen Entwicklungsakteuren; Aatif ist
                                                             eine Initiative des BMZ und der KfW Bankengruppe.
     dem Eingang zum Dorf wurde ein Bewässerungs-
                                                           2 PhD Dissertation in Sozialanthropologie mit dem Titel:
     kanal gebaut. In der Regenzeit sowie jedes Mal,         «Institutional Change, Gender and Power Relations. Case study
     wenn die Firma ihre Felder bewässerte, blieben die      of a «best practice» large-scale land acquisition in Ghana.»
     Menschen faktisch in ihrem Dorf eingesperrt. Kin-       Universität Bern, 2018.

     der konnten nicht zur Schule gehen, in der Regen-
     zeit mussten Frauen, die zum Markt gehen woll-
     ten, durch brusthohes Wasser waten, um das Dorf

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KLIMA UND UMWELT

               Die Klimakrise und der Kampf um Frauenrechte haben mehr miteinander gemeinsam
                           als auf den ersten Blick ersichtlich. Denn Klimaveränderungen
                  verstärken Diskriminierungen – vor allem im globalen Süden. Jürg Staudenmann

           Auf Frauen hören bei der
          Bekämpfung der Klimakrise

                    Frauen auf dem Weg zur Arbeit in Jamshedpur im indischen Bundesstaat Jharkhand, der
                    stark vom Stahl- und Mischkonzern Tata geprägt ist. Foto: Penny Tweedie/Panos

Frauen nehmen die bedrohliche Klima-       Das sind einige der Themen, mit denen       Handlungsmuster wirken sich direkt
thematik ernster als Männer. Frauen        sich das globale Frauen-Netzwerk Wo-        auf die Klimakrise und den Umgang da-
wollen eher Ressourcen schonen und         men Engage for a Common Future              mit aus. Die Klimaveränderung ist nicht
sind eher bereit, ihr Verhalten zu än-     (WECF) befasst und die es u.a. auf gros-    geschlechtsneutral, weder im globalen
dern. Männer dagegen neigen eher zu        sen, informativen «Educational Pos-         Norden noch im Süden.
riskanten technischen Lösungsansät-        ters» ins öffentliche Bewusstsein bringt.      Nicht nur in Entwicklungsländern
zen der Klimakrise.1 Studien zufolge          Alliance Sud befragte Katharina Ha-      haben Frauen weniger politische Ent-
haben Frauen eine bessere CO2-Bilanz       bersbrunner und Anne Barre vom              scheidungsmacht, weniger Zugang zu
als Männer, sie fahren weniger und spar-   WECF, die dort für die Umsetzung ge-        Ressourcen, von Finanzmitteln über
samere Autos, essen häufiger vegeta-       schlechtergerechter Klima- und Ener-        Eigentum bis hin zu Bildung und Infor-
risch und achten beim Einkauf ver-         gieprojekte bzw. eine gendergerechte        mation. Gleichzeitig erreichen neue
mehrt auf ökologische Produkte.            Ausgestaltung der Klimapolitik zustän-      Entwicklungen wie etwa erneuerbare
   Gleichzeitig sind Frauen und Mäd-       dig sind.                                   Energien die Frauen meist schlechter
chen überproportional von den Auswir-                                                  oder später als Männer. Bei der Planung,
kungen der Klimaveränderung betrof-        Alliance Sud: Warum braucht es              Implementierung und Evaluation von
fen; vor allem in Entwicklungsländern.     einen feministischen Zugang zur             klimafreundlichen Techniken oder Pro-
Und trotzdem werden lokale, von            Klimakrise?                                 jekten werden sie kaum eingebunden,
Frauen geprägte Lösungsansätze oft ig-     WECF: Es geht nicht darum, Stereotype       obwohl Frauen die Bedürfnisse ihrer Fa-
noriert.                                   zu bedienen, aber patriarchal geprägte      milien besser kennen und damit die di-

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Auf der Insel Ghoramara in der Bucht von Bengalen arbeiten Frauen an einem Lehmdamm,
der ihr Hab und Gut vor dem steigenden Meeresspiegel schützen soll. Foto: Robin Hammond/Panos

rekteren Nutzerinnen von Energie sind.      oder den Haushalt mit Energie und            Oft wird Frauen auch schlicht der Zu-
Es fliessen derzeit nur gerade 0,01% der    Wasser zu versorgen. Sie sind es, die in-    gang zu Lösungen verwehrt: In Geor-
gesamten Klimafinanzierung in explizit      folge der Klimaveränderung zuerst ihr        gien hat WECF mit lokalen PartnerIn-
geschlechtersensible Klimalösungen.         Einkommen verlieren, vorzeitig die           nen Solarkollektoren für Warmwasser
                                            Schule verlassen müssen oder zwangs-         entwickelt, die vor Ort produziert wer-
Welches sind aus Frauensicht die He-        verheiratet werden.                          den. Das reduziert die Abholzung, spart
rausforderungen oder auch Chancen              Obwohl Frauen in vielen Ländern für       vor allem Frauen Zeit und Geld. Doch
im Zusammenhang mit der Klima-              die (Subsistenz-)Landwirtschaft und da-      leider stockt die Umsetzung, denn die
krise und nachhaltiger Entwicklung?         mit für die Ernährung der Familien zu-       Frauen bekommen anders als Männer
Weil Frauen der Zugang zu Information       ständig sind, haben sie oft weder Grund-     mit weniger Einkommen kaum Darle-
oder Unwetterwarnungen vorenthalten         besitz- noch Entscheidungsrechte, was        hen; oder es werden viel höhere Zins-
wird, sterben sie bis zu 14-mal häufiger    den Boden angeht, den sie bearbeiten.        sätze verlangt als bei Männern.
als Männer an den Folgen von Klimaka-       Das gilt auch für die Wasserversorgung.
tastrophen.2 In vielen Ländern dürfen       Liegt der Fokus bei Anpassungsmass-          Frauen wird oft eine besondere Rolle
Frauen nicht alleine auf die Strassen ge-   nahmen auf rein technischen Lösungen,        in der Bewältigung der Klimakrise
hen, sie sind in der Regel weniger mobil    so werden die Bedürfnisse der Direktbe-      zugeschrieben…
und werden weniger in überlebensret-        troffenen, also von Frauen und Mäd-          Frauen sind aufgrund ihrer Rolle als Fa-
tende Trainings einbezogen als Männer.      chen, viel zu oft ausgeblendet.              milienmanagerinnen und Care-Arbei-
Den Tsunami in Südostasien 2004 über-          Noch bezeichnender sind fehlkon-          terinnen oft viel direkter darauf ange-
lebten nach Schätzungen von Oxfam fast      struierte Zyklon-Notunterkünfte in           wiesen, praktische Alltagslösungen auf
vier Mal mehr Männer, weil sie im Ge-       Bangladesch: Weil gender-spezifische         Klimaveränderungen zu entwickeln.
gensatz zu Frauen schwimmen konn-           Bedürfnisse nicht in die Planung ein-        Weil sie Gemeinschaften mobilisieren
ten.                                        flossen, sind Frauen während Unwet-          können, werden sie oft als change agents
   Vor allem aber zwingen die schlei-       tern vermehrt sexuellen Belästigungen        gesehen. Tatsächlich setzen sich Frauen
chenden Klimaveränderungen in armen         von Männern ausgesetzt, etwa wenn            in allen Teilen der Welt für innovative,
Ländern den Frauen und Mädchen im-          Sanitäranlagen ohne Beleuchtung und          effektive und bezahlbare Strategien vor
mer längere und beschwerlichere Arbeit      weit von den Aufenthaltsräumen ent-          Ort ein. Doch solche lokalen low-tech-
auf, um die Felder zu bewirtschaften        fernt liegen.                                Ansätze erhalten in der Regel viel weni-

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ger politische Unterstützung und Fi-         übrigen Uno-Organisationen umge-           eine genderblinde Klimapolitik das Fin-
nanzierung als hochtechnische und            setzt werden; gendersensible Umset-        den von Lösungen zur Eindämmung der
kommen somit kaum im notwendigen             zung inklusive der dafür notwendigen       Klimakrise. Insofern stimmen wir der
grossen Stil zur Anwendung.                  Mittel sowie gendersensibles Monito-       These der «Feminisierung der Klima-
                                             ring und Berichterstattung über getrof-    krise» absolut zu. Die Klimaverände-
Auf der letztjährigen Weltklimakonfe-        fene Klimamassnahmen.                      rung wirkt wie ein Risikomultiplikator
renz in Kattowitz wurde ein Gen-                Weil die Vertragsstaaten geschlechts-   und verstärkt bestehende Diskriminie-
der-Aktionsplan (GAP) verabschiedet.         spezifische Daten erheben und ihre Kli-    rungen, die Frauen aufgrund ihres ge-
War das ein Wendepunkt für eine              mapolitik einer Genderanalyse unter-       ringen sozialen, wirtschaftlichen und
geschlechtergerechtere Klimapolitik?         ziehen müssen, werden Regierungen          politischen Status erfahren. Es ist da-
Die konsequente Verwirklichung der           dazu gebracht, Genderpolitik und Kli-      rum wichtig zu betonen, dass Frauen
Gleichstellung von Mann und Frau, das        mapolitik zusammen zu denken. Der          vor allem aufgrund traditioneller Rol-
sogenannte gender mainstreaming              GAP bildet also die Basis für eine ge-     lenverteilung in den meisten Gesell-
wurde im über 25-jährigen Prozess der        schlechtergerechte(re) Klimapolitik.       schaften anfälliger sind für die Auswir-
Klimarahmenkonvention (UNFCCC)               Aber es braucht noch deutliche Fort-       kungen des Klimawandels. Darum ist
erst spät anerkannt. Und dies obwohl         schritte in der Umsetzung sowie ambi-      die verbindliche Umsetzung des GAP
gendergerechte Massnahmen einen              tioniertere Entscheidungen an den kom-     mit seinen verschiedenen Ebenen so
wichtigen Beitrag zur Wirksamkeit der        menden Klimakonferenzen.                   wichtig. Je mehr Frauen auf allen Ebe-
Klimapolitik leisten. In der Präambel                                                   nen in die Entscheidungen miteinge-
des Pariser Klimaübereinkommens              Es gibt aber auch Wissenschafterin-        bunden werden, desto erfolgreicher die
wird nun völkerrechtlich verbindlich         nen, die Kritik an der «Feminisierung      Klimapolitik.
gefordert, Menschenrechte, Geschlech-        der Klimakrise» üben. Sie zielt u.a.       1 World Bank, World Development Report 2012
tergerechtigkeit und die stärkere Teil-      darauf, dass die Arbeitsteilung nach       2 UNFPA, Women on the frontline
habe von Frauen in allen Aktivitäten zur     Geschlechtern zementiert würde,
Bekämpfung der Klimaveränderung zu           während Frauen von den zentralen           Women Engage for a Common Future
berücksichtigen.                             Verhandlungen über die internatio-         WECF ist ein internationales Netzwerk
   Der GAP konkretisiert diese Forde-        nale Klimapolitik nach wie vor             von mehr als 150 Frauen- und Umwelt-
rungen in fünf Kernbereichen: Kapazi-        weitgehend ausgeschlossen bleiben.         organisationen in 50 Ländern. WECF
tätsaufbau, Wissensaustausch und             Wie beurteilen sie diese Thesen?           setzt sich für die lokale Umsetzung nach-
Kommunikation zum Beispiel durch             Werden bestehende Strukturen inner-        haltiger Klimalösungen und die Förde-
Gender-Trainings in den Uno- Institu-        halb einer Gemeinschaft oder eines         rung geschlechtergerechter politischer
tionen; Geschlechterparität in Füh-          Haushalts ausgeblendet, so pflanzen        Rahmenbedingungen weltweit ein.
rungspositionen bei den Klimakonfe-          sich vorherrschende Machtstrukturen        Als Gründungsmitglied der Women and
renzen und in den Ländern; Kohärenz,         und soziale Ungleichheiten in Projekte     Gender Constituency des UNFCCC
dass Beschlüsse zu Geschlecht und Kli-       und Politiken fort oder werden gar noch    (Uno-Klimarahmenkonvention) und offi-
mawandel auch in den Massnahmen der          verstärkt. So betrachtet verlangsamt       zielle Partnerin des Uno-Umweltpro-
                                                                                        gramms UNEP implementiert WECF in
                                                                                        den Bereichen Klima und Gender
                                                                                        Politiken, die eng miteinander verzahnt
                                                                                        sind und die Kapazitäten von Frauen
                                                                                        durch Klimaprojekte vor Ort stärkt. JS

                                                                                                     Katharina Habersbrunner,
                                                                                                     früher u.a. Risikomanagerin bei
                                                                                                     MunichRe, arbeitet bei WECF
                                                                                                     im Bereich erneuerbare Ener-
                                                                                                     gie und Klimaschutz.

                                                                                                     Anne Barre baute WECF in
                                                                                                     Frankreich auf und leitet heute
                                                                                                     in der Zentrale in München
Tamazina Carlos (47) vor den Überresten ihres vom Zyklon Kenneth                                     den Bereich Gender und
zerstörten Hauses in Macomia, Mosambik. Foto: Tommy Trenchard/Panos                                  Klimapolitik.

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STEUERN UND FINANZEN

       Steuerpolitik ist etwas für wenige abgehobene – in der Regel männliche – Eingeweihte.
             Dabei zeigt sich gerade aus dem Blickwinkel der Geschlechtergerechtigkeit:
      In der Steuerpolitik werden die elementarsten Dinge des Lebens verhandelt. Dominik Gross

           Steuerflucht tötet Mütter

     Steuerpolitik ist – gelinde gesagt – etwas ziemlich      Ersteres wird von der internationalen Gemein-
     Abstraktes. Vor lauter «regulären Steuersätzen»,         schaft wegen seiner stabilen politischen Verhält-
     «Bemessungsgrundlagen», «automatischem Infor-            nisse gerne als afrikanischer Vorzeigestaat gelobt,
     mationsaustausch», «Profitverschiebungen»,               letzteres gilt trotz eines Bürgerkriegs im Osten des
     «Registern der wirtschaftlich Berechtigten», «län-       Landes als aufstrebender Wirtschaftsstandort.
     derbezogenen Berichten» oder – Pricewaterhouse-          Trotzdem liegen in diesen Ländern die Mütter- und
     Coopers, erlöse uns von derart Bösem – der «zins-        Säuglingssterblichkeitsraten um ein Vielfaches hö-
     bereinigten Gewinnsteuer», geht leicht vergessen,        her als in europäischen Ländern. Gemäss der WHO
     dass sich Steuerpolitik im Grunde genommen um            könnten die allermeisten dieser Todesfälle mit der
     ganz unmittelbare Bedürfnisse des Menschseins            entsprechenden medizinischen Ausrüstung ver-
     dreht. Zum Beispiel darum, dass jedes Kind – ob Bub      hindert werden.
     oder Mädchen – überall auf der Welt einen möglichst
     offenen Zugang zu jenen elementaren Dienstleis-          Sichere Geburt ist ein Privileg
     tungen bekommen sollte, die ein würdiges Leben           Im UNO-Zwischenbericht von 2018 zum Ziel 3 der
     ermöglichen: eine gute Gesundheitsversorgung,            Agenda 2030 («Ein gesundes Leben für alle Men-
     eine anständige Schulbildung, sichere öffentliche        schen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlerge-
     Transportwege und Infrastruktur, Teilhabe an Kul-        hen fördern») ist zwar festgehalten, dass die Mütter-
     tur, Politik und Gesellschaft.                           sterblichkeitsrate seit 1990 weltweit um 37 Prozent
        Und manchmal geht es in der Steuerpolitik um          und jene bei Säuglingen um 39 Prozent gefallen ist.
     Leben und Tod. Etwa dann, wenn irgendwo auf der          Trotzdem ist eine einigermassen sichere Geburt für
     Welt eine Mutter während einer Geburt stirbt, weil       Mutter und Kind immer noch ein Privileg für einen
     das öffentliche Spital, im dem diese Frau ihr Kind       kleinen Teil der Weltbevölkerung. Unter diesem
     zur Welt bringen wollte, schlecht ausgerüstet ist.       Eindruck einigten sich die UNO-Mitgliedsländer
     Gemäss der Weltgesundheitsstatistik 2018, welche         2015 mit dem Ziel 3 der Agenda 2030 darauf, die Müt-
     die Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedes Jahr         tersterblichkeitsrate bis 2030 auf weltweit weniger
     zu den gesundheitsrelevanten Zielen für eine nach-       als 70 Todesfälle pro 100 000 Geburten und die
     haltige Entwicklung (SDG) im Rahmen der UNO-             Sterblichkeitsrate bei Säuglingen auf 12 pro 1000 Ge-
     Agenda 2030 herausgibt, starben alleine im Jahr          burten zu reduzieren.
     2015 303 000 Frauen wegen gesundheitlichen                  Auch wenn das gemessen an den oben genann-
     Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit einer           ten Zahlen bescheidene und letztlich willkürlich
     Geburt oder einer Schwangerschaft standen. 99%           gesetzte Ziele sind – ohne steuerpolitische Refor-
     dieser Frauen starben in Ländern, die die WHO zu         men in vielen Entwicklungsländern, in den Tief-
     den Entwicklungs- oder Schwellenländern zählt.           steuergebieten und auf globaler Ebene wird auch
     Fast zwei Drittel davon, nämlich 62% starben in          das nicht zu schaffen sein: Denn für die allermeisten
     Subsahara-Afrika. In der Schweiz sterben bei             Menschen weltweit hängt der Zugang zu medizini-
     100 000 Geburten fünf Frauen, in Ghana sind es 319       scher Versorgung ausschliesslich von der Qualität
     und in Nigeria 814. Nicht viel besser sieht es bei der   der öffentlichen Gesundheitsversorgung an ihrem
     Kindersterblichkeit aus: In der Schweiz sterben nur      Lebensmittelpunkt ab – und diese Qualität wiede-
     vier von 1000 Kindern bei der Geburt, in Ghana sind      rum von Steuereinnahmen, die es einem Gemein-
     es 35 und in Nigeria 70. Ghana und Nigeria gehören       wesen erlaubt, eine für Mutter und Kind ausrei-
     beide nicht zu den allerärmsten Ländern der Welt.        chende Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.

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viel Steuersubstrat ab. Da viele von ihnen – nicht nur
                                                                notorische Steueroasen wie die Schweiz – aber
                                                                selbst über Steuerschlupflöcher verschiedener Art
                                                                verfügen, fliessen ihnen auch wieder Fluchtgelder
                                                                zu. Entwicklungsländern fehlen hingegen in der
                                                                Regel die entsprechenden Mittel, um in den Wett-
                                                                bewerb zwischen den Staaten um Steuervermei-
                                                                dungsgelder überhaupt einzugreifen.
                                                                    Aber nicht nur im Gesundheitswesen werden die
                                                                anerkannten Grundrechte vor allem von Mädchen
                                                                und Frauen aus steuerpolitischen Gründen be-
                                                                schnitten. Überall dort, wo es öffentliches Engage-
                                                                ment und finanzielle Ressourcen braucht, um
                                                                strukturelle Geschlechterdiskriminierungen etwa
                                                                in der Bildung oder auf dem Arbeitsmarkt zu über-
                                                                winden und neue Formen des geschlechtergerech-
                                                                ten Zusammenlebens zu entwickeln, bleiben die
                                                                Rechte von Frauen und Mädchen als erste auf der
                                                                Strecke. Der Kampf für Geschlechtergerechtigkeit
                                                                ist also immer auch ein Kampf für Steuergerechtig-
                                                                keit und einen gut finanzierten Service Public – und
                                                                umgekehrt. Umso mehr, wenn dieser Kampf von
                                                                der Schweiz aus mit einem globalen Blick für die
                                                                ökonomischen Strukturen hinter der Diskriminie-
         Eine Krankenschwester in Ausbildung im Mzuza           rung von Frauen und Mädchen geführt wird. Denn
         General Hospital in Malawi. Foto: Sven Torfinn/Panos   nach wie vor und trotz allen steuerpolitischen Re-
                                                                formen der letzten Jahre, ist die Schweiz der grösste
                                                                Offshore-Finanzplatz und einer der prominentes-
         In den meisten Entwicklungsländern ist die Mobi-       ten Handels- und Kapitaldrehscheiben für multi-
         lisierung steuerlicher Ressourcen für die öffentli-    nationale Konzerne aus aller Welt. Hierzulande
         chen Dienste eine äusserst prekäre Angelegenheit:      werden also Gewinne versteuert, die anderswo er-
         In den ärmsten Ländern belaufen sich die Steuer-       wirtschaftet wurden und dort als Steuereinnahmen
         einnahmen im Durchschnitt auf nur gerade 15% des       fehlen – mit potentiell verheerenden Folgen schon
         Bruttoinlandprodukts (BIP). Das ist viel weniger als   am Beginn jedes Menschenlebens.
         in den reichen Ländern der OECD (Organisation für
         wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
         lung), wo die Steuereinnahmen rund 34% des BIP
         ausmachen, und nach Einschätzung des Interna-
         tionalen Währungsfonds (IWF) sind 15% zu wenig,
         um ein funktionierendes Staatswesen zu gewähr-
         leisten. Einer der Hauptgründe für diese grosse Dif-
         ferenz bei der Mobilisierung von Steuergeldern in
         Entwicklungs- und OECD-Ländern ist der Abfluss
         von grossen Privatvermögen und Unternehmens-
         gewinnen in Tiefsteuergebiete, von denen aus Kon-
         zerne und Vermögensverwalter global operieren.
         Mit verheerenden Folgen: Der Washingtoner Think-
         Tank Global Financial Integrity (GFI) schätzt, dass
         im Jahr 2014 allein aus Entwicklungs- und Schwel-
         lenländern eine Billion US-Dollar in Form von so-
         genannten unlauteren Finanzflüssen abfloss. Die        Ohne Unterstützung durch UN-Gelder gäbe es dieses
         Zeche dafür zahlen vor allem die Entwicklungslän-      Gesundheitszentrum in der Stadt Mbanza-Ngungu in der
         der. Zwar fliesst auch in den reichen OECD-Ländern     DR Kongo nicht. Foto: Sven Torfinn/Panos

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