#zusammenhalten - Lebendige Gemeinde

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#zusammenhalten - Lebendige Gemeinde
Das Magazin der ChristusBewegung 1 | 2021

            #zusammenhalten

  Seite 4                    Seite 8                  Seite 10                  Seite 16

  #zusammenhalten …          Was hält                 Evangelikal               Bericht von der
  »davonlaufen kann jeder«   uns zusammen?            nach Trump?               Frühjahrssynode
  Dr. Jörg Dechert           Dr. Friedemann Kuttler   Prof. Dr. Volker Gäckle

                                                             www.lebendige-gemeinde.de
#zusammenhalten - Lebendige Gemeinde
2                         Termine · Inhalt

    TE R M I N E
                                                                             Inhalt
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    17.4.      Soirée im Turm, Musik und Wort im ABH O digital          4    Titelthema
                                                                             #zusammenhalten
    17.4.      Frauentag, Württembergischer Christusbund O digital
                                                                             »… davonlaufen kann jeder …«
    30.4.–2.5. Jubiläum mit Israel-Freundestreffen, Zedakah O digital
                                                                             Dr. Jörg Dechert
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    1.5.      Saronstag, Süddeutscher Gemeinschaftsverband,             8    Titelthema
                                                                             Was hält uns zusammen?
              Haus Saron, Wildberg
    1.–9.5. Lonsinger Maitage, DIPM                                          Wort des Vorsitzenden beim 6. Forum Pietismus
    9.5.      Schönblick Jahresfest, Die Apis, Schwäbisch Gmünd              Dr. Friedemann Kuttler
    8.5.      Kindermissionsfest, Liebenzeller Mission O digital
    12.–16.5. 3. Ökumenischer Kirchentag O digital und dezentral        10   Positionen und Dialog
                                                                             Evangelikal nach Trump?
    13.5.     Stuttgarter Konferenz für Weltmission O digital
              und dezentral                                                  Prof. Dr. Volker Gäckle
    14.–16.5. TMT TeenagerMissionsTreffen O digital
    16.5.     50 Jahre EDI, Geburtstagsfeier, Tannenhöhe, Villingen     16   Synode aktuell
                                                                             Bericht von der Frühjahrs-Synode
    22.5.     Pfingstjugendtreffen, Aidlingen O digital
    23.5.     Pfingstmissionsfest, Liebenzeller Mission O digital            19.–20. März 2021
    24.5.     ER:FÜLLT, LGV-Pfingsttreffen O digital
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                                                                             50 Jahre Evangeliumsdienst für Israel
    3.6.      Christustag in Baden, Bayern und Württemberg,                  50 Jahre Evangelisches Jugendwerk
              O digital und vor Ort                                          in Württemberg
    12.6.     Christlicher Pädagogentag, CVJM-Zentrum,

    13.6.
              Walddorfhäslach
              50 Jahre EDI, Jubiläums Israelkonferenz,                  22   ChristusBewegung Lebendige Gemeinde
                                                                             Seit 70 Jahren eine agile Bewegung
              Filderhalle, Leinfelden                                        Dieter Abrell
    18.-20.6. Younited weekend, bisher Dynamis, Jugendtreffen,

    19.6.
              Württ. Christusbund, Friolzheim
              9. Aidlinger Seminartag,                                  23   Aus den Bezirken
              Diakonissenmutterhaus Aidlingen
    19.6.     25. Süddeutsche Israelkonferenz, LGV, Bad Liebenzell
    
    2.-3.7.    Landessynode, Sommertagung
    3.–4.7.    Landesposaunentag, Ulm
    3.–4.7.    Freundestreffen, OM, Deetken-Mühle, Mosbach
    10.7.      Forum Lebendige Gemeinde, Korntal
    10.7.      LaJu To Go, Die Apis, Stuttgart
    28.7.–1.8. 125. Allianzkonferenz, Bad Blankenburg
    30.7.–6.8. TeenStreet 2021, Offenburg
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    1.8.         Jusi-Treffen, Die Apis, Kohlberg/Metzingen             Impressum            Herausgeber und Bezugsadresse
    7.–28.8.     Bibelkurs, Ferien mit Gottes Wort,                                          Lebendige Gemeinde.
                                                                                             ChristusBewegung in Württemberg e. V.
                 Diakonissenmutterhaus Aidlingen                                             Saalstraße 6
                                                                                             70825 Korntal-Münchingen
    7.-13.11. Vorankündigung:                                                                Telefon 0711/83 46 99
              Hoff nungsfest 2021 O TV und Livestream                                        Telefax 0711/8 38 80 86
                                                                                             info@lebendige-gemeinde.de
                                                                                             facebook.com/lebendige-gemeinde
    Bitte prüfen Sie im Vorfeld der Veranstaltungen                                          twitter.com/lebendigemeinde
    noch einmal, ob diese aufgrund der                                                       Weitere Exemplare können
                                                                                             nachbestellt werden.
    momentanen Situation stattfinden können.                                                 Erscheinungsweise: vierteljährlich
                                                                                             Spendenkonto
    Weitere Termine fi nden Sie auch online
                                                                                             Lebendige Gemeinde.
    unter www.lebendige-gemeinde.de/veranstaltung/
                                                                                             ChristusBewegung in Württemberg e. V.
                                                                                             BW-Bank 2 356 075 (BLZ 600 501 01)
                                                                                             IBAN: DE 87 6005 0101 0002 356075
                                                                                             BIC SOLADEST
#zusammenhalten - Lebendige Gemeinde
Editorial      3

                                                   Liebe Leserinnen und Leser

                                                   seit über einem Jahr leben wir mit Abstand zueinander. Die
                                                   selbstverständliche Gemeinschaft, die wir untereinander
                                                   hatten, ist zu einem kostbaren und seltenen Gut geworden.
                                                   Wir erleben Gottesdienste, die online stattfinden. Jeder sitzt
                                                   zu Hause und wir sind nur in einer virtuellen Gemeinschaft
                                                   verbunden. Immer wieder lesen wir von »#zusammenhalten«.
                                                   Aber was hält uns denn zusammen? Ist es eine gemeinsame
                                                   Geschichte oder eine gemeinsame Identität, ein Begriff ? Ge-
                                                   rade in einer Zeit, in der alles pluraler und vielschichtiger
                                                   wird, weil viele »Wahrheiten« auf uns einprasseln, stellt sich
10    Titelthema

                                                   diese Frage. Ich erlebe viel Unsicherheit verbunden mit der
                                                   ängstlichen Frage: »Gehört das noch zu uns?«

                                                   #zusammenhalten – aber warum? Dr. Jörg Dechert nimmt
                                                   uns mit hinein in die Fragen, was auseinandertreibt und was
                                                   uns eint. Gedanken, die uns herausfordern, uns selbst zu über-
                                                   legen, was es bei einem jedem von uns ist, was uns auseinan-
                                                   dertreibt oder eben eint. Hinter manchen Begriffen verbergen
                                                   sich auch ganze Identitäten. So ist der Begriff »evangelikal«
                                                   für manche ein Reizwort und für andere Ausdruck einer star-
                                                   ken Identität. Donald Trump hat in seinem Wahlkampf stark
                                                   auf die Evangelikalen in den USA gebaut. Aber was sind die
                                                   Folgen für diesen Begriff »evangelikal« nach Donald Trump
                                                   und den Ereignissen rund um das Kapitol am 6. Januar 2021?
                                                   Volker Gäckle geht diesen Fragen nach. Es geht dabei nicht
                                                   nur um Begrifflichkeiten, sondern im Kern um die Frage, was
                                                   zusammenhält, wenn Begriffe schwierig oder missgedeutet
                                                   werden. Welche Folgen hat das für die eigene Identität?

                                                   Was hält uns als ChristusBewegung zusammen? Wir sind
                                                   eine Bewegung, die sich darin zusammengehalten weiß, dass
                                                   Menschen von Herzen Jesus Christus nachfolgen und die Bi-
                                                   bel als Wort Gottes als Maßstab für das eigene Leben anse-
                                                   hen. Zusammengehalten von Jesus Christus – das ist echte
                                                   Gemeinschaft und ein echter Halt. Ein Halt, der mir gerade
                                                   in Zeiten der Unsicherheit die Stabilität im Leben gibt, die
                                                   ich brauche.

     Wir danken allen, die durch ihre Spende
                                                   .
     die kostenlose Verteilung dieses Magazins     Ihr
     ermöglichen. Wir bitten um vollständige
     und deutliche Angabe der Anschrift bei
     Überweisungen, damit wir Spenden-
     quittungen übersenden können. Wir sind
     ganz auf die Gaben der Freunde angewiesen.
     Redaktion                                     Dr. Friedemann Kuttler,
     Dieter Abrell, Steffen Kern, Dr. Friedemann   Vorsitzender ChristusBewegung Lebendige Gemeinde
     Kuttler, Ute Mayer, Traugott Messner,
     Claudius Schillinger, Andreas Schmierer
     Gesamtgestaltung
     Grafisches Atelier Arnold, 72581 Dettingen
     Druck und Postzeitungvertrieb
     Druckerei C. Maurer, 73312 Geislingen
     Bildnachweis Titel:
     ©iStockphoto.com/Asya_mix
     Fotos ohne Bildnachweis:
     ©Lebendige Gemeinde oder ©privat
#zusammenhalten - Lebendige Gemeinde
4   Titelthema

      #zusammenhalten
            #zusammenhalten
      »... davonlaufen
                  »
      kann jeder...«... davonlaufen
                      kann jeder...«

                                       ©Pixabay
#zusammenhalten - Lebendige Gemeinde
Titelthema                  5

Auszüge des Impulsreferats von Dr. Jörg Dechert beim 6. Forum Pietismus am 6. Februar 2021
in Korntal. Die Veranstaltung fand in hybrider Form mit wenigen Personen vor Ort statt.

E
      in Hashtag ist ein Doppelkreuz mit                                nehmen zu. Es scheint unkontrollier-
      einem Begriff dahinter. Ein Thema,                                barer und es drückt nach außen.
      unter dem Menschen sich auf Zeit                                  Es wird immer schwerer, in eine Gesell-
und freiwillig versammeln. Da sammelt                                   schaft hineinzusprechen, die zunehmend
man alle Meinungen, alle Personen und                                   säkularisiert ist und für die unsere
alle Äußerungen, alles, was zu diesem The-                              Hashtags alles andere sind als »trending
ma irgendwie gehört. Dies ist unser wir ge-                             topics«. Es wird immer schwieriger,
worden, ein Sammelsurium aus Hashtags.                                  die nächste Generation für das eigene
Ich fürchte, das gilt auch für Christen.                                Hashtag zu gewinnen, das mich doch so
   Und ich frage mich: Was ist aus dem                                  begeistert hat. Ist die Zentralkraft stark
Einfach-Kreuz von Jesus Christus gewor-                                 genug, das auszuhalten oder nehmen
den? Was ist in einer Gesellschaft voller Hashtags         diese Fliehkräfte überhand? Fliegen wir auseinander
aus dem Einfach-Kreuz geworden? Hält dieses Kreuz,         und verlieren das Einfach-Kreuz von Jesus aus dem
die, die sich an diesen Jesus halten, noch zusammen?       Blick, wenn wir uns an unsere Hashtags klammern?
Halten wir zusammen? Oder haben wir uns in eine
Gesellschaft der Hashtags aufgelöst?                       Was treibt uns auseinander?

Hashtags, Doppelkreuze und das                             Wenn ich darüber spreche, dann spreche ich nicht als
Einfach-Kreuz von Jesus                                    Bewertender oder Wissender, sondern ganz ehrlich
                                                           als Ratloser, als Suchender, als Sehnsüchtiger.
Wenn ich darüber nachdenke – ich bin Physiker, kein
Theologe –, möchte ich das Zusammenhalten aus                                       Selbstgerechtigkeit
einem physikalischen Blickwinkel betrachten.                            Soziale Unterschiede mangelnde Liebe
                                                                Meinungsverschiedenheiten Sorgen
                                                                                                        Unverstehen
                                  Fliehkraft
                                                         Sympathie/Antipathie    Individualismus        wenig Bibel Unruhe
                                                                  Misstrauen
                                                                                   Rechthaberei Hermeneutik
                                                                                                                 wir uns selbst
                                                              Unsicherheit
                                                                 Streit Hass
                                                         Kompromissunfähigkeit   Egoismus Lieblosigkeit  Milieuunterschiede
        Zentralkraft                                      Postmoderne
                                                                      Corona Angst Neid                    Religion Untreue
                                                                                             Moralismus Stolz Unbeweglichkeit
                                                                  Bibelverständnis            Überzeugungen Sünde
                                                                 Respektlosigkeit
                                                                    Machtkampf    Ethische  Fragen     Wortvergessenheit
Auch ohne Formeln können wir begreifen, was pas-                                  Umgang mit Corona Populismus
siert, wenn sich eine Sache um eine andere Sache                                    Macht Streitereien
dreht. Stellen Sie sich die schwierige Phase beim
Wienerwalzer vor, wenn es in die Drehung geht oder         Wir spüren, dass uns etwas auseinander drückt. Wo
einen Hammerwerfer. Über diese Kräfte, die da im           kommen diese Kräfte her? Kaiser Wilhelm II. hat vor
Spiel sind, lässt sich gut erklären, was bei #zusam-       gerade mal rund 100 Jahren abgedankt. Schauen wir
menhalten passiert. Zentrifugalkraft, die Fliehkraft       in diese Zeit: Frauen durften in Deutschland erstmals
treibt uns nach außen weg. Und es gibt die andere          wählen; das Auto war dabei, die Kutsche abzulösen;
Kraft – Zentralkraft –, die wir gar nicht spüren (die      Familien hatten viele Kinder, der Vater war das unan-
Muskelkraft beim Tanzen, das Seil des Hammerwer-           gefochtene Oberhaupt; Zucht und Ordnung herrschte
fers). Es ist die Kraft, die den Körper auf der Kreis-     in der Schule; die ganze Familie saß vor dem Radio-
bahn hält, was zum Zentrum, in die Mitte zieht.            empfänger; in der Mission lehrte der »fromme weiße
   Ich glaube, dass wir auch als Christen in so einem      Mann« die »armen Schwarzen«, die von Jesus keine
System leben. Wir kreisen um das Zentrum Jesus             Ahnung haben. Ich karikiere etwas – aber all das ist
Christus: die eine Kraft (die wir nicht immer spüren)      nur 100 Jahre her. 100 Jahre sind in der Kirchenge-
zieht uns zu Jesus hin, bindet uns, lässt uns kreisen.     schichte ein Wimpernschlag und trotzdem ist unser
Was wir jedoch spüren, ist das, was uns nach außen         Leben komplett anders als vor 100 Jahren. Heute lei-
wegdrängt. Und Veränderungen unserer Gesell-               tet unsere Gesellschaft ihre Werte nicht mehr sehr
schaft pumpen Energie in dieses System hinein, es          explizit von der christlichen Prägung ab, sondern
wird schneller. Es gerät unter Druck, die Fliehkräfte      eigentlich aus dem rein säkularen Individualismus.
#zusammenhalten - Lebendige Gemeinde
6       Titelthema

                                                              Da werden Positionen abgefragt über Signalthemen
        Wir sind auf dieser                                   wie Islam, Gender, Homosexualität. Wenn ich diese
                                                              Themen nehme, um damit Identitätspolitik nach in-
        Umlaufbahn. Und da zerrt                              nen zu betreiben, um die Reihen zu schließen, um
        es in zwei Richtungen …                               die Truppen zu sammeln, die Fahne aufzurichten im
                                                              Abstiegskampf – dann finde ich das gefährlich. Dann
                                                              ist das eine Fliehkraft, die das Zeug dazu hat, uns
                                                              auseinanderzutreiben.
    Fliehkräfte                                               Und soziale Medien sind das ideale Werkzeug, das zu
    Ich glaube, alle diese Veränderungen in nur 100 Jah-      tun. Und übrigens auch das ideale Forschungslabor,
    ren haben mächtig Druck auf unser System, auf den         sich das anzuschauen. Denn so eine Identitätspoli-
    Kreislauf gegeben – und das erzeugt Fliehkräfte bei       tik verleiht auch Sicherheit, Zugehörigkeit, vielleicht
    uns selbst. Fliehkräfte auch in Christen, auch in un-     auch ein Überlegenheitsgefühl. Man geht nicht unter.
    seren Gemeinden und Gemeinschaften. Und ich glau-         Die Truppen versammeln zu können, verleiht Macht.
    be, zwei Fliehkräfte davon sind echt gefährlich.              Aber ich glaube: Abstiegskampf und Identitätspo-
                                                              litik sind Fliehkräfte, die uns auseinandertreiben. Es
    Erstens der Abstiegskampf: Das ist die Reaktion auf       sind Versuche, sich an Hashtags festzuklammern, an
    den gesellschaftlichen Modernisierungsschub der           Doppelkreuzen und nicht mehr am Einfach-Kreuz
    letzten 100 Jahre in Form eines Rückzugsgefechts,         von Jesus Christus. »Mein ganzer Halt liegt in Chris-
    um irgendwie zu halten, was einmal selbstverständ-        tus«, singen wir. Und dann tun wir so, als würde der
    lich war. Sei es der Gottesbezug in der Präambel des      Halt im Hashtag liegen, an das wir uns klammern.
    Grundgesetzes, der Religionsunterricht in der Schule      Können wir, die wir Jesus unseren Herrn nennen, aber
    oder die kirchlichen Feiertage. Zugleich ist es ein Ge-   an verschiedenen Hashtags hängen, einander den
    fecht gegen alles, was als Symbol für diesen Moder-       Glauben eigentlich noch glauben? Ich finde, das ist die
    nisierungsschub gilt: Political correctness, liberale     Mindestvoraussetzung, um #zusammenzuhalten.
    Theologie, Islam, Gender, Homoehe, Globalisierung.
    Ich sage nicht, dass alle Veränderungen der letzten       Was hält uns zusammen?
    100 Jahre uneingeschränkt positiv gewesen wären –
    welche Veränderungen im Leben sind das schon? Ich                            Menschen zu Jesus führen
    sage auch nicht, dass all diese Veränderungen keine                  Gemeinsamer Auftrag Gottesdienst
    geistliche Komponente in sich tragen könnten (auch                     Gnade Christi Offenheit Glaube an Jesus
    wenn ich damit vorsichtig wäre, die komplette Sto-
    ry schon vor der finalen Folge enträtseln zu wollen).
                                                                Gemeinschaft        Vertrauen Verstehen wollen
    Aber ich sage, an diesen Stellen geht es sehr schnell   Gelassenheit  Barmherzigkeit           Gelassenheit
    nicht mehr um Kritik und Auseinandersetzungen in Gottes Liebe
                                                                               Gebet          Geduld
                                                                                                                Zuhören
                                                                                                         Versöhnung

                                                                        Jesus
    der Sache, sondern um einen Machtkampf, um den Macht
    Erhalt von Einfluss, um einen Kampf gegen den Ab-
                                                                    Bibel     Glaube                    Hoffnung
                                                               Gottes Wort
    stieg. Und das ist eine Fliehkraft, die ich für gefähr-
                                                                                             Heiliger Geist Respekt
    lich halte.                                                   Toleranz       Liebe
                                                                    Christus Demut              Verständnis Seine Gnade
    Zweitens die Identitätspolitik: Der Abstiegskampf                                         Überzeugungen Bibelvertrauen
                                                                     Bekenntnis
    richtet sich gegen »die da draußen« – und das wird            Gott Freundschaft Leben teilen Ambiguitätstoleranz
    nach innen zu einer Art »Identitätspolitik«. Da hei-            Hoffnungsgeschichten echte tiefe Freundschaft
    ligt der Zweck schnell die Mittel. Da geht es dann um                sich gegenseitig ertragen Vergebung
    »die da gegen uns hier«. Wir oder die. Da gilt es dann                        Gemeinsame Erfahrungen
    eine Fahne aufzupflanzen – laut, sichtbar, plakativ,
    Hashtag. Da gilt es die Reihen zu schließen, Krite-
    rien dafür aufzustellen, wer denn wirklich zu uns         Ich finde, diese Wolke macht Hoffnung, denn es gibt
    gehört und wer zu denen. Da gilt es, Abweichler zu        Zentralkraft. Drei davon möchte ich nennen.
    bestrafen, die sich nicht entschieden genug gegen die
    anderen positionieren. Da gilt es, die Reinheit der ei-   Erste Zentralkraft: Notwendigkeit: Das klingt ein
    genen Überzeugung abzusichern. Die Verurteilung           bisschen »ungeistlich«, aber das gehört zu dieser
    über Bande – kennen Sie das? »Wenn du mit denen,          Welt: Wenn wir uns Gewerkschaften anschauen in
    dann kann ich nicht mehr mit dir, denn die haben          den letzten 50 Jahren, dann sehen wir eine Bewe-
    damals das gesagt …« Das ist Reinheitsdenken. Als         gung hin zur Fusion. Gewerkschaften verstehen:
    wäre der andere irgendwie verseucht, als würde er         Wenn wir weiter Einfluss haben wollen in einer Ge-
    mich irgendwie in Gefahr bringen.                         sellschaft, die immer weniger Industriegesellschaft
#zusammenhalten - Lebendige Gemeinde
Titelthema            7

ist und immer mehr Dienstleistungs- und Wissens-         sie erkennen, nicht an ihrem Hashtag, sondern an
gesellschaft wird, dann müssen wir uns zusammen-         ihrer Liebe untereinander.
tun. Oder bei den Sparkassen kann man das wun-              Wie viel diese Welt von Jesus sieht, liegt auch an
derbar sehen. Wenn wir in einer postchristlichen         uns. Nicht so sehr an dem, was wir über ihn sagen,
Gesellschaft etwas erreichen wollen als Christen,        sondern daran, dass wir unseren Herrn mehr lieben
dann wird es – und auch große Kirchen merken das         als unsere Unterschiede.
inzwischen – nur noch zusammen gehen. Es geht
nicht mehr, wenn jeder sein Hashtag pflegt und sein      Schlussbemerkung
eigenes Ding macht. Wegen der Aufmerksamkeit
und – seien wir ehrlich – auch wegen des Geldes.         Schauen wir uns das Kräftegleichgewicht nochmals
Wir sind in Deutschland nur noch wenige Jahre von        an. Wir sind auf dieser Umlaufbahn. Und da zerrt
dem Punkt entfernt, an dem weniger als 50 % der          es in zwei Richtungen – deswegen ist Zusammenhal-
Menschen in Deutschland zu irgendeiner christli-         ten schwer. Zusammenhalten heißt, ich muss vieles
chen Kirche gehören werden. Ich meine nicht einmal       aushalten: Verschiedenartigkeit, Andersartigkeit,
genau meinen Hashtag oder Ihren, sondern irgend-         Fremdheit, theologische Differenzen, Spannungen,
einen. Ich glaube, da wird etwas kippen, und es ist      ungeklärte Fragen, Stückwerk, Relativierung … Aber
schon am Kippen. Unsere Generation und die nächs-        ich glaube, das ist der einzige Weg in die Zukunft.
te Generation haben die Aufgabe, die gewachsenen         In Offenbarung 7,9–11 gibt es das Bild vom großen
Strukturen einer christlichen Fragmentierung, einer      weißen Thron, und sie beten Gott an, sie beten Jesus
»protestantischen Explosion« für die Zukunft mitei-      an, der auf dem Thron sitzt, und das Lamm. Jesus
nander neu zu vernetzen und zusammenzuführen.            mit seinem Einfach-Kreuz. Und dann heißt es: »Die-
                                                         sem Lobpreis schloss sich die ganze unzählbar große
Zweite Zentralkraft: geistliche Gesundheit: 26 Mal       Schar der Engel an, die rings um den Thron und um
steht im Neuen Testament (nach Luther 2017) das          die Ältesten und die vier lebendigen Wesen standen.
Wort »einander«. Und dabei geht es nicht um eine         Sie warfen sich vor dem Thron nieder und beteten
Moral des Miteinanders, so nach dem Motto »Kinder        Gott an.«
vertragt euch doch mal«, sondern es geht um geist-          Können Sie sich vorstellen, dass diese Engel mein
liche Gesundheit und Reife. Zusammenhalt in Ver-         oder Ihr Hashtag anbeten und sich davor niederwer-
schiedenheit fördert geistliche Reife und geistliche     fen? Das werden sie sicher nicht. Am Ende werden
Gesundheit. Paulus hat in Epheser 4,13 (NGÜ) ge-         alle unsere Doppelkreuze in Bedeutungslosigkeit
schrieben: »Das soll dazu führen, dass wir alle in un-   versunken sein und es wird nur noch ein Kreuz da-
serem Glauben und in unserer Kenntnis von Gottes         stehen – nämlich das Kreuz von Jesus Christus. Wie
Sohn zur vollen Einheit gelangen und dass wir eine       wir die Zeit bis dahin nutzen, das ist unsere Ent-
Reife erreichen, deren Maßstab Christus selbst ist       scheidung, das ist Ihre Entscheidung, das ist meine
in seiner ganzen Fülle.« Einheit und Reife in einem      Entscheidung. Welche Doppelkreuze wir unterwegs
Satz – beides gehört zusammen. Ich glaube, es gehört     noch wichtig nehmen und welche nicht, ist unsere
zum geistlichen Reifeprozess von Christen, zu erken-                     Entscheidung und ich wünsche uns
nen und anzuerkennen, dass verschiedene geistliche                        allen und mir: Mögen wir weise ent-
Prägungen genau in ihrer Verschiedenheit zusam-                           scheiden.                         V
mengehören und nur gemeinsam den Leib Christi
                                                                           der autor:
aufbauen können. Oder Matthäus 16,18 (LUT): »Du
                                                                           Dr. Jörg Dechert
bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Ge-
                                                                           ist Vorstandsvorsitzender
meinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie
                                                                           von ERF Medien
nicht überwältigen.« Nicht »auf diesen Hashtag«,
nicht auf Ihren und nicht auf meinen, sondern auf
diesen Felsen will Jesus seine Gemeinde bauen. Erst
die Einheit in Verschiedenheit macht Gemeinde Jesu
geistlich widerstandsfähig.
                                                              Am Ende werden alle unsere
                                                              Doppelkreuze in Bedeutungs-
Dritte Zentralkraft: Jesus verkörpern: Das ist für
mich der tiefste Grund, warum es sich lohnt, dafür zu
                                                              losigkeit versunken sein und
kämpfen, dass wir zusammenhalten. Das wir nur ge-             es wird nur noch ein Kreuz
meinsam Jesus verkörpern. Johannes 13,35 (NGÜ):               dastehen – nämlich das Kreuz
»An eurer Liebe zueinander werden alle erkennen,
dass ihr meine Jünger seid.« Also nicht an der rich-          von Jesus Christus
tigen Position in dieser oder jener gesellschaftspoli-
                                                                                ©priv at

tischen Frage, nicht an ihrer »Bibeltreue« werdet ihr

                                                                           Videoaufzeichnung des Vortrages auf:
                                                                             www.pixelpastor.com/zusammenhalten
#zusammenhalten - Lebendige Gemeinde
8       Titelthema

                                                                                                            ©paylessimages - stock.adobe.com
    Was hält uns zusammen?
    Wort des Vorsitzenden beim 6. Forum Pietismus am 6. Februar 2021

    A
           ls Fußballfan schaue ich sehr gerne die Spiele   hen in den Gemeinden und Gemeinschaften, aber
           im DFB-Pokal an. Da spielen die kleinen ge-      auch in unseren Orten. Da sind wir als Gemeinschaft
           gen die großen Clubs. Wenn ich mir die Mann-     von Christen gefordert. Aber nicht nur untereinan-
    schaften vor den Spielen auf dem Papier so ansehe,      der, sondern auch für andere. Wir brauchen gegen-
    dann dürften die großen Clubs eigentlich immer ge-      seitige Glaubensstärkung, Ermutigung. Sagen wir
    winnen. Aber in der Realität sieht es oft anders aus:   uns gegenseitig Worte der Bibel und erzählen wir
    Da spielen die namhaften Spieler des FC Bayern ge-      uns Glaubensgeschichten und Erlebnisse mit Gott,
    gen ein Bollwerk von namenlosen Spielern von Hol-       damit Menschen in diesen Tagen gestärkt werden.
    stein Kiel, die voller mannschaftlicher Geschlossen-    So wie Jesus in seinen Abschiedsreden im Johannes-
    heit munter aufspielen. Mit erhobenem Haupt, voller     evangelium die Jünger gestärkt hat mit Worten der
    Selbstbewusstsein, voller Leidenschaft und vereint      Ermutigung und Stärkung. Worte voller Zuversicht
    auf ein Ziel: »Das Spiel ihres Lebens zu spielen und    und Hoff nung. Jesus hat seine Jünger vorbereitet,
    dem großen Club ein Bein stellen.« Zusammenhal-         wenn er nicht mehr greifbar ist – sozusagen leiblich
    ten ist das große Geheimnis. Nicht nur im Fußball       auch Abstand geht. Diese Worte helfen auch heute.
    ist mannschaftliche Geschlossenheit bzw. Zusam-         Wir können füreinander beten. Zusammenhalt in
    menhalten gefordert, sondern auch in diesen Zeiten      diesen Tagen ist Ausdruck echter Gemeinschaft.
    und Tagen. Wir erleben, wie Menschen durch alle Al-
    tersschichten vereinsamen, weil sie allein sind. Wir    In diesen Tagen werde ich immer wieder gefragt, was
    erleben, wie Menschen an ihre Grenzen kommen,           uns als ChristusBewegung zusammenhält. Wenn
    weil sie Arbeit, Homeschooling und Kinderbetreu-        ich an die Fußballmannschaften der kleinen Clubs
    ung unter einen Hut bekommen müssen. Wir hören          denke, dann ist es die gemeinsame Aufgabe, das Spiel
    von Menschen, die vor lauter Existenzängsten nicht      gewinnen zu wollen. Wir als ChristusBewegung ha-
    schlafen können. Da braucht es ein Zusammenste-         ben keinen Gegner, dem wir auf einem Spielfeld ent-
#zusammenhalten - Lebendige Gemeinde
Titelthema          9

Sagen wir uns gegenseitig                                beginnt in meinen Beziehungen. Mission und Dia-
                                                         konie gehören untrennbar zusammen. Was ausein-
Worte der Bibel und erzählen                             andergefallen scheint, gehört inhaltlich zusammen.
wir uns Glaubensgeschichten                              Gelebtes und verkündigtes Evangelium ist gelebte
                                                         Liebe und Zeugnis für Jesus Christus. Wir wollen
und Erlebnisse mit Gott,                                 Menschen die frohe Botschaft von Jesus Christus
damit Menschen in diesen                                 verkündigen. Dazu gehört aber auch, dass wir mit-
Tagen gestärkt werden.                                   helfen, die Lebensvoraussetzungen zu schaffen, dass
                                                         Menschen offen sind für das Wort Gottes. Diakoni-
                                                         sche Arbeit und missionarische Verkündigung kön-
                                                         nen nur gemeinsam erfolgen.
gegentreten. Wir sind eine Bewegung, die sich darin      Als Kirche müssen wir nicht zu allen politischen The-
zusammengehalten weiß, dass Menschen von Her-            men Stellung beziehen. Das können andere oft bes-
zen Jesus Christus nachfolgen und die Bibel als Wort     ser als wir. Aber es gibt politische Themen, da dürfen
Gottes als Maßstab für das eigene Leben ansehen.         Kirche und wir als Christen nicht schweigen. So wie
Aber im Gegensatz zu Fußballern, die der Siegeswil-      der Schutz am Anfang des Lebens, wie auch was das
le zusammenhält, werden wir von Jesus zusammen-          Ende unseres Lebens angeht. In der aktuellen De-
gehalten. Wie in Fußballmannschaften treten aber         batte um Hilfe zur Selbsttötung in kirchlichen und
auch bei uns Spannungen auf. Da erleben wir, wie         diakonischen Einrichtungen braucht es eine starke
wir auch in manchen theologischen und ethischen          Stimme der Kirchen für das Leben. Ich bin dem Rat
Fragen zu unterschiedlichen Auffassungen kommen.         der EKD sehr dankbar für seine klare Stellungnahme,
Ist das ein Grund, den gemeinsamen Zusammenhalt          die sich gegen die Hilfe zur Selbsttötung ausspricht.
aufzukündigen? Geht es nicht vielmehr darum,             Wir müssen alles dafür tun, dass Sterbende seelsor-
noch näher zusammenzurücken, um im gemeinsa-             gerlich und palliativmedizinisch gut betreut werden.
men Bibellesen und um ein gemeinsames Ringen             Gerade im Sterben braucht es den gegenseitigen Bei-
um Antworten? Gerade auch, wenn wir dann man-            stand und den Zusammenhalt, dass Menschen sich
ches aushalten müssen. Gerade in diesem Ringen,          auch im Sterben von Gebeten getragen fühlen.
auch trotz manch unterschiedlicher Auffassungen
verbindet uns die Leidenschaft der Jesus-Nachfolge       Ich erlebe in diesen Tagen, dass Menschen Ori-
und die Leidenschaft dafür, Gottes Wort zu lesen, zu     entierung und Halt suchen. Der gesellschaftliche
studieren und in unserem Leben Gestalt werden zu         Zusammenhalt fehlt und Menschen beginnen, da-
lassen. Mit dieser Leidenschaft für Jesus begegnen       vonzurennen. Menschen klammern sich an leere
wir Menschen.                                            Versprechungen und klammern sich an falsche Si-
                                                         cherheiten. Wir erleben, wie Menschen den Zusam-
Menschen für Jesus zu gewinnen, ist keine Projekt-       menhalt in unseren Gemeinden und Gemeinschaf-
arbeit, die wir mal eine Zeit lang machen oder nicht.    ten aufgeben. Gehen wir diesen Menschen nach.
Es ist unsere Grundhaltung. Es ist unsere DNA, dass      Begleiten wir sie auf ihrem Weg und geben ihnen die
wir als Zeugen für Jesus leben und unseren Mit-          Sicherheit durch unsere Begleitung. Gerade in diesen
menschen ein lebendiges Zeugnis sind. Unser Leben        Zeiten werden mir Worte Jesu wichtig, die mir Halt
spricht oft lauter und deutlicher als unsere Worte.      und Sicherheit geben. In Tagen wie diesen erlebe ich
Ich mache uns Mut, dass wir in unseren Bezirken,         Matthäus 28,20 noch einmal neu: »Siehe ich bin bei
unseren Gemeinden und Gemeinschaften die Fra-            Dir alle Tage, bis an der Welt Ende.« Wir gehen nicht
ge stellen: »Wie missionarisch sind wir eigentlich?«     allein durch diese herausfordernden Zeiten, sondern
Ich mache Mut, sich persönlich hinterfragen zu las-      unser Herr geht mit uns. Jesus ist nicht der Trainer,
sen. Es ist eine Herausforderung und doch beginnt        der an der Seitenlinie uns zu Höchstleistung
Mission bei mir persönlich: in meiner Beziehung zu       antreibt, sondern Jesus steht mit uns auf dem
Jesus, in meiner Leidenschaft für Jesus und wegen        Platz. Er ist unsere Mitte, er ist der alleinige
der Liebe zu meinem Nächsten. Beten wir für unsere       Herr dieser Welt und er hält uns zusammen.
Familien, Freunde, Nachbarn und für unser Land um        Wenn Jesus uns zusammenhält, warum dann
Erweckung. Mission beginnt mit Gebet und Mission         davonlaufen?         Pfr. Dr. Friedemann Kuttler

                               Als geistlichen Impuls brachte Pfarrerin Corinna Schubert ein bewegendes
                             Spoken Word zum Forum Pietismus mit. In vier Teilen führt es uns vom
                               Anfang über die Krise zum Helfer und Neuanfang. Hören Sie es sich an unter:
                                  www.lebendige-gemeinde.de/spokenword-zusammenhalten/
#zusammenhalten - Lebendige Gemeinde
10     Titelthema

     NACH TRUMP?

                    Das evangelikale
                    Trump-Desaster
                    und die Folgen
                    für die evangelikale
                    Bewegung
Positionen und Dialog           11

D                                                                                                             Man ist gerne »evangelisch«
        ie Szenen waren gruselig. Als am 6. Januar
        dieses Jahres ein wütender Mob, befeuert vom
        Präsidenten der Vereinigten Staaten höchst-                                                           und auch »pietistisch«,
persönlich, das Kapitol in Washington stürmte, tru-
gen viele Schilder mit sich, auf denen Slogans stan-
                                                                                                              aber man ist nicht gerne
den wie »Jesus lives«, »Jesus 2020« oder »An Appeal                                                           »evangelikal«
to Heaven«. Einer der frommen Hooligans hatte ein
Schofar dabei, ein Signalhorn, wie es im alten Isra-
el im heiligen Krieg verwendet wurde. Die vielleicht
verstörendste Szene, die durch die Medien ging, war
die Folgende: Ein Mann mit nacktem Oberkörper,
das Gesicht mit der amerikanischen Flagge bemalt
und einer Mütze aus Fellen und Hörnern auf dem
Kopf, steht mit anderen schrägen Gestalten in den
Fluren des Kapitols. Ein Mann mit langen Haaren
und Trump-Basecap steht neben ihm, schließt die
Augen und betet mit erhobener Faust: »Jesus Chris-
tus, wir rufen deinen Namen an! Amen.« Der gehörn-        © picture alliance / Manuel Balce Cenata

te Kollege brüllt daraufhin in sein Megafon: »Danke,
himmlischer Vater, dass du uns in deiner Gnade diese
Möglichkeit schenkst, uns für unsere gottgegebenen
Rechte einzusetzen.« Andere skandieren in Sprech-
chören »Hängt Mike Pence!« Gemeint war der Vize-
präsident der Vereinigten Staaten, ein bekennender
evangelikaler Christ, der vier Jahre lang in großer
Nibelungentreue seinem Chef zur Seite stand und
selbst in den peinlichsten Momenten der an schrillen
Szenen wahrlich nicht armen Amtszeit von Donald                                                      Anhänger des abgewählten Präsidenten Donald Trump
Trump loyal blieb – bis eben zu diesem Tag, an dem                                                   stürmten am 6. Januar 2021 das Capitol und sprachen
er sich der Anweisung seines Chefs verweigerte, die                                                  unter anderem auch Dankgebete vor laufenden Kameras.
gesetzlich und protokollarisch vorgegebene Bestä-
tigung der Ergebnisse der Präsidentschaftswahl zu                                                    trächtiger und heimischer ist als die aus dem angel-
boykottieren.                                                                                        sächsischen Raum kommende Bezeichnung »evan-
                                                                                                     gelikal«, die sich zudem in Deutschland erst in den
Nicht zuständig?                                                                                     60er-Jahren des 20. Jahrhunderts etabliert hat. Was
                                                                                                     haben Pietisten als geistliche Erben von Philipp Ja-
Neben Fassungslosigkeit überkommt mich eine ab-                                                      kob Spener, Johann Albrecht Bengel, August Herr-
grundtiefe Scham. Diese Menschen reklamieren für                                                     mann Francke und Nikolaus Graf von Zinzendorf
sich offensichtlich denselben Glauben, den auch ich                                                  mit evangelikalen Trump-Freunden wie Franklin
teile und sie gehören vermutlich einem Frömmig-                                                      Graham, Eric Metaxas, Robert Jeff ress oder Jer-
keitstypus an, der mit meinem »nicht unverwandt«                                                     ry Falwell Jr. zu tun? Vielen frommen Menschen
ist, um es einmal ganz vorsichtig und mit hochroten                                                  in Württemberg geht der Begriff »evangelikal« nur
Wangen zu sagen.                                                                                     schwer als Identitätsbezeichnung über die Lippen.
   Es wurde viel geschrieben in den letzten Monaten                                                  Man ist gerne »evangelisch« und auch »pietistisch«,
über die Evangelikalen in den USA und auch wenn                                                      aber man ist nicht besonders gerne »evangelikal«.
wir es nicht mehr hören können und wollen: Wir                                                       Der Begriff klingt nach wie vor zu amerikanisch, zu
müssen über dieses Thema reden, weil es uns angeht                                                   bunt, zu »unevangelisch« und zu unseriös.
und wir uns nicht davor drücken können.
   Mein erster Impuls – vielen Lesern dieser Zeilen                                                  Der Pietismus und die Evangelikalen
wird es ähnlich gegangen sein – war natürlich, mich
als »nicht zuständig« zu erklären für diesen Aus-                                                    Allerdings lässt sich rein historisch betrachtet der
bruch theologisch verirrter Gewalt einer Bewegung,                                                   Pietismus seit dem 19. Jahrhundert vom Evange-
die offensichtlich zu viele schlechte Berater gehabt                                                 likalismus nicht mehr trennen. Zu zahlreich sind
und zu viele oberflächliche Predigten gehört hat.                                                    die historischen Verbindungen, die wechselseitige
   Wir könnten uns in Württemberg nun auf das                                                        Befruchtung, die Impulse, die der deutsche Pietis-
Türschild »Pietismus« zurückziehen und damit auf                                                     mus aus der angelsächsischen Welt erhalten hat,
eine Identitätsbezeichnung, die viel älter, geschichts-                                              angefangen von den großen amerikanischen Erwe-
12       Positionen und Dialog

     ckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts über die                   Viele evangelikale
     Evangelisationen Billy Grahams bis hin zur Welt-
     missionsbewegung und der Lausanner Bewegung im                   Führungsfiguren und
     20. Jahrhundert. Der Pietismus war und ist Teil der              entsprechend viele
     weltweiten evangelikalen Bewegung – das lässt sich
     überhaupt nicht leugnen. Zu dieser Bewegung zählt                fromme Menschen haben
     natürlich nicht nur der amerikanische Evangelika-                sich auf Gedeih und
     lismus, sondern eine weltweite Bewegung, die im
     20. Jahrhundert ihr Achtergewicht in den globalen
                                                                      Verderb mit einem
     Süden verlagert hat und ihr größtes Wachstum bis                 Menschen verbündet,
     heute in Lateinamerika, Afrika und Asien erlebt. Die
     evangelikale Bewegung, zu der aus globaler Perspek-
                                                                      der sich charakterlich
     tive auch die pentekostal-charismatische Bewegung                bereits weit vor der
     gehört, ist aus rein quantitativer Perspektive der mit           Wahl als unqualifiziert
     Abstand dynamischste Flügel der Weltchristenheit
     in allen Kontinenten mit Ausnahme »Europa«.                      erwiesen hat
        Der theologische, finanzielle und nicht zuletzt
     publizistische Mittelpunkt dieser Bewegung liegt
     aber nach wie vor in Nordamerika. Man muss sich          der ZEIT, hat es in einem Kommentar auf den Punkt
     nur einmal im Sortiment der christlichen Buchhand-       gebracht: Der »zynische Narzisst Trump hat den Ver-
     lungen und Büchertische umsehen, um festzustellen        lierern des Kulturkampfes eine Stimme verliehen,
     wie sehr der nordamerikanische Evangelikalismus          die an Nation und Kirche glauben, aber nicht an den
     die Szene bestimmt. Auch die großen Weltkongresse        Katechismus des Korrekten. Sie verübeln der ‚Elite‘
     der Lausanner Bewegung wären ohne die organisato-        die Sprachkontrolle und die Fetischierung von Gen-
          rischen, logistischen und vor allem finanziellen    der, Hautfarbe und Sexualität« (Josef Joffe, Ende des
              Möglichkeiten der amerikanischen Schwes-        Albtraums, Die ZEIT, Nr. 3/2021, S. 1).
                   tern und Brüder völlig undenkbar.
                                                              Fehlende Distanz und kritiklose Identifikation
                Das Dilemma der
                evangelikalen Amerikaner                      Das Problem ist nicht, dass evangelikale Christen
                                                              Donald Trump gewählt haben. In einem faktischen
                Mein zweiter Impuls war, die »vernünf-        Zwei-Parteien-System, das einem bei einer Wahl
                        Evangelikalen« vor diesem geist-
                 tigen Evangelikalen                          nur zwei Optionen lässt, ist es nachvollziehbar, dass
                  lich und geistig unterversorgten Mob in     fromme Menschen erstens zur Wahl gehen (was im-
                   Schutz zu nehmen. Denn natürlich schä-     mer gut ist) und sie zweitens ihre Stimme nicht der
               men sich Millionen evangelikaler Christen      Partei oder dem Kandidaten geben, die bzw. der nicht
               in den USA genauso für diese Szenen wie ich    ihre politischen Interessen, Anliegen und Werte ver-
              und viele der Leser dieser Zeilen. Es ist uns   tritt. Bei einer politischen Wahl geht es nicht um
             allen klar, dass die Evangelikalen in den USA    die Wahl einer pietistischen Gemeinschaftsleitung,
            genauso zerrissen sind, wie die gesamte ame-      sondern um die Wahl eines Staatführers oder einer
     rikanische Gesellschaft. In dieser Bewegung gibt         Staatsführerin. Hier geht es nie um eine absolute Zu-
     es nach wie vor eine Fülle kluger, bedächtiger, tief     stimmung zu allen Punkten eines Wahlprogramms
     geistlicher und theologisch heller Köpfe. Das zeigt      oder den Überzeugungen eines Kandidaten oder ei-
     gerade auch die beginnende Aufarbeitung des geisti-      ner Kandidatin, sondern immer um eine relative Zu-
     gen, geistlichen und theologischen Desasters dieser      stimmung zu einem »Gesamtpaket«.
     Bewegung.                                                   Das Problem war (und ist!) etwas anderes: Die evan-
        Ich verstehe auch das politische Dilemma, in dem      gelikale Bewegung in den USA hat sich in den letzten
     sich viele der evangelikalen Schwestern und Brüder       Jahren in Teilen ihrer Führungspersönlichkeiten
     befanden und befinden. Ich kann ihren Frust durch-       und in (großen) Teilen ihrer Mitglieder zunächst
     aus nachvollziehen: Sie sehen sich von der Washing-      mit einem Kandidaten und dann mit einem Präsi-
     toner Politik verlassen und nicht mehr vertreten. Die    denten in einer Weise verbunden, identifiziert und
     starke Fokussierung auf Minderheiten, um Unge-           verschmolzen, die absolut war und keine Differen-
     rechtigkeit zu vermindern, hat zu neuen Ungerech-        zierungen mehr sichtbar werden ließ. Donald Trump
     tigkeiten geführt. Viele weiße Evangelikale kommen       war der Präsident der (weißen) Evangelikalen.
     sich vor, wie jemand der in einer langen Warteschlan-       Viele evangelikale Führungsfiguren und entspre-
     ge steht, in der sich ständig Leute vordrängeln und      chend viele fromme Menschen haben sich auf Ge-
     sie nie weiterkommen. Josef Joffe, der Herausgeber       deih und Verderb mit einem Menschen verbündet,
Positionen und Dialog                         13

                                                               der sich charakterlich bereits weit vor der Wahl als      die Einmischung führender kirchenleitender Ver-
                                                               unqualifiziert erwiesen hat und in seiner bisherigen      antwortungsträgerinnen und -träger in politische
                                                               Lebensführung all die Werte öffentlich und erkenn-        Sachfragen, für die es kein christliches Mandat gibt,
                                                               bar mit Füßen getreten hat, für die Christen eigent-      weil man sie auch nach den Maßstäben christlicher
                                                               lich stehen. Die Art und Weise, wie dieser Präsident      Ethik so oder so treffen kann. Es sind Ermessensent-
                                                               kommuniziert, polemisiert, polarisiert, diffamiert        scheidungen. Doch genau diese Einmischung in das
                                                               und diskutiert hat, machte immer unmissverständ-          politische Tagesgeschäft sowie die Ideologisierung
                                                               lich klar, dass es ihm nie darum ging, Amerika groß       von politischen Sachfragen kennzeichnete die evan-
                                                               zu machen, sondern nur sich selbst.                       gelikalen Voten und die evangelikale Agenda in den
                                                                                                                         USA in den letzten Jahren.
                                                               Die Ideologisierung politischer Sachfragen
                                                                                                                         Die Scham der jungen Frommen
                                                               Dass Machthaber gleich welcher Couleur gelegent-
                                                               lich lügen, ist nichts Neues in der Weltgeschichte,       Nun ist der Scherbenhaufen groß und das Aufräu-
                                                               und dass sie dennoch die Stimme auch von Christen         men beginnt … und hier beginnt auch unsere Auf-
                                                               bekommen, gehört zum Wesen demokratischer Ge-             gabe! Gerade viele junge Evangelikale, aber gewiss
                                                               sellschaften. Ohne Kompromisse ist keine Demo-            nicht nur sie, schämen sich heute für dieses Adjektiv
                                                               kratie zu haben. Das Problem ist die evangelikale         »evangelikal« als Beschreibung der eigenen geistli-
                                                               Distanzlosigkeit, die absolute Identifi kation und die    chen und theologischen Identität, weil bei den ame-
                                                               Unfähigkeit zur Kritik an den zahllosen Verfehlun-        rikanischen Schwestern und Brüdern trotz vieler
                                                               gen dieses Mannes.                                        warnender Stimmen der Evangelikalismus und der
                                                                  In der Bewertung politischer Entscheidungen und        Trumpismus zu oft nicht mehr zu unterscheiden war.
                                                               Führungspersönlichkeiten können nicht nur einzel-            Die Frage steht im Raum, was die Bezeichnung
                                                               ne symbolträchtige Punkte ausschlaggebend sein,           »evangelikal« bringt, wenn sich immer mehr Evange-
                                                               sondern es muss immer um ein Gesamtbild gehen.            likale für sie schämen oder sich gar von ihr abgrenzen,
                                                               Es ist legitim, aus einer konservativen Haltung her-      weil man zu so einem Verein einfach nicht gehören
                                                               aus Trumps Entscheidungen in Lebensrechtsfragen           will. Mit einer solchen Verwandtschaft wollen immer
                                                               (Stichwort »Abtreibung«) oder in der Nahostpolitik        weniger junge Christen zusammen gesehen werden.
                                                               zu begrüßen. Aber das darf nicht den Blick für das           Solange das Adjektiv »evangelikal« für Christen
                                                               Ganze verzerren, vor allem nicht für den Umgang           steht, die von einer lebendigen Hoff nung erfüllt sind,
                                                               mit Worten, die dieser Präsident mit einer Brutalität     weil sie von dem gekreuzigten und auferstandenen
                                                               verwendete wie keiner seiner Vorgänger.                   Jesus Christus ergriffen worden sind und deshalb
                                                                  In Deutschland beklagen viele Christen seit Jah-       täglich mit ihm reden, zu ihm beten und ihn loben,
                                                               ren zurecht die Politisierung vieler Predigten und        steht der Begriff für einen lebendigen und anzie-

                                                               Der Evangelist Billy Graham (1918 –2018) war im 20. Jahrhundert das
                                                               Gesicht der weltweiten evangelikalen Bewegung. Siebenmal trat er auch
                                                               in Deutschland auf, zuletzt im Rahmen von ProChrist 1993.

                                                                                                                                                                             Düsseldorf 1954
Bundesarchiv, Bild 194-0798-29 Lachmann, Hans / CC-BY-SA 3.0
14                    Position und Dialog

                                                                         von Freude getragen und zugleich klug und reflek-
                                                                         tiert. An ihren guten Tagen ist evangelikale Spiritu-
                                                                         alität in ihrer Hingabe an andere vorbildlich. An ihr
                                                                         kann deutlich werden: Es ist mehr im Glauben zu fin-
                                                                         den als dürre Mitgliedschaft, als totes Katechismus-
                                                                         wissen oder als moralische Bemühung, mehr als ‚mil-
                                                                         des Luthertum‘, mehr als lebens- und jahreszyklisch
                                                                         aktivierte Kasualfrömmigkeit. Indifferenz soll und
                                                                         kann überwunden werden. Eine starke Resonanz
                                                                         kann entstehen. Das ist das Movens ihrer Mission«
                                                                         (Deutsches Pfarrerblatt 117 [2017], 524).
                                                                            Nun waren die letzten Monate und Jahre leider
                                                                         nicht die besten Tage der Evangelikalen und das
                                                                         nicht nur wegen des »Onkels in Übersee«. Zu zer-
                                                                         stritten und zersplittert, zu erbittert und verbittert,
                                                                         zu verletzend und zersetzend, zu rechthaberisch und
     Was die Lausanner Bewegung weltweit bewirkte, dafür sorgte          manchmal einfach etwas »schräg« haben sich die
     ProChrist in Deutschland: Die Evangelikalen fanden dort zusammen,   Evangelikalen auch in Deutschland präsentiert. Das
     wo ihr Herz schlägt: bei der Evangelisation.                        war und ist nicht gut.
                                                                            Wäre damit nicht der Anlass und der Moment
                 henden Glauben. Solange »evangelikal« für Chris-        gekommen, sich von dem belastenden Adjektiv zu
                 ten steht, die glauben, dass sein Sühnetod am Kreuz     verabschieden und die Vergangenheit einfach hinter
                 ein stellvertretendes Sterben für uns und zu unse-      sich zu lassen? Muss man auf alle Ewigkeit an einem
                 ren Gunsten ist, und deshalb auch überzeugt sind,       Namen festhalten, der erstens in Deutschland sowie-
                 dass jeder Mensch davon erfahren sollte, weil sich      so weder alt noch übermäßig ehrwürdig ist und sich
                 aus der Vergebung der Schuld das Leben verändert,       zweitens verbraucht hat oder gar zum »Unwort« zu
                 Beziehungen neu werden können, Umkehr aus den           werden droht und drittens mehr eine Last als eine
                 Sackgassen der Sünde, der Sucht und der Selbstbezo-     Lust geworden ist? War Donald Trump der Totengrä-
                 genheit möglich wird, steht das Wort für »reforma-      ber des Evangelikalismus?
                 torisch« im besten Sinn. Solange »evangelikal« da-
                 für steht, dass wir in der Heiligen Schrift Wahrheit,   Mit einem Namen verschwindet nicht selten
                 Trost, Orientierung und nicht zuletzt die Hoffnung      auch die bezeichnete Sache
                 auf die Wiederkunft Jesu und das ewige Leben fin-
                 den können, solange ist das Adjektiv »evangelikal«      Bevor man allerdings eine etablierte Selbst- und
                 wie eine warme Stube, in die man gerne geht, weil es    Fremdbezeichung für eine weltweit gesehen erstaun-
                 warm aus ihr kommt.                                     lich vitale geistliche Bewegung über Bord wirft, weil
                 In so eine warme Stube lädt man gerne ein, für so       sie unappetitlich geworden ist, sollte man sich vor-
                 eine warme Stube setzt man sich gerne ein, für so       her doch etwas mehr Zeit für ein paar tiefergehende
                 eine Stube engagiert man sich und bringt auch gerne     Überlegungen nehmen.
                 manches Opfer.                                             Denn mit dem Verschwinden eines »Namens«
                 Prof. Dr. Michael Herbst hat es vor Jahren im Deut-     oder einer Bezeichnung verschwindet nicht selten
                 schen Pfarrerblatt treffend auf den Punkt gebracht:     auch die Sache, die sie bezeichnet. Es verschwinden
                 »An ihren guten Tagen ist evangelikale Spiritualität    zwar nicht die Menschen und auch nicht die Ge-
                                                                         meinden, aber es verschwindet die Gemeinsamkeit,
                                                                         die Einheit, die identitätsstiftende Verbundenheit,
                                                                         die auf gemeinsamen geistlichen und theologischen
                 Zu zerstritten und zersplittert,                        Überzeugungen beruht. In der Evangelischen Al-
                 zu erbittert und verbittert,                            lianz haben sich die Evangelikalen gefunden zum
                                                                         gemeinsamen Gebet in der Allianzgebetswoche, zur
                 zu verletzend und zersetzend,                           gemeinsamen Evangelisation bei ProChrist und dem
                 zu rechthaberisch und                                   Christival, zur gemeinsamen Mission in der Lausan-
                                                                         ner Bewegung und der Arbeitsgemeinschaft evange-
                 manchmal einfach etwas                                  likaler Missionen usw.
                 »schräg« haben sich die                                    Wenn die Selbstbezeichnung verschwindet, wer-
                                                                         den diese Dinge nicht ohne Weiteres fortbestehen,
                 Evangelikalen auch in                                   denn dann gibt es nur noch Pietisten, Charismati-
                 Deutschland präsentiert                                 ker, Freikirchler und konservative Protestanten, die
Position und Dialog              15

aber nichts mehr verbindet und die sich folglich wei-            Woran es uns
ter atomisieren. Plötzlich wären wir alle wieder sehr
klein und sehr allein. Die vielen Erfahrungen der
                                                                 gegenwärtig mangelt,
Ermutigung und Glaubensstärkung, die Möglichkei-                 sind Versöhnung
ten, mit einer gemeinsamen Stimme zum Glauben
einzuladen und gemeinsame Anliegen zu formulie-
                                                                 und Einheit sowie
ren, die geistliche Einheit, an der Generationen von             Wahrheit und Klarheit.
Müttern und Vätern gearbeitet und um die sie ge-
rungen haben, wären schneller zunichte als wir uns
vorstellen können.                                        wärtige Evangelikalen-Bashing wie ein warmer Som-
   Schlagartig wäre auch die Gemeinschaft mit den         merregen. Aber würde je ein Katholik auf die Idee
vielen evangelikalen Schwestern und Brüder im glo-        kommen, sich deshalb vom Namen seiner Kirche, sei-
balen Süden dahin, mit denen wir über mehr als 100        ner Identität und seines Glaubens zu verabschieden?
Jahre durch die Weltmissionsbewegung verbunden               Nein, ich glaube nicht, dass es Evangelikalen hel-
sind, die sich in der Lausanner Bewegung 1974 ge-         fen würde, den Namen zu wechseln – einmal ganz
funden haben, und denen die aktuellen Verirrungen         davon abgesehen, dass man es sich sowieso nicht
der amerikanischen Verwandtschaft genauso pein-           aussuchen kann, wie andere einen nennen. Der ein-
lich sind wie uns. Und nicht zuletzt: Was wäre das für    zige Weg aus dem Dilemma führt über Begriffe, die
ein Signal an die Millionen schwarzer Evangelikaler       Evangelikale gut kennen: Buße, Bescheidenheit,
in den USA und an die vielen nach wie vor aufrech-        Demut und einen besonneneren Umgang mit Wor-
ten, anständigen, rechtschaffenen aber zunehmend          ten auf allen Kanälen, insbesondere in den sozialen
verzweifelten Evangelikalen, die gerade jetzt unser       Netzwerken. Gleichzeitig brauchen wir auch klare
Gebet brauchen und nicht unsere naserümpfende             Worte, dass wir mit manchen Stilblüten des welt-
Abkehr?                                                   weiten Evangelikalismus wie z. B. dem Wohlstands-
                                                          evangelium einer Paula White oder eines Kenneth
Die Last des Geschehenen wird man nicht                   Copeland nichts, aber auch gar nichts zu tun haben.
durch einen neuen Namen los
                                                          Wir brauchen vor allem eines: Zeit!
Die entscheidende Frage ist aber, ob so ein Etiketten-
wechsel der richtige Weg ist, um mit einer belasten-      Woran es uns gegenwärtig mangelt, sind Versöhnung
den Geschichte umzugehen. War es jemals der Weg           und Einheit sowie Wahrheit und Klarheit. Nun las-
christlicher Seelsorge, einem Menschen, der sich im       sen sich diese Dinge nicht einfach machen, sondern
Leben verirrt hat, den Rat zu geben, einfach den Na-      sie werden immer nur geschenkt und dazu brauchen
men zu ändern, um mit den Lasten der Vergangen-           wir vor allem eines: Zeit!
heit fertig zu werden? Kann man ein Image einfach            Der alttestamentliche Prediger war ein weiser
ablegen, indem man sich einen neuen Namen sucht?          Mensch als er schrieb: »Ein jegliches hat seine Zeit
Nehmen wir einmal für einen kurzen Moment an,             und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Zeit
das wäre möglich, wie sollte dieser Name denn dann        … pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt
lauten?                                                   ist, hat seine Zeit … abbrechen hat seine Zeit, bauen
   Vielleicht hilft hier ein kurzer Seitenblick auf un-   hat seine Zeit … zerreißen hat seine Zeit, zunähen
sere katholischen Schwestern und Brüder. Deren Si-        hat seine Zeit … Streit hat seine Zeit, Friede hat sei-
tuation nach den schier endlosen Missbrauchsskan-         ne Zeit« (Pred 3,1-8). Auch der »Aufbruch der Evan-
dalen der letzten Jahre und den quälenden und nicht       gelikalen« (so Fritz Laubachs Buch von 1972) hatte
selten misslungenen Versuchen der Aufarbeitung            seine Zeit und ihre Neuformierung nach dem großen
ist noch viel prekärer als das evangelikale Desaster      Streit wird auch ihre Zeit haben. Wir werden diese
                        in den USA. Gegenüber dem         Zeit brauchen – und noch dazu viel Geduld.           V
                         Shitstorm, den die Katholiken
                         gerade erleben, ist das gegen-

                                                                           der autor:
                          Vor fast 50 Jahren                               Prof. Dr. Volker Gäckle
                          formulierte der frühere                          ist Rektor der Internationale Hochschule
                          Vorsitzende der Evan-                            Liebenzell (IHL), Pfarrer der Württem-
                          gelischen Allianz, Fritz                         bergischen Landeskirche und Mitglied
                          Laubach, die erste                               des Vorstandes der ChristusBewegung
                          Programmschrift der                              Lebendige Gemeinde
                          deutschen Evangelikalen
16       Synode aktuell

     Bischofsbericht »Komm,
     weite den Blick ...«
                                           Frühjahrssynode
     In Anlehnung an die zwölf EKD-
     Leitsätze »Hinaus ins Weite...« be-
     fasste sich Landesbischof Dr. h.c.    Behutsam
                                           prüfen,
     Frank Otfried July in seinem Bi-
     schofsbericht »Komm, weite den
     Blick ...« mit der Zukunft der Kir-
     che. Dabei ging er auf die einzel-

                                           dann aber
     nen Leitsätze ein und forderte, ein
     EKD-Kompetenzzentrum Digita-
     lisierung mit Schwerpunkt im Be-

                                           entscheiden
     reich E-Learning in Württemberg
     einzurichten.

                                           Die Frühjahrssynode tagte am 19. und
                                           20. März 2021 erneut »hybrid«, sowohl
                                           im Hospitalhof in Stuttgart wie auch
                                           digital. Alle Anwesenden wurden einem
                                           Schnelltest unterzogen. Neben dem
                                           Bischofsbericht zu den EKD-Leitsätzen,
                                           waren der Bericht des Sonderausschus-
     Dekan Gunther Seibold beim            ses zur inhaltlichen Ausrichtung, das
     Gesprächskreisvotum für die LG
                                           digital vermittelte Abendmahl und das
     Der Bernhäuser Dekan Gunther
                                           Klimaschutzkonzept der Ev. Landeskirche
     Seibold bestärkte im Gesprächs-       zentrale Themen der Synodaltagung.
     kreisvotum der Lebendigen Ge-
     meinde (LG) nochmals den Leit-
     satz der »Mission« und warb da-
     für, die Verschiedenheit der Ge-
     meindeprägungen in Württem-
     berg als Reichtum zu begreifen.
     In der Aussprache benannte Mi-
     chael Schneider (LG) Defizite in
     der digitalen Präsenz der Kirche
     und forderte, auch den digitalen
     Verkündigungsauftrag verstärkt
     wahrzunehmen. In diesem Sinne
     begrüßte Tobias Geiger (LG) die
     Forderung nach einem Kompe-
     tenzzentrum Digitalisierung. Er
     freue sich aber noch mehr, wenn
     unsere Landeskirche auch zu ei-
     nem Kompetenzzentrum für dialo-
     gische Kommunikation des Evan-
     geliums werden würde.
Synode aktuell           17

Sonderausschuss für                  Dekan Siegfried Jahn (LG) beton-
                                                                             Pfarrerin Maike

                                                                                                                       ©elk-wue.de
inhaltliche Ausrichtung und          te in der Aussprache die Wichtig-
                                                                             Sachs berichtete für
Schwerpunkte                         keit der freien Werke und Dienste
                                                                             den Sonderausschuss
Für den in der Sommersynode          mit ihrer diakonischen, missiona-
                                                                             für inhaltliche
2020 einberufenen »Sonderaus-        rischen und gemeinschaftsbilden-
                                                                             Ausrichtung und
schuss für inhaltliche Ausrich-      den Arbeit. Darum beantragte er,
                                                                             Schwerpunkte
tung und Schwerpunkte« gab Mai-      diese als eigenes Kriterium zu be-
ke Sachs (LG) als stellvertretende   nennen, da sie bei vergleichswei-
Ausschussvorsitzende einen ers-      se geringen Zuwendungen einen
ten Bericht. Vor dem Hintergrund     hohen Mehrwert für die Landes-
sinkender Kirchenmitgliedszah-       kirche haben. Daran anknüpfend
len und Kirchensteuereinnahmen       regte Pfarrer Thomas Stuhrmann
erarbeitet der Ausschuss in Ab-      (LG) an, bei kirchlichen Arbeitsfel-
sprache mit dem Oberkirchenrat       dern über engere Kooperationen         Rainer Köpf (LG) machte sich für
Kriterien, mit denen die künftig     mit freien Werken nachzudenken         die Kirchenmusik stark. Sie sei für
knapperen Ressourcen und kirch-      und Kompetenzen zu übertragen,         die kirchliche Praxis grundlegend
lichen Handlungsfelder priorisiert   statt sie aufzugeben, sollten die      und eine wichtige Form der Kom-
werden.                              Ressourcen knapp werden. Pfarrer       munikation des Evangeliums.

                                                                                                                   ©elk-wue.de
18            Synode aktuell

                                                                                                       Aktuelle Stunde

                                                                                      ©Tobias Geiger
                                                                                                       In der aktuellen Stunde wurden
                                                                                                       zwei Themen diskutiert. Die erste
                                                                                                       halbe Stunde befasste sich mit dem
                                                                                                       Thema »Neue Egoismen. Wie die
                                                                                                       Pandemie unser Miteinander ver-
                                                                                                       ändert und was die Aufgabe der
                                                                                                       Kirche ist«. Maike Sachs brachte
                                                                                                       die Sorge zum Ausdruck, dass sich
                                                                                                       Distanzierungen und Abgrenzun­
                                                                                                       gen zunehmend verfestigten. Dem
                                                                                                       stellte sie den Gedanken Martin
                                                                                                       Luthers gegenüber: »Wenn mein
                                                                                                       Nächster mich aber braucht, so
                                                                                                       will ich weder Ort noch Person
                                                                                                       meiden, sondern frei zu ihm ge-
                                                                                                       hen und helfen.«
                                                                                                       Egoismus komme durch Existenz-
                                                       Die LG-Synodalen                                ängste zutage, wurde mehrmals
                                                       Thomas Stuhrmann (oben)                         betont. Diese müssen wahrge-
                                                       und Siegfried Jahn (links)                      nommen werden »nicht verurtei-
                                                                                                       lend – sondern so wie Jesus mit
                                                       über das digitale Abendmahl und                 Martha umging«, so Rainer Köpf.
                                                       benennt die wesentlichen Aspekte                Die Botschaft Jesu Christi sei eine
                                                       einer Abendmahlsfeier. Der stell-               hoffnungsvolle, die gerade jetzt
                                                       vertretende Vorsitzende des theo-               immer wieder betont werden und
©Tobias Geiger

                                                       logischen Ausschusses, Steffen                  dem Miteinander helfen könne.
                                                       Kern (LG), warb dafür, theologisch
                                                       sorgsam zu reflektieren, behut-
                                                       sam zu prüfen, dann aber auch zu
                                                       entscheiden. Dabei appellierte er
                 Digital vermitteltes                  an die evangelische Freiheit: »Wir
                 Abendmahl                             dürfen das Abendmahl nicht mit
                                                       Zäunen und Verboten belegen,
                 Seit Ostern 2020 ist die Möglich-     sondern wir brauchen die Frei-
                 keit eines digital vermittelten       heit, es verantwortlich zu feiern.«
                 Abendmahls nicht nur im theolo-       Die Erfahrungen damit seien so
                 gischen Ausschuss Dauerthema.         positiv, dass wir es verantwortet
                 Im Februar fand hierzu ein syn-       wagen sollten, so Kern. Rainer
                 odaler Studientag statt, der das      Köpf unterstrich die seelsorgerli-
                 Thema aus unterschiedlichen Per-      che Verantwortung. Es brauche in
                 spektiven beleuchtet hat. Hellger     der gegenwärtigen Notsituation
                 Koepff, Vorsitzender des theolo-      Ausnahmen von den bestehenden
                 gischen Ausschusses, gab auf der      Regeln, um die seelsorgerliche Si-
                 Frühjahrssynode einen ausführ-        tuation in den Gemeinden ernst
                 lichen Bericht über den aktuellen     zu nehmen.
                 Diskussionsstand. »In vielem ste-        Die Synode hat hierzu mehrere
                 hen wir am Anfang eines Such-         Anträge verabschiedet, die den
                 und Klärungsprozesses, der nicht      Oberkirchenrat bitten, sich mit
                 auf Württemberg begrenzt ist«,        dem Thema weiterhin zu befassen,
                 resümierte Koepff die kontroverse     die Kirchengemeinden über den
                 Diskussion, die nicht entlang kir-    aktuellen Beratungsstand zu infor-
                 chenpolitischer Linien verlaufe. In   mieren und die Feier des Online-
                 der Aussprache war auch der aktu-     Abendmahls zum Osterfest in
                 elle Osterbrief des Landesbischofs    diesem Jahr als pandemisch be-
                 Thema. Darin informiert July die      dingte Ausnahmesituation zu er-
                 Gemeinden über die Diskussionen       möglichen.
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