Zwei Welten Die Fortschritte bei der Anerkennung von Sinti und Roma als Opfer des Nationalsozialismus

Die Seite wird erstellt Elisa Haag
 
WEITER LESEN
Zwei Welten Die Fortschritte bei der Anerkennung von Sinti und Roma als Opfer des Nationalsozialismus
Zwei Welten
Die Fortschritte bei der Anerkennung   und
von Sinti und Roma als Opfer des       die fortgesetzte systematische Erfassung der
Nationalsozialismus                    Minderheit
Zwei Welten Die Fortschritte bei der Anerkennung von Sinti und Roma als Opfer des Nationalsozialismus
Impressum

Weiß, Arnold / Weinrich, Boris /

                                                                        © M. Terfloth 2018.
Terfloth, Moritz / Michelsen, Jakob:
Zwei Welten. Die Fortschritte bei der Anerken-
nung von Sinti und Roma als Opfer des National-
sozialismus und die fortgesetzte systematische
Erfassung der Minderheit. Herausgegeben von
Arnold Weiß im Auftrag des Landesvereins der
Sinti in Hamburg e. V.                             Gefördert von der
                                                  Landeszentrale für
www.landesverein-hamburg.de                        politische Bildung
                                                            Hamburg.

© Landesverein der Sinti in Hamburg e. V. 2019
Zwei Welten Die Fortschritte bei der Anerkennung von Sinti und Roma als Opfer des Nationalsozialismus
V
Vorwort

Die Aufgaben des Landesvereins der Sinti in Ham-                                                                                Im Jahr 2018 müssen durchschnittliche Arbeit-
burg sind vielfältig. Neben der Hilfe und Unterstüt-                                                                            nehmer fürchten, dass die Zuordnung ihres Fami-
zung für unsere Leute steht auch die Öffentlich-                                                                                liennamens zu einer Sintifamilie ihnen Nachteile
keitsarbeit, um die Mehrheitsgesellschaft über die                                                                              bereiten könnte. Der auch ohne unsere Hilfe ent-
Geschichte und das heutige Leben der Sinti aufzu-                                                                               standene Artikel auf ‚Spiegel online‘ (www.spiegel.
klären – in der Hoffnung, dass Aufklärung schließ-                                                                              de/karriere/sinti-und-roma-alles-ist-besser-als-ein-
lich auch zum Abbau von Diskriminierung und Vor-                                                                                zigeuner-zu-sein-a-1193918.html) bestätigt dies in
urteilen führt.                                                                                                                 vollem Umfang.

So wandte sich im Februar 2018 zum Beispiel die                                                                                 Warum ist das so?
Redaktion von ‚Spiegel online‘ an uns, um für einen
Artikel über Sinti in der Arbeitswelt zu recherchie-                                                                            1982 erklärte der damalige Bundeskanzler, Hel-
ren. Wir wurden gefragt, ob es in unseren Reihen                                                                                mut Schmidt, erstmals nach dem Völkermord,
Menschen gibt, die einer Arbeit in einem Anstel-                                                                                dass es sich bei den nationalsozialistischen Ver-
lungsverhältnis in einer Firma oder Ähnlichem                                                                                   brechen gegen die Sinti und Roma um eine
nachgehen. Ja! Die gibt es. Ob es denn möglich                                                                                  Verfolgung aus rassistischen Gründen und
wäre, für einen Artikel, der darstellen sollte, welche                                                                          nicht um „Kriminalprävention“ gehandelt habe.
negativen Effekte es hat, wenn Arbeitgeber eine                                                Helmut Schmidt auf dem SPD-      Es wurde anerkannt, dass die systematische
                                                                                                  Parteitag in München, 1982.
Verbindung zwischen ihrem Angestellten und der                                                                                  Registrierung, Ausgrenzung, Internierung, medi-
Minderheit der Sinti herstellen, Ansprechpartner zu                                                                             zinische Folter, Deportation, Lagerhaft und der
gewinnen, die – selbstverständlich anonymisiert –                                                                               Massenmord an hunderttausenden von Menschen
über ihre Angst berichten, „enttarnt“ zu werden.                                                                                ausschließlich aufgrund willkürlicher rassistischer
                                                                                                                                Kriterien wie Familienzugehörigkeit und Herkunft
                                                         © BuArch, B 145, Bild F062763-0002.

Eine Umfrage unter unseren Leuten ergab: Trotz                                                                                  erfolgten.
der zugesicherten Anonymisierung wollte niemand
das Risiko eingehen, möglicherweise von seinem                                                                                  Und doch hat Dr. Hermann Arnold als Schlüsselfi-
Arbeitgeber als Sinto erkannt zu werden.                                                                                        gur die systematische Erfassung aller Aspekte des
                                                                                                                                Lebens von Menschen, die er der Minderheit zu-
                                                                                                                                rechnete von der Nachkriegszeit nachweislich bis
4                                                                                                                                                                                      5
Zwei Welten Die Fortschritte bei der Anerkennung von Sinti und Roma als Opfer des Nationalsozialismus
Vorwort                                                                  Einleitung
2005 im wissenschaftlichen Umfeld und mit hoher                                       Der Landesverein der Sinti in Hamburg e. V. be-
Anerkennung und Unterstützung zahlreicher Be-                                         fasst sich im Rahmen seiner Aufgaben als Inter-
hörden und Institutionen fortgesetzt.                                                 essenvertretung auch mit der Aufarbeitung der
                                                                                      Geschichte der Verfolgung, Ausgrenzung und Dis-
Es ist uns als Landesverein, aber auch mir ganz                                       kriminierung der Sinti. Im Rahmen der Recherchen
persönlich als Angehöriger einer Familie, der seit                                    zur Geschichte der Hamburger Sinti ist Arnold Weiß
Jahrhunderten Misstrauen und Feindschaft entge-                                       auf umfangreiches Material zur „Tsiganologie“ des
gengebracht wurde und wird, ein Anliegen, diesen                                      Arztes Hermann Arnold gestoßen. Es besteht eine
offensichtlichen Widerspruch zwischen Anerken-                                        Verbindung zwischen Arnold und Robert Ritters
nung des geschehenen Unrechts und Fortführung                                         Rassenhygienischer Forschungsstelle, deren Mit-
der Erfassung und Beforschung der Minderheit                                          arbeiterinnen und Mitarbeiter unter anderem Sinti
aufzuzeigen.                                                                          in Hamburg beforscht und gequält haben und de-
                                                                                      ren Forschungen die Grundlage für die anschlie-
Nur wenn wir uns allen Aspekten der gesellschaft-                                     ßend erfolgten Deportationen bildeten.
lichen Anerkennung wie der fortgesetzten Aus-
grenzung stellen, können wir gemeinsam Unrecht                                        Hermann Arnold hat dann nach 1945 als Amts-
überwinden und uns über widerfahrenes Unrecht                                         und Gefängnisarzt die systematische Erfassung
austauschen.                                                                          und rassistische Kategorisierung der Sinti unter
                                                                                      dem wissenschaftlichen Dach der so genannten
                                                                                      „Tsiganologie“ im Rahmen zahlreicher Veröffentli-
Arnold Weiß, 1. Vorsitzender des Landesvereins der                                    chungen fortgesetzt. Arnold wurde als Gutachter
                              Sinti in Hamburg e. V.                                  von Gerichten, kommunalen, Landes- und Bun-
                                     Dezember 2018                                    desbehörden herangezogen und hat mit seiner
                                                                                      Arbeit, die von ihm bis 2005 fortgesetzt wurde, das
                                                                                      genetisch-rassistisch begründete Zerrbild von den
                                                                                      der Bevölkerungsgruppe der Sinti zugeschriebe-
                                                       © A. weiß 2018.

                                                                                      nen negativen Eigenschaften bis heute nachhaltig
                                                                                      geprägt.

6                                                                                                                                           7
Zwei Welten Die Fortschritte bei der Anerkennung von Sinti und Roma als Opfer des Nationalsozialismus
Einleitung
Im Verlaufe vieler Informationsveranstaltungen hat      Der vorliegende Text stellt als Vorabveröffentli-
der Landesverein in den zurückliegenden Jahren          chung auf der Homepage des Landesvereins den
die Erfahrung gemacht, dass eine Konfrontation          ersten Baustein von „Zwei Welten“ dar. Hier sollen
des Publikums mit Kontinuitäten rassistischer Ein-      erste Ergebnisse und Schlüsse aus den Recher-
stellungen gegenüber Sinti – insbesondere auch im       chearbeiten vorgestellt werden.
Bereich von Staat und Verwaltung – über 1945 hin-
aus in Diskussionen häufig abgewehrt und schwer         Im Rahmen der weiteren Bearbeitung soll dann bis
akzeptiert wird. Immer wieder werden die Befunde        Ende 2019 in Zusammenarbeit mit der Landeszen-
zum Andauern rassistischer Einstellungen gegen-         trale für politische Bildung Hamburg eine umfang-
über Sinti beispielsweise bei der Polizei, in Schulen   reiche Broschüre (gedruckt und online) entstehen.
oder in Sozialdienststellen negiert, indem auf die      Darüber hinaus werden die Ergebnisse und Aus-
Erfolge der letzten Jahre in der Erinnerungskultur      schnitte aus dem umfangreichen Material auch auf
zum Holocaust an den Sinti verwiesen wird.              Vortragsveranstaltungen präsentiert werden.

Zwei Welten                                             Im Zentrum der Broschüre und der Präsentationen
                                                        soll die Gegenüberstellung beider Entwicklungsli-
Diesem Dilemma will der Landesverein mit die-           nien stehen. Auf der einen Seite stehen die einzel-
ser Publikation entgegentreten. Die Beurteilung         nen Schritte zur Anerkennung als vom Nationalso-
der vielfältigen Geschichte der Minderheit lässt        zialismus verfolgte Minderheit. Hier werden sowohl
sich nicht auf die scheinbar einfache Frage, ob der     die Besetzungen in den Gedenkstätten Dachau
Völkermord anerkannt sei oder nicht, herunter-          und Neuengamme dargestellt als auch die zent-
brechen. Die Lebensrealität jenseits der Gedenk-        ralen politischen Beschlüsse und Reden sowie die
tafeln und Mahnmale wird bei weitem stärker von         zögerliche Entstehung von Mahn- und Gedenk-
Haltungen und Handlungsanweisungen in Ämtern            stätten, wie in Berlin und Hamburg. Genauso gilt
und Behörden geprägt als von den engagierten            es die Anerkennung der Sinti als verfolgte Minder-
und aufklärenden Ansprachen zu spezifischen Ge-         heit im Rahmen von Staatsverträgen auf Bundes-
denktagen.                                              länderebene als Form der „Wiedergutmachung“
                                                        zu beleuchten.

8                                                                                                             9
Zwei Welten Die Fortschritte bei der Anerkennung von Sinti und Roma als Opfer des Nationalsozialismus
Einleitung                                                                             Hermann Arnold
Am Beispiel Arnold wird deutlich, wie einfach die                                               Obermedizinalrat Dr. Hermann Arnold, geboren am
Arbeit der Akteure der „Rassenhygiene“ jahrzehn-                                                18. April 1912 in Alsenz, gestorben am 28. Novem-
telang zielgerichtet Institutionen prägte. Eine Arbeit                                          ber 2005 in Landau/Pfalz, war ein geachteter Bür-
auf deren Grundlage die Ermordung von mehr als                                                  ger in seiner Heimatgemeinde Landau, seit 1945
500.000 als „zigeunerisch“ definierten Menschen                                                 Amtsarzt und Leiter des örtlichen Gesundheitsam-
stattfand und die nach der Befreiung durch die Al-                                              tes der Stadt bis 1974.
liierten weitgehend ungebrochen im wissenschaft-
lich-behördlichen System verankert war. Dabei                   Es sind nur wenige
                                                         Abbildungen der Person
                                                                                                Sein durchgehender Interessen- und Arbeits-
liegt ein besonderes Augenmerk auf den prakti-           Hermann Arnold überlie-
                                                         fert. Beschriftung: „Zirkus            schwerpunkt waren „die Zigeuner“. Diese Passion
                                                            Bügler (Alsenborn) ca.
schen Folgen für die Lebensrealität der betroffe-            1965 unterwegs. (Ge-               nahm einen Großteil seines Arbeitens und seiner
                                                             spräch mit H. Arnold)“
nen Menschen.                                                                                   Lebenszeit ein. Arnold war neben seinen Amts-
                                                                                                geschäften auch außerplanmäßiger Professor
                                                                                                für Sozialhygiene an der Universität Saarbrücken
                                                                                                und, unterstützt vom Bundesinnenministerium,
                                                                                                als „Fachmann für Nichtsesshafte“ an der Deut-
                                                                                                schen Akademie für Bevölkerungswissenschaft
                                                                                                tätig. Ein Umstand, den vermutlich nur wenige
                                                                                                seiner Zeitgenossen kannten, war Arnolds selbst
                                                                                                gewählte Aufgabe als Hüter der umfangreichsten
                                                                                                Datensammlung über die in Deutschland leben-
                                                                                                den Minderheiten der Sinti, Jenischen und Roma,
                                                                                                die er in geistiger und faktischer Nachfolge von
                                                                                                Dr. Dr. Robert Ritter, 1936–1945 Leiter der Rassen-
                                                                                                hygienischen Forschungsstelle (RHF) des Reichs-
                                                                                                gesundheitsamts, nach Kriegsende fortführte und
                                                                                                verwaltete.
                             © BuArch, ZSG 142/2.

                                                                                                Eine Sammlung, die für viele der Beschriebenen
                                                                                                während des Naziregimes das leidvolle Lebens-

10                                                                                                                                                    11
Zwei Welten Die Fortschritte bei der Anerkennung von Sinti und Roma als Opfer des Nationalsozialismus
Hermann Arnold
ende bedeutete und nach dem Krieg die Aus-              von Arnold selbst Zeit seines publizistischen Wir-
grenzung in staatlich anerkannte Richtungen kana-       kens verbreiteten verallgemeinernden Zuschrei-
lisierte.                                               bungen von negativen Eigenschaften an die Grup-
                                                        pe der Sinti, Roma und Jenischen beeinflusst war,
Über Hermann Arnolds Aktivitä-                          sollte noch überprüft werden.
ten vor 1945 ist wenig bekannt. Er
schloss sein Medizinstudium 1936                                       Schriftliche Nachweise für eine
an der Militärärztlichen Akademie                                      formale Zusammenarbeit Arnolds
in Berlin ab und promovierte 1937                                      mit der RHF sind bislang nirgends
über die Folgen des Einsatzes                                          belegt. Die Durchsicht des Nach-
von Giftgas. Soweit bekannt, ver-                                      lasses von Hermann Arnold im
brachte er die folgenden Jahre                                         Bundesarchiv hat einen regen Aus-
bis zum Ende des Kriegs in der                                         tausch Arnolds mit den ehemaligen
Wehrmacht als Militärarzt.                                             Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
                                                                       der RHF, unter anderem Eva Justin
Es gab in den 1980er Jahren juristische Anstren-                       und Sophie Ehrhardt, aufgezeigt.
gungen des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma,                       Sämtliche persönliche Korrespon-
Arnolds Beteiligung an den Erfassungen der Sinti,                      denz, die sich bislang im Nachlass
Roma und Jenischen durch die RHF in den Vor-                           gefunden hat, datiert allerdings aus
kriegsjahren nachzuweisen. Den vorgebrachten                           der Zeit nach 1945. Einige Schrei-
Aussagen verschiedener Zeuginnen und Zeugen,                           ben lassen aber zumindest länger
laut derer Arnold als junger Arzt 1938 Robert Rit-                     zurückliegende Kontakte Arnolds
ter bei einer Erfassungsaktion in der Pfalz begleitet                  mit Robert Ritter vermuten. In je-
hatte, wurde seinerzeit kein Glauben geschenkt,                        dem Fall ist Arnold erkennbar ein
und weitere strafrechtliche Untersuchungen der                         voll akzeptierter Korrespondent,
Vorwürfe, Arnold habe sich an den Aktionen der                         dessen Interessen mit denen Jus-
RHF beteiligt, wurden nicht unternommen. Inwie-                        tins und Ritters übereinstimmten.
weit die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeu-                      So schreibt Eva Justin am 26.3.1953
ginnen und Zeugen durch die maßgeblich auch                            an Hermann Arnold:

12                                                                                                            13
Zwei Welten Die Fortschritte bei der Anerkennung von Sinti und Roma als Opfer des Nationalsozialismus
Hermann Arnold                                            Der Nachlass Arnold im Bundesarchiv

Sehr geehrter Herr Dr. Arnold!

Ihr Brief mit der Anfrage nach den Landfahrern hat mir
grosse Freude bereitet. Ich bin selbstverständlich gern
bereit, Ihnen mit unseren Unterlagen zu helfen. Gerade
aus der Pfalz habe ich noch reichlich Material da. Die
Sippen wurden damals von unseren Fürsorgerinnen
zusammengestellt, sie werden Ihnen gute Dienste leis-
ten. Ich werde Ihnen die Unterlagen in den Ostertagen
schicken.                                                           Die umfangreiche Materialsammlung der RHF, in
                                                                    der sich auch tausende Gutachten befanden, die
Heute nehmen Sie schon einmal den Menschenschlag*,                  die Grundlage für Verfolgung, Deportation und Er-
den ich Ihnen überlasse.                                            mordung der Begutachteten bildeten, ist nach der
                                                                    Befreiung am 8. Mai 1945 keiner geregelten Siche-
Haben Sie nicht früher schon einmal mit Dr. Ritter kor-             rung oder gar juristischen Aufbereitung zugeführt
respondiert?                                                        worden. Die Rekonstruktion der Wege, die einzel-
                                                                    ne Teile dieses Bestands genommen haben, zeigt
Ihr Name ist mir nicht fremd!                                       deutlich, dass es im Umgang mit dem gesammel-
                                                                    ten Material vor allem um die Weiternutzung zur
                                                                    polizeilichen Verfolgung und zu rassistisch mo-
                                                                    tivierten Forschungszwecken ging. Teile wurden
(BuArch ZSG 142/22.)
                                                                    in der später wegen Verfassungswidrigkeit ge-
                                                                    schlossenen Landfahrerzentrale des Bayerischen
                                                                    Landeskriminalamts weiter genutzt, andere Teile
                                                                    für die Nachkriegskarrieren ehemaliger Mitarbei-
                                                                    terinnen der RHF – wie z. B. von Sophie Ehrhardt
                                                                    am Anthropologischen Institut der Universität Tü-
*) Hier gemeint ist das Buch „Ein Menschenschlag“                   bingen. Hermann Arnold hatte sich ebenfalls in den
von Robert Ritter, 1937.                                            Besitz zahlreicher Unterlagen der RHF gebracht

14                                                                                                                       15
Zwei Welten Die Fortschritte bei der Anerkennung von Sinti und Roma als Opfer des Nationalsozialismus
Der Nachlass Arnold im Bundesarchiv
und diese systematisch im Rahmen seiner fortge-                                                             Die nur auf nachdrückliches Betreiben
führten Sammlung und Forschung erweitert und                                                                des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma
ergänzt. Darüber hinaus stand er im Austausch mit                                                           veranlassten Hausdurchsuchungen unter
anderen, die Teile des Bestands verwahrten, und                                                             anderem bei Ehrhardt und Arnold führten
Arnold übernahm die Akten aus München, als die                                                              ebenfalls nicht zur Entdeckung weiteren
Landfahrerzentrale sie abgeben musste.                                                                      Materials aus der RHF. Allerdings übergab
                                                                                                            und verkaufte Hermann Arnold in den
Erst mit Beginn der Bürgerrechtsbewegung der                                                                folgenden Jahren und Jahrzehnten sei-
Sinti und Roma ab den 1970er Jahren wurde, mit                                                              ne Bestände dem Bundesarchiv, wo sie
zunächst geringen Erfolgen, versucht, auf die un-                                                           als „Sammlung Arnold“ vorliegen und seit
haltbaren Zustände um die Überlieferungen der                                                               seinem Tod zur Nutzung zur Verfügung
RHF hinzuweisen und sie schließlich zu ändern.                                                              stehen.
Eine große Menge ehemaliger RHF-Akten fand
schließlich 1980 den Weg ins Bundesarchiv – zu-                                                             Die Projektgruppe war zwischenzeitlich
mindest die Bestände, deren Herkunft eindeutig                                                              zweimal im Bundesarchiv Berlin und hat
der RHF zugeordnet werden konnte. Von den ur-                                                               dort den über hundert Akten umfassen-
sprünglich einmal vorhandenen Akten und Materi-                                                             den Bestand aus dem Nachlass gesichtet.
alien der RHF ist allerdings nur ein Teil überliefert.                                                      Weitere Recherchen, auch in anderen Ar-
Zahlreiche Unterlagen dürften aus persönlichen                                                              chiven, sind geplant. Für Menschen, deren
Interessen heraus von den damaligen Mitarbeite-                                                             Arbeit normalerweise in Hilfestellungen
rinnen und Mitarbeitern der RHF vernichtet worden                                                           und Unterstützung besteht, ist es fast eine
sein. Auch wenn die Beteiligten in zahlreichen Äu-                                                          Zumutung, sich die Hinterlassenschaften
ßerungen stets jede juristische Schuld an der Er-                                                           des selbst ernannten „Zigeunerexperten“
mordung hunderttausender Sinti und Roma weit             BuArch R 165.   „Rassengutachten“ von Robert
                                                                                                            Arnold genauer anschauen zu müssen.
von sich wiesen, sind Fehlstellen im Bestand dort,                         Ritter aus der Zeit 1940-1945,
                                                                          Das Jahr wurde in der Durch-
                                                                                                            Mit überakribischer Sammelwut und ei-
wo sich mutmaßliches belastendes Material hätte                             schrift nicht mit übertragen.
                                                                                                            ner die betroffenen Menschen – bildlich
finden lassen.                                                                                              gesprochen – in ihre letzten Bestandteile
                                                                                                            zerlegenden Systematik und Verschlag-
                                                                                                            wortung hat Arnold über 50 Jahre alles

16                                                                                                                                                        17
Zwei Welten Die Fortschritte bei der Anerkennung von Sinti und Roma als Opfer des Nationalsozialismus
Der Nachlass Arnold im Bundesarchiv                                                                 Einblicke in die Akten
über als „zigeunerisch“ etikettierte Menschen ge-                                                              Eine umfassende Auswertung des Bestands
sammelt und kommentiert, was ihm irgendwie in                                                                  „Sammlung Arnold“ im Bundesarchiv Berlin und
die Finger kam. Neben den weiter verwendeten                                                                   weiterer Archivbestände würde den Rahmen der
Materialien der RHF hat er Korrespondenzen, Zei-                                                               vorliegenden Publikation bei weitem sprengen.
tungsausschnitte, Flugblätter, Veranstaltungsan-                                                               Die dafür benötigten Kapazitäten übersteigen die
kündigungen und noch viel mehr gesammelt, aus-                                                                 der Projektgruppe. Insbesondere die systemati-
gewertet und publiziert.                                                                                       sche wissenschaftsgeschichtliche Wirkung Her-
                                                                                                               mann Arnolds und seine Rezeption sind auch be-
Die Auseinandersetzung mit der                                                                                 reits Thema einer in Veröffentlichung befindlichen
Biographie Hermann Arnolds, sei-                                                                               diskursanalytischen Dissertation des Historikers
nen Hinterlassenschaften und sei-                                                                              Christian Kelch.
ner Fortführung der genealogischen
Erfassung der Minderheit der Sinti,                                                                            Zur Verdeutlichung, welche Wirkungsmacht und
Roma und Jenischen durch die RHF                                                                               Bedeutung die Tätigkeit Hermann Arnolds sowohl
lässt auf mutmaßlich 66 Jahre akri-                                                                            für die betroffenen Menschen als auch für diver-
                                                                      Gedenktafel am Standort der
bische Forschungstätigkeit – von                                        ehemaligen RHF in Berlin.              se Institutionen der Bundesrepublik hatte, werden
der angenommenen Beteiligung an                                                                                nachfolgend beispielhaft drei Aspekte anhand von
Erfassungen in der Pfalz 1938 bis                                                                              Aktenfunden aus dem Bundesarchiv aufgezeigt:
zu seinem letzten Manuskript von
2004 – zu Lasten der Volksgruppe                                                                               Namen und Familien, Polizei und Justiz sowie
blicken. Das hartnäckige Festhal-                                                                              Gedenken und Politik.
ten an überkommenen Vorurteilen
und rassistischen Perspektiven auf
„Zigeuner“ in der Bundesrepublik
wurde maßgeblich von Hermann
                                      © gedenkorte/sintiundroma.de.

Arnold besimmt.

Boris Weinrich, Moritz Terfloth

18                                                                                                                                                                  19
Namen und Familien
In der „Sammlung Arnold“ sind unter ande-     nung des Bundesentschädigungsgesetzes
rem zahlreiche Briefe und Schriftwechsel      nun versuchte, für einen Antrag benötigte
erhalten. Unter diesen Briefen fallen immer   Angaben von Arnold zu erhalten:
wieder Schreiben von ehemals Verfolgten
oder ihren Angehörigen auf. Nachdem die       „Hochverehrter Herr Professor, Sie sind auf
systematische Erfassung der Menschen, die     Grund Ihrer Forschungen der einzige, der mir hel-
nach der Systematik der RHF als „zigeune-     fen könnte selbst dann noch, wenn das Latein
rische Personen“ galten, die Grundlage für    der Behörden am Ende ist. Es bleibt mir daher
                                              nichts anderes übrig als Sie zu bitten, mir Aus-
deren Internierung, Deportation und Ermor-
                                              kunft zu geben hinsichtlich des Geburtsdatums
dung gelegt hatte, verfügte Arnold nach
                                              und Geburtsorts – soweit möglich – über meine
1945 mit dem Aktenbestand der RHF über        Angehörigen und über mich selbst und zwar über
einen einzigartigen Datenbestand, um Aus-     meine Mutter Leja Z. geb. ca. 1899 † in Auschwitz,
künfte über Verwandtschaftsverhältnisse       mein Vater August M. geb. ca. 1893 † in Buchen-
und Lebensdaten der Verfolgten geben zu       wald, über mich selbst ich soll am 22.1.22 in Mag-
können. Offenbar war dieser Umstand nicht     deburg-Buckau geboren sein, mein Bruder Josef
nur denjenigen bekannt, mit denen Arnold      geb. ca. 1937 † in Auschwitz, meine Schwester
in Fortführung der Ziele der RHF im Aus-      Claudia M. geb. ca. 1937 † in Auschwitz und mei-
tausch stand – wie Eva Justin. Auch in der    ne Tante Trudchen Z. angeblich geb. 22.3.22 in
Minderheit hatte sich herumgesprochen,        der jetzigen Ostzone.
dass beispielsweise für Entschädigungs-
                                              Um Ihnen das Auffinden der genannten Personen
fragen dringend benötigte Angaben bei Ar-
                                              zu erleichtern, füge ich in der Anlage einen selbst
nold zu finden waren.
                                              gebastelten reichlich vertrockneten und zusam-
                                              mengeschrumpften Stammbaum der Familie Z.
Am 21. November 1968 wandte sich Elfriede     aus dem Stamme der Rom bei.
M., geborene Z., aus Hamburg an Hermann
Arnold. Das Datum lässt vermuten, dass sie    Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich der Mühe
aufgrund der erst durch ein Urteil im De-     unterziehen würden etwas über meine Angehö-
zember 1963 überhaupt ermöglichten und        rigen und mich in Ihrem Privat-Archiv zu finden
bis zum 31. Dezember 1969 befristeten Öff-    und das evtl. gefundene mir mitzuteilen.

20                                                                                                  21
Namen und Familien                                    Polizei und Justiz
Im Voraus dankend erwarte ich gespannt Ihre Antwort   Amtsarzt Arnold nutzt seine Position für
mit vorzüglicher Hochachtung                          persönliche Forschungsinteressen

+ + + (Elfriede M.)“                                  Ausschnitt aus dem amtsärztliches Gutachten
(BuArch ZSG 142/39.)                                  für den Oberstaatsanwalt beim Amtsgericht
                                                      Landau über den Beschuldigten Philipp E. vom
                                                      23.8.1956, (BuArch R 165/142.)
Der Brief wurde in Arnolds Sammlung im Bereich
der systematisch erfassten Familiennamen und          Die handschriftliche Anmerkung Arnolds
nicht in seinen Korrespondenzsammlungen ge-           auf der ersten Seite lautet transkribiert:
funden. Der von ihm oben rechts auf dem Brief ge-     „Typisch ist die Kritik- u. Urteilsschwäche
machte Vermerk „Z.“ für den Familiennamen dient       bei im übrigen verhältnismäßig guten
mutmaßlich der Sortierung und Indizierung. Der        Leistungen! Da kommt der Zigeuner he-
laut Brief mitgeschickte Stammbaum findet sich        raus!“
nicht in den Unterlagen. Es gibt keinerlei Hinweis
darauf, dass Arnold diese Anfrage jemals beant-       Hier zeigt sich sehr deutlich, wie Hermann
wortet hat. Seine Korrespondenzen enthalten in        Arnold seine Stellung als Amtsarzt syste-
der Regel eine Durchschrift seiner Antworten. Da-     matisch auf Kosten von ihm untersuchter
her muss davon ausgegangen werden, dass Frau          Menschen missbraucht hat. Er hat dieses
M. nicht weitergeholfen wurde – sie aber unfreiwil-   und mehrere ähnliche Gutachten in seiner
lig Arnolds Datenbestand bereichert hat.              amtlichen Funktion angefertigt und dann
                                                      die Durchschläge seinen genealogischen
Moritz Terfloth                                       Sammlungen einverleibt, um sie für ras-
                                                      sistische und diffamierende Forschungen
                                                      zu verwenden, sicherlich - davon können
                                                      wir ausgehen - ohne Einwilligung der be-
                                                      treffenden Personen.

                                                      Die Akten, in denen sich die Gutachten
                                                      befinden, gehören zum Bestand R 165

22                                                                                                   23
Polizei und Justiz
(Rassenhygienische und kriminalbiologische Forschungsstelle).
Den Kern dieses Bestandes bilden die erhaltenen Stammtafeln
und sonstigen genealogischen Materialien aus Ritters Institut. Ar-
nold hat diese Materialsammlung eigenständig ergänzt und wei-
tergeführt. Die Gutachten befinden sich zwischen weiteren Re-
cherchematerialien zu den betreffenden Familien, die Arnold für
seine Forschungen über die „Asozialen“ in der Pfalz erstellt bzw.
zusammengetragen hat, einschließlich neuer Stammtafeln. Die-
se Sammlungen, für die Arnold eigene Mappen anlegte, um sie
zwischen die Ritter‘schen Stammtafeln einzuordnen, illustrieren
schon durch diese Zusammenstellung exemplarisch, wie sehr Ar-
nold seine Tätigkeit als Fortsetzung der Arbeit Ritters und seines                                                     Ausriss aus einem anthropologischen
                                                                                                                                  Erfassungsbogen der RHF

Instituts sah.
                                                                       In der „Sammlung Arnold“ sind von den 1950er Jah-
Auch inhaltlich zeigt sich die gleiche biologistische/kriminalbio-     ren an bis weit in die 1980er Jahre immer wieder
logische/rassenhygienische Kontinuität. Sie kommt z. B. auch in        Schreiben an Arnold enthalten, die von verschie-
der zitierten handschriftlichen Anmerkung Arnolds zum Ausdruck:        denen Stellen der Justiz und öffentlichen Verwal-
In dem Gutachten ist keine Rede davon, dass E. „Zigeuner“ sei;         tung an ihn gerichtet wurden, um Auskunft aus den
Arnold schließt dies lediglich aus angeblichen Charaktereigen-         Genealogien der RHF zu erhalten. Den Schreiben
schaften. Ein weiteres Beispiel ist ein Dankbrief Arnolds an einen     ist zu entnehmen, dass den anfragenden Institutio-
Bürgermeister, der ihm Auskünfte gegeben hatte, vom 19.7.1961          nen offenbar bekannt war, dass er über die Daten-
(BuArch, R 165/143): „Es ist also so, wie ich vermutet hatte: Der      bestände der RHF verfügte.
von mir untersuchte D. stammt von jenischen Landfahrern ab.
Damit ist die Sache für mich vollkommen klar: Keine Aussicht auf       Die genealogischen Anfragen beziehen sich häufig
Erziehungserfolg!“ Bündiger lässt sich die Vorstellung angeblicher     auf Verwandtschaftsverhältnisse zur Klärung ei-
Erbbedingtheit von Kriminalität, angeblicher „Asozialität“ etc. kaum   nes Erbanspruchs, aber auch um etwa feststellen
auf den Punkt bringen.                                                 zu können, ob es sich bei einem Antragsteller für
                                                                       einen Personalausweis tatsächlich um einen deut-
Jakob Michelsen                                                        schen Staatsbürger handelte.

24                                                                                                                                                    25
Hamburg, 1. März 1961
Polizei und Justiz
                                               „Das Landeskriminalamt Hamburg hat mit Interesse Kennt-
In seinen im Bundesarchiv erhal-
                                               nis davon genommen, daß das Gesundheitsamt Landau für
tenen Antworten verweist Arnold                eine wissenschaftliche Auswertung Forschungsmaterial
immer wieder auf den hohen                     über Zigeuner sammelt. Leider ist das Material in Hamburg
Aufwand, den es für ihn bedeu-                 in den Jahren 1943/44 durch Kriegseinwirkungen verloren-
te, die ihm nur noch in Kleinbild-             gegangen. Das gegenwärtige Material, welches in der Zwi-
filmen vorliegenden Genealogien                schenzeit hier gesammelt und zusammengestellt worden
durchzusehen. Er fordert mehr-                 ist, dürfte für eine wissenschaftliche Auswertung nicht in
fach öffentliche Mittel zur Auf-               Frage kommen. Das Landeskriminalamt Hamburg bedau-
bereitung und Erschließung des                 ert daher, die dortigen Bemühungen durch Übersendung
genealogischen Archivs.                        von Material nicht unterstützen zu können.

                                               Durch die hiesigen Sachbearbeiter konnte aber in Erfahrung
Arnold Weiß
                                               gebracht werden, daß eine Frau Dr. Ruth KELLERMANN […]
                                               Material besitzt, welches sie sich aus ihrer früheren Tätig-
                                               keit bei dem Reichssicherheitshauptamt (Zigeuner-Sippen-
                                               archiv) erarbeitet hat. Sie betrachtet diese Unterlagen als
                                               ihr persönliches Eigentum, ist aber nach hiesiger Kenntnis
                                               bereit, das Material gegen Entgelt zur Verfügung zu stellen.

                                               Ich glaube daher, daß es zweckmäßig wäre, sich von dort
                                               aus an Frau Dr. KELLERMANN persönlich zu wenden, um
                                               mit ihr eine entsprechende Vereinbarung treffen zu können.

                                               Da die hiesige Kartei immer noch recht unvollständig ist
                                               und die Anfragen von verschiedenen Behörden nur unvoll-
                                               kommen erledigt werden können, wäre das Landeskrimi-
                                               nalamt Hamburg dankbar, wenn einer der Sachbearbeiter
                                               Gelegenheit bekäme, das dortige Material einzusehen, um
                        (BuArch ZSG 142/49.)
                                               evtl. Auszüge fertigen zu können.“
                                               […]

26                                                                                                            27
(BuArch ZSG 142/49)

     Das Schreiben des Landeskriminalamts Hamburg
     vom 1. März 1961 zeigt deutlich, dass zu diesem
     Zeitpunkt in der Hamburger Polizei kein Bewusst-
     sein dafür bestand, dass eine ehemalige Mitarbei-
     terin des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) als
     Täterin des Genozids hätte verfolgt werden müs-
     sen, anstatt sie als Ansprechpartnerin für polizei-
     liche Recherchen zu benennen. Dabei ist es uner-
     heblich, dass die mit „Zigeuner-Sippenarchiv“ im
     Schreiben gemeinte Institution die RHF und nicht
     das RSHA war.

     Obwohl sie und ihre Tätigkeit offensichtlich bekannt
     waren, wurde gegen Ruth Kellermann erst 1984
     auf Betreiben der Bürgerrechtsbewegung der Sinti

28                                                          29
Polizei und Justiz
und Roma ein Verfahren aufgrund ihrer Mitarbeit in
der RHF eingeleitet, das aber 1989 ohne Ergebnis
wieder eingestellt wurde.

Darüber hinaus ist dem Schreiben zu entnehmen,
dass das Landeskriminalamt Hamburg den Verlust
der eigenen aus der NS-Zeit und davor stammen-
den Aufzeichnungen über „Zigeuner“ bedauert
und schon wieder neue Sammlungen angelegt hat
– wofür Arnold schamlos um Unterstützung gebe-
ten wird –, nicht ohne auch seitens des Landes-
kriminalamts weitere Zusammenarbeit anzubieten.

Arnold Weiß

                                                       Schreiben des Rechtsamts Hamburg
                                                     zur Ermittlung einer Staatsbürgerschaft
                                                                       (BuArch ZSG 142/49).

30                                                                                             31
Gedenken und Politik
Als ab den 1970er Jahren die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und
Roma langsam in der Öffentlichkeit und Politik eine gewisse Wahr-
nehmung erfuhr, gewann – wie sich in der „Sammlung Arnold“ erken-
nen lässt – ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit Arnolds immer mehr
Raum: Die gegen die Bürgerrechtsbewegung gerichtete Lobbyarbeit.
In zahlreichen Leserbriefen an große Zeitungen, aber auch in direkten
Schreiben an politische Entscheidungsträger, nutzte er seinen Ruf als
„Zigeuner-Experte“, um die längst überfälligen Schritte zur Anerken-
nung der Minderheit als Opfer des Nationalsozialismus zu bekämpfen.
Insbesondere beharrte er immer wieder darauf, dass es sich bei den
nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen nicht um einen ras-
sistisch motivierten Völkermord, sondern nur um kriminalpräventive
Maßnahmen gehandelt habe, denen seiner Auffassung nach auch nur
ein Zehntel der bislang bekannten Zahl zum Opfer gefallen sei.

Mit dem Beginn der Bemühungen um ein Holocaust-Mahnmal in Ber-
lin wandte sich Arnold gegen eine Widmung des Mahnmals für alle
NS-Opfer. Er versuchte Einfluss auf die Entscheidungen im Bundestag
zu nehmen und dort für seine Thesen Gehör zu finden. Besonders ge-
schmacklos ist dabei die von ihm aufgebaute Argumentation, es gel-
te einer Gleichstellung von „Juden und Zigeunern“ zu widersprechen.
Das Holocaust-Mahnmal in Berlin ist den ermordeten Juden Europas
gewidmet. Die gesellschaftlichen Bestrebungen, ein eigenes Mahn-
mal für die ermordeten Sinti und Roma zu errichten, wurden von Ar-
nold ebenso erbittert bekämpft. Zahlreiche seiner späten Schreiben
und Texte richten sich gegen dieses Projekt.

Arnold Weiß, Moritz Terfloth

                                                                        BuArch ZSG 142/70.

32                                                                                           33
Gegenüberstellung                              Zwei Wege:                     11. Mai: In München wird das polizeiliche „Landeser-
                                                                              kennungsamt“ (seit 1952: Bayerisches Landeskriminal-

                                                                          1
                                               Fortgesetzte Ausgrenzung       amt) gegründet. Zum Amt gehört eine „Zigeunerstel-
74 Jahre sind seit der Befreiung am 8. Mai
1945 vergangen. Die Anerkennung der Sinti                                     le“ als Nachfolgerin der 1899 bei der Polizeidirektion
und Roma als Verfolgte des Nationalsozia-                                     München gegründeten „Zigeunerzentrale“, die 1938
lismus zog und zieht sich seitdem in kleine-                                  in der „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeu-
ren und großen Schritten dahin. Aber wäh-                                     nerunwesens“ beim Reichskriminalpolizeiamt auf-
rend durch maßgebliche Urteile deutscher                                      gegangen war. Geleitet wird die „Zigeunerstelle“ (ab
Obergerichte, durch Gesetzesänderungen                                        1953: „Landfahrerzentrale“) von Beamten, die wäh-

                                                                          9
und durch symbolische Reden und Akte                                          rend der NS-Zeit führend an der mörderischen Ver-
das unermessliche erlittene Unrecht und                                       folgung der Sinti und Roma beteiligt waren. Die Tra-
der tausendfache Mord nur nach und nach                                       dition der polizeilichen Erfassung, Schikanierung und
anerkannt und Schritte zur so genannten                                       Kriminalisierung der Sinti und Roma wird hier – wie
Wiedergutmachung gegangen wurden,                                             auch sonst in Deutschland – bruchlos weitergeführt.
sammelten sich diejenigen, die im seitheri-
gen Umgang mit der Minderheit kein Ver-
brechen und keinen Fehler sahen, in der

                                                                          4
Nachkriegsgesellschaft und besetzten ihre
Positionen in Wissenschaft, Justiz, Politik
und Polizei, um den bis 1945 eingeschlage-
nen Weg der Ausforschung, Erfassung und
Verfolgung unter den Bedingungen des
neuen Rechtsstaats weiterzubeschreiten
und fortzuentwickeln.

                                                                          6
Im Rahmen der vorliegenden Vorabver-
öffentlichung werden nachfolgend bei-
spielhaft einige Abschnitte auf den beiden
Wegen dargestellt: dem der erfolgreichen       Zwei Wege:
Anerkennung und dem der fortgesetzten
Verfolgung.                                    Schrittweise Anerkennung

34                                                                                                                                 35
Nur sehr wenige während des Nationalsozialismus als
         „zigeunerisch“ verfolgte Menschen erhalten Entschädi-

     1
         gungszahlungen für das ihnen zugefügte Unrecht. Abge-
         sehen von den bürokratischen Hürden für Entschädigungs-
         anträge (z. B. Antragsfristen; Beweislast der Antragsteller
         bei oftmals fehlenden Unterlagen) gilt es für die zuständi-
         gen Ämter und Gerichte keineswegs als selbstverständlich,
         dass die Verfolgung der Sinti, Jenischen und Roma „rassi-
         sche“ Gründe hatte. Sehr häufig wird unterstellt, sie seien

     9
         als „Kriminelle“ oder „Asoziale“ zu Recht verfolgt worden.
         Als Sachverständige werden häufig Polizei-„Experten“ he-
         rangezogen, die schon während der NS-Zeit an der Verfol-
         gung von Sinti, Jenischen und Roma beteiligt waren.

     4
         26. April: Der Süddeutsche Länderrat verabschiedet
         das „Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialisti-
         schen Unrechts“. Damit beginnt die bundesdeutsche
         „Wiedergutmachungs“-Gesetzgebung, zunächst durch
         einzelne Landesgesetze. Bundesweite Vereinheitlichun-
         gen erfolgen durch das Bundesergänzungsgesetz von
         1953 und das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) von

     9
         1956. Alle Regelungen beinhalten, dass Menschen, die
         unter dem NS-Regime aus „rassischen“ Gründen verfolgt
         wurden und dadurch an Gesundheit, Freiheit, Eigentum
         oder beruflichem Fortkommen geschädigt wurden, vom
         Staat hierfür entschädigt werden sollen.

36                                                                     37
Zwei Wege:                                                                     19. Mai 1953: Das Oberlandesge-
                                                                               richt München bestätigt die Ablehnung

                           1                                               1
Fortgesetzte Ausgrenzung                                                       eines Entschädigungsantrages mit der
                                                                               Begründung, die 1940 erfolgte (vom
                                                                               Gericht als „Umsiedlung“ bezeichnete)
                                                                               Deportation von Sinti in das General-
                                                                               gouvernement sei keine „Verfolgung
                                                                               aus Gründen der Rasse“ gewesen, und
                                                                               ihre dortige Internierung sei wegen der

                           9                                               9
                                                                               Spionagegefahr erfolgt, die von den

        §
                                                                               umherziehenden Sinti und Roma ausge-
                                                                               gangen sei.

                           5                                               5
                               Das Oberlandesgericht Frankfurt am
                               Main stellt in einem Entschädigungs-
                               verfahren fest: „Zigeuner gehören zu
                               den rassisch Verfolgten.“ Die „rassische“
                               Verfolgung habe bereits 1935 begonnen
                               (nicht erst während des Krieges, wie von
                               anderen Gerichten und Wiedergutma-

                           2                                               3
                               chungsämtern vielfach behauptet wird).

Zwei Wege:
Schrittweise Anerkennung

38                                                                                                                   39
7. Januar 1956: Der Bundesgerichtshof (BGH) kommt in einem Grund-
     satzurteil zu dem Schluss, dass nur solche Verfolgungsmaßnahmen

1
     gegen Sinti und Roma, die nach dem 1. März 1943 stattgefunden ha-
     ben, unter Umständen als „rassische Verfolgung“ gelten und somit zu
     Entschädigungszahlungen berechtigen könnten (d. h. nach dem Stich-
     tag zur Durchführung von Heinrich Himmlers „Auschwitz-Erlass“ vom                            Ehemaliges Erbgroßherzogliches
     16. Dezember 1942).                                                                             Palais, heute Hauptgebäude
                                                                                                                         des BGH,
                                                                                                                   Karlsruhe, 2012.

     Alle zuvor stattgefundenen Verfolgungsmaßnahmen hätten ihre

9
     Begründung nicht in der „Rasse“ als solcher gehabt, sondern in den
     „asozialen Eigenschaften der Zigeuner“. Die Deportationen des Jah-
     res 1940 seien lediglich eine „militärische oder sicherheitspolitische
     Maßnahme“ gewesen. Zur Begründung stützt sich der BGH distanzlos
     auf den Wortlaut der betreffenden NS-Verordnungen. Dieses Urteil
     bestimmt die Rechtsprechung bis 1963.

5
6
40
                                                                       © ComQuat. CC BY-SA 3.0.

                                                                                                                               41
Zwei Wege:                     Dezember: Der Düssel-
                               dorfer Kriminalobermeister

                           1                                  1
Fortgesetzte Ausgrenzung       Hans Bodlée schreibt in
                               der Fachzeitschrift ‚Krimi-
                               nalistik‘ über sogenannte
                               „Landfahrer“, es handle sich
                               bei ihnen um „Zigeuner-
                               mischlinge mit Elternteilen
                               deutschblütiger, jüdischer,

                           9                                  9
                               aber auch kombinierter Zu-
                               sammensetzung, letztlich
                               also Mischvolk“, bei dem
                               „ein Konzentrat negativer
                               Erbmasse zu verzeichnen
                               sein dürfte“.

                           6                                  6
                                                                  18. Dezember: Wachsender Widerspruch ge-
                                                                  gen das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH)
                                                                  von 1956 führt zu einem neuen Urteil: Der BGH
                                                                  erkennt nun an, dass auch Verfolgungsmaßnah-
                                                                  men ab 1938 als „rassische“ Verfolgung in Frage
                                                                  kämen. Daraufhin erhalten Sinti und Roma, deren
                                                                  Entschädigungsanträge abgelehnt worden sind,

                           2                                  3
                                                                  die Möglichkeit, bis zum 31.12.1969 eine Wieder-
                                                                  aufnahme zu beantragen.

Zwei Wege:
Schrittweise Anerkennung

42                                                                                                                   43
Rolf Holle, Abteilungsleiter im Bundeskri-
                           minalamt (BKA) und vor 1945 SS-Haupt-

1                                                                          1
                           sturmführer, definiert in Richtlinien für die
                           polizeiliche Kriminalstatistik: „Landfahrer
                           sind Personen, die aus eingewurzeltem
                           Hang zum Umherziehen mit Fahrzeu-
                           gen, insbesondere mit Wohnwagen oder
                           Wohnkarren, oder sonst mit beweglicher

                                                                                   © Zentralrat Deutscher Sinti und Roma.
                           Habe im Lande umherziehen.“

9                                                                          9
7                                                                          8
                                                                               Februar: Gründung des Zentralrats Deutscher Sinti und
                                                                               Roma als Dachverband und politische Interessenvertretung
                                                                               unter Vorsitz von Romani Rose.

                                                                               17. März: Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) empfängt
                                                                               eine Delegation des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma.
                                                                               Schmidt erklärt dabei: „Den Sinti und Roma ist durch die

0                                                                          2
                                                                               NS-Diktatur schweres Unrecht zugefügt worden. Sie wur-
                                                                               den aus rassischen Gründen verfolgt […]. Diese Verbrechen
                                                                               haben den Tatbestand des Völkermords erfüllt.“ Damit wird
                                                                               der Porajmos erstmals von einer Bundesregierung offiziell
     © B. Weinrich 2018.

                                                                               als rassistisch motivierter Völkermord anerkannt.

44                                                                                                                                         45
Zwei Wege:                     24. Juli: Der kulturpolitische
                               Sprecher der CDU-Fraktion im

                           2                                    2
Fortgesetzte Ausgrenzung       Berliner   Abgeordnetenhaus,
                               Uwe Lehmann-Brauns, lehnt
                               eine Errichtung des geplan-
                               ten Mahnmals für die Opfer
                               des Völkermords an den Sinti
                               und Roma im Zentrum Ber-
                               lins mit der Begründung ab,

                           0                                    0
                               das Stadtzentrum dürfe „keine

                                                                    © J. Michelsen 2014.
                               Gedächtnismeile“ werden. Die
                               Fraktionen von Grünen und
                               SPD hingegen befürworten ei-
                               nen Standort in der Nähe des
                               geplanten (2005 eingeweihten)
                               Holocaust-Mahnmals.

                           0                                    0
                                                                                           19. Dezember: In Berlin wird mit dem Bau
                                                                                           des Mahnmals für die im Nationalsozia-
                                                                                           lismus ermordeten Sinti und Roma nach
                                                                                           einem Entwurf des israelischen Künstlers
                                                                                           Dani Karavan an einem zentralen Stand-
                                                                                           ort im Tiergarten begonnen.

Zwei Wege:
Schrittweise Anerkennung

46
                           0                                    8                                                                 47
© 2019 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

                                                                                                                                  10. Juli: In Detmold wird eine Sinti-Familie, die mit be-
                                                                                                                                  hördlicher Genehmigung ihr Wohnwagenquartier auf

 2                                                                                                     2
                                                                                                                                  einem Parkplatz aufgeschlagen hat, von einer Gruppe
                                                                                                                                  Jugendlicher lautstark beschimpft und mit Plastikkugeln
                                                                                                                                  aus Softair-Waffen beschossen. Sie verlässt daraufhin
                                                                                                                                  vorzeitig den Ort.

 0                                                                                                     0
 1                                                                                                     1
                                                                                         Zoni Weisz.
     27. Januar: In der Gedenkstunde                                                                                              24. Oktober: Das Denkmal für die im Nationalsozialismus
     des Deutschen Bundestages zum                                                                                                ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin wird feier-
     Holocaust-Gedenktag liegt der                                                                                                lich eingeweiht. Bei der Einweihung sprechen u. a. der
     Schwerpunkt erstmals auf der Ver-                                                                                            Porajmos-Überlebende Zoni Weisz und Bundeskanzlerin
     folgung und Ermordung der Sinti                                                                                              Angela Merkel (CDU).
     und Roma. Gastredner ist der Poraj-
     mos-Überlebende Zoni Weisz. Er

 1                                                                                                     2
     berichtet vom eigenen Überleben

                                                                                                           © J. Michelsen 2014.
     als Einziger seiner Familie und weist
     nachdrücklich auf die Kontinuitäten
     von Verfolgung und Diskriminie-
     rung nach 1945 hin.                                                                                                                                 Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas.

48                                                                                                                                                                                                                            49
Zwei Wege:                     3. September: Die Antidiskriminierungsstelle des
                               Bundes präsentiert eine umfangreiche Studie über

                           2                                                                  2
Fortgesetzte Ausgrenzung

                                                                                                  60. Sqad. SAAF, Sortie No. 60/PR288 - british government, 4. April 1944.
                               Bevölkerungseinstellungen gegenüber Sinti und
                               Roma in Deutschland. Demnach gibt es zwar eine
                               große Akzeptanz für Gedenken an die an Sinti und
                               Roma verübten NS-Verbrechen, es werden ihnen
                               aber gleichzeitig klischeehafte Merkmale zugeord-
                               net. 31 Prozent der Befragten glauben, sie könnten
                               Sinti und Roma äußerlich erkennen. Ebenso viele

                           0                                                                  0
                               geben an, dass sie ihnen als Nachbarn mehr oder
                               weniger unangenehm wären. Im Vergleich zu ande-
                               ren Minderheitenkategorien (z. B. Muslime, Asylsu-
                               chende, „Schwarze“) wird ihnen die geringste Sym-
                               pathie entgegengebracht. Sie werden vielfach als
                               „fremd“ und „bedrohlich“ wahrgenommen.                                                                                                                    Das „Zigeunerlager“ (gelb hervorgehoben)
                                                                                                                                                                                            im KZ Auschwitz-Birkenau, Grundlage:
                                                                                                                                                                                              Luftbild der Royal Air Force von 1944.

                           1                                                                  1
                                                                                                                                                                             15. April: Das Europa-Parla-
                                                                                                                                                                             ment erklärt den 2. August (Auf-
                                                                                                                                                                             lösung des „Zigeunerlagers“
                                                                                                                                                                             in Auschwitz-Birkenau und Er-
                                                                                                                                                                             mordung der noch lebenden
                                                                                                                                                                             Insassen 1944) zum Europäi-
                                    Zwischen Gleichgültigkeit                                                                                                                schen Holocaust-Gedenktag

                           4                                                                  5
                                    und Ablehnung                                                                                                                            für Sinti und Roma.
                                    Bevölkerungseinstellungen
                                    gegenüber Sinti und Roma

Zwei Wege:                          Expertise für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Schrittweise Anerkennung            Zentrum für Antisemitismusforschung
                                    Institut für Vorurteils- und Konfliktforschung e. V.

50                                                                                                                                                                                                                        51
Juni: Eine Forschungsgruppe der Universität Leipzig, die
     seit 2002 eine Langzeitstudie über autoritäre und rechtsex-

 2                                                                   2
     treme Einstellungen in Deutschland durchführt („Leipziger
     Mitte-Studien“), veröffentlicht die Ergebnisse ihrer aktuel-
     len Befragung. Sie ergibt u. a.: Von den Befragten sind 58,5
     Prozent der Ansicht, Sinti und Roma würden zur Kriminalität
     neigen; von den SPD-Wählern: 56,6 Prozent, von den Grü-
     nen-Wählern: 41,8 Prozent, von den Linken-Wählern: 39,2
     Prozent. 49,6 Prozent befürworten die Verbannung von Sinti

 0                                                                   0
     und Roma aus den Innenstädten, und 57,8 Prozent möchten
                                                                              31. August 2017
     sie nicht in ihrer Gegend haben. Alle diese Werte sind im                Gemeinsame Erklärung von Bundespolizei und Zentralrat Deutscher Sinti und Roma:
                                                                              Schutz nationaler Minderheiten besonderes Anliegen der Bundespolizei
     Vergleich zur vorherigen Befragung im Jahr 2014 gestiegen.
     Die Autoren konstatieren in der „Mitte der Gesellschaft“ eine            Nach dem Tag der offenen Tür im Bundesministerium des Innern am 26. und 27. August 2017 hatte
                                                                              der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma schwere Vorwürfe gegenüber dem BMI und der
     Zunahme autoritärer Aggressionen gegenüber Sinti, Roma,                  Bundespolizei erhoben. Nach einem ausführlichen Telefongespräch zwischen dem Vorsitzenden des
                                                                              Zentralrates, Romani Rose und dem Präsidenten der Bundespolizei, Dieter Romann, wurde
     Muslimen und Asylsuchenden sowie allgemein eine ver-                     übereinstimmend erklärt, daß in der Bundesrepublik Deutschland die rechtsstaatlichen Kriterien für
                                                                              alle Bürger gleichermaßen zu gelten haben.
     stärkte Polarisierung und Akzeptanz für gewaltsames Vor-
     gehen.                                                                   Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma und der Präsident der Bundespolizei sind

 1                                                                   1
                                                                              sich einig, daß es die selbstverständliche Aufgabe der Polizeibehörden in unserem Land ist, vor
                                                                              Kriminalität zu warnen und Straftäter ohne Ansehen der Person zu verfolgen.

     9. Dezember: Auf der Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin         31.Dieter
                                                                              August:
                                                                                   Romann erklärteInnach
                                                                                                       einer        gemeinsamen
                                                                                                            den erhobenen                                Erklärung
                                                                                                                               Vorwürfen, daß selbstverständlich  die          von Bun-
                                                                            Staatsbürgerschaft eines jeden Bürgers nicht dadurch in Frage gestellt werden darf, indem die
     wird beschlossen, dass die Grabstätten von Sinti und Roma,          despolizei               und derZentralrat
                                                                            Abstammung zum Kriterium                                      erklärt
                                                                                                               polizeilichen Arbeit gemacht     wird.      Bundespolizeiprä-
     die unter dem NS-Regime verfolgt wurden, auf Dauer erhal-           sident
                                                                            Aus diesemDieter            Romann, dass
                                                                                         Grund hat die Innenministerkonferenz                   die
                                                                                                                                      (IMK) bereits      Staatsbürgerschaft
                                                                                                                                                    im Oktober 2007 erklärt :
                                                                            „Das geltende Recht - Grundgesetz, Landesverfassung und Europäische Konvention zum Schutz der
     ten werden sollen. Die Kosten sollen je zur Hälfte von Bund         eines       Bürgers              nicht         dadurch                infrage
                                                                            Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) - verbietet es, Menschen aufgrund         gestellt
                                                                                                                                                                   ihrer Rasse, werden

     und Ländern getragen werden. Der Zentralrat Deutscher Sinti         dürfe,       dass die Abstammung zum Kriterium polizeili-
                                                                            Hautfarbe, Abstammung oder religiösen Herkunft zu benachteiligen.
                                                                            Nach dem Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten, das in
     und Roma hatte sich hierfür seit Jahren eingesetzt.                 cher     Arbeit
                                                                            Deutschland           gemacht
                                                                                          unmittelbar  geltendes Rechtwerde.
                                                                            zu einer nationalen Minderheit verboten.
                                                                                                                                           „Es ist aus
                                                                                                                          ist, ist jede Diskriminierung  für    unsdereine
                                                                                                                                                             Gründen                Selbst-
                                                                                                                                                                         Zugehörigkeit

                                                                         verständlichkeit,                     dass Vorgaben  jedeals Ausgestaltung
                                                                                                                                            Form einer                gesonderten

 6                                                                   7
                                                                            Die Polizei sieht nicht nur diese rechtlichen                                  der Menschenwürde,
                                                                            sondern fühlt sich bei ihrem Handeln und Auftreten und nach ihrem Selbstverständnis und mit dem
                                                                         ethnischen                Erfassung
                                                                            Blick auf die historische                        von dem
                                                                                                      Verantwortung insbesondere         SintiSchutz und       Roms
                                                                                                                                                     von Minderheiten         durch die
                                                                                                                                                                       verpflichtet.“

                                                                         Bundespolizei
                                                                            Dieter Romann und Romani Rose ausgeschlossen
                                                                                                                werden zeitnah zu einem Gespräch      ist“,    sozusammentreffen,
                                                                                                                                                        in Potsdam    der Bundes-
                                                                            um Notwendigkeit und Möglichkeit zukünftiger Kooperation zu erörtern.
                                                                         polizeipräsident.                     Zur weiteren Vertiefung des Dialo-
                                                                         ges     besucht der Vorsitzende
                                                                            Dieter Romann, Präsident
                                                                            Bundespolizei
                                                                                                                                               des Zentralrats, Romani
                                                                                                                                  Romani Rose, Vorsitzender
                                                                                                                                  Zentralrat Deutscher Sinti und Roma
                                                                         Rose, den Bundespolizeipräsidenten am 18. Oktober
                                                                         2017 in dessen Dienststelle.

52                                                                                                                                                                                            53
Sie können auch lesen