Zum Leiden bin ich auserkoren - THEMA: MUSIK & LEID - Musik & Bildung
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14 THEMA: MUSIK & LEID Zum Leiden bin ich auserkoren Musik(-Unterricht) als Passion zwischen Leid und Leidenschaft Jürgen Oberschmidt © shutterstock Unsere Welt ist, so sieht sie zumindest der gabtes und symbolisch schaffendes Wesen, das zu belästigen. Auch von einer sich in weiter Fer- Psychoanalytiker Peter Kutter, eine „leiden- sich seiner selbst bewußt ist, seinen Willen hat ne ausbreitenden Lungenkrankheit ließen wir schaftslose Welt, eine Welt ohne Leidenschaft“ und fähig ist zu handeln. Warum der Mensch uns nicht sonderlich tangieren. Erst als das Leid (Kutter 1994, S. 12). Registriert werden die leiden muss? Er ist auch ein Homo sentiens, ein plötzlich ganz nah war und unmittelbar in unse- „Symptome einer ‚kranken‘ Gesellschaft“ (ebd., fühlbegabtes Wesen, das der Erregung fähig ist, ren Alltag einbrach, hatten die Tempelhändler an S. 14), die alles entwerte „was Leidenschaftlich- das fühlen kann und imstande ist, zu lieben, den Börsen und Verehrer des goldenen Kalbs, keit heißt“ (ebd.). Wir modernen Menschen sei- und zu hassen, und dadurch erst lebt“ (ebd., S. damit sind jene Paarhufer gemeint, die sich ent- en von Gefühls- und Ausdruckslosigkeit be- 15). Auch das Leid hat in unserer Welt keinen weder mit High-Heels oder Stollenschuhen be- herrscht. Ursache sei die „soziale Idealisierung Platz. Der Tod wird aus unserer Gesellschaft aus- wegen, plötzlich keine Stimme mehr. Das wirt- der Leidenschaftslosigkeit, der Rationalität, der gesperrt, Katastrophen und Attentate sind immer schaftliche und öffentliche Leben wurde stillge- Technik“ (ebd., S. 14): „Der Mensch ist nicht nur weit weg, in den Nachrichten wird die Situation stellt, unsere „Promenade der Leidenschaften“ Homo sapiens und Homo faber, also vernunftbe- von Flüchtlingen zwischen Fußball, Börsennach- (Klinger 2001), die alle Spielarten leidenschaftli- richten und Wetterbericht abgehandelt. Das Mit- chen Erlebens längst in die Konsum- und Frei- leiden bleibt flüchtig, wird mediatisiert, sterili- zeitkultur projiziert hatte, befand sich nun auf www.musik-und-bildung.de siert. Dabei blinken längst die geopolitischen der unzugänglichen Seite des Absperrbands. Leer Signale auf, die Krise hat sich auf Dauer einge- und still ist es geworden, schnell wurde deutlich, ▲ Beitrag als PDF-Datei richtet, ohne uns jedoch in den Wohlfühloasen dass der Homo sentiens in seiner inneren Leere musik & bildung 4.20
ZUM LEIDEN BIN ICH AUSERKOREN 15 nicht mit digitalen Ersatzhandlungen beatmet Steuerung, Organisationsentwicklung, Machbar- grundsätzliche Problem, Musik überhaupt zur werden konnte: „Wir leben in einer Welt ohne keitsvisionen, Wirksamkeit, um „das Managen Sprache zu bringen und erklärt, warum wir uns Leidenschaften“ (Kutter). von Prozessen und Classroom“ (Liessmann 2017, im Unterricht mit den Begrenzungen der Begriff- Erst als die Musik aus der ihr verordneten Stille S. 59). Auf diese Weise werden aus „Lehrern in lichkeiten zur Beschreibung einer Partitur zufrie- heraustrat, die Bachsche Johannes-Passion in ständigen Feedback-Schleifen gefangene, dem dengeben oder ein Hörgeschehen mit Benen- der Leipziger Thomaskirche Imperativ einer leeren Dau- nungen aus uniformierten Adjektivzirkeln etiket- erklang (musik & bildung erreflexion unterworfene tieren. Häufig führt dies auch zu der Konse- 2/20) und die Berliner-Phil- „Die Leidenschaften haben ei- Lernbegleiter und Sozialar- quenz, dass Musik nach den Kriterien einer sol- harmoniker mit fünfzehn nen so großen Antheil an den beiter, die bei diesem Prozess chen Unterrichtbarkeit von dem lehrenden Homo verbliebenen Musikern in Werken der schönen Künste, von professionellen Profes- faber (Oberschmidt 2019) ausgewählt wird: Wir der leeren Philharmonie mit und spielen darin eine so be- sionalisierungsberatern und beschäftigen uns mit vermessbarer Ziegelstein- den mystischen Klängen von trächtliche Role, daß sie in der Kommunikationstrainern be- musik, heften das laminierte Fagott neben das Pärt, Ligeti, Barber und Mah- Theorie derselben eine beson- treut werden müssen“ (ebd., Portrait des Großvaters, notieren an der Tafel, ler ein Zeichen der Solidarität dere und etwas umständliche S. 60). In keinem Moment dass die Moldau auch in Dur fließen kann und in alle Länder der Welt sen- Betrachtung verdienen.“ geht es dabei um das Fach, erklären, dass auch Händel eine Wassermusik deten, fanden Leid und Lei- um das Unterrichten einer geschrieben hat. Begierde, Begehren, Triebe; Johann Georg Sulzer: Allgemeine Theo- denschaft auf eindrückliche rie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig Sache, was Liessmann als Rachmaninoff, Wagner, Mahler und Tschaikowsky Weise wieder zusammen. 1774: Bey M. G. Weidmanns Erben und „Fächerdämmerung“ be- werden wir schon allein deshalb aussperren Dass die Kammerfassung der Reich, S. 692f. zeichnet und mit dem hier müssen, weil sie sich gegen solch strukturanaly- Mahlersinfonie vom Schön- doppelbödig zu verstehen- tische Zugänge und plakative Zuschreibungen berg-Schüler Erwin Stein für den Begriff „Disziplinlosig- stellen, ihre Partituren in kein Schulbuch passen die Wohnzimmerkonzerte seines Lehrers, für den keit“ (ebd., S. 61) belegt. und uns allein deshalb bereits Leiden schaffen. Verein für musikalische Privataufführungen er- Wo bleiben hier Begierde, Begehren, Triebe, das Lernen ist nicht a priori auf vernunftsmäßiges Er- stellt wurde, um die Musik in eine Quarantäne sprichwörtliche Entzünden der Flamme, all das, kennen bezogen, das sollte gerade für den Mu- des nichtöffentlichen Raums zu verbannen, sie was den ausdrucksstarken Künsten zu eigen ist, sikunterricht gelten. damit allein den zahlenden Vereinsmitgliedern was mit dem englischen und französischen Be- vorzuhalten und vor missliebigen Pressevertre- griff passion und der deutschen Leidenschaft tern wegzusperren, scheint hier fast eine Ironie verbunden ist? Solches hat sich hinter den des Schicksals zu sein. „Kompetenzimperativen“ unserer „Optimie- rungsgesellschaft“ (Straub 2019) unterzuordnen oder darf sich in den Musik-, Kunst- und Thea- SCHULE OHNE LEIDENSCHAFT? terangeboten der AG-Oasen verstecken: Wie kann man sich in solch einem Schul-Gehäuse von Mu- Leidenschaften sind unkontrollierbare Kräfte, die sik anstecken lassen und als emotionale Praxis Menschen dazu bringen, anderes zu vergessen, (er-)leben? Psychotherapeuten sprechen vom Grenzen zu überschreiten, das wird auch in un- Pinocchio-Syndrom, wenn es ihren hölzernen serer Sprache deutlich: Man ist von Sinnen, ver- und steifen Patient*innen nicht gelingt, Emotio- liert die Kontrolle, ist außer sich. Solche sprachli- nalität zu zeigen und ihr Handeln mit Gefühlen chen Wendungen stellen sich gegen jedes Kom- und Fantasien zu verbinden. petenzraster. Allenfalls kann es in der Schule darum gehen, den Fluss der Leidenschaften zu kanalisieren oder gar zu dämmen, damit nie- DAS PINOCCHIO-SYNDROM DER mand in einen Sog gerät oder gar hingerissen MUSIKPÄDAGOGIK wird. Auch die Äußerungen von oder über Lei- © Pixabay / Adrian Michael denschaften gelten als unschicklich verpönt und Alexithymie, „in Erinnerung an den Hampel- sind dem Gebot einer vernunftgesteuerten mann mit einer Seele aus Holz“ (Kutter 1994, S. Selbstkontrolle unterworfen. Der zukünftige Ho- 13) auch als Pinocchio-Syndrom oder Gefühls- mo oeconomicus braucht auch keine Passion, um blindheit bezeichnet, ist eine Persönlichkeits- seinen Nutzen zu optimieren. Er stellt sich auch störung, bei der die Menschen keinen Zugang zu nicht die Frage nach dem Sinn seines Lebens oder ihrer eigenen Gefühlswelt aufbauen können: gar nach einem Transzendenzbedürfnis, Gedan- „Keine Worte für Gefühle“, so lässt sich diese Psychotherapeuten sprechen vom Pinocchio-Syndrom, ken, die dem Menschen oft innewohnen. In der Wortschöpfung mit griechischem Leumund über- wenn es ihren hölzernen und steifen Patienten nicht ge- lingt, Emotionalität zu zeigen und ihr Handeln mit Ge- Schule geht es um Professionalisierung, Output- setzen. Das berührt zunächst einmal das fühlen und Fantasien zu verbinden. musik & bildung 4.20
16 THEMA: MUSIK & LEID nicht blind für Leid und Leidenschaft, sie sind tagtäglich mit Musik umgeben und abseits ihrer formal verordneten Bildungszufuhren schaffen sie es auch, affektive Zustände bei sich und an- deren wahrzunehmen, sie mit affektspezifischen Mikrosignalen emotional auszudrücken und zur adaptiven Verhaltensmodifikation zu nutzen. So würde ein Psychoanalytiker es ausdrücken, wenn er sich damit beschäftigt, wie Musik uns im Alltag begleitet und im Innern bewegt. Für den schuli- schen Beibringe-Unterricht ist es eher wichtig, dass musikalische Kompetenzen schrittweise (oder im Gleichschritt) aufgebaut werden und wir © Wikipedia / Raimond Spekking uns im Bezeichnen, Benennen, Etikettieren üben; schließlich lassen sich nicht nur Vögel nach der Papageienmethode abrichten. Dabei kann Leidenschaft nur erweckt werden, wenn man sich jene Fertigkeiten angeeignet hat, die es doch im Unterricht erst zu erwerben gilt. In solch ei- nem Musikunterricht scheint das Leid fest einge- schrieben: „Ist das, was als Ausweg bleibt, das Mit Künstlermähne und leidenschaftlichen Gesang verteidigt das Listzäffchen sein Revier: Flötentöne werden ausge- stoßen, die von singvogelartigen Trillern unterbrochen werden und bei höchster Erregung in ein lautes Schmettern Versprechen eines harten und entbehrungsrei- übergehen. Den Namen hat die vom Aussterben bedrohte Tierart jedoch nicht aufgrund einer von Hanslick sicher ausge- machten Nähe zur Neudeutschen Schule, sondern einzig wegen der schulterlangen Haarpracht bekommen. chen Marsches durch eine musikpädagogische Wüste Gobi, eines Marsches unter brennender Sonne, bei dem wir rechts und links unseres Wie die Erhaltung von Leidenschaftlichkeit als ei- Weges den Skeletten jener begegnen werden, die „Ist es nun nicht ganz in der Ordnung, daß nen zu bejahenden Wert in der Lebenspraxis ge- von musikalischer Auszehrung dahingerafft wur- solchen Kunstvergnüglingen, und was sich lingen kann, zeigen die Erinnerungen des Pianis- den?“ (Röbke 2009, S. 15). ihnen an schwächlichen Künstlern, die ei- ten Lang Lang. In formalisierten Lernprozessen gentlich keine Künstler sind, anreihen der Schule haben wir uns solche Zugänge gänz- mag, die süße Rossinische Limonade, die lich abgewöhnt, vielleicht kann man sie aber MUSIK UND EMOTION: sie ohne weiteren Übelstand hinunter- auch im Musikunterricht wieder neu entdecken: MIT-LEIDEN-SCHAFT schlürfen, besser zusagt, als der feurige, „Natürlich hatte ich weniger Freizeit als andere starke, kräftige Wein großer dramatischer Kinder meines Alters, aber ich ging wirklich schon Die Begriffe „Leid“ und „Leidenschaft“ sind in Komponisten, der ihnen Kopfschmerzen als kleiner Junge im Klavierspiel auf. Manchmal, unserem Sprachgebrauch relativ klar definiert. verursacht ob ihrer Schwächlichkeit?“ bei extrem langsamen Stücken, fühlte ich mich, „Leid“ trifft in ein Bedeutungsfeld von Schmerz, E.T.A. Hoffmann: Schriften zur Musik. München 1977: als spielte ich Gameboy. Verlor ich mich in Mo- Trauer und Trübsal, während die Leidenschaft Winkler Verlag, S. 366. zart, hüpfte ich innerlich, als spielte ich Gummi- positiv konnotiert, mit Begehren und Begeiste- Twist, und bei Tschaikowsky entdeckte ich eine rung und oft dabei in einen erotischen Zusam- „Und dies ist die Definition der Leiden- Leidenschaft, die nicht weit entfernt war vom menhang gestellt wird, die sich in unglücklichen schaft. Leidenschaft – oder die Gymnastik Angriff auf das gegnerische Tor“ (Lang Lang Konstellationen, wie sie im Leben aber gerade in des Hässlichen auf dem Seile der Enharmo- 2004). der Geschichte der Oper häufig vorkommen, auch nik. – Wagen wir es, meine Freunde, häss- Wie lange müssen wir im Musikunterricht noch verdunkeln kann: „Die Liebe ist eine Leiden- lich zu sein! Wagner hat es gewagt! Wälzen an dem hanslickschen Diktum festhalten, „daß in schaft, die Leiden schafft“, oder auch: „Die Eifer- wir uns unverzagt den Schlamm der widri- ästhetischen Untersuchungen vorerst das schöne sucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, gen Harmonien vor uns her! Schonen wir Objekt und nicht das empfindende Subjekt zu was Leiden schafft“ (Plessner 1983, S. 68). Mit unsere Hände nicht! Erst damit werden wir erforschen“ (Hanslick 1989, S. 3) sei? Gelingt es in diesem scharfen Diskurs über die Verdunklungs- natürlich …“ solch eingeübten Settings, die Schülerinnen und gefahren der Leidenschaft hat Helmuth Plessner Schüler emotional zu berühren? „Aus der Seele en passant auch die 400-jährige Operngeschichte Friedrich Nietzsche: Der Fall Wagner. In: KSA, hg. v. muß man spielen, und nicht wie ein abgerichte- hinlänglich beschrieben und analysiert, wenn es Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, Bd. 1. München ter Vogel“ (Bach 1753, 1. Teil, S. 119), schreibt Carl nicht den Gesamtkunstwerker Richard Wagner 1999: Deutscher Taschenbuch Verlag, S. 25. Philipp Emanuel Bach im Kapitel Vom Vortrage in gäbe, wo immer noch eine Extraportion Mord seiner Klavierschule. Unsere Schüler*innen sind und Rache hinzu kommt: „So laß uns den Rest musik & bildung 4.20
ZUM LEIDEN BIN ICH AUSERKOREN 17 Doch nennt man jene edle L lieber Enthusiasmus, „Einen ziemlich großen Teil der vorhande- Begeisterung […] und braucht infolge dessen das nen Kultur verdanken wir, das weiß jeder, Wort L meistens von denjenigen L, in welchen Passionierten aller Couleur und von durch- ein zum Herrschen sittlich nicht berechtigter Trieb aus unterschiedlicher charakterlicher Be- sich der dominierenden Stellung bemächtigt hat, schaffenheit. Manche Medici, Fugger oder und in diesem Sinne ist die L immer etwas königliche Ludwige mögen für demokrati- Krankhaftes, Innormales, welches von der sittli- sche blicke keine angenehmen Zeitgenos- chen Charakterbildung und der überlegenen Ver- sen gewesen sein, wir verdanken aber ih- nunft bekämpft werden muß“ (Brockhaus 1885, rer Passion für das Schöne, das Monumen- S. 920f.). Auch Eduard Hanslick war wohl ein © Wikipedia / Karl Clemens della Croce tale oder Anmutige – oder ihrer – das geht Brockhaus-Leser, der den „Wortführern der Zu- damit einher – Suche nach Unsterblichkeit kunftsmusik“ Einhalt zu gebieten suchte, weil sie die Farben unserer Welt.“ dem Hörer Musik nur als „gestaltentreibendes Eva Demski: Weg voller Steine und Wunder. In: Inter- Mittel eingeben“, was er an Wagners Tristan mit nationale Bachgesellschaft (Hg.), Passion. Mönchen- der „zum Prinzip erhobene[n] Formlosigkeit, den gladbach 2000: B. Kühlen Verlag, S. 55. gesungenen und gegeigten Opiumrausch, für dessen Kultus ja in Bayreuth ein eigener Tempel eröffnet worden ist“ (Hanslick 1989, S. VI u. VII), unseres Lebens austrinken!“ (Mann 1990, S. auch zu exemplifizieren wusste. Constanze Mozart auf einem Foto aus dem Jahr 1840, ent- 399f.). Mit diesem Novalis entlehnten Zitat be- standen in Altötting schreibt Thomas Mann die „Nachtgeweihten“ (ebd., S. 399) Tristan und Isolde, ihr Gefüge aus DIE TRAUERNDE WITWE UND IHRE Römische Pietà bietet auch diese Darstellung der Leid und Leidenschaft ließe sich wohl nicht tref- VORBILDER Schmerzensmutter einen Referenzpunkt in unse- fender zeichnen. Es bleibt allerdings noch zu er- rem Bildgedächtnis: Die Mater dolorosa kennt gänzen, dass gerade auch im 19. Jahrhundert je- Während den leidenden Heroen des 19. Jahr- keinen anderen männlichen Körper als den ihres der künstlerische Schaffensprozess mit Leiden hunderts die ganze „Schöpfungslast“ (Mann toten Sohnes“ (Kristeva 1989, S. 226). oder (mit) Mit-Leiden-Schaft verbunden ist: Lei- 1990, S. 387) zufiel, war es Aufgabe ihrer trauern- Den klingenden Bezugspunkt in unserem musi- den und Größe der Meister heißt der Band, in den Gattinnen, ihre Männer in aller Öffentlichkeit kalischen Besitz bildet hier sicher das Stabat ma- dem Thomas Manns Essays über die Künste, zu beweinen. Witwen, die ihr Leben der Trauer ter von Giovanni Battista Pergolesi (1736). Die un- Künstler und deren Leiden in und an der Welt widmen, sind in unserem kulturellen Gedächtnis mittelbar ergreifenden Klänge zu Beginn wurden versammelt sind. Als solch einen echten Künstler präsent und drücken sich in genau terminierten zum musikalischen Code zur Darstellung der zeichnet Thomas Mann bei all seiner Ambivalenz Trauerphasen, dem vorgeschriebenen Kleidungs- Trauer schlechthin. Dabei liegen auch hier auch Richard Wagner aus, seine „gesunde Art, stil und einem eigens einzurichtenden Trauer- schmerzvolles Leiden und freudiges Mitleiden krank zu sein“ (ebd., S. 403) und zitiert Wagners zimmer aus. immer dicht beieinander, in jeder Träne steckt Brief an Franz Liszt, in dem der Genius be- Totensorge und Trauerarbeit gehört seit jeher in eine Ambivalenz. „Dabei hat der Marienschmerz schreibt, wie er darum ringt, dass seinem „Geist den Zuständigkeitsbereich der Frau, Männern nichts von einem tragischen Überschwang an das blutig schwere Werk der Bildung einer un- sprach man in ähnlichen Situationen eine kreati- sich: Freude und sogar ein gewisser Triumph fol- vorhandenen Welt gelingen“ (ebd., S. 412) möge. vere Ausgestaltung solcher Regularien zu, sonst gen auf die Tränen, als ob die Überzeugung, daß Die „Schöpfungslast“ (ebd. S. 387) ist „leidend wäre das Notenbüchlein für und groß, wie das Jahrhundert.“ Sie setzt sich Anna Magdalena Bach zusammen „aus dunkel drängendem und wohl nie komponiert wor- quälendem Macht- und Genußwillen und Drang den. nach sittlicher Läuterung und Erlösung, aus Lei- In der Neuen Wache unter denschaft und Ruhesehnsucht“ (ebd., S. 398). Es den Berliner Linden steht gilt also, Größe durch Leiden zu gewinnen. Wie eine Vergrößerung der Pietà passt solch ein Operngeschehen in die damals von Käthe Kollwitz. Dieses propagierte Mittellage des Normalen, wie sie im zentrale Objekt in der Ge- © Wikipedia / Drrcs15 Artikel „Leidenschaft“ aus der Brockhaus Real- denkstätte für die Opfer von Encyclopädie für die gebildeten Stände von 1885 Krieg und Gewaltherrschaft abzulesen ist: „So hängt der sittliche Wert der zeigt die Trauernde in tra- einzelnen L[eidenschaft] von demjenigen des die ditioneller Bildersprache, in L begründeten Triebes oder Begehrens ab; es gibt Anlehnung an die Gottes- eine edle L für das Sittliche, Schöne, Wahre. […] mutter. Wie Michelangelos Eine Nachbildung der Pietà von Käthe Kollwitz an der Neuen Wache in Berlin musik & bildung 4.20
18 THEMA: MUSIK & LEID der Tod nicht existiert, eine unvernünftige, aber um mehr leisten zu können. […] Ja, es wird wie- Genussreiches Fest für gefühl- unerschütterliche weibliche Gewißheit wäre, auf der das SPIEL geben“ (Han 2018, S. 9). die sich das Prinzip der Auferstehung stützen volle Herzen mußte“ (ebd.). Constanze Mozart als trauernde Witwe, in FRANZ LISZT: DER NEUE RATTEN- weiblicher Codierung der Heiligen Maria FÄNGER als Mater Dolorosa angelehnt: VOM WERTHER- ZUM PAPAGENO- EFFEKT Take That, die Backstreet Boys, nun die süd- Die Musik ging sehr gut, obgleich es kriti- koreanische Gruppe BTS, sie alle bringen vor al- sche und meist concertierende Stücke wa- Ein blauer Frack, gelbe Weste, gelbe Kniehosen, lem Mädchenherzen zum Schmelzen: „Auch die ren: denn es exequirte das Prager Orche- dazu ein runder Filzhut. So kleidete sich die gut- Musik der Neuern scheint es vorzüglich nur auf ster und sie sind von Mozart! Man kann bürgerliche Werther-Jugend, um dem Protago- die Sinnlichkeit anzulegen. […] Der offene Mund sich vorstellen, wenn man Prags Kunstge- nisten aus dem Werther nachzueifern. Ob solch ist ganz Begierde, ein wollüstiges Zittern ergreift fühl und Liebe für Mozart´‘sche Musik eine als Werther-Fieber bezeichnete Fan- den ganzen Körper, der Athem ist schnell und kennt, wie voll der Saal gewesen ist. Mo- gemeinschaft auch einen Werther-Effekt, also schwach, kurz alle Symptome der Berauschung zarts Witwe und Sohn zerfloßen in Tränen das Auftreten einer nachahmenden Suizidwelle, stellen sich ein: zum deutlichen Beweise, daß die der Erinnerung an ihren Verlust und des zur Folge hatte, bleibt bis heute wissenschaftlich Sinne schwelgen, der Geist aber oder das Princip Dankes gegen eine edle Nation. So wurde umstritten. Was bedeutet die mediale Bericht- der Freyheit im Menschen der Gewalt des sinnli- dieser Abend auf eine schöne Art der Hul- erstattung für psychisch labile Menschen? Dem chen Eindrucks zum Raube wird“ (Schiller 1962, digung des Verdienstes und Genies ge- Werther-Effekt lässt sich durch den Papageno- S. 200). So betrachtet Friedrich Schiller in seinem weiht; es war ein genußreiches Fest für Effekt (Stangl 2020) begegnen, benannt nach Aufsatz Über das Pathetische die Musik seiner gefühlvolle Herzen – und ein kleiner Zoll dem berühmten Vogelfänger, der seine Suizid- Zeit. Wie viele haben bei der Trennung von Take für das Entzücken, das uns oft Mozarts gedanken mit Hilfe eines konstruktiven Krisen- That Tränen vergossen, wünschten sich krei- himmlische Töne entlockten!“ managements überwinden konnte, damit ein schend in die erste Reihe eines Boyzone-Kon- Singspiel nicht zur Tragödie wird. zerts? Längst gibt es auch hier eine entsprechen- Prager Neue Zeitung, 9.2.1794, zit. nach Otto Erich Goethes leidender junger Werther gibt sich de Parodie, haben doch die Boygroup Boys sämt- Deutsch: Mozart. Die Dokumente seines Lebens. Kas- schwärmerisch einer hoffnungslosen Liebe hin, liche Klischees in sich vereint und mit ihrer Song- sel 1961: Bärenreiter, S. 411. die ihn an sich und der Welt verzweifeln lässt Satire das Netz erobert: „Einer von uns singt, die und ihn letztlich in den Selbstmord treibt. Unge- anderen sehen nur gut aus und bilden den heuer berührend, so meinten die Werther-Fans, Backgroundchor“, - „Supertrauriger Regen an ei- Nicolai auf Werthers Grabe unverantwortlich schimpften seine Kritiker, ner Fensterscheibe symbolisiert seine Tränen.“ Freuden des jungen Werthers schließlich verführe der Autor seine jungen Leser Hier fallen keine „Gefror'ne Tropfen“ von den und untergrabe das Wertesystem. Solch ein Wert- Wangen eines heimatlos-vereinsamten Wande- Ein junger Mensch, ich weiß nicht wie, her-Fieber, also das Leidenschaftsleiden eines rers ab, eine massentaugliche Schubertiade, in Starb einst an der Hypochondrie Lesers, war gegen Goethes Intention, fordert die- der die Herzen reihenweise gebrochen werden Und ward denn auch begraben. ser doch von der Tragödie einen Ausgleich der und bei der es eher um erste Frühlingsgefühle Da kam ein schöner Geist herbei, Leidenschaften und auch Schiller sah die Aufgabe denn um eine Winterreise geht, klingt heute Der hatte seinen Stuhlgang frei, der Volksdichter darin, das Leidenschaftsbedürf- eben anders: „Die Ausnahmesituation des Pop- Wie‘s denn so Leute haben. nis nicht nur zu bedienen, sondern deren Reini- Konzertes und der Schutz der Fan-Communitas Der setzt notdürftig sich auf‘s Grab gung zu bewirken. So ist Goethes Gedicht als iro- erlauben den Mädchen die Artikulation eines lei- Und legte da sein Häuflein ab, nische und eben „nachtragende“ Antwort auf denschaftlichen Begehrens für die Stars und so- Beschaute freundlich seinen Dreck, Nicolais Werther-Persiflage zu verstehen. mit eine kollektive Verhandlung der gesellschaft- Ging wohleratmet wieder weg Bis heute sind Fan-Kutten wie die der Wertheria- lichen Anforderung, sich während der Jugend- Und sprach zu sich bedächtiglich: ner Ausdruck verschiedenster Leidenschaften, phase in die heterosexuelle Beziehungspraxis Der gute Mensch, wie hat er sich verdor- ganz gleich, ob hier der Haarschnitt von Justin einzuüben“ (Fritzsche 2011, S. 159). Boygroups ben! Bieber zum nachahmenswerten Kult erklärt wird bieten ihren Anhängerinnen wohl mehr als Hätt er geschissen so wie ich, oder sich das Dortmunder Bürgertum in schwarz- „bloß Ausleerungen des Thränensacks“ (Schiller Er wäre nicht gestorben! gelber Biene-Maja-Farbe kleidet. Sind wir viel- 1962, S. 199), hier erleben sie in der Fangemeinde leicht doch keine Gesellschaft ohne Leidenschaf- das „Fan-Sein als rational gerahmte erotische In: Johann Wolfgang v. Goethe: Werke. Hamburger ten? „Die Geschichte des Westens ist eine Passi- Leidenschaft“ (Fritzsche 2011, S. 196). Ausgabe in 14 Bänden, Bd. 1. München: Beck-Verlag, onsgeschichte. Leistung heißt die neue Passions- Handelt es sich hier um affektive Störungen und S. 496–497. formel. […] Die Leistungsgesellschaft bleibt eine damit um ein Krankheitsbild, wie es das Wortbil- Passionsgesellschaft. Selbst Spieler dopen sich, dungselement -mania bei solchen über dem als musik & bildung 4.20
ZUM LEIDEN BIN ICH AUSERKOREN 19 Normalniveau liegenden Antrieben und Aktivitä- erreichbaren Rest, die unauslotbare Fülle der bruch von Leidenschaft förmlich hervor, – doch ten nahelegt? Schließlich sprechen wir von einer Musik, die sich den Worten und dem leiden- unerklärbar bleibt, wie aus alldem eine solch Spicemania, einer Abbamania, der Beatlemania. schaftlich nach Worten Suchenden entzieht: klingende Welt geschaffen werden konnte. Auch Vielleicht sollten wir hier noch einmal beim fein- „Was muß man wissen, um Bach zu verstehen? zu solchen Fragen gesellt sich das „X“, als eine sinnigen Gesellschaftskritiker Heinrich Heine Nichts. Ein ganzes Leben war ich als Wissen- „letztlich unaussprechbare Welt der Musik mit anklopfen, auf den diese Wortschöpfung zurück- schaftler immer wieder bemüht, vom Wissen, der Begnadung zu ihr“ (ebd., S. 16). geht. Als Lisztomanie charakterisiert er die eu- vom Verstande her an Bach heranzukommen Gegen Bachs Gegenwärtigkeit stellt sich der „fer- phorischen Huldigungen der nicht nur ungari- und andere Menschen daran teilhaben zu lassen ne Bach“ (Hildesheimer 1985), wie ihn Wolfgang schen Gräfinnen, die den jungen Pianisten zwar […] Je älter ich wurde, desto größer wurde die- Hildesheimer beschreibt: Es gibt „kein Zeugnis nicht mit Stofftieren bewarfen, sich aber ebenso ser Rest und desto klarer wurde mir, daß in ihm, seiner seelischen oder körperlichen Befindlich- leidenschaftlich um seine Schnupftücher schlu- diesem nicht Erreichbaren, die Hauptsache gele- keit, keine wörtliche Äußerung von ihm über gen, wenn sie ihren wiederauferstandenen gen ist, das Wichtigste und Wesentliche. Diesen sich und nichts, das seine innere Beziehung zu „Rattenfänger zu Hameln“ (Heine 1972, S. 565) Rest nenne ich: das X“ (Eggebrecht 2000, S. 15). einem Mitmenschen verrät“ (ebd., S. 17f.). Selbst erleben durften. Heine fragte mit der ihm gebo- Das X umstellt nicht nur die „regulierte Kirchen- sein berühmter Brief an seinen Jugendfreund tenen Ironie auch nach den Ursachen für solch musik zu Gottes Ehre, sondern auch als Symbol Erdmann trägt den Geist „offizieller Korrespon- eine pathologische Wirkung: „Die Lösung der des Kreuzes das große Geheimnis des Glaubens denz“ (ebd., S. 18.). Dieser ferne Bach malt die Frage gehört vielleicht eher in die Pathologie als selbst. In Bachs Partituren symbolisiert das grie- Todespforte in schillernden Farben aus: „Die in die Ästhetik. Ein Arzt, dessen Spezialität weib- chische „X“ (Chi), erster Buchstabe des Namens ganze Welt ist nur ein Hospital“ (BMV 25, Nr. 2). liche Krankheiten sind und den ich über den Χριστός (Christus), das Kreuz, etwa in der Erklärbar ist dies als barocke Todessehnsucht, als Zauber befragte, den unser Liszt auf sein Publi- Kreuzstabkantate (BWV 56) in barocker Verschlüs- Verlangen nach Erlösung, in den Vorstellungen, kum ausübt, lächelte äußerst sonderbar und selung: Als Akzidens vor der Note „cis“, im Auto- in denen die rechte Himmelsmusik zur Sprache sprach dabei allerlei von Magnetismus, Galvanis- graph erscheint im Text ein X-Stab. Das Kreuz als kommt, als könne der Kapellmeister seinen ei- mus, Elektrizität, von der Kontagion in einem Mittelpunkt des Glaubens bildet hier die Mitte gentlichen Aufgaben erst im Jenseits nachkom- schwülen, mit unzähligen Wachskerzen und ei- des Tonraums von g-Moll und das „cis“ stellt sich men. All dies lässt sich mit Hans Heinrich Egge- nigen hundert parfümierten und schwitzenden diesem tonalen Zentrum in der Dissonanz des brecht noch einmal nachvollziehen mit Gedan- Menschen angefüllten Saale, von Histronalepi- Tritonus. Zugänge zu Bach bieten sich in seiner ken an Bachs große Passionsmusiken: „Die Passi- lepsis, von dem Phänomen des Kitzelns, von Biografie, den Geleisen äußerer Umstände, in on Christi, eine Kreuzigung, ist die Mitte des musikalischen Kanthariden und anderen skabro- denen das Leid allein in den unzähligen Kinder- Evangeliums und die Mitte des christgläubigen sen Dingen, welche, glaub ich, Bezug haben auf särgen fest eingeschrieben war. Aus dem Duktus Menschen. Die Historia selbst ist grauenvoll. Ein die Mysterien der Bona Dea“ (Heine 1972, S. seiner schwingenden Handschrift quillt der Aus- Mensch wird verraten und gefangen, verspottet, 568f.). Hier heißt es Augen auf bei der Arztwahl: „Lei- denschaft ist etwas Krankhaftes, welches von der überlegenen Vernunft bekämpft werden muß“, verordnet der Brockhaus seinen Kassenpatienten. „Wir brauchen das Anormale, wir geben dem Le- ben einen ungeheuren choc durch diese großen Krankheiten“ (Nietzsche 1999, S. 341.), empfiehlt Friedrich Nietzsche, der mit 35 Jahren seine Pro- fessur in Basel niederlegte, um sich ganz seinen eigenen Krankheiten (Migräne und Magenleiden) zu widmen. ZUM ABSCHLUSS: BACH Theodor Hosemann, 1842 „X“ nennt Hans Heinrich Eggebrecht seinen letz- ten abgeschlossenen Text, bevor er am 30. Sep- tember 1999 im Alter von 80 Jahren verstarb. Das „X“ bezeichnet für ihn als Wissenschaftler das Unbekannte, das sich anders als in einer mathe- matischen Gleichung nicht auflösen lässt. Das „X“ bezeichnet jenen geheimnisvollen und un- Der Justin Bieber des 19. Jahrhunderts: Franz Liszt musik & bildung 4.20
20 THEMA: MUSIK & LEID v. Wolfgang Horn. Kassel: Bärenreiter Verlag. . Mann, Thomas (1990): Leiden und Größe Richard Wagners. geschlagen und gekreuzigt. Es geschieht nach . Brockhaus (131885): Art. Leidenschaft. In: Brockhaus Con- In: ders., Gesammelte Werke, Bd. 13. Frankfurt a. Main: Fi- Gottes Willen, und er wird auferstehen. Das än- versations-Lexikon, 13. Aufl. (1882-1887), Bd. 10, S. 920-921. scher Taschenbuch Verlag, S. 363–426. dert aber nichts an der Grausamkeit, dem Elend . Eggebrecht, Hans Heinrich (2000): X. In: Internationale . Nietzsche, Friedrich (1999): Nachgelassene Fragmente und Schmerz des Weges zur Kreuzigung und ihres Bachgesellschaft (Hg.), Passion. Mönchengladbach: 1887–1889. In: ders., Kritische Gesamtausgabe, Bd. 13, hg. v. Erleidens. Mein Gott, warum hast du mich ver- B. Kühlen Verlag, S. 15–18. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. München: Deutscher Ta- . Fritzsche, Bettina (22011): Pop-Fans. Studie einer Mädchen- schenbuch Verlag. lassen. Die Musik aber, mit der Bach die Passion kultur. Wiesbaden: VS Verlag. . Oberschmidt, Jürgen (2019): „Keinerlei Mystik; Mathematik berichtet, ist nicht grausam, auch dort nicht, wo . Gerber, Christian (1732): Historie der Kirchen-Ceremonien in genügt mir.“ Über Armut und Fülle des Redens über Musik. sie die Grausamkeit schildert mit ihren Mitteln Sachsen. Dresden u. Leipzig: Raphael Christian Saueressig. In: Johannes Odendahl (Hg.), Musik und literarisches Ler- und wo sie sich mit all ihrer Art des Tönens ein- . Han, Byung-Chul (2018): Gute Unterhaltung. Eine Dekon- nen. Innsbruck: innsbruck university press, S. 89–104. läßt auf das Elend und den Schmerz“ (ebd., S. struktion der abendländischen Passionsgeschichte. Berlin: . Plessner, Helmuth (1983): Über den Begriff der Leidenschaft 17). In der Welt der Musik öffnet sich hinter al- Matthes & Seitz. [1950]. In: ders., Conditio humana. Gesammelte Schriften, . Hanslick, Eduard (211989): Vom Musikalisch=Schönen. Ein Bd. 8. Frankfurt a. Main: Suhrkamp, S. 66–76. Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst [1854/1891]. . Röbke, Peter (2009): Lösung aller Probleme? Die „Ent- „Ihr Charakter ist Passion. Die Musik leidet Wiesbaden: Breitkopf & Härtel. deckung“ des informellen Lernens in der Instrumental- nicht im Menschen, hat nicht teil an sei- . Heine, Heinrich (21972): Musikalische Saison von 1844. In: pädagogik. In: Vom wilden Lernen. Musizieren Lernen – nem Handeln und seiner Regung selber: sie ders., Werke und Briefe in zehn Bänden, Bd. 6. Berlin u. auch außerhalb von Schule und Unterricht, hg. von Natalia Weimar: Aufbau-Verlag, S. 563–584. Ardila-Mantilla u. Peter Röbke. Mainz: Schott Verlag, S. leidet über ihm […]. Die Musik legt den . Hildesheimer, Wolfgang (1985): Der ferne Bach. Frankfurt a. 11–29. Menschen […] das Leid leibhaft auf die . Schalz, Nicolas (1986): Die Matthäus-Passion oder zu Bachs Main: Insel Verlag. Schulter.“ . Klinger, Nadja (2001): Coney Island: Promenade der Leiden- widerständiger Aktualität. In: Karl-Heinz Metzger u. Rainer Theodor W. Adorno: Die Oper Wozzeck. In: ders. Ge- schaften. Der Tagesspiegel vom 27.08.2001 [https://www.ta- Riehn (Hg.), Johann Sebastian Bach, die Passionen [= Musik sammelte Schriften Bd. 18, S. 479. gesspiegel.de/zeitung/coney-island-promenade-der-lei- Konzepte 50/51]. München: edition text & kritik, S. 86–102. denschaften/251360.html]. . Schiller, Friedrich (1962): Über das Pathetische [1793]. In: . Kristeva, Julia (1989): Geschichten von der Liebe. Frankfurt ders., Philosophische Schriften, Erster Teil. Weimar: Verlag lem, was begrifflich erreichbar ist, eine neue a. Main: Suhrkamp Verlag. Hermann Böhlaus Nachfolger. . Kutter, Peter (1994): Liebe, Haß, Neid, Eifersucht. Eine Psy- . Stangl, Werner (2020): Art. Papageno-Effekt. In: Lexikon für Welt, die in der Geschichte der Rezeption immer choanalyse der Leidenschaften. Göttingen: Vandenhoeck & Psychologie und Pädagogik. wieder neu und in immer anderen Farben und Ruprecht. https://lexikon.stangl.eu/14288/papageno-effekt/ Schattierungen verstanden wurde. Wie lässt sich . Lang Lang (2005): Ich habe einen Traum [Lang Lang im Ge- (10.05.2020) die Musik im Modus des ästhetischen auf unsere spräch mit Andrea Thilo]. In: Die Zeit 3/2005 . Straub, Jürgen (2019): Das optimierte Selbst. Kompetenz- Wirklichkeit ein? Die zeitgenössischen Hörer fühl- [https://www.zeit.de/2005/03/Traum_2fLang-Lang]. imperative und Steigerungstechnologien in der Optimie- . Liessmann, Konrad Paul (32017): Bildung als Provokation. rungsgesellschaft. Gießen: Psychosozial-Verlag. ten sich von den Klängen überflutet: „Denn es Wien: Paul Zsolnay Verlag. klinget offt so gar weltlich und lustig, daß sich solche Music besser auf einem Tantz-Boden oder in eine Opera schickte, als zum Gottesdienste. Am allerwenigsten will sich die Music nach vieler frommer Hertzen Meynung zur Passion, wenn solche gesungen werden, schicken“ (Gerber 1732, S. 283). Klingen uns heute die Leiden auch zu theatralisch und opernhaftig? „Höchst vergnügt schlummern da die Augen ein“, heißt es im Schlusschor der Matthäus-Passion. Wie empfin- den wir heute das „Süße Leid“ (Han 2018, S. 32), den „religiösen Kitschgenuss“ (ebd., S. 161)? Heute leben wir in einer Welt der totalisierten © Imago Images/Müller-Stauffenberg Unterhaltung, ist es nun eine Welt ohne Leiden- schaft (Kutter) oder sind es deren neue unter ei- nem veränderten Paradigma? „Ein Plädoyer für Bach, wie er wirklich ist, scheint mir immer auch ein Plädoyer zu sein gegen die Welt, wie sie ist, und – dies sei ergänzt, – daß sie nicht so bleibt, wie sie ist“ (Schalz 1986, S. 102). Literatur . Bach, Carl Philipp Emanuel (1994): Versuch über die wahre „Die Musik legt den Menschen das Leid leibhaft auf die Schulter“ (Adorno) – hier Mary Mills anlässlich der Urauf- Art das Clavier zu spielen [1753/1762]. Faksimile-Reprint, hg. führung von Jeanne d‘Arc an der Deutschen Oper in Berlin musik & bildung 4.20
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