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ZUKUNFT DES SP RTS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN Dokumentation des 25. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 6. – 7. Dezember 2018 in Bodenheim / Rhein
Schriftenreihe „Sport und Umwelt“ des Deutschen Olympischen Sportbundes Als Druckerzeugnis lieferbar: Heft 19: Sport und Klimaschutz. Dokumentation des 8. Symposiums zur ökologischen Zukunft des Sports vom 05. – 06. Oktober 2000 in Bodenheim/Rhein, 2001 Heft 20: Umweltkommunikation im Sport. Dokumentation des 9. Symposiums zur ökologischen Zukunft des Sports vom 06. – 07. Dezember 2001 in Bodenheim/Rhein, 2002 Heft 21: Sport und Tourismus Dokumentation des 10. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 28. – 29. November 2002 in Bodenheim/Rhein, 2003 Heft 22: Großveranstaltungen im Sport. Dokumentation des 11. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 27. – 28. November 2003 in Bodenheim/Rhein, 2004 Heft 23: Sport findet Stadt. Dokumentation des 12. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 09. – 10. Dezember 2004 in Bodenheim/Rhein, 2005 Heft 24: Umwelt-Qualitätsstandards im Sport. Dokumentation des 13. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 08. – 09. Dezember 2005 in Bodenheim/Rhein, 2006 Heft 25: Umweltbildung im Sport. Dokumentation des 14. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 07. – 08. Dezember 2006 in Bodenheim/Rhein, 2007 Heft 26: Klima- und Ressourcenschutz im Sport. Dokumentation des 15. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 13. – 14. Dezember 2007 in Bodenheim/Rhein, 2008 Heft 27: Sport und Biodiversität. Dokumentation des 16. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 11. – 12. Dezember 2008 in Bodenheim/Rhein, 2009 Heft 29: Kooperation Sport und Umwelt. Projektdokumentation, 2010 Heft 30: Nachhaltige Sportgroßveranstaltungen. Dokumentation des 18. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 09. – 10. Dezember 2010 in Bodenheim/Rhein, 2011 Heft 31: Nachhaltigkeitsstrategien von Sportverbänden. Dokumentation des 19. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 24. – 25. November 2011 in Bodenheim/Rhein, 2012 Heft 32: Bodenheim +20 – Perspektiven nachhaltiger Sportentwicklung. Dokumentation des 20. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 29. – 30. November 2012 in Bodenheim/Rhein, 2013 Heft 33: Nachhaltige Mobilität im Sport. Dokumentation des 21. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 12. – 13. Dezember 2013 in Bodenheim/Rhein, 2014 Heft 34: Stakeholder-Dialoge im Sport. Dokumentation des 22. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 10. – 11. Dezember 2015 in Bodenheim/Rhein, 2016 Heft 35: Nachhaltigkeitskommunikation 2.0 im Sport. Dokumentation des 23. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 07. – 08. Dezember 2016 in Bodenheim/Rhein, 2017 Heft 36: Kein Platz (mehr) für den Sport? – Perspektiven des Sports in der Stadt. Dokumentation des 24. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 14. – 15. Dezember 2017 in Bodenheim/Rhein, 2018 Heft 37: Zukunft des Sports in ländlichen Räumen. Dokumentation des 25. Symposiums zur nachhaltigen Entwicklung des Sports vom 06. – 07. Dezember 2018 in Bodenheim/Rhein, 2019 www.dosb.de Gefördert durch den Deutschen Fußball-Bund www.sportdeutschland.de /sportdeutschland / TeamDeutschlandde @TrimmyDOSB @DOSB
INHALTS- VERZEICHNIS Zukunft des Sports in ländlichen Räumen Hans-Joachim Neuerburg und Thomas Wilken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Zwischen Wachstum und Schrumpfung – Ländliche Räume in Deutschland Michael Zarth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Situation des Sports in ländlichen Räumen: Beispiel Hessen Jens Prüller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Situation des Sports in ländlichen Räumen: Beispiel Sachsen-Anhalt Robert Bothe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Zukunft der Sportinfrastruktur in ländlichen Räumen Uwe Lübking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Zukunft der Sportvereine in ländlichen Räumen Lutz Thieme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Sportentwicklungsplanung in ländlichen Räumen Jörg Wetterich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Perspektiven des Sports in ländlichen Räumen – Strategien und Handlungsansätze Christian Siegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Teilnehmer *innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3
ZUKUNFT DES SP RTS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN Hans-Joachim Neuerburg und Thomas Wilken Einleitung dung des öffentlichen Nahverkehrs. Besonders betroffen davon sei der ländliche Raum. Das IW kommt in einem Ländliche Räume sind Wohn- und Lebensumfeld für 20-Jahres-Vergleich zu dem Ergebnis, dass heute zahlrei- viele Menschen in Deutschland. Neben ihrem großen che Ortschaften über keinerlei Infrastruktur zur Daseins- Beitrag zur land- und forstwirtschaftlichen Produktion vorsorge mehr verfügten (vgl. Hüther, M. et al, 2019). dienen sie als Standort vor allem kleiner und mittle- rer Unternehmen sowie als Freizeit- und Erholungsort Diese Umstände haben dazu geführt, dass die Situa- auch für Menschen aus urbanen Räumen. Nicht zu- tion und Perspektiven ländlicher Räume verstärkt in letzt erfüllen sie wichtige ökologische Ausgleichfunk- das Bewusstsein von Öffentlichkeit und Politik gera- tionen für Agglomerationsräume. ten sind. Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen hat sich die Bundesregierung zum Ziel Ländliche Räume lassen sich durch folgende Kriterien gesetzt, gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz abgrenzen (BMEL, 2016, 6): Deutschland zu schaffen. • Geringere Bevölkerungs- und Siedlungsdichte Attraktive ländliche Räume sollen als eigenständige • Eine durch hohe Anteile landwirtschaftlich genutzter Lebens-, Wirtschafts-, Erholungs- und Naturräume Flächen, Wälder und Gewässer geprägte Landnutzung gestärkt und die Versorgung und Lebensqualität der • Vorherrschend niedriggeschossige und aufgelockerte Menschen gesichert werden. Dabei orientiert sie sich Bebauung am Konzept der Nachhaltigkeit: Es geht perspektivisch • Eine höhere Entfernung zu Oberzentren um zukunftsfähige Formen des Wirtschaftens und Zu- sammenlebens und die Gleichwertigkeit der Lebens- Bei allen Gemeinsamkeiten weisen ländliche Räume verhältnisse zwischen den Regionen unter besonderer auch beträchtliche Unterschiede auf. Neben Regionen Berücksichtigung der ökonomischen, ökologischen und und Orten, die wirtschaftlich prosperieren, attraktive sozialen Verantwortung gegenüber gegenwärtigen Arbeitsplätze sowie eine gute Grundversorgung und und künftigen Generationen. akzeptable Anbindung an die Zentren bieten und des- halb von Zuzug oder weitgehend stabiler Bevölkerung Unter Leitung des Bundesministeriums für Ernährung geprägt sind, gibt es Orte und Regionen, die durch Ab- und Landwirtschaft hat ein – seit 2015 mit der Koordi- wanderung und Alterung der Bevölkerung, mangelnde nation beauftragter – Arbeitsstab drei Schwerpunkte Arbeitsplätze, Leerstand, Defizite der Grundversorgung zur Entwicklung der ländlichen Räume festgelegt. Da- und angespannte Kommunalfinanzen gekennzeichnet bei sind erstens Fragen zur Nahversorgung und Innen- sind. Letzteres gilt insbesondere für zahlreiche ostdeut- entwicklung unter Berücksichtigung der demografi- sche Regionen, aber auch für manche periphere Regio- schen Entwicklung mit den sich daraus ergebenden nen in den alten Bundesländern. Herausforderungen für die Ausgestaltung von Maß- nahmen der Gesundheit und Pflege zu berücksichti- Laut der Studie „Deutschlands Regionen im Vergleich“ gen. Zweitens stehen die Wirtschaftsentwicklung und des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) besteht in 19 Arbeitsbelange im Hinblick auf Infrastrukturen, Qua- (11 davon in Ostdeutschland) von insgesamt 96 Gebieten lifizierungen und die darauf abgestimmten Förder- akuter Handlungsbedarf. Neben der mangelhaften ärzt- instrumente sowie drittens die besondere Bedeutung lichen Versorgung fehle es vielerorts sowohl an Einkaufs- ländlicher Räume bezüglich Umwelt(-qualität), Kultur- möglichkeiten als auch an einer ausreichenden Anbin- landschaft, Freizeit und Erholung im Fokus. 4
Erstmals wird im Rahmen dieser Zielsetzungen auch ein Der Bund beteiligt sich insbesondere über die ausge- umfassendes bundesweites Monitoring der Situation weitete steuerliche Förderung des Ehrenamtes sowie und Entwicklung der ländlichen Räume erarbeitet. Dabei durch spezielle Förderprogramme an der Sicherung sind drei Handlungsfelder von zentraler Bedeutung: kultureller und sportlicher Initiativen und am Übungs- betrieb des Breitensports. Beispielhaft sei an dieser • Infrastruktur, Daseinsvorsorge, Digitalisierung und Stelle das Bundesprogramm „Kultur macht stark“ des verstärkte interkommunale Zusammenarbeit Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) • Ausgestaltung der regionalen Wirtschaftsstrukturen zur Förderung von Maßnahmen der kulturellen Bildung und die damit einhergehende Sicherung des Fach- für benachteiligte Kinder und Jugendliche genannt. Mit kräftebedarfs, Angebote zur Aus- und Weiterbildung rund 3.500 geförderten kulturellen Bildungsangeboten sowie die Stärkung von Innovation ist gut ein Viertel in ländlichen Räumen verortet. Im • Orientierung an den Zielen einer Politik der Nachhal- Rahmen dieser Förderung hat unter anderem die tigkeit: Schutz von Freiflächen und natürlichen Res- Deutsche Sportjugend (dsj) mit dem Programm „Sport: sourcen, der biologische Vielfalt und des Klimas sowie Bündnisse! Bewegung – Bildung – Teilhabe“ außerschu- die Bewahrung der ländlichen Räume als Kultur- und lische Projekte für bildungsbenachteiligte Kinder und Naturlandschaften mit ihrer besonderen Bedeutung Jugendliche gefördert. für Freizeit und Erholung (vgl. ebd., 9). Der organisierte Sport hat darüber hinaus zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um auf die (infra-)strukturellen Sport im ländlichen Raum – und personellen Herausforderungen in den ländlichen Herausforderungen und Perspektiven Räumen zu reagieren. Dazu gehören u. a. die Sportent- wicklungsplanung, die Kooperationen von Schulen und Die oben genannten Aspekte berühren grundsätzlich Sportvereinen sowie die Entwicklung von neuen For- auch Fragen der künftigen Sportentwicklung in länd- men ehrenamtlichen Engagements. Die nachfolgenden lichen Räumen. Die Förderung des Sports ist eine Auf- Beiträge liefern weitere Beispiele und zeigen mögliche gabe der Daseinsvorsorge. Da das Engagement des Perspektiven auf. Bundes auf den Spitzensport und herausragende gesamtstaatlich repräsentative Aktivitäten im Breiten- Nach einer kurzen Einführung in das Tagungsthema sport beschränkt ist, liegt die Zuständigkeit hierfür bei verweist Michael Zarth in seinem Beitrag darauf, den Bundesländern und Kommunen. dass ländliche Räume keinen homogenen Raumtyp darstellen – sondern vielfältige Unterschiede offen- Seinem Selbstverständnis als Anwalt des Sports folgend, baren – und aus dem Zusammenspiel von demo- ist der organisierte Sport gefordert, in enger Partner- grafischer und wirtschaftlicher Entwicklung zahlreiche schaft mit Ländern und Kommunen eigene Initiativen zu Herausforderungen für den Sport resultieren. Seine ergreifen, um die Versorgung der Bevölkerung mit Sport- Ausführungen geben einen Überblick über zentrale und Bewegungsangeboten nachhaltig zu sichern. Entwicklungstrends ländlicher Räume und thematisie- © Thomas Wilken 5
Zukunft des Sports in ländlichen Räumen ren grundlegende Empfehlungen für die nachhaltige Die Veranstalter bedanken sich bei allen Mitwirken- Förderung von Sport und Bewegung. den für die anregenden Beiträge und Diskussionen und hoffen auf eine rege Nachfrage nach der vorliegenden Am Beispiel von Hessen und Sachsen-Anhalt geben Dokumentation. Dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) Jens Prüller und Robert Bothe jeweils einen kurzen Ein- gilt der Dank für die konstruktive Zusammenarbeit so- blick in den Stand der aktuellen Entwicklung des Sports wie die großzügige finanzielle Unterstützung der Ver- im ländlichen Raum. Prüller verweist in seiner Bilanz anstaltung. insbesondere auf den bestehenden Sanierungsstau im Bereich der Sportinfrastruktur, der den ländlichen Raum in besonderem Maße (be)trifft. Bothe betont, dass es Quellen in kleineren und strukturschwachen Regionen künftig vor allem darauf ankommen wird, den Sportstätten- • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft bestand weiterhin überhaupt zur Verfügung stellen zu (BMEL) (Hrsg.) (2016): Bericht der Bundesregierung zur können, weil zahlreiche Kommunen bereits finanziell Entwicklung ländlicher Räume aus dem Jahr 2016, überfordert sind. In diesem Zusammenhang stellt er Berlin das Projekt „Sportatlas Sachsen-Anhalt“ vor. • Hüther, M./Südekum, J./Voigtländer, M. (Hrsg.) (2019): Der Beitrag von Uwe Lübking thematisiert die Zukunft Die Zukunft der Regionen in Deutschland. Zwischen der Infrastruktur des Sports im ländlichen Raum. Sei- Vielfalt und Gleichwertigkeit. Hrsg vom Institut der ner Ansicht nach bedarf es in den Kommunen – je nach deutschen Wirtschaft, Köln Größe – vor allem entsprechender Verwaltungsstruktu- ren in Form einer eigenen Sportfachverwaltung (Sport- amt) oder vergleichbaren Einheit, die sich gegebenen- falls auch mit anderen Aufgaben (z. B. Schule) befasst, um die Potenziale des Sports nutzen und der Sport- förderung gerecht werden zu können. Zumindest sollte es konkrete Ansprechpartner für den Sport in der Kom- mune geben. Die Zukunft der Sportvereine im ländlichen Raum ist das Thema von Lutz Thieme. Seinem Befund nach ge- ben empirische Untersuchungen zwar Hinweise darauf, mit welchen Problemen Sportvereine aktuell zu kämp- fen haben, aber seiner Einschätzung nach nimmt sich dabei keine den Sportvereinen im ländlichen Raum in besonderem Maße an. Dennoch versucht er in seinem Beitrag die aktuellen Herausforderungen entsprechend der regionalen Einbindung der Sportvereine in urbane bzw. ländliche Regionen zu differenzieren und mit Vor- behalt zu bewerten. Nach Ansicht von Jörg Wetterich stellen Kenntnisse über empirische Grundlagen, z. B. zum Sportverhalten der Bevölkerung, sowie über Ziele und Verfahrenswei- sen von Sportentwicklungsplanungen in ländlichen Räumen eine Forschungslücke dar. In seinem Beitrag versucht er daher, dieses Defizit anhand der Ergebnisse verschiedener Planungen abzubauen. Aufgrund der noch eher geringen Datenbasis – und der Unterschied- lichkeit ländlicher Räume – handelt es sich dabei eher um erste Überlegungen, Beobachtungen, Fragestellun- gen und Thesen über diesen bisher wenig untersuchten Themenbereich. Anknüpfend an die Diskussionen im Verlauf des Sym- posiums fasst Christian Siegel vom Deutschen Olympi- schen Sportbund (DOSB) zum Abschluss noch einmal die wichtigsten Strategien und Handlungsansätze einer künftigen Sportentwicklung im ländlichen Raum zu- sammen. 6
ZWISCHEN WACHSTUM UND SCHRUMPFUNG Ländliche Räume in Deutschland Michael Zarth Ländliche Räume sind kein Ausstattung und Lage im Raum, der großräumigen homogener Raumtyp Erreichbarkeit bis hin zur Nähe zu Agglomerationen. Auch finden sich in den ländlichen Räumen zahlreiche Eine niedrige Einwohnerdichte dient im Allgemeinen Mittel- und Kleinstädte, die wichtige Funktionen als zwar als zentrales Kriterium für die Abgrenzung ländli- zentrale Orte für die Daseinsvorsorge und als regionale cher Räume. Diese weisen jedoch vielfältige strukturelle Arbeitsmarktzentren besitzen. Ländliche Räume gel- Unterschiede auf: Sie reichen von der naturräumlichen ten nicht per se als strukturschwach, sondern einzelne Siedlungsstruktureller Siedlungsstruktureller Regionstyp Regionstyp Siedlungsstruktureller Siedlungsstruktureller Kreistyp Kreistyp DK DK DK DK Kiel Kiel Kiel Kiel Hamburg Hamburg Schwerin Schwerin Hamburg Hamburg Schwerin Schwerin BremenBremen BremenBremen PL PL PL PL Berlin Berlin Berlin Berlin Hannover Hannover Hannover Hannover Geometrische Grundlage: Kreise/Raumordnungsregionen (generalisiert), 31.12.2014 © GeoBasis-DE/BKG Geometrische Grundlage: Kreise/Raumordnungsregionen (generalisiert), 31.12.2014 © GeoBasis-DE/BKG NL NL Potsdam Potsdam NL NL Potsdam Potsdam Magdeburg Magdeburg Magdeburg Magdeburg Düsseldorf Düsseldorf Düsseldorf Düsseldorf Dresden Dresden Dresden Dresden Erfurt Erfurt Erfurt Erfurt BE BE BE BE Wiesbaden Wiesbaden CZ CZ Wiesbaden Wiesbaden CZ CZ Mainz Mainz Mainz Mainz LU LU LU LU Saarbrücken Saarbrücken Saarbrücken Saarbrücken Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR FR FR Stuttgart Stuttgart FR FR Stuttgart Stuttgart München München München München AT AT AT AT CH CH CH CH 100 km 100 km Städtische Städtische Regionen Regionen Kreisfreie Kreisfreie Großstädte Großstädte Regionen mit Verstädterungsansätzen Regionen mit Verstädterungsansätzen Städtische Städtische Kreise Kreise © BBSR Bonn 2017 Ländliche Regionen Ländliche Regionen Ländliche Ländliche Kreise Kreise mit Verdichtungsansätzen mit Verdichtungsansätzen DünnDünn besiedelte besiedelte ländliche ländliche Kreise Kreise Karte 1: Siedlungsstrukturelle Regions- und Kreistypen des BBSR 7
Zwischen Wachstum und Schrumpfung – Ländliche Räume in Deutschland Räume weisen eine starke Resistenz gegenüber rezes- render oder schrumpfender Bevölkerung. Die Spitze siven Schocks und einen über alle Konjunkturzyklen liegt im Ruhrgebiet mit seinen Großstädten, welche günstige Beschäftigungsentwicklung auf.1 infolge ihrer Strukturprobleme allein seit Mitte der 2000er Jahre fast 140.000 Einwohner*innen verloren Deutschland ist im Vergleich zu anderen europäischen haben. Die Trennlinien zu den wachsenden Regio Ländern durch eine polyzentrale Siedlungsstruktur ge- nen verlaufen im Norden über Ostwestfalen und Süd- prägt. Nach der siedlungsstrukturellen Typisierung des niedersachsen bis an die Grenzen von Mecklenburg; BBSR werden drei großräumige Regionstypen und vier im Süden über Nordhessen und Franken parallel zur Kreistypen unterschieden.2 Hierfür sind Kriterien wie tschechischen Grenze bis zur Donau. Im Osten haben Einwohnerdichte sowie die Ausstattung mit zentralen durch Großstädte geprägte Regionen wie Berlin, Orte und deren Größe zentral. Die ländlichen Kreise Leipzig, Dresden und Rostock in der Summe weniger werden unterschieden in solche mit Verdichtungsansät- Einwohner*innen verloren als ländliche Räume. zen und in dünn besiedelte Kreise. Nach dieser Typisie- rung lebte im Jahr 2016 bundesweit fast jeder Dritte in Die zunehmende Betroffenheit ländlicher Räume von einem ländlichen Kreis. Es bestehen jedoch deutliche Schrumpfung lässt sich am Beispiel der Entwicklung und überwiegend historisch gewachsene Unterschiede der Mittel- und Kleinstädte sowie der Landgemeinden zwischen West- und Ostdeutschland: Die die Übergänge verdeutlichen.4 Sie werden je nach räumlicher Lage als von den Großstädten zu den ländlichen Kreisen sind in zentral oder peripher unterschieden. Ostdeutschland oft fließend, während in Westdeutsch- land noch die Raumkategorie der städtischen Kreise 4 als suburbanes Umland zwischengestaltet ist. In der Kleinstädte bestehen oft aus ehemals eigenständigen Gemeinden und entsprechen insofern nicht dem klassischen Stadtbild einer historisch ge- Folge leben rund 56 Prozent der ostdeutschen Bevölke- wachsenen europäischen Stadt. Unter Landgemeinden werden hier alle rung (9,0 Mio.) in ländlichen Kreisen, davon 4,7 Mio. in Verbandsgemeinden verstanden, die weniger als 5.000 Einwohner *innen dünn besiedelten ländlichen Räumen. In Westdeutsch- haben und kein Grundzentrum mit mittelzentralen Teilfunktionen sind. land liegt der Bevölkerungsanteil der ländlichen Kreise insgesamt bei rund 26 Prozent bzw. absolut 17,2 Mio. Von diesen leben 9,9 Mio. in ländlichen Kreisen mit DK Verdichtungsansätzen und 7,3 Mio. in dünn besiedelten ländlichen Kreisen. Kiel Hamburg Schwerin Bevölkerungsrückgang und Alterung ländlicher Räume schreitet voran Bremen PL Berlin Der Schrumpfungs- und Alterungstendenzen der Bevöl- NL Hannover Potsdam kerungsentwicklung Deutschlands sind bereits seit 1972 Magdeburg angelegt.3 Sie wurden jedoch viele Jahre durch eine „importierte Dynamik“ infolge internationaler Wande- Düsseldorf rungsgewinne überdeckt. Diese Wanderungen hatten Dresden Erfurt vor allem die Großstädte und wirtschaftsstarken Regio- nen zum Ziel, und weniger die ländlichen Räume. In der BE Vergangenheit gab es ein großräumiges Nebeneinan- Wiesbaden CZ der von Wachstum und Schrumpfung. Vereinfacht aus- LU Mainz gedrückt galt die Formel: Der Osten – mit Ausnahme Saarbrücken weniger Räume schrumpft – der Westen wächst. FR Stuttgart Wird diese Ost-West-Betrachtung regional aufgebro- chen, zeigt sich auch in Westdeutschland seit der Mitte München AT der 2000er Jahre ein keilförmiges Gebiet mit stagnie- CH 100 km 1 Vgl. Zarth, M. (2011): Zur Entwicklung der deutschen Regionen in den Entwicklung der Bevölkerungszahl 1990 bis 2015 in % langfristigen Konjunkturzyklen. In: Informationen zur Raumentwick- bis unter -20 gemeindefreie Gebiete lung, Heft 2, S. 106, sowie die Ergebnisse einer clusteranalytischen -20 bis unter -10 Raumtypisierung für Westdeutschland bei Jakubowski, P./Lackmann, G./Zarth, M. (2013): Zur Resilienz regionaler Arbeitsmärkte – theoretische -10 bis unter 0 © BBSR Bonn 2017 Überlegungen und empirische Befunde. In: Informationen zur Raument- 0 bis unter 10 wicklung, Heft 4, S. 362 10 bis unter 20 Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR 2 Geometrische Grundlage: Einheitsgemeinden und Gemeinde- Vgl. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg. 2012): 20 und mehr verbände (generalisiert), 31.12.2015 © BKG/GeoBasis-DE Raumabgrenzungen und Raumtypen des BBSR, Bonn. 3 Vgl. Raumordnungsbericht 2017 – Daseinsvorsorge sichern, Bonn 2018, S. 11 ff. Karte 2: Kleinräumige Bevölkerungsentwicklung 1990 – 2015 8
Anteil der Gemeinden mit einem Bevölkerungsverlust Neben der Fertilität und Mortalität ist die Dynamik der Quelle: Bevölkerungsfortschreibung des Bundes und der Länder, Laufende Raumbeobachtung des BBSR von mehr als 10 Prozent in % Außenwanderungen der zentrale Einflussfaktor auf die 1995 bis 2005 2005 bis 2015 demografische Entwicklung. Die Außenwanderungen Großstädte zentral 1,5 0,0 sind jedoch mit einem hohen Prognoserisiko verbun- zentral 0,2 0,0 den. Erste Szenarien des BBSR lassen eine zeitliche Ver- Mittelstädte peripher 2,8 0,0 zögerung und Abschwächung der regionalen Schrump- zentral 0,4 0,6 fungsprozesse infolge internationaler Zuwanderung Westdeutschland größere Kleinstädte peripher 2,5 1,5 erkennen.5 Dabei würden die wirtschaftsstarken Regio- kleine zentral 0,2 0,6 nen als bevorzugtes Ziel der Außen- und Binnenwan- Kleinstädte peripher 0,9 3,7 derungen etwas stärker wachsen. Die westdeutschen zentral 4,1 4,9 Regionen, die nach der alten Raumordnungsprognose Landgemeinde peripher 9,1 12,3 2035 schrumpfen sollten, würden ihre Bevölkerungszahl zentral 1,1 1,3 zeitweise stabilisieren. Die ostdeutschen Räume wür- Insgesamt peripher 6,2 8,2 den mehrheitlich schrumpfen, mit Ausnahme einzelner Großstädte zentral 40,0 0,0 demografischer Stabilitätsinseln wie Berlin, Dresden zentral 36,4 12,1 oder Leipzig. Die Ländlichen Räume in West- und Ost- Mittelstädte deutschland werden, zumal sie nicht bevorzugtes Ziel peripher 75,4 29,5 zentral 14,0 19,3 der Außen- und Binnenwanderungen sind, weiterhin größere Ostdeutschland Kleinstädte peripher 49,4 46,0 stark vom Bevölkerungsrückgang betroffen. kleine zentral 17,1 27,1 Kleinstädte peripher 37,9 51,4 Die Alterung der Bevölkerung wird auch künftig als zentral 10,3 25,6 zentraler demografischer Trend fortschreiten. Denn die Landgemeinde peripher 24,2 53,6 Verjüngung der Bevölkerung durch internationale Zu- zentral 19,1 21,1 wanderung kompensiert nicht den Alterungsprozess. Insgesamt peripher 35,0 50,2 Vor allem die absolute Zahl der alten Menschen würde nur sehr gering beeinflusst. Dabei werden die westdeut- Tab. 1: Entwicklung der Städte und Landgemeinden nach der Lage schen Großstädte noch eine weitgehend stabile Alters Anmerkung: Daten sind zensuskorrigiert und statistische Erfassungsebene struktur bewahren, während das durchschnittliche Alter sind Einheitsgemeinden und Gemeindeverbände. der ostdeutschen Bevölkerung nahezu flächendeckend bei über 50 Jahre liegen wird. Ausnahmen werden Sowohl in Ost- wie auch in Westdeutschland weisen Berlin und Städte mit Hochschuleinrichtungen bilden, die zentralen Mittel- und Kleinstädte sowie Landge- da diese u. a. bevorzugtes Ziel der Binnenwanderun- meinden eine günstigere Entwicklung als ihre Pen- gen junger Menschen sind. Die ländlichen und vor dants in peripherer Lage auf. In Ostdeutschland war allem peripheren Räume werden eine starken Rück- die Entwicklung nach der deutschen Einheit zwar durch gang der jüngeren Altersgruppen und einen Anstieg eine nachholende Suburbanisierung im Speckgürtel der Älteren aufweisen. von Berlin oder im Umfeld großer Zentren wie Dresden und Leipzig geprägt. Dennoch verlor bis 2005 fast jede Ein weiterer zentraler Trend ist die fortschreitende Inter- vierte periphere Landgemeinde mehr als 10 Prozent an nationalisierung der Bevölkerung. Im Jahr 2015 lebten Bevölkerung. Im Zeitraum 2005 bis 2015 verbucht be- in Deutschland etwa 17,1 Mio. Menschen mit Migrations- reits mehr als die Hälfte der peripheren Landgemein- hintergrund, dies entspricht 21 Prozent der Gesamt- den einen entsprechenden Bevölkerungsverlust. Von bevölkerung.6 Jeder Vierte der unter 35-Jährigen hat den zentralen Landgemeinden verlor immerhin jede ausländische Wurzeln, bei den unter 5-Jährigen ist es Vierte mehr als 10 Prozent ihrer Einwohner. Die kleine- sogar jeder Dritte. Vergleichsweise viele Menschen mit ren Kleinstädte in Ostdeutschland wurden schon früher ausländischen Wurzeln gehören aktuell und in abseh- vom demografischen Schrumpfungsprozess erfasst, barer Zukunft Altersgruppen an, in denen Familien wobei sich dieser nach 2005 nochmals verstärkte. Die gegründet und Kinder geboren werden. Dies wird dazu extremen Bevölkerungsverluste bei den Mittelstädten führen, dass der Anteil von Personen mit Migrations- und größeren Kleinstädten haben zwar nachgelassen, hintergrund in den deutschen Regionen künftig weiter ihre Auswirkungen stellen die regionalen Akteure den- steigen wird. noch vor größere Herausforderungen. Flächendeckende regionale Daten zu den Personen mit In Westdeutschland hat sich der Schrumpfungsprozess Migrationshintergrund liegen nur nach dem Zensus 2011 der ländlichen Räume ab 2005 verstärkt: Während im vor. Die Ergebnisse sind in der Karte 3 dargestellt und Zeitraum 1995 bis 2005 jede zehnte periphere Landge- meinde einen Bevölkerungsverlust von mehr als 10 Pro- 5 Vgl. Raumordnungsbericht 2017 – Daseinsvorsorge sichern, Bonn 2018, zent verbucht, traf dies im Zeitraum 2005 bis 2015 für S. 18 f. jede achte Landgemeinde zu. Außerdem werden die 6 Statistisches Bundesamt (2016): Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevöl kleinen Kleinstädte in peripherer Lage tendenziell stär- kerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2015. ker von Schrumpfung erfasst. Fachserie 1 Reihe 2.2. Wiesbaden 9
Zwischen Wachstum und Schrumpfung – Ländliche Räume in Deutschland dem hat sich die Beschäftigungsentwicklung Ost- DK deutschlands stabilisiert, so dass der Beschäftigungs- stand im Jahr 2017 fast wieder dem Niveau von 1996 entspricht.7 Gleichwohl ist erkennbar, wie lang das Kiel Tal war, durch das die ostdeutsche Wirtschaft gehen Schwerin Hamburg musste. Bremen Seit 1996 stieg die Beschäftigung bundesweit bis zum PL Hannover Berlin Jahr 2017 um rund 4,4 Mio. In Westdeutschland ist die relative Bedeutung der kreisfreien Großstädte für das NL Potsdam Magdeburg Beschäftigungswachstum relativ konstant. Vor allem die städtischen Kreise – also das verdichtete Umland – Düsseldorf Dresden konnten ihre relative Bedeutung deutlich ausbauen. Erfurt Die dünn besiedelten ländlichen Kreise verzeichnen den BE geringsten relativen Bedeutungsgewinn. Seit 2008 konn- Wiesbaden ten die ländlichen Kreise jedoch wieder etwas stärker CZ Mainz am gesamtwirtschaftlichen Arbeitsplatzwachstum par- LU tizipieren. In kurzfristiger Sicht fällt für Ostdeutschland Saarbrücken der Bedeutungsgewinn der kreisfreien Großstädte auf. Hierfür ist vor allem die Entwicklung von Berlin sowie FR Stuttgart Dresden und Leipzig entscheidend. Die ländlichen Kreise hingegen haben – ebenso wie die städtischen Kreise – München AT an beschäftigungspolitischer Bedeutung verloren. CH 100 km Insgesamt ist eine deutliche Verschiebung der Anteile der Beschäftigung zu Lasten Ostdeutschlands erkenn- Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung im Jahr 2011 in % bar. Sein Anteil an der gesamtdeutschen Beschäfti bis unter 8 gung reduziert sich von 22,4 Prozent im Jahr 1996 auf 18,7 Prozent im Jahr 2017. Entsprechend steigt der 8 bis unter 15 © BBSR Bonn 2017 westdeutsche Anteil von 77,6 auf 81,2 Prozent an. In 15 bis unter 22 Westdeutschland gehen Bevölkerungs- und Beschäfti- 22 bis unter 29 Datenbasis: Zensus 2011 Geometrische Grundlage: Kreise (generalisiert), gungswachstum dabei Hand in Hand. Die Versorgung 29 und mehr 31.12.2009 © BKG/GeoBasis-DE mit Arbeitsplätzen ist über alle Raumtypen, d. h. auch in den ländlichen Kreisen deutlich gestiegen. Für Ost- Karte 3: Menschen mit Migrationshintergrund deutschland ist diese Aussage zu relativieren, denn der rechnerisch gestiegene Versorgungsgrad ist dem Bevöl- verdeutlichen die regionale Struktur. Besonders hoch kerungsrückgang geschuldet, da dieser stärker ausfiel sind die Anteile der Migranten danach in vielen Groß- als der Arbeitsplatzabbau. städten wie München, Nürnberg, Stuttgart, Hannover, Bremen, Hamburg und Berlin sowie im Rhein-Neckar- Die Verteilung der Arbeitsplätze im Raum korrespon- und Rhein-Main-Gebiet und der Rhein-Ruhr-Region. diert mit einem groß- und kleinräumigen Gefälle bei Aber auch einzelne ländliche Räume mit zum Teil indus- den Pendlerverflechtungen und -distanzen.8 Im Jahr trieller Struktur verzeichnen hohe Anteile. Das betrifft 2016 betrug die durchschnittliche Pendeldistanz 17 km, vor allem Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-West- wobei besonders lange Pendeldistanzen in dünn besie- falen und einzelne Regionen von Rheinland-Pfalz und delten und peripheren ländlichen Räumen festzustel- Niedersachsen. Umgekehrt fällt auf, dass in den ost- len sind. Im bundesweiten Durchschnitt pendeln rund deutschen Regionen der Anteil der Bevölkerung mit 60 Prozent aller Beschäftigten von ihrem Wohnort zur Migrationshintergrund sehr niedrig ist. außerhalb gelegenen Arbeitsstätte. In kleinräumiger Sicht besteht ein Land-Stadt-Gefälle. Während in den Großstädten nur 32 Prozent aller Beschäftigten pen- Wirtschaftliche Entwicklung der ländlichen deln, sind es in den ländlichen Gemeinden 86 Prozent. Räume regional unterschiedlich Innerhalb der einzelnen Kreistypen bestehen deutliche Die wirtschaftliche Entwicklung der ländlichen Räume Unterschiede in der Beschäftigungsentwicklung. Denn folgt den konjunkturellen Zyklen und lässt sich am Bei- die Zugehörigkeit zu einem Typ determiniert weder spiel der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung verdeutlichen (siehe Tabelle 2). Bei den ostdeutschen 7 1996 wurde als Ausgangsjahr gewählt, da ab diesem Jahr bundesweit Räumen schlagen zusätzlich die Folgen der deutschen vergleichbare und regional differenzierte Daten nach dem Meldever Einheit zu Buche. So ging der Abbau der ostdeutschen fahren der Sozialversicherung vorliegen. Beschäftigung bis Mitte der 2000er Jahre weiter. Seit- 8 Vgl. Raumordnungsbericht 2017 – Daseinsvorsorge sichern, Bonn 2018, S. 23. 10
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Bevölkerung Veränderung 2017/96 Anteil am Bund in % Beschäftigtenbesatz Veränderung 2016/96 Kreistypen in % 1996 2008 2017 1996 2017 in % Westdeutschland 21,5 77,6 81,0 81,3 336 394 3,6 Kreisfreie Großstädte mit mind. 100.000 EW 19,4 28,0 29,0 28,8 455 518 5,0 Quelle: Laufende Raumbeobachtung des BBSR; eigene Berechnungen Städtische Kreise 21,9 32,4 34,0 34,1 297 349 3,5 Ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen 25,3 10,1 10,6 10,9 286 346 3,5 Dünn besiedelte ländliche Kreise 22,2 7,2 7,4 7,6 287 348 0,8 Ostdeutschland – 3,2 22,4 19,0 18,7 355 372 – 7,5 Kreisfreie Großstädte mit mind. 100.000 EW 9,3 8,6 7,7 8,1 406 426 4,1 Städtische Kreise – 13,9 1,9 1,5 1,4 337 356 – 18,6 Ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen – 11,2 5,7 4,7 4,3 334 345 – 13,9 Dünn besiedelte ländliche Kreise – 9,9 6,2 5,1 4,8 323 328 – 11,4 Deutschland 15,9 100,0 100,0 100,0 340 390 1,2 Tab. 2: Beschäftigungsentwicklung nach Kreistypen 1996 – 2017 eine gute noch eine schlechte Entwicklung. Teilweise sind die Unterschiede zwischen den Typen größer als DK innerhalb der Typen. Auch schneiden die siedlungs- strukturellen Kreistypen des BBSR räumlich-funktionale Kiel Rostock Verflechtungen. Im Folgenden nehmen wir eine Be- trachtung auf Ebene der Arbeitsmarktregionen vor. Bei Hamburg Schwerin diesen werden die ländlichen Räume zusammen mit Bremen ihren städtischen Arbeitsmarktzentren betrachtet, zu PL denen die Menschen pendeln.9 Die Karte 4 dokumen- Berlin tiert, wie sich der Anteil der einzelnen Arbeitsmarkt- NL Hannover Magdeburg Potsdam regionen an der bundesweiten Beschäftigung im Zeit- Bielefeld raum 2008 bis 2017 entwickelt hat.10 Cottbus Essen Dortmund Halle/S. Düsseldorf Leipzig Bei der Veränderung des relativen Anteils streuen die Köln Kassel Erfurt Dresden Chemnitz Gewinne und Verluste quer über alle Regionen. Die Bonn Wertereihe reicht von – 15,3 Prozent für Dessau-Roßlau BE bis zu + 15,8 Prozent für Vechta. Es folgen dann Clop- Wiesbaden Frankfurt/M. CZ penburg (+ 15,5 Prozent) und Ingolstadt (+ 14,0 Prozent). Mainz LU Außerdem fallen drei Aspekte zunächst auf: Saarbrücken Mannheim Nürnberg • Die relativen Veränderungen der Anteile sind bei den FR Stuttgart kleinen und oftmals ländlich geprägten Regionen Ulm in der Regel größer als bei den großen städtischen AT Regionen (Basiseffekt). München Freiburg i.Br. CH 100 km 9 Die Analyseebene sind die aktuellen 257 Arbeitsmarktregionen der Veränderung des Anteils aller sozialver- Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruk- sicherungspflichtig Beschäftigten in der Arbeitsmarktregion am gesamtdeutschen tur“. Sie bilden räumlich-funktionale Verflechtungen ab und werden auf Wert von 2008 bis 2017 (in %) © BBSR Bonn 2018 Basis der Pendlerverflechtungen abgegrenzt. Für Ostdeutschland werden bis unter -10 0 bis unter 5 54 Regionen ausgewiesen, die keine Ländergrenzen zwischen West- und Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR -10 bis unter -5 5 bis unter 10 Geometrische Grundlage: Arbeitsmarktregionen 2016 Ostdeutschland schneiden. auf Basis Kreise (generalisiert), -5 bis unter 0 10 und mehr 31.12.2016 © GeoBasis-DE/BKG 10 Vgl. hierzu auch Maretzke, S./Ragnitz, J.,/Untiedt, J. (2018): Betrachtung und Analyse von Regionalindikatoren zur Vorbereitung des GRW-Förder- gebiets ab 2021, Gutachten im Auftrag des BMWi, Münster S. 17. Karte 4: Veränderung der regionalen Beschäftigungsanteile 2017/2008 11
Zwischen Wachstum und Schrumpfung – Ländliche Räume in Deutschland 8,00 7,50 Berlin 7,00 Quelle: Laufende Raumbeobachtung des BBSR; eigene Berechnungen 6,50 6,00 regionaler Anteil am bundesweiten München 5,50 Zuwachs 2017/18 in Prozent 5,00 Hamburg 4,50 4,00 Stuttgart 3,50 Frankfurt am Main 3,00 Köln 2,50 2,00 Leipzig Hannover Düsseldorf 1,50 Nürnberg 1,00 Dortmund Duisburg 0,50 Saarbrücken 0,00 – 0,50 0,00 0,50 1,00 1,50 2,00 2,50 3,00 3,50 4,00 4,50 regionaler Anteil am Bund 2008 in Prozent Abb. 1: Regionale Konzentration des Beschäftigungswachstums • Es verbuchen etwas mehr Regionen relative Bedeu- Wie ist die Entwicklung der öffentlichen tungsverluste als Gewinne (147 zu 110). Finanzen ländlicher Räume? • Relative Bedeutungsgewinne hat es vornehmlich in den westdeutschen Arbeitsmarktregionen gegeben. Bevölkerungsverluste bedeuten in der Regel Verluste bei den öffentlichen Einnahmen. Insbesondere für die In Westdeutschland konnten vor allem Arbeitsmarkt kommunalen Gebietskörperschaften als wichtiger Trä- regionen in Süddeutschland (d. h. vornehmlich aus ger der Daseinsvorsorge sind diese finanziellen Verluste Bayern) aber auch einzelne Regionen aus Rheinland- auf Dauer schwer verkraftbar.11 Die Kommunen besitzen Pfalz, Nordhessen, NRW, Niedersachsen und Schleswig- nur geringe steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten, um Holstein ihre relative Position verbessern. In Ostdeutsch eigene Einnahmen zu generieren. Hierzu zählt neben land trifft dies nur für Berlin sowie Luckenwalde und der Grundsteuer A und B vor allem die Gewerbesteuer. Leipzig zu. Das Gewerbesteueraufkommen ist zwar seit 2002 von gut 23 Mrd. auf rund 50 Mrd. Euro im Jahr 2016 gestie- Umgekehrt haben auch viele Regionen (mehr als jede gen. Es unterliegt jedoch starken zeitlichen Schwankun- zweite – 60 Prozent) Anteile an der bundesdeutschen gen und ist regional extrem ungleich verteilt, da es vor Beschäftigung verloren. Dies trifft auf fast alle ost- allem von größeren Gewerbebetrieben getragen wird. deutschen Arbeitsmarktregionen zu. In Westdeutsch- Oft erfolgt die Besteuerung am Hauptsitz eines Unter- land sind es vor allem ländliche Regionen aus Bayern, nehmens, und gerade ländliche Räume sind nicht sel- das Ruhrgebiet und das Saarland, die in ihrer relativen ten bevorzugter Standort von Zweigbetrieben größerer Position verloren haben. Zu nennen sind außerdem Unternehmen. Entsprechend dem Gefälle in der wirt- einzelne Regionen aus Rheinland-Pfalz, Hessen und schaftlichen Leistungskraft sind beim Gewerbesteuer- Baden-Württemberg sowie aus dem westlichen und aufkommen ein großräumiges West-Ost- und ein klein- östlichen Niedersachsen. räumiges Stadt-Land-Gefälle prägend. Die Abbildung 1 lässt erkennen, wie stark das Beschäfti- Eine hohe gemeindliche Realsteuerkraft sagt zudem gungswachstum regional konzentriert ist. Je größer der wenig darüber aus, ob die finanziellen Möglichkeiten Anteil einer Region im Ausgangsjahr an der bundes einer Kommune dem tatsächlichen Bedarf an Daseins weiten Beschäftigung war, desto größer ist auch ihr vorsorge genügen. In vielen Städten und Gemein- Anteil am bundesweiten Zuwachs. Allein auf die zehn den mit hoher Realsteuerkraft übersteigt der Bedarf größten westdeutschen Arbeitsmarktregionen, die im infolge hoher Sozialleistungen und einer erhöhten Jahr 2008 infolge ihres Agglomerationsgrades zusam Versorgungszentralität den finanziellen Rahmen bei men einen Beschäftigungsanteil von 25 Prozent haben, weitem. Ein gutes Spiegelbild der kommunalen Finanz- entfallen rund 27 Prozent des bundesweiten Zuwach- nöte bietet der Stand der Kassenkredite. Vorgesehen ses (1,3 Mio.). Berlin als größte ostdeutsche Region mit ist diese Form der kommunalen Kreditaufnahme zum einem Beschäftigtenanteil von 3,9 Prozent im Jahr 2008 verbucht 7,3 Prozent des bundesweiten Zuwachses (absolut: 345.000). 11 Vgl. Raumordnungsbericht 2017 – Daseinsvorsorge sichern, Bonn S. 25 ff. 12
Ausgleich kurzfristiger Liquiditätsschwankungen bei den Zuweisungen der Länder. Dabei stellt die kommu- der Erfüllung laufender Verwaltungsaufgaben. In der nale Finanzsituation eine zentrale Stellgröße für eine kommunalen Praxis dienen Kassenkredite jedoch oft aktive Entwicklung vor Ort dar. Denn diese erfordert der langfristigen Finanzierung. neben dem politischen und fachlichen Engagement ausreichende finanzielle Mittel. Dies gilt nicht nur für Lagen die Kassenkredite im Jahr 1992 bei 1,2 Mrd. Euro, die Durchführung investiver oder personeller Maßnah- so betrugen sie im Jahr 2016 bundesweit trotz der teil- men, sondern auch für die Erbringung des kommuna- weisen Ablösung durch Entschuldungsprogramme rund len Eigenanteils bei Förderprogrammen. Je enger die 45 Mrd. Euro. Es bestehen deutliche regionale Unter- finanziellen Spielräume der kommunalen Gebietskör- schiede zwischen und innerhalb der Länder. Insgesamt perschaften in den ländlichen Räume sind, desto weni- fällt eine starke Konzentration der Kassenkredite auf ger sind sie in der Lage, eine aktive Entwicklung auch Städte in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz unter Einbeziehung des Sports zu betreiben. auf. Ähnlich angespannt stellt sich die Haushaltssitua- tion der deutschen Landkreise dar, die neben der Kom- munalaufsicht wichtige überörtliche Leistungen sowie Was kann man zur Sicherung des Sports Ausgleichs- und Ergänzungsaufgaben bei der Daseins- in ländlichen Räumen tun? vorsorge wahrnehmen. Der Kassenkreditbestand lag Ende 2015 bei rund 6,6 Mrd. Euro. Besonders prekär ist Neben einer niedrigen Einwohnerdichte ist für ländliche die finanzielle Lage der Landkreise in Hessen, Rhein- Räume prägend, dass die Vereine und damit Ehren- land-Pfalz, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Meck- amt und bürgerschaftliches Engagement im Bereich lenburg-Vorpommern. des Sportes wichtige Elemente des sozialen Lebens sind. Auch sind die ländlichen Räume in Deutschland Die regionalen Unterschiede in der Realsteuerkraft kein homogener Raumtyp, sondern weisen vielfältige und in der kommunalen Verschuldung erhöhen die Differenzierungen auf. Am gesamtwirtschaftlichen Abhängigkeit der kommunalen Finanzwirtschaft von Beschäftigungswachstum haben sie je nach den regio- Gewerbesteuer Gewerbesteuer Kassenkredite Kassenkredite DK DK DK DK Kiel Kiel Kiel Kiel HamburgHamburg SchwerinSchwerin HamburgHamburg SchwerinSchwerin Bremen Bremen Bremen Bremen PL PL PL PL Berlin Berlin Berlin Berlin Hannover Hannover Hannover Hannover NL NL PotsdamPotsdam NL NL PotsdamPotsdam Magdeburg Magdeburg Magdeburg Magdeburg Düsseldorf Düsseldorf Düsseldorf Düsseldorf DresdenDresden DresdenDresden Erfurt Erfurt Erfurt Erfurt BE BE BE BE Wiesbaden Wiesbaden CZ CZ Wiesbaden Wiesbaden CZ CZ Geometrische Grundlage: Kreise (generalisiert), 31.12.2016 © GeoBasis-DE/BKG Geometrische Grundlage: Kreise (generalisiert), 31.12.2016 © GeoBasis-DE/BKG Mainz Mainz Mainz Mainz LU LU LU LU Saarbrücken Saarbrücken Saarbrücken Saarbrücken FR FR StuttgartStuttgart FR FR StuttgartStuttgart Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR Datenbasis: Laufende Raumbeobachtung des BBSR MünchenMünchen MünchenMünchen AT AT AT AT CH CH CH CH 100 km100 km Gewerbesteueraufkommen Gewerbesteueraufkommenin in Kassenkredite Kassenkredite der kreisangehörigen der kreisangehörigen Gemeinden Gemeinden bzw. Gemeinde- bzw. Gemeinde- Euro je Einwohner Euro 2016 2016 je Einwohner verbände verbände sowiesowie der kreisfreien der kreisfreien StädteStädte in je in Euro Euro je Einwohner Einwohner 2016 2016 bis unter bis unter 250 250 1.000 1.000 bis unter bis 1.250 unter 1.250 bis unter bis unter 100 100 2.000 2.000 bis 3.000 bis unter unter 3.000 © BBSR Bonn 2018 250 bis 250 unter bis unter 500 500 1.250 1.250 und mehr und mehr 100 100 bis bis unter unter 400 400 3.000 3.000 und mehr und mehr 500 bis unter 500 750 750 bis unter gemeindefreie Gebiete gemeindefreie Gebiete 400 400 bis bis 1.000 unter unter 1.000 Stadtstaaten Stadtstaaten 750 bis unter 750 bis 1.000 unter 1.000 1.000 1.000 bis 2.000 bis unter unter 2.000 Karte 5: Gewerbesteuer und Kassenkredite 2016 13
Zwischen Wachstum und Schrumpfung – Ländliche Räume in Deutschland nalen Standortdeterminanten unterschiedlich partizi- in städtischen und ländlichen Räumen an Dynamik piert. Insgesamt ist eine Verschiebung der Beschäfti- und inhaltlicher Breite gewonnen. Im Rahmen des gungsanteile zu Lasten ostdeutscher Räume erkennbar MORO-Aktionsprogramms13 „Regionale Daseinsvor- ist, während die ländlichen Räume in Westdeutschland sorge“ wurden in zwei Modellregionen (Nordeifel, deutlich besser abschneiden. Ostwürttemberg) auch Kooperationen im Bereich des Sportes gefördert und erprobt. Allerdings geht die demografische Entwicklung mit Be- völkerungsrückgang und Alterung vor allem zu Las- Bei interkommunaler Zusammenarbeit spielen Wirt- ten der ländlichen Räume. Diese Prozesse werden sich schaftlichkeitsüberlegungen oftmals eine große Rolle. künftig – auch in Westdeutschland – verstärken, da sie Aber im Kern dienen Kooperationen dazu, Synergien bei nicht durch Zuwanderung kompensiert werden. Denn der Leistungserstellung zu nutzen und somit ein be- die ländlichen Räume sind nicht bevorzugtes Ziel der darfsgerechtes Angebot unter veränderten Rahmenbe- Außen- und Binnenwanderungen, sondern Quellort bil- dingungen zu sichern. Es gibt zwar keine Patentlösung dungs- und arbeitsplatzmotivierter Zuzüge in die städ- für eine interkommunale Zusammenarbeit im Bereich tischen Zentren und wirtschaftsstarken Regionen. Ein des Sports, so dass je nach den örtlichen Gegebenhei- Rückzug der jungen Menschen in die ländliche Heimat- ten unterschiedliche Formen und Inhalte möglich sind. region findet nach der Ausbildung inzwischen nur noch Bestimmte Rahmenbedingungen haben sich jedoch selten statt und hängt vor allem von den Erwerbsmög- als zentral für den Erfolg erwiesen: Hierzu zählen vor lichkeiten vor Ort ab. allem ein gewisses Problembewusstsein vor Ort, eine konkrete Aufgabe mit nachvollziehbaren Zielen sowie Der aktuelle Raumordnungsbericht „Daseinsvorsorge regional akzeptierte Promotoren und „Kümmerer“. sichern“ betont die Herausforderungen, die aus dem Zusammenspiel von wirtschaftlicher und demografi- Wichtig ist außerdem, dass alle relevanten Akteure scher Entwicklung für die regionale Daseinsvorsorge in der Zusammenarbeit einen Nutzen erkennen und resultieren. Zwar wird der Sport im Allgemeinen nicht Erfolgserlebnisse möglichst frühzeitig greifbar sind. als eine pflichtige Aufgabe der Kommunen betrachtet. Diese können im Vergleich zu anderen Projekten noch Dennoch ist er ein wichtiges Element der örtlichen Da- so unbedeutend erscheinen, aber nichts motiviert die seinsvorsorge, und im Falle der schulischen Sportinfra- Akteure vor Ort mehr als der Erfolg. Es kann daher struktur fällt er auch in die kommunale Zuständigkeit. sinnvoll sein, den Kooperationsprozess mit leicht lös- baren Aufgaben zu beginnen und konfliktgeladenere Bevölkerungsrückgang und Alterung sowie die fort- Themen in einer späteren Phase der Zusammenarbeit schreitende Individualisierung erfordern angepasste anzugehen. Zudem fallen gerade im Bereich der Sport- Angebote an ein verändertes Sportverhalten. Dabei infrastruktur Vorteile und Kosten räumlich auseinander. werden eine regionale Zusammenarbeit bei der Sport- Dies erfordert entsprechende interkommunale Ausglei- entwicklungsplanung und eine Konzentration der Ange- che, die möglichst einfach gehalten und für alle Betei- bote an gut erreichbaren Standorten immer wichtiger. ligten nachvollziehbar sein sollten. Gleichzeitig schränken die fiskalischen Rahmenbedin- gungen viele Kommunen in ländlichen Räumen ein, ak- Bund und Länder sind gefordert, die Bemühungen in tiv die Entwicklung des Sports zu fördern. Auch werden den ländlichen Räumen durch die Anpassung zentraler Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement infolge Förderreglungen in den verschiedenen Programmen zu demografischer Entwicklung und wirtschaftlicher Ge- flankieren.14 Die auf die jeweiligen Ressortzuschnitte gebenheiten (Auspendeln und Wegzüge, Wegbrechen ausgerichtete Förderlandschaft sollte im Sinne einer der lokalen Wirtschaft) zunehmend schwieriger leistbar. ressortübergreifenden Zusammenarbeit vereinfacht Notwendig sind daher eine Anerkennungskultur sowie werden. Auch sollten interkommunale Absprachen finanzielle Anreize für Ehrenamt und bürgerschaftliches und Planungen nicht nur finanziell gefördert werden, Engagement. Um eine Überforderung der Akteure zu sondern als Fördervoraussetzung gelten. Eine mögli- vermeiden, sind bürokratische Hemmnisse abzubauen che Alternative wären Förderboni für Projekte, die auf und rechtliche Standards bei der Leistungserbringung interkommunaler Zusammenarbeit beruhen. zu überprüfen. Auch empfiehlt es sich, Sportvereine nach Möglichkeit in den Prozess einer aktiven Regional- entwicklung einzubinden. Dies gilt insbesondere für die Sportentwicklungsplanung. Die Modellvorhabenforschung des BBSR liefert einen 13 Mit dem Aktionsprogramm „Modellvorhaben der Raumordnung“ (MORO) umfassenden Erfahrungsschatz über die Möglich- unterstützt das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat keiten interkommunaler Kooperationen bei der Da- (BMI) die praktische Erprobung und Umsetzung innovativer, raumordneri- seinsvorsorge.12 Diese haben in der Vergangenheit scher Handlungsansätze und Instrumente in Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis, d. h. mit Akteuren vor Ort, in den Regionen. 12 Vgl. hierzu auch Furkert, M./Zarth, M. (2019): Sicherung der Daseinsvor- 14 Vgl. Zarth, M./Lackmann, G. (2015): Regionale Bedeutung der Landwirtschaft sorge im ländlichen Raum durch Kooperation? In: vhw FW6, S. 295 – 298. und Förderung ländlicher Räume, BBSR-Analysen KOMPAKT 17, S. 21 f f. 14
SITUATION DES SP RTS IN LÄNDLICHEN RÄUMEN Beispiel Hessen Jens Prüller Sportvereine in Zahlen Statistik des Jahres 2000 ein erheblicher Sanierungs- bedarf (36 Prozent der Sportanlagen in Hessen weisen Der Landessportbund Hessen (lsb h) ist die Vereini- einen hohen Sanierungsbedarf auf) vorhanden, der gung aller hessischen Sportvereine und -verbände nicht signifikant behoben werden konnte und geschätzt mit ca. 2,1 Mio. Mitgliedern. Als Dachorganisation noch angewachsen ist. der rund 7.600 Sportvereine, die ein flächendecken- des Sportangebot garantieren, vertritt er die Inter essen des organisierten Sports in Hessen. Mit ins- Bevölkerungsentwicklung gesamt mehr als zwei Dritteln (69 Prozent) stellen die 5.275 Einspartenvereine die größte Gruppe dar. In Hessen gibt es derzeitig konträre demografische Ent- 1.982 Vereine (26 Prozent) bieten zwischen zwei und wicklungen je nach Region: fünf Sportarten an, 301 Vereine (4 Prozent) zwischen sechs und neun Sportarten und 72 Vereine haben ein • Rhein-Main-Gebiet/Stadt Kassel: Die Stadt Frankfurt weit gefächertes Angebot mit zehn oder mehr Sport- wie auch die umliegenden Kommunen im Rhein-Main- arten. Der überwiegende Teil dieser Großvereine be- Gebiet wachsen derzeitig stark an – diese „Zentren“ findet sich in urbaner Lage des Rhein-Main Gebietes boomen und haben einen hohen Zuzug. oder der Stadt Kassel. • Gürtel um die Ballungsräume: In einem größeren Radius um die Ballungsräume bleiben die Zahlen Rund 40 Prozent aller hessischen Sportvereine (3.102) relativ stabil bzw. steigen je näher sie am Zentrum zählen jeweils weniger als 101 Mitglieder. Sie stellen des Ballungsraums sind an. In den Einzugsgebieten 7,5 Prozent aller Mitgliedschaften. 23 Prozent (1.758 Ver- gibt es teilweise stark unterschiedliche Entwick eine) haben zwischen 101 und 200 Mitglieder, 11,6 Pro- lungen. zent (875 Vereine) zwischen 201 und 300 Mitglieder und • Ländliche Regionen: Insbesondere in den ländlichen 11,6 Prozent (883 Vereine) zwischen 301 und 500 Mit- Räumen werden die Veränderungen in der Bevölke- glieder. 8,9 Prozent (679 Vereine) kommen auf 501 bis rungsentwicklung deutlich erkennbar. Die ländlichen 1.000 Mitglieder und 332 Vereine (4,4 Prozent) gehö- Räume verlieren zum Teil – zwar sehr unterschiedlich – ren zu den Großvereinen mit mehr als 1.000 Mitglie- in der Gänze jedoch erheblich an Bevölkerung. dern. Sie repräsentieren mit 665.143 Mitgliedschaften 31,3 Prozent aller Mitglieder im LSBH. In ländlichen Räumen überwiegen Einspartenvereine mit niedrigen Demografischer Wandel, Finanzen und Sport Mitgliederzahlen. An dieser Stelle sollen die weitgehend bekannten Auswirkungen des demografischen Wandels nicht in Zur Lage der Sportstätten den Fokus gerückt werden. Gleichwohl müssen einige wenige benannt werden. Insbesondere in der Wech- Leider liegen dem Landessportbund Hessen e. V. aktuell selwirkung demografischer Wandel und der Entwick- keine aussagekräftigen Zahlen zur Sportstättensituation lung der öffentlichen Finanzen – „Demo-Economics“1 – in Hessen vor. Die Datenbasis beruht auf der im Jahr sind grundlegende Probleme zu erwarten. Bei einer 2000 erhobenen Sportstättenstatistik. Diese weist eine gute Versorgung mit gedeckten und ungedeckten Sport- 1 Mit dem Begriff Demoökonomie wird die Erforschung des Wechselver- anlagen für ganz Hessen aus. Jedoch war bereits in der hältnisses von Bevölkerung und Wirtschaft bezeichnet. 15
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