Zeit heilt viele Wunden: ein Einblick in die dermatologische Rehabilitation

 
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Zeit heilt viele Wunden: ein Einblick in die dermatologische Rehabilitation
Referat
                                                                                                  V. Schmidt, Davos
DERMATOLOGIE                                                                           M.-C. Brüggen, Zürich, Davos

Atopische Dermatitis

Zeit heilt viele Wunden: ein Einblick
in die dermatologische Rehabilitation
Die medizinische Rehabilitation kommt ergänzend zur akutmedizinischen Versorgung
zum Einsatz und umfasst physiologische, psychologische und soziale Prozesse, die zur
Krankheit eines Patienten beitragen. In der Dermatologie spielt sie besonders in der
umfassenden Behandlung komplexer Krankheitsbilder eine Rolle. Im folgenden Artikel
sollen die Notwendigkeit und der Nutzen einer dermatologischen Rehabilitation am
Beispiel der atopischen Dermatitis (AD) dargestellt werden.

Definition und Ziele einer                                  Tuch- und Okklusivbehandlung mit antiin-            Rhinitis, allergischem Asthma bronchiale
dermatologischen Rehabilitation                             flammatorischen, antiseptischen und rück-           und Nahrungsmittelintoleranzen leiden
                                                            fettenden Topika durchgeführt (Abb. 1).             AD-Patienten häufig unter psychischen
    Die medizinische Rehabilitation ver-                    Ergänzend erfolgen Badetherapien mit                Störungsbildern wie Depressionen und
steht sich ergänzend zur akutmedizini-                     antiseptischen und rückfettenden Zusät-             Angststörungen oder auch unter kardiome-
schen Versorgung als Ergebnis des Inein-                    zen wie Kaliumpermanganat, Sole, Man-               tabolischen und kardiovaskulären Erkran-
andergreifens physiologischer, psychologi-                  del- oder Sojaöl. Über die pure Anwendung           kungen.2, 3 Die multidisziplinäre Behand-
scher und sozialer Vorgänge. Grundlage                     dieser Therapien hinaus erhalten die Pati-          lung von Patienten mit komplexer AD rückt
dafür ist das sogenannte biopsychosoziale                  enten Schulungen zur Hautpflege (Abb. 2).           immer mehr in den Fokus von Behand-
Modell von funktionaler Gesundheit der                      Diese helfen ihnen dabei, die essenziellen          lungsempfehlungen und wird bei entspre-
Weltgesundheitsorganisation.1                               topischen Therapien im Alltag richtig um-           chenden Komorbiditäten dringend emp-
    In der Dermatologie umfasst eine statio-                zusetzen. Den Patienten werden hierbei              fohlen (Abb. 3).
näre Rehabilitation die Weiterführung und                   Kenntnisse zum Einsatz von antientzünd-                Zur Abklärung weiterer atopischer Er-
den Ausbau von Therapien und die umfas-                     lichen Topika wie auch Emollenzien ver-             krankungen können während der der-
sende Behandlung komplexer Krankheits-                      mittelt, was gerade bei vorhandenen Ängs-           matologischen Rehabilitation innert kurzer
bilder. Im Sinne einer multidisziplinären                   ten vor dem Einsatz von topischen Korti-            Zeit allergologische Testungen und Provo-
Behandlung sollen präventive und kurative                   kosteroiden eine grosse Hilfe sein kann.            kationen unter ärztlicher Aufsicht durch-
Massnahmen für eine nachhaltige und an-                     Auch für die Initiierung oder engmaschige           geführt, Lungenfunktionstestungen veran-
dauernde Verbesserung der Gesundheit                        Weiterführung von Phototherapien (UVA-              lasst und pneumologische Konsilien einge-
eingesetzt werden. Darüber hinaus beinhal-                  oder UVB-«narrow band»-Bestrahlung)                 holt werden. Es bietet sich ein ausreichen-
tet die Rehabilitation dermatologischer Pa-                 bietet die Rehabilitation einen besonders           der Zeitrahmen, um auch die Behandlung
tienten eine psychologische Betreuung so-                   guten Rahmen.                                       von internistischen Komorbiditäten aufzu-
wie umfassende Edukationsprogramme.                                                                             gleisen. Bei kardiometabolischen Auffällig-
Beides soll den Patienten im Umgang und                     Multidisziplinarität                                keiten wie z. B. arterieller Hypertonie oder
der Akzeptanz ihrer Erkrankung helfen.                         Neben weiteren Erkrankungen des ato-             Diabetes mellitus werden Blutdruck- oder
                                                            pischen Formenkreises wie allergischer              Blutzuckerprofile erstellt und die besten
Rehabilitation am Beispiel der
atopischen Dermatitis (AD)
                                               © A. Ebner

Dermatologische Behandlung
   Am Beispiel der atopischen Dermatitis
(AD) lassen sich die Notwendigkeit und der
Nutzen einer dermatologischen Rehabili-
tation gut illustrieren. Was die dermatolo-
gische Behandlung der AD an sich angeht,
so sind fachgerecht applizierte topische
Therapien eine besondere Stärke der der-
matologischen Rehabilitation: Es werden                     Abb. 1: K
                                                                     leinkind mit AD vor und nach intensiver Lokaltherapie

14                                                                                                                           Dermatologie & Plastische Chirurgie 1 / 2021
Zeit heilt viele Wunden: ein Einblick in die dermatologische Rehabilitation
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                                                                                                                                       DERMATOLOGIE

Therapieoptionen gemeinsam mit internis-

                                                                                                                                                             © Hochgebirgsklinik Davos
tischen Fachärzten erörtert.
   Eine sehr zentrale Rolle nimmt eine pas-
sende Ernährungsberatung und allenfalls
-therapie ein. Diese kann von Ernährungs-
fachpersonen durchgeführt werden, die
entsprechend mit Allergien und Nahrungs-
mittelintoleranzen sowie auch den oft da-
mit verbundenen Ängsten von Patienten
mit atopischer Dermatitis vertraut sind. Oft
braucht es hierfür neben einer initialen Be-
standsaufnahme eine rasche und professi-
onelle Umsetzung sinnvoller diätetischer
Massnahmen – ebenso wie das geführte
Weglassen sinnloser Massnahmen – und
wiederholte Beratungen. All dies kann im
Setting einer stationären Rehabilitation
viel einfacher umgesetzt werden. Genauso
können bei Bedarf auch physiotherapeuti-
sche Massnahmen mit der notwendigen                      Abb. 2: H
                                                                  autpflegeschulung an der Hochgebirgsklinik Davos
Kadenz initiiert werden. Psychologische
Betreuungsmassnahmen bei Missempfin-
dungen wie Juckreiz und Schmerz, man-
gelndem Wohlbefinden und eingeschränk-
ter Lebensqualität aufgrund der Hauter-
krankung werden ebenfalls angeboten.                                                               Dermatologische
                                                                                                     Behandlung
Patientenedukation
   Für eine nachhaltige und möglichst lang
                                                                                                                             Multidisziplinäre
andauernde Verbesserung des Hautbilds
                                                                                                                                 Behandlung
spielt die Patientenedukation eine wichtige                              Hochgebirgsklima
                                                                                                                            (u. a. Allergologie,
Rolle – für erwachsene Patienten ebenso                                                                                        ­Pneumologie)
wie für pädiatrische Patienten und deren
Eltern. Ziel ist ein besseres Verständnis der
Erkrankung und folglich der bessere Um-                                                               Atopische
gang damit. Bei der AD impliziert dies bei                                                            Dermatitis

erwachsenen Patienten insbesondere das
Verständnis und die Akzeptanz, dass es
sich um eine chronische Erkrankung han-                                                                                        Ernährungs-
                                                                        Patientenedukation
delt, die Patienten häufig über lange Zeit                                                                                      beratung
oder gar das ganze Leben hindurch beglei-
tet. Das gemeinsame Ausarbeiten von Stra-
tegien zur «Rückkehr in den Alltag», so-
                                                                                                    Psychologische
wohl hinsichtlich Coping als auch zur Wei-
                                                                                                      Betreuung
terführung von Therapien, kann die Pati-
enten sehr unterstützen (Abb. 4).
   Nahrungsmittelallergien sind bei Kin-
dern mit AD häufig, bei Erwachsenen aber
nur bei einem kleinen Teil der Patienten                 Abb. 3: Elemente der multidisziplinären Behandlung für dermatologische Rehabilitation der AD

               Dermatologie & Plastische Chirurgie 1 / 2021                                                                                            15
Zeit heilt viele Wunden: ein Einblick in die dermatologische Rehabilitation
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            DERMATOLOGIE

                                                                                                            sein.13 In Zeiten der personalisierten Me-
© CK-Care

                                                                                                            dizin und schneller Entwicklung neuer
                                                                                                            therapeutischer Ansätze, insbesondere
                                                                                                            Biologika, kann die dermatologische Reha-
                                                                                                            bilitation Patienten mit AD mit einem an-
                                                                                                            deren Ansatz helfen: in Form von intensi-
                                                                                                            ver Therapie, multidisziplinärer Betreuung
                                                                                                            und insbesondere der Auf- und Verarbei-
                                                                                                            tung der Erkrankung.                   ◼

                                                                                                                                                      Autoren:
                                                                                                                                 Dr. med. Veronika Schmidt1, 2
                                                                                                                       PD Dr. med. Matthias Möhrenschlager1
                                                                                                                                      Dr. med. Claudia Lang3, 4
                                                                                                                                              Pashija Demolli1
                                                                                                               Prof. Dr. med. Peter Schmid-Grendelmeier2–4
                                                                                                             Prof. Dr. med. Marie-Charlotte Brüggen, PhD1–4
            Abb. 4: Patientenschulung zu AD an der Hochgebirgsklinik Davos                                                   1 Hochgebirgsklinik Davos, Davos
                                                                                                                2 Christine Kühne-Center for Allergy Research

                                                                                                                                          and Education, Davos
            belegt. Dennoch sehen einige erwachsene          Umgang mit Juckreiz und Schlafproble-                 3 Dermatologische Klinik, Universitätsspital

            Patienten trotz negativ ausfallender aller-      men sowie Strategien zur Stressbewälti-                                                     Zürich
            gologischer Testungen einen Zusammen-            gung und Prävention zeigen ebenfalls                   4 Medizinische Fakultät, Universität Zürich

            hang des Hautzustands mit der Ernäh-             grosse Wirkung.                                         E-Mail: marie-charlotte.brueggen@usz.ch
            rung und unterziehen sich teilweise sehr                                                                                                               ◾09
            rigiden und nicht immer gesunden Diäten.         Hochgebirgsklima
            Die bereits erwähnte gezielte Ernährungs-           Neben den bisher genannten Faktoren         Literatur:

            beratung für Patienten mit vorliegenden          hat auch das Klima Einfluss auf den Thera-     1 World Health Organization: International classification of
                                                                                                            functioning, disability, and health: ICF, Version 1.0. 2001,
            Nahrungsmittelallergien soll zu einer Er-        pieerfolg. Aufgrund Allergenarmut, redu-
                                                                                                            Geneva 2 LeBovidge JS et al.: Multidisciplinary interven-
            leichterung der alltäglichen Diätplanung         zierter Pollenbelastung, vermehrter Sonne-     tions in the management of atopic dermatitis. J Allergy Clin
            führen. Wenn keine Nahrungsmittelaller-          neinstrahlung und relativer Luftreinheit ist   Immunol 2016; 138(2): 325-34 3 Silverberg JI: Comorbidi-
            gien (oder Intoleranzen bzw. Störungen)          das Hochgebirge (> 1500 Meter über dem         ties and the impact of atopic dermatitis. Ann Allergy
            vorliegen, ist das Ziel, entsprechende           Meer) besonders zuträglich für Atopi-          Asthma Immunol 2019; 123(2): 144-51 4 Grant L et al.: Con-
                                                                                                            ceptual model to illustrate the symptom experience and
            Ängste abzubauen und die Grundlagen              ker.8–10 In der Schweiz findet sich ein sol-
                                                                                                            humanistic burden associated with atopic dermatitis in
            einer gesunden Ernährung zu vermitteln.          ches Höhenklima unter anderem in Davos,        adults and adolescents. Dermatitis 2019; 30(4): 247-54
                                                             das historisch vor allem für die Rehabilita-   5 Rønnstad ATM et al.: Association of atopic dermatitis
            Psychosoziale Komponente                         tionsbehandlung von pneumologischen            with depression, anxiety, and suicidal ideation in children
                Viele Patienten mit atopischer Derma-        Patienten bekannt ist. Während der positi-     and adults: a systematic review and meta-analysis. J Am
                                                                                                            Acad Dermatol 2018; 79(3): 448-56.e430 6 Patel KR et al.:
            titis leiden aufgrund ihrer Erkrankung           ve Effekt des Hochgebirgsklimas für das
                                                                                                            Association between atopic dermatitis, depression, and
            unter einer starken Einschränkung der            allergische Asthma umfassend belegt ist,       suicidal ideation: a systematic review and meta-analysis. J
            Lebensqualität.4 Häufig ist es neben den         stellt sich die Datenlage zur AD weniger       Am Acad Dermatol 2019; 80(2): 402-10 7 Heede NG et al.:
            Hautveränderungen selbst vor allem der           dicht dar. In retrospektiven Beobachtungs-     Hand eczema, atopic dermatitis and filaggrin mutations in
            quälende Juckreiz, der die Lebensqualität        studien liess sich eine deutliche Reduktion    adult Danes: a registry-based study assessing risk of dis­
                                                                                                            ability pension. Contact Dermatitis 2017; 77(2): 95-105
            beeinträchtigt: Schlafstörungen können           von Hautläsionen und der Anwendung kor-
                                                                                                            8 Engst R, Vocks E: Hochgebirgsklimatherapie bei Derma-
            zu Problemen im Arbeits- und Privatleben         tikosteroidhaltiger Lokaltherapien auch 12     tosen und Allergien – Wirkmechanismen, Ergebnisse und
            führen und schlimmstenfalls bei Patien-          Monate nach der Behandlung im Hochge-          Einflüsse auf immunologische Parameter. Rehabilitation
            ten jeden Alters sozialen Rückzug, De-           birge nachweisen.11, 12                        (Stuttg) 2000; 39(4): 215-22 9 Rijssenbeek-Nouwens LH,
            pressionen und Angststörungen hervorru-                                                         Bel EH: High-altitude treatment: a therapeutic option for
                                                                                                            patients with severe, refractory asthma? Clin Exp Allergy
            fen.5, 6 In sehr schweren Fällen kann dies       Schlussfolgerung
                                                                                                            2011; 41(6): 775-82 10 Möhrenschlager M: Klimaeffekte im
            gar zu Arbeitsunfähigkeit führen.7 Um                                                           Hochgebirge bei der Behandlung von Hauterkrankungen.
            eine Verbesserung auf allen Ebenen zu                Auch wenn Zeit nicht alle Wunden heilt,    derm 4/2013; S. 324-28 11 Fieten KB et al.: Alpine climate
            erzielen, ist neben der dermatologischen         so sind es doch immerhin einige. Obgleich      treatment of atopic dermatitis: a systematic review. Allergy
            Behandlung auch eine intensive psycho-           der Trend in Richtung ambulante Medizin        2015; 70(1): 12-25 12 Fieten KB et al.: Less exacerbations
                                                                                                            and sustained asthma control 12 months after high altitude
            logische Betreuung indiziert. Additiv sind       geht, so kann eine (2–3-wöchige) Rehabi-
                                                                                                            climate treatment for severe asthma. Allergy 2019; 74(3):
            auch autogenes Training, Achtsam-                litation mit multidisziplinärem Ansatz und     628-30 13 Andrees V et al.: Economic evaluation of a ter­
            keits-Training, Yoga und diverse Entspan-        edukativer Begleitung sehr nützlich und        tia­r y prevention program for occupational skin diseases in
            nungstherapien sinnvoll. Schulungen im           letztendlich wohl auch wirtschaftlich          Germany. Contact Dermatitis 2020; 82(6): 361-9

            16                                                                                                           Dermatologie & Plastische Chirurgie 1 / 2021
Zeit heilt viele Wunden: ein Einblick in die dermatologische Rehabilitation
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